Das Magazin der Coop Rechtsschutz
Dossier «Angst» + Warum wir trotzdem hoffen dürfen + Was gegen Angstattacken hilft + Wovor die Schweiz sich fürchtet Kein Lampenfieber 5 Tipps von Sängerin To Athena Keine Panik Auf Kuschelkurs mit Schlangen und Spinnen Keine Fehler So überlebt Klippenspringerin Anna Bader
(KEINE) ANGST
Nummer 11
Das gibt’s doch nicht
Verbreitet Phobien gehören zu den häufigsten
Fak psychiatrischen Leiden überhaupt: 10 % der Schweizer leiden an
Und ob! Unter den Phobien, also spezifischen neurotischen Ängsten, gibt es nichts, was es nicht gibt: zur Einführung in unser Heftthema ein paar nicht alltägliche Erkenntnisse.
mindestens einer Phobie.
Ansteckend
Phobien kann man sich auf vielfältige Weise
Text: Patrick Tönz
zuziehen – sogar durch reines Beobachten:
Viele Ängste werden wie eine Ansteckung von Müttern auf ihre Kinder übertragen oder verbreiten sich auf gleiche Weise unter Spielkameraden.
Kulturell
Mit Abstand am meisten leiden die Menschen in den USA: Dort sind Phobien siebenmal
häufiger als beim Schlusslicht China, wo sich das Individuum mehr am Kollektiv orientiert, was offenbar vor Ängsten schützt.
Eklig
Sogar Phobien sind Trends unterworfen. Geradezu epi-
Oft entwickeln wir Ängste, wenn wir
haben. Menschen, die darunter leiden, legen ihr Handy nie
uns in unbekannten Sphären
zur Seite – nicht einmal unter der Dusche.
demisch verbreitet sich zurzeit die Nomophobie: die Angst, sein Handy zu verlieren oder keine Internetverbindung zu
bewegen. Dagegen helfen Erfahrung und Wissen. Beides kann aber auch das Gegenteil bewirken und Phobien
BBC Ideas (2020): Where do phobias come from?; Psych2Go (2020): The Top 7 Most Common Phobias; The Infographics Show (2018): Weirdest Phobias People Suffer From!
Epidemisch
kten auslösen: So kann das Lesen über
Unangenehmes wie Keime etwa eine
Entspannt
Bazillophobie triggern.
Beinah ausgestorben ist dagegen
die Elektrophobie – die Angst vor Elektrizität.
Genetisch
Weil etwa die Angst vor Spinnen und Schlangen auch in unseren
Irrational
Breitengraden sehr oft vorkommt
International hartnäckig hält sich
solchen Spezies macht), vermutet
(obschon kaum jemand mehr eine gefährliche Begegnung mit einer
die Triskaidekaphobie: die Angst
die Wissenschaft, dass Phobien
vor der Zahl 13 (oder vor deren
auch evolutionär über die Gene
Quersumme 4, das wär dann die
vererbt werden.
Tetraphobie). Wobei Fachleute
darüber streiten, ob es sich wirklich um eine Phobie handelt oder
Typisch
lediglich um einen irrationalen
Die meisten gängigen Phobien
Aberglauben. Auf jeden Fall ist das
kommen in allen Kulturen vor.
Leiden so verbreitet, dass man in
Einige bleiben spezifisch: Nur in
vielen Hotels vergeblich ein
Japan gibt es die Taijin Kyofusho –
Zimmer mit der Nummer 13 sucht
die Angst, andere zu beschämen.
und in manchen Hochhäusern das
Hingegen ist unbekannt, ob in der
13. Stockwerk leer steht und im
Schweiz die Turophobie besonders
Lift nicht ausgewiesen ist.
verbreitet ist: die Angst vor Käse.
Editorial
Liebe Leserin, lieber Leser Warum haben wir Angst vor Krankheiten, obwohl wir fast doppelt so alt werden wie vor 100 Jahren? Warum fürchten wir uns vor Flugreisen und ignorieren die Gefahren des täglichen Strassenverkehrs? Warum glauben wir lieber an die grosse Katastrophe als an das grosse Glück? Namhafte Denker wie Steven Pinker und Yuval Noah Harari haben wissenschaftlich dargelegt, dass wir viel mehr Grund zum Optimismus hätten als uns zu ängstigen (siehe Dossier ab Seite 9). Doch wir sind nun mal empfänglicher für Schwarzmalerei. Das wird auch von den Medien genutzt. Weil mit Angst und Empörung mehr Klicks und Einschaltquoten generiert werden, bedienten sich Journalisten eben gerne dieser Mittel, erklärt der Sozial- und Wirtschaftspsychologe Christian Fichter (Interview ab Seite 15). Der Spirit der Coop Rechtsschutz ist ein anderer. Auch wenn wir dieses «core» der Angst widmen, beleuchten wir in erster Linie ihre positiven Seiten. Wo spornt sie uns an und wo mahnt sie uns zur Vorsicht? Was nützt sie und wie funktioniert Angst überhaupt – mal rein physisch gesehen? Wir haben uns dabei mit einer Reihe aussergewöhnlicher Menschen unterhalten. Mit der Klippenspringerin Anna Bader beispielsweise, die sagt, die Angst rette ihr Leben. Mit der Krimiautorin Christine Brand, die gesteht, Angst sei ihr Kapital. Oder mit Paul Odermatt, der fröhlich Angst und Schrecken verbreitet – mit seinen Geisterbahnen. Doch wie auch immer man es betrachtet: Wir halten es mit Abt Urban Federer vom Kloster Einsiedeln, der sagt: «Man braucht vor der Angst keine Angst zu haben.» Diesem Rat dürfen wir getrost folgen. Herzlich, Ihr Michael Romer CEO Coop Rechtsschutz AG
Inhalt
Gender-Hinweis Aus Gründen der besseren Lesbarkeit verwenden wir im «core» jeweils den Genus, also das grammatische Geschlecht. Diese Begriffe gelten für alle natürlichen Geschlechtsformen.
04
« Die Angst rettet uns das Leben»
26 Geisterbahn Paul Odermatt ist der Letzte seiner
42 Mitgegangen, mitgehangen?
20 Meter über dem betonharten
Art: Der Schausteller tingelt mit drei
Stellen Sie sich vor: Sie werden
Wasser habe man immer Angst,
Geisterbahnen durchs Land.
vorgeladen und wissen nicht warum.
sagt Klippenspringerin Anna Bader.
Ein Fall für die Coop Rechtsschutz AG (gelöst).
46
Angst beiseite!
Was würdest du tun, wenn du keine Angst hättest? Unsere Mitarbeiten den verraten ihre kühnsten Träume.
Dossier Chillax!
Zuversicht sei angebracht, sagen die
Michael Romer, der neue CEO
wichtigsten Denker unserer Zeit. Wir
von Coop Rechtsschutz, über seine
zeigen, weshalb sie recht haben.
Motivation, Neues zu wagen.
3
09
32 Keine Angst vor Neuland
50
Facts & Figures
Keine Angst: Wir verlieren uns hier
17 Die Schlangen vom Zürichberg
36 Erhöhter Puls
nicht in Zahlen. Wir zeigen, was uns
Wie macht das diese Frau bloss?
Mut macht und motiviert.
Unsere Autorin gruselt sich vor
To Athena erobert die Musikwelt –
allem, was da kreucht und fleucht
furchtlos, aber mit viel Gefühl.
– und stellt sich mutig ihrer Angst.
52
10 Fragen an …
Abt Urban Federer vom Kloster Einsiedeln, der zwar Angst vor dem
24
Kolumne
Sterben, aber nicht vor dem Tod hat.
Bestsellerautorin Christine Brand schämt sich (ein bisschen), dass ihr Geschäft die Angst der andern ist.
Impressum Herausgeber: Coop Rechtsschutz AG; Projektleitung: Petra Huser, Sibylle Lanz, Coop Rechtsschutz AG; Redaktion: Matthias Mächler, Patrick Tönz, www.diemagaziner.ch; Optik / Realisation: Qube Creatives, Aarau; Produktion: Christoph Zurfluh, www.diemagaziner.ch; Druck und Versand: Druckerei Herzog AG, Langendorf; Auflage: D 14 000 / F 3 500 Exemplare; Erscheinungsweise: einmal jährlich; Bestellungen: Coop Rechtsschutz AG, Entfelderstrasse 2, Postfach, CH-5001 Aarau, petra.huser@cooprecht.ch. In dieser Publikation vermittelte Informationen über Dienstleistungen und Produkte stellen kein Angebot im rechtlichen Sinn dar.
«DIE ANGST RETTET UNS DAS LEBEN» 20 Meter über dem betonharten Wasser habe man immer Angst, sagt Klippenspringerin Anna Bader. Sie zu überwinden, ist das eine. Das andere ist, sie genug ernst zu nehmen. Text: Christof Gertsch Fotos: Harry Fayt
W
Seen, in breite Flüsse und tiefe
der Welt. Der Felsvorsprung war
oben in den Klippen für ihren
Bergbäche, sie machen sich die
schmal, das Wasser eiskalt – aber
Sprung bereit macht, denkt sie
Natur zu eigen, ohne je den
die anderen sprangen ja auch.
jedes Mal an etwas, das ihre
Respekt vor ihr zu verlieren.
enn sich Anna Bader hoch
Mutter, eine zweifache Olympia-
Die anderen, das waren ausAuch wahr ist allerdings, dass
schliesslich Männer. Als Frau blieb
gesagt hat: Wenn du den Hand-
Klippenspringen eine der brutals-
Anna Bader in der Szene lange
stand wirklich draufhast, kannst du
ten Sportarten ist. Die maximale
eine Exotin, bis heute bringen mehr
ihn überall stehen – auf einer Matte
Höhe im normalen Wasserspringen
Männer als Frauen den Mut auf,
genauso wie auf einem Autodach.
sind zehn Meter, beim Klippen-
von so hoch oben herunterzu-
springen aber blicken Frauen aus
springen. Und die Angst wird nicht
Und auch auf einem schmalen
bis zu 22, Männer aus bis zu
kleiner, je öfter man springt. «Zum
Felsvorsprung 20 Meter über der
28 Metern in die monströse Tiefe.
Glück nicht!», sagt Anna Bader. Sie
Wasseroberfläche.
Die Höhe ist schwindelerregend,
sucht die Angst, weil sie glaubt,
der Blick verschwimmt. Nach zwei,
dass die Angst sie davor bewahrt,
Die Deutsche Anna Bader ist eine
drei, vier Salti und Schrauben und
unachtsam zu werden. Und weil
Legende im Klippenspringen. Oder
einem Drei-Sekunden-Flug prallen
die Angst sie weiterbringt. Erst die
eigentlich: die Legende. Sie war
sie mit 80 km / h aufs Wasser, die
Angst versetzt Anna Bader in
schon dabei, als sich die Disziplin
Oberfläche hart wie Beton. Dass
diesen Zustand totaler Konzentra-
in den Nullerjahren als Wett-
sie sich nicht häufiger verletzen,
tion, der beim Klippenspringen
kampfsport etablierte, und zählt
ist ein Wunder. Aber es gibt eine
unabdingbar ist.
noch heute, mit fast vierzig, zur
einfache Erklärung: die Angst.
Weltspitze. Sie war Europameisterin, gewann Weltmeister-
«Die Angst rettet uns das Leben»,
schaftsmedaillen, stand zahllose
sagt Anna Bader.
Male auf dem Podest der Cliff Diving World Series.
Das erste Mal von Klippen sprang Anna Bader in den Ferien auf
5
teilnehmerin im Kunstturnen, ihr
Es ist das Paradox des Klippenspringens: Man braucht Angst, um sich zu überwinden, und man braucht Angst, um sich zu bremsen.
Aber bei jedem Sprung hatte
Jamaika. Da war sie 17 und hatte
sie Angst.
schon einige Trainingsjahre als
Der amerikanische Psychothera-
Kunstturnerin und herkömmliche
peut Fritz Perls, ein Begründer der
Klippenspringen, man muss das
Wasserspringerin in der Halle
Gestalttherapie, schrieb 1957:
so absolut sagen, ist die schönste
hinter sich. Sie sprang zuerst von
«Ängstlich zu sein, ist die Voraus-
Sportart, die es gibt: Sie ist präzis
einer Plattform etwas weiter unten,
setzung dafür, weiter zu gehen,
und anmutig wie Wasserspringen
dann erkannten die Locals, dass sie
sich zu entfalten, etwas zu tun.
in der Halle, aber ohne dessen
es draufhat, und riefen sie zu sich.
Aber was passiert, wenn man zu
Eintönigkeit und Strenge. Sie ver-
«Komm mit uns nach ganz oben!»
ängstlich ist, etwas zu tun, und
mengt das Eindrückliche, zu dem
keinen Blick in das Unbekannte zu
der menschliche Körper fähig ist,
Das erste Mal richtig von Klippen
richten wagt?» Und weiter:
mit dem Atemberaubenden,
sprang sie mit 22 in den Schluch-
«Denken Sie an einen Schauspieler
das die Natur zu bieten hat. Klippen-
ten der Tessiner Maggia bei Ponte
und sein Lampenfieber, da können
springende stürzen sich ins azur-
Brolla, einem der bekanntesten
Sie die beiden Möglichkeiten der
blaue Meer und in pechschwarze
– und gefürchtetsten – Spots
Angst erkennen.
Entweder entwickelt man eine
verhindern, nicht mehr genügend
dass ein kleiner Fehler schlimmste
Abwehr, oder man schafft sich
trainieren. Sie würde einen neuen
Folgen haben kann.
weiterführende Erfahrungen.»
Sprung nicht mehr hundertmal vor dem inneren Auge visualisieren,
Doch was kann sie tun, um die
Auf Anna Bader trifft Fritz Perls’
ehe sie ihn zum ersten Mal in echt
Angst zu überwinden? «Das ist
Analyse zu: Hätte sie nicht vor
versucht. Ja, vielleicht schliche
Kopfsache», sagt sie. Sie
jedem Sprung ein bisschen Angst,
sich irgendwann der Leichtsinn ein,
betrachtet die Angst als eine Art
würde sie sich irgendwann nicht
in einem Detail bloss – ein abgebro-
Test, der sie dazu veranlasst, sich
mehr so gut vorbereiten, wie es
chenes Training, eine Ungenauig-
vor jedem Sprung wie mit einer
nötig ist, um das Wagnis heil zu
keit in der Vorbereitung –, doch das
Checkliste bewusst zu machen,
überstehen. Sie würde ihre
könnte reichen. Wenn man in so
was alles schiefgehen könnte. Sie
Schultermuskulatur, die sie beim
kurzer Zeit so tief fällt und dabei
lässt die Angst hinter sich, indem
Aufprall auf dem Wasser vor
so viele Salti und Schrauben
sie sich vergewissert, dass sie auf
Verletzungen schützt, nicht mehr
macht, braucht es nicht viel, dass
alles vorbereitet ist. Wenn das
jeden Tag im Kraftraum stärken.
man in der Luft die Orientierung
nicht reicht, erinnert sie sich daran,
oder für einen kurzen Moment die
wie gut sie sich nach dem letzten
Körperspannung verliert. Dass man
Sprung fühlte.
«Manchmal ist es mutiger, nicht zu springen», sagte der Speaker nach einem irritierenden Moment der Stille, die Zuschauerinnen und Zuschauer applaudierten.
ohnmächtig wird, weil man zu hart aufs Wasser prallt, wäre dann
Sie sagt: «Ich glaube schon, dass
noch ein glimpflicher Ausgang.
es das gibt – eine Lust auf Angst. Es ist ein tolles Gefühl, etwas zu
Das eine ist das, wovor wir Angst
schaffen, das man sich vorher
haben, wenn wir im Freibad auf
nicht zugetraut hat. Das gilt für
den Zehnmeterturm steigen: die
alle Lebensbereiche, aber Klippen-
Höhe, der Sprung, das Ungewisse.
springen hat in dieser Hinsicht
Sie würde die Oberschenkel-
Anna Bader aber fürchtet sich
etwas sehr Symbolisches. Das
adduktoren, die beim Eintauchen
nicht vor dem Ungewissen. Sie
Gefühl ist ganz pur, denn es geht
das Wegreissen der Beine
fürchtet sich vor der Gewissheit,
nur um einen Sprung.
Foto links: Dean Treml / Red Bull Content Pool
6
Als ob sie vom Eiffelturm springen würde: Die Red Bull Cliff Diving World Series in Paris sind ein Spektakel.
Erst die Angst versetzt Anna Bader in diesen Zustand totaler Konzentration.
Man überwindet sich und springt, und schon hat man das, was einen beunruhigte, abgehakt.» Nur zweimal in ihrer langen Karriere war die Angst so gross, dass es ein Fehler gewesen wäre zu springen. Einmal hat die Angst sie gerettet, das andere Mal aber hat Anna Bader – törichterweise – die Angst überstimmt. Das erste Mal war vor ein paar Jahren, als sich kurz zuvor ein Klippenspringer schwer verletzt hatte. Anna Bader stand schon auf der Plattform, blickte in die Fernsehkameras, die auf sie gerichtet waren, und sah die gespannt erhobenen Köpfe des Publikums, doch dann hörte sie ein inneres Stoppsignal, es war wie eine Stimme, die sagte: Tu es nicht! Sie brach den Sprung ab. «Manchmal ist es mutiger, nicht zu springen», sagte der Speaker nach einem irritierenden Moment der Stille, die Zuschauerinnen und Zuschauer applaudierten. Das andere Mal ist nur gerade ein Jahr her. Es ist die schlimmste Erinnerung, die Anna Bader von ihrem Sport mit sich herumträgt. Nach einer langen Wettkampfpause wegen eines Burn-outs – Bader hat zwei Kinder, lebte von ihrem Mann vorübergehend getrennt und arbeitete nebenbei als Lehrerin – war sie gerade Europameisterschaftsvierte geworden. Ihr Umfeld wertete das als Erfolg, sie aber, die vielfache
Europameisterin, wollte mehr.
«Bitte retten Sie mich, ich habe
auskannte und ihr immer vertraut
Die Gelegenheit kam früher als
zwei Kinder.»
hatte. Die Antwort: Sie hatte ihren Ehrgeiz nicht unter Kontrolle,
erwartet: Beim nächsten Stopp der Cliff Diving World Series eine
Ganz so schlimm war es nicht:
wollte unbedingt zeigen, dass sie
Woche später in Sisikon am Vier-
Anna Bader hatte in der Luft die
besser ist als Platz 4.
waldstättersee wurde kurzfristig
Orientierung verloren, war mit
ein Startplatz frei. Bader nahm die
dem flachen Bauch aufs Wasser
War es an der Zeit aufzuhören?
Herausforderung an. Dass das
geprallt und bewusstlos gewor-
Sie wollte ihre Karriere nicht wegen
Wetter schlecht war, die Sicht unge-
den. Mit einem Pneumothorax
eines einzigen Fehlers beenden.
nügend und sie noch erschöpft,
– wenn Luft zwischen Lunge und
Sie wollte aus diesem Fehler ler-
ignorierte sie. Zwar spürte sie,
Brustkorb gelangt – und einem
nen. Sie begann wieder zu trainie-
dass die Angst nicht verflog, als
Schleudertrauma wurde sie ins
ren: Schultermuskulatur, Ober-
sie oben auf der Plattform stand.
Spital eingeliefert, nach drei Tagen
schenkeladduktoren, Visualisierun-
Aber sie sprang trotzdem.
wieder entlassen.
gen. Und diesen Sommer kehrte sie zusammen mit den Kindern
Als sie wieder aufwachte, beugten
Monatelang fragte sie sich, wie es
und ihrem Mann – dem polnischen
sich Ärzte über sie. Sie begriff die
möglich war, dass sie ihre innere
Klippenspringer Kris Kolanus –
Situation nicht sofort und sagte:
Stimme ignoriert hatte, obwohl sie
nach Ponte Brolla zurück, wo einst
sich mit ihrer Angst so gut
alles begann. Ihre Kinder sollten
8
sie springen sehen. Sie verliess sich auf ihre Erfahrung: zwei Sprünge aus dem Handstand von 20 Metern, eine Rückwärtsschraube von 20 Metern, einen Salto rückwärts von 15 Metern. Nichts Schwieriges, aber perfekt ausgeführt. Sie wurde Dritte und konnte es kaum glauben. Der Pokal, den sie gewann, war auf dem Camping nachher die Sensation, alle Kinder scharten sich um sie, zuvorderst aber die eigenen. Da wusste Anna Bader, dass sie richtig gehandelt hatte.
DOSSIER
CHILLAX! Natürlich gibt es Gründe, sich zu sorgen. Aber es gibt noch viel bessere Gründe, zuversichtlich in die Zukunft zu schauen – wenn man auf zwei der wichtigsten Denker unserer Zeit hört. Texte: Patrick Tönz, Matthias Mächler
I
n Anbetracht der Weltlage fällt
Humanismus und Fortschritt»
erklärt Harari. Ebenso stehe es mit
es schwer, nicht in Panik zu geraten:
mit eindrücklichen Zahlen (siehe
Hungersnöten und kriegerischen
Bankenkrise, islamistischer Terror,
Grafiken unten). In allen Kulturen
Konflikten. Heute sterben Men-
Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg,
rund um den Erdball werden die
schen eher, weil sie zu viel essen
Energiekrise, Klimawandel.
Zufriedenheit und das generelle
– etwa an den Folgen von Über-
Kaum haben wir eine Bedrohung
Lebensglück der Menschen über
gewicht –, als an einer Hungersnot.
überwunden, werden wir mit der
dieselben Aspekte definiert:
Das Militärbudget der meisten
nächsten konfrontiert. Mit der
Gesundheit, Wohlstand, Bildung,
Staaten sei bedeutend kleiner als
Welt scheint es Schritt für Schritt
Freizeit, Gleichberechtigung,
früher – dafür seien die Budgets
und unwiderruflich bachab zu
Freiheit, Sicherheit und Frieden.
für Bildung, Medizin und Renten
gehen. Und zu allem Übel sind wir
Und in all diesen Aspekten ging
gestiegen. Auch für Harari sind die
Menschen die Hauptverursacher
es mit uns in den letzten Jahr-
vergangenen zweihundert Jahre
unserer misslichen Lage, die Toten-
zehnten und Jahrhunderten stetig
die besten der Menschheit seit
gräber unseres eigenen Schick-
bergauf – zum Teil dramatisch
Anbeginn des Ackerbaus.
sals. Doch stimmt diese deprimie-
und in allen Erdteilen. Warum so pessimistisch?
rende Einschätzung zum Zustand
10
unseres Daseins?
Harari wiederum beschreibt in sei-
Woran liegt es, dass unsere Wahr-
nem Buch «Homo Deus: Eine
nehmung über den Zustand der
Nein – das Gegenteil sei der Fall!
Geschichte von Morgen», dass sich
Welt so viel pessimistischer ist, als
Das jedenfalls behaupten Steven
die grössten Ängste der Mensch-
es die Fakten aufzeigen? Warum
Pinker und Yuval Noah Harari, zwei
heit über Jahrhunderte immer um
glauben wir generell, dass früher
der namhaftesten Wissenschaftler
dieselben zentralen Bedrohungen
alles besser war, obschon die
unserer Zeit (siehe Box).
drehten: Hungersnöte, Kriege und
Zahlen das Gegenteil beweisen?
Seuchen – und dass kaum ein Jahr Tendenz: stark positiv
verging, in dem man nicht mit einer
Pinker sieht den Effekt in unserer
Nüchtern betrachtet, gehe es
solchen Katastrophe konfrontiert
Psyche begründet. So zeigen viele
uns Menschen so gut wie nie,
wurde. Auch wenn wir mit Corona
wissenschaftliche Experimente,
sagt Pinker und belegt es in
gerade eine Seuche überwunden
dass wir Menschen auf Bedro-
seinem Buch «Aufklärung jetzt:
haben, so seien diese in unserer
hungen viel empfindlicher reagie-
Für Vernunft, Wissenschaft,
Zeit äusserst selten geworden,
ren als auf rosige Aussichten.
BESSER, ALS WIR MEINEN Wer sich an Fakten hält (und weniger an medial befeuerte Emotionen), darf zuversichtlich in die Zukunft blicken: Aspekte, die für die Entwicklung der Zufriedenheit massgeblich sind.
# GESUNDHEIT Lebenserwartung Wir leben deutlich länger: Noch vor 100 Jahren wurde ein durchschnittlicher Europäer knapp 50-jährig. 2021 betrug die Lebenserwartung für Frauen in der Schweiz 85,7 Jahre und für Männer 81,6 Jahre.
2021
Quelle: Steven Pinker, «Aufklärung jetzt: Für Vernunft, Wissenschaft, Humanismus und Fortschritt» (S. Fischer)
Frauen 85,7 Jahre Männer 81,6 Jahre
HERAUSRAGENDE DENKER Lieber vermeiden wir Risiken und
düsterer und verdriesslicher
verzichten auf Chancen als um-
geworden.
Steven Pinker (1954) ist Psychologieprofessor an der Harvard University. Seine Forschung beschäftigt sich mit Sprache und Denken. Daneben schreibt er regelmässig für die «New York Times» und den «Guardian». Pinker gehört zu den 100 einflussreichsten globalen Intellektuellen. Zuletzt erschien sein Buch «Mehr Rationalität. Eine Anleitung zum besseren Gebrauch des Verstandes».
gekehrt. Nach Pinker ist dies tief in unseren Genen verwurzelt. So sei
Pinker erklärt, dass unsere Neigung
es für unsere höhlenbewohnenden
zum Negativen sich auch auf die
Vorfahren für das Überleben för-
Bewertung von Fakten überträgt.
derlicher gewesen, einmal zu oft
So würden Untersuchungen zeigen,
vor einer möglichen Bedrohung
dass wir jene Wissenschaftler,
davonzurennen als einmal zu wenig.
die ein negatives Bild über die Welt zeichnen, als die seriöseren Wissen-
Deshalb springen uns noch heute
schaftler bewerten, deren Meinung
negative Nachrichten leichter
man eher trauen kann. Auch bei
an als positive – was eine ganze
der Zuschreibung moralischer
Kaskade an unerwünschten
Ernsthaftigkeit seien wir vorein-
Effekten nach sich zieht: Weil die
genommen: Wir hätten die Nei-
Algorithmen von Facebook und Co.
gung, Schwarzmaler als seriös,
darauf programmiert sind, uns so
tiefgründig und moralisch zu
lange wie möglich auf einer Platt-
bewerten, und Menschen, die auf
form zu halten, füttern sie uns
Fortschritte hinweisen, als ober-
automatisch vermehrt mit uner-
flächlich und propagandistisch.
Yuval Noah Harari (1976) gilt als einflussreichster Sachbuchautor der Welt und als Vordenker unserer Zeit. Der Israeli promovierte im Fach Geschichte an der Oxford University und lehrt an der Universität in Jerusalem. Seine Bücher «Eine kurze Geschichte der Menschheit», «Homo Deus» und «21 Lektionen fürs 21. Jahrhundert» wurden zu Weltbestsellern.
freulichen Nachrichten. Schon Nackte Zahlen statt
backschlaufe gefangen. Dieser
hysterische News
Effekt zeigt sich nicht nur auf den
Deshalb empfiehlt Pinker, sich
uns Menschen zurückgewinnen.
sozialen, sondern auch bei den
nicht mehr auf die täglichen
Denn unser Fortschritt basiere auf
traditionellen Medien: Im selben
News in den Medien zu fokussie-
einem einfachen Gedanken aus
Masse, in dem es in den vergan-
ren, sondern die nackten Zahlen
der Zeit der Aufklärung vor über
genen Jahrzehnten mit unseren
und Fakten über längere Zeit-
300 Jahren: Wenn wir Wissenschaft
Gesellschaften aufwärtsging, ist
räume zu betrachten. Dadurch
und Verstand zusammenbringen,
die Berichterstattung darüber
könne man das Vertrauen in
entstehe stetiger Fortschritt über
11
sind wir in einer negativen Feed-
Kindersterblichkeit
Tod durch Hunger weltweit
Es gibt kaum Traurigeres als der Tod eines Neugeborenen. Im Jahr 1900 starben in der Schweiz 14 000 Kinder in ihrem ersten Lebensjahr, 2010 waren es nur noch 280. Obwohl dies 280 Todesfälle zu viel sind, müssen wir die Säuglingssterbeziffer richtig einordnen: Sie beträgt aktuell 3,1 Promille, Tendenz weiter sinkend.
Bestimmte lange das Schicksal, ob eine Ernte gut war oder nicht, hat der Mensch heute weitgehend die Kontrolle darüber erlangt – dank modernen Bewässerungssystemen, Düngemitteln und leistungsfähigen Maschinen. Obwohl insbesondere in Afrika Hungersnot noch immer ein grosses Thema ist, sank die Sterberate in den vergangenen 100 Jahren weltweit dramatisch.
280
1900
2010
Famine deaths per 100 000 people per decade
14 000
1 600 1 400 1 200 1 000 800 600 400 200 0
1860
1890
1920
1950
1980
2010–2016
die Zeit – was sich heute in Zahlen
dann würden Hungersnöte, Kriege
und Fakten deutlich niederschlägt.
und Seuchen schnell zurückkom-
Natürlich heisse Fortschritt nicht,
men – und zwar schlimmer als je
dass über alle Zeit für alle stetig
zuvor: Weil es der Menschheit über
alles besser werde. Fortschritt
die Jahrhunderte nicht nur stetig
bedeute, Lösungen für unsere aktu-
besser geht, sondern weil sie sich
ellen Probleme zu finden. Und der
in den letzten hundert Jahren fast
nüchterne Blick zurück auf die
verfünffacht hat.
vergangenen Jahrzehnte zeige, dass uns dies häufig gelang, was
Pinker bestreitet nicht, dass die
uns wiederum stetig weiterbrachte
Welt weiterhin vor grossen Heraus-
und unser Leben verbesserte.
forderungen steht, und auch nicht,
Angst hat viel mit Fantasie zu tun. Begegnen wir einer möglichen Gefahr, laufen im Kopf verschiedene Szenarien ab. Je negativer und dramatischer diese Fantasien sind, desto grösser wird die Angst. Das gilt auch für Körperempfindungen. Was Sie in solchen Situationen tun können:
Brüchige Allianzen als Gefahr
sind, welche die Probleme verur
Nicht ganz so optimistisch blickt
sachen. Das Letzte, was die Mensch
Harari der Zukunft entgegen.
heit jedoch gebrauchen könne,
Der wichtigste Faktor zur Erlan-
sei ein negativ verzerrter Blick auf
gung der Kontrolle über drohende
diese. Denn pessimistische Menschen
Katastrophen und Kriege sei die
hätten die Tendenz, in Untätigkeit zu
Errichtung von global wirkenden
verfallen, nach dem Motto: wenn die
Institutionen wie der WHO oder der
Welt eh bald untergeht, warum sich
UNO gewesen, die weltweit gel-
noch bemühen? Doch die Welt sei
tenden Gesetze, auf die sich alle
auf den menschlichen Erfindungs-
Länder einigten. Doch gerade diese
geist angewiesen. Probleme werde
Institutionen würden in jüngster
es immer geben, aber solange
Zeit immer öfter infrage gestellt,
wir Vertrauen in unsere Problem-
was Harari als sehr gefährlich
lösungsfähigkeiten hätten, würden
einschätzt. Denn wenn wir auf-
wir Wege finden, diese zu lösen.
hörten, diese Institutionen zu
Denn: Haben wir eine andere Wahl?
pflegen, begännen sie zu bröckeln,
# WOHLSTAND
# BILDUNG
Extreme Armut weltweit
Lesen und Schreiben
Noch 1988 (!) lebten 37 Prozent der Weltbevölkerung in extremer Armut! Innerhalb der letzten 30 Jahre konnte diese Zahl beinahe geviertelt werden. Heute sind es 10 Prozent der Menschen weltweit, die in akuter Armut leben, Tendenz stark sinkend.
A
B
Vor dem 17. Jahrhundert konnten weniger als 15 Prozent der Europäer lesen und schreiben. Heute ist Analphabetismus hier Geschichte. Weltweit können 90 Prozent der Bevölkerung unter 25 Jahren lesen und schreiben. Und in der Schweiz? 1913 wurden 52 Prozent der Kinder eingeschult, heute lernen bei uns 99 Prozent in der Schule lesen und schreiben.
C
12
dass es oft wir Menschen selbst
Suchen Sie die Konfrontation
Treiben Sie Sport
Ziehen Sie den Fokus von Ihrem
Sind Sie körperlich gesund, spricht
Viel Bewegung ist nicht nur
Innenleben ab und konzentrieren Sie
nichts dagegen, sich einer ungefähr-
gesund für den Körper, sondern
sich auf die Aussenwelt: Beschrei-
lichen, aber angstauslösenden
auch für die Psyche. Vor allem
ben Sie für ein paar Minuten so
Situation zu stellen. Suchen Sie
Ausdauersport hilft psychische
detailliert wie möglich, was Sie um
aktiv Orte auf oder Objekte, vor
Anspannungen wie Angst
sich herum sehen – ohne das Gese-
denen Sie sich fürchten, und folgen
langfristig zu reduzieren.
hene zu werten. Nur beschreiben!
Sie Tipp Nr. 3. Manchmal reicht es, sich Situationen intensiv vorzu-
Lernen Sie Meditieren
Beurteilen Sie Ihre Angst kritisch
stellen oder ein Bild eines Angst-
Damit üben Sie, Gedanken ein-
Justieren Sie die Interpretation
objekts zu betrachten. Wieder-
fach Gedanken sein und sie
Ihrer Situation, begutachten Sie
holen Sie den Prozess und steigern
vorüberziehen zu lassen, ohne
innerlich Ihr Katastrophendenken.
Sie die Herausforderungen. Sie
sie zu beachten. So lernen Sie,
Versuchen Sie nüchtern einzu-
werden erfahren, dass die Angst
im Alltag nicht auf jeden Angst
schätzen, wie hoch die Wahrschein-
von Mal zu Mal abnimmt.
impuls reagieren zu müssen.
lichkeit wirklich ist, dass das Worst-Case-Szenario eintritt.
Auch Achtsamkeitsübungen und Denken Sie positiv
Atemtechniken helfen bei der
Kreieren Sie sich einen imaginären
Verringerung von Ängsten.
Halten Sie der Angst stand
Begleiter, der Ihnen in Angstsitua-
Betrachten Sie Ihre Körperempfin-
tionen Mut macht. Dessen aufmun-
Konsultieren Sie Experten
dungen. Akzeptieren Sie Ihr Angst-
ternden Worte wie «Du schaffst
Falls keiner der obigen Tipps
gefühl und versuchen Sie, es auszu-
das schon» oder «Du hast schon
genützt hat: Holen Sie sich
halten. Denn: Die Angst ist lediglich
viel grössere Gefahren gemeis-
externe Hilfe. Es gibt äusserst
ein Signalgeber, der in Ihnen einen
tert» werden Sie anspornen und
wirksame Therapien gegen
Handlungsdruck aufbaut – sie wird
Ihnen helfen, die Angst zu ignorieren.
Angststörungen. Vereinbaren Sie
wieder verschwinden! Ohne Ihr
einen Termin mit Ihrem Arzt, er
Zutun. In der Regel bereits nach
wird Sie an einen entsprechenden
fünf bis dreissig Minuten.
Spezialisten verweisen.
# FREIZEIT Arbeitsstunden pro Woche
Arbeitsstunden im Haushalt pro Woche
Im 19. Jahrhundert haben Europäer im Schnitt über 60 Stunden die Woche gearbeitet – heute sind es weniger als 40. Im Kanton Zürich dauerte ein Arbeitstag in der Fabrik 1855 bis zu 15 Stunden. Heute sind es noch 8,3 Stunden.
15 h
8,3 h
Der Haushalt – ein Fass ohne Boden? Das war einmal. Dank Innovationen wie fliessendem Wasser, Elektrizität, Kühlschränken, Staubsaugern und Waschmaschinen ist der Aufwand für Haushaltsarbeit von über 60 Stunden die Woche auf unter 15 Stunden gefallen.
60 h 15 h
Bundesministerium für Gesundheit (2023): Mit Angst umgehen; HelloBetter (2020): Die Angst überwinden – was wirklich hilft.
Verlagern Sie den Fokus
Was passiert bei Angst?
Stellen Sie sich vor, Sie sind im Schrebergarten unserer Autorin Denise Battaglia (Seite 17) zum Apéro eingeladen, und plötzlich schlängelt da was aus dem Gebüsch. Die Ringelnatter wird mit grosser Wahrscheinlichkeit Folgendes in Ihnen auslösen: Die Amygdala, die in Ihrem
All diese physiologischen
Gehirn die visuellen Reize emotional verarbeitet,
und kognitiven Prozesse
sendet blitzschnell ein Signal an Ihre Neben-
laufen automatisch und
nieren. Diese schiessen die Hormone Cortisol
ohne Ihr bewusstes Zutun
und Adrenalin in Ihren Körper, Ihre Blutgefässe
ab – aber Sie können sie
weiten sich, Ihr Herz beginnt zu rasen, Ihr Blut
spüren, sehr eindringlich
wird von allen vegetativen Prozessen abge-
sogar. Und dieses Gefühl
zogen und in Ihre Muskeln gepumpt, Ihr Gesicht
nennt sich: Angst. Sie setzt
wird bleich, obwohl Sie schwitzen, die Lunge
Sie unter Handlungsdruck.
hyperventiliert und reichert das Blut mit viel
Die meisten Menschen
Sauerstoff an, Glukose wird freigesetzt, um
würden sich wohl für die
Sie mit zusätzlicher Energie zu versorgen.
Strategie «Flucht» ent-
Prof. Dr. Christian Fichter ist Sozial- und Wirtschaftspsychologe sowie Forschungsleiter an der Kalaidos Fachhochschule Schweiz.
scheiden. Nicht jedoch Sie.
erstarren und Ihre Augen mit geweiteten
arten der Schweiz – harm-
Pupillen die Schlange fixieren, wird Ihr Gedächt-
los. Eine Angstreaktion ist
nis aktiv und vergleicht die aktuelle Situation
eigentlich völlig unnötig.
mit ähnlichen Erfahrungen in Ihrer Vergangen-
Es reicht, abzuwarten, bis
heit. Verschiedene dieser Szenarien werden
sich die Schlange verzieht –
blitzschnell durchgespielt und gleichzeitig
denn sie hat mehr Angst vor
deren Erfolgsaussichten eingeschätzt: Flucht?
Ihnen, als Sie vor ihr haben
Kampf? Oder doch nur einfach in Unbeweglich-
müssen.
Foto: Mina Monsef
fast alle anderen Schlangen-
keit verharren? Für was entscheiden Sie sich?
# GLEICHBERECHTIGUNG
# SICHERHEIT
Demokratien vs. Autokratien 1988 gab es weltweit 85 Autokratien. Vor allem auch dank der Arbeit weltumspannender Organisationen sind es heute noch deren 60. Selbst mit Rückschlägen wie in Russland oder Venezuela lebt heute zwei Drittel der Weltbevölkerung in Demokratien.
60
Autokratien
Menschen
14
Ringelnattern sind – wie Während Sie in höchster Alarmbereitschaft
440 238
74
42
1800
228
1988
1990
2022
1971
2022
2018
Tod durch Terrorismus Tötungsdelikte in in Westeuropa der Schweiz
Verkehrstote in der Schweiz
«Wir werden Lösungen finden» Christian Fichter, Professor für Wirtschaftspsychologie, über Verlustangst, die Schweizer Volksseele und das derzeit grassierende Tocqueville-Paradox. Herr Fichter, wovor haben
Kann man sagen: Je mehr wir
vorsichtig, zurückhaltend – und
Schweizerinnen und Schweizer
besitzen, desto grösser ist die
tendenziell als überversichert.
am meisten Angst?
Verlustangst?
Das liegt aber nicht nur daran,
Am meisten Angst haben wir vor
Interessanterweise nein: Die Ver-
dass wir viel besitzen. Da spielt
denselben Dingen, die man auch in
lustangst vermögender Menschen
auch die soziale Norm rein, eine
der chinesischen Provinz, in New
ist gleich gross wie die von weniger
Art Kultur: Dass wir viel daran
York City oder im afrikanischen
Begüterten innerhalb der Schweiz.
setzen, Verlust zu vermeiden, ist
Busch am meisten fürchtet: vor
Aber es gibt natürlich Unterschiede
uns angeboren und wird durch
physischer Schädigung durch einen
in der Volksseele. In Afrika lebt
kulturelle Dynamiken verstärkt.
Überfall, vor lebensbedrohlichen
man allgemein sorgloser, fatalisti-
Banken und Versicherungen sind
Krankheiten, davor zu erfrieren
scher als in der Schweiz. In den
Teil unseres Lebens: Es gehört
und dass das Essen nicht reicht.
USA geht man offensiver mit
zum guten Ton, ihre Dienste zu
Risiken um, weil man eine andere
nutzen. Auch wollen wir einem
Von diesen Urängsten abge-
Fehlerkultur gewöhnt ist. Und
sozialen Vergleich standhalten.
sehen: Gibt es eine Schweizer
in Ländern, in welchen Krieg,
Dass wir durch einen Schicksals-
«Angst-Spezialität»?
Hunger, Diktatur und Repression
schlag unser Haus verlieren oder
Da wir grundsätzlich in Sicherheit
herrschen, gibt es keine Sorge
im Alter zu wenig zum Leben
leben, spielen diese Urängste im
vor einem möglichen Klimakollaps,
haben, macht uns Angst. Wir
Alltag tatsächlich eine untergeord-
dort ist man mit dem täglichen
versichern uns also, um unseren
nete Rolle – und schaffen dadurch
Überleben beschäftigt.
sozio-ökonomischen Status zu
Raum für andere Themen.
schützen. Und die Versicherungen
Etwa für die Angst, unseren
In der vermögenden Schweiz
individuellen und gesellschaft-
scheint uns die Verlustangst kol-
lichen Wohlstand zu verlieren.
lektiv anzutreiben: Wir gelten als
nutzen dieses Bedürfnis aus.
# FRIEDEN Flugzeugabstürze weltweit
Die Wahrscheinlichkeit, in einem Flugzeug ums Leben zu kommen, ist heute weltweit um 99 Prozent geringer als noch vor 50 Jahren.
– 99 %
– 89 %
Tote durch Naturkatastrophen
Es gibt heute nicht weniger Naturkatastrophen als vor 100 Jahren, die Wahrscheinlichkeit, dadurch ums Leben zu kommen, ist aber um 89 Prozent gesunken – weil unsere Infrastruktur stetig verbessert wurde. Sogar 97 Prozent weniger wahrscheinlich als vor 100 Jahren ist es, von einem Blitz getroffen zu werden.
23
12
1988
2018
Kriege weltweit
12 60 780
10 325
1988
2018
Nuklearwaffen weltweit
Nicht nur Versicherungen trig-
Auch spielt das sogenannte Tocque-
Macht Ihnen diese Entwicklung
gern uns mit Angst, auch die
ville-Paradox eine Rolle: Mit dem
Angst?
Medien. Warum folgen wir
Abbau grosser Missstände müssen
Nein, denn die Vergangenheit hat
jedem Aufruf zur Angst?
für etwas Aufmerksamkeit die
gezeigt: Wir Menschen sind in der
Weil wir uns nicht die Mühe machen,
verbliebenen Ungerechtigkeiten
Lage, auf Missstände zu reagieren.
zu hinterfragen oder uns richtig zu
überproportional betont werden.
Wir sind innovativ und intelligent
informieren. Wir vertrauen Impul-
Gerade für junge Menschen in ihren
genug, um uns selber vor dem Unter-
sen, lassen uns mitreissen vom
Bubbles ist das fatal: Wenn sie bei
gang zu bewahren. Wir werden
Sog der Angst, der durchaus faszi-
einem Hype nicht mitmachen,
Lösungen finden.
nierend ist, eines der stärksten
werden sie ausgeschlossen. Und
Gefühle überhaupt. Und die tra-
wenn sie mitmachen, bestimmt das
Gibt es aus wirtschaftspsycho-
ditionellen Medien können nicht
Thema bald ihr Leben. Es spielen
logischer Sicht eine begründete
anders, als der Dynamik der dauer-
die Mechanismen einer Sekte.
Angst, über die nachzudenken sich lohnen würde?
16
empörten sozialen Medien zu folgen und negative Botschaften
Klingt nach Teufelskreis. Was
(Lacht) Ich staune immer wieder,
auszureizen. Auf den Redaktionen
können wir dagegen tun?
wie LinkedIn & Co. ihre User ziem-
steigt in der Hierarchie, wer die
Unsere Gesellschaft ist nicht
lich unrealistisch einlullen: Lebe
meisten Klicks generiert. Am
risikokompetent. Wir halten Risiko
deinen Traum und werde zum
einfachsten geht das mit Empö-
nicht aus, weil wir es nicht ein-
digitalen Nomaden! Gründe dein
rung – und mit Angst.
schätzen können. Wir lassen uns
eigenes Start-up! Nimm einen Kredit
zu Exzessen von Empörung, ja von
auf und werde mit deiner Erfindung
Und die Angst greift, obwohl es
Gewalt hinreissen, statt cool zu
zum Millionär! Die meisten
uns besser geht denn je?
bleiben und Fakten zu analysieren.
Menschen sind nicht gemacht für
Autoren wie Steven Pinker, Yuval
Wir sollten schon in der Schule
solche Abenteuer. Und die meisten
Noah Harari oder Ola Rosling
lernen, welche Risiken unsere
solcher Vorhaben scheitern. Es wird
haben wissenschaftlich fundiert
Aufmerksamkeit verdienen. Und
– insbesondere in der Forschung –
dargelegt, dass wir sehr viel mehr
es braucht eine neue Medien-
zu viel versprochen, ja Unrea-
Gründe für Optimismus hätten,
kompetenz: Wir sind zum Spielball
listisches vorgegaukelt. Da scheint
statt uns zu ängstigen. Aber die
von nach Aufmerksamkeit hei-
mir ein gewisser Respekt vor dem
Medien interessiert das nicht.
schenden Algorithmen geworden.
Risiko ganz vernünftig.
Lebenszufriedenheit In Studien «sehr hohe Zufriedenheit» angegeben haben 2021 … … in Österreich
… in der Schweiz
39,7 % 38 % … in Deutschland
… in Frankreich
… in Italien
28,3 % 18,3 % 18 %
In Studien «sehr hohe Unzufriedenheit» angegeben haben … … in der Schweiz
… in Österreich
… in Frankreich
… in Italien
8,9 %
9,6 %
15 % 15,7 %
Besonders zufrieden ist die Schweizer Bevölkerung … … mit dem Zusammenleben
… mit dem Arbeitsklima
… mit den persönlichen Beziehungen … mit der Wohnsituation
69,2 % 59,1 % 57,6 % 54 %
Die Schlangen vom Zürichberg Warum nur haben wir dermassen Angst vor Schlangen, Kröten und krabbelnden Mehrbeinern? Spurensuche einer Schrebergärtnerin, die sich ihrer Angst vor Tieren stellt. Text: Denise Battaglia Fotos: Gian Marco Castelberg
E
s begann mit dem Tiger
Im zweiten Jahr kam der Fuchs. Er
Ein berührender Augen-Blick
schnegel. Der Tigerschnegel ist
deponierte alle paar Wochen ein-
Doch dann begegnete ich
eine Nacktschnecke gigantischen
zelne Schuhe von Schrebergärtner-
meinem Schuh-Fuchs. Ich sah
Ausmasses. Deshalb heisst er
innen und -gärtnern unter meiner
ihn bei Dämmerung in meinen
auch Limax maximus. Im ersten
Rhabarberpflanze. Ich sah ihn nie,
Garten trotten. In etwa 15 Meter
Jahr, als ich einen Schrebergarten
sah nur sein Raubgut. Das war un-
Entfernung blieb er stehen und
am Zürichberg in Pacht nahm,
heimlich. Warum kommen immer
drehte den Kopf. Wir blickten
regnete es den ganzen Früh-
alle Tiere zu mir? Auf der Strasse
einander mehrere Sekunden lang
sommer. Rote, schwarze und
laufen Katzen zielstrebig auf mich
in die Augen. In diesem Moment
braune Nacktschnecken schleim-
zu, Hunde springen an mir hoch, und
realisierte ich, dass er weiss, dass
ten über meinen Basilikum und
ich bin sicher die Einzige, die eine
ich ihn sehe, und auch weiss, dass
schluckten ihn über Nacht weg,
Gottesanbeterin im Wohnzimmer
ich weiss, dass er mich sieht. In
sie schleimten über meine
hatte, die vermutlich gerade das
seinen Augen erkannte ich ein
Tomatensetzlinge, über meinen
Männchen verdaute, das sie bei der
vertrautes Wesen. Der Fuchs kam
Salat, über alle selbst gezogenen
Paarung aufgefressen hatte.
nie wieder, brachte keine Schuhe
noch zarten Pflanzen, sie krochen
mehr. Mich aber hat dieser Augen-
en masse durch meinen Garten.
Mischung aus Ekel und Furcht
Aber diese Nacktschnecken sind
Ich habe Angst vor fast allen Tieren,
nichts im Vergleich zu ihm.
sogar vor Hamstern (ich hatte mal
Blick tief berührt.
18
einen, ich konnte ihn nur mit dicken Als ich ihn zum ersten Mal im
Skihandschuhen anfassen, weil ich
Garten sah, entfuhr mir ein Schrei,
Angst hatte, dass er mir den Finger
ich floh nach Hause und gab bei
abbeisst). Ich zucke zusammen,
Google zwei Stichworte ein:
wenn mir ein Tier zu nahe kommt,
«Nacktschnecke», «gross». Ich
verkrampfe mich, mein Herz
lernte den Tigerschnegel kennen. Dass der Maximus kleine Nacktschnecken frisst, machte ihn mir sympathischer. Ich setze keine Schneckenkörner ein. Nicht einmal
Was war in diesem Moment
den kleinen gefrässigen Nackt-
passiert? «Es ist das Gesicht»,
schnecken wünsche ich einen
schlägt schneller. Ich weiss nicht,
sagt Hannah Süss. Sie ist for-
solchen Tod. Wenn diese aber
woher diese Angst kommt. Es ist
schende Psychologin und Leiterin
vom König der Schnecken höchst-
eine Mischung aus Ekel und Furcht
einer Psychotherapiestation an der
persönlich einverleibt werden,
vor der Unberechenbarkeit der
Psychiatrischen Universitätsklinik
schien mir dies einer Auszeich-
Tiere. Sie sind für mich das Fremde
Zürich, viele Jahre leitete sie eine
nung für sie gleichzukommen.
schlechthin, ich verstehe sie nicht.
Therapie gegen die Angst vor
Ich beschloss, den Tigerschnegel
Ihre Spontaneität und das (mir ge-
Spinnen. Tiere mit Gesichtern, mit
wirken zu lassen und mich
genüber) fehlende Distanzgefühl
Augen, die uns anblicken, oder mit
selbst in Gelassenheit zu üben.
überfordern mich. Tiere sind mir
einer Mimik, die wir interpretieren
Die Nacktschnecken werden von
zu aufdringlich, zu schnell, zu
können, geben uns ein Gefühl der
Jahr zu Jahr weniger.
übermütig, zu neugierig – und sie
Vertrautheit, sagt sie. Ein weiterer
können beissen.
Grund, dass ich beim Anblick des
Angsttherapeutin. Oft weckt eine erste Beobachtung dann unsere Neugierde. Wissen nimmt uns Angst. Das, was ein Fremdeln auslöst, ist das Neue. Das, was wir noch nicht kennen. Auch Menschen lernen wir vertrauen, indem wir sie
Tiere mit Gesichtern, mit Augen, die uns anblicken, oder mit einer Mimik, die wir interpretieren können, geben uns ein Gefühl der Vertrautheit. befragen, ihnen zuhören, in ihre Gesichter blicken, ihre Mimik und ihr Verhalten beobachten. Tiere können wir «befragen», indem wir Tier einlesen», wie es Hannah Süss nennt. Wenn wir wissen, wie ein Tier lebt, sich ernährt, welche Rolle es im Naturkreislauf einnimmt oder welche besonderen Fähigkeiten es hat, beginnt es uns womöglich zu faszinieren. Ort des (Er-)Schreckens: In diesem Schrebergartenteich tummeln sich immer öfter Ringelnattern. Für einige Hobbygärtner eine Herausforderung.
So erging es mir mit dem Regenwurm. Ich las Darwins Buch über den Regenwurm. Seither ist er mein Lieblingstier. Dieses unschein-
Fuchses kaum Angst verspürte,
Von der Emotion zum Kopf
bare Wesen schafft ein Wunder:
sei die Distanz zwischen ihm und
Bei grosser Angst müsse man
Es macht unsere Erde fruchtbar.
mir gewesen. Im Gegensatz zum
oft noch einen Schritt früher
Der Regenwurm ist auf den ersten
Hund, der an mir hochspringt, liess
ansetzen. Im Kurs gegen Spinnen-
Blick kein Beau, aber er hat eine
mir der Fuchs den Raum, ihn zu
angst erhalten die Teilnehmenden
schöne Seele. Er ist das einzige
betrachten. Dies sei der erste
zuerst nur ein Bild von einer Spinne.
Tier, das ich mit blossen Händen
Schritt, sich der Angst zu stellen,
Sie sollen das Tier beschreiben.
berühren kann, um ihn von
sagt Hannah Süss: nicht weg-
«Das bringt einen aus der Emotion
einem Trottoir in einen
rennen, sondern beobachten.
und in den Kopf», erklärt die
Garten zu legen.
19
uns über Literatur «in das fremde
Im April lag zum ersten Mal eine Blindschleiche eingerollt auf meinem Kompost. Eine Woche später waren es zwei. Dann erwischte ich die beiden in flagranti beim Liebesspiel. Ich erkannte nur, was sie da tun, weil ich mich sofort «in die Blindschleiche
Ich habe den beiden Namen gegeben: Adelheid und Walty. Ich weiss, dass ich sie vermenschliche, aber es nimmt mir meine Angst. eingelesen» hatte und wusste, dass das Männchen bei der Paarung das Weibchen beim Nacken packt. Ich habe den beiden Namen gegeben: Adelheid und Walty. Ich weiss, dass ich sie vermenschliche, aber es nimmt mir meine Angst. Angst und Schrecken Jetzt stehe ich vor der wohl grössten Hürde: der Schlange. Seit drei Jahren breitet sich in unserem Kleingartenareal die Ringelnatter aus und versetzt den noblen Zürichberg in Angst und Schrecken. Im Teich von Schrebergartennachbarin Gaby haben zwei gleichzeitig Molche gejagt. Gaby traute sich tagelang nicht mehr auf ihr Fleckchen, dachte daran, es aufzugeben. Sie las sich zu Hause in die Ringelnatter ein – und Die Artenvielfalt in der Kleingartenanlage am Zürichberg wächst. Pächterinnen und Pächter müssen sich daran gewöhnen.
kam wieder. Der Schrebergartenpräsident, der auch Angst hat vor der Schlange, ist derzeit im ganzen Areal unterwegs, um Pächterinnen und Pächter zu beruhigen.
Das negative Prinzip
Wir lernen von Kind auf, dass die
dass die Ringelnatter sich bei uns
Die Aufregung unter den Gärtne-
Schlange vom Teufel ist, die
wohl fühle: «Ihr schafft unseren
rinnen und Gärtnern ist gross.
Spinne das Böse oder Unheimliche
einheimischen Wildtieren wieder
Aber warum, die Schlange tut uns
verkörpert. Dabei seien Schlangen
Lebensräume.»
doch nichts? «Sie hat kein uns
– auch Spinnen – scheue Wesen,
vertrautes Gesicht, sie hat keine
sie fliehen vor dem Menschen, er-
Das ist ein schöner Gedanke.
Beine und bewegt sich anders als
klärt Erich Hausammann, Repti-
Es gibt nur ein Problem. Unsere
alles, was wir kennen», erklärt
lienexperte bei der Zürcher
Gärten befinden sich in der Nähe
Hannah Süss. Zudem ist die
Kantonspolizei. Der Polizist holt
des Zoos. Oder wie Nachbarin
Schlange in vielen Ländern
Schlangen aus Häusern, klärt
Gaby fragt: «Wie weiss ich auf die
tatsächlich gefährlich für den
verängstigte Menschen auf und
Schnelle, dass die Schlange in
Menschen, dieses Wissen hat sich
lebt selbst mit schrecken-
meinem Teich nur eine Ringel-
vermutlich in unserem Erbgut
erregenden Reptilien zusammen
natter ist und keine ausgebüxte
verankert. Dazu kommt, dass die
(siehe Interview nächste Seite).
Giftschlange?»
Schlange wie die Spinne in der
Ich habe noch nie jemanden so
tradierten Erzählung und in
liebevoll über Schlangen reden
Redewendungen («du Schlange!»)
hören. Eigentlich, sagt er, könnten
das negative Prinzip darstellt.
wir Gärtnerinnen stolz darauf sein,
ETWAS GEGEN DIE ANGST TUN So verschieden wie die Menschen sind auch ihre Ängste. Manche haben Angst vor Knöpfen. Reissverschluss geht, aber Knöpfe können sie weder anblicken noch berühren. Andere haben Angst vor langen Wörtern, im Fachjargon Sesquipedalophobie genannt, oder (humoristisch): Hippopotomonstrosesquippedaliophobie. 36 Buchstaben. Auf die Frage, welche ungewöhnliche Angst Psychotherapeutin Hannah Süss schon behandelt habe, sagt sie: «Die Trypophobie. Die Angst vor dem Lochmuster.» Sie sei gar nicht so selten.
Kursangebot gegen Spinnenangst an der Universität Zürich Buch gegen Spinnenangst
Kleine Naturkundebücher mit liebevoll geschriebenen Tierporträts
DER SCHLANGENPOLIZIST
«Reptilien sind meine Passion» Der Zürcher Kantonspolizist Erich Hausammann wird gerufen, wenn sich eine Schlange hinter der Küchenkombination verkrochen hat oder ein Skorpion aus dem Ferienkoffer krabbelt.
Interview: Denise Battaglia
Herr Hausammann, eine Schre-
Sie mögen Schlangen.
… giftigen?
bergärtnerin, die eine Schlange
Seit meinem zehnten Lebensjahr,
Ja, mit Klapperschlangen,
in ihrem Gartenhäuschen antraf
also seit rund 40 Jahren, habe ich
afrikanischen Vipern … und
und diese leicht verletzte, als
Reptilien. Sie sind mein Lebens-
mit vier Krokodilen.
sie vor Schreck die Türe wieder
inhalt, meine Passion. Ich engagiere
zustiess, erzählte mir von der
mich auch für den Schutz der Rep-
Sie haben Krokodile bei sich
«Schlangenpolizei», die gekom-
tilien, deren Lebensraum wir Men-
zu Hause?
men sei. Sind Sie ein Schlangen-
schen enorm eingeschränkt haben.
Ja, westafrikanische. Ich habe
polizist?
ihnen bei meinem Reihenein-
Ich arbeite beim Tier- und
Mit welchen Tieren leben Sie
familienhaus in Winterthur eine
Umweltschutz der Kantonspolizei
derzeit zusammen?
hoch gesicherte Innen- und Aussen-
Zürich und bin Reptilien- und
Schildkröten, Echsen, Skorpionen,
anlage gebaut. Aber sie sind noch
Gifttierspezialist.
Spinnen, Schlangen, …
jung, erst zwei Meter lang.
Wie oft werden Sie als Reptilien-
Drei Tage mit einer Schlange im
In unseren Schrebergärten gab
und Gifttierspezialist bei der
Haus ist eine Herausforderung für
es bis vor wenigen Jahren keine
Kantonspolizei gerufen?
jemanden, der Angst vor ihr hat.
Schlangen, jetzt breitet sich die
Wir haben gegen 100 Reptilienein-
Ich nehme diese Angst ernst.
Ringelnatter aus.
sätze pro Jahr. Wir werden ge-
Ich sage den Bewohnern, dass die
rufen, wenn nach der Rückkehr
Angst der Schlange vor ihnen
aus den Ferien ein Skorpion aus
mindestens so gross ist, wie ihre
dem Koffer krabbelt oder eine
eigene. Ich erkläre ihnen, dass die
asiatische Echse in der Kartonver-
Schlange in die Wohnung gekom-
packung des Velos auftaucht.
men ist, weil es hier so ruhig war,
Wir werden gerufen, wenn eine
weil sie Schutz gesucht hat, ich
Giftschlange entwichen oder eine
sage ihnen, dass es im Kanton
Das ist doch ein gutes Zeichen!
Schlange in eine Wohnung ein-
Zürich keine Giftschlangen gibt
Während die hohe Bautätigkeit
gedrungen ist und sich hinter die
und dass sie keine bösen Absichten
und die intensive Landwirtschaft
Küchenkombination verkrochen hat.
hat. Viele kann ich beruhigen, sie
die Lebensräume unserer einhei-
«Wir fürchten uns oft vor Dingen, die wir nicht kennen. Das Fremde macht uns Angst.»
warten, bis sich die Schlange zeigt.
mischen Wildtiere und Insekten
Wie holen Sie die Schlange
Wir holen sie und setzen sie ein
zerstören, schaffen die Kleingärt-
hinter der Küchenkombination
Stück weiter wieder aus, wenn es
nerinnen und Kleingärtner mit
hervor?
eine einheimische ist.
Teichen, Obstbäumen, Hecken und
ist gefragt. Ich sage den Bewoh-
Meine Angst vor der Ringel-
Vögel, Bienen, Schmetterlinge,
nern, dass wir nun die Küche
natter in meinem Schreber-
Libellen, Igel, Eidechsen, Frösche,
demontieren können, um die
garten ist irrational.
Molche, Salamander und auch für
Schlange einzufangen. Was aber
Wir fürchten uns oft vor Dingen,
die Ringelnatter. Für sie sind diese
sehr kostspielig wird. Billiger ist es
die wir nicht kennen. Wir begegnen
Gärten wie ein Sechser im Lotto.
zu warten, bis die Schlange wieder
in der Deutschschweiz kaum
herauskriecht, was zwei bis drei
Schlangen. Wenn wir dann eine
Tage dauern kann.
antreffen, erschrecken wir vor diesem fremden Wesen. Das Fremde macht Angst.
Seit 1967 sind alle Reptilienarten in der Schweiz geschützt. Es ist per Bundesgesetz verboten, sie zu fangen, zu töten oder ihre Lebensräume zu zerstören. Falls sich eine Schlange zu Ihnen nach Hause verirrt, melden Sie das am besten der Polizei.
23
Blumen wieder Lebensräume für
Wir können nicht zaubern. Geduld
KOLUMNE
Fürchterlich ! 24
Krimiautorin Christine Brand schämt sich (ein bisschen), dass sie sich so masslos an der Angst ihrer Leserinnen und Leser bedient.
I
ch verdiene mein Geld, indem ich
lang in einem dunklen Keller
auszunutzen, indem ich Ihnen
Sie das Fürchten lehre. Ihre Angst
gefangen. Natürlich tue ich das
erlaube, die Lücken mit selbst
ist sozusagen mein Kapital. Je
nicht im richtigen Leben, bewahre,
erdachten, erschreckenden
mehr Furcht ich Ihnen einflösse,
sondern in literarischer Form: Ich
Möglichkeiten zu füllen.
desto besser. Dabei gehe ich zuwei-
verdiene mein Geld als Krimiautorin. Ein schlechtes Gewissen habe ich
len höchst unmoralisch, mitunter arglistig vor: Ich suche bewusst
Schreibe ich einen Roman, ent-
deswegen nur bedingt. Denn mit
Ihre wunden Punkte und drücke
führe ich Sie in eine fiktive Welt, in
der Angst ist es so eine Sache: Sie
kraftvoll mit dem Finger drauf. Wer
der ganz Grässliches passiert. Ich
steckt in uns allen drin, in man-
hat sich nicht schon Gedanken
mache Ihre Angst zu meinem
chen mehr, in manchen weniger,
darüber gemacht, dass er an einem
Werkzeug: Zum einen die Angst
und grundsätzlich mögen wir sie
Konzert, an einem Fest oder ganz
vor dem Bösen, das ich an mög-
nicht – doch gleichzeitig scheint sie
unvermittelt auf der Strasse zum
lichst schaurigen Orten oder ganz
uns doch zu faszinieren. Warum
Opfer eines terroristischen
banal in der Nachbarschaft uner-
sonst würden wir Krimis lesen,
Anschlags werden könnte? Also
wartet aus dem Nichts heraus-
Action-Thriller oder gar Horror-
lasse ich einen Attentäter in einer
brechen lasse. Zum anderen die
filme schauen? Angst macht uns
Frauendisco wild um sich schies-
Angst vor dem Unbekannten,
wach, lebendig, sie lässt das
sen. Jagt Ihnen allein die Vor-
indem ich Informationen zurück-
Adrenalin hochwallen und ver-
stellung einen Schauer über den
halte, Enthüllungen hinauszögere,
schafft uns einen Nervenkitzel.
Rücken, in einem nachtschwarzen
manches diffus erscheinen lasse,
Raum eingeschlossen zu sein? Ich
um die Spannung möglichst lange
Krimis sind demnach eine Ersatz-
halte schon mal eine hoch-
hoch zu halten. Ich versuche, Ihre
droge für den abenteuerlichen
schwangere Frau mehrere Wochen
Vorstellungskraft und Ihre Ängste
Adrenalinkick, den man sich
Schriftstellerin Christine Brand ist eine der bekanntesten Krimiautorinnen der Schweiz («Der Unbekannte», «Blind», «Stiller Hass»). Sie hat sich vor etwas mehr als zwei Jahren einen grossen Traum verwirklicht und lebt zu einem grossen Teil des Jahres auf ihrer Sehnsuchtsinsel Sansibar. christinebrand.ch
draussen nur verbunden mit realer
war, hat sie am Ende trotzdem
Gefahr besorgen könnte: Liest man
nichts gebracht: Nicht die Angst
einen Krimi oder schaut man einen
verhindert Unheil, sondern
Film, kann man vom Sofa aus an
Vorsicht und Handeln. Die Angst
einem Abenteuer teilhaben, man
bremst einzig unser Leben aus und
kann sich fürchten, man kann
hindert uns nicht selten daran, das
bangen, man kann die Spannung
zu tun, was wir gerne möchten.
wohlig kaum ertragen – und ist sich doch gewiss, ausserhalb der
Ein afrikanisches Sprichwort
Gefahrenzone zu sitzen.
lautet: «Die Furcht vor der Gefahr
Foto: Lauren Rattray
ist schrecklicher als die Gefahr Die Angst, an der ich mich bediene,
selbst.» Besonders in der privi-
ist für Sie also eine freiwillige.
legierten Welt ist es erstaunlich,
Trotzdem steigt mir eine kleine
wie sehr wir uns manchmal im
Schamesröte ins Gesicht, wie ich
Kleinen fürchten – insbesondere
diese Zeilen schreibe: Weil ich
wenn wir uns bewusst machen,
von der Angst der anderen profi-
dass wir Tag und Nacht in einem
tiere – während ich selbst ziemlich
Höllenkaracho (mit 107 000
angstfrei durchs Leben gehe. Kein
Kilometern die Stunde, um genau
ängstlicher Mensch zu sein, ist
zu sein) auf einer kleinen Kugel
ein grosses Glück. Ich behaupte
durchs Weltall brausen. Was für
sogar, dass die Angst ziemlich über-
ein mutiger Höllenritt, ganz ohne
bewertet ist. Denn in den meisten
Steuermann an Bord! Da ist das
Fällen stellt sich im Nachhinein
ganz alltägliche Leben oder das
heraus, dass die Angst völlig unbe-
Lesen eines Krimis doch ein
gründet war. Und selbst wenn sie
Pappenstiel dagegen.
ausnahmsweise mal berechtigt
Geister stunde Paul Odermatt kennt sich mit Monstern aus wie kein Zweiter: zu Besuch beim letzten auf Geisterbahnen spezialisierten Schausteller der Schweiz. Text: Max Küng Fotos: Roland Tännler
27 Die «Geister-Stunde» ist seine dritte Geisterbahn: Paul Odermatt bringt sie in seiner Werkstatt in Siebnen auf Vordermann.
28
M
an sagt gern, im ländlich ge-
prägten Kanton Schwyz scheint da und dort die Zeit stehen geblieben zu sein. In Siebnen im Bezirk March
Zeit für die «Geister-Stunde»
Pranken, ein narbenversehrter
ist dies nicht der Fall, im Gegenteil:
Die Uhr mit den rasenden Zeigern
Zyklop, ein Ungeheuer mit gräss-
Die Zeiger der Uhr drehen sich
prangt an der Fassade der «Geis-
licher Fratze. Noch stehen und
rasend schnell, Stunde um Stunde
ter-Stunde», einer Geisterbahn, die
liegen die schauerlichen Wesen
vergeht innert wenigen Sekunden.
Paul Odermatt auf seinem Platz in
still und reglos in ihrem Container,
Die Zeit, sie fliegt nur so. Paul Oder-
Siebnen gerade flottmacht, zusam-
doch bald wird sie Odermatt in
matt blickt hoch zur Uhr und nickt,
men mit seinem Arbeiter Reto und
seine Bahn eingebaut haben – und
er ist zufrieden. «Vielleicht noch ein
seiner Tochter Daniela (die schon
dann werden sie ihren Job tun:
Spotlight auf das Zifferblatt, damit
als Kleinkind wusste, was sie der-
die Leute erschrecken, pneuma-
es besser zur Geltung kommt.»
einst einmal werden wollte: «Vaters
tisch bewegt und ins rechte Licht
Und dann werden ja noch im Wind
Helferin»). Es wird geschweisst. Es
gerückt, gruselig anzusehen. Aber
wehende Fahnen montiert, und
wird gelötet. Es wird gehämmert.
nicht zu gruselig oder grausam
die grossen Drachenköpfe kommen
gar, denn wenn Odermatt etwas
auch noch dazu. Die Lichter werden
Und es wurde geliefert: Neue
nicht mag, dann ist es zu viel Blut
leuchten, bunt, Musik wird spielen,
Figuren und feinste Technik für die
und Gewalt, schliesslich sollen
und die Leute werden kommen,
«Geister-Stunde»: gehörnte
alle ihren Spass haben, gerade
um vor Schreck zu kreischen.
Monster mit krallenbestückten
die Kinder.
Elektriker und Schlosser, Mechaniker und Chauffeur, Erfinder und Logistiker: Wer eine Geisterbahn betreibt, muss schon Allrounder sein. Das mache die Sache ja erst spannend, sagt Paul Odermatt.
Eisenbeigen aber schon»), sondern legte sich eine erste Bahn zu. Sie hiess «Move It», ein sogenanntes «Überkopffahrgeschäft», eine Bahn also, bei der die Leute herumgewirbelt werden und kopfüberstehen. Die «Move It» sagte ihm nicht sonderlich zu. Ausserdem fiel den Leuten immer allerlei aus ihren Taschen – ungünstig fürs Geschäft. Also sah er sich nach
29
Alternativen um und kaufte, vor über zwanzig Jahren, seine erste Geisterbahn, die «Geisterburg». Irgendwann kam eine zweite Bahn dazu, dann die dritte – ebendie, an der er derzeit hämmert, schweisst Odermatt wuchs in Siebnen auf,
und lötet, die er auf Vordermann
als Sohn des Bäckermeisters, der
bringt, die «Geister-Stunde».
immer seinen Stand aufstellte
Knochen, Monsterfratzen. Alles,
am jährlichen Markt im Dorf, dem
Neue Schrecken austüfteln
«Siebner-Märt», den es noch immer
Die Fassade ist schon parat, eben
fend effektvoll und mit viel Tiefen-
gibt, traditionell eine Woche nach
erst von Airbrush-Künstlern mit
wirkung. Odermatt ist zufrieden
dem Eidgenössischen Dank-, Buss-
neuen Bildern versehen: Schädeln,
mit dem Werk der Künstler. Aber
und Bettag. Als Bub lernte er bald, dass sich die frisch ausgebackenen Berliner aus Vaters Backstube gegen Freifahrttickets für die Bahnen tauschen liessen, so kam er in Kontakt mit der Welt der Schausteller. Und sie liess ihn nicht mehr los. Später übernahm er nicht das Geschäft seines Vaters («Lebensmittel sind nicht so mein Ding,
was zum Gruseln einlädt, verblüf-
damit ist die Arbeit natürlich noch
Die Lichter werden leuchten, bunt, Musik wird spielen, und die Leute werden kommen, um vor Schreck zu kreischen.
nicht getan, denn: Eine Geisterbahn ist nie fertig, und etwas komplexer als die Hülle ist das Innenleben. Odermatt baut und bastelt, tüftelt und denkt sich neue Schrecken aus. Denn die «GeisterStunde» ist ein Gesamtkunstwerk der Illusion. Musik und Licht gehören dazu, die Dunkelheit
Wenn jemand so schön kreischt in der Geisterbahn, ist das gut fürs Geschäft. Paul Odermatt spielt augenzwinkernd mit der Schreckhaftigkeit seines Publikums. Dafür ist ihm kein Aufwand zu gross und nichts ist unmöglich.
natürlich auch, gruseliges Lachen, Jaulen und dann und wann ein Schrei aus dem Nichts, ein Luft stoss oder ein anderer Schrecken,
Manchmal hilft ihm Gion Stump, ein Musiker und Berufsschullehrer, der aus purer Leidenschaft sein geisterndes Unwesen treibt.
den man nicht erwartet. geisterndes Unwesen treibt und
Das Beste an Odermatts Job?
Odermatt überlässt das Gruseln
als leibhaftiges Gespenst die
Dass man alles sein muss, alles
aber nicht nur seinen pneumati-
Leute erschreckt. Dies steigert
sein kann, alles sein darf: Elektri-
schen Figuren, den Soundeffekten
noch einmal das Erlebnis der
ker und Schlosser, Mechaniker
und den optischen Tricks, sondern
Kundschaft und ist gut fürs
und Chauffeur, Erfinder und Lo-
steigt auch mal selber in die Bahn
Geschäft, denn: Wenn jemand so
gistiker. Als Geisterbahnbetreiber
und greift sich das Hosenbein
richtig schön kreischt in der
hat man nicht einen Job, man hat
eines Passagiers, den Armzipfel
Geisterbahn, aus voller Kehle, so
deren viele – das macht die Sache
einer Passagierin. Und manchmal
laut, dass es die Chilbi-Besucher
spannend. Gerade die Logistik ist
hilft ihm Gion Stump, ein Musiker
draussen hören können, dann ist
manchmal eine Herausforderung,
und Berufsschullehrer, der aus
dies überzeugende Werbung für
denn die Chilbi-Plätze sind nie
purer Leidenschaft sein
die Qualität der Geisterbahn.
gleich, selten schön flach –
und auch nicht immer einfach zugänglich. Da hilft jahrelange Erfahrung beim Aufbau der Bahn, ein paar kräftige Arme sind auch immer nützlich – und vor allem die richtige Einstellung: Nichts ist unmöglich. Oder wie es in Odermatts gemütlichem Pausenräumchen in der weitläufigen Werkstatt auf einer neben Souvenirs
D
und Erinnerungsfotos gepinnten
stetig steigen, weil: Auch die
immer auf der Uhr in Siebnen, und
Postkarte heisst: «Alle sagten:
Familien hätten schliesslich
für Paul Odermatt gibt es noch viel
Das geht nicht! Dann kam einer,
weniger Geld im Portemonnaie.
zu tun. Aber bald schon wird die
der wusste das nicht, und hat
Und die sollten sich den Spass
«Geister-Stunde» in der Schweiz
es einfach gemacht!»
leisten können. Denn darum geht
unterwegs sein, auf einem Chilbi-
es ja bei einer Chilbi: um den
Platz stehen, die Menschen ver-
Es geht um den Spass
Spass. Darum, eine gute Zeit
schlucken und kreischen und
Eine Minute dauert die Gruselfahrt
zu haben, die Ernsthaftigkeit
johlen lassen, wenn es im Wägel-
in der «Geister-Stunde», mal eine
des Alltags für eine Weile hinter
chen in die stockfinstere Dunkel-
Sekunde länger, mal eine kürzer,
sich zu lassen, in eine Traum-
heit geht, ruckelnd und rüttelnd,
vier Franken kostet sie. Der Fahr-
welt einzutauchen.
bis ein Licht aufblitzt, ein gruseli-
preis ist schon längere Zeit über
ges Monster auftaucht und einem
stabil, Odermatt mag nicht auf-
Die Zeit, sie eilt, der Stunden-
schlagen, auch wenn die Kosten
und der Minutenzeiger rasen noch
die Gänsehaut gefriert.
KEINE ANGST VOR
NEULAND Die Coop Rechtsschutz sei ein starkes Unternehmen mit hoher Kompetenz und Werten, die zu ihm passten, sagt Michael Romer. Was er darunter versteht, verrät der neue CEO auf seinem Lieblingsspaziergang. Text: Matthias Mächler Fotos: Gian Marco Castelberg
anchmal, sagt Michael Romer
und lacht: Ja, manchmal werde
Faible für die Fotografie hat und
«Ich mochte den Job, diese
früher viel zeichnete.
Mischung aus präzisem Handwerk,
auch heftig diskutiert auf der Haus-
Technik und Kundenkontakt», blickt
strecke, die seine Frau Cécile und
Musikalisch steht er auf Minimal
Romer zurück. «Aber ich wusste:
er mehrmals die Woche abmar-
House (und, pssst: auf Old School
Es gibt keine nächste Stufe,
schieren. Die Route eigne sich
Heavy Metal!), und als Ergänzung
sogar sehr gut für Dinge, die man
zur NZZ liest er die New York Times,
nicht vor den Kindern durchkauen
weil ihn die US-Politik interessiert
möchte: Zuerst geht es so steil
und um sich im Englisch fit zu hal-
den Zürichberg hinauf, dass man
ten. Romer verehrt das Kino und
sich zwischen dem Atemholen
geht, seit es das Kosmos nicht
nicht gross ereifern könne. Oben
mehr gibt, am liebsten ins Hou-
Um die dreissig war er, als er spürte: Ich will nochmals neu beginnen. Und das, obwohl er es so gemütlich hätte haben können.
dann sei man erst einmal ge-
dini, weil dieses gute Studiofilme
schafft – und beim Runterlaufen
zeigt, man das Bier in den Saal
so beschwingt, dass man sich
mitnehmen darf und ein direktes
schnell wieder versöhne.
Tram nach Hause fährt. Die Filme
ich würde mich nicht weiterent-
lindern ein Stück weit auch sein
wickeln können. Das war mir mit
Wir lassen das Herz Hottingens
Fernweh; Reisen ist ein weiteres
dreissig dann doch etwas zu früh.»
mit seinen charmanten Jugendstil-
Steckenpferd, wobei es ihm vor
Also nahm er allen Mut zusam-
Strassenzügen hinter uns und
allem die südostasiatischen Län-
men, verkaufte sein Geschäft und
tauchen in das verborgene kleine
der angetan haben.
investierte den Erlös in knapp fünf
Wolfbachtobel ein, die grüne Lunge
Jahre Ausbildung: Er wollte ein
dieses Quartiers, das, grob gesagt,
Eine radikale Wende
Studium nachholen, Psychologie
vom Kunsthaus bis zum Dolder
Während wir aus dem kühlen Tobel
oder Jus, da war er unentschieden.
reicht. Hier wohnt der arrivierte
in die Sonne treten und später die
Er besorgte sich je ein Standard-
Teil Zürichs, dem der noble Zürich-
Zürichbergstrasse hinunterflanie-
werk – und wählte die Juristerei.
berg zu langweilig ist und das hip-
ren, vorbei an gewaltigen Villen in
«Auch, weil ich da mehr Potenzial
pe Seefeld zu laut. Man kennt und
Gärten mit mächtigen Toren und
sah, dereinst eine Familie ernähren
grüsst sich und geniesst es, unter
dichten Hecken, spricht Romer
zu können.» Ausserdem brauche
sich zu sein. Hier ist Zürich ein Dorf.
über damals, als sein Leben eine
es ja auch in rechtlichen Dingen
radikale Wende nahm und aus dem
psychologisches Geschick.
Traumlage fordert ihren Tribut
gelernten Optiker einen Juristen
Seit fünfzehn Jahren ist Romer
machte. Um die dreissig war er, als
Respekt vor dem Studiertempel
Teil dieser Welt. Mit seiner Frau
er spürte: Ich will nochmals neu
Ob geplant oder nicht, das Timing
und den drei Kindern zwischen
beginnen. Und das, obwohl er es
ist perfekt: In diesem Moment
17 und 21 Jahren teilt er sich eine
so gemütlich hätte haben können
kommen wir an der Bibliothek des
Viereinhalbzimmer-Wohnung.
in seinem gut laufenden Optiker-
Rechtswissenschaftlichen Insti-
Das werde zuweilen etwas eng,
geschäft, das er mit viel Hingabe,
tuts vorbei, diesem berühmten
vor allem, wenn die Kinder Freun-
Geschmack und dem letzten
Studiertempel von Stararchitekt
de mitbringen. Aber die Wohnung
zusammengekratzten Franken in
Santiago Calatrava. Romer öffnet
hat einen Garten – und die Traum-
einem ehemaligen Jeans-Laden
die Eingangstür, senkt respektvoll
lage fordere eben ihren Tribut,
im Seefeld eingerichtet hatte.
die Stimme und zückt sein Handy,
findet der 54-Jährige, der ein
um vom Oval mit den harmonischen
33
M
Und wieder begann es in ihm zu gären. Wieder stiess immer öfter dieses Gefühl auf: War’s das jetzt? Bleibe ich bis zur Pension? Oder gibt es einen Ort, an dem sich meine Erfahrungen und Interessen wie ein Puzzle zusammensetzen? Einen Ort, wo ich mit meinen 52 Jahren nochmals diesen Kick verspüre und etwas bewegen kann? Der perfekte Match Hier kommt Daniel Siegrist ins Spiel, der damalige CEO der Coop Rechtsschutz: Er wollte die Leitung des Rechtsdienstes abgeben (und in aller Ruhe einen möglichen Nachfolger als Geschäftsführer aufbauen). Er hatte einen Tipp bekommen – Michael
34
Romer. Man kannte sich flüchtig, verabredete sich zum Lunch und tauschte sich offen und ehrlich aus. Es war der perfekte Match. «Es Balkonstrukturen ein Bild zu schies-
Der Job und die inzwischen
fühlte sich ganz einfach richtig an»,
sen. Wir fahren im Lift in den ober-
fünfköpfige Familie liessen sich
schwärmt Romer:
sten Stock und geniessen das
nur schwer vereinbaren. Dann
ästhetische Wunderwerk aus der
der Auftrag der Pensionskasse
Vogelperspektive. «Unzählige
des Kantons Zürich, einen Rechts-
Stunden habe ich hier für die
dienst aufzubauen. Mit 40 die
Anwaltsprüfung gelernt», sagt
Anwaltsprüfung. «Da ich nicht in
Romer und scheint ein wenig
die Advokatur wollte und zum
ergriffen: «Es fühlt sich ein
Generalisten neige, kam ich auf
bisschen an wie Heimkommen.»
die Rechtsschutzversicherung», resümiert Romer: «Hier lässt sich
Werdegang im Zeitraffer
Führungstätigkeit mit praktischer
Später schlendern wir durch den
juristischer Arbeit verbinden.»
Park der Uni hinunter zum Kunst-
«Gibt es einen Ort, an dem sich meine Erfahrungen und Interessen wie ein Puzzle zusammensetzen? Wo ich mit meinen 52 Jahren nochmals diesen Kick verspüre?» «Die Coop Rechtsschutz ist ein starkes Unternehmen mit hoher
haus und lassen Romers Werde-
Bei einem Mitbewerber war er
Kompetenz und Werten, die zu mir
gang im Zeitraffer vorbeiflitzen.
sieben Jahre Teil des Manage-
passen.» Also schlug er in Aarau
Das Substitut auf einer Wirt-
ments, erlebte drei Chefs, gestal-
wiederum ein neues Kapitel auf,
schaftskanzlei, ein Jahr rackern, bis
tete eine Reorganisation mit und
meisterte zuerst als Leiter Rechts-
es sich nicht mehr leugnen liess:
zog einen Strategiewechsel durch.
dienst die Post-Corona-Heraus-
forderungen und übernahm schliess-
zum Recht. Heute ist es derart
lich die Gesamtführung. War da nie
teuer, sein Recht durchzusetzen,
eine Angst vor dem Unbekannten,
zu prozessieren, dass die meisten
vor Hürden und allzu grossen
Leute rein rational sagen, ich mach
Herausforderungen? Romer, dieser
das nicht, ich kann mir das nicht
ruhige, zugängliche Pragmatiker,
leisten. Wir schauen, dass diese
der so ganz ohne Allüren auszu-
Möglichkeit, sich gegen Unrecht zu
kommen scheint, lächelt: Er stam-
wehren, auch dann gegeben ist,
me aus einer Familie, in der es viele
wenn man nicht auf Rosen gebettet
Träume gab, aber auch Ängste.
ist.» Man könne durchaus sagen,
Man blieb lieber auf der sicheren
die Coop Rechtsschutz säe nicht
Seite. «Meine Eltern haben zu
Furcht, sondern nehme ihren
«Wir machen uns viele Sorgen über kleine Dinge und hindern uns selber daran, unsere Träume anzugehen», sagt Michael Romer. vieles nicht gemacht», sagt Romer.
Versicherten die Angst, Über-
Bei der Pensionskasse dann habe
mächtigem ausgesetzt zu sein.
er erlebt, wie viele Menschen gar
Und schon sind wir zurück am
nie dort ankamen, wo sie sich
Ausgangsort, dem Hottingerplatz.
erlaubt hätten, das Leben auszuprobieren. «Im besten Fall wurden
Beim Verabschieden lässt sich die
sie pensioniert, im schlechtesten
Frage dann doch nicht verkneifen:
invalidisiert. Einige starben einfach
Als ehemaliger Optiker, was für
viel zu früh. Wir machen uns zu
eine Brille würden Sie mir empfeh-
viele Sorgen über kleine Dinge und
len? Romer lacht: «Eine, die auch
hindern uns selber daran, unsere
am Montagmorgen noch zu Ihnen
Träume anzugehen.»
passt. Oder anders gesagt: Der Freitagabend ist ein gefährlicher Zeit-
Die Angst nehmen
punkt, um sich eine Brille auszu-
Wir sind zurück in Romers Strasse
suchen, da geht es oft darum, wer
und diskutieren darüber, dass ja
man gerne wär. Suchen Sie sich die
gerade Versicherungen viel Geld
Brille lieber am Montag aus, dann
verdienen mit diffusen Ängsten
tragen Sie sie die ganze Woche
der Menschen. Und doch sei das
über gern.»
bei der Coop Rechtsschutz etwas anderes, sagt der CEO: «Bei uns
Aus Michael Romer wäre bestimmt
geht es primär um den Zugang
auch ein guter Psychologe geworden.
Zuhause in Zürich: Michael Romer vor dem Kunsthaus-Neubau (oben). Fasziniert von der spektakulären Architektur Santiago Calatravas: in der Bibliothek des Rechtswissenschaftlichen Instituts (links).
Erhöhter Puls Ihr berühmtester Song heisst «Angscht»: Wir haben der Sängerin To Athena bei ihrem Auftritt am Festival da Jazz in St. Moritz den Puls gefühlt – aber nichts davon gespürt. Text: Christof Gertsch Fotos: Ben Flumm
Angst, das weiss To Athena.
einer noch nicht etablierten
die Leitung des Festival da Jazz in
Und es ist auch nicht so, dass die
Künstlerin goutieren?
St. Moritz über Instagram eine un-
Angst ihr schlaflose Nächte berei-
gewöhnliche Nachricht. Absenderin
ten oder sie sonst in irgendeiner
To Athena ist die Tochter einer
war To Athena, eine Künstlerin,
Form lähmen würde. Aber wenn
Geigenbauerin und eines Geigen-
die man für den Samstagabend als
n einem Freitag im Juli bekam
sie wach liegt, kann es schon sein,
bauers, hat selbst aber nie Geige
Main Act im legendären Dracula
dass ihr vor dem inneren Auge
gespielt (wie auch ihre drei Schwes-
Club gebucht hatte. «Habe auf der
dieses Bild erscheint: sie auf der
tern nicht). Mit fünf sang sie im
Homepage gerade gesehen, dass
Bühne, dazu der leere Saal.
Chor, mit fünfzehn hatte sie ihre erste Hauptrolle in einem Musical,
mein Konzert morgen ausverkauft ist. Stimmt das wirklich?!?»
Sie hat so eine Ahnung, woher das
mit siebzehn trat sie im Fernsehen
kommt. «Tief in mir drin», sagt sie,
auf. Was sie wirklich machen wollte,
Hinter To Athena, das muss man
«kann ich noch immer nicht glauben,
verstand sie aber erst an der
vielleicht wissen, steckt die
dass jemand meine Musik hören
Zürcher Hochschule der Künste, wo sie zwischen
29-jährige Luzernerin Tiffany Limacher. Ihr Künstlername setzt sich aus ihrem Spitznamen
Eine Sache aber stresst sie wirklich: die Vorstellung, die Bühne zu betreten und … in einen leeren Konzertsaal zu blicken.
19 und 23 Jazzund Popgesang studierte und mit einem Master in Musikpädagogik abschloss.
To und ihrem zweiten Vornamen Athena zusam-
will. Ich bin immer noch skeptisch,
To Athena wollte Musik machen,
men. Und diese To Athena – man
traue dem Glück nicht. Ich denke
die ehrlich war, wollte nicht Ge-
spricht den Namen genau so aus,
dann: Das bin doch nur ich!»
schichten erfinden, sondern aus ihrem Leben erzählen. Sie wollte,
wie man ihn schreibt – erlebt dieses Jahr ihren Durchbruch. Sie spielt
Was ihr in solchen Momenten
dass das, was sie auf der Bühne
auf immer grösseren Bühnen, wur-
hilft? Zum Beispiel eine Nachricht
darstellte, sie selbst war. Ihre
de im Frühling mit einem Swiss
an den Festivalveranstalter, eine
Lieder mussten nicht cool sein
Music Award ausgezeichnet, ver-
kurze Vergewisserung, dass die Mel-
oder zum Radiohit werden. Sie
öffentlicht gerade ihr zweites
dung vom ausverkauften Konzert
mussten wahr sein und aus ihrem
Album. Viele Lampenfiebersymp-
wahr ist.
tiefsten Inneren kommen.
lerinnen und Künstler berichten
Das Festival da Jazz hat schon eini-
Der Song, der ihr zeigte, dass
– ausgetrockneter Mund, feuchte
ge der grössten Jazzkünstlerinnen
das funktionieren kann, heisst
Hände, Textvergesslichkeit –,
und Jazzkünstler der Welt ins Enga-
«Angscht». Und handelt genau
kennt sie nur aus Erzählungen.
din geholt. Norah Jones, Dee Dee
davon: der Frage, wer man sein
Eine Sache aber stresst sie, stresst
Bridgewater, Herbie Hancock. Aus-
will. Sie schrieb ihn während
sie wirklich: die Vorstellung, die
verkaufte Konzerte sind im Dra-
einer düsteren Phase im Studium.
Bühne zu betreten und … in einen
cula Club keine Ausnahme, eher
«Ich fragte mich: Wie viel von dem,
leeren Konzertsaal zu blicken. Weil
der Normalfall. Bei To Athena be-
was ich mache, finde ich wirklich
niemand sie singen sehen will.
stand allerdings tatsächlich eine
gut? Und was mache ich nur,
gewisse Ungewissheit für die Ver-
weil andere sagen, dass ich darin
Es ist eine hypothetische, man
anstalter. Wie würde das anspruchs-
gut sei?»
möchte fast sagen unbegründete
volle Publikum die Verpflichtung
tome, von denen andere Künst-
37
A
«Angscht» war To Athenas erster
tut, die einem gefallen, läuft man
Song auf Schweizerdeutsch – zuvor
weniger Gefahr, vom Lampenfieber
hatte sie Englisch gesungen –
niedergedrückt zu werden. Das
und es war ihr bis dahin persön-
Gute siegt, das Wahre setzt sich
lichster. Es ist der Song, der bis
durch – das ist die Botschaft von
heute am meisten Anklang findet.
To Athena. Und so treten sie
Er schwankt zwischen Zerbrech-
später am Abend im Dracula Club
lichkeit und Zuversicht, zwischen
auch auf in der Grosskonstellation
Schmerz und Stolz. Es ist eine
mit Harfenspielerin, Pianist,
Mischung aus Kleinbühnenwehmut
Bratschistin, Violinistin, Cellistin,
und cineastischem Pop. «Angscht»
Gitarrist, Bassist, Schlagzeuger.
vor ein paar Jahren zum ersten Mal
Viele im Publikum sehen To Athena
vor Publikum zu singen, kostete
und ihre Band zum ersten Mal live,
sie Überwindung. Sie fühlte sich
doch alle spüren schnell, dass hier
nackt, ausgestellt in ihrer Ehrlich-
Freundinnen und Freunde die
keit. Sie hatte Lampenfieber.
Bühne betreten haben. Man sieht
Erhöhter Puls, zittrige Stimme,
es in ihren Augen, hört es in ihren
verschwommener Blick.
Stimmen, erkennt es in ihrer Musik.
Es gibt viele Ratgeber, die einem
Der schönste Moment kommt in
helfen können, mit Lampenfieber
der zweiten Hälfte des Konzerts,
umzugehen: Die Anspannung vor
als sich To Athena kurzerhand
einem öffentlichen Auftritt, einer
entscheidet, «Angscht» im A-cap-
Prüfung oder einer wichtigen Auf-
pella-Stil zu singen, ohne Mikrofon
gabe ist für viele Menschen ein
und Verstärker, begleitet bloss von
Problem, das sie für den wichtigen
den Streicherinnen. Es ist ein Zei-
Moment nicht etwa stark macht,
chen, dass sie sich wohlfühlt, eine
was eigentlich der Zweck des
Huldigung ans Publikum, das ihr
Lampenfiebers wäre, sondern im
gebannt und bewundernd lauscht,
Gegenteil lähmt. Und doch sagt
eine Ehrerbietung aber auch an
To Athena heute, dass sie Lampen-
die Band, von der sie sich getragen
fieber kaum noch kenne, höchstens
fühlt. Das ist die Kraft der Bühne:
«Lampenvorfreude». Wie kommt
Wenn man das Lampenfieber
das? Was ist ihr Geheimnis? Und
hinter sich lässt und sich in all sei-
warum macht sie selbst ein Auf-
ner Verletzlichkeit zeigt, ist man
tritt am grossen Festival da Jazz
plötzlich stärker denn je.
nicht nervös, obwohl ein Ticket dort nicht 25 Franken kostet wie
Der Applaus am Ende ist über-
bei ihren anderen Konzerten, son-
wältigend. Und erleichternd.
dern 95 Franken?
Nicht für To Athena, die war sich ihrer Sache eigentlich ziemlich
Alle(s) im Griff: To Athena verzaubert das Publikum im legendären Dracula Club.
Wenn man sich mit Menschen umgibt, die man mag, und Dinge
sicher. Aber für die Festivalleitung.
Das beste Rezept gegen Lampenfieber: sich mit Freundinnen und Freunden umgeben. Und genau das sind sie, die Bandmitglieder von To Athena.
Was rät ein Bühne bei 1.
Umgeben Sie sich mit
Menschen, die Sie mögen. Wenn das auf der Bühne nicht möglich ist, dann wenigstens im Publikum. Situationen, die einem schwerfallen oder sogar Angst machen, werden leichter, wenn man sie mit
40
Menschen durchsteht, die einem
2.
zugewandt sind.
Klingt banal, ist darum
aber nicht weniger wahr: Je mehr Sie die Sache mögen, die Sie vor Publikum performen müssen – sei’s bei einem Konzert, bei einer Lesung oder bei einer Präsentation im Büro –, je überzeugter Sie davon sind, desto weniger kümmern Sie die Reaktion und die Meinung der Leute.
Fünf Tipps 3.
Wie reagiert Ihr Körper auf
Nervosität? Fängt er an zu zittern, werden die Hände feucht, bricht Ihre Stimme, steigt der Puls? Es hilft, die persönlichen Symptome von Lampenfieber zu kennen. Und sie nicht zu ignorieren oder sogar zu unterdrücken versuchen. Nehmen Sie die Signale wahr, die Ihr Körper Ihnen sendet, und akzeptieren Sie sie.
enprofi Lampenfieber? 4.
Bereiten Sie sich bewusst
auf Ihren Auftritt vor. Tragen Sie Parfum auf, schminken Sie sich, suchen Sie sich das schönste, verrückteste oder farbigste Kleidungsstück im Schrank heraus – was auch immer Sie dabei unterstützt, in Ihre Rolle zu schlüpfen und, wenn nötig, einen Schutzwall hochzuziehen.
von To Athena 5.
Und wenn all das nichts
hilft: Überlegen Sie sich etwas, das Sie sich nach dem Auftritt gönnen werden. Ein Anstossen mit Freunden, einen Saunabesuch, einen Spaziergang, ein tolles Abendessen. Und denken Sie einfach daran. Denn glauben Sie mir – jeder Auftritt geht irgendwann vorbei. Meistens viel schneller, als man denkt.
MITGEGANGEN, MITGEHANGEN?
42
Stellen Sie sich vor, Sie erhalten eine Vorladung zur Einvernahme – in einer Angelegenheit, die lange her ist und bei der Sie sich keiner Schuld bewusst sind. Bekämen Sie nicht auch ein bisschen Angst?
Text: Matthias Mächler Fotos: Samuel Wimmer
Als unsere Klientin Agnes Maurer* vorgeladen wird, steht sie wenige Tage vor Antritt einer neuen Stelle, für die sie eine absolut reine Weste braucht, was die Situation zusätzlich verschärft. Aber lassen wir sie ihre Geschichte selber erzählen: «Es war vor sieben Jahren: Das Unternehmen, für das ich arbeitete, wurde an einen internationalen Konzern verkauft und meine Aufgabe zentralisiert. Ich war jung, stand am Anfang meiner Karriere und fand schnell eine andere Stelle. Kurz nach dem Verkauf kamen Unruhen auf. Eine externe Revisionsstelle untersuchte Ungereimtheiten. Auch ich wurde befragt. Ich realisierte, dass der Verkauf wohl nicht ideal gelaufen war, konnte allerdings nur begrenzt helfen, da die Debitoren, um die es ging, vom Geschäftsführer betreut wurden. Danach hörte ich nichts mehr – ausser dem Gerücht, dass der ehemalige Inhaber in einen Prozess verwickelt sei. Im Frühling 2022, also sechs Jahre später, klingelte mein Handy. Ich war beim Mittagessen und drückte die unbekannte Nummer weg. Später, im Auto, hörte ich den Beantworter ab: Eine Frau der Kantonspolizei Zürich, Abteilung Wirtschaftskriminalität, bat um meinen Rückruf. Die ganze Rückfahrt über dachte ich:
Fall Nr. 11
Was um Himmels willen habe ich bloss gemacht?! Als ich sie anrief, erklärte die Polizistin, dass es um das Unternehmen von damals gehe und dass man mich als Auskunftsperson befragen werde. Ich soll mir einen ganzen Tag freinehmen dafür. Das wird wohl ähnlich wie mit der Revisionsstelle, dachte ich: eine Stunde Befragung, easy, sie wissen einfach noch nicht, wann an diesem Tag ich dran sein werde. Dann erhielt ich den Brief mit der Aufforderung zur Einvernahme. Ich zeigte ihn einem Juristen der Firma, bei der ich noch arbeitete. Er sagte: ‹Aufpassen! Du wirst als Auskunftsperson aufgeboten, das ist nicht dasselbe wie als Zeugin: Als Auskunftsperson kommt man als Mittäter infrage.› Das war der Moment, an dem ich Angst bekam. Nicht unbedingt vor der Befragung – ich hatte mir, so viel ich wusste, nichts vorzuwerfen. Aber davor, dass ich in eine Sache verwickelt würde, die ich meinem neuen Arbeitgeber berichten müsste: Ich stand wenige Tage vor Antritt einer neuen Stelle, für die man einen tadellosen Leumund brauchte. Ich nahm Kontakt auf mit der Coop Rechtsschutz. Man erklärte mir, dass man in solchen Fällen zwar einen Anwalt vermitteln, ihn aber nur finanzieren würde,
43
Coop Rechtsschutz AG
wenn ich mir in dieser Sache tatsächlich nichts hatte zu Schulden kommen lassen. Natürlich wird man da nervös.
44
Mitgegangen, mitgehangen: Man bekommt das Sprichwort nicht mehr aus dem Kopf! Was, wenn die etwas herausfinden, von dem ich nicht einmal weiss, dass es relevant ist? Was, wenn mir das Wort im Mund umgedreht wird? Was, wenn ich meinem neuen Arbeitgeber einen Eintrag ins Strafregister beichten müsste? Ich wäre meinen Job sofort wieder los, ja, meine Karriere wäre wohl vorbei. Ich hätte meine Aussage verweigern können, das wäre mein Recht gewesen. Aber der Jurist meines Noch-Arbeitgebers riet mir davon ab: Das könnte den Verdacht wecken, dass ich etwas zu verbergen habe. Inzwischen gab es eine neue Entwicklung bei Coop Rechtsschutz: In den Gesprächen konnte ich sie von meiner höchstwahrscheinlichen Unschuld überzeugen. Sie zeigten sich kulant und entschieden, mir die juristische Beratung bis zu einem gewissen Betrag so oder so zu bezahlen, wofür ich unglaublich dankbar bin. Denn Rechtsanwalt Oliver Berther schaffte es, mich zu beruhigen. Er ging mit mir jeden Schritt durch, der mich bei der Einvernahme erwartet, beschrieb mir das Zimmer, in dem sie stattfindet (kein Gerichtssaal, wie ich erwartet hatte), wer anwesend sein würde (Privatkläger und Beschuldigter respektive deren Anwälte), was sie tun und
fragen dürfen und was nicht. Berther bereitete mich auf einen langen, strengen Tag ohne grosse Pausen vor, sagte, dass ich genug Wasser mitnehmen soll und Traubenzucker, weil ich gefordert sein würde durch die permanente Befragung. Und ich solle mir Zeit nehmen: Zeit zum Nachdenken, Zeit, um die Dinge genau zu formulieren, und Zeit, um nach sieben oder acht Stunden Befragung trotz Brummschädel das dreissigseitige Protokoll genau durchzulesen, bevor ich es unterschreibe. Tatsächlich sollte ich drei Stellen finden, wo man mich nicht richtig verstanden hatte. Ich war also ruhig am Tag der Vernehmung, denn ich war gut vorbereitet, kannte den Ablauf und wusste, dass ich unschuldig bin. Und natürlich war die Befragung unangenehm, der Tag unendlich lang. Aber letztlich habe ich viel gelernt: Generell, dass man sich die Dinge möglichst gut überlegen soll, bevor man etwas sagt, und nicht einfach drauflosplappern (lacht). Auch, dass man die Angst verliert, indem man sich informiert. Und nicht zuletzt habe ich jetzt eine kleine Ahnung davon, wie es jemandem ergehen muss, der tatsächlich etwas ausgefressen hat. Im Nachhinein bin ich dankbar für diese Erfahrung.» * Name geändert
FALL ERFOLGREICH ERLEDIGT
«Es darf keine bösen Überraschungen geben» Ehrliche, unaufgeregte Information ist das Rezept: Anwalt Oliver Berther verrät, wie er seinen Klienten die Angst nimmt. Wovor haben Klienten in der
Staatsanwaltschaft wollen Böses,
Regel am meisten Angst?
sie machen einfach ihre Arbeit.
Vor dem Ungewissen, gerade wenn
Man muss den Klienten in aller
es ihr erstes Verfahren ist. Auf der
Ruhe die Situation aufzeigen.
Vorladung lesen sie Begriffe wie
Sie müssen wissen, was auf sie
Urkundenfälschung, grobe Ver-
zukommt. Es darf keine bösen
Anfang bis zum Ende, weil sie gar
kehrsregelverletzung, Körperver-
Überraschungen geben.
nie eine Beschuldigte war, sondern
letzung – und sehen sich mit einem
nur eine Auskunftsperson. Als
Was ist das Wichtigste bei einer
solche kann man aber jederzeit
solchen Beratung?
beschuldigt werden, falls ent-
Was sollten sie stattdessen
Das Vertrauen: Der Klient soll ver-
sprechende Indizien auftauchen.
bedenken?
stehen, dass es für ihn am besten
Frau Maurer ging ohne anwaltliche
Dass es meistens um Kleinigkeiten
ist, wenn er mir alles erzählt, jedes
Begleitung in die Einvernahme.
geht, um Unachtsamkeiten, die
Detail. Nur so kann ich ihm sagen,
Im Rahmen der Beratung musste
jedem von uns passieren können.
was ihn erwartet. Das Schlimmste
ich sie gut darauf vorbereiten.
Ein Automobilist schneidet dem
wäre, wenn ich dem Klienten etwas
Bus versehentlich den Weg ab, der
sagen würde, das nicht zutrifft.
Sie rieten ihr, ohne Sie an die
Bus muss bremsen. Ein Passagier
Er muss wissen, dass ich auf seiner
Anhörung zu gehen. Wieso?
fällt hin und verletzt sich. Schon
Seite bin und dass ich mir Zeit
Einerseits, weil die Coop Rechts-
sieht sich der Automobilist mit dem
nehme für ihn.
schutz diese Kosten nicht über-
Vorwurf fahrlässiger Körperverlet-
nommen hätte. Anderseits, weil
zung konfrontiert. Oft findet man
Bekommt er dann keine Angst
es nach meiner Einschätzung
mit einer geschädigten Person eine
vor einer hohen Rechnung?
sehr unwahrscheinlich war, dass
Einigung, und das Strafverfahren
Wenn er über die Rechtsschutz-
man ihr etwas vorwerfen würde.
kann von der Staatsanwaltschaft
versicherung kommt, interessiert
Und natürlich, weil die Klientin
eingestellt werden. Im schlimms-
ihn das nicht. Wenn er zweifels-
strukturiert denkt und sich gut
ten Fall enden solche Verfahren in
frei schuldig ist, sag ich ihm, dass
artikulieren kann.
einer bedingten Geldstrafe oder in
er die Kosten für den Anwalt bes-
einer Busse, die man «überlebt».
ser in die Busse und in die Ver-
Hat man als Anwalt manchmal
fahrenskosten investiert.
selbst Angst vor Gericht?
Was ist Ihre erste Reaktion, wenn
(Lacht) Dann hätte ich den falschen
jemand verzweifelt anruft?
Was war das Besondere im Fall
Beruf gewählt. Nein, als Anwalt
Ich versuche, zu beruhigen, zu
von Agnes Maurer?
muss man nur Angst haben, wenn
erklären, weshalb man keine Angst
Es ging um eine kurze Beratung
man selber Dreck am Stecken hat.
haben muss. Weder Polizei noch
und nicht um eine Betreuung von
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Bein bereits im Gefängnis.
Angst beiseite !
Was würdest du tun, wenn du keine Angst hättest? Diese Frage haben wir einigen Mitarbeitenden gestellt – und damit offenbar viel Abenteuerlust geweckt.
AUF EINEN SPRUNG «Als Traceur – so nennt man Leute, die die Sportart Parkour ausüben – träumt man von noch schwierigeren Sprüngen, noch dynamischeren Twists, noch cooleren Flips. In meinem Fall sind solche Herausforderungen mit einer ausgeprägten Höhenangst verbunden. Trotzdem wagte ich Sprünge von Dach zu Dach und flippte mit Salti über Hindernisse. Denn das Gefühl nach überwundener Angst ist unbeschreiblich.
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Nur dieser eine Traum wird für immer Traum bleiben: den Boden für längere Zeit zu verlassen und dennoch flink unterwegs zu sein – im Wingsuit oder gar im Jetsuit. Da scheint mir meine Angst unüberwindbar.»
Colin Carter, Jurist, Legal Engineer
DIE SPINNEN IN AUSTRALIEN Stéphanie Decroux, Rechtsanwältin und stv. Leiterin Romandie
«Einer meiner allergrössten Wünsche ist eine Reise nach Martinique oder Australien, ich träume davon seit Teenagerjahren. Allerdings habe ich panische Angst vor Spinnen jeglicher Art und Grösse, vor allem vor Vogelspinnen. Allein der Anblick eines Vogelspinnenfotos in einer Zeitschrift versetzt mich in Panik, dann kann ich kaum mehr atmen und muss das Bild abdecken, um weiterzulesen. Wie also sollte ich an einen Ort reisen, wo die Chance gross ist, nachts im Hotelzimmer einer Spinne zu begegnen? Ich könnte kein Auge schliessen – nicht für eine Sekunde!»
ANGSTHASENLÖSUNG «Ohne Angst hätte ich sicher schon zahlreiche Fallschirmsprünge auf meinem Konto, vielleicht sogar einen Wingsuit-Flug einem charakteristischen Bergrelief entlang. So aber stehe ich noch bei null. Vielleicht hilft es, dass ich es hier an dieser Stelle offenlege – um mich selber unter Druck zu setzen und endlich einen Sprung zu buchen. Ich weiss ja: Ohne Angst würde ein grosser Teil des Spasses fehlen. Das Adrenalin macht ein solches Unterfangen überhaupt erst aus. Vielleicht versuche ich es aber doch zuerst mit der Angsthasenlösung: Auf limitlessflight.com gibt es neuerdings geniale virtuelle Wingsuit-Simulatoren …»
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Sascha Hohermuth, Jurist Rechtsdienst
ALOHA, ADRENALIN ! «Wie gern würde ich mich auf ein aufregendes Abenteuer begeben, das die Grenzen meiner Komfortzone sprengt: auf einen Flug in einem offenen Oldtimer-Doppeldecker, gefolgt von einem wagemutigen Fallschirmsprung. Die Vorstellung, in der Luft Tempo aufzunehmen und einen Adrenalinkick wie nie zuvor zu erleben, ist in der Tat berauschend – und beängstigend zugleich. Die Angst vor waghalsigen Manövern und Unvertrautem hält mich Sven Radovanovic, Sachbearbeiter Administration
leider zurück und so bleiben solche Erlebnisse Gedankenartistik – bislang.»
300 METER KOPFÜBER «Wenn es ein Abenteuer gibt, für das ich mir wünschte, meine Angst überwinden zu können, dann ist es dieser ultimative Bungee-Sprung in China. Man steht auf einer Glasbodenbrücke, 300 Meter über der Schlucht. Nur schon diese Rampe wäre vermutlich eine Herausforderung der anderen Art. Und dann müsste man ja auch noch den Seilen vertrauen, die einen sichern … Wer weiss: Vielleicht sollte ich mal die Statistik dieses Bungee-Points checken, dann wäre ich vorbereitet, sollte es mich mal nach China verschlagen.»
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Larisa Ibrahimi, Sachbearbeiterin Contact Center
LEITERSPIEL «Kürzlich durfte ich mal wieder erfahren, wie erfüllend es sein kann, wenn man seinen inneren Ängsten mutig entgegentritt. Ich habe Höhenangst, das war schon immer so. Besonders schlimm sind Leitern, die eine Felswand hinaufführen. Meine Freunde wissen das. Trotzdem überredeten sie mich, mit ihnen hoch über der Teufelsbrücke einen Klettersteig zu erklimmen. Auf den ersten Höhenmetern gab mein Körper unmissverständliche Signale: Die Knie waren Pudding, die Hände schwitzten und ja, es wurde geflucht. Doch umkehren war keine Option: Als ich mir das eingestand, fand ich immer mehr in den Flow. Die Furcht wich, aus Angst wurde Abenteuer. Oben angekommen, platzte meine Brust beinahe – nicht etwa vor Atemnot, sondern vor Stolz.»
Lukas Naef, Jurist Rechtsdienst
ALLEIN IM ALL «Ein Stratosphärensprung, ja, das wärs! Nur schon die Reise ins All, der Raketenstart, der Schub – und dann die Schwerelosigkeit jenseits der Erdanziehung. Wie toll muss das sein! Dann der Stratosphärensprung in einer hochtechnischen Ausrüstung, der freie Fall von bis zu 30 000 Metern. Ich würde die Erde aus einer unvergleichlichen Perspektive sehen, die Umrisse der Kontinente, die Weite der Ozeane. Ein solches Abenteuer würde mir nicht nur eine andere Sicht auf die Welt ermöglichen – sondern wohl auch auf mich selbst.»
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Katarina Ninkovic, Sachbearbeiterin Administration
HAI–EIEI ! «Über 70 Prozent unserer Erde sind mit Wasser bedeckt: Wie viele unbekannte Geheimnisse müssen sich in diesen Weiten der Ozeane verbergen! Mich fasziniert die majestätische Welt der Meere seit jeher, seit fünf Jahren unternehme ich regelmässig Tauchgänge und erlebe dabei grossen Frieden. Meine einzige Angst dabei – und gleichzeitig mein grösster Wunsch – ist es, einem Hai zu begegnen. Wahrscheinlich wäre ich vor Angst wie gelähmt und müsste aufpassen, dass ich das Atmen nicht vergesse. Gleichzeitig aber kann ich mir nichts Faszinierenderes vorstellen, als dieses Raubtier aus nächster Nähe zu beobachten.»
Alessandra Nardo, Juristin Rechtsdienst
Keine Angst: Wir verlieren uns hier nicht einfach in Zahlen, sondern sagen gerne, wo wir uns mit Mut neuen Herausforderungen stellen und uns behaupten.
FACTS S T C A F FACTS RECHTSFÄLLE
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Rechtsfälle 2019: 32 457 Rechtsfälle 2020: 38 722 Rechtsfälle 2021: 37 486 Rechtsfälle 2022: 38 754
MITARBEITENDE 2019: 93 2020: 103 2021: 133 2022: 134
PRÄMIENEINNAHMEN Bruttoprämien 2019: CHF 59.20 Mio. Bruttoprämien 2020: CHF 63.30 Mio. Bruttoprämien 2021: CHF 65.80 Mio. Bruttoprämien 2022: CHF 69.00 Mio.
KEINE ANGST VOR KI Von unseren Spotify Playlists bis hin zu medizinischen Diagnosen: Künstliche Intelligenz (KI) ist heute überall. Doch wie wird sich die Rechtsbranche durch Künstliche Intelligenz (KI) verändern? Dieser Frage stellt sich auch die Coop Rechtsschutz AG und setzt verstärkt auf das Thema KI. Zu diesem Zweck geht sie eine Partnerschaft mit dem ETH AI Center ein. Ziel ist, dass der wissenschaftliche Austausch zwischen KI-Forschenden und der Rechtsbranche gestärkt wird.
Blogbeitrag:
& FIGURES & FIGURES & F IG U R E S KEINE ANGST VOR PRÜFUNGEN
Seit Januar 2023 haben sieben Mitarbeitende ein CAS in den Bereichen Projektmanagement, Daten schutz, Arbeitsrecht und Coaching erfolgreich abgeschlossen. Daneben haben auch unsere zwei Lernenden und zwei kaufmännischen Praktikan tinnen die Abschlussprüfungen bestanden.
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KI in der Juristerei | Coop Rechtsschutz
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10 Fragen an Abt Urban Federer «Man braucht vor der Angst keine Angst zu haben», sagt Abt Urban Federer vom Kloster Einsiedeln – und hat auch für Nichtgläubige einen Rat. Interview: Matthias Mächler Foto: Mara Truog
1 Wovor haben Menschen, die
5 Was passiert mit einem,
sein, an einem anderen Ort wieder
wenn man in der Gnadenkapelle
glücklich zu werden. Solche Ent-
meisten Angst?
vor der schwarzen Madonna
scheidungen fällt niemand gern.
Das Thema Weltfrieden ist im
steht und um Kraft bittet?
Moment sicher sehr präsent. Oft
Sinnbildlich gesprochen ist die
geht es auch um die Gesundheit
Kapelle ein Ort, wo sich Himmel
9 Als Sie als Mönch Ihre
Gelübde ablegten: Ging das
von Angehörigen, um entgleitende
und Erde berühren, wo alles
ganz ohne Angst?
Beziehungen oder schwierige
zusammenkommt. Sie werden
Es ist wohl ähnlich wie bei einer
Arbeitssituationen.
spüren, dass Sie im Hier und Jetzt
Hochzeit: Im Moment, wo ich Ja
2 Mit welcher Hilfe dürfen
von etwas Grossem verstanden
sagte, war ich voller Begeisterung.
und angenommen werden.
Die Herausforderungen beginnen
6 Je düsterer die Zeiten, desto
erst später, wenn Probleme
diese Menschen rechnen?
Als Seelsorger hören wir zu, neh-
auftauchen.
men den Menschen wahr und ver-
voller die Gotteshäuser: Die
suchen, ihn vor einer Angstspirale
Kirche profitiert von Ängsten?
zu bewahren. Wir legen ihm dar,
Ist es wirklich so? Jedenfalls ist
dass man durchaus Vertrauen ha-
es gut, wenn den Menschen ein
Leben nur ein leeres Verspre-
ben darf ins Leben. Man braucht
Raum angeboten wird, wo sie mit
chen ist?
vor der Angst keine Angst zu haben.
ihren Ängsten hingehen können.
Das ewige Leben beginnt ja nicht
Sie ist etwas Natürliches; im Lukas-
Und wo sie wieder lernen, dem
mit dem Tod, es hat schon lange an-
Evangelium schwitzt selbst Jesus
Leben zu vertrauen.
gefangen: in dem Moment, wo ich
Blut vor Angst.
7 Gab es Momente in Ihrem
mich für Gott entschieden habe.
Leben, wo Sie trotz Ihres Gott-
nach meinem biologischen Ableben
falls meistens?
vertrauens Angst hatten?
weitergeht, dass ich danach ein
(Lacht) Also mir hilft beten immer.
Die gibt es immer wieder. Für mich
sehr viel grösseres Bild vom Leben
Denn beten bedeutet für mich
ist Angst ein Indikator, wie ich die
haben werde. Oder anders gesagt:
nichts anderes, als eine Beziehung
Welt verstehe, wie ich mit ihr um-
Ich mag Angst vor dem Sterben
zu pflegen – meine Freundschaft
gehe. Insofern ist Angst wichtig für
haben, vor dem Prozess. Aber den
mit Gott. Beten stärkt den Boden,
mich, sie leitet mich. Aber sie darf
Tod selbst fürchte ich nicht.
auf dem unter anderem auch Ängs-
mich nicht blockieren, das wäre
te angegangen werden können.
gefährlich.
4 Und wenn man nie beten
8 Wovor hat man Angst, wenn
der Angst?
Wie alle, die ein Unternehmen
Wenn Sie die Freundschaft nicht
führen, muss ich zuweilen unan-
mit Gott pflegen können, hoffe ich,
genehme Entscheidungen fällen.
dass Sie Ihre Ängste mit jemand
Sie glauben nicht, wie schnell
anderem teilen können – mit einem
ich zu hören bekomme: «Das ist
Gegenüber, das Sie annimmt, wie
aber unchristlich!» Dabei kann
Sie sind.
beispielsweise eine Kündigung
3 Warum hilft beten – jeden-
gelernt hat? Was macht man mit
10 Und der Tod? Haben Sie keine Angst, dass das ewige
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im Kloster Hilfe suchen, am
Ich bin überzeugt, dass dieser Weg
man ein Kloster führt?
auch eine Chance für jemanden
Urban Federer (1968) ist der 59. Abt des Klosters Einsiedeln: 2013 wurde er von den 55 wahlberechtigten Mönchen für die Dauer von 12 Jahren gewählt.
Coop Rechtsschutz AG Entfelderstrasse 2, Postfach, 5001 Aarau T. +41 62 836 00 00, info@cooprecht.ch cooprecht.ch, core-magazin.ch Die Coop Rechtsschutz AG hat seit Jahren starke Partner an ihrer Seite. Nicht zuletzt sie haben uns zu dem gemacht, was wir heute sind. Dafür bedanken wir uns ganz herzlich bei: Angestellte Schweiz, Atupri, Beobachter, Collecta, Coop, Europäische Reiseversicherung, Gewerkschaft des Zoll- und Grenzwachtpersonals Garanto, Helsana, Helvetia, KPT, Mieterinnen- und Mieterverband des Kantons Bern MVB, Mieterinnen- und Mieterverband MV Zürich, ÖKK, Personalverband des Bundes PVB, Personalverband der Suva, RVK, Schweizerischer Bankpersonalverband, Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner SBK, Gewerkschaft des Verkehrspersonals SEV, Szene Schweiz, smile.direct, Patientenschutz SPO, SWICA, Sympany, Syna, Syndicom, Unia, VCS Verkehrs-Club der Schweiz, Verband des Personals öffentlicher Dienste VPOD.
Liebe Leserin, lieber Leser