Nonlinear002 digital

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Die postmoderne Nonlineare // Nichtlineare Spiele//

Die freie Entscheidung des Zuschauers // Lost Leonce und Lena - keine Schicksalsgeschichte

LEONCE UND LENA - KEINE SCHICKSALSGESCHICHTE

Ausgabe 02

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POSTM ODERN ISJUST ANEXC USE


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Einleitung WELCHE MÖGLICHKEITEN ERÖFFNET UNS DIE NONLINEARITÄT IM UMGANG MIT EINER GESCHICHTE? INDEM WIR EINEN PLOT NICHT STRINGENT SONDERN VARIANTENREICH GESTALTEN WIRD DER ZUSCHAUER ZUM USER.

I n der zweiten Ausgabe von nonlinear

beobachten wir die mediale Attake auf die Linearität. Welche Möglicheiten gibt es in Film, Games und Musik die Spur des stringenten Verlaufs zu verlassen? Anhand von Beispielen werden in diesem Prospekt erzähltechnische Innovationen dargelegt welche Regiesseure, Film- und Fernsehproduzenten, Drehbuchautoren, Game Developer und Musiker bisher ausprobiert haben. Selbst in der Hollywoodwelt, sie lange Zeit als bloßes Spektakelkino empfunden wurde, trauen sich immer mehr Filmemacher von dem konventionellen Weg abzuweichen. Sie muten dem Rezipienten eine größere Aufmerksamkeit, bzw. in der Serienwelt evozieren dies durch eine hohe Kontinuitätsdichte. Filme wie Memento oder Serie wie Lost erhalten eine Menge Zuspruch, sie ziehen ein reflektierendes Publikum an. Das bedeutet der Zuschauer ist nicht mehr bloß an der Geschichte interessiert, sondern außerdem daran wie diese erzählt wird. Des Weiteren werden verrückte Ideen vorgestellt, die dem Film mittels einer innovativen Erzähstruktur ein neues Gesicht verleihen können. Um dem Leser ein Gefühl dafür zu geben, was die Nonlinearität für das audiovisuelle Erlebnis und sein inhaltliches Verständnis tun kann, gibt es außerdem einen kleinen interaktiven Buchspaziergang durch Georg Bücners Leonce und Lena. Hier wird der Zuschauer zum User, indem er die Möglichkeit erhält Entscheidungen zu treffen, die den Verlauf der Geschichte beeinflussen. In der Musikwelt gibt es ebenfalls eine nichtlineare Idee, die immer an Poularität gewinnt, das Stichwort heißt Mashup. Es handelt sich um eine Musikcollage mindestens zweier (Original-) Songs, die

lediglich mittels Loops und Geschwindigkeit verändert werden dürfen, in der ersten Ausgabe von nonlinear wurde bereits darüber gesprochen. In diesem Prospekt befindet sich ein Politainment Mash-up. Politainment bezeichnet die Verknüpfung von Politik, Journalismus und Unterhaltungskultur. Hierfür wurden verschiedene politische Songs, sowie eine CNN Audioaufnahme des 11. Septembers, nach den Regeln des Mash-ups gemischt. Das Zusammenspiel unterstreicht die politischen Forderungen und gesellschaftlichen Aussagen.


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Die freie Entscheidung des Zuschauers WAS GESCHIEHT, WENN DIE SPIELEMACHER DEM REZIPIENTEN MEHR MACHT ZUSPRECHEN? WIE MÜSSEN DIE GAMES KONZIPIER SEIN DAMIT DER USER DAS GEFÜHL BEKOMMT EIN TEIL DER GESCHICHTE ZU SEIN?

Aristoteles konstruiert das Drama nach den drei Prinzipien, Zeit, Raum und Handlung ( die drei Aristotelischen Einheiten) welche eine strikte Einhaltung fordern, das heißt Zeitsprünge, Ortsveränderungen und Nebenhandlungen sind ausgeschlossen. Diese Einheiten sind beim Film nicht mehr präsent. Das Medium baut sich in einem eigenen Raum auf. Meist gibt es mindestens eine Nebenhandlung und der Erzählsprung ist nicht mehr stringent, sondern oft eine Kombination aus mehren Zeiten. Auch außerhalb des Fims geht es nicht linear zu, Filme werden häufig nicht chronologisch sondern auf Basis einer logistischen Entscheidung gedreht Man denke an Star Wars. Zudem läuft auch die Postproduction alles andere als stringent. Während der Montage werden die einzelnen Akte einer Filmkopie, je nach Bedarf, zusammen „geklebt“. Im klassischen Kino, vor allem in Hollywood, wird von nichtlinearen Ausflügen in plurale Welten meist abgesehen. Der klassische Hollywoodstreifen soll den Zuschauer unterhalten und entspannen und verfolgt daher meist, um den Rezipienten nicht zu verwirren, einen kausalen Erzählsstrang, der keine neuen Denkstrukturen evoziert, sondern viel mehr ein gegebenes Weltbild verfestigt. So wird der Postmoderne Filme auf der anderen Seite gerne als lapidares „anything goes“ abgetan, bei dem weder gesellschaftliche Werte, physische oder physikalische Regeln noch der Anspruch an eine allgemeingültige Interpretation greifen. Dem Zuschauer wird in der Postmoderne die Möglichkeit gegeben, Dinge zu hinterfragen, sich mit dem Gesehenen auseinanderzusetzen und zu reflektieren, wohingegen der Hollywoodstreifen ihn dieser Fähigkeit weitestgehend beraubt.

Der freie Wille, das heißt eine eigene Interpretation in der Menge der Möglichkeiten zu finden, wird im meist simpleren Hollywoodspektakel missachtet.

Die mediale Attacke auf die Linearität WELCHE MÖGLICHKEITEN GIBT ES DEN FILM ZU ENTLINEARISIEREN?

Neben Memento, der mit mehreren Zeitverläufen spielt, gibt es auch noch andere Möglichkeiten einen Film nonlinear zu erzählen. Denkbar wäre zum Beispiel, dass die gleiche Geschichte aus verschiedenen Perspektiven erzählt wird, interessant wäre zu sehen, was bei einer abgespielten Gleichzeitigkeit dieser Parallelwelten entsteht. Eine weitere Möglichkeit bestünde darin, den Film in Varianten gleichzeitig nebeneinander auszustrahlen, somit würde der User den Plot nicht als vorgefertigt empfinden sondern er erschiene ihm vielleicht realistischer. Der Film „Smoking/NonSmoking“ bedient sich mehrere Fenster und trennt somit verschiedene Varianten voneinander. Außerdem wäre vorstellbar, dass all die Varianten letztendlich doch zum selben Ergebnis führen, wenn man das Gefühl von Schicksal evozieren möchte. Oder wie wäre es mal mit einem Stumm-

film, der sowohl vorwärts als auch rückwärts funktioniert? Ebenfalls interessant wäre ein Film dessen Form sich lediglich nach der chronologischen Reihenfolge der Logistik beim Filmdreh richtet. Vielleicht wäre es spannend zu beobachten, wie der Rezipient auf einen Hauptdarstellerwechsel reagiert. Dieses Experiment ließe sich zum Beispiel durch einen Movie-Mashup realisieren. Mit Hilfe einer gekrümmten Zeit, wäre es vorstellbar, dass manche Ereignisse im Film schneller geschehen als andere Handlungen. Somit würden sie in diese „überschwappen“, ohne dass die Handlung bereits in der gleichen Zeitzone angekommen ist. Außerdem wäre es denkbar, dem Gesehenen eine weitere Ebene hinzuzufügen. Dies kann in Form verschiedener Medien geschehen, zum Beispiel durch eine weitere Tonspur, weitere Bilder, eventuell auch Gerüche, die den Zuschauer parallel zu einem anderen Zeitpunkt, Gedanken, etc. entführen. Wenn sich die Filmemacher also trauen, dem Zuschauer einmal mehr zu zu muten und den Gedanken der Nonlinearität im Kopf tragen, dann werden wir in Zukunft sicherlich spannende Filme sehen, wobei sich diese nicht mehr über die herkömmliche Dramaturgie definieren. Realisierte Möglichkeiten des nicht-linearen Films sind u. a. zu sehen in: Pulp Fiction, Lola rennt, Memento, Irréversible, Eternal Sunshine of the Spotless Mind, Smoking/NonSmoking, Der Kinoautomat, Der Zufall möglicherweise, Groundhog Day, Mullholland Drive, Lost Highway, Amores Perros


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Nichtlineare Spiele NONLINEARE GAMES GEWÄHREN DEM SPIELER EINE GRÖßERE FREIHEIT, SIE GESTALTEN EINEN WANDELBAREN RAUM. IHR VORTEIL LIEGT IN DER VARIATIONSSTÄRKE, WÄHREND SICH LINEARE SPIELE AUF EINEN STARKEN ERZÄHLSTRANG STÜTZEN KÖNNEN, LÄSST SICH DIE NICHTLINEARE KONKURRENZ MIT MEHREREN, MEIST EINFACHEREN, VARIABLEN DURCHSPIELEN.

I n der Welt der Spiele kann ein nichtline-

arer Ablauf und die damit verbundene Bewegungsfreiheit sehr attraktiv sein. Wenn Game Designer und Autoren an solchen Spielen basteln, können sich unendlich viele Handlungsstränge verzweigen. Nichtlineare Spiele können den Spieler selbst in den Mittelpunkt des Geschehens setzen und ihm somit das Gefühl von Bedeutung und einer fiktiven Macht zu vermitteln. Dass eine solche Theorie auch in der Praxis funktioniert zeigen Spiele wie Heavy Rain, Mass Effect oder die Sims. Bei letzterem ist dem Spieler die Möglichkeit gegeben, eine eigene Geschichte zu kreieren. Hinter einem Mausklick liegt meist ein Berg an Arbeit, denn was der Spieler nicht sieht, sind all die anderen Möglichkeiten, die er mit seinem Klick hätte geschehen lassen können. Wichtig bei der Kreation solcher Spiele ist die Frage nach dem Ende. Gibt es, etwa wie bei die Sims, kein Ende, besteht die Gefahr, dass das Spiel irgendwann sein Reiz verliert oder gar als sinnlos erachtet wird. Im schlimmsten Fall erreicht der Spieler sogar mit Abschluss einer anscheinend unvollendeten Arbeit ein Frustrationslevel. So besteht der letzte Spielzug in einem routinierten Klick dessen Auswirkung absolut vorhersehbar ist. Die nächste Möglichkeit ist, dass die Storyline immer auf dasselbe Ende hinausläuft. In diesem Fall müssen verschiedene Entscheidungsmöglichkeiten kreiert werden, die alle die gleiche Finalberechtigung haben, also alle mit dem übergeordneten Plot harmonieren. Auch diese Variante birgt ein gewisses Frustrationslevel, nämlich in dem Fall, dass der Spieler das Spiel mehrmals durchläuft. Er könnte das Gefühl bekommen, dass seine Entscheidungen im Endeffekt ohne Bedeutung blieben und dass er lediglich keine Rolle zugeteilt bekommen hat, um das Spiel am Laufen zu

halten. Im schlimmsten Fall fühlt sich der Spieler hinters Licht geführt. Ist der Plot wirklich gut ausgearbeitet kann das Ganze aber auch völlig anders aussehen. So ist der Spieler überrascht von den zahlreichen Möglichkeiten, die das gewisse Ende evozieren. Seine Neugier ist geweckt und er wird das Spiel so oft durchladen, bis er alle Wege kennt. In diesem Szenario überwiegt also die Entdeckungsfreude, auch wenn seine Entscheidungen das Ende nicht beeinflusst haben, so haben sie doch eine eigene Geschichte geschrieben. Die letzte Möglichkeit scheint auf den ersten Blick die spannendste zu sein und zwar werden dem übergeordneten Plot, je nach Entscheidung des Spielers, diverse Enden zugewiesen. Für den Game Designer und den Autor ist diese Variante natürlich am Aufwendigsten. In manchen Fällen muss jeder Dialog der Geschichte zu mindestens zwei Verlaufsvarianten führen. Der Spieler bekommt also das Gefühl ein Teil der Geschichte zu sein und das Game hat einen Wiederholungswert. Sofern diese Möglichkeit gut durchdacht ist und nicht im Chaos endet, gibt es für den Spieler keine negativen Erfahrungen.


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Die postmoderne Nonlineare BEISPIELE AUS FILM UND SERIE BELEGEN, DASS DER ZUSCHAUER DURCHAUS INTERESSE AN NICHTLINEAREN DARSTELLUNGEN HAT.

Der Diskurs über den postmodernen

Film scheint nicht abzureißen, denn im Gegensatz zu allen anderen Stilrichtungen, verweigert die Postmoderne eine klare Definition. Vielmehr können Filme aus verschiedenen Gründen den Beinamen Postmodern tragen; „wegen ihres expressiven Designs, ihrer popkulturellen Zitate, ihres gesellschaftlichen Kontextes, ihrer Thematik, Atmosphäre oder Erzählweise“ (Eder, 2002: 9f.). Der Konsens darüber was den postmodernen Film ausmacht trifft sich meist in dessen Oberflächengestaltung, das heißt es geht viel mehr darum wie etwas dargestellt wird und weniger darum was dargestellt wird. Keinesfalls soll das bedeuten, der Postmoderne Film wäre oberflächlich. Es geht um die Intertextualität, die mittels ästhetischer Verweisstrukturen Bedeutungskontexte offenlegt. Davon abgesehen, bedient sich der Postmoderne Film gerne einer nonlinearen Erzählweise. Mit Hilfe von Zeitsprüngen ist es möglich dem Film mehr Tiefe zu geben, um zum Beispiel die Entwicklung der Charaktere vorzuführen oder eine „Was-wäre-wenn-Atmosphäre“ zu generieren und so weiter. Der Kriminalfilm Memento (2000) von Regisseur Christopher Nolan, weist ein besonderes stilistisches Mittel auf. Das markanteste Merkmal des komplexen Films sind die beiden Handlungsstränge, von denen jeweils einer in der korrekten (Szenen in Schwarz/Weiß) und einer in entgegengesetzt chronologischer (Szenen in Farbe) Reihenfolge der Szenen abläuft. Die Hauptperson ist Leonard Shelby, der nach einem traumatischen Ereignis die Fähigkeit verloren hat, neue Erinnerungen abzuspeichern die älter als wenige Minuten sind. Um sein Gedächtnis zu ersetzen, nutzt er Polaroid-Fotos, Notizen und Tätowierungen. Seine Erinnerung

möchte er vor allem aus einem Grund zurückhaben, um den Mörder seiner Frau, der für seinen desolaten Zustand verantwortlich ist, zu finden und zu töten. Ob ihm seine „Freunde“ Teddy und Natalie dabei eine Hilfe sind, ist den Film über ungewiss, da immer wieder das Gefühl aufkommt jeder nutze Leonards Zustand für die eigenen Ziele aus. Der Film verfolgt, wie bereits erwähnt, zwei Erzählstränge. Der Farbige erzählt die eigentliche Geschichte des Films. Er läuft chronologisch rückwärts ab und versetzt den Zuschauer in einen ähnlichen Zustand wie den erinnerungslosen Protagonisten. Der Rezipient findet sich also in einer Handlung wieder, deren Vorgeschichte er nicht kennt und somit fällt es ihm, ebenso wie Leonard, schwer die Ereignisse in einen kausalen Kontext zu setzen. Der schwarz-weiß Strang zeigt die Geschehnisse, die unmittelbar vor der Handlung passierten. Sie laufen chronologisch vorwärts und sind über den ganzen Film gestreut. Durch das nonlineare Stilmittel ist es Nolan gelungen, den Zuschauer einzubeziehen, anstatt ihn lediglich als Medienrezipient darzustellen. Er wird quasi gezwungen, wie Leonard, hinter verloren Erinnerungen hinterherzurennen. Diese Selbstbetroffenheit lässt den Zuschauer sicherlich länger als gewöhnlich über einen Film reflektieren. In dieser Hinsicht ist das Experiment also gelungen.


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Lost DIE FERNSEHSERIE LOST GILT ALS EINE DER ERFOLGREICHSTEN US-AMERIKANISCHEN PRODUKTIONEN, RUND DREIZEHN MILLIONEN MENSCHEN WAREN VON DEM EINZIGARTIGEN ERZÄHLSTIL FASZINIERT.

Lost ist eine US-amerikanische Fernsehserie aus dem Jahre 2004. Die Idee stammt vom damaligen ABC Chef Llody Braun, Film- und Fernsehproduzent Jeffrey Jacob Abrams und dem Drehbuchautor Jeffrey Lieber. Die Geschichte dreht sich um die Überlebenden eines Passagierflugzeugabsturzes, die auf einer einsamen, mysteriösen Insel im Pazifik stranden und sich dort neu organisieren müssen. Schon in der Piltofolge wird dem Zuschauer klar, dass hier keinesfalls ein Realitätsanspruch gestellt wird. Es geschehen merkwürdige Dinge, zum Beispiel hausen ein Monster und Polarbären auf der Insel. Die Serie umfasst sechs Staffeln und gilt als eine der erfolgreichsten US-amerikanischen Produktionen (ein Golden Globe, acht Emmys, erfolgreichste Dramaserie 2008). Bei Lost handelt es sich um eine Mysterie-Serie, die den Zuschauer mit einem ganz bestimmten Erzählstil überrascht. Die Geschichte ist sehr komplex, da sie nicht stringent erzählt wird sondern häufig mit Rückblenden, Zukunftsaussichten etc. arbeitet. Teilweise werden Verweise verwendet, die sich auf die vorangegangene Staffel beziehen. Die Serie erhält somit eine hohe Kontinuitätsdichte. Mit der Zeit erfährt man immer mehr über die Charaktere und deren Leben vor dem Absturz. Es gibt neue Enthüllungen und somit ändert sich die Betrachtunsweise des Rezipienten.

Außerdem wird mit Hilfe einer eingeschränkten Perspektive gerne mit der Erwartungshaltung des Zuschauers gespielt. So sieht er (häufig zu Beginn einer Folge) einen Teilausschnitt, z. B. senkrecht über dem Boden baumelnde Beine und denkt direkt an (Selbst-) Mord. Dabei erschließt sich ihm mit dem Rauszoomen ein völlig anderes Bild, z. B. ein Mann der an einem Ast hängt und versucht sich festzuhalten. Die Nichtlinearität von Lost tritt durch eine sehr verstrickte Erzählstruktur zum Vorschein. Fast alle Episoden verfolgen mehrere parallel laufende Handlungsstränge, wobei das Leben einer oder mehrerer Hauptfiguren in den Mittelpunkt rückt. In den meisten Fällen wird ein Strang aus der Perspektive eines Protagonisten erzählt. Bei den Strängen kann es sich um flashbacks (Rückblende), flashforwards (Zukunftsausblicke) oder flash-sideways (paralleler Handlungsstrang) handeln, die gerne ineinander übergreifen. Die flashbacks funktionieren auf zweierlei Weise. Zum einen behandeln sie das Leben der Charaktere vor dem Absturz und geben ihnen somit mehr Profil und zum anderen behandeln sie vergangene Inselereignisse, die ein neues Licht auf gegenwärtige Geschehnisse werfen. Das führt dazu, dass sowohl Figuren als auch Handlungen nachräglich eine neue Bedeutung zugewiesen werden kann. In der fünften Staffel wurde zusätzlich das erzählerische Stilmittel der Zeitreise eingeleitet. Die Protagnisten erleben durch diese Zeitsprünge zwar einen subjektiv linearen Erzählungsablauf, dem Zuschauer werden allerdings Infomartionen vorenthalten, bzw. werden sie aufgespart, und somit kann er die Ereignisse (vorerst) nicht in einen Kontext setzen. In der letzten Staffel wurden die flash-sideways eingehführt, das heißt neben der linear laufenden Inselhandlung

gibt es einen neuen Erzählstrang. Dieser erzählt eine ganz andere Geschichte und zwar erreicht der Oceanic-Flug 815 in dieser Variante planmäßig Los Angeles. Die Figuren fliegen also über die Insel hinweg und verhalten sich in ihrem „normalen“ Leben wie in der ersten Staffel. Sie sind nun allerdings mit der Bewältigung einiger Probleme konfrontiert. Das Leben der Hauptfiguren wird in diesem Erzählstrang noch einmal ganz anders dargestellt als bisher bekannt. So sind Figuren nun in ihrem Beruf erfolgreich, sie haben z.B. liebevolle Charakterzüge, die ihnen auf der Insel fehlen, sie haben Kinder etc. . Am Ende der Serie stellt sich heraus, dass die flash-sideways, die vorerst als „Was-wäre-wenn-es-die-Insel-nicht-gäbe“Szenario verstanden wurden, eine ganz andere Funktion haben. Sie zeigen das Leben nach dem Tod. Niemand hat den Flugzeugabsturz überlebt und die Insel ist nur eine Zwischenwelt zwischen Leben und Tod, aber die Figuren erleben gemeinsam eine neue Zeit (so zumindest eine der vielen Interpretationen). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es trotz der ganzen Wirrungen und Irrungen gelungen ist, den Zuschauer zu überzeugen (subjektive Meinung). Bei Lost geht es nicht um die Geschichte, es geht darum wie die Geschichte erzählt wird.


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Leonce und Lena - keine Schicksalsgeschichte OH, WER SICH EINMAL AUF DEM KOPF SEHEN KÖNNTE, DAS IST EINS VON MEINEN IDEALEN.

LEONCE

EINSTEIN

L

eonce und Lena ist eine Komödie von Georg Büchner (1813 bis 1837), die nicht als unverbindliches Lustspiel, sondern als eine unter dem Deckmantel harmloser Fröhlichkeit versteckte Polit-Satire verstanden werden sollte. Der melancholische, traumversunkene Prinz Leonce vom Königreiche Popo (in seiner räumlichen Enge eine Persiflage auf die deutschen Kleinstaaten) langweilt sich: „Mein Leben gähnt mich an wie ein großer weißer Bogen Papier, den ich vollschreiben soll, aber ich bringe keinen Buchstaben heraus.“ Auch sein Verhältnis zur schönen Tänzerin Rosetta ermüdet ihn mehr, als dass es ihn anregt. Nur im Sterben dieser Liebe sieht er noch einen gewissen Reiz. Trotz seiner Jugend scheint ihm der Höhepunkt seines Lebens bereits vorüber: „Mein Kopf ist ein leerer Tanzsaal, einige verwelkte Rosen und zerknitterte Bänder auf dem Boden, geborstene Violinen in der Ecke, die letzten Tänzer haben die Masken abgenommen und sehen mit todmüden Augen einander an.“ Da wird er von seinem Vater, König Peter, vor vollendete Tatsachen gestellt: Leonce soll die ihm völlig unbekannte Prinzessin Lena vom Königreich Pipi heiraten. Nicht gewillt den Bund der Ehe einzugehen, lässt Leonce den Zufall für sich entscheiden. Indem er eine diverse Anzahl Sandkörner in die Luft wirft: „Wie viel Körnchen habe ich nun auf dem Rücken, grad´ oder ungrad´ ?“ gibt Leonce den Verlauf über sein Leben an den Zuschauer ab. Dieser kann, von diesem Moment an, verschiedene Entscheidungen für die Figuren fällen. Letzten Endes beeinflussen die Entscheidungen (man kann diese auch im Sinne der Polit-Satire als Volksabstimmung betrachten) des Zuschauers nicht nur Leonces Liebesleben, sondern führen vor allem zu

unterschiedlich politischen Systemen.

Büchner und die provinzielle Kleinstaaterei Leonce und Lena, war es Schicksal oder Zufall?

Leonce und Lena wurde lange Zeit zu Unrecht als „Ausrutscher“ Büchners abgestempelt. Das Werk scheint auf den ersten Blick sehr erheiternd, leicht verständlich, fast ein wenig banal im Vergleich zu Büchners übriger Arbeit. Der Leser wird quasi ohne jede Anstrengung durch die Geschichte getragen. Büchner geht nicht auf die Psyche der Figuren ein. Warum die Akteure eben so handeln, bleibt dem Leser ein Rätsel, sie tun es einfach, sie entwickeln sich auch nicht, lediglich der Plot schreitet voran und zwar in eine so klare Richtung, dass es dem Rezipienten fast schon simpel erscheint. Büchner hat es wohl darauf angelegt, dass der Leser in einen Bann der Determiniertheit gezogen wird. Es mangelt an einem dramturgischen Aufbau, Verirrungen, Missverständnissen und vor allem mangelt es an intelligenten Hauptfiguren (abgesehen von Rosetta). Genau diese Punkte machen Leonce und Lena zu einem literarischen Meisterstück Georg Büchners. Leonces Leben ist vorbestimmt, von einer Gesellschaft die nicht nachdenkt und sich nicht weiter entwickelt. Er sieht keinen Sinn in seinem Leben, das unter den vorherrschenden politischen Strukturen nur einen Lauf nehmen kann.


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Büchner vermittelt somit den Inhalt der Geschichte schon übere deren Aufbau, oder andersherum!? Daher steckt hinter dem Werk viel mehr als es sich auf den ersten Blick erahnen lässt. Büchers Stück ist kein Lustspiel, sondern eine Polisatire. Er übt damit Kritik an der provinziellen Kleinstaaterei zu Zeit des Deutschen Bundes. Er verspottet den hohlen Adel und dessen dekadente Langweile, und zwar nicht nur über die Figur König Peter, sondern ebenfalls über die Adligen Leonce und Lena, denen aus lauter Langweile nichts Besseres einfällt als Sandkörner in die Lust zu werfen oder sich selber zu bedauern. Das Ende der Geschichte ist keinesfalls positiv, auch wenn es noch so romantisch erscheint. Valerio spricht davon, den ganzen Spaß am nächsten Tag von vorne zu beginnen, das bedeutet durch die Hochzeit von Leonce und Lena wird sich im Staatenwesen nichts verändern. Sie sprechen von ihren Plänen, „dann legen wir uns in den Schatten und bitten Gott um Melonen und eine kommode Religion“, und dadurch wird nur allzu deutlich, dass es lediglich für den Adel ein harmonisches Ende geben wird, kümmert sich doch keiner um eine gerechtere Struktur. Auf jeden Fall schreit die Determiniertheit in Leonce und Lena nach einem Wort Schicksal. Obwohl der Prinz die Prinzessin nicht heiraten wollte, ebenso wenig wie die Prinzessin den Prinzen, verlieben sie sich am Ende doch ineinander. Was aber wenn alles nur Zufall war? Wir wissen bereits, dass es sich bei dem Zufall um ein Leck in einer kausalen Informationskette handelt (nonlinear Ausgabe 01). Als Kausalität bezeichnet man das Verhältnis zwischen Ursache und Wirkung,

oder Aktion und Reaktion. Das wüde beinhalten, dass die Figuren auf gewisse Umstände reagieren. Eben diese Möglichkeit soll mittels der interaktiven Geshichte, Leonce und Lena - keine Schicksalsgeschichte, gegeben werden. Die Interpretation schließt das Schicksal aus und zwar nicht weil der User die Figuren lenkt, sondern weil auf Seiten von Leonce und Valerio, Lena und der Gouvernante, Informationslücken bestehen. Der User kann sich auf Seiten jeder Partei für eine von zwei Möglichkeiten entscheiden. Von daher ist der Verlauf der Geschichte, also eine Begegnung zwischen Leonce und Lena, dem Zufall überlassen. Im Gegensatz zu Büchers Originalwerk, haben die Figuren in dem Spiel die Wahl. Nur so kann ein Zufallszenario entsehen.

Mögliche Enden WELCHE AUSWIRKUNGEN HÄTTE DER ZUFALL GEHABT?

Möglichkeit eins: Leonce kommt mit Lena zusammen. Beide sind sehr schlicht, sie leben ausschließlich in einer Traumwelt, die sich nicht realisieren lässt, sie erträumen sich eine Utopie. Die Kleinstaaterei des Deutschen Bunde bleibt bestehen, da keiner von ihnen in der Lage ist sich selbst oder das System zu bewegen. Märchen Möglichkeit zwei: Leonce kommt mit

Rosetta zusammen. Die Tänzerin ist die einzige Figur mit Profil. Sie ist bürgerlich und vertritt Ideale, im Gegensatz zu den anderen Figuren geht es ihr nicht nur um ihr eigenes Wohlempfinden. Sie setzt der Obrigkeit ein Ende, führt eine Demokratie ein und aus der Kleinstaaterei wird eine Republik. Historie Möglichkeit drei: Leonce bekommt keine von Beiden. Das stört ihn allerdings wenig, da er nur mit sich selbst beschäftigt ist. Für ihn ist das Leben weiterhin ohne jeden Sinn. Morgen will er den ganzen Nonsens von vorne beginnen. Leben


Gouvernante


Leonce


Lena


Valerio


Rosetta


Kรถnig Peter


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START LEONCE: MÜßIGGANG IST ALLER LASTER ANFANG

KÖNIG PETER: DER MENSCH MUSS

LEONCE: OH WER SICH EINMAL AUF

DENKEN UND ICH MUSS FÜR MEINE UN-

DEM KOPF SEHEN KÖNNTE! DAS IST

TERTANEN DENKEN, DENN SIE DENKEN

EINS VON MEINEN IDEALEN. ÜBERLAS-

NICHT. MEIN SOHN MUSS HEIRATEN.

SEN WIR DIE THRONFOLGE DEM ZUFALL, WIE VIELE SANKÖRNER WERDEN WOHL AUF MEINEM HANDRÜCKEN LIEGEN BLEIBEN?

EVENT USER-DEFINED PATHWAY DECISION POINT


,

LEONCE: KÖNIG SOLL ICH WERDEN?

LENA: IST ES DENN WAHR, DASS WIR

NEIN.

UNS SELBST ERLÖSEN MÜSSEN?

AH VALERIO, VALERIO, JETZT HAB´ ICH

WENN ICH DEN APFEL ÜBER DIE

ES, FÜHLST DU NICHT DAS WEHEN AUS

MAUERN WERFE WERDE ICH NICHT

SÜDEN? WIR GEHEN NACH ITALEN.

HEIRATEN, JAWOHL.


VALERIO: JETZT LAUFEN WIR HIER IN DER GRÖßTEN ÜBEREILUNG UND WARUM? WARUM? ICH VERSTEHE EUCH NICHT, ICH VERSTEHE EURE RESIGNATION NICHT. OB WIR UNS EIN BIER GENEHMIGEN SOLLEN?

LEONCE: SIE WEIß NUR DASS SIE MICH LIEBT. VALERIO: ABER WEIß SIE AUCH WER IHR SEID? NEIN? PRINZ ICH WERDE MINISTER WENN IHR HEUTE DIE UNBEKANNTE EHELICHT.

VALERIO: IHR WORT?

LEONCE: MEIN WORT.


ROSETTA: LASS UNS GEMEINSAM SO VIELES VERÄNDERN. WIR LASSEN ALLE PALÄSTE ZERSCHLAGEN.

ENDE

HOFPREDIGER: GERUHEN EURE HOHEIT

KÖNIG PETER: IN EFFIGIE, IN EFFIGIE,

PRINZ LEONCE VON REICHE POPO UND

DER MENSCH BRINGT MICH ZUR KON-

NISTER UND ES WIRD EIN DEKRET ER-

GERUHEN EURE HOHEIT PRINZESSIN

FUSION, ZU DESPERATION. ICH HATTE

LASSEN, DASS JEDER DER SICH KRANK

LENA VOM REICHE PIPI UND GERU-

BESCHLOSSEN MICH ZU FREUEN.

ARBEITET, SICH JURISTISCH STRAFBAR

HEN EURE HOHEITEN GEGENSEITIG,

VALERIO: UND ICH WERDE STAATSMI-

MACHT. UND DANN LEGEN WIR UNS

BEIDERSEITIG EINANDER ZU LIEBEN,

IN DER SCHATTEN UND BITTEN DEN

SO SPRECHEN SIE EIN LAUTES UND

HERRGOTT UM MELONEN UND EINE

VERNEHMLICHES JA.

KOMMODE RELIGION.

ROSETTA: OH MEINE MÜDEN FÜßE IHR MÜSST TANZEN...


Quellenangaben

Seite 4

http://www.academia.edu/207389/Die_Auflosung_der_linearen_Narration_im_Film http://www.ai.fh-erfurt.de/fileadmin/AI_Dokumente/Dokumente_der_Mitarbeiter/Mitarbeiter/Spierling/2005-NMI05___NonlineareDramaturgie_01.pdf

Seite 5

http://spiele.zweipunknull.de/content/nicht-lineare-erzählungen http://www.gamestar.de/spiele/risen-2dark-waters/news/making_games_report,46392,2563100.html

Seite 6

http://auth-sim.simulationsraum.de/wp-content/uploads/2007/12/postmoderne.pdf http://de.wikipedia.org/wiki/Memento_(Film) http://www.uni-leipzig.de/fachdidaktik-germ/ uploads/Hausarbeit%20Memento.pdf

Seite 7

http://de.wikipedia.org/wiki/Lost_(Fernsehserie)#Staffel_5:_Weitere_Zukunftsausblicke_und_nichtlineare_Inselhandlung http://de.wikipedia.org/wiki/Nonlinearer_Videoschnitt http://www.spiegel.de/kultur/tv/lost-finalegrosses-epos-kleines-glueck-a-696584.html http://www.spiegel.de/kultur/tv/ende-derletzten-lost-staffel-welche-raetsel-wurden-wiegeloest-a-696571.html http://de.wikipedia.org/wiki/Das_Ende_(Lost)

Mash-up

CNN_Sept_11_live Nine Inch Nails - Capital G Black Lanter - George Bush don´t like black people Rage against the machine - Killing in the name of Pink Floyd - Another brick in the wall


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Impressum Dieser Prospekt entstand als Teil einer Masterarbeit 2013 an der Hochschule Trier – University of Applied Sciences unter der Leitung von Prof. Babak Mossa Asbagholmodjahedin.

© 2013 Cora Lieselotte Bürschinger IDEE, KONZEPT & GESTALTUNG FORMAT PAPIER SCHRIFTEN DRUCK BINDUNG

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Alle Rechte vorbehalten.


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