DER HIRTE UND DER STERN BELLA LUI
DER HIRTE
UND DER STERN BELLA LUI EINE LEGENDE VON CRANS-MONTANA , WALLIS, SCHWEIZ
Illustrationen und Layout: Denis Kormann www.deniskormann.com ©Crans-Montana Tourismus & Kongress, 2019
L
éon ist der jüngste Hirte von Crans-Montana. Er ist ein gutaussehender, mutiger und einsamer, junger Mann. Léon lebt sehr bescheiden und nur seine Tiere und die Sterne leisten ihm Gesellschaft. Es ist vorallem einer dieser Sterne, der seine Aufmerksamkeit auf sich zieht. Er leuchtet heller als die anderen Sterne und scheint am Berggipfel zu schweben. Léon liebt es, nach seinem Arbeitstag den Stern vom Fenster seiner Alphütte aus zu beobachten. Manchmal vertraut er sich dem Stern sogar an und erzählt ihm von den Abenteuern mit seinen Tieren oder von den Ereignissen seines Lebens als Bauer. Er weiss, dass die Sterne über seine Herde wachen, wenn es in den Alpen dunkel wird.
Eines Abends im Dezember, als Léon gerade ins Bett gehen will, durchbricht ein dumpfer Schlag die Stille. Es ist die alte Holztüre der Alphütte, die wegen des starken Winterwindes zu tanzen beginnt. „Blanche!“ schreit er. Zweifellos flüchtete sein Schaf, das ihm so lieb und teuer ist, in die dunkle, eisige Nacht. An Schlaf war nicht mehr zu denken. Der Hirte, der die Berge gut kennt, weiss genau, dass Blanche ohne seine Hilfe nicht überleben wird. Schnell zieht er sich seinen langen Mantel an, springt in seine Stiefel, greift nach der Laterne und macht sich auf die Suche nach seinem Schaf.
Den schrecklichen Windböen trotzend, kämpft er sich durch den tiefen Schnee. Der Wind wird zehnmal stärker. Er hört ihn durch die Zweige der hohen Lärchen heulen, die beinahe brechen. Mit dem Rücken gegen den Sturm, den Kopf zwischen den Schultern eingezogen, wird Léon immer kleiner und kleiner. Er kommt nur mühsam voran und muss all seine Kräfte mobilisieren. Mit seinem ausgestreckten linken Arm versucht er, wie mit einem Schild, die Windböen abzuhalten. Das Eis bedeckt bereits seinen buschigen Bart. Als er aufgrund des Windes stehenbleibt, versucht er, so gut es geht, die zarte Flamme der Laterne zwischen seinen Handflächen zu schützen. Er weiss ganz genau, dass er verloren ist, wenn die Flamme erlischt.
Nach stundenlanger Anstrengung wird die Flamme von einer heftigen Böe ausgeblasen und überlässt den Hirten seinem eigenen Schicksal. Er macht sich daran, die Sterne zu suchen. Sie sind seine einzige Hoffnung, den Heimweg zu finden. Aber in jener Nacht schweigt der Himmel und antwortet nicht auf seine Rufe. Erschöpft und abgeschieden schwinden seine Kräfte. Er versucht, um Hilfe zu rufen, aber seine Rufe gefrieren an seinen eisigen Lippen. Diese Nacht ist gnadenlos.
Plötzlich blendet ein geheimnisvolles Licht den Hirten. Langsam hebt er seinen Kopf und kann seinen Augen nicht trauen. Über ihm erscheint eine lange Sternengirlande, die sich auf dem schneebedeckten Boden niederlässt und einen Weg bildet. Erstaunt beschliesst der Hirte, dem Licht zu folgen, geleitet von neuer Hoffnung. Am Ende des Weges sieht er seine Alphütte unter den hohen Bäumen. Léon hält an und sein Blick schweift über die Gegend. Er ist beeindruckt von der grossen Stille um ihn herum, die ihn vor dem Sturm zu schützen scheint.
Dann entdeckt er sein Schaf, das am knisternden Feuer liegt. Es schläft ganz friedlich. Erstaunt geht er zu ihm hin. Dort sieht der Hirte durch die tanzenden Flammen hindurch eine seltsame Silhouette. Er geht um das Feuer herum und blinzelt sprachlos in einen weichen und gleichzeitig kraftvollen Blick. Diese Lichtgestalt schaut ihn ruhig an. Ihre Augen sehen aus wie zwei Sterne, die die Dunkelheit erleuchten. Der junge Mann, erstaunt vom Strahlen ihres Kleides, wird von dieser magischen Erscheinung hypnotisiert.
„Mach Dir keine Sorgen“, sagt sie ruhig. „Ich bin Bella Lui, der Stern, dem Du Dich jeden Abend anvertraust. Ich wache über Dich schon seit vielen Jahren. Als ich sah, dass Du verloren bist, eilte ich Dir zu Hilfe, damit Du den Weg zurück finden konntest“. Bevor Léon überhaupt ein Wort sagen kann, fliegt der Stern mit seinem schönen, funkelnden Kleid dem Himmel entgegen. Hier erstrahlt er wieder über dem Berg.
Seit diesem Tag wissen die Dorfbewohner, dass die Sterne ßber sie wachen. Deshalb folgen sie im Dezember dem Weg der Laternen, um ihre Träume dem Bella Lui Stern und allen anderen Sternen, die dort oben am Himmel leuchten, anzuvertrauen. ENDE
Schon seit langer Zeit wird eine geheimnisvolle Geschichte von Generation zu Generation weitergegeben, welche die Grossen und die Kleinen träumen lässt. Man erzählt sich, dass sich eines Abends im Dezember, oberhalb von Crans-Montana, ein Hirte, dem nur seine Tiere und die Sterne Gesellschaft leisteten, auf die Suche nach seinem geliebten Schaf Blanche machte. Nach stundenlangem Suchen, dem Schnee, dem eisigen Wind und der Dunkelheit trotzend, wurde er plötzlich von einem starken Licht geblendet, das vom Himmel kam. Er geht dem Licht entgegen und entdeckt eine seltsame Erscheinung…