curt Magazin München #71 // Die zeitmaschinierte Ausgabe

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curt Stadtmagazin münchen # 71 // März – mai 2012

cur t Stadtmagazin münchen # 71 // märz – Mai 2012

die zeitmaschinierte Ausgabe


Das Münchner Stadtmagazin curt zeigt Höhepunkte der vergangenen 70 Ausgaben: Eine Retrospektive, die zahlreiche Fotografien, Illustrationen sowie ungezeigtes Archiv-Material umfasst. Zur Vernissage am 03. März wird die druckfrische # 71 vorgestellt und mit einer fulminanten Releaseparty gefeiert. 03. März // Vernissage // 17– 22 Uhr // Lesung curt # 71 // Live: Die Giftmischer (Rumpelmusi, Polka) 04. März // Smooth Sunday // 16–19 Uhr // mit Musik von COEO 09. März // F!F!F! Freitag! Feierabend! Freude! // 18–22 Uhr // Live: Ragamatic (Classic India & Electro) 10. März // Der Weinbrandt rät // Lesung + Weindegustation // 17–22 Uhr // Live: Minnaloushe (Funk, Jazz) 11. März // Smooth Sunday // 16–19 Uhr // mit Musik von COEO 16. März // F!F!F! Freitag! Feierabend! Freude! // 18–22 Uhr // Live: g.e.f (Garage, Electronica, Fuzz) 17. März // 17–22 Uhr // Live: Everyday History (Indiemetalblues) 18. März // Smooth Sunday // 16–19 Uhr // mit Musik von COEO 23. März // F!F!F! Freitag! Feierabend! Freude! // 18–22 Uhr // Live: The Universe (FunkAlternativeRock) 24. März // Finissage // 17– 22 Uhr // Over & Out! Live: Getting Private in Public (IndieFolk)

70 PLUSEINS // 03. bis 24. März // Farbenladen // Hansastraße 31 www.curt.de // facebook.com/curt.muenchen // Eintritt frei!


Vorwort Immer wenn mir jemand erzählt, früher wäre alles besser gewesen, werde ich stutzig. „So im Krieg“, frage ich dann, „oder noch früher, als man seine Nahrung unter Lebensgefahr selber jagen und ausweiden musste?“ Ich finds heute ehrlich gesagt ganz in Ordnung. Könnte besser sein, aber auch wesentlich schlechter. „Nö, nö“, heißt die Antwort immer, „so mehr in unserer Kindheit: weniger Schrott im Fernsehen, in den Supermärkten gabs kein Überangebot und dann die Globalisierung! Mann, unsere Welt geht einfach den Bach runter …“ So in der Art. Mal kurz nachgedacht … MacGyver zeigte uns, wie man aus einem Luftballon, einer Gabel und einem Tropfen Schweiß einen Mini-Atomreaktor baut. Nicht schlecht, aber nutzlos. Colt Seavers nahm Anlauf und flog mit seinem Pick-up-Truck über mehrere Autos, landete senkrecht auf der Motorhaube und fuhr in der nächsten Einstellung ohne eine Delle im Lack weiter (als ich das in meiner zweiten Fahrstunde versuchte, habe ich mir noch vor meinem Führerscheinerwerb ein zweijähriges Fahrverbot eingehandelt) und bei „Knight Rider“ ging es um ein sprechendes Auto, das durch die Gegend fuhr und über eine Armbanduhr mit seinem Herrchen redete. Langweilig. Dank der „Sopranos“ wissen wir, dass Mafiabosse Panikattacken haben können wie jeder andere Mensch auch. Walter White, der Lehrer in der Serie „Breaking Bad“, brachte uns bei, wie jeder sein eigenes Meth-Labor einrichten und ein kleines Drogen-Start-up aufziehen kann, wenn er mal in einer finanziellen Notlage steckt, und die „Transformers“ sind zwar auch sprechende Autos, sie können sich aber zusätzlich noch in Roboter verwandeln. Nicht langweilig. Ein Punkt für das Jetzt also. Weiter. Wenn mich die heutige Auswahl im Supermarktregal überfordert, kann ich einfach in einen Dritte-Welt-Laden gehen: Dort gibt es jedes Produkt in exakt einer, fair gehandelten Variante. Das kann ich mir dann kaufen oder es bleiben lassen. Wenn ich aber gerne verschiedene – sagen wir mal – Käse-, Pasta- oder Schokoladensorten ausprobieren will, habe ich heute zumindest die Möglichkeit dazu. Ich habe die Wahl und fühle mich daher im Jetzt deutlich besser aufgehoben. Zweiter Punkt für Heute. Und Globalisierung hat es auch schon immer gegeben, über sie wurden Waren und Menschen in der ganzen jeweils bekannten Welt gehandelt und verteilt. Salzhandel: gut; Sklavenhandel: böse. Es kommt also darauf an, was man daraus macht. Bam! Noch ein Punkt für das Jetzt. Dann sagt das Gegenüber meist so etwas wie: „O.k., aber (wahlweise) das Glockenbachviertel/der Prenzlauer Berg/die Speicherstadt waren früher nicht so totsaniert und einfach viel cooler.“ „Stimmt natürlich“, antworte ich dann immer. „Aber was mussten du und deine kreativen Freunde da auch hinziehen? Wärt ihr in Giesing/Charlottenburg/Bergedorf geblieben, wäre das nicht passiert, so schauts aus.“ Also, Klappe halten und nach vorne schauen. Für eine bessere Zukunft, euer Thomas


curt Nr. 71 Die zeitmaschinierte Ausgabe 04 // zufallsgenerator Für was ist die Zeit in München reif?

36 // Bericht Golden Twenties

62 // LEsestücke T.C. Boyle // Karl Valentin Comic

06 // Bericht 100 Jahre Großmarkthalle

40 // Das Ö-team on tour Die historische Biertour

64 // Münchner details Luc und die Seenotfackel

12 // im Vergleich Alte Sprache vs. neue Sprache

44 // Bericht Abba Naor

80 // curt stellt vor Maximilian Brückner

14 // Münchner Details Unser München: damals und heute

48 // zeit Ist dein Leben 2.0 entspannt?

84 // der weinbrandt rät Wein-Zeitreise

26 // Münchner Details Glockenbach

50 // Musik Präsentationen // Deichkind // Alben-Rezis // Fiva und das Phantom Orchesta // Sputnik Spring Break Festival // Everyday History // Balloon Pilot // Well-Geschwister // Helge Schneider

86 // im ausland Dubai

30 // kino Gabriel Filmtheater 34 // Waschdls grantnockerl

92 // Selbstversuch curt testet Hellseher 96 // hinten raus

cover # 71 Die Aufnahme von 1839 zeigt die Türme der Frauenkirche in München und ist die erste in Deutschland gemachte Daguerreotypie von Carl August von Steinheil und Franz Ritter von Kobell. Die Daguerreotypie ist ein spezielles Fotografie-Verfahren aus dem 19. Jahrhunderts, das bereits zu Beginn der Fotografiegeschichte einen hohen Standard begründete, an dem sich alle späteren Verfahren messen lassen mussten. Lieber Franz, hab vielen Dank für die großartige Aufnahme! Wir werden dich demnächst an deinem Franz-von-Kobell-Denkmal in Haidhausen in der Nähe des Maxmonuments besuchen kommen und befreien dich von Vogelschiss und Schnee.

Ich will Abo!

4 x im Jahr curt druckfrisch nach Hause geschickt bekommen. Hurra! Einfach E-mail mit Postanschrift an ichwillabo@curt.de mit Betreff „abo“.


TÄGLICH FRISCH ! 8/6@3 ;s<16<3@ 5@=AA;/@9B6/::3 # 430@C/@ # 8C:7 ;s<16<3@ AB/2B;CA3C;

MARKTHALLEN MÜNCHEN


4 curt // zufallsgenerator

.. .. Wofur ist die zeit in Munchen reif?

interviews und Fotos: verena vötter

Die Zeit ist reif für eine neue Unterführung im Englischen Garten. Gänse-Heinrich, 65 Jahre


Nahverkehr zu fairen Preisen wie in Mailand, London oder Paris. Til, 21 Jahre

Veränderung in den Köpfen der Menschen. Eva Sophia, 23 Jahre

Ich möchte auf Ü50-Partys gehen können und nicht immer nur auf Ü30. Robert, 56 Jahre

Es ist an der Zeit für Currywurst! Franziska, 18Jahre // Clara, 17 Jahre

Hundesitting-Plätze, während mein Frauli einkaufen geht, damit mir nicht so langweilig ist. Moritz, 7 Monate


6 curt // 100 jahre groSSmarkthalle

Nabelflusen in Sendling oder 100 Jahre GroSSmarkthalle


GroSSmarkthalle München // um 1915 // © Stadtarchiv München, Fotosammlung

Der Buddhist sagt ja gerne, dass Alles mit Allem zusammenhängt. Der Historiker sagt: Es gibt kein Kontinuum von Raum und Zeit. Ich sage: Hätte die Stadt München nicht 1912 die Großmarkthallen an der Thalkirchner Straße eröffnet – mein Leben wäre mit Sicherheit anders verlaufen. Eine zufällige, kaprioleske Zeitreise durch 100 Jahre (m)einer Geschichte im Schatten der Großmarkthalle. TEXT: BOB PFAFFENZELLEr


8 curt // 100 jahre groSSmarkthalle

Münchner GroSSmarkthalle //1913 // Aquarell // © Münchner Stadtmuseum

Die Ankunft // Am 11.11.2001 bin ich nach Sendling gezogen, an den Gotzinger Platz. Mitten hinein zwischen die inquisitorische Kreuzigungsgruppe an der Ostfassade von St. Korbinian und das weltläufige Areal der Großmarkthalle gegenüber. Ich kam nach Sendling, weil ein Freund zur letzten Jahrtausendwende bei fröhlich-plätschernden FreibadSpielen im Südbad neue Seiten seiner Sexualität entdeckte und sich von seiner langjährigen Freundin trennte. Damit war eine günstige Altbauwohnung in Sendling frei. Zufall? 2012: Schicki-Schrecken // Die Süddeutsche Zeitung konstatiert: „Es machen Agenturen mit Milchglasfenstern dort auf, wo Obst und Gemüse verkauft wurden. Es finden in Schwarz und Weiß gehaltene Cafés ein Publikum, wo Eckkneipen und Pizzerien dominierten. Es werden Baulücken geschlossen und Wohnungen beworben mit der Lage im ‚In-Viertel Sendling‘. (...) Altbauten werden saniert und an Menschen vermietet, die sich das leisten können. Die anderen werden verdrängt.“ Zufall? 1912: Die Namensgebung // Casimir Funk, ein polnischer Biochemiker und Menschenfreund, erfindet 1912 die Vitamine. Zumindest erfindet er den Namen: zusammengesetzt aus lateinisch „Vita“ für Leben und die chemische Verbindung „Amin“. Im gleichen Jahr eröffnet die Großmarkthalle als Umschlagplatz für vitaminreiches Gemüse und Obst in München. Zufall? 1912/2003: Es wird enger // 2003 treibt mich ein lästiger, nicht enden wollender Husten zu meinem Hausarzt, der seine Praxis umweht von der freiheitlichen Großmarkt-Luft hat. Seine Diagnose: Rasselt wie zwei Schachteln Zigaretten


Werbemarke des FruchtgroSShändlers // Cornelio Joris, München, um 1920 © Münchner Stadtmuseum

pro Tag. Im Zuge selektiver Psycho-Wahrnehmung fällt mir bald darauf eine Veröffentlichung der Initiative „Nichtraucher in München“ (NiM) auf: „Inmitten von Obst- und Gemüsekisten qualmten die Händler.“ Man befürchtet eine „nachteilige Beeinflussung der Lebensmittel durch Rauchen“ und fordert: „Alle Mitglieder, die in der Großmarkthalle einkaufen: Informieren Sie die NIM über Ihre Rauch-Wahrnehmungen (Tag, Uhrzeit, Stand usw.)!“ Und 1912? Die Produktion von Zigaretten in Deutschland stieg von 60 Millionen in den 60er-Jahren des 19. Jahrhunderts auf 11,5 Milliarden im Jahr 1912. Dabei rauchten 80 % aller deutschen Männer und 20 % aller Frauen. Seit ich neben der Großmarkthalle wohne, rauche ich wieder. Zufall? 2002: Eine Erklärung // Wenn nach stadtläufiger Meinung der Schlachthof der Bauch Münchens ist und Sendling der Nabel der Stadt – ist dann die Großmarkthalle der Nabelflusen Münchens? 2002 erhält Karl Kruszelnicki von der Universität Sydney den IgNobelpreis für interdisziplinäre Forschung: „Warum, wie, bei wem und wie stark sammeln sich eigentlich Flusen im Bauchnabel?“ Und ich frage: Warum sammeln sich alle Flusen Sendlings ausgerechnet bei mir? Zufall? 1961: Fremde I // Der 30.Oktober 1961 ist ein historisches Datum: Ein Zug aus Istanbul bringt die ersten türkischen Arbeitnehmer nach München. Sie müssen sich in einem Bunker unter dem Hauptbahnhof sammeln, erhalten eine Arbeitsbescheinigung und werden auf bedürftige Arbeitgeber verteilt. Natürlich auch zum Großmarkt. Deren Nachkommen gehören wohl zu den Unternehmern, die laut Statistik heute fast ein Viertel der Arbeitsplätze in Sendling schaffen: im Großhandel im Schatten der Großmarkthalle.


10 curt // 100 jahre groSSmarkthalle

GroSSmarkthalle München // 2011 // © Daniel Schvarcz, München

Ca. 2000: Fremde II // Um das Jahr 2000 herum kommen weitere Zuwanderer mit einer Lieferung Zitrusfrüchte aus Südeuropa an: Mauereidechsen. Sie fühlen sich wohl in München, siedeln sich im Bereich der Großmarkthalle, des Südbahnhofs und des Viehhofs an, vermehren sich – und stehen in ganz Europa unter Artenschutz. Und bewirken, dass ab 2003 laut Gesetz bei allen Veränderungen im Großmarkt-Areal ihre Reptilien-Belange berücksichtigt werden müssen. Ab 2005: Fremde III // Nachbarn von mir starten eine Unterschriftenaktion gegen die geplante Moschee im BermudaDreieck Gotzinger Platz. Die Bedenken der Anwohner: zu erwartende Parkplatzprobleme. Meine Antwort: Was gibts gegen einen potenziellen Märtyrer zu sagen, der keinen Parkplatz findet ... Zufall? Zeitloser Exkurs: Stoffwechsel // Die Arbeit in den Großmarkthallen war schon immer hart und ist heute noch hart. Um 2 Uhr morgens ist Arbeitsbeginn. Abladen, schleppen, aufbauen, verkaufen. Um 7 Uhr öffnet die Gaststätte zur Großmarkthalle, die seit 100 Jahren die Handlanger vegetarischer Kost verköstigt. Eine Auswahl aus einer beliebigen Tages-Speisekarte: Kalbsbeuscherl, Ochsenbrust, Ochsenschwanzragout, Rahmhackbraten. Anfang 2010 beschließe ich, mich künftig vegetarisch zu ernähren. Zufall? 2005: Tafelfreuden // 2005 treten die Bestimmungen von Hartz IV in Kraft. Sie legen fest, was ein Mensch zum NichtVerhungern in unserer Konsumgesellschaft braucht. Ab 2005 meldet die Münchner Tafel, die ihren Sitz am Münchner Großmarkt hat und von den Händlern und Betreibern unterstützt wird, einen sprunghaften Anstieg der Bedürftigen in München. Heute versorgt die Tafel München 18.000 bedürftige Menschen mit der Hilfe von 400 ehrenamtlichen Helfern, 20 fest angestellten Mitarbeitern, 16 Lieferwagen. Sie verteilen jährlich rund 100 Tonnen Lebensmittel an Menschen, die neben uns wohnen. Zufall? 2012: Die Zukunft // Die Gebäudesubstanz der Großmarkthallen ist marode. Es regnet durch die Dächer, die Logistik des 100 Jahre alten Areals ist weder funktional noch wirtschaftlich für den modernen Großhandel geeignet, nach Ansicht der Städteplaner „zergliedert“ die Großmarkthalle das Viertel Sendling. Ein Lebensmittelkonzern will im süd-


westlichen Teil des Areals ein – konkurrierendes – Logistikzentrum errichten. Eine Kommission soll bis Mitte 2012 ein Konzept zur „Zukunftssicherung“ der Großmarkthallen erarbeiten. Der Gedanke dahinter: „Nicht zuletzt wegen der Großmarkthalle war Sendling bislang ein unterbewertetes Viertel, das durch die anstehende Sanierung, Bebauung und Öffnung des riesigen Marktgeländes deutlich an Attraktivität gewinnen kann.“ Zufall? Sommer 2002: Das erste Mal // Im Sommer 2002 wollte ich bei einer Bekannten Eindruck schinden und ging mit ihr zum Tag der offenen Tür der Großmarkthalle – mein erster Besuch auf dem Gelände. Gegen 12.30 Uhr ließ sie mich vor einem Stapel Melonen in einer der Hallen stehen – nach einer zotigen Bemerkung von mir über die süß-prallen Früchte, leider hatte sie nicht die Größe dafür. Ich habe sie seitdem nie wieder gesehen. Scheiß Großmarkthalle, wären wir doch lieber ins Schlachthofviertel gegangen. Mein, unser Leben hätte anders verlaufen können ...

Täglich frisch! 100 Jahre Münchner GroSSmarkthalle // AUSSTELLUNG Für alle, die alle anderen Geschichten hinter der Geschichte der Münchner Großmarkthalle wissen wollen: Das Münchner Stadtmuseum präsentiert eine äußerst kenntnisreiche und bis ins Detail liebevoll recherchierte Ausstellung von den Anfängen bis heute. Noch zu sehen bis zum 15. Juli 2012 im Münchner Stadtmuseum. 31 Hektar Fläche, rund 400 Unternehmen, 3.000 Mitarbeiter, geschätzte 1,5 Milliarden Euro Jahresumsatz, Versorgungszentrale für rund 5 Millionen Menschen: Die Münchner Großmarkthalle ist eine effiziente Distributionsmaschine. Und den Münchnern weitgehend unbekannt, weil sie nur zugelassenen Kunden zugänglich ist. Die Ausstellung im Stadtmuseum bringt den Münchnern diese abgeschiedene Welt näher: mit einem Streifzug durch 100 Jahre Geschichte, vielen Exponaten auch aus dem Alltagsleben. Sie erzählt von Händlern, Kunden, Erzeugern und vor allem von der Bedeutung der Großmarkthalle für die Entwicklung Münchens.


12 curt // der vergleich

Alte Sprache Ich nehme folgende Bekanntmachung am Schwarzen Brett in Augenschein und fühle mich postwendend eklatant enthusiasmiert: „Das Seminar Zeitreisen für Fortgeschrittene findet am vergangenen Sonnabend statt.“ Eine solch fabelhafte Flause könnte auf meinem meschuggen Mist gewachsen sein. Jene blitzgescheiten Eierköpfe treffen genau ins Schwarze. Verflixt und zugenäht, momentan geht doch jedwedes den Bach herunter. Das vermag ich mit Fug und Recht zu behaupten. Inmitten des Mesozoikums, als mein geleckter Großpapa gemeinsam mit mir, einem Dreikäsehoch von lästigem Lausbub, auf dem Rücken eines Dinosauriers im Sauseschritt zur Maloche auf dem Feld preschte – ja damals, da gab es noch Tugenden. Der Olle räsonierte: „Iss deinen Teller leer, sonst scheint morgen keinen Deut die Sonne!“ Ich, der weiland einen Tacken im Oberstübchen besaß, nahm mir seine rüffelnde Bauernschläue gelinde zu Herzen. Aber was ist die heutige Moral von der Geschicht? Treibhauseffekt und adipöse Pennäler! Derweil fahren unsere

werten Volkszertreter mit ihrem Kokolores den Karren an die Wand. A jour steuern wir in konstanter Marschroute gen Orkus, gleich törichter Ratten, die der sinkenden Schaluppe entgegenschwimmen. In puncto Frauenzimmer fügte sich obendrein alles um einiges pläsierlicher. Was Beziehungskisten angeht, leistete ich ehedem als neckischer Kavalier und gewiefter Sittenstrolch pompöse Pionierarbeit. Allmählich beschleicht mich jedoch frappantes Fracksausen. Völlig ausgeschlossen, dass ich mich schon zum alten Eisen zähle. Ich bin eine gesunde Mischung aus grün hinter den Ohren und jemandem, der gleichwohl etwas auf dem Kerbholz hat. Existiert in derartiger Form quasi nur bei saloppen Straßendirnen. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Wer zu früh kommt, den rügt die Gemahlin. Und wer auf den Hund gekommen ist, sollte schni-schna-schnappi unbedingt auf sein kostbares Gemächt achtgeben. Diesbezüglich bin ich in der Lage, en masse aus dem Nähkästchen zu plaudern. Nach drei Dekaden Ehejoch gestattet mir meine einstige Herzensdame und aktuell keifende Zimtzicke nur alle Jubeljahre Schäferstündchen. Wenn sie nicht mit offener Schnute auf der Chaiselongue schnarchen würde, gelänge mir gar kein goldener Schuss mehr. Zur Stunde befinde ich mich auf einer ausgedehnten Geschlechtsreise und mache Anstalten, jede sich mir bietende Opportunität resolut auszuschöpfen: blutjunger Mauerblümchensex, karitatives Beschlafen einer vorsintflutlichen Knutschkugel oder es einfach mal mit einem schnieken Schindluder zu treiben.

TEXT: Christoph brandt // ILLUS: karin teutsch


der Vergleich // curt 13

Neue Sprache „Bombe!“, so dachte ich bei mir, als ich so baaam, ganz plötzlich, meine Fake-Gun aus dem Mantel zog und damit die kühne Kassiererin an der Supermarktkasse triggerte. Mein Bankaccount hatte einen Upgrade dringend nötig.

Whatever. Wenig später, ich hatte die Tacken in die Tengelmann-Travelpussy gepackt, sprang ich mit Megaspeed aus dem Supermarkt. Dann der Crash – baaaam, voll der Bitchmove, Alder. „Aus dem Weg, Honey!“, rief ich dem getunten Toastie im Trainingsanzug zu.

„Her mit der Knete, aber hurry up, baby!“

„Chill dich mal!“, sie so mit einer kinky Falte auf der Stirn. Dann stand sie wieder auf. Ich war so richtig on fire, hatte voll den Achselterror. Aber der Hike war fast geschafft. Ein krasser Turn über den vereisten Bürgersteig und, woooooh, Touchdown!

Es flashte mich kurz, als ich mich so als sicken Kriminellen meine Forderung aufsagen hörte. Aber vom Feeling her hatte ich auch das Gefühl, dass das kaugummikauende Chick hinter mir mich übelst abfeierte. Hart nice – auf jeden hätte ich die bei Facebook geaddet! „So what?“, ich so ein bisschen aggro zu der lamen Lady an der Kasse. „Halloooo ...? So ein Überfall kurz vor Ladenschluss – geht ja wohl gaaar nicht!“ – ganz schön tough, das Babe, ey.

TEXT: Martin EMMERLING

Ich zückte den Schlüssel und scannte die Gegend rund um Weber-Max-Platz. Dann snakte ich easy in die Tiefgarage und ich dachte mit meinem Brain nur so: „Bombe, niemand hat mich bis hierhin angepisst. Jetzt mach Banane durchs Treppenhaus zu meinem Buddy ins Nest!“ Oben angekommen, habe ich erst mal ganz nice ein paar Stunden gechillt, dann gings ab nach Malle. Auf sure, die Cops würden mich niemals ficken.


14 curt // m端nchner details

.. Unser Munchen damals und heute alte aufnahmen: Wikipedia // aktuelle fotos: Achim Schmidt // auswahl und Bearbeitung: Michael Dengler

Sendlinger tor // 19. Jahrhundert


Sendlinger tor // 2012


isartor // zwischen 1890 und 1905

Residenzgarten // etwa 1914


isartor // 2012

residenzgarten // 2012


18 curt // m端nchner details

Wittelsbacherbr端cke // 1900

Bavaria // zwischen 1890 und 1905

Bavaria // 2012


Wittelsbacherbr端cke // 2012

Bahnsteighallen des Hauptbahnhofs // um 1912

Bahnsteighallen des Hauptbahnhofs // 2012


20 curt // m端nchner details

Odeonsplatz mit Feldherrnhalle und Theatinerkirche // zwischen 1860 uand 1890


Odeonsplatz mit Feldherrnhalle und Theatinerkirche // 2012


kaufingerstraSSe // Blick auf die Jesuitenkirche St. Michael // 19. Jahrhun

Gebsattelbr端cke // 1901


kaufingerstraSSe // Blick auf die Jesuitenkirche St. Michael // 2012

Gebsattelbr端cke // 2012


24 curt // m端nchner details

marienplatz // sicht auf das Alte Rathaus // zwischen 1890 und 1905


marienplatz // sicht auf das Alte Rathaus // 2012


26 curt // münchner details

Das glockenbach ist tot Lang lebe das glockenbach! Na toll! Ich wohne in einer Leiche! Findet jedenfalls die Redaktion. Man sei sich einig, dass das Glockenbachviertel eigentlich tot ist, ließ man mich wissen. Aha. Trotzdem soll ich etwas darüber schreiben. Nochmal: Aha. Tja, ist halt eine schöne Leich’, in der ich mich seit fast 20 Jahren kuschelig eingerichtet habe. Damals war die Isarvorstadt noch ein heruntergekommenes Flittchen – grell geschminkte Fassaden überdeckten dreckige Löcher. Letztere findet man heute kaum noch, dafür noch grellere Fassaden, in denen sich die ganzen nerd-bebrillten Bionade-Spießer samt ihrer dauerträchtigen Muttertiere auf lactosefreier Latte-Macchiato-Jagd tummeln … Ach, sorry, vergaß ja ganz, dass ich bittebittebitte auf gar keinen Fall was über die Gentrifizierung schreiben soll! Über die regen sich sowieso meist die auf, die selbige vorantreiben.

Freddie Mercury war aber kein Pionier. Kurz vor ihm hat Rainer Werner Fassbinder die Partytauglichkeit des Viertels unter Beweis gestellt. Auch er kam und blieb der Liebe wegen. Fassbinder verknallte sich in Armin, den hübschen Schankkellner in der Deutschen Eiche. Um ihm möglichst nahe sein zu können, mietete sich der Regisseur im Haus gegenüber eine Wohnung – ja, genau die, die später berühmt-berüchtigt wurde wegen ihrer beiden Badewannen, wobei nur die eine, die nicht-goldene, für die körperliche Grundreinigung gedacht war. Fassbinder machte die Eiche zu seinem Wohnzimmer, feierte hier die Bergfeste seine Filme, also die Halbzeit, wenn der Film halb fertig war. Und er drehte sogar einige Szenen in der Eiche. Aufmerksame Gäste erkennen sie z. B. in „Lili Marleen“ wieder. Ihn störte herzlich wenig, dass ihn die alte Wirtin hasste und immer, wenn er samt Anhang auftauchte, sich aus Protest mit ihren Stammgästen in den Keller verzog. Und die alte Wirtin störte herzlich wenig, dass nun Weltstars in ihrer Wirtschaft verkehrten. Künstler und große Namen kamen nämlich schon vorher. Curd Jürgens zum Beispiel mietete sich regelmäßig ein Zimmer im zugehörigen Hotel – das wegen der

TEXT: MARTIN ARZ // FOTOS: Harry Baer

Also, noch mal von vorne, back to the roots. Zurück zum Flittchen, mit dem man sich so gut amüsieren konnte. Freddie Mercury hats getan und auch Albert Einstein und Rainer Werner Fassbinder sowieso – und dann gabs da noch einen gewissen Adolf Hitler. Ach, und Brad Pitt nicht zu vergessen. Letzterer ist in seiner Zeit, als er mit der Münchner Regisseurin Katja von Garnier liiert war, immer ins Makassar im Schlachthofviertel. Doch das ist nur eine der unwichtigeren Promi-Anekdoten. Einer der berühmtesten Gast-Isarvorstädter ließ es in den 1980ern richtig krachen: Queen-Sänger Freddie Mercury verliebte sich einst in einen Gastwirt und zog ins Viertel, genauer gesagt in die Hans-Sachs-Straße, wo er mit seiner Busenfreundin, der Schauspielerin Barbara Valentin, und willigem Partyvolk die Nacht zum Tag machte. 1986 bescherte er München die „Mutter aller Partys“, wie es die BBC später nannte. Mercury feierte nämlich seinen 40. Geburtstag im Old Mrs. Henderson (heute das Paradiso) in der Müllerstraße. Alle Männer mussten entweder im Fummel oder als Lederkerl kommen, dazu

grell geschminkt. Die Farbvorgaben: Schwarz und Weiß. Ebenfalls mit dabei: die skandalerprobten Musiker von Frankie Goes To Hollywood. Freddie Mercury filmte die wilde Geburtstagssause und bastelte später daraus das Video zu seinem Hit „Living on my own“. Die BBC boykottierte bis in die 90er das Video, Münchner Transen und Lederkerle waren einfach zu heftig für das britische Publikum. Wenn man es sich heute auf YouTube anschaut, denkt man sich höchstens: Goldig. Musikalischer Hinweis am Rande: Freddie Mercury und Queen nahmen ihre wichtigsten Gruppen- und Solo-Alben in München auf. Partytechnischer Hinweis am Rande: Häufiger Gast im Viertel war in jenen Jahren auch David Bowie, den seltsamerweise alle immer nur mit Berlin in Zusammenhang bringen.


Freddy Mercufy in der Deutschen Eiche // mitte der 80er


28 curt // münchner details

Blumentapete „Rosenzimmer“ genannte –, um sich dort diskret mit Damen zu treffen. Donna Summer mietete sich regelmäßig ein, Maria Schell, Franz Beckenbauer … Die Gästeliste liest sich wie das Who is Who der Nachkriegszeit.

gewesen sein soll, ist nichts Neues und bestimmt nichts, worauf die Szene stolz wäre. Jedenfalls ließ Hitler seine ersten knackigen Jungs, seine Schlägertrupps, auf dem Gärtnerplatz das Marschieren üben. Völlig unbehelligt von den (zu einem Großteil jüdischen!) Viertelbewohnern.

Die meisten kamen wegen der legendären Faschingsfeiern und einige wegen der leichten Mädchen – jawohl, ihr Ahnungslosen, die Isarvorstadt war bis Anfang der 1970er ein berüchtigtes Rotlichtviertel mit Stripschuppen, Bordellen und einem lebendigen Straßenstrich an der Müllerstraße, bis dann München im Zuge der Olympischen Spiele die Gehsteige hochklappte und verspießte. Viele kamen aber wegen der jungen hübschen Männer, meist Tänzer vom Gärtnerplatztheater, die die Eiche schon immer zum Treffpunkt der schwulen Subkultur gemacht haben. Ob das einer der Hauptgründe war, warum sich der größte Massenmörder der deutschen Geschichte regelmäßig hier aufhielt? Adolf Hitler hatte Anfang der 1920er-Jahre um die Ecke, in der Corneliusstraße 12, sein Parteibüro eingerichtet und kam oft in die Eiche. Ob es für ihn, den Vegetarier, dort zwischen Schweinsbraten und Saurem Lüngerl wohl was Vernünftiges zu Essen gab? Er saß jedenfalls immer im „Vogeleck“, eine Ecke, in der über dem Tisch lauter Käfige mit Piepmätzen hingen. Vielleicht hat er ja die knackigen Burschen vom Theater angeschmachtet. Dass er schwul

Apropos jüdisches Viertel: Die Isarvorstadt war es. Viele jüdische Unternehmer siedelten sich an. Darunter auch die Elektrofirma Einstein in der Adlzreiterstraße, die ein Onkel des berühmtesten Zungenraustreckers der Welt betrieb. Einige Jahre lebte auch Klein-Albert beim Onkel und ging ins Luitpoldgymnasium an der Müllerstraße, wo er mit einem künstlerisch begabten Burschen namens Franz Marc die Schulbank drückte. Hier steht heute der Turm des ehemaligen Heizkraftwerks, in dem die teuersten Wohnungen der Welt gebaut werden. Albert Einstein half seinem Onkel auch, das erste Bierzelt auf dem Oktoberfest mit elektrischem Licht auszustatten – Einstein erleuchtete also die Wiesn. Ja, so wars damals, als das Viertel noch nicht tot war. Vorbei und vergessen. Heute drängeln sich die Ballermann-Feierwütigen in der ehemaligen Huren- und Stricherbar Pimpernel … Okay, kein Wort mehr zur Gentrifizierung. Versprochen. Am besten bin ich eh nun still und kuschel mich in meine schöne Leich’. Und nicht vergessen: Totgesagte leben länger!

Wer mehr über das bunte Treiben im Glockenbach erfahren möchte, Autor Martin Arz bietet Sonntags Führungen an. Termine für die Glockenbach-Safaris: 25. März // 22. April // 20. Mai // Mehr Infos: glockenbach-safari.de

rainer werner fassbinder in der Deutschen Eiche // ende der 70er


Illu: Valentin Plank

Sei kreativ! Geil auflegen, rumänisch fluchen oder meisterhaft gibt, sein Können mit Anderen zu teilen. Biete deine Fähigkochen – was immer du kannst, jetzt hast du die Gelegen- keiten Anderen zum Mitmachen und Lernen an! Zusammen heit, ganz unkompliziert und liebenswert dein Talent zu ist’s halt doch am Schönsten! vermarkten. Ob Sprachen, Klamotten aufmotzen oder BierCheck Yasuu.de/Anbieter – kunde für Zugreiste: Yasuu ist der neue Münchner Onlinemach was du kannst zu deinem Erlebnis! Marktplatz für Freizeiterlebnisse, der Jedem die Chance


30 curt // kino

Softpornos vs. 3D Wie die Zeiten ..und das Kino sich andern

TEXT: JULIA FELL // FOTOS: GABRIEL FILMTHEATER


Was haben das Hippodrom, 70 lebende Eisbären und 200 Personen aus Afrika, China und Japan gemeinsam? Alle wurden vom gleichen Mann nach München gekarrt, ob der Gaudi und Kurzweil: Carl Gabriel, Mingas inoffizieller „Master of Volksbelustigung“. Der Amüsement-Avantgardist, dessen Ehrgeiz und Größenwahn die Isarmetropole bis heute prägen, hat der Stadt außerdem das älteste Kino der Welt hinterlassen. Das Neue Gabriel Filmtheater in der Dachauer Straße wird 2012 sagenhafte 105 Jahre alt. Wir sprachen mit Kinochefin Alexandra Gmell (Urenkelin von Carl Gabriel) über Filmtheater gestern, heute und übermorgen.


32 curt // kino

Carl Gabriel war Münchens emsigster Entertainment-Macher. Als Allererster führte er bewegte Bilder in München vor (1896), 1907 eröffnete er das Filmtheater „The American Bio-Cie. – Carl Gabriels Theater lebender Bilder“. Heute, 105 Jahre später, ist das „Neue Gabriel“ das älteste durchgehend bespielte Kino der Welt. Auf sein Konto gehen auch zahlreiche Wiesnattraktionen – über 40 Jahre lang sorgte er für Neuerungen auf dem Oktoberfest (Hexenschaukel, Teufelsrad, Steilwand, Riesenrad); er stellte außerdem das Hippodromzelt und Deutschlands erste Achterbahn auf der Theresienwiese auf und veranstaltete die umstrittenen „Exotenshows“ (z. B. 1928 die „Riesen-Völkerschau“ mit 200 Personen aus Afrika, China und Japan und 1930 „Die Lippennegerinnen“). Daneben gründete er 1897 einen Berufsverband für Schausteller, der sich bis heute für Fairness und gute Arbeitsbedingungen für Schausteller einsetzt (muenchner-schausteller-verein.de). Gabriel starb 1931 und ist auf dem Ostfriedhof beerdigt.


Carl Gabriel war wahrscheinlich Münchens größter Vergnügungspionier. Auf seinem Grabstein steht „Groß-Schauunternehmer“. Wie war er so? Alexandra: Ich glaube, dass er sehr schwierig war. Auf Fotos guckt er ja immer etwas düster drein. Man musste wahrscheinlich auch ein bisschen Schwein sein, um in den 20er-, 30er-Jahren Events wie die Völkerschauen zu veranstalten. Aber er war auch sehr resolut und hatte viele gute Ideen. Außerdem hat er gerne mit Menschen zusammengearbeitet. Gabriel hatte einen treffsicheren Instinkt für das, was beim Publikum ankommt. Was würde er heute als „next big thing“ in Sachen Unterhaltung sehen? Alexandra: Na ja, das mit dem treffsicheren Instinkt stimmt nicht ganz – er war ja z. B. sehr skeptisch, ob sich der Farbfilm durchsetzen könnte. Von dem her würde mich auch interessieren, ob er heute auf 3-D abfahren würde. Aber ich glaube schon, er hätte da bestimmt Spaß dran. Bilden Filme einen Zeitgeist ab oder formen sie ihn? Alexandra: Ich glaube beides. Der Zeitgeist spiegelt sich in fast jedem Film natürlich ein bisschen wider, andererseits haben tolle Filme auch eine starke Wirkung. In den 90er-Jahren „Titanic“, die ganze „Star Wars“-Reihe, „Herr der Ringe“ … Oder ganz aktuell: der „Twilight“-Wahnsinn. Biss zum Erbrechen … Alexandra: Genau! Ab den 70ern bekam Kino in Deutschland starke Konkurrenz durch das Fernsehen. Am meisten Erfolg hatte man als Kinobetreiber mit Pornos, deswegen orientierte sich dein Vater damals auch in diese Richtung. Was hat dein Urgroßvater denn dazu gesagt, dass in seinem Lichtspielhaus plötzlich nackte Tatsachen zu sehen waren? Alexandra: Der Vater meines Vaters hatte da keinen Bock drauf, aber mein Vater hat damals gesagt: „Das probieren wir!“ Es waren ja auch keine Pornos, sondern „erotische Filme“; man hat nicht einmal einen nackten Busen gesehen. Aber

dieses Genre lief gut, das haben viele Kinos gespielt. Es ging ja auch ums Geschäft, und die Richtung hat funktioniert. In den 70ern war auch eine gewisse Aufbruchsstimmung in der Luft, da haben sich die Leute eben auch so etwas angeschaut. Im Fernsehen konntest du Softpornos damals nicht angucken, Internet gabs auch nicht – da ist man halt ins Kino gegangen. In den letzten 12 Monaten haben drei Münchner Programmkinos schließen müssen: das Filmcasino, das Atlantis und das Tivoli Mitte Januar … Alexandra: Ja, sehr schade. Damit geht München echt etwas verloren, gerade das Tivoli – das lief ja auch mal echt gut. Das Mathäser hat da einen Stein ins Rollen gebracht. Wenn neue Kinos aufmachen, gibt es nicht automatisch mehr Kinobesucher, sondern der Kuchen teilt sich anders. Der Gloria-Palast soll bald in ein Edel-Kino umgebaut werden, mit weniger Sitzen, dafür aber z. B. Getränke-Service am Platz. Was hältst du davon? Alexandra: Find ich heiß! Für das Atlantis gibt es ähnliche Pläne, wobei ich den Standort dafür nicht geeignet finde. Beim Gloria passt das zum Flair der Gegend. Der Münchner an sich gibt ja auch Geld für so etwas aus – ich glaube, das kann die Stadt gut vertragen. Wie sieht Kino in 20 Jahren aus? Alexandra: An technischen Neuerungen kommt bestimmt so Einiges, z. B. Rüttel- oder Geruchskino. 3-D ohne Brille wäre auch ein taktisch kluger Zug der Filmindustrie. Ich glaube, 3-D mit Brille wird sich auf Dauer nicht durchsetzen – das gab es ja auch schon mal. Auf der anderen Seite gehts beim Kino immer um den Filmgenuss und um das Gemeinschaftsgefühl. Du willst ausgehen, dir ungestört einen Film anschauen, evtl. danach mit jemandem darüber sprechen. Darum geht es beim Kino seit über 100 Jahren und ich denke, das wird auch annähernd so bleiben. Kino ist im Prinzip Theater – und Theater hat sich im Laufe der Zeit auch nicht viel verändert.


WAschdls grantnockerl

Der Ausbruch der Schampusschlampen Weißwürste, Lederhosen und das beruhigende Rauschen der Isar: München ist ein Traum von einer Stadt. Aber weil München nicht München wäre ohne eine ordentliche Portion Grant, lässt curt Redakteur Sebastian Klug (bayerisch: „Waschdl“) an dieser Stelle ab sofort in jeder Ausgabe einmal so richtig den Grantler raus und zeigt auf, was schief läuft in der Landeshauptstadt. Diesmal im Visier: das Kinosterben in München – und weshalb die Saupreißn daran zumindest eine Teilschuld tragen. TEXT: SEBASTIAN KLUG // ILLU: MELANIE CASTILLO Man kann über Geld sagen, was man will, aber eines scheint sicher: Die Münchner mögen es – und das Geld mag die Münchner. Daran wäre im Grunde nichts auszusetzen, würde nicht mit dem vielen Geld noch ein weitaus schlimmeres Übel in die Stadt gespült werden: unreife Brunzkachen und präpotente Kniabiesla, größtenteils von Beruf Anwaltstochter oder Zahnarztsohn und aus Städten wie Düsseldorf, Darmstadt oder Hannover kommend – Städte, die wir in Bayern eher als Schimpfworte denn als geografische Bezeichnungen kennen. All das wäre auch nicht einmal halb so schlimm, würde sich dieser zuagroaßte Bodensatz in seinen eigenen Bereichen aufhalten – Lenbach-, Promenade- und Maximiliansplatz wurden zu dem Zweck ja bereits vor Jahrzehnten dekulturiert und dem Verfall freigegeben. Tun sie jedoch nicht. Damit sie „so rischdisch Münschen“ erleben können, brechen die Armani-Prinzen immer öfter aus ihrem Kaviarkäfig aus und führen ihre Schampusschlampen in „gewöhnliche“ Kneipen, Wirtshäuser und Kinos. Und selbst das wiederum wäre nicht einmal halb so schlimm, würden sie nicht nach kürzester Zeit ihre wichtigste Waffe in die Hand nehmen, um all das, was sie eigentlich erleben wollten, also das „rischdige Münschen“, ihren Bedürfnissen anzupassen und so zu zerstören. Tun sie aber. Aktuellstes Beispiel: die Münchner Kinolandschaft. Den Anfang machte – und das noch voll und ganz im Rahmen des Tolerierbaren – die „Astor Cinema Lounge“ im Bayerischen Hof. Wenngleich das Wort „Lounge“ eines der unterschätztesten Brechmittel unserer Generation ist, hat das Kino mit Ticketpreisen von 18 Euro im Monetenghetto durchaus seine Daseinsberechtigung. Liberalitas Bavariae – a jeda, wia r’as mog. Wie so oft bleibt es jedoch nicht dabei: Ende Januar wurde öffentlich, dass der Münchner Gastronom Constantin Wahl (der uns bereits mit Perlen wie dem Pacha beglückte) in dem gerade in seinen Endzügen liegenden und Ende März schließenden Atlantis in der Schwanthaler Straße ein Premium-Kino eröffnen wolle – mit großen Sesseln, Champagner am Platz und exquisiten Häppchen. Er habe auch eine Genehmigung für einen


waschdl grantnockerl // curt 35

Club, wolle jedoch die Räume in dem eigentlich eher schmutzig-verruchten Bahnhofsviertel weiterhin als Kino nutzen. Eine Woche später folgte dann die Nachricht, dass sich das Gloria am Stachus ebenfalls unter das sprichwörtliche Messer legt und den Nerzmantel überwirft: Die Betreibergesellschaft „Kinopolis“, die das Gloria gemeinsam mit dem unsäglichen mathäser seit 2007 betreibt (und passenderweise ihren Sitz in Darmstadt hat), hat nun entschieden, das Kino für rund 1,2 Millionen Euro zu sanieren, die Zahl der Sitzplätze zu halbieren und auf dem Balkon – wie könnte es anders sein? – eine exklusive Lounge einzurichten. Man könnte natürlich jetzt auf die Liberalitas Bavariae pochen und darauf, dass jeder hier machen könne, was er will. Man könnte auch meinen, dass die alten Säle sonst dicht machen und ersatzlos verschwinden würden. Man kann aber auch einfach mal all diese Argumente beiseite lassen und offen und ehrlich sagen: Ah geh weida! So ein Krampf! Und sich fragen: Wozu um alles in der Welt braucht München plötzlich ein ganzes Sortiment an elitären Premiumkinos? Haben wir überhaupt Platz für so was in unserer kleinen Stadt? Mehr Fußfreiheit im Kino? Gerne. Im Kino Schampus saufen? Mei, wenn’s sein muss. Aber ein Kino, auf dem ein inflationär gebrauchter Premium-Stempel prangt, das mit seinen überteuerten Preisen den zuagroßten Geldadel anzieht – und dabei auch noch bestehende, für unsere Münchner Kultur essenzielle Kinosäle zerstört? Das müssen wir verhindern. Irgendwann ist nämlich auch mal Schluss. Weil sonst ziehen wir mit dem X-cess, dem Bergwolf, der Südstadt und der Sehnsucht ins Kapitalisten-Slum am Maximiliansplatz, machen aus dem Künstlerhaus am Lenbachplatz ein freies Bürgerzentrum und veranstalten die Nachtflohmärkte ab sofort im Foyer des Bayerischen Hofs. Und dann, liebe Düsseldorfdarmstadthannoveraner, dann herrscht Krieg. Also, liebe Gäste aus dem außerbajuwarischen Ausland mit den zu dicken Geldbeuteln und den zu rosafarbenen Polohemden, wir machen das jetzt folgendermaßen: Gucci-T-Shirt aus, freundlich lächeln und rein ins Kino. Ganz normal. Ganz nett. Und wenn alles gut läuft, gibt man euch an der Theke ein 0,33er-Bier. Aber kein Becks, sondern ein Augustiner. Wir wollen es ja nicht übertreiben mit der Integrationsbereitschaft.


36 curt // bericht

Stormy Heather


.. Als Munchen leuchtete

die Golden Twenties Grazile Damen, umhüllt von Federboas, in Begleitung galanter Dandys, steigen unweit des Künstlerhauses aus hochglanzpolierten Oldtimern wie aus Zeitmaschinen aus. Bohemiens, Gigolos und Charleston-Ladys, alle waren sie gekommen, um bei der Flüsterparty am 11. Februar die Roaring Twenties nicht nur aufleben zu lassen, sondern diese in stilechter Atmosphäre abseits des Alltags zu leben. curt war dabei. Zur Zeit der Alkoholprohibition in den USA von 1919 bis 1933 fanden die ausgelassensten Feiern in sogenannten Flüsterkneipen statt, die trotz Verbots dennoch den einen oder anderen hochprozentigen Tropfen ausschenkten. Ort und Zeitpunkt wurden ausschließlich durch Mundpropaganda weitergeflüstert … Man traf sich also zu einer Flüsterparty. Die Münchner Flüsterpartys sind zwar nicht ganz so geheim, aber mindestens so stilecht. Den beiden Veranstalterinnen Saskia Dürr und Stormy Heather geht es darum, einen mondänen Abend zu gestalten, der ihre Gäste auf eine stilvolle Zeitreise in die 20erJahre mitnimmt – natürlich in adäquater Umgebung. „Und da gibt es in München doch einige Schätze“, sagt Stormy Heather, die mit ihrer Show als funkelnder Stern am Münchner BurlesqueHimmel bekannt ist und für einen grandiosen Abschluss des Abends sorgt. Im Gespräch erzählt die Münchnerin, dass es die Mode und das Design waren, insbesondere das Art déco, die für sie die Faszination der 20er-Jahre darstellen. Der Grundstein dazu wurde während ihres Studiums in Miami Beach gelegt. Die Leidenschaft für das Burlesque hingegen ist für sie eine erotische Unterhaltung, ohne plump und platt zu sein. Dies macht auch die Kunst des Burlesque-Tanzes aus, erklärt Stormy Heather, bei dem der Weg das Ziel sei und es nicht darum ginge, möglichst schnell möglichst nackt zu sein. „Ich kann zum Beispiel mit dem Rücken zum Publikum den BH ausziehen und wenn ich mich umdrehe, halte ich einen Fächer oder Schirm vor mich. Wenn ich dann den Schirm lüfte, trage ich noch Mini-String und Pasties, bin also nie ganz nackt.“


38 curt // bericht

Nicht weniger stürmisch ging es im München der Zwanzigerjahre zu. Zahlreiche Berühmtheiten, Künstler, Literaten und Exoten waren unter dem Dach der Stadt vereint, bevor die Nationalsozialisten die Überhand gewannen und die intellektuelle Szene aus München vertrieben. Von der sogenannten Schwabinger Boheme, welche vor allem konzentriert zwischen Maxvorstadt und Schwabing diskutierte, philosophierte und tüchtig feierte, ist heutzutage leider nur noch wenig zu sehen. Die anmutigen Jugendstilbauten wurden im Krieg zum größten Teil zerstört. Was hätten die Wände alles erzählen können, von ausschweifenden Feiern und hitzigen Diskussionen, in einer Zeit, in der Moral und Ethik an anderen Maßstäben gemessen wurden … So verhielt es sich mit dem „Café Stefanie“, das sich an der Ecke Theresienstraße/Amalienstraße befand und als einer der wichtigsten Treffpunkte der Szene galt. Thomas Mann ging hier ein und aus. Albert Langen, der Gründer des Satiremagazins „Simplicissimus“, welches auch schon mal wegen Majestätsbeleidigung beschlagnahmt wurde, war dagegen häufiger im gleichnamigen „Simplicissmus“ in der Türkenstraße, heute „Alter Simpl“, anzutreffen. Dieses Lokal war bei Studenten und Intellektuellen gleichermaßen beliebt, sodass es durchaus vorkam, dass man sich den Tisch mit Joachim Ringelnatz, dem dortigen „Hausdichter“, oder gar Frank Wedekind teilen musste. Neben Lenin, Trotzki oder Rainer Maria Rilke waren auch Paul Klee, Wassily Kandinsky und Franz Marc, Gründer der Künstlervereinigung „Der Blaue Reiter“, in den Goldenen Zwanzigern in München wohnhaft und sogar an der Akademie der bildenden Künste als Studenten eingeschrieben. Auch der Gründer des „Insel Verlags“, ein Bremer Jungverleger namens Alfred Heymel, pflegte in seiner Residenz in der Leopoldstraße 4 bei erlesenen Weinen über Pferderennen und künstlerische Ereignisse zu diskutieren oder fulminante Abendgesellschaften zu geben, bei denen sogar die weltberühmte Tänzerin Isadora Duncan zu Gast gewesen sein soll. Neben Häusern in der Ainmillerstraße ist auch dieser Prachtbau in der Leopoldstraße noch erhalten und beherbergt heute eine Versicherungsgesellschaft. Sollte der Wunsch aufkeimen, sich dem Charme und Flair der Zwanzigerjahre hinzugeben, empfehlen wir einen Spaziergang entlang der erhaltenen Schätze, um dann stilecht im Schelling Salon oder im „Alten Simpl“ auf einen Kaffee einzukehren ... oder gleich in eine Zeitmaschine zu steigen. Hinter vorgehaltener Hand sei hier der Ort der nächsten Flüsterparty weitergeflüstert: 21. Juni im Hofbräukeller. TEXT: Margarita Sereda Wildenauer // Fotos: Christian Vogel


Die besten ArtHouse Filme der Stadt.

www.city-kinos.de


40 curt // รถ-team on tour

TEXT: PETRA KIRZENBERGER // FOTOS: CHRISTIAN VOGEL


Hopfen und Malz Gott erhalt’s! Das Ö-Team (unser österreichisches Powerteam Petra und Christian) begab sich auf historische Spurensuche nach dem schmackhaften Traditionsgebräu – in den ältesten Gemäuern der Münchner Altstadt. Eine historische Biertour sollte es werden. Zugegeben: Wir haben die Tour optimiert und den historischen Teil etwas abgekürzt. Dies ist vor allem der winterlichen Witterung zuzuschreiben, die – Bergvolk hin oder her – so einen „Ziaga“ (Kneipentour) ungemütlich macht. Aber – um den Bogen zum Thema der Ausgabe zu spannen – das alles hat etwas ziemlich Zeitloses: Schließlich sucht der Mensch seit Ewigkeiten den Rausch. Alkohol ist ein beliebtes Mittel zur Alltagsflucht. Im Wein liegt Wahrheit – aber was hats mit dem Bier auf sich? Wir starten im „Spöckmeier“ in der Rosenstraße. Obwohl das Wirtshaus bereits vor 500 Jahren urkundlich erwähnt, „im Krieg“ niedergebrannt und danach wieder aufgebaut wurde: Guten alten bayerischen Charme sucht man hier vergebens. „Hochwertig kaputtrenoviert“, lautet unser Urteil – helle Fichte statt dunklem Holz. Wir hau’n uns als erstes ein Hacker-Pschorr und ein Weißbier in die Figur. Das Pendant zum österreichischen „Seidl“ ist zur Freude des weiblichen Parts unseres Test-Duos auch im Land von Maß und Humpen zu finden: Bier im schwiegermutterfreundlichen 0,3-l-Glas. Leider geißelt mich seit einigen Jahren eine Getreideallergie und der hierzulande allgegenwärtige Gerstensaft erfreut meinen Gaumen nur selten – wenn doch, so ist sowohl das Baucherl beleidigt als auch das Naserl verschnupft. Aber wir forcieren schließlich knallharten Journalismus und so pimpe ich meine Nase zu Beginn der Tour mit ordentlich Nasenspray. Biertrinken ist schließlich nix für Mädchen – das macht mir der zweite Teil des Ö-Teams, der (komische) Vogel, unmissverständlich klar. Die Speisekarte liest sich gut, aber noch ist der Durst schlimmer als Hunger und Heimweh. Weil wir so vogelwilde Typen sind, probieren wir todesmutig ein BiBi – eine Mischung aus Weißbier, Tonic Water und Aperol – das besser schmeckt als befürchtet. Doch da uns das Preis-LeistungsVerhältnis weder beim Bitter-Bier noch beim Hellen überzeugt und der Kellner zum Schluss mit seinem Kollegen – dummerweise für uns hörbar – über unser Trinkgeld lästert (immerhin 1,20 Euro), ziehen wir weiter. Nicht ohne unsere Beschwerden auf den bereitgestellten Kärtchen zu notieren. Was sind wir rebellisch heut! Unsere nächste Station ist das „Bier- und Oktoberfestmuseum“, das sich im ältesten Bürgerhaus Münchens (um 1340) befindet. Schon beim Eintreten versöhnt uns das freundliche Lächeln der Kellnerin mit dem zuvor Erlebten, nein, ich behaupte sogar: mit der ganzen letzten Woche! Wir dürfen uns in aller Ruhe umsehen – wenngleich leider alle Tische reserviert sind. Das macht uns nicht viel aus – wir stellen uns an die Bar zu einer singenden Runde silbergrauer Herren und


42 curt // ö-team on tour

lassen uns ein dunkles Augustiner vom Fass schmecken. Man sitzt hier im Gewölbekeller mit Braukessel sehr gemütlich, die Atmosphäre ist urig, das Essen deftig und lecker und das Personal herzlich und freundlich. Vor allem mit Besuch von außerhalb lohnt sich ein Abstecher hierher: Das Museum bietet Führungen, Bierverkostungen, sogar Bierbraukurse. Den Durst vom Erklimmen der steilen Altmünchener Himmelsleiter löscht man anschließend mit einem der vier Biere vom Fass, die hier saisonal wechseln. Wir sind begeistert und malen in allen Bewertungskriterien dicke fette drei Punkte. Im „Dürnbräu“ – Station Nummer 3 – stehen gleich 4 Kellner Spalier als wir 2 dort reinrauschen. Wir nehmen an der langen Tafel in der Mitte Platz und bestellen ein Helles, das in einem urigen Krug mit Zinndeckel serviert wird. Dass es ein Spaten Bräu ist, merken wir sofort – und wir finden, dass es vom Fass durchaus trinkbar ist. Das Ambiente ist gediegen, der Service freundlich. Aber auf Dauer ist uns das Ganze dann doch zu bieder. Zudem wollen wir die am Nebentisch in gedämpftem Ton ausgetauschten Heimlichkeiten nicht mit unseren – intellektuell wie immer hochwertigen, aber eben ausgelassenen – Gesprächen stören. Und der Mann im zartgelben Angora-Pulli verrenkt seinen Kopf schon beinah unnatürlich, um uns trotz Dauerbeschallung von seinem Gegenüber zu verstehen. Also nix wie weg, ehe es peinlich wird. Wir retten uns – quasi – auf heimatlichen Boden: „Hofer, der Stadtwirt“ befindet sich in einem der ältesten Münchner Stadthäuser (gotischer Innenhof, Spindeltreppe, Himmelsleiter). Dort laben wir uns an hervorragendem bayrisch-österreichischen Essen, mäßig gutem Löwenbräu Bier und ausgezeichnetem Espresso – und fühlen uns in den liebevoll und originell gestalteten Gasträumen richtig wohl. Unser Kellner erinnert a bisserl an Wien – jede Regel wahrend, offensichtlich unverschämt, aber humorig – und eben deshalb charmant. Ich male – nicht nur aus Heimweh – wieder fleißig Knödel aufs Zetterl. Nachdem wir im „Weißen Bräuhaus“ keinen Platz bekommen, beschließen wir, das Naheliegene und zugleich sicherlich Letzte für heute Abend zu tun: die „Augustiner Halle“ ansteuern. Den schönen Muschelsaal im hinteren Bereich, der 1897 von Emanuel von Seidl entworfen wurde, beachten wir kaum. Interessanter erscheint uns schon, welche Schnapserl es auf der Karte gibt. Nach der ersten Halben schwenken die Gesprächsthemen immer mehr von Dienstlich auf Privat, der Dialekt wird ausgeprägter und unser Blick aufs Drumherum gnadenloser. Einen Schnitt zu trinken lehnen wir ab – das ist nix für uns Ösis. Bei uns heißt das Pfiff (sprich: Pilsglas) oder Fluchtachterl (weil nach vielen Bier noch schnell ein Glas Wein). Nach etlichen „Scheidebechern“ – natürlich ist nun jedes Bier das Letzte – machen wir uns wieder auf in die kalte Nacht. Nicht jedoch, ohne vorher ein Zitat von Benjamin Franklin für gut und richtig zu befinden: „Bier ist der Beweis dafür, dass Gott uns liebt und will, dass wir glücklich sind.“

Alle historischen Fakten sind dem „Bier-Mini“ zu entnehmen, der im Volk Verlag erschien und uns als Inspiration zu dieser Tour diente. Dort findet man die komplette Tour durch die Altstadt sowie viele interessante Infos rund ums Bier und dessen Geschichte in München.



44 curt // bericht

„Hoffnung war nicht verboten.“ Verlorene Jugend Abba Naor ist 82 Jahre alt. Ein Wunder, denn er überlebte die Vergangenheit. Er überlebte 3 Jahre Ghetto in Kaunas und die Konzentrationslager von Stutthof und Dachau. Und er kam zurück. Ins Ludwig-ThomaHaus in Dachau, um als einer der letzten Überlebenden über die Zukunft zu sprechen. Text & Fotos: Christian Gretz Der kleine Mann im dunklen Anzug erinnert mich sehr an meinen Opa. Das wird mir spätestens aber bei diesem Satz klar: „Ich sage immer ich bin der Sohn eines Grafen. Mein Vater war nämlich Fotograf.“ Abba Naor hat jedoch nicht nur seinen brillanten Humor, sondern auch äußerliche Merkmale und das hohe Alter mit meinem Opa gemein. Doch so ähnlich die Herren in den letzten Jahrzehnten ihres Lebens auf mich wirken, so unterschiedlich verlief ihre Kindheit und Jugend. Während mein Opa, in militärisch organisierten staatlichen Jugendgruppen mit Propaganda zugeschüttet und noch vor seiner Volljährigkeit auf einen Einsatz an der Kriegsfront vorbereitet wurde, begann einige tausend Kilometer weiter östlich nach einer wohlbehüteten Kindheit in der litauischen Stadt Kaunas für Abba Naor der Alltag im Ghetto. Und doch verbindet beide ein untrennbares Schicksal: Beide verloren Familienmitglieder und die eigene Jugend durch das Schreckensregime der Nazis: mein Opa an der Kriegsfront, Abba Naor im Ghetto und in Konzentrationslagern.


„Ich hatte eine schöne, aber kurze Kindheit.“ Im Ghetto beginnt seine Geschichte. Eine wahre Geschichte, die Geschichte seines Lebens während der NS-Diktatur. Er war 13 Jahre alt, als im Sommer 1941, kurz nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Kaunas, alle Juden in ein Ghetto umziehen müssen. „Das Leben im Ghetto war kein Picknick, aber wir haben viel gelernt“, sagt Abba Naor mit ruhiger, fester Stimme. „Gelernt, was Leben bedeutet, was es bedeutet, Freunde zu haben.“ Während beide Eltern von früh bis spät Arbeiten für die Besatzer erledigen mussten, passte Abba auf seinen kleinen Bruder auf. „Wir durften nicht zur Schule gehen …“ Und als alle Gäste im Saal mit bedrückter Miene den nächsten erschütternden Fakt des Zeitzeugen erwarten, schafft dieser es, auf unnachahmliche Weise vielen ein Schmunzeln auf die Lippen zu zaubern: „Damit konnte ich leben.“ Rückblickend auf die Stunden mit seinen zwei Brüdern während der Jahre im Ghetto sagt er: „Wir waren Kinder und haben gemacht, was Kinder eben so machen. Natürlich hatten wir auch Flausen im Kopf.“ Wie sehr sich diese Kindheit von einer idealen Kindheit und Jugend unterschied, wird jedoch schon im nächsten Satz wieder deutlich:


46 curt // bericht

„Hunger war ein ständiger Begleiter, aber die Angst war fast noch schlimmer.“ Es gab viel zu wenig zu essen im Ghetto und das Einkaufen außerhalb des Ghettos war jedem unter Androhung der Todesstrafe verboten. Die Erwachsenen dachten, es wäre eine gute Idee, die Kinder zum Einkaufen zu schicken. Zum einen, weil sie bessere Chancen hatten, von den Verkäufern Ware zu bekommen, und zum anderen, weil sie damit rechneten, dass die SS ihre grausamen Strafen nicht bei Kindern anwenden würde, falls sie erwischt wurden. Ein Irrtum. 26 Kinder wurden in Kaunas erschossen, weil sie sich des „Verbrechens“ schuldig machten, Essen zu kaufen. Unter ihnen war auch Abbas älterer Bruder Chaim: Er war noch keine fünfzehn Jahre alt, als er hingerichtet wurde. Für seinen kleinen Bruder bauten die Eltern ein Versteck im Kachelofen, in dem dieser oft stundenlang still sitzen musste. Eine unglaubliche Leistung für ein Kind im Kindergartenalter. Mit diesem Beispiel veranschaulicht Abba Naor, wie schnell die Kinder erwachsen wurden. Wie schnell selbst die Jüngsten den Ernst der Lage begriffen. „Das Einzige, was erlaubt war, war hoffen. Hoffnung war nicht verboten.“ „Das Schlimmste waren die Selektionen“, berichtet er weiter. Es war dabei von Umsiedlung die Rede, aber „wir wussten, dass ,Selektion‘ Mord bedeutete.“ Bei einer dieser Selektionen sah Abba Naor am 26. April 1944 seine Mutter und seinen kleinen Bruder zum letzen Mal. Sie wurden vom KZ Stutthof bei Danzig, wohin die Familie nach der Auflösung des Ghettos von Kaunas gebracht wurde, nach Auschwitz-Birkenau transportiert. Auch Vater und Sohn wurden getrennt. Abba kam nach Utting, wo er in einem Arbeitslager mit etwa 500 anderen Gefangenen inhaftiert war. Über die Zeit dort scherzt er: „Mein Kindheitstraum ging in Erfüllung. Ich durfte Lokomotivführer werden.“ Mit einer Diesellok musste er Gegenstände 30 Kilometer weit über die bayerischen Felder am Ammersee transportieren. Das Essen war auch hier bei Weitem nicht ausreichend für die Gefangenen, die täglich harte körperliche Arbeit verrichten mussten und auch bei extremer Kälte nichts als ihre Häftlingskleidung und einfache Schuhe trugen. „Man bekam um 10 Uhr eine Suppe, abends ein Stück Brot, manchmal ein kleines Stück Käse.“ „Wir haben auch gelernt aufzupassen. Aufzupassen auf die Aufpasser.“ Und in seiner unnachahmliche Art wirft Abba Naor auch einen Blick zurück auf die hygienischen Verhältnisse während der Zeit im Arbeitslager: „Hätten wir die Pyjamas ausgezogen, die wären von alleine gelaufen, so viele Viecher hatten die drin.“


Abba Naor beim Dachauer Zeitzeugengespräch im Januar 2012 Foto: KZ-Gedenkstätte Dachau

„Das war der größte Fehler meines Lebens.“ Da er seinen Vater dort vermutete und ihn wiedersehen wollte, meldete sich Abba Naor freiwillig für einen Einsatz in Kaufering, wo sich eines der härtesten und mörderischsten Außenlager des Konzentrationslagers Dachau befand. „Ich ging freiwillig nach Kaufering. Das war der größte Fehler meines Lebens. Dort gab es keine Diesellokomotive. Man musste in 12-Stunden-Schichten Zementsäcke schleppen.“ Vom Geschehen an der Kriegsfront bekamen die Gefangenen natürlich keine Neuigkeiten: „Wir wussten nicht, dass der Krieg zu Ende ging. Wir wussten, dass es mit uns zu Ende ging. Die Leichen stapelten sich.“ Abba Naor hat bereits über eine Stunde gesprochen. Bis zu diesem Zeitpunkt sehr gefasst, souverän und sogar humorvoll. Doch zum ersten und einzigen Mal an diesem Abend lässt das Gesicht des älteren Herrn einen Ansatz von Fassungslosigkeit erkennen. „Ich frage mich noch heute: Warum hat man uns verhungern lassen, wenn man so dringend Arbeitskräfte brauchte?“ Auch Abba Naor wäre in Kaufering fast zu Tode geschunden worden. Die näher rückende Frontlinie veranlasste die SS im April 1945 jedoch, die Arbeitslager zu räumen und die versklavten Menschen, die sich in katastrophalem gesundheitlichen Zustand befanden, zu sogenannten Todesmärschen in Richtung der bayerischen Alpen zu zwingen. „Einen Tag vor der Befreiung kamen wir an einem toten Pferd vorbei, das am Wegesrand lag. Die Leute versuchten, mit bloßen Händen Fleisch abzureißen, und wurden dafür von den Wachmännern erschossen.“ Die Gefangen hatten keinen Kontakt zur Zivilbevölkerung.„Frauen aus einem Dorf kamen und wollten uns Brot und Wasser geben, die wurden von den Wachmännern verjagt.“ Auf einem dieser Märsche werden die Gefangenen, unter denen sich Abba Naor befindet, schließlich von amerikanischen Soldaten befreit und er kommt zunächst in ein Auffanglager, von dem er folgende Anekdote erzählt: „Mein Beginn als freier Mensch! Ich hab mich umgekleidet …“ Er pausiert kurz: „In deutsche Militärkleidung. Und mir wurde gesagt, ich soll die sofort ausziehen, wenn ich überleben will.“ Infos zum Autor Christian Gretz // er Interessiert sich nicht nur für die deutsche Geschichte, sondern insbesondere für die Historie Münchens. Stadtführungen mit ihm gibts unter nobullshittours.com


48 curt // zeit

die 5-vor-12-uhr zum ausschneiden und panik verbreiten


Ist Dein Leben 2.0 entspannt?

Heute sind die Inseln der freien Zeit meist teuer erkauft, als Urlaub in einem fernen Land oder zwischen zwei Terminen. Doch dann fängt er uns schnell wieder ein, der Alltag mit Handyklingeln, SMS, E-Mails und Kinderwünschen, Anforderungen der Kollegen, der Eltern, des Partners oder von wem auch immer. Nur wir selbst bleiben zu oft auf der Strecke. Not tut ein neuer Umgang mit der Zeit! Doch was kannst du tun, insbesondere dann, wenn du chronisch zu wenig Zeit hast? Die Japaner haben angeblich einen passenden Spruch: „Wenn Du zu spät kommst, dann gehe nochmal um den Block.“ Aber dann komme ich ja noch später zu dem wichtigen Kundentermin, denkst du jetzt vielleicht? Stimmt! Und du gewinnst Zeit zum Nachdenken. Meine These ist, dass Menschen, die schlecht mit ihrer Zeit umgehen können, keine klaren Ziele für ihr Leben haben. Sie wissen nicht, wo sie hinwollen und daher können sie nicht entscheiden, was wichtig ist für ihr Leben und was nicht. Doch genau diese Unterscheidung könnte die Ruhe zurück in den Alltag bringen, die so dringend ersehnt wird. Nun mal langsam: Erst sollte klar werden, was dein Ziel ist. Das große Lebensziel. Warum lebst du auf diesem Planeten zu dieser Zeit? Welche Bedeutung gibst du deinem Leben? Erstaunlich ist, dass die meisten Menschen so leben, als hätten sie noch ein Leben sozusagen im Kofferraum, ein Ersatzleben. Als wäre ihnen völlig klar, dass das, was sie jeden Tag tun, nicht das ist, was sie wirklich machen möchten. Und als würden sie auf die Erlaubnis warten, dass sie nun endlich Leben 2.0 beginnen dürfen. Insofern darf sie erlaubt sein, die Frage: Wie ist dein Leben in Richtig? Nicht fremdbestimmt durch die vielen anderen Menschen, die alles besser wissen, was für dich gut ist. Nein, dein Leben, das Leben deiner Träume. Und von da aus näherst du dich dann allmählich dem Alltag. Genauer der Frage, welche Bedeutung du dem aktuellen Lebensabschnitt geben willst. Du kannst nicht nicht Bedeutung geben, denn alles, was du jeden Tag tust, ist, Zeit für etwas einzusetzen. Und damit gibst du der Zeit und zugleich deinem Leben eine bestimmte Bedeutung. Ist es wichtig, was du gerade tust? Hat es eine entsprechende Bedeutung für dich oder für einen anderen Menschen, dem du damit dienst? Sinnvoll oder sinnlos, voller positiver Bedeutung oder völlig belanglos? Und selbst wenn es belanglos wäre, fühlt es sich gut an? Denn wenn du dich dabei gut fühlst, dann hast du diese Zeit bestmöglich genutzt. Und dann wird dein Leben Schritt für Schritt fröhlicher, erfüllter und zugleich auch entspannter. Und das war ja das Ziel von Leben 2.0, oder?

Über den Autor: Marc A. Pletzer ist NLP Master-Trainer und leitet gemeinsam mit seiner Frau Wiebke Lüth eines der gröSSten NLP-Institute in Europa, die fresh-academy. Weitere Informationen gibt es auch unter fresh-academy.de. Dort gibt es auch einen kostenlosen wöchentlichen Podcast.

TEXT: Marc A. Pletzer // Illu: Marius rohne

Jetzt mal ehrlich, kommst du mit deiner Zeit hin? Dein Tag hat genau wie bei allen anderen 24 Stunden, insofern dürfte da nicht so ein großer Unterschied sein. Und doch gibt es Menschen, die völlig entspannt durch dieses Leben wandeln, fast wie Kinder. Denn als Kind, da hatten wir ja auch noch alle Zeit der Welt, waren scheinbar zeitlos bei allem, was wir getan haben. Zumindest solange uns der Alltag mit Schule, Aufgaben und später dann der Beruf mit vielen Terminen nicht eingeholt hatte.



.. zeit fur musik


52 curt // Musik

deichkind leider geil Hier wurde nicht lang geschnackt, sondern auf den Auslöser gedrückt. Die Jungs von Deichkind schauten nicht schlecht, als wir beim Interviewtermin gar nicht mit ihnen reden, sondern lieber die nordischen Köppe vor der Kamera haben wollten. Mit ihrem aktuellen Album „Befehl von ganz unten“ sind Deichkind seit Anfang März auf Deutschlandtour. Das Konzert in München am 17. März im Zenith präsentieren wir natürlich – und verlosen neben 3 x 2 Tickets auch 1 x Crowdsurfing im Schlauchboot. Kein Scheiß! Alle Infos auf curt.de! FOtos: Michael Dengler mit Superassistent Moritz Ebeling



54 curt // Musik

.. curt prasentiert einiges .. Marz 03 Kettcar // Kesselhaus 1 7 DEICHKIND // Zenith 1 8 TINDERSTICKS // Muffathalle 2 1 IMAGINARY CITIES // Ampere 23-25 Frameworks Festival // MUG im Einstein (ehem. „t-u-b-e“) 25 Talib Kweli // Muffathalle 26 MAYBESHEWILL // Ampere 28 ÓLAFUR ARNALDS // Muffathalle 30 WOR(L)D CONNECTS Vol. 1 // Global HipHop-Album Release Party // Ampere 30 WRONGKONG // Backstage Halle

april 01 16 18 22

soko // Ampere OLLI SCHULZ – SOS Tour 2012 // Muffathalle DAN MANGAN // Feierwerk, Hansa 39 Great Lake Swimmers // Kultur-Schranne, Dachau

mai 07 13 14 20 21

T. C. Boyle „Wenn das Schlachten vorbei ist“ – Lesung // Muffathalle THE BLACK SEEDS // Ampere LEMONHEADS // Freiheiz JOHN K SAMSON - Provincial // Ampere IMMANU EL // Ampere

Zu allen Events verlosen wir 3 x 2 Karten! Alle Verlosungen und weitere Infos gibts auf curt.de!



56 curt // Musik

.. curt hort Neues Quartal, neue Musik -– oder einfach nur Dauerbrenner. Das läuft in der Redaktion.

Childish Gambino: CAMP // RELEASE: 02. März // LABEL: Cooperative Music Eigentlich ist Donald Glover in den USA als Schauspieler bekannt, doch seine Talente sind vielfältig: Seit Längerem ist Rap eine seiner Leidenschaften, die er mit der Veröffentlichung von „Camp“ unter seinem MC-Alter-Ego Childish Gambino erstmalig ernsthaft konkretisiert. Ernst geht es mit Themen wie Selbstfindung oder Rassismus auch auf seinem ersten Studioalbum zu, allerdings weniger auf die weinerliche Art. Childish Gambino spricht über Erlebnisse auf dem Weg zum Ruhm und zeigt, was im Rap neben Karren und Cash noch alles möglich ist. TEXT: Patrick Cavaleiro

BETH JEANS HOUGHTON & THE HOOVES OF DESTINY: YOURS TRULY, CELLOPHANE NOSE // RELEASE: bereits erschienen // LABEL: MUTE RECORDS Dieses Debüt ist ein Feuerwerk der Quirligkeit. Der klare Gesang von Beth Jeans Houghton schleicht sich feenhaft an. Doch noch bevor der Hörer in Traumwelten versinkt, bricht der Beelzebub hervor. Es klingt wie psychedelischer Folk auf Speed mit Orchesterbegleitung und Chorälen. Bei all dem schwingt eine unvergleichliche Lebensfreude mit, der Texte über das Sabotieren von Beziehungen entgegengesetzt werden. Nicht etwa, weil hier eine Heulboje am Werk ist, sondern weil das Auf und Ab des Lebens mit euphorischem Kampfgeist gefeiert wird. Extrem weird und extrem schön zugleich. TEXT: Janine Andert

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58 curt // Musik

Fiva und Das Phantom Orchester


Ein kalter Nachmittag in München. Ich treffe mich auf einen Tee mit netten Menschen im Cafe Kosmos, um über Neuigkeiten zu plaudern. Mit mir dort: Fiva MC, Paul Reno (Ex-Emil Bulls) und Rüde (Sportfreunde) samt neuem Album. INTERVIEW UND FOTOS: michael dengler In den letzten zehn Jahren brachte Nina „Fiva“ Sonnenberg drei Alben auf den Markt, war mit MC Rene und Fettes Brot auf Tour, heimste unzählige Poetry-SlamPreise ein, gründete ein Plattenlabel, moderierte den Zündfunk auf Bayern 2, hatte eine eigene Sendung auf on3, veröffentlichte ein Buch, arbeitete mit der Kieler Oper zusammen an „Das Nibelungenlied“, ist seit 2011 Moderatorin der GrimmePreis nominierten Sendung „Der Marker“ auf zdf.kultur und „Fiva’s Ponyhof“ auf FM4. Und weil das noch nicht genug war, produzierte sie mit Paul und Rüde ihr viertes Album „Die Stadt gehört wieder mir“ – mit Orchester, versteht sich. Wie schaffst du das alles? Fiva: Zeitlich? Nervlich. Fiva: Also, das alles könnte ich nicht machen … Paul: Ohne Assistenten wie mir! Fiva: Das stimmt. Ein Glück, dass ich Menschen wie Paul und Rüde um mich habe, die Vollblutmusiker sind, sich mit allem auskennen. Ich bin ja keine Musikerin, ich bin Texterin. Die erste Singleauskopplung trägt denselben Titel wie das Album: „Die Stadt gehört wieder mir“. Ein Statement? Fiva: Na ja, es ist nicht so eine Rap-„Ey Leude, ich bin wieder da“-Nummer. Es geht um den Gedanken nach einer Trennung, wenn man z. B. im früher gemeinsamen Café sitzt und sich denkt: „Die Stadt gehört wieder mir – und mir ist scheißegal, dass wir hier zusammen waren!“ Ihr nennt euch Phantom Orchester. Wie kam das? Paul: Rüde und ich haben schon knapp ein halbes Jahr Beats zusammengeschraubt, bevor ich Nina überhaupt kennenlernte. Ich war also für sie das Phantom im Produktionsteam. Bei der ersten Aufnahmesession in Rüdes Keller sagte Nina dann: „Du bist Paul Phantom?“ Fiva: So wurde aus einem Scherz nach zwei Jahren Arbeit das Phantom Orchester geboren.


60 curt // Musik

Paul, wie lief die musikalische Produktion zwischen dir und Rüde? Paul: Wenn man mit einem Kerl wie Rüdiger zusammenarbeitet, ist es einfach Wahnsinn, da er kompositionstechnisch unglaublich viel auf dem Kasten hat. Zusätzlich bringt er eine große Infrastruktur mit. Normal ist: „Streicher wären schon geil. Na ja, programmieren wir sie.“ Und beim Rüdiger ist es einfach: Zack – Streicher sind da. Bisher stand bei dir immer der Text im Vordergrund. Hattest du Sorge, dass was von deinem Stil verloren geht? Fiva: Überhaupt nicht. Ich hatte von Anfang an vollstes Vertrauen. Die beiden wussten, dass es mir saumäßig auf die Texte ankommt, und das ist ja auch die Stärke von Rapmusik. Natürlich haben wir in zwei Jahren Produktionszeit viel umgeschmissen und geredet, aber unsere Basis war immer klar. Paul: Normalerweise wird der Text bei einem Künstler ein wenig stiefmütterlich behandelt. Bei Nina war jedoch klar, dass man sich als Musiker und Produzent anstrengen muss, um auf das Level zu kommen, das sie mit ihren Texten vorgibt. Man kommt nicht oft mit Künstlern zusammen, die textlich auf einem so hohen Niveau arbeiten. Auf dem FM4-Fest habt ihr gerade das zweite Mal zusammen live gespielt. Wie nervös ist man, plötzlich vor einem Orchester zu stehen? Fiva: Unfassbar nervös! War einer der wenigen Momente, als ich dachte: „Was machste denn hier? Spinnste?! Geh nach Hause!“ Kann man aber erst recht nicht, wenn man so viele Leute dabei hat. Jetzt freue ich mich einfach auf die Tour. Wir spielen viele Festivals. Das wird so geil! Was ist für dich das Spannendste am Projekt „Fiva & das Phantom Orchester“? Fiva: Dass ich mich in die Hände von zwei Produzenten begeben habe, die eigentlich überhaupt nicht aus dem Hip-Hop kommen. Und der Schritt, mit Live-Musikern zu arbeiten. Und der Moment, als wir tatsächlich mit den Streichern das aufgenommen haben, was Paul, Rüde und ich im Keller zusammengekloppt haben. Du gehst dann nach Hause und denkst dir: „Mei, natürlich willste, dass alle das Album hören und kaufen. Aber das war schon so ein Meilenstein – das reicht jetzt auch.“ Noch einen Monat bis zur Tour. Wie ist die Stimmung? Fiva: Rüde sagt immer so schön: „Man steht morgens auf und hat schon ein schlechtes Gewissen.“ Es gibt noch so viel zu tun. Ich bin die ganze Zeit zwischen Lachen und Umfallen. Wenn ihr eine Zeitmaschine hättet, in welche Zeit würdet ihr reisen? Paul: Ich bin ein Kind der 70er-Jahre. Obwohl ich glaube, dass für den Durchschnittsmenschen die 70er gar keine so aufregende Zeit waren. Es war schon eine ziemlich spießige und staubige Zeit, aber kulturell ist viel passiert, was heute Wert hat. Mit dem Anfang der Popmusik fühle ich mich auch musikalisch dort sehr wohl. Fiva: Ich wäre gerne von Anfang an dabei gewesen. 1999 habe ich begonnen zu rappen, da war man genau in der Sparte, wo MTV und VIVA nicht mehr cool waren. Ich würde schon gerne sagen: „Ich war dabei, als das erste Soundsystem aufgelegt hat.“ Ich hab ja auch alle Originalplatten – aber eben zehn Jahre später gekauft. Wir machen den Fehler nicht und haben die Platte schon im Regal. Um von Anfang an dabei zu sein. Fiva & Das Phantom Orchester spielen am 27. März im Atomic Cafe // „Die Stadt gehört wieder mir“ von Fiva & Das Phantom Orchester, Rezi und Video auf curt.de.



62 curt // Musik

Sputnik Spring Break festival-idylle auf der Halbinsel Pouch

Früher stand der Muldenstausee-Ortsteil Pouch im Landkreis Anhalt-Bitterfeld zwischen Leipzig und Dessau vor allem für Faltboote. Die „Poucher Boote GmbH“ war unter anderem für den in DDR-Zeiten kultigen Reise-Zweier „RZ 85“ verantwortlich. Einer kurzen Krise nach der Wende folgte der Aufschwung, heute gibt es neben den klassischen Faltbooten auch neue Modelle. Der auf einer Halbinsel liegende Ortsteil bietet viel Platz zum Bootebauen, Ende der 1990er-Jahre entstand hier mit einer Fläche von 60 Quadratkilometern das weltweit größte Landschaftskunstprojekt (Landschaftspark Goitzsche). TEXT: DAVID LODHI // FOTO: Stephan Flad Umso erstaunlicher, dass mit dem Sputnik Spring Break auf diesem malerischen Flecken Ostdeutschlands 2008 ein weiterer Wirtschaftsfaktor hinzukam, der aus dem Jahresplan der Region inzwischen nicht mehr wegzudenken ist. Präsentiert vom Jugendkulturradio des MDR, wurde vor fünf Jahren mit Auftritten von unter anderem Digitalism, Deichkind, Moonbootica und Wir sind Helden erstmals unter Beweis gestellt, dass ländliche Tradition und kulturelle Moderne durchaus unter einen Hut zu bringen sind.

Vom 25. bis 28. Mai feiert das Festival fünften Geburtstag und schreibt damit ein weiteres Kapitel seiner Erfolgsgeschichte. Ein Blick auf das Programm unterstreicht das: Deichkind sind wieder da. Dem ersten frischen Lebenszeichen „Bück Dich hoch“ folgte der Langspieler „Befehl von ganz unten“. Message und Erfolg geben sich dabei die Klinke: „Leider geil“. Der Rostocker Hip-Hoper Marteria (aka Marsimoto) distanziert sich immer wieder gerne öffentlich von seinem musikalischen Genre, das ihm oftmals nicht nur zu anti-schwul ist. Word! Und gut, dass der Mann nicht Fußballer, sondern Rapper geworden ist, und immer häufiger auf den großen Bühnen zeigt, wo es langgeht in puncto Niveau. Ebenfalls raus aus dem Jugendzentrum und das im Schnelldurchlauf geht es nun für die fünf Herrschaften von Kraftklub, deren Debütalbum „Mit K“ Platz 1 der Charts enterte und die Band zum geliebten Sprachrohr ihrer eigenen Generation macht. Irgendwo zwischen Über-Ironisierung und Entgleisung in Spannend. Außerdem sind bisher bestätigt: Anthony Rother, Boris Dlugosch, Fritz Kalkbrenner, Jennifer Rostock, Lexy & K-Paul, Mia., Ostblockschlampen, Sascha Braemer, Turntablerocker, WassBass, Digitalism.

Sputnik Spring Break Festival // 25. bis 28. Mai // pouch // sputnik.de/springbreak // kartenverlosung auf curt.de



64 curt // Musik

EVERYDAY HISTORY indie-Rock

Alles begann vor gerade mal zwei Jahren. Vier Jungs aus Rosenheim taten sich zu einer Band zusammen, tauften sich Everyday History, rotzten fünf Songs auf eine EP namens „Music to the Fore“ und schickten sie zu Achim Bogdahns Zündfunksendung „Montagsdemo“. TEXT: MICHAELA NEUKIRCH In der Jury saßen Sänger Thees Uhlmann und Musikexpress-Redakteur Josef Winkler – und beide verloren sich in übereuphorischen Lobreden. Kostprobe Uhlmann: „Man freut sich, dass ein Gitarrist dagesessen ist und sich das ausgedacht hat. Wenn diese Band aus Amerika und bei Sub Pop gesigned wäre, dann wären die schon das neue große Ding.“ Nachtrag Winkler: „Zeitlos guter Indie-Rock.“ Und Fazit Bogdahn? „Erinnert an Grunge, als Grunge noch Grunge war.“ Die Zauberformel: eine traumhaft eingängige Melodie, die perfekte Mischung aus Laut und Leise, oder „Silks and Satins“ wie die Newcomer ihre Mitsumm-Ode an die erste große Liebe nannten. Beinahe ein Jahr liegt der Lobesreigen nun zurück. Everyday History sind noch immer erst Anfang zwanzig und ausgebildete Musiker, die von Klavier bis Jazzgitarre alles können. Will man wissen, was für einen Sound sie produzieren, heißt es bei Facebook: klassisch-elektronischer Indiemetalblues. „Wir haben keinen Bock auf

dieses ‚Wir sind so anders‘. Das sagt doch jede zweite Band über sich“, erklärt Simon Staudigl, Sänger und Gitarrist. Wer viel Potenzial hat, muss sich nicht eingrenzen: Nirvana beeinflussen genauso wie Radiohead, Dire Straits oder eben Tomte. Und was junge Menschen sonst noch alles beeinflusst. Auffallend reif klingen sie jedenfalls; Un-Rosenheim möchte man sagen. Das gute Englisch, die flüssige Aussprache – beispielsweise von lyrischen Alltagsmythen wie „It’s my routine to eat little children’s hands“, gebettet in eine Unschuldsnummer, ein Wiegenlied. „Der Song – das kann man mit gutem Gewissen sagen –, der ist sozialkritisch. Und ich hasse das Wort sozialkritisch“, kommentiert Simon. Der Song „Radioactive Bareness“ findet sich auf ihrer gerade erst fertig gewordenen zweiten EP „The Last 5 Steps Towards The Sea“. Eins von fünf fabelhaft-poppigen Beispielen für Planlos-Loslaufen-ist-nicht. Und angekommen im Jahr 2012 sind sie auch: Effektgeräte, Loops, Sound-Zerstückelungen – alles da –, aber eine reine Synthie-Pop-Band wollen Everyday History nicht sein. Müssen sie ja auch nicht. Aber was steht dann auf dem Plan? „Durch das Medium Internet nimmt der Musiker eine neue Rolle ein, wenn er Menschen erreichen will. Er muss mehr auf seine Live-Shows schauen. Die Bühne ist Kunst und dafür brauchst du Künstler. Also, mehr live spielen und besser werden“, so Simon.

Subtile Rampensau-Ankündigungen, auf die wir uns sehr freuen: Am 17. März ab ca. 19 Uhr spielen Simon, Dominik, Sebastian und Matthias ein akustik-seit während unserer curt München ausstellung im farbenladen // Retrospektive „70PLUSEINS“ // Eintritt frei // die Galerie schlieSSt um 22 Uhr.


25.–28. Mai 2012

DE I C H K I ND, M I A .

Digitalism, Jennifer Rostock, Kraftklub, , Lexy & K-Paul Fritz Kalkbrenner Marteria, The Koletzkis, Turntablerocker, Moguai , Moonbootica , Boris Dlugosch, Anthony Rother , Tiefschwarz, Timo Maas, Sascha Braemer, Felix Kröcher, Daniel Bortz, Gunjah, Captain Capa, WassBass, Pitchtuner, Disco Dice, Ostblockschlampen, Malente vs. Breakfastklub, Stereo Express, Marcapasos & Janosh, Divinity, Reche & Recall, Louis Garcia, Hartmut Kiss feat. Seth Schwarz, Ron Flatter, Ipunk, Golden Toys, Beens, Zahni vs. Schrempf, Raumakustik, Stereofunk, Bassraketen, Compact Grey, Foss & Stoxx, Panik Pop, Aikoon, Vortex, u. v. m. INFOS & TICKETS:

und bei CTS-Eventim

PRÄSENTIERT


66 curt // Musik

balloon pilot

Endliich erwachsen


Die Münchner Band Balloon Pilot bringt nach 13 Jahren ihr Debütalbum auf den Markt – und beweist, dass sich jeder Tag des Wartens gelohnt hat. TEXT: SEBASTIAN KLUG // Amelie-Antoinette Tegtmeyer Mein Kumpel Tom und ich saßen in meinem alten Mazda und blickten von der Degerndorfer Höhe aus auf den vor uns liegenden Starnberger See. Gerade hatten wir uns noch über Musik, Frauen, Eistee und Amerika unterhalten und standen nun vor der Entscheidung, ob wir links oder rechts herum fahren sollten, um in den Tutzinger Keller auf der anderen Seeseite zu gelangen. Wir fuhren rechts herum – und kamen gerade noch pünktlich an, um das erste Konzert einer Band zu hören, die in diesen Tagen in aller Munde ist: Balloon Pilot. Die Band, die da im Sommer 1999 auf der Bühne stand, hatte an diesem Abend weder einen Namen noch eigene Songs – und rockte ihr Publikum stattdessen vornehmlich mit Ska-lastigen Songs von Sublime und dem verschrobenen Repertoire der legendären Cake in Grund und Boden. Gegründet hatten sie sich für diesen einen Abend, die eines gemeinsamen Freundes. Und weil ihr 45-minütiges Programm recht kurz war, spielten sie es nach einer einstündigen Pause einfach noch einmal. Fast 13 Jahre später steht eine vollkommen veränderte Band vor ihrem Publikum. Aus den einst jungen Wilden sind stille, selbstbewusste Männer geworden, die mit beiden Beinen zufrieden durch das Leben springen, anstatt nur fest darin zu stehen: Bassist Benjamin Schäfer und Drummer Andreas Haberl sind ihrer Leidenschaft konsequent gefolgt und Musiker geworden – sie touren mit Bands wie dem Andromeda Mega Express Orchestra, The Notwist, Jersey oder ihren Jazzprojekten max.bab und Das Rote Gras durch die ganze Welt. Keyboarder Tobias Haberl ist Designer, Gitarrist Radi Radojewski Mathelehrer. Und Sänger, Gitarrist und Songwriter Matze Brustmann ist einfach Matze: Er macht Musik, fährt im Winter Ski auf höchstem und im Sommer Kajak auf Weltklasseniveau – und verdient sich das Geld zum Leben in einem Geschäft für Outdoorkleidung.

In den 13 Jahren zwischen dem Gründungskonzert am Starnberger See und dem Release ihres selbstbetitelten Debütalbums im Februar 2012 ist viel passiert: Da ein Name hermusste, blätterte Schlagzeuger Andi kurzerhand in seinem Spanischbuch und holte das Wort Los Burritos heraus. Und weil sich eine ernstzunehmende Band nicht von Coverversionen allein ernähren kann, kamen immer mehr eigene Songs zum Vorschein, die die Band 2001 auf ein Album mit dem Titel „Rain is liquid sunshine“ presste: Knarzende und krachende Gitarren, tanzbare Beats und dazwischen eine Ballade für zwei verstorbene Freunde, von denen einer eben jener Tom war, der zwei Jahre zuvor noch das Geburtskonzert der Band miterlebt hatte. Die Ska-Szene lag ihnen daraufhin förmlich zu Füßen – doch anstatt auf Nummer sicher zu gehen und sich mit einer fröhlich hüpfenden Menschenmenge vor der Bühne zufrieden zu geben, machten die fünf „Eselchen“ (denn das, so hatte der Andi mittlerweile herausgefunden, bedeutete ihr Bandname) eine Kehrtwende und gingen in eine immer verspieltere elektronische Richtung. Das Ergebnis: das zweite Los-Burritos-Album „On our way to meet the sun“, 2004 in den Münchner Portmanteau Studios produziert und von den beiden Münchner Soundtüftlern Greulix Schrank und Christian Heiß mit teilweise düsteren, meist melancholischen und durchweg eigenwilligen Klängen unterfüttert. Die Reaktionen im Publikum waren geteilt: Einige Fans kamen mit der Abkehr vom fröhlichen Partysound überhaupt nicht klar und saßen bei den Konzerten konsterniert in der Ecke – andere dagegen feierten die frischen, getragenen Breitwandsounds, die der Band zudem auch immer mehr neue Fans vor die Bühne spülte. Parallel zu der gemeinsamen Arbeit mit der Band arbeitete Matze Brustmann in seinem Wohnzimmer sowohl an eigenen Songs als auch an einer perfektionierten Aufnahmetechnik, um diesen Songs den passenden Klang verpassen zu können. Stück für Stück stellte er die Stücke seinen Bandkollegen vor. Jeder einzelne war eine


68 curt // Musik

musikalische Perle, passte jedoch so gar nicht zu dem bisherigen Sound und Image der Los Burritos. Mit anderen Musikern als mit diesen wollte Matze seine Songs aber auch nicht spielen – weshalb man sich entschied, einen langsamen Übergang zu einer neuen Bandidentität zu wagen. Der Name für die traumhaft dahingleitende, kraftvolle und zugleich fragile Musik: Balloon Pilot. Und dann ging im letzten Sommer plötzlich alles recht schnell: Filmmusikkomponist Gerd Baumann und Kulturpionier Till Hoffmann hatten gerade gemeinsam mit der FCB-Legende Mehmet Scholl ein Plattenlabel gegründet und von Balloon Pilot gehört. Alle drei zeigten sich schwer beeindruckt von der Präsenz der Band und der Intensität der Songs (was an ein Wunder grenzt, da sich Fußballfan Radi dank der Anwesenheit seines einstigen Idols Mehmet Scholl nur schwer auf etwas anderes als ein seeliges Lächeln konzentrieren konnte) und boten ihnen nach einem Konzert im vergangenen Sommer an, das Album auf ihrem Label Millaphon Records zu veröffentlichen.

balloon-pilot.de

Eine Bauchentscheidung, die sich auszahlen dürfte. Was dabei nämlich herausgekommen ist und Mitte Februar der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, ist nicht weniger als ein kleiner Schatz: Wo andere Bands einem ihre Musik vor die Stirn klatschen, in die Beine pumpen oder in den Magen pressen, tropft Matze Brustmann seine Musik dem Hörer wie ein edles Öl auf den Nacken, wo sie dann vom Rest der Band sanft einmassiert wird. Schwirrende Gitarren, ein leise säuselndes Wurlitzer-Piano, ein in sich ruhender Bass und das unglaublich geschmackvollzurückhaltende Spiel von Andi Haberl unterfüttern die sowieso schon großartigen Songs wie das treibende „Prudence“ oder das melancholische „Blame it on the rain“ mit genügend Energie, um über all die alltäglichen Sorgen, den Stress und den Ärger hinwegzufliegen und nichts zu hinterlassen als ein warmes Gefühl in der Magengegend. Ein Debüt, das erst nach 13 Jahren veröffentlicht wird, ist eben etwas ganz Besonderes.


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70 curt // Musik

All‘s Well that ends Well

wellkueren.de

Die kalte Luft in München lässt die Lungen schmerzen. Ich bin froh, endlich in den beheizten Räumen der Kammerspiele zu stehen. Ein Hausmusikabend von den Gebrüdern Well erwartet mich und die knapp 200 Besucher, die noch eine Karte ergattern konnten. Die Uraufführung wäre eigentlich erst in zwei Tagen, aber wir kommen schon jetzt in den Genuss der bayerischen Großfamilie aus Günzlhofen. Und als ob dieser musikalische Humoristenhaufen die Lachmuskeln nicht schon genug beansprucht, haben Regisseur Franz Wittenbrink und der Well-Clan noch das Münchner Urgestein Gerhardt Polt engagiert. Die älteren Semester werden sich noch an den ersten Bühnenauftritt der Biermösl Blosn vor dreißig Jahren erinnern. Vor siebenunddreißig Jahren gab Gerhard Polt in der Münchner „Kleinen Freiheit“ sein Bühnendebüt. Und jetzt ist auf einmal Schluss für die bayrische Beerenmoos Boygroup? Wie schnell sind drei Jahrzehnte doch ins Land gezogen … Wer hat an der Uhr gedreht? Wer hat eigentlich bestimmt, wie schnell Zeit vergehen darf? Wer hat bestimmt, wie lange eine Minute dauert? Eine Sekunde? Warum vergeht die Zeit mal wie im Flug, um sich dann wieder bis in alle Ewigkeit hinzuziehen? Robert Levine zitiert in seinem Buch „Eine Landkarte der Zeit“ (Piper Verlag, 2003) eine Stellungnahme von Irving Hoch, der sagt, dass die Geschwindigkeit der Zeit abhängig sei von dem Entwicklungsstand seiner Wirt-

schaft. Wortwörtlich schreibt der Autor: „Wenn eine Stadt wächst, steigt auch der Wert der Zeit ihrer Einwohner parallel zu den steigenden Löhnen und Lebenshaltungskosten der Stadt, so dass ein wirtschaftlicher Umgang mit der Zeit wichtiger und das Leben insgesamt schneller und hektischer wird.“ Ich für meinen Teil habe genug von diesem Wissenschaftsgequatsche, wo man erstmal fünf Minuten überlegen muss, bevor man eine Zeile versteht! Davon hatte ich in der Schule bereits genug. Ich halte es lieber mit Shakespeare, der die ganze Sache einfach auf den Punkt bringt: „Die Zeit vergeht bei verschiedenen Menschen verschieden schnell.“ So einfach ist das!? Und wir Münchner haben uns für die Zeit jedenfalls den schönsten Platz rausgesucht. Wie viele Stunden vergehen oder wie die Uhr funktioniert – sei’s drum! Wichtig ist, dass wir uns immer wieder bewusst machen, wie schön diese Stadt ist, mit all ihren dunklen Ecken, versteckten Perlen und stillen Momenten. Die Momente, in denen wir glücklich sind, die Stunden die wir mit Freunden verbringen – das ist doch am Ende die Zeit, die zählt! Genießt die Minuten, die Stunden und Tage. Genießt die Zeit. Einfach so. Prost. curt empfiehlt über das Leben und die Zeit zu sinnieren oder sich einen Hausmusik-Abend „Fein sein, beinander bleibn“ der Well-Familie zu geben. Kann auch helfen. TEXT: KILIAN SCHWAIGER // FOTO: MICHAEL DENGLER

alle hausmusikabend-termine: muenchner-kammerspiele.de // kartenverlosung für den 10. mai gibts ab april auf curt.de


helge schneider auf tour

Hier könnte ein Interview mit Helge Schneider stehen, allerdings meinte sein Tourberater Till Oellerking, er würde sich gar erst nicht trauen, Helge danach zu fragen,

er würde ohnehin schon während der Tour so viel rumnölen. Schade Schokolade ... aber wir können Helge deswegen ohnehin nicht böse sein. FOTO: MICHAEL DENGLER

curt verlost 2 x 2 Karten für Helge schneider im circus Krone am 17. Mai // die Verlosung findet ihr ab April auf curt.de


72 curt // lesestücke

.. curt prasentiert T.C. Boyle

Großer Aufschrei in der Redaktion: Autor Thomas Coraghessan Boyle kommt nach München und liest aus seinem aktuellen Roman „Wenn das Schlachten vorbei ist“. Der Schriftsteller hat bereits mit vielen anderen Werken wie Dr. Sex, Drop City, World’s End, Grün ist die Hoffnung, Wassermusik – um nur einige zu nennen – begeistert und wir können es kaum erwarten, den Meister am 7. Mai live in der Muffathalle zu erleben. Macht euch auf einen tollen Abend gefasst, denn T.C. Boyle gehört zu den wenigen Autoren, die regelmäßig auf Tour gehen. Über seine Auftritte sagt er, dass er seinem Publikum eine wirklich gute Show liefern wolle. Wer sich vorab ins Thema einlesen möchte: Auf curt.de gibts eine ausführliche Rezension über T.C. Boyles apokalyptischen Roman „Wenn das Schlachten vorbei ist“, der von der Ausbeutung der Natur durch den Menschen handelt. Wir verlosen online 3 Bücher und 3x 2 Karten für die Lesung! TEXT: ANDREEA HULA curt präsentiert: T.C. BOYLE // Lesung // 07. Mai // Muffathalle // 3x2 Karten + das neue Buch auf curt.de gewinnen!


Der münchnerischste aller Münchner: Die Biographie des radikalen Querdenkers, Wortkünstlers, Musikers, Filmpioniers und unnachgiebigen Außenseiters Karl Valentin ist geprägt von Höhen und Tiefen, bizarren Ereignissen und bemerkenswerten Besonderheiten. 19 Künstler der Münchner Comic Vereinigung „Comicaze“ haben sich auf die Spuren der Person Valentin Ludwig Fey begeben und dessen Lebensweg in ganz unterschiedlicher Herangehensweise zu Papier gebracht. Daraus ist ein Buch im Münchner Volk Verlag entstanden. Auf volkverlag.de erhältlich. curt verlost 3 Exemplare // einfach e-mail an ichwillgewinnen@curt.de mit betreff „Semmmelknödelll“ // Viel Glück!


74 curt // m端nchner details

Luc und die Seenotfackel


Das diffuse Licht war auf einmal grell geworden. Der Wirt sammelte die wenigen Scherben des Abends mit der Hand auf, die Besucher verließen das Lokal. Auch der süße, spitze Kirschmund, den Luc so gern geküsst hätte, war mit spitzer Zunge einfach so verschwunden. Also lief Luc ganz für sich allein durch die noch viel zu junge Nacht. Durch Schwabing über den Lehel nach Haidhausen. Niemand sollte ihm auf diesem Weg begegnen, keinen Mucks sollte die Stadt mehr von sich geben. Nirgends mehr ein kurioser Laden, aus dem ausgelassenes Gelächter nach draußen schepperte. Kein Erdbeermund, nicht die Spur einer unbändigen Antilope, keine klugen Wilden waren mehr unterwegs. Die Straßen waren tot. Die Laternen, die im Wind pendelten, leuchteten nurmehr für Luc. Seine nackten Füße schmerzten auf den kalten Kieselsteinen. TEXT: CALIPPO SCHMUTZ // FOTOS: SEBASTIAN HOFER

„Dabei ist die Nacht doch viel zu jung“, dachte das


76 curt // münchner details

Männlein im Bademantel ganz bei sich und stützte sich an eine der glatt gemachten Hausfassaden Münchens. Da entdeckte er zu seinen Füßen ein kleines Türchen, in die Fassade gefasst, nur ein Stück über dem Asphalt. Luc ergriff die winzige Klinke und setzte vorsichtig einen Fuß über die Schwelle. Dann stürzte er Hals über Kopf in die Tiefe. Die düsteren Katakomben Haidhausens, in denen vor langer Zeit noch Bier gekühlt wurde, waren mittlerweile zubetoniert. Kaum ein Schlupfloch führte noch zu dem zwielichtigen Markt, auf dem so allerhand angeboten wurde. Luc handelte kurz entschlossen und zückte den Geldbeutel aus der Seitentasche des Bademantels. Er nickte dem Händler zu. Sein ölverschmiertes Lächeln flackerte im Kerzenlicht auf. Dann reichte er Luc eine Leuchtfackel, wie sie im Notfall auf hoher See gebraucht wird. Doch noch entließ der alte Händler die Seenotfackel


nicht ganz aus seinen Händen. Er begann aus einer längst vergangenen Zeit zu erzählen: „Das glückliche Temperament der Stadt, dieses erdhafte, naturnahe, sinnliche, pralle, stolze Wesen des Bajuwarentums, vereinigte sich mit den wahlverwandten Eigenschaften der hierher verpflanzten Künstlerjugend zum glücklichsten Bund. Es waren die Feste der Schönheit, der Sinnenfreude, der Jugend, des Talents. Mannigfaltigkeit, Farbseligkeit, und zuletzt nicht auch Komik, wo das Auge verweilte (Zitat Max Halbe). „Was ist nur daraus geworden, wie sehr ist unsere schöne Stadt verkommen?“, sinnierte der alte Mann weiter. „Wie schön war es, die rauschhaften Auswüchse dieser Bewegung mitzuerleben. Eine Münchner Bewegung, die eine Welt des seelenmordenden Fortschritts ablehnte. Sie wies nicht nach vorwärts, sondern zurück auf die mächtigen,


78 curt // münchner details

urewigen Wurzeln alles wahren Lebens, denn alles Heutige ist ohne Wurzeln.“ (Zitat von Franziska zu Reventlow) „Luc, entzünde diese Fackel und die sinnliche, komische, bunte Toleranz wird wieder in diese Straßen zurückkehren!“ Luc kletterte über eine kleine Stiege wieder ins Freie, um sogleich die Reißleine der Notfackel zu ziehen. Ein kurzer Knall und schon leuchtete der Feuerschein im grellen Rot und überschwemmte das Schwarz der tiefen Nacht. Fassaden flimmerten rot, so wie die Bäume in den Parkanlagen zu leuchten begannen. In den Lokalen, an denen Luc mit ausgestrecktem Arm vorbeistelzte, erwachte neues Leben. Stammtische flammten in leidenschaftlichen Streitereien über die schönen Dinge auf. Musik ertönte. Und so sprangen auch die langbeinigen Gazellen aus den Hauseingängen zurück aufs Parkett. Ein


Himbeermund machte sich daran, Luc zu verführen, doch eine Horde lustiger Wilder kam dazwischen und schleppte die beiden auf eine Maskerade. Porsche Cayennes entzündeten sich wie von selbst und das allgemeine Juchzen auf den Straßen wurde nur dann für einen Augenblick übertönt, wenn die Autos wie riesige Chinaböller in die Luft flogen. Die Fackel strahlte und die Gesichter auch. Aber nur noch ein bisschen. Denn dann erlosch das rote Feuer. Und sogleich dröhnte ein trauriges Raunen durch die Viertel. Luc betrachtete den noch glühenden Docht seiner Fackel. Der schöne Rausch war vorbei. Wie sehr hatten sich die Ausgehungerten und Sehnsüchtigen an ihm vergnügt. Noch klarer wurde ihnen nun, was dieser Stadt verlorengegangen war. Doch das wollte die Horde der wilden Klugen nicht ertragen. Und um Luc herum flogen schon die ersten Fäuste.


80 curt // curt stellt vor

.. maximilian bruckner Rollenwechsel


Theater, Fernsehen, Kino – was macht ein Schauspieler, der bereits alle Medien durch hat? Richtig, er wechselt die Seiten und führt Regie. Wie sich das anfühlt, erzählt Maximilian Brückner, der im Februar am Volkstheater München mit dem Stück „Magdalena“ sein Regiedebüt gab.

Bisher kannte man dich vor allem aus dem Fernsehen oder von der Kinoleinwand. Jetzt führst du zum ersten Mal selbst Regie … Maximilian: Ich habe schon vor Jahren einmal Regie geführt, damals noch in unserem Dorf. Das hat mir wahnsinnig Spaß gemacht. Da hat sich bei mir der Gedanke geregt, dass ich das gern irgendwann wieder machen würde. Und jetzt dachte ich mir, wäre der Zeitpunkt gut, mir das zuzutrauen. Man muss es ja mal probieren. Kann ich das? Macht mir das überhaupt Spaß? Hört sich an, als wärst du etwas nervös. Maximilian: Selbstverständlich! Wäre auch schlimm, wenn es nicht so wäre. Es gibt schließlich kein Rezept dafür, wie man das richtig macht – weder als Regisseur noch als Schauspieler. Ob es bei mir wirklich hinhaut, weiß ich daher natürlich noch nicht. Es ist aber toll, dass ich am Münchner Volkstheater zumindest die Möglichkeit bekommen habe, das auszuprobieren.

Ist es denn als Regisseur von Vorteil, vorher Schauspieler gewesen zu sein? Maximilian: Es ist schon gut, wenn man das Theater kennt und weiß, wie Proben ablaufen. Was halt

Zumindest sollte es als ehemaliger Schauspieler aber einfacher sein, sich in seine Schauspieler hineinzuversetzen, oder? Maximilian: Das schon, ja. Aber das kann auch ein Nachteil sein, weil du als Regisseur auch abstrahieren können musst. Ob es jetzt bei mir ein Vorteil oder ein Nachteil sein wird, dass ich Schauspieler bin, weiß ich noch nicht. Ich glaube, das ist bei jedem anders. Dein Regiedebüt gibst du ja mit „Magdalena“ von Ludwig Thoma. Warum hast du dir ausgerechnet dieses Stück ausgesucht? Maximilian: Ich habe ja vorhin erzählt, dass ich vor Jahren schon einmal bei mir im Dorf Regie geführt habe. Und das war damals auch schon „Magdalena“ gewesen. Deswegen hatte ich hier schon Erfahrungen gesammelt. Außerdem ist es ja ein bayerisches Stück. Damit ist es mir näher und es hat mit dem Dorf zu tun, aus dem ich komme. Das waren so meine Überlegungen. „Magdalena“ ist jetzt aber schon etwas älter. Die Uraufführung war 1912, also vor genau 100 Jahren. Wie holst du das Stück in unsere Zeit, damit es auch in der Gegenwart funktioniert? Maximilian: Wir haben es fast 1:1 übernehmen können, denn die Strukturen sind ja alle noch die

TEXT: oliver armknecht // FOTOS: christian vogel

War es deine Idee, das Stück hier aufzuführen? Maximilian: Das Volkstheater ist einfach mein Haus. Ich gehöre zwar nicht zum Ensemble, habe hier aber schon sehr lange gespielt. Deswegen war für mich klar, auch hier aufzuführen. Ich habe mich dann mit Christian Stückl, dem Intendanten, unterhalten. Und am Ende hat er mir wirklich die Chance gegeben. Der ist sehr mutig und versucht immer wieder was Neues. Das ist das Tolle hier an dem Theater!

neu ist, sind die ganzen Sachen, um die man sich als Schauspieler nicht kümmern muss. Das Einleuchten zum Beispiel. Vorher musste ich mich nur um meine Figur kümmern. Jetzt muss ich das Ganze im Überblick behalten und habe die Gesamtverantwortung. Ich muss ja die Geschichte und die Schauspieler führen, von denen jeder verschieden ist. Und das ist schon eine Herausforderung.


82 curt // THEATer

gleichen. Ob es jetzt Religion, Hautfarbe oder Sexualität ist: Wenn jemand anders ist, wird er ausgegrenzt. Ich finde daher, dass sich die Leute in den 100 Jahren gar nicht so viel verändert haben und das Stück noch genauso relevant ist. Aber natürlich habe ich mir schon überlegt, wie wir „Magdalena“ für unsere Zeit noch stärker machen können.

Ihr habt aus der Figur, die dem Stück seinen Namen gegeben hat, einen Mann gemacht? Funktioniert der Titel „Magdalena“ dann überhaupt noch? Maximilian: Keine Sorge, wir haben uns natürlich unsere Gedanken gemacht und das Stück so gebaut, dass er keinen Namen braucht. So wie wir das Stück aufführen, sollte es tatsächlich funktionieren. Hoffe ich.

Also war meine Idee, aus der Hauptfigur einen Mann zu machen. Denn Männerprostitution ist noch mal ein ganz anderes Tabuthema, über das man bis heute kaum redet und mit dem viele nicht umgehen können. Außerdem macht es den Konflikt zwischen dem Vater und der Hauptfigur noch stärker. Und das ist ja ein ganz zentrales Thema innerhalb des Stückes.

Hast du denn schon Pläne für die Zeit danach? Könntest du dir vorstellen, regelmäßig Regie zu führen? Maximilian: Immer langsam. Erst einmal muss ich das hier über die Bühne bringen und schauen, ob es funktioniert. Ob die Leute das Stück überhaupt sehen wollen. Und das kann am Ende nur das Publikum entscheiden.

kurz

app und kn

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Magdalena von Ludwig Thoma // Regie: Maximilian Brückner // Termine im Münchner Volkstheater: 3. / 17. / 18. März / 4. April // 19.30 Uhr // muenchner-volkstheater.de


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84 curt // der weinbrandt rät

Wein-Zeitreise Seit jeher versuchen die Menschen, ihre Nahrungsmittel dauerhaft haltbar zu machen. Schließlich sichert das Vorräte in harten Zeiten der Entbehrung. Dieser Tage liest der weinbrandt – selbst ein lebendes Fossil – häufiger über genießbare Gewürzgurken im Glas von 1928, Schweineschmalz-Care-Pakete, die man nach dem Zweiten Weltkrieg in millionenfacher Ausführung frei in West-Deutschland verteilte und die jetzt knickerigen Friedhofsverweigerern die Existenz sichern oder Polarforschern, die Mitte des 19. Jahrhunderts statt durch die klirrende Kälte noch von einer Bleivergiftung ihrer minderwertigen Konservendosenverpflegung dahingerafft wurden. Aber wie ist es eigentlich um die Wein-Widerstandsfähigkeit bestellt? TEXT: christoph brandt Ständig neue archäologische Funde lassen die Trophäe des altertümlichsten Rebsafts der Menschheitsgeschichte um den gesamten Globus wandern. Aktuell dürfen sich die Chinesen mit jenem kulturhistorisch prestigeträchtigen Preis schmücken. Nach Ausgrabungen in der Provinz Henan kam man zur Überzeugung, dass die dortige Bevölkerung bereits vor über 9.000 Jahren die Methoden zur Weinerzeugung kannte. 2010 fanden Taucher vor den finnischen Aland-Inseln in einem Schiffswrack edle Fracht: Champagner, Jahrgang 1780, vollends intakt und durch das kaum salzhaltige und konstant 4 Grad kalte Ostseewasser optimal konserviert. Bei einer Auktion zahlte ein Connaisseur 30.000 Euro für eine einzige Flasche dieser kulinarischen Kostbarkeit. In unseren Landen kann man auch die eine oder andere Wein-Rarität aufspüren, die aus weiter Vergangenheit herrührt. In Speyer steht eine Pulle, die um etwa 300 nach Christus als Beigabe in einen römischen Steinsarkophag gelegt wurde. Die gelb-grünliche Flüssigkeit ist vom mikrobiologischen Aspekt her keineswegs verdorben, sie dürfte aber sogar dem weinbrandt keine Freude mehr bereiten. Obwohl er stetig die Meinung vertritt: Je oller die Frucht, desto süßer ihr Saft. Der wohl älteste noch trinkbare Wein der Welt lagert in einem legendären Fass im Bremer Ratskeller. Der sogenannte Rüdesheimer Apostelwein stammt von 1727 und schmeckt nach halbtrockenem Sherry, Kaffee und Leder. Eine 2000 abgefüllte 0,375Literflasche erbrachte 6.500 Euro bei Christie’s. Manche Menschen werden im Gegensatz zu Wein zwar alt, aber selten reif. Der siebengescheite weinbrandt, der sich liebend gerne mit Auslaufmodellen amüsiert und darauf schwört, dass man Segeln nur auf in die Jahre gekommenen Fregatten lernt, rät: Gereifte Weine sind wie eine betagte Dame – zurückhaltend, unbeständig und selten zufriedenzustellen. Wann immer man sie anbricht, riskiert man, enttäuscht zu werden. Sind sie jedoch in Form – und das sind sie bei guter Pflege meistens – ach, welch wundervolle Wonnen!


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14. – 20. 3.2012


curt im Ausland DUBAI Wie ich einmal eine Woche in Dubai versucht habe, eine Burka zu kaufen, und stattdessen nur das beste Foto meiner Karriere bekam. TEXT UND FOTOs: JAN RASMUS VOSS


im ausland // curt 87


Dubai, als Reiseziel, ist am schönsten, wenn man es kurz vor dem Abflug durch Mallorca ersetzt. Ich musste aus geschäftlichen Gründen aber hin: Ein guter Freund heuerte mich im Namen eines großen Pharmakonzerns als Kameramann an. Es war Dezember und ich war zu diesem Zeitpunkt gerade in Südafrika Weine probieren, weil ich so ein geiler Typ bin. Letztendlich hat mich dann die Aussicht auf Geld doch dazu bewegt, für eine Woche in die Wüste zu fliegen. Und die Aussicht auf Geld ist auch der Grund, warum alle anderen dort sind. Inder, Philippiner und Afrikaner bauen die Hotel-Wolkenkratzer in die Wüste, an deren Hotelbars dann die osteuropäischen Edelnutten darauf warten, dass reiche Westeuropäer anbeißen und vielleicht sogar auch mal ein Saudi. Als ich in Dubai ankomme, sind die Saudis allerdings voll damit ausgelastet, ihren 40. Jahrestag zu feiern. Überall die Köpfe der Scheichs: auf den Cornflakes, dem Taxi, der McDonalds Serviette und auch auf der 200 m hohen Fassade meines 5-Sterne-Hotels. „Sauber!“, denke ich mir und verspüre Bewunderung für die Herren mit den modernen Bärten und dem Perlweiss Lächeln. Wie auf dem Poster von Reservoir Dogs laufen sie einer sicheren Zukunft entgegen, die sie in klimatisierten Shopping Malls verbringen werden. Schön. Freunde in Kapstadt hatten mir mit kosmopolitischer Selbstgefälligkeit beschrieben, dass die Hotelzimmer in Dubai gerne mal etwas luxuriöser ausfallen („Du, in Dubai ist alles total luxuriös.“), aber als ich dann in meiner 120-qm-Suite stehe und dem Pagen 5 Euro gebe, weil er meinen Duty-free-Wein so schön in das dafür vorgesehene Weinregal gelegt hat, muss ich doch kurz schlucken. Ich habe auf beiden Toiletten Telefone und zwei Flachbild-Fernsehgeräte, deren Fernbedienungen in Leder-Etuis eingefasst sind, damit sie besser in der Hand liegen. Die Sender sind sauber sortiert. Es gibt 25 Kanäle, auf denen Fußball und Kamel-Rennen gezeigt werden, und dann ARD und ZDF, für die hier bestimmt keiner GEZ zahlt. Ich klappe meinen Laptop auf, um ein Gerücht zu klären, und tatsächlich: YouPorn funktioniert nicht, genauso wie jede andere Seite, die eventuell anstößig sein könnte. Zum Glück onaniere ich nie, weshalb mir diese Erkenntnis nur eine leichtes Schulterzucken abverlangt. Ich schaue gleichgültig aus dem Fenster und blicke auf eine 13-spurige Autobahn, auf der der Verkehr in beiden Richtungen steht. Zum Glück sind die nächsten 5 Spuren schon in Arbeit (Inder). Benommenheit und Heimweh stellt sich ein. Bis zum Abendessen will ich mir noch ein bisschen die Beine vertreten, was mir der Concierge allerdings ausredet: „No walking, Sir. Too hot!“ Stattdessen nehme ich die U-Bahn und steige in einen Wagen voller Frauen. „Geil“, denke ich, „wer braucht YouPorn bei so vielen Frauen?“ – bis mich die Security forsch darauf hinweist, dass ich in den Männer-Wagen muss, wo ich mich zwischen schwitzende Arbeiter quetsche. Die letzten Meter zur Shopping Mall will ich dann doch zu Fuß laufen und schlürfe bald zombie-like mit anderen Touristen im Kreis, auf der Suche nach dem Eingang. Die größte Shopping Mall der Welt hat nämlich keinen Personen-Eingang. Man muss schon mit dem Auto kommen. Irgendwie schaffe ich es dann durch die Tiefgarage und laufe an Aquarium, Skating Ring und Skihalle vorbei zu H&M, wo ich mir ein Hemd für den doppelten Preis kaufe. In Dubai ist nämlich nichts billig, außer Benzin. Völlig abgekämpft und mit Klimaanlagen-Kopfweh nehme ich ein Taxi zurück ins Hotel (2 Euro) und lege mich an den Pool. Das Paulaner Bier (9 Euro) lasse ich zurückgehen, weil es sauer geworden ist und sich der Geschmack mit dem Mango-Tabak meiner Wasserpfeife (12 Euro) beißt. Der Schrank von einem Mann, der meine Pfeife sowohl an- als auch alle 10 Minuten zwischenraucht, hat eine Stimme wie Martin Semmelrogge, gesprochen durch die Maske von Darth Vader. Es gibt in diesem Land offensichtlich irgendwo eine Mutter, die ihrer besten Freundin am Telefon stolz erklärt: „Du, der Ahmet, der ist jetzt Pfeifen-Anraucher im Ritz Carlton.“ Und die Freundin wird antworten: „Ach, der Ahmet, der war früher schon immer so ein kleiner Paffer, hi hi. Super! Gratuliere!“ Über gesundheitliche Risiken wird wahrscheinlich nicht geredet, aber in der Wüste will man eh nicht alt werden. Mittlerweile ist mein Kumpel aus Deutschland eingetroffen, der nur ein Bad in seiner Suite hat, dafür aber einen Sessel mehr und einen Obstkorb. Vor dem Abendessen gehen wir auf den Burj Khalifa, von dem ich sicher bin, dass ihn der Kalif nur so hoch gebaut hat (830 m), in der Hoffnung, irgendwo ein ausländisches Netz zu bekommen, über das dann wieder YouPorn funktioniert. Es scheint nicht geklappt zu haben, denn 90 % der Wohnungen stehen leer. Man kann von hier oben allerdings sogar 14-spurige Autobahnen sehen (Stau). Wir treffen uns mit unseren Kunden bei


im ausland // curt 89


einem Edel-Italiener, von dessen Terrasse aus man den größten Springbrunnen der Welt sehen kann, bzw. von ihm komplett erschlagen wird. Alle 15 Minuten donnert Zucchero oder Enya ohne Vorwarnung aus gefühlten 100.000 Boxen, sodass einem die Salami-Pizza (20 Euro) schon mal in die Luftröhre rutscht. Immerhin hat der Italiener, im Vergleich zu fast allen anderen Restaurants, eine Alkohol-Lizenz, was bedeutet, dass ich mir theoretisch ein Glas billigen Chianti für 15 Euro bestellen könnte. Da unsere netten Kunden zahlen, will ich aber nicht den Eindruck erwecken, ich hätte ein Alkohol-Problem, und trinke stattdessen später alleine, beim Kamelrennen im Fernsehen, meinen Duty-free-Wein leer. Apropos Alkoholproblem: In Dubai hat man das auf jeden Fall, denn man kann einfach keinen kaufen. Nach unserem ersten Arbeitstag habe ich von so viel Wüstensand und Auto-Stau-Feinstaub einen Brand in der Kehle, den nur kaltes Bier löschen kann und muss. Zu den Edelnutten in die Hotel-Lobby möchte bzw. traue ich mich nicht und gehe deshalb zu einem kleinen Kiosk, der rund 60 Sorten alkoholfreies Bier in den Regalen hat. Ich sage (natürlich in butterweichem Englisch): „Guter Mann! Wenn es einen Gott gibt auf dieser Welt, würde er dich bestimmt königlich belohnen (nie wieder Dubai), wenn du neben deiner reichen Auswahl an alkoholfreien Getränken für einen durstigen Reisenden wie mich ein Bier MIT Alkohol hinter deinem Tresen verstecken würdest.“ Er sagt: „Nein, das habe ich nicht, aber geh mal da hinter und dann rechts und dann hinter dem Haus in die Tür, über der das kleine Schild hängt, auf dem ,Pub‘ steht. Drinky, drinky, Sir!“ Und tatsächlich stehe ich plötzlich in einem Irischen Pub, komplett mit alter Theke, zahlreichen Zapfhähnen, an denen Kondenswasser perlt, und dicken Iren, die frittierte Sachen essen und sich danach die Fettfinger lecken, die fetten Iren. Zum Thema Fett möchte ich an dieser Stelle nicht unerwähnt lassen, dass in Dubai prozentual die meisten Diabetiker leben, weil es so viel Fast Food gibt und keiner Lust hat, bei 45 Grad im Schatten Pilates zu machen. Jedenfalls habe ich den Tresen beim Iren jeden Abend besucht und mich gefreut, dass ein ordentliches Bier hier nur schlappe 7 Euro kostet. Um unser Filmprojekt optisch aufzuwerten, sind wir viel zu Fuß mit der Kamera unterwegs und versöhnen uns auf diesem Weg sogar ein bisschen mit dieser Stadt, die eigentlich nicht sein darf. Wenn man für ein paar Cent frisches Fladenbrot direkt aus dem Ofen bekommt und dieses dann in schön verzierten Humus tunkt, vielleicht sogar noch Minztee dazu, dann hat man schon mal für ein paar Minuten das Gefühl, so authentisch arabisch unterwegs zu sein ... wie z. B. in Kreuzberg. Und je billiger und weiter weg wir von den Hotels und Shopping Centern kommen, desto mehr Spaß haben wir. Und so machen es die hart arbeitenden Inder übrigens auch. Die gehen an ihrem freien Tag an den Touristen-Strand, setzen sich auf eine kleine Mauer und schauen aus der Ferne westliche Pauschalurlauber an, die im Bikini im Brackwasser baden, was aufgrund der ganzen künstlichen Palmen und Inseln mehr oder weniger steht. Von hier aus hat man aber einen herrlichen Blick auf die Skyline der leer stehenden Wolkenkratzer und hier ist es auch, wo ich zu dem besten Foto meines Lebens komme. Während ich den Indern zuschaue, die den badenden Mädels zuschauen, setzt sich eine Katze vor mich hin und leckt, völlig unbeeindruckt vom architektonischen Größenwahn Dubais, ihr eigenes Arschloch. In diesem kleinen Moment ziehe ich Ruhe aus der Gewissheit, dass diese ganze Wüsten-Disneyland-Seifenblase ganz bestimmt noch während meiner Lebenszeit platzen wird (z. B. Öl alle) und ich dann die Reservoir-Dogs-Perlweiss-Lächeln-Fahne in der linken und ein kühles Bier (1 Euro) in der rechten Hand wedele ... so wie ein König … oder Kalif! Ungern möchte ich diesen kleinen Erfahrungsbericht allerdings mit einem negativen Gefühl beenden und noch schnell was über den schönsten Teil Dubais berichten: die Wüste. Dort haben wir aufgrund des schönen Rahmenprogramms unserer Arbeitgeber die letzte Nacht verbracht. In einem Konvoi Allrad-Jeeps wird man in eine kleine Oase gebracht, wo schön gegrillt, gebauchtanzt und geraucht wird. Man bekommt einen Schlafsack und darf vor dem Zu-Bett-Gehen noch mal ein bisschen durch die Nacht wandern. Es ist kühl, der Sand ist angenehm weich zwischen den Zehen, die Sterne leuchten und man hört absolut nichts. Und wegen diesem Moment bin ich so dankbar, dass ich nach Dubai durfte, denn die Wüste, das Dubai, wie es sein sollte, ist wunderschön. Und während das halbe Camp die Nacht vor Euphorie und harter Matratzen kein Auge zubekommt, nehme ich eine halbe Schlaftablette und döse zufrieden mit dem Gedanken ein, dass mein Handy-Hintergrund jetzt eine Katze zeigt, die ihr Arschloch leckt, vor dem größten Haus der Welt, im Jahre 2012.


im ausland // curt 91


92 curt // selbstversuch

Einmal die Zukunft, bitte! Ob mit Pendel, Karten oder Kristallkugeln bewaffnet – ßbersinnliche Medien mit Engelskontakten und Blick in die Sterne findet man im Internet wie Sand am Meer. Aber wer hat wirklich was drauf? Was bringt die Zukunft? Wer kann mir sagen, was morgen passieren wird? curt testet Hellseher. TEXT: Melanie castillo // ILLUS: VALENTIN PLANK


Lottozahlen-Vorhersagen fallen schon mal raus, wie ich bei meinem ersten Gespräch mit Hellseherin Rita feststellen muss. Die 46-Jährige kann zwar mit meinen Ahnen reden, aber ob Bayern München Meister wird, kann sie so pauschal nicht ausmachen. „Sollen wir das auspendeln?“, höre ich durchs Telefon. Och nö, lass mal. Hellseher Dieter arbeitet bei hellsehen-am-telefon.de und erklärt, dass meine Fragen von Herzen kommen und persönlich sein müssen. Nur so würde der Energiekreislauf besser fließen und er mehr sehen können. Auf Wunsch könne er auch die Meinung eines vertrauten Tieres zurate ziehen. Bei Dieters Kollegen, Avatar Klaus, lasse ich mich erstmal von sämtlichen Flüchen reinigen. Es läge alles an meiner Einstellung, für die ich aber nichts könne, weil ich in meinem früheren Leben vermutlich Opfer eines bösen Rituals gewesen sei, das sich nun im Hier und Jetzt auf mein Karma auswirke. Avatar Klaus löst meine negativen Energieblockaden innerhalb von 11 Minuten. Bei 1,49 Euro pro Minute fast schon ein Schnäppchen. Die Zukunft kann kommen. Aber wie wird sie denn nun? Auf stretago.de wird mir in Sachen Vorhersagen 100 % Seriosität versprochen. Ich lande bei DiplomAstrologin Visiona. Als Channel-Medium weiß sie bereits nach einem kurzen „Hallo“ von mir, dass ich temperamentvoll und extrovertiert bin. Sie ahnt eine Verbindung zu einem Medium, dessen Anwesenheit sie deutlich spürt. Wie durch Geisterhand höre ich mich das Wort „curt“ sagen. Bingo! Ob ich denn wissen wolle, ob es curt in naher Zukunft in meinem Leben noch geben werde. Ich kann mein Glück kaum fassen, in diesem Augenblick startet die Happy Hour „Hear your time“ zum halben Minutenpreis. Das muss ein Zeichen sein! Nach ein paar Minuten Konzentration ist die Verbindung zu meinem Unterbewusstsein hergestellt. „Das Pendel nimmt die Schwingungen auf und übersetzt diese in sichtbare Bewegungen“, erklärt Visiona. Die Spannung steigt. Das Pendel sagt an, Visiona spricht: Eine diffuse Beziehung, intensiv, wechselhaft, energetisch ... Das passt gut, mein Horoskop von letztem Monat hatte auch so etwas Ähnliches prophezeit: Halten Sie die Augen offen – es kann alles passieren! Nach diversen Online-Kristallkugel-Orakeln, Kaffeesatz-Lesen und Traumdeutungen fasse ich zusammen: Mein Leben ist unglaublich spannend und ich bin ziemlich super. Ich beschließe, jemanden face to face mit meiner Zukunft und curt zu konfrontieren. Meine Wahl fällt auf die Münchner Schamanin Silvia Röder. Sie ist gebürtige Münchnerin, bietet individual-psychologische Beratung und Heilung, schamanische Heilreisen und Kartenlegen an. Als Juristin bekommt ihre Kombination aus den Heilmethoden noch mal einen ganz besonderen Dreh. Für mich wird sie Tarotkarten legen. Sie empfängt mich in ihrer Wohnung in Fürstenried West. Kein Hokuspokus, kein Hexenhut, kein Abracadabra. Frau Röder scheint mir eine äußerst umgängliche Person zu sein, die die beste Freundin meiner Mutter sein könnte. Im Hintergrund kräht Rod Stewart aus den Boxen. Bevor es losgeht, werde ich in die Basics eingewiesen: der Zugang zum universellen Bewusstsein, das morphoenergetische Feld, die systemische Aufstellung und Bestellungen beim Universum. Bestellung? Sehr schön, ein Bier, bitte! Frau Röder mischt die Karten und fächert sie auf dem Tisch auf. Ich stelle meine Fragen laut, ziehe jeweils eine Karte und decke sie auf. Erfolg, Reichtum, Liebe. War das jetzt Glück oder sind diese Karten wirklich für mich bestimmt? Viel mehr als die Interpretation der Karten zieht mich Frau Röder durch ihre sympathische Art in ihren Bann, wie sie mit meinen Fragen umgeht, genauer nachfragt, mich von einem außenstehenden Standpunkt reflektiert und gutes Einfühlungsvermögen zeigt. Die Karten liegen da und wir reden über alles Mögliche. Über ihre Kindheit in Sendling, über Politik, über Eigenverantwortung im Leben. Ich gehe bestärkt aus den vier Stunden mit Frau Röder nach Hause. Karten hin oder her – Untergang, Armut und Hass wären an diesem Abend so oder so keine Option gewesen. Nicht für mich, nicht für curt. So schauts nämlich aus. Zukunft, egal, wie du wirst, ich bin da und freue mich auf dich! vielen dank an silvia Röder // alle infos zu ihr findet ihr unter münchner-schamanin.de


das impressum der zukunft. ja, pfiadi gott!


impressum // curt 95

Die curt Redaktion Geschäftsführung curt media gmbh Stefan Neukam. steff@curt.de

Chefredaktion curt Nürnberg. Reinhard Lamprecht. lampe@curt.de

an dieser ausgabe haben mitgewirkt: Andreea Hula, Melanie Castillo, Christoph Brandt, Michael Dengler, Martin Emmerling, Sebastian Klug, Christian Vogel, Sebastian Hofer, Thomas Karpati, Jan Voss, Achim Schmidt, Valentin Plank, Margarita Sereda-Wildenauer, Petra Kirzenberger, Verena Vötter, Bob Pfaffenzeller, Julia Fell, Michaela Neukirch, Max Brudi, Oliver Armknecht, Amelie-Antoinette Tegtmeyer, Angela Sandweger, Karin Teutsch, John Holl, Melanie Leyendecker (Mel Zwo), Martin Arz, David Lodhi, Marius Rohne, Kilian Schwaiger, Marc Pletzer, Christian Gretz

Check vor druck Christian „Palito de pescado“

Mitarbeiter des Ausgabe Die Zeitmaschine

Druck Kastner & Callwey Medien GmbH

song der ausgabe Cascandy – Escape Escape

Lektorat Mirjam Karasek

um zu lachen, muss man dabei gewesen sein Sebastian: „Alter, Deine Mudda baut ne Zeitmaschine!“

GESTALTUNG UND cvd CURT MÜNCHEN Melanie Castillo. mel@curt.de online-Redaktion. Schlussredaktion. Andreea Hula. andreea@curt.de

Hier bekommt ihr curt Südstadt // City Kino // Café Kosmos // Café am Hochhaus // Bergwolf // 59:1 // Trachtenvogl // Substanz // Münchner Volkstheater // Feierwerk // Backstage // Valentin Stüberl // Deutsche POP Akademie // Muffathalle // Corleone // Zentraler Hochschulsport (ZHS) ...

curt Nr. 72 erscheint Anfang juni 2012. Kommentare, Kritik, und Infos gerne an muenchen@curt.de

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