curt Stadtmagazin münchen # 77 // Frühling 2014
curt Stadtmagazin münchen # 77 // Frühling 2014
schöne scheisse
vorwort Auf dem Trottoir, der Frühling war schon voll im Gange und ich auf dem Weg nach Hause, sah ich kürzlich einen Mann mit seinem Hund. Beide blickten auf etwas am Boden, das ich nicht erkennen konnte; der Hund wedelte aufgeregt mit dem Schwanz. Als ich mich ihnen näherte, hörte ich den Mann etwas murmeln, das ich nicht verstand. In dem Moment, als ich sie passierte, blickte er zu mir auf und rief: „Schöne Scheiße!“ Dabei lächelte er. Ich war mir nicht ganz sicher, ob ich es nicht mit einem Verwirrten zu tun hatte, blieb aber kurz stehen, um nachzufragen. Vielleicht hatte ich mich ja verhört. „Entschuldigen Sie, sprechen Sie mit mir? Ich habe Sie nicht so recht verstanden …“ „Schöne Scheiße“, wiederholte er. „Krasse, wunderschöne Scheiße! Sehen Sie mal!“ Er deutete auf den Boden. Dort lag ein Haufen, den sein Hund wohl gerade dort abgesetzt haben musste. „Toll“, dachte ich, „wie schön, wenn man sich über so etwas noch so freuen kann“, und wollte schon weitergehen. Offenbar handelte es sich tatsächlich um einen mindestens Verwirrten. Da bemerkte ich, dass der Hundehaufen die Form von Marylin Monroe hatte. Genau genommen war es die Silhouette Marylins aus jener Szene, als ihr über einem U-Bahnschacht stehend das Kleid durch einen Luftzug hochgeweht wird – aus dem Film „Das verflixte 7. Jahr“. Der Hund hatte tatsächlich den berühmten Marylin-Effekt nachgeschissen. „Alle Achtung,“ sagte ich, „das ist ja wirklich eine schöne Scheiße. Eklig einerseits, andererseits aber auch irgendwie anziehend. Könnte von Banksy sein. Wäre aber schade, das in einer Hundekacktüte verschwinden zu lassen.“ „Sie haben recht“, meinte er und bat mich, die Szene mit seinem Handy zu fotografieren, damit er es auf Facebook veröffentlichen könne. Er ging in die Knie und hockte sich, seinen Hund im Arm, neben die Kacke und grinste in die Kamera, beide Daumen nach oben gestreckt. Er war sichtlich stolz auf das Machwerk
seines Hundes und auch der Hund schien zu spüren, dass ihm nach all den Haufen, für die er sich bisher latent geschämt hatte, hier offenbar etwas Außerordentliches gelungen war. Er schaute aufgeregt hechelnd zwischen seinem Herrchen, mir und Marylin hin und her. Das Bild, das er auf Facebook veröffentlichte, machte die Runde. Es wurde gepostet, getweetet, ge-repostet und ge-retweeted; es tauchte in diversen Blogs, Hunde- und Photoshop-Foren auf; seine Echtheit wurde angezweifelt, überprüft, bestätigt; es entstanden Memes, die die Haufen in allen möglichen und unmöglichen Formen zeigten; Nachahmer fotografierten den Kot ihrer Tiere; jemand hat das Foto sogar animiert und unter dem Titel „I Wanna Be Pooped By You, Bubu Bi Du!“ auf Youtube eingestellt. Der normale Gang eigentlich! Dann entdeckte ein Streifenpolizist, der in dem Stadtteil seinen Dienst tat, das Bild und witterte eine Ordnungswidrigkeit. Er spürte den Mann auf, stellte ihm einen Bußgeldbescheid wegen nicht entfernten Hundekots aus und erstattete Amtsanzeige wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses (öffentliches Zurschaustellen von Exkrementen, Aufforderung zum zivilen Ungehorsam etc.). Der Mann musste neben der Bußgeldzahlung auch die vollen Verfahrenskosten in Höhe von mehreren tausend Euro tragen. Das ist nun ein Jahr her und ich habe die beiden seither nicht mehr gesehen. Ich habe aber gehört, dass der Mann seinen Hund mittlerweile an ein Tierheim abgeben musste, weil er seit dem Vorfall an einer mittelschweren Form von KotPhobie leidet, die ihm das Halten eines Haustiers unmöglich macht. Schöne Scheiße! Euer Thomas
vorne weg // curt 3
curt # 7 7 // Schöne Scheisse
04 // zufallSgenerator Was ist deine liebste Klolektüre? 08 // Historisches Am Anfang war die Scheiße ... 17 // Münchner G‘schichten Stilles Örtchen Goldgrund Stattpark OLGA KloHäusschen KathrinsKulturKlo Herrensackerl me-had 49 // Ach, Du scheiSSe! Scheisssssstatistik Berühmte Arschlöcher Der Shitstorm Jonathan Johnson Kot tut not Der goldene Schiss Scheiß-Sprache Eine kurze Typologie der Nacht
73 // Musik curt präsentiert feine Konzerte Friska Viljor Shout Out Louds Ton Steine Scherben Desmond Myers
Cover
86 // der weinbrandt rät Cabernet sauf ihn jung 88 // Waschdls Grantnockerl Anal total 90 // curt im ausland Am Arsch der Welt: Paragliding in der kanadischen Provinz 94 // Impressum Die stillen Örtchen der Redaktion 96 // Hinten raus Cartoon von Piero Masztalerz
idee & Foto: Stefanie giesder >> fotografin-giesder.de Das Cover der Ausgabe ist Teil der Fotostrecke „Cleane Scheiße“ von Stefanie Giesder. Weitere Motive aus der Reihe sind die Kapitel-Auftaktseiten der Ausgabe geworden. Wir sind scheißefroh, dass die Grafikerin und Fotografin zu curt gefunden hat, und werfen Konfetti!
4 curt // zufallsgenerator
Was ist deine liebste Klolektüre?
Ron, 35 Jahre
Was antwortest du, wenn die curt-Crew in einer Bar deines Vertrauens auf dich zukommt und fragt: „Gehen wir mal zusammen aufs Klo?“ Bingo! Du sagst: „Hört sich scheiße an, aber ja!“ Ob diese Fotos dann dein unterbrochenes Date gscheid anheizen, deine Arbeitskollegen beim After-Work-Bierchen befremden oder für mächtig Probs am Stammtisch sorgen, hängt ganz von dir ab!
Interviews: Patricia Breu // Fotos: Achim Schmidt // Danke ans Holy Home für die klo-session
Das Unnütze Wissen in der NEON
Carina und Kathi, beide 31 Jahre
Nichts!
Roland, 42 Jahre
Der IKEA-Katalog
Sophie, 30 Jahre
Micky Maus
6 curt // zufallsgenerator
Jens, 39 Jahre
Lucky Luke
Stefan, 30 Jahre
Je nachdem, welches Buch ich gerade lese
Nikolaus, 48 Jahre
Der Wirtschaftsteil der S端ddeutschen Zeitung
Das Münchner Tierheim gehört mit einer Aufnahmekapazität von ca. 8.000 Tieren pro Jahr zu den größten Tierschutzeinrichtungen weltweit. Wir im Münchner Tierheim füllen täglich über 1.000 Futterschüsseln und verfüttern pro Jahr 210 Tonnen Tiernahrung an unsere Schützlinge. 65.000 Euro pro Monat investieren wir für die tierärztliche Versorgung hilfsbedürftiger Tiere in München. Unsere Tierschutz-Inspektoren sind jährlich mehr als 3.000 Mal im Einsatz vor Ort, um Verstöße gegen das Tierschutzgesetz aufzudecken und so Tierleid zu verhindern. Rund 50.000 Tierfreunde besuchen das Münchner Tierheim pro Jahr und werden von uns kompetent und persönlich beraten. Im Schnitt vermitteln wir pro Jahr 4.000 Tiere und bringen 3.700 Fundtiere zurück zu ihren Besitzern. Ungezählt sind die vielen Schmuseeinheiten, die unsere Schützlinge von 35 Tierpflegern erhalten. Als Pate am Münchner Tierheim leistest du schon mit wenigen Euro einen wertvollen Beitrag zur Rettung von hilfsbedürftigen Tieren in München!
Hilf uns Leben retten!
S ch on 7 p r o , 5 0 E ab Mo uro d u T nat w S p e ww ier w.t nden p a t ir s t iers i n fo ch rma e tio Te utzv l. 0
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ere nen in 921 -mue unter 00 nche 0-0 n.d e
Tierschutzverein München e.V.
Ignaz-Perner-Tierheim
Riemer Straße 270 81829 München Tel. 089/92 10 00-0 patenschaften@tierschutzverein-muenchen.de www.tierschutzverein-muenchen.de
Am Anfang war die ScheiĂ&#x;e ...
historisches // curt 9
S
eit Anbeginn der Menschheit gibt es schon die Verdauung. Und auch die Verdauungsrückstände. Geschissen wird schließlich immer. Aber wohin? Die Örtchen haben sich im Lauf der Zeit verändert.
TEXT: Sonja pawlowa // Klo-Montagen: RONIT WOLF
historisches // curt 11
Steinzeit Die ersten Menschen hatten viel Platz. Man weiß aber nicht genau, ob sich die Steinzeitmenschen zum Kacken hinter Büsche oder Bäume zurückzogen. Es gibt jedoch Messwerte, die in diesem Zusammenhang nicht unerheblich sind. Ein Vegetarier scheißt beispielsweise doppelt so viel wie ein Fleischfresser. Der durchschnittliche Europäer entlässt 300 bis 400 Gramm pro Sitzung. Der Spitzenschiss liegt bei 1,5 Kilo. Anzunehmen ist deshalb, dass auch Neandertaler ihr Geschäft nur in Ausnahmefällen wie großer Kälte oder Gefahr in unmittelbarer Nähe ihres Wohnplatzes verrichteten. Allerdings wurden in Höhlen, sogar nahe des Herdfeuers, Exkremente gefunden. Mancherorts sogar mit Rückständen, die auf Kannibalismus hindeuten. Hier empfohlen: Kopfkino. Für einen Nomaden ist es eigentlich unerheblich, wo er seine Fäkalien lässt. Aber als die Menschen sesshaft wurden und erste Dorfgemeinschaften entstanden, war das nicht mehr egal. Wer würde sich selbst das Leben schwer machen, indem er permanent in stinkende Scheiße tritt?
Schon in der Bibel steht im Buch Mose, dass die Israelis mit einem Schäuflein an einem Ort abseits des Lagers ein Loch graben und ihren Unrat nachher wieder mit Erde abdecken sollen. Auf Orkney, im 5.000-jährigen Dorf Skara Brae, gibt es Steinzeitreihenhäuser mit eingebautem Steinklo inklusive Abzugsgraben. In China, Indien und Ägypten – überall entstanden mit den ersten Siedlungen und Städten auch Latrinen mit Steinsitzen, meist mit versteckten Auffangkübeln.
Altertum Im Nordpalast von Esnunna/Mesopotamien, der auf das Jahr 2400 v. Chr. datiert wird, wurden sieben in Stein gemeißelte Löcher ausgegraben, die an ein Reihenklo erinnern. Auf Kreta gab es eine öffentliche Bedürfnisanstalt mit einer Kapazität von 44 Scheißplätzen. Daraus kann man schließen, dass man sich im sonnenverwöhnten Süden gern gemeinschaftlich erleichterte. Wohingegen sich zur etwa gleichen Zeit die Menschen nördlich der Alpen an ein „stilles Örtchen“
zurückzogen, wenn sie mal mussten. Im Dürrnberg bei Hallein, dem keltischen Salzbergwerk, wurde in stillgelegte Stollen gekackt. Der Salzgehalt der Umgebung hat die keltische Kacke bis heute konserviert. Die Untersuchungen zeigten ein desolates Bild der damaligen Hygiene. Geplagt wurden die Bergmänner von Bandwürmern, Peitschenwürmern, Spulwürmern und Leberegeln. Offenbar gab es kein Abwassersystem wie die Cloaca Maxima in Rom. Mit Tierkacke gedüngtes Gemüse oder schlecht gekochtes Fleisch führen bekanntlich zu Parasitenbefall. Heute genauso wie damals in Hallein. Dass die Römer dem Thema Notdurft mit ihrer einzigartigen Ingenieurskunst beikamen, weiß jeder, der mal im Colosseum war. Es gab Klos, genannt Necessarias, mit integrierter Wasserspülung, die die Kacke quasi während des Schisses mit Fließwasser in die zentrale Kloake abtransportierte. Abputzen konnte man sich anschließend mit feuchten Schwämmen, die an ein Stöckchen gebunden waren. Schwamm am Stiel, könnte man sagen. Diese Schwämmchen wurden vermutlich vom Toilettenpersonal immer wieder ausgewaschen.
12 curt // historisches
Diese öffentlichen Toiletten waren ein Bombengeschäft. Im Kaiserreich um 400 n. Chr. gab es in Rom 144 Latrinen und 254 Necessarias. Zusätzlich standen an Verkehrsknotenpunkten auch noch Pissoirs bereit. Die prächtigsten Latrinen hatten Fußbodenheizung und boten Showeinlagen zur Unterhaltung des scheißenden Publikums. 50 bis 60 „Gäste“ lauschten den Vorträgen von Dichtern und machten derweilen ihr Geschäft. Manchmal erledigten sie nicht nur ihr eigenes Geschäft, sondern kamen auch mit dem Sitznachbarn in Geschäftsdingen überein. Wenn jemand zu Hause aufs Klo musste, benutzte er einen Nachttopf. Für den Urin stand in den großen Mietshäusern, den Insulae, in jedem Stockwerk ein riesiger Behälter, in den die Bewohner ihre Nachttöpfe ausleerten. Diese Sammelamphoren wurden regelmäßig abtransportiert und an die Gerber und Wäscher ausgeliefert. Der Urin war unerlässlich als Waschpulverersatz und auch für die Lederherstellung. Kaiser Vespasian erhob eine Urinsteuer. Als sein Sohn Titus das igitt fand, antwortete er: „Geld stinkt nicht.“
Die Latrinenbaukunst mit Abwassersystem war übrigens nicht nur auf die Hauptstadt oder auf die Reichen beschränkt. Am Hadrianswall an der Grenze zu Schottland wurde eine Gemeinschaftslatrine für Soldaten ausgegraben, die allen Komfort bot, inklusive Fließwasserunterspülung.
Kaiser Vespasian erhob eine Urinsteuer. Als sein Sohn Titus das igitt fand, antwortete er: ‹ Geld stinkt nicht. ›
Mittelalter Der Untergang des Römischen Reiches war in jeder Hinsicht ein Untergang. Auch ein Untergang der Toilettenkultur. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn durch die Völkerwanderung und die anhaltenden Kriege wurden Infrastruktur und Gebäude gleichermaßen zerstört – Klohäuser inklusive. Die nomadischen Reitervölker und die Trecks der Vertriebenen mit ihren Ochsenkarren dachten wohl auch an anderes als an Hygiene. So geriet in Vergessenheit, was vorher Standard war. Das wäre heute nicht anders, wenn wir plötzlich ohne Strom und Autos als Dauercamper durch Europa zögen. Das Problem mit der Scheiße offenbarte sich aber erst so richtig, als nach Jahrhunderten der Wirren wieder größere Städte entstanden. Den Nachttopf einfach aus dem Fenster zu kippen, führt erst in einer Stadt zu Gestank und Batz. Erst recht wenn hinter dem Haus auch noch Schweine gehalten werden. Abwasserrinnsale am Straßenrand gibt es auch in Indien und Afrika. Auch die riechen streng. Dass es die Anrainer nicht allzu sehr nervt, liegt daran, dass der Mensch nur 15 Minuten lang den Gestank wahrnimmt. Nach dieser Zeitspanne gewöhnt sich die Nase an den Geruch und findet ihn normal.
historisches // curt 15
Die Kacke wollte man auch im Mittelalter gern loswerden. In Burgen gab es „Abtrittswinkel“, kleine Erker mit einem Loch nach draußen. Die Kacke fiel dann ungebremst, aber auch mit Bremsspuren an der Burgmauer in den Burggraben, der je nach Jahreszeit mit Wasser gefüllt war oder nicht. Angreifer hatten sicher keine große Lust, hindurchzuschwimmen und nach Geheimgängen zu tauchen. Dennoch scheint es in den Städten auch öffentliche Klos gegeben zu haben. Der Beruf „Schizhusfegerin“ ist im Hochmittelalter dokumentiert. Von Bedürfnisanstalten weiß man aus Frankfurt, London und Basel.
Neuzeit In späteren Jahrhunderten ging es der Klobranche keineswegs besser. In riesigen Schlössern wie Versailles wurden 2.000 Räume neu gebaut, aber nur ein einziges Klo. Man benutzte mobile Kackstühle. Der König hielt sogar kackend seine Empfänge ab. Der Rest des Hofstaates entlud sich einfach, wo er konnte: in Ecken, Gängen, Treppenhäusern. Es muss unglaublich gestunken haben. Auch im Park wurde einfach überall hingekackt. Noch gab es ja Bedienstete, die den Dreck wegputzen mussten.
Nach der Revolution wurden dann öffentliche Klos aufgestellt, wenn auch in übersichtlicher Anzahl. Auch mobile Klos gab es lange vor Erfindung des Dixiklos. Die sogenannten Abtrittsanbieter und Buttenfrauen im 17. und 18. Jahrhundert trugen ein Joch mit zwei Eimern umher. Wenn ein Passant die Serviceleistung in Anspruch nehmen wollte, setzte er sich auf einen der Eimer, der Abtrittsanbieter umhüllte ihn dann mit einem großen Umhang. Der Kunde tat sein Geschäft und der Vorhang ging wieder auf. Angeblich waren die Umhänge mit duftenden Kräutern bestückt, um einen gewissen Komfort zu gewährleisten. Eigentlich hatte Sir John Harington das WC schon 1596 erfunden. Aber das war wohl zu früh für die Welt. Erst als sein englischer Landsmann Cummings 1775 ein Patent für ein Wasserklosett anmeldete, fand das große Koten ein Ende. Unser Münchner Architekt Leo von Klenze hat dann auch 1822 ins Palais Leuchtenberg ein Klo eingebaut. In der jüngsten Vergangenheit ging es dann Schritt für Schritt, quasi Abtritt für Abtritt. Erst Etagenklos, dann auch ensuite Toiletten. Es gibt Tiefspüler, Hochspüler, Hocktoiletten und Vakuumtoiletten. Letztere werden in Schiffen und Flugzeugen eingesetzt. Während früher Zugreisende noch zusehen
konnten, wie die Fäkalien bei hoher Fahrtgeschwindigkeit auf die Gleise trafen, ärgerten sich die gleisnahen Anwohner über Klopapierreste und bisweilen auch über die restlichen Reste. Das ist Vergangenheit, weil Kacke und Urin heutzutage in geschlossenen Systemen mit Unterdruck in Abwassertanks gesammelt und erst später entleert werden. Pikant wird die Scheißerei im Weltall. Offene Systeme sind da nicht möglich, weil sonst gefrorene kleine Scheißehaufen um die Erde kreisen würden und Satelliten und Raumstationen unter Beschuss nähmen. Die Astronauten müssen vor ihren Weltraumflügen erlernen, mit einer Art Staubsauger umzugehen, da ja mangels Schwerkraft nicht ins Klo gekackt werden kann. Sonst flöge die Scheiße durch die Gegend wie Scheiße. Urin wird übrigens in der Raumstation wiederaufbereitet und als Trinkwasser dem natürlichen Kreislauf zugeführt. Lecker! Anzumerken ist, dass in der Wasseraufbereitung ein Riesengeschäft lauert. Gäbe es einen Kaiser wie einst Vespasian, so könnte man auch bald wieder eine Urinsteuer erheben. Denn Geld stinkt ja bekanntlich nicht.
{ Ende }
z’minga wo d’ leit stinga
18 curt // Münchner G’schichten
Stilles Örtchen
Heilige Scheiße – der Frühling ist da! Nachdem der gemeine Münchner fast ein halbes Jahr lang gezungen war, sich mit anderen in engen Räumen aufzuhalten, hat er sich ganz besondere stille Örtchen draußen verdient. curt hat für euch die schönsten, außergewöhnlichsten und garantiert staadsten entdeckt. TEXT & FOTOS: PATRICIA BREU
20 curt // Münchner G’schichten
Wüstung Fröttmaning 48° 13’ 4’’ N 11° 37’ 48’’ O Das Dorf Fröttmaning wurde erstmals im Jahr 815 schriftlich erwähnt – immerhin fast 350 Jahre vor der Gründung Münchens. Es bestand aus der Kirche Heilig-Kreuz und umliegenden Höfen, die 1950 abgerissen wurden, um der Mülldeponie Platz zu machen. Die Idylle rund um die älteste Kirche Münchens ist immer noch da, auch wenn die Autobahn nur eine Armlänge entfernt liegt. Gleich nebenan, im Schatten des Windrads, hat Timm Ulrichs 2004 die Kirche in seinem Kunstwerk „Versunkenes Dorf“ maßstabsgetreu nachgebildet.
Infos: Führungen in Heilig-Kreuz sonntags um 17 Uhr // Zufahrt mit dem Auto über Freisinger LandstraSSe und Lottlisa-Behling-Weg
Friedhof Bogenhausen 48° 8’ 52’’ N 11° 36’ 4’’ O Die wahrscheinlich schönsten Grabkreuze Münchens tummeln sich hier in kühler Stille unter grünen Bäumen. Begraben sind auf dem Friedhof Bogenhausen viele prominente Münchner wie Rainer Werner Fassbinder, Bernd Eichinger, Erich Kästner, Lisl Karlstadt, um nur einige zu nennen. Am Grab von Johann von Lamont (erforschte den Erdmagnetismus in der Sternwarte Bogenhausen ab 1835) legen Männer zur Glückspotenzierung ein paar Münzen in die offene Hand der Statue – die Buben in der Nachbarschaft kommen regelmäßig, um sich das Geld zu stibitzen. Gleich nebenan beginnt der östliche Teil des Englischen Gartens, durch die Isar von den Massen getrennt. Infos: Öffnungszeiten: September–März 8 – 17 Uhr, April– August 8 – 19 Uhr // Tram 18 bis MauerkirchnerstraSSe. Bus 54, 154, 187 bis MauerkirchnerstraSSe
22 curt // Münchner G’schichten
Siedlung Borstei 48° 10’ 11’’ N 11°31’ 59’’ O Die Borstei wurde zwischen 1924 und 1928 als Projekt erbaut, das in puncto Komfort und Ausstattung seinesgleichen suchte. Schon damals gab es in der Siedlung Zentralheizung, Wäscheservice, Dienstbotenverleih und geheizte Garagen. Heute wohnen dort in über 770 Wohnungen Münchner aus allen Schichten. Während draußen der Verkehr auf der Dachauer Straße tobt, liegt hinter den Mauern der Borstei eine Oase verborgen: 80 % des Grunds sind unbebaut und in diesen Innenhöfen plätschern unzählige Brunnen aus wasserspeienden Statuen, Blumenbeete und Bäume sind landschaftsarchitektonisch durchgeplant. In eigenen Geschäften gibt es von der Lederhosn bis zur Semmel alles zu kaufen.
Infos: Tram 20, 21 bis Borstei
Rosengarten 48° 7’ 10’’ N 11° 33’ 54’’ O Der Rosengarten ist eigentlich die Baumschule der städtischen Grünanlagen – doch ein Besuch fühlt sich an wie Kurzferien auf dem Stadt-Bauernhof. Hinter den Bäumen blitzt immer wieder eine Erinnerung an die Stadt durch: die Braunauer Eisenbahnbrücke und am Horizont die Türme des Heizkraftwerks Süd. Die Gärten sind voll duftender Rosen, dazwischen stehen MiniTraktoren und Bienenkästen, botanische Schildchen erklären die jeweiligen Pflanzen.
Infos: Öffnungszeiten: April–September 7 – 21 Uhr, Oktober–März 7 – 18 Uhr, am Wochenende jeweils ab 9 Uhr
24 curt // Münchner G’schichten
An der Schlossmauer Nymphenburg 48° 9’ 38’’ N 11° 29’ 3’’ O Jährlich drängeln sich 300.000 Besucher aus der ganzen Welt im Schloss Nymphenburg und seinem Park. Derweil ist’s hinter der Schlossmauer viel schöner: uralte Bäume, weite Wiesen und sogar einen Blick auf das Schloss kann man erhaschen. Dem Ludwig hat das auch gut gefallen, so weit abseits der Massen. Hier lässt sich die erste Sonne genießen – und es kommt auch garantiert keiner vorbei, der seinen Grill zwei Meter nebendran aufstellt.
Infos: Bus 143, 162 bis LustheimstraSSe
BöhmerWeiher 48° 10’ 26’’ N 11° 22’ 29’’ O Zugegeben: Der Weg ist weit zu den Böhmerweihern – aber genau deswegen ist hier im Sommer auch nichts los. Von der Straße aus stapft man ein paar Minuten zwischen den Feldern vor sich hin und ganz unterwartet tauchen plötzlich die beiden zugewucherten Weiher auf. Der eine mit flachem Ufer und grüner Insel. Der andere hat durch die dunklen Tannen, die sich auf der Wasseroberfläche spiegeln, BergseeCharme. Endlich allein!
Infos: Die zwei Weiher liegen in PuchHeim, Parken am besten an der Ecke Lena-Christ-StraSSe/ BachstraSSe, dann zu FuSS zwischen den Feldern weiter
26 curt // Münchner G’schichten
Die Zukunft Münchens
Wir können nur spekulieren TEXT: CLAUDIA PICHLER // ILLU: SIMONE REITMEIER
„The Seven“ im Glockenbachviertel, die Lenbach Gärten oder Lehel-Höfe – diese Luxusbauten sind Stein gewordene Auswüchse der Gentrifizierung in München, Oasen der Superreichen und Symbole für den Ausverkauf der Stadt, die Veränderung des gewachsenen Stadtbildes und natürlich für die steigenden Mieten in den gefragten Vierteln. Bereits vor knapp vierzig Jahren erzählte Gerhard Polt in seinem ersten Werk „Als wenn man ein Dachs wär in seinem Bau“ von der Umgestaltung seiner damaligen Heimat, der Amalienstraße. Hier wurde spekuliert, alt eingesessenen Mietern gekündigt, um „neue Akzente“ in der Maxvorstadt zu setzen. Lauscht man dem Hörspiel, so merkt man ihm sein Alter kaum an. Damals war die Rede von Luxussanierung, heute heißt es
Gentrifizierung – das Problem ist dasselbe und virulenter denn je. Obwohl bereits zahlreiche umstrittene Bauprojekte durchgesetzt wurden, blieb ein nennenswerter Protest lange aus. Viele Münchner haben resigniert, die Gentrifizierung scheint einfach unaufhaltsam. Seit zwei Jahren allerdings formiert sich um Kulturmanager Till Hofmann, Journalist Alex Rühle und Filmemacher Grisi Ganzer eine kreative Protestbewegung: Mit ihrer fiktiven Immobilienfirma „Goldgrund“ sagen sie der Bauwut in München den Kampf an – mit Mitteln der Satire, einer spontanen ZupackMentalität und wachsendem Erfolg. Alles begann mit einer Satire-Aktion an der Münchner Freiheit. Um bei den Schwabingern ein Bewusstsein für die mögliche Bedrohung ihres
Stadtviertels zu wecken, initiierten Hofmann & Co. die Firma „Goldgrund“ als fiktiven Bauträger eines Luxustempels, der angeblich direkt an der Münchner Freiheit entstehen sollte. Bei Immo-Scout offerierten sie in feinstem MaklerDeutsch ihre exklusiven, überteuerten Luxuswohnungen für „finanzielle High-Performer“ – und erhielten über Nacht unzählige Angebote. Natürlich erweckten sie auch den Zorn der Anwohner, die kaum glauben konnten, was hier in ihrer Nachbarschaft drohte. Die Aktion klärte sich freilich schnell auf, die reale Nachfrage auf die irrealen Angebote war allerdings beängstigend. Die Goldgrund-Aktivisten mussten einsehen, dass die Realität des Immobilienmarktes sich kaum noch satirisch überhöhen ließ.
28 curt // Münchner G’schichten
den Zug auf und rettete das Haus vor dem Abriss. Till Hofmann: „Es war auch irre, was bei der Renovierung passiert ist, dadurch dass so unterschiedliche Leute dabei waren – Eltern von der Glockenbachwerkstatt oder Musiker wie Blumentopf und die Sportfreunde Stiller. Da herrschten einfach ein Grundgefühl, dass man was Gutes treibt, und eine Solidarität, die durchs Hinlangen entsteht. Ich will das gar nicht romantisch verklären, aber da ist tatsächlich auch was entstanden. Daraufhin hat sich das rumgesprochen und es haben sich wahnsinnig viele Leute gemeldet: Wenn ihr was macht, dann sind wir dabei! Kein Event-Scheiß, sondern was Nachhaltiges.“ Im Gegenteil: Sie war schon einen Schritt weiter. Nach der „Firmen-Gründung“ ging es am konkreten Objekt weiter: Dem Haus in der Müllerstraße 6 im Glockenbachviertel und dem angrenzenden Bolzplatz – der zur Glockenbachwerkstatt, dem ältesten Gemeindehaus der Stadt gehört, wo aktiv Jugendarbeit betrieben wird – drohten der Abriss. Das nur halb bewohnte Haus galt als nicht sanierbar. Um das Gegenteil zu beweisen, scharte Goldgrund kurzerhand einige eifrige Helfer um sich, darunter zum Beispiel Mehmet Scholl, Luise Kinseher oder Dieter Hildebrandt, und renovierte eine der Wohnungen fachgerecht. Das Video der zunächst als Gorillas verkleideten Guerilla-Sanierer machte die Aktion bekannt, der Zuspruch der Bürger war ihnen sicher. Schließlich sprang auch die Politik auf
Den Goldgrund-Aktivisten geht es eben nicht darum, nur anzuprangern. Vielmehr wollen sie selbst Lösungswege zeigen. Natürlich hilft die mediale Aufmerksamkeit, die Till Hofmann durch seine gute Vernetzung in der Künstlerszene schnell generieren kann. Aber vor allem ist sein Protest so erfolgreich, weil man ihm anmerkt, dass er aus der Mitte der Gesellschaft kommt. Hier packen alle mit an, weil es alle angeht. Wer nicht direkt betroffen ist, der kennt zumindest wen, der unter utopischen Mieten oder horrender Makler-Provision leidet. Hier wird kreativ gegen eine geschleckte Innenstadt gekämpft, Münchens Charme soll erhalten bleiben. Wo gewachsene Strukturen mit Ecken und Kanten durch gleichgeschaltete Betonkästen
ersetzt werden sollen, kann man sicher auch zukünftig auf Goldgrund-Protest zählen. Dabei ist ein Ziel, dass bereits vorhandener städtischer Wohnraum optimal genutzt wird. Zu viele städtische Wohnungen stehen oft jahrelang leer, die Häuser kommen dadurch so herunter, das meist nur noch der Abriss als Option bleibt. Dieses Versäumnis kann man der Stadt München auch in der Müllerstraße vorwerfen. Nach der Rettung von Haus Nummer 6 kamen plötzlich die Häuser Nummer 2 und 4 ins Visier des Münchner Abrisskommandos – mit derselben Begründung: Eine Sanierung der Häuser sei nicht möglich. Kurzfristig organisierte Goldgrund erneut eine Protestaktion, eine Online-Petition zum Erhalt des Ensembles erzielte binnen Tagen mehrere Tausend Unterschriften. Der Protest war vorerst vergebens: In der Stadtratssitzung vom 19. Februar wurde der Abriss beider Häuser beschlossen. Trotzdem hat sich der Aufwand gelohnt, so Till Hofmann: „Das hat sich so oder so rentiert, weil der Bolzplatz und das Haus Nummer 6 gerettet sind, und weil sie jetzt den Eindruck haben, dass ihnen ein paar Wahnsinnige auf die Finger schauen. Das hat man schon gemerkt.“
Mehr Infos auf goldgrund.org
30 curt // Münchner G’schichten
Eingang zur wagenstadt OLGA (Ohne Lenkrad geht’s auch)
DER HAHN KRÄHT IN MOLL Wir befinden uns im Jahre 2014 n. Chr. Ganz München ist von Kapitalisten mit unstillbarer Gier nach Luxus-Wohnraum besetzt. Ganz München? Nein! Ein von unbeugsamen, kreativen Individualisten bevölkertes Wagendorf hört nicht auf, von alternativen Wohnkonzepten zu träumen. Doch das Leben ist nicht leicht für Idealisten in dieser Stadt. An einem sonnigen März-Tag stattet curt dem charmanten Stattpark OLGA einen Besuch ab – und ist seither ein bisschen verliebt ...
Ein Porträt deS Stattparks OLGA
Auf dem Weg durch die Wagenburg werden wir freundlich gegrüßt. Einige der Bewohner sitzen früh stückend in der Sonne, da werden Vorhangstangen gebastelt, dort wird am Wagen geschraubt, von irgendwoher hört man Musik ... Die Atmosphäre erinnert ein wenig an ein Festival und doch stehen wir mitten in München, in einer von vier Wagenstätten dieser Art. Ein Festival war auch der Grund, warum sich Sarah R., 29, eines Tages für das Leben im Wagen entschied. Die Wände ihrer Wohnung haben sie schier erdrückt, erzählt uns das junge Multitalent, das sich seine Brötchen als Baumpflegerin, Schneiderin und Tagesmutter verdient. „100 % Rocker“ steht auf dem ehemaligen Bauwagen, den sie mit viel praktischem Geschick und Liebe zum Detail umgebaut hat und in dem sie nun seit über drei Jahren mit Katze Lucky wohnt. „Es war die beste Entscheidung meines Lebens!“, sagt sie und ihre Augen funkeln. „Die Leute hier geben mir so viel, man ist eingebunden in eine Gemeinschaft. Jeder kann was, jeder bringt sich ein. Ob ich nun laut Musik hören oder ein weiteres Fenster in meinen Wagen einbauen will – ich muss niemanden fragen, kann es einfach tun!“
TExt: PETRA KIRZENBERGER FOTOS: STeFANIE GIESDER
32 curt // Münchner G’schichten
Eingang zur wagenstaTt OLGA (Ohne Lenkrad geht’s auch)
Alles hier ist zweckmäßig und durchdacht angeordnet – Küche mit Gasherd und Spüle, kleiner Ofen, Hochbett, Tisch, Sofa-Impro, sogar ein Computer findet Platz. Überhaupt sind alle Wagen, die wir besichtigen dürfen, liebevoll und kreativ gestaltet. Jeder hat den begrenzten Raum auf raffinierte, eigenwillige Weise nutzbar gemacht. Frischwasser holen die Bewohner an einem 1.000-Liter-Tank, der regelmäßig gefüllt wird. Der bewusste Umgang mit Wasser und sonstigen Ressourcen ist allen Bewohnern wichtig, wie Sarah R. betont. „Ich bin wohl so was wie ein Neuzeit-Hippie!“, lacht sie. Von dergleichen Bezeichnungen nimmt Sarah L. Abstand – zu angestaubt und behaftet, wie sie findet. Die Sprachtherapeutin wohnt mit Mann Martin und Sohn Miro hier. Miro ist fast drei Jahre alt und Sarah L. hat für ihn einen Platz im nahe gelegenen Waldkindergarten klargemacht. Sie wohnen gerne hier, wollen sich kein anderes Familienleben vorstellen. Und doch ist das einer der Haken am Wagenleben: Die Stadt München hat – nach mehrmaliger Verlängerung – den Mietvertrag der OLGAs mit Ende September 2014 endgültig gekündigt. Einen Kindergartenplatz gibt es nur in dem Stadtteil, in dem man gemeldet ist. Familien wird die Planung also schwer gemacht – bislang wurde der Mietvertrag immer nur um je 9 bis max. 12 Monate verlängert. „Toll wäre ein 3- oder 5-Jahres-Vertrag“, sagt die 30-Jährige, „dann könnten wir besser planen – gerade mit Schule und Kindergarten wird es sonst schwierig.“
Sarah R.
Sarah L. ist das Wohnen in großen Gemeinschaften von klein auf gewöhnt, sie hat in Wohnprojekten in Hannover und Berlin gelebt. Auch ihr ist das Gemeinschaftsleben wichtig und sie betont, dass ein solches Zusammenleben vor allem die Social Skills fördert, Einfühlungsvermögen und ein Gespür für Stimmungen zum Beispiel. „Wohnt man so eng zusammen, werden etwaige Spannungen schnell spürbar, das Gleichgewicht der Gemeinschaft wird beeinflusst. Dann ist ,Beziehungsarbeit’ nötig. Wir haben ein wöchentliches Plenum, bei dem auch solche Dinge zur Sprache kommen. Man tritt in Dialog, versucht einen Konsens zu finden. Dieser Zusammenhalt ist wichtig, u. a. wenn wir unsere regelmäßig stattfindenden Voküs veranstalten.“ Die Voküs sind Abende auf Spendenbasis, zu denen jeder eingeladen und willkommen ist. Die Gemeinschaft kocht (und zwar sehr lecker!) und stellt ein Rahmenprogramm zusammen. Es gibt Ausstellungen, Konzerte, Filmeabende, Lagerfeuer, eine Leihbücherei, einen Umsonst-Laden – für jeden Geschmack und vor allem für jedes noch so kleine Budget ist was dabei. Sarah L. mit sohn miro
34 curt // Mßnchner G’schichten
Die begrenzte raum in den Wagen wird clever genutzt und liebevoll gestaltet.
36 curt // Münchner G’schichten
DER „FreiRaum“ ist zentraler treffpunkt und schauplatz aller veranstaltungen der Olgas.
Und genau DAS ist und war schon immer das Anliegen der bunten Truppe: Sie verstehen sich als soziokulturelles Projekt, das sich politisch betätigt, und viele hier finden es schade, dass sie diesen Status von der Stadt nicht zugestanden bekommen. „Wir beleben Brachflächen, hauchen ihnen Leben ein, werten sie kulturell auf – München braucht so was!“, sagt Peter, der mit seinen 52 Jahren quasi der Senior am Platz ist. Seit 1999 wohnt er im Wagen – von einem vierjährigen „Wohnungsintermezzo“ abgesehen. Der Tontechniker hat inzwischen sogar Lager und Werkstatt zur OLGA verlegt. In einem „Haus mit vier Rädern“ zu wohnen, ist sein Ding. „Es ist wichtig, sich den Ort zu erschließen, an den man lebt, mit ihm zu verwachsen. Man kommt an einen Platz, gibt ihm ein Gesicht, hat freie Hand bei der Gestaltung – das ist für mich Freiheit!“ Er selbst ist entspannt, was den drohenden Umzug angeht. Das kennt er schon zur Genüge – als alter Hase im Wagenleben. „Neue Sachen tun sich auf, während wiederum quasi sichere Optionen platzen. Ich bin beweglich, alles, was ich brauche, kann ich jederzeit umziehen. Es geht immer weiter, es findet sich ein Weg!“
PEter
Die OLGA-Bewohner sind sich einig: Man lernt, mehr im Jetzt zu leben, Entscheidungen nicht davon abhängig zu machen, für wie lange sie gelten, Dinge einfach zu tun, weil man Lust dazu hat! „Wir werden auch dieses Jahr wieder Blumen säen und Gemüse anpflanzen – unabhängig von der Kündigung des Mietvertrags“, so Sarah L. Rechtlich gesehen ist das Wohnen im Wagen eine Grauzone. Man darf zwar einen besitzen, aber eigentlich nicht darin wohnen. Innerhalb einer Ortschaft ist es geduldet, außerhalb nicht. Grundlage dafür ist ein uraltes „Zersiedlungsgesetz“, das längst überholt scheint bzw. dessen Ausnahme höchstens in Form vom berühmten Speckgürtel am Stadtrand gebildet wird. Möglicherweise sieht unsere Stadt Freigeister nicht gern – wo doch an jeder Ecke überteuerter Wohnraum geschaffen wird, um geldiges Volk herzulocken bzw. selbiges hier zu halten. Dabei ist es doch genau die Diversität, Münchens gute Mischung aus alternativ und schick, alt und jung, abgeranzt und modern, die unsere Stadt so besonders macht. Der Gemüsegarten im Wintermodus
38 curt // Münchner G’schichten
Wovon die zusammengewürfelte Schar aus Handwerkern, Künstlern, Studenten, Stadtführern etc. träumt? „Von einem Platz, der zentral gelegen ist, wo man einfach mal schnell vorbeischauen kann“, so Frank, 38, ein Gründungsmitglied. „OLGA soll mehr als nur ein Wohnprojekt sein. Wir sind eine freigeistige, organisierte Gemeinschaft von Leuten, die sich politisch betätigen und das kulturelle Angebot der Stadt bereichern. Hier geht es nicht um Geld, sondern um Solidarität, um Aufgehobensein. Es gibt weder Rassismus noch Sexismus, wir halten zusammen, starten gemeinschaftlich Dinge, kümmern uns umeinander. Von so einem Miteinander profitieren alle!“ Ganz ähnlich sieht das auch Sintje, 34. Die dreifache Mutter lebt samt Kind und Kegel von Anfang an hier und auch sie genießt die Gemeinschaft. Wir sitzen lange in der Sonne zusammen, plaudern bei Peters exzellentem Kaffee, später zeigt uns Sarah L. die Hühner und auch den Hahn, der – wie sie sagt – in Moll kräht. Und siehe da: Kurz darauf ertönt das etwas traurig anmutende Kikeriki des Gockels. Ob er wohl ahnt, dass er bald umziehen muss? Die OLGAs sagen: „Wir hegen keinerlei Groll gegen die Stadt – immerhin sind aus neun Monaten inzwischen 3,5 Jahre geworden.“ Wir sagen: Ein Hauch Berlin würde der Bayernmetropole durchaus gut stehen! Die Stadt sagt: „Wir erhöhen 2014 die Miete des Platzes um satte 150 %“. Auch das ist unter Umständen eine Methode, um den Bewohnern ihre Lebensart zu vergällen. Tja – du schickes München – das kannste schon so machen. Aber dann isses halt kacke!
>> Infos: Stattpark Olga // AschauerstraSSe 34 // TRAM 27 – Schwanseestrasse // olga089.blogsport.de
Frank
40 curt // Münchner G’schichten
Das KloHäuschen an der Großmarkthalle ist keine Galerie. Kein Offspace. Und schon gar keine Location. Es ist nur eines: ES selbst. Seit jetzt fünf Jahren. Wann ist ein Ort ein Ort? Wenn er einfach da ist? Oder wird er erst zum Ort, wenn er wahrgenommen, vielleicht genutzt oder sogar benutzt wird? Und ist der Ort dann noch der Ort, der er vorher war? Where are you? Ich wohne seit 14 Jahren in Sendling, keine 100 Meter vom KloHäuschen entfernt, und ich habe es lange ignoriert, nein schlimmer, einfach nicht wahrgenommen. Bis es sich eines Nachts von sich aus bemerkbar gemacht hat: mit einem magischen Lichtschimmer-Fangstrahl, mit dem es mich zu sich hingezogen hat. Da stand ich dann vor der versperrten, schmutzigen Glastür und guckte fasziniert auf die funkelnde Glühwürmchen-Installation in seinem Inneren. I’m not there. I’m here. Einen Ort wie das KloHäuschen dürfte es in einer selbstdarstellerisch-überhöhenden Event-Stadt wie München eigentlich gar nicht geben. Anja Uhlig vom realitäts büro, die das KloHäuschen entdeckt, erweckt und beseelt hat, organisiert hier seit fünf Jahren etwas Unglaubliches. Kreative Menschen, Künstler, Architekten, Wissenschaftler treffen auf einen Raum, der sich nicht instrumentalisieren lässt: das KloHäuschen.
Don’t call me. I call you. „Alles in der Welt muss immer was anderes sein, als es ist, etwas Besonderes, noch Tolleres. Das KloHäuschen darf sein, was es ist: ein Partner“, beschreibt Anja Uhlig das Konzept. Das KloHäuschen, das heute unter Denkmalschutz steht, war bis Mitte des 20. Jahrhunderts ein Stehpissoir für Bedienstete und Kunden der direkt angrenzenden Großmarkt-
Der Ort, der ist. halle. Noch heute sind an den Kacheln des acht Quadratmeter großen Raums Kontaktanfragen, Telefonnummern und auch Preise der Gay-Community zu sehen, die sich hier traf. Anja hat vor Jahren das damals geschlossene und verwahrloste KloHäuschen vom Straßencafé gegenüber entdeckt. Ihre erste Begegnung beschreibt sie so: „Bei seiner Wiederentdeckung war es schön: Das Licht fiel durchs Fenster, das Vanillegelb der Kacheln schimmerte und die geschwungenen weißen Pissoirs schienen wie Überreste längst vergangener Zeiten, wo wohl auch in einem öffentlichen Klo Wert auf
einfache, schöne Formen gelegt wurde. Und gleich im Eingang die Glasbausteinwand: 52 weiße Glasbausteine. Zwei gelbe. Und ein blauer. Und wenn man darin ein Licht anmacht, erleuchtet es den ganzen Platz.“ What is it? Seit fünf Jahren finden nun die unterschiedlichsten Begegnungen zwischen Menschen und acht Quadratmeter KloHäuschen statt. Die Veranstaltungen, Performances und Installationen von Künstlern aus Sendling und aller Welt tragen Titel wie „tröpfchenweise“, „Treibhausdefekt“, „Zzz...Zzz“ oder „Mein Ich putzt“. Und allen gemeinsam ist ein Grundgedanke: nichts überzustülpen über diesen kleinen, eigentlichen Ort, sondern ihn in seiner Schönheit sichtbar zu machen. What’s up? Ein Konzept, das auch die Stadt München überzeugt: Sie fördert das KloHäuschen aus dem Etat für Stadtteilarbeit. Das nächste Projekt ist denn auch schon am Start: Ab dem 12. April werden „9Volt“ aus München die musikalische Seele des KloHäuschens zum Klingen bringen – mit energiegeladenem Elektro-Punk, gespielt ausschließlich mit batteriebetriebenen Geräten (kein Computer, kein Stromkabel, kein Scheiß). Was für ein Ort also ist nun das KloHäuschen? Für mich der schönste, sympathischste, souveränste Abort Münchens.
TEXT: BOB PFAFFENZELLER // FOTO: ANJA UHLIG
ES wartet auf dich Das Kloh채usschen Thalkirchner Strasse 81/Ecke Oberl채nderstrasse GroSSmarkthalle Westtor
42 curt // Münchner G’schichten
Klo und Kultur, zwei Gegensätze, die in einer Show zusammenfinden: eine Münchner Kultursendung von einem unserer intimsten Orte.
KAthrins Kultur Klo
TEXT: VERONICA BURNUTHIAN FOTO: FOTOSTUDIO BLENDE 11
„Klotalk ist der beste talk.“ selfmade-moderatorin Kathrin rösch
Seit 2012 hat Kathrin Rösch immer wieder Besuch in ihrem zugegebenermaßen nicht besonders attraktiven, gelb gefliesten Badezimmer. innen.außen.raum – ein Kollektiv, das an ungewöhnlichen Orten Münchens Konzerte veranstaltet – saß schon einmal auf ihrem Badewannenrand. Der Songwriter Gabriel Miller Phillips aus Massachusetts gab sogar einen seiner Songs in dem beengten Raum zum Besten. Auch die Macherinnen von Ahoj Nachbarn, ein Verein, der künstlerische Projekte mit unseren Nachbarn aus Ost-Europa organisiert, waren zu Gast in KathrinsKulturKlo. Die Ahoj Nachbarn hatte Kathrin übrigens zufällig beim Spazierengehen in der Stadt getroffen und gleich zum Interview auf ihr stilles Örtchen geladen. „KathrinsKulturKlo ist vor allem eine Plattform für die Kunst- und Musikszene Münchens. „Hier gibt es so viele coole Projekte, wie z. B. das Klohäuschen in der Großmarkthalle, und ich möchte, dass die Leute das mitbekommen“, erklärt die 26-jährige Theaterwissenschaftlerin ihre Intention. Sie will, wie sie auf ihrer Facebook-Seite anmerkt, „die schlechten Formate eigenhändig die Klospülung runterspülen und, wo wir schon mal auf dem WC sind, dort einfach selbst besseres Fernsehen machen“. Angefangen hat Kathrin mit ihrem schrägen Format auf YouTube. Mittlerweile bietet ihr München TV einen monatlichen Sendeplatz, wo die Moderatorin mit viel Selbstironie und Humor anregende und bemerkenswerte Künstler, Musiker oder auch Veranstalter der Stadt präsentiert. Warum aber hat sie für ihre Sendung gerade die Tür zu ihrem ganz privaten Bereich geöffnet? „Es sollte trashig sein und Spaß machen beim Anschauen“, sagt Kathrin. Dabei behandelt sie aber ernsthafte Themen, die durchaus auch in teuer produzierten Fernsehshows einen angemessenen Platz hätten. Eine Talkshow neben Badewanne, Waschbecken und Toilette soll die Zuschauer darauf aufmerksam machen, dass Kultur überall stattfinden kann: nicht nur im sauberen Haus der Kunst oder im hoch glänzenden Stadtmuseum, sondern auch an diesem intimen Ort, wo jeder Mensch mindestens zweimal pro Tag seine Zeit verbringt.
Die Reaktionen zu ihrer Show fallen sehr unterschiedlich aus. Oftmals trifft Kathrin bei den Münchnern auf Unverständnis, muss ihr Format und ihre Ziele immer wieder erklären. Primär will sie natürlich die Szene Münchens vorstellen. Zugleich geht es der Selfmade-Moderatorin aber auch um ihre Rolle als Frau, da es ihr im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen meist schwerer fällt, ernst genommen zu werden. Aber davon lässt sie sich nicht bremsen und freut sich über neue spannende Interviewpartner, egal welchen Geschlechts. Wer in KathrinsKulturKlo reinschauen will: Die 2. Staffel der Sendung wird im Laufe des Jahres einmal monatlich auf München TV ausgestrahlt. „Kathrin on the Road“ lautet dann der Titel der neuesten Sendung, bei der spontane Interviews und Vorstellungen vom Jugendfilmfest Flimmern & Rauschen zu erwarten sind. Also, anschalten! >> facebook.com/kathrinskulturklo
44 curt // Münchner G’schichten
Nicht nur für unten rum Der Feinripp-Slip wird zum sackerl Das Münchner Design-Label t&m gibt dem Liebestöter der 70er eine zweite Chance: als Kulturbeutel im Kult-Look. TEXT: MIRJAM KARASEK
Sie ist eine gute alte Bekannte, die eigentlich keiner so richtig mag: die Feinripp- oder Doppelfeinripp-Unterhose mit Eingriff. Ab den 70er-Jahren bevorzugten Männer von Spießigkeit das Modell. Oder – gezwungenermaßen – arme Singles, die von Mutti zu Weihnachten mit hochwertiger Qualität aus deutschem Hause beschenkt wurden. Anfangs in strahlendem Weiß, verfärbte sich die Buchse mit den Jahren in verwaschenes Grau. Die Formstabilität hintenrum ließ obendrein gern zu wünschen übrig. Kein Wunder also, dass der Schlüpfer heutzutage als Liebestöter verschrien ist. Das Münchner Designlabel t&m gibt dem Ripp-Slip nun eine zweite Chance: nicht für unten rum, sondern als Krimskrams-Tasche für überall. Ein „Herrensackerl“ eben, das erstmals auch Frauen Freude bereitet. Dank kreativer Neuinterpretation erlebt die No-go-Unterhose eine wundersame Re-
naissance als Kulturbeutel oder Federmäppchen – und bleibt garantiert in Form. Im Gegensatz zum weiß-grauen Klassiker bringen die Macher von t&m, Simon Krebs und Thomas Kress, mit den Reißverschlüssen zusätzlich Farbe ins Spiel. Und sie sorgen dafür, dass alles drin bleibt, was drin bleiben soll. Wäre für das Original sicherlich auch keine schlechte Idee gewesen! „Wir stehen auf cooles Design und denken uns gerne neue Sachen aus“, sagen die beiden Erfinder. Seit 2012 toben sie sich erfolgreich als Ideenfinder, Markendramaturgen und DigitalMedia-Geeks aus. Neben witzigen Gadgets, Geschenkideen fürs Büro und Zubehör für iPad oder eReader ist der Retro-Beutel nun ihr neuester Coup. Ein weibliches Pendant soll auch schon in Planung sein. „Allerdings“, so Simon Krebs, „kein String-Tanga!“ Schade aber auch!
Das „Herrensackerl“ gibt es ab April in fünf Varianten für je 19,60 Euro bei ausgewählten Händlern oder im Online-Shop zu kaufen.
>> t m-products.com Wir verlosen fünf Schlüpfer-Beutel! Schickt uns einfach ein Unterhosen-Foto an willhaben@curt.de mit betreff „Herrensackerl“. Die Besitzer der grässlichsten Modelle gewinnen!
46 curt // Münchner g’schichten
arsch wie hose Andreas Ullrich hat seine erste JeansKollektion entworfen. Obwohl: Nennen wir sie lieber Beinkleider, denn mit der gemeinen Jeans hat das Münchner Label me-had wenig gemein. Eine limitierte Ausgabe – ausschließlich für Frauen!
Mainstream interessiert Andreas nicht die Bohne. Als Absolvent der deutschen Meisterschule für Mode in München kennt er zwar die Regeln – hält sich aber nicht dran. Ein kleiner Rebell gewissermaßen, der ein Entweder-Oder nicht akzeptieren mag. Kurz und lang, schräg und dezent, Couture und bold: Als Künstler will Andreas auch in der Mode Gegensätze miteinander kombinieren, ohne gleich als Enfant terrible in der Ecke Pop oder Punk zu landen. Vier Jahre grübelte und probierte er, bis am Ende der langen Sitzung drei Modelle aus grobem, unbehandelten Denim in seiner Galerie hingen. Besonders auffallend: Modell U1 mit unterschiedlichen Beinlängen. Das eine – schlank und lang – wirft angezogen wasserfallartige Falten, das andere ist deutlich kürzer und breiter geschnitten. Eine wilde Mischung, ohne im Mindesten clownesk zu wirken. Alle Hosen sind im Baggystyle gehalten und bieten dank eines raffinierten Faltensystems – der sogenannten „Harmonika“ – dennoch Bewegungsfreiheit. Geschlossen wird die Hose mit einem Latz: Die bayerische Lederhose lässt grüßen. Dazu noch ein ausgeklügeltes Taschensystem hinten wie vorn und die Möglichkeit, bei U2 und U3 einen halben Hosenträger anzubringen. TEXT: MIRJAM KARASEK
Die Produktion jedenfalls, ein Familienbetrieb von Freunden in Kroatien, fand’s gar nicht lustig. Zehn bis zwölf Muster pro Modell brauchten sie, bis produktionstechnisch alles passte. 100 Hosen waren geplant, 60 sind hinten herausgekommen. Ganze drei Stunden benötigten sie, um eine einzelne Hose fertigzustellen. Zum Vergleich: Die Produktion einer herkömmlichen Jeans kommt mit weit weniger als der Hälfte der Zeit aus.
er zwar, aber nur als Kreativer. Deshalb könnt ihr seine Modelle bislang auch nicht im Laden kaufen, nur auf seiner Website. Oder ihr geht zum Anprobieren gleich in sein Atelier am Rotkreuzplatz. Dann gibt’s sicherlich noch einen Kaffee obendrein.
Wirtschaftlich gesehen war die Idee, Mode und Kunst unter einen Hut zu bringen, bislang kein großes Geschäft. Eher ein Griff ins Klo. Selbst wenn alle Hosen an die Frau kommen, wären – bei dem Verkaufspreis von 248 Euro – gerade mal die Auslagen wieder drin. Von den Arbeitsstunden gar nicht zu reden. Vertrieb und Marketing sind Andreas’ Ding eben nicht. Künstler eben! Andreas macht. Und wenn er fertig ist, brütet er auch schon wieder über der nächsten komplexen Idee. Kreative Diarrhöe sozusagen! Er zeichnet an Entwürfen für weitere künstlerisch-modische Extra-Touren. Oder er knetet nebenher Rennreifen der 70er-Jahre glatt, um sie zu Hosenträgern und Gürteln umzufunktionieren. Mode, so Andreas, sei immer eine ganz schöne Scheiße. Um Geld zu verdienen, bräuchte es viele Connections und einen langen Atem. Den hat
Andreas Ullrich
>> Me-had.com GröSSen: S und M // 248 Euro // erhältlich online oder direkt in der BlutenburgstraSSe 87, RGB
wenn’s
arscherl
brummt, is’s herzerl g’sund
KL
DRE
Durchschnittliche haufen
N
RE
Ein Mensch geht durchschnittlich 6-mal am Tag auf die Toilette
KE
SE
Frauenzeitschriften & Romane
W IR
N I JA HR E U
der Deutschen lesen am liebsten auf dem stillen Örtchen
A UF D E M
A
52 %
S L OC EBENS H
57,1 %
Die Mehrheit reißt das Papier von oben oben ab
der Deutschen teilen sich das Bad beim klogang
vs.
Jede Taube produziert 10 – 12 kg Kot im Jahr
100 – 150 g 72 %
300 – 400 g
28 % 30.000 – 40.000 Tauben leben in München
Über 30.000 hunde
Vögel
kacken in München (rund 90 % pro m2)
Vegetarier
1g Fäkalie 1.000 Parasiten
100 m
1.000.000 Bakterien
90 %
der Deutschen sind Falter Nur 1% der grünen Autos werden Kackopfer
Nur 7,4 % sind echte „Knüller“
100 m
hunderte Wurmeier
10.000.000 Viren
Kacken am liebsten auf Rote Autos
Fleischfresser
chnitt Pro toilettengang
ET
O
W
Computerzeitschriften & Tageszeitungen
8,6 Klopapie rblätter Im durchs
50 curt // ach, du scheisse!
Scheisssssstatistik Rund ums Geschäft RECHERCHE: MIRJAM KARASEK // ILLUSTRATION: MARIUS ROHNE
Angela Merkel
50%
Dunkles Fazit eines Lebens:
rund 3.600 kg Kot
Daniela Katzenberger
Das ist im Stuhl
10%
10%
10–15 min 0%
Männer sind relaxter
lien
ien er kt
Ba
2/3 waschen sich„danach“ immer die Hände
sreste
H 2O 75 % Wasser
10 –1
Sauberkeit – eine deutsche Tugend
e Epith
Champagner inklusive
20%
Nahrung
pro Rolle kostet Das teuerste Klopapier der Welt
22 Karat Gold
Duft contra Mief
20%
0%
5–1 0m in
30%
min
1:10.000
Angelina Jolie
5–1 0m in
2–5 m in
5
Das Verletzungsrisiko auf Toiletten liegt bei
Männer Frauen sind fixer
30%
Veronica Ferres
969.088,82 Euro
2–5 m in
40%
Anke Engelke
Queen Elizabeth II.
Sitzungsdauer
Frauen
Mit diesen Promis würden deutsche Frauen am liebsten aufs Klo gehen
80 % lieben Duftspender, v.a. WC-Stein oder -Gel
Jeder Deutsche verbraucht über einen Kilometer Klopapier im Jahr
52 curt // ach, du scheisse!
Berühmte Arschlöcher TEXT: JULIA FELL // ILLU: Valentin Plank
Einer von 100 Mitmenschen ist ein Arschloch, schätzt Aaron James. Der amerikanische Philosoph befasst sich seit einigen Jahren wissenschaftlich mit dem Thema (Buchtipp: „Assholes – A Theory“, 2012). Er beobachtete u. a., dass ein echtes Arschloch zwar felsenfest von seiner Einzigartigkeit überzeugt ist, diese jedoch nur durch Interaktion mit seinem sozialen Umfeld aufrechterhalten kann. Kritik von außen und daraus resultierende Selbstreflexion dienen ihm – und das ist das Entscheidende – jedoch lediglich zur Selbstbestätigung. Und daran erkennt man sie in der Regel auch recht schnell: Viele Arschlöcher leiden nämlich unter einer ausgeprägten Profilneurose. Sie observieren ihre Umwelt permanent, gierend nach Bestätigung ihres verdrehten Selbstbildes. Die Spanier sprechen nicht umsonst vom ojo de culo, dem Arschauge. Doch neben den Berlusconis, Mel Gibsons und Mark Zuckerbergs dieser Welt gibt es auch Arschlöcher, die viel Gutes hervorgebracht haben. Genies mit üblen Charakterzügen, über die Geschichte gerne hinwegsieht. Was okay ist, aber auch irgendwie nur die halbe Wahrheit. Es wird Zeit für ein bisschen Aufklärung. Wir präsentieren: Menschen, die großartig und arschlöchig zugleich waren bzw sind.
54 curt // ach, du scheisse!
Der Verdachts-Pädophile Woody Allen
Der Egoist Albert Einstein
Frauen, die Männern eine erfundene Vergewaltigung anhängen, sind Arschlöcher. Und leider sind sie keine Randerscheinung mehr. Nicht umsonst macht der Begriff „Missbrauch des Missbrauchs“ gerade mächtig Karriere. Das mal vorweg. In manchen Fällen aber ist es umgekehrt, wie im Fall Woody Allen. Der betrog seine Frau Mia Farrow monatelang mit ihrer koreanischen Adoptivtochter Soon-Yi, die Farrow mit in die Ehe gebracht hatte.
Den Arschlochtyp egozentrischer Frauenschläger/ Ehebrecher trifft man auch immer wieder in der Wissenschaft an. Ganz vorneweg im Gänsemarsch der Genies mit verkrüppelten sozialen Fähigkeiten: Albert Einstein. Wie man heute weiß, litt Einstein wahrscheinlich am Asperger Syndrom, einer Entwicklungsstörung innerhalb des Autismusspektrums, die Probleme mit Sozialkontakten mit sich bringt. Schon als Kind war er verschlossen, begann erst mit vier Jahren zu sprechen, neigte zu Jähzorn. Dabei wuchs er in einer gut situierten Familie auf, übrigens in München (Randnotiz: Sein Vater, Ingenieur, stieg dort in eine von seinem Bruder gegründete Firma für Elektrotechnik ein. Die „Einstein & Cie“ ließ die Wiesn erstmals in elektrischem Glanz erstrahlen und elektrifizierte 1889 den Stadtteil Schwabing).
Man könnte auch sagen: Beide haben die Mutter beschissen (und irgendwie auch die anderen acht Kinder, die Allen und Farrow in die Welt gesetzt bzw. adoptiert haben). Die Affäre flog auf, als Farrow von Allen aufgenommene Nacktfotos der damals 21-Jährigen fand (er war damals 56). Allens Vorliebe für kleine Mädchen kommt nicht von ungefähr. Im Februar 2014 hat seine Tochter Dylan eine Seite des berühmten Regisseurs beleuchtet, die er wohl lieber im Dunklen belassen hätte. Sie war, sagt sie, gerade mal sieben, als er sich an ihr vergriffen hat. Nicht ein Mal, sondern jahrelang. Alles Lüge, sagt Allen – die gedemütigte Farrow habe das Kind manipuliert. Jedenfalls wurde ihm der Umgang mit Dylan schon in den 70ern gerichtlich verboten. 1997 heirateten Woody Allen und Soon-Yi, die ihrerseits zwei Töchter adoptierten.
In der Schule galt der kleine Albert als stoffeliger Einzelgänger, wurde von seinen Kameraden „Bruder Langweil“ genannt. Während seines Studiums an der Uni Zürich verliebte er sich in seine ehrgeizige ‚ Kommilitonin Mileva Maric, die erste Serbin und eine der ersten Frauen überhaupt, die ein Mathematik- und Physikstudium absolvierte. In ihr fand er erstmals eine Partnerin, die ihm intellektuell das Wasser reichen konnte. Ihre Mithilfe bei seinen
Arbeiten ist bis heute ungewiss; doch man darf davon ausgehen, dass sie ihren Mann nicht nur bewunderte, sondern auch tatkräftig unterstützte. In einem Brief schrieb sie ihm 1909: „Wie stolz und glücklich werde ich sein, wenn wir beide zusammen unsere Arbeit über die Relativbewegung siegreich zu Ende geführt haben.“ 1990 wurde auf einem Einstein-Kongress in New Orleans sogar hitzig diskutiert, ob seine Theorien nicht im Grunde zur Hälfte Mileva zugeschrieben werden sollten. Sicher ist jedenfalls, dass er Mileva, seine erste Ehefrau und Mutter seiner beiden ehelichen Kinder, immer wieder verdroschen und mit Prostituierten betrogen hat. Nebenbei begann er eine Affäre mit seiner eigenen Cousine, Elsa Löwenthal. Mileva versuchte verzweifelt, die Ehe zu retten, zog ihm mit den beiden Söhnen nach Prag und Berlin hinterher. Er hatte leider nicht die Cojones, ihr zu sagen, dass er die Ehe nicht mehr wollte. Stattdessen drangsalierte und erniedrigte er sie, unter anderem mit einem festen Reglement, das sie zu befolgen hatte:
A. Du sorgst dafür, dass meine Kleider und Wäsche ordentlich imstand gehalten werden, ich die drei Mahlzeiten im Zimmer ordnungsgemäß vorgesetzt bekomme und mein Schlaf- und Arbeitszimmer stets in guter Ordnung gehalten sind, insbesondere dass der Schreibtisch mir allein zur Verfügung steht. B. Du verzichtest auf alle persönlichen Beziehungen zu mir, so weit deren Aufrechterhaltung aus gesellschaftlichen Gründen nicht unbedingt geboten ist. Insbesondere verzichtest Du darauf, dass ich zu Hause bei Dir sitze und ich zusammen mit Dir ausgehe oder verreise. C. Du verpflichtest Dich ausdrücklich, im Verkehr mit mir folgende Punkte zu beachten: 1. Du hast weder Zärtlichkeiten von mir zu erwarten noch mir irgendwelche Vorwürfe zu machen. 2. Du hast eine an mich gerichtete Rede sofort zu sistieren, wenn ich darum ersuche. 3. Du hast mein Schlaf- bzw. Arbeitszimmer sofort ohne Widerrede zu verlassen, wenn ich darum ersuche. D. Du verpflichtest Dich, weder durch Worte noch durch Handlungen, mich in den Augen meiner Kinder herabzusetzen.
Am Ende gab Mileva auf, zog mit den beiden Kindern zurück in die Schweiz. Noch bevor die Ehe offiziell geschieden war, gaben Albert und Elsa sich das Jawort. Sein Sohn Eduard erkrankte kurze Zeit später an Schizophrenie und verbrachte große Teile seines Lebens in der Nervenheilanstalt. Aus Angst um seine Karriere brach sein Vater daraufhin den Kontakt zu ihm ab (und setzte weitere vier uneheliche Kinder in die Welt, um die er sich im Großen und Ganzen nicht kümmerte). Gleichzeitig engagierte er sich für Menschenrechte.
56 curt // ach, du scheisse!
Der Scheinheilige John Lennon
Der Alpharüde Pablo Picasso
Hinter der runden Brille und dem Hundeblick erwartet man nie und nimmer einen boshaften Menschen. Einen verträumten, etwas weltfremden Hippie vielleicht, aber doch kein Arschloch. Viel zu hell strahlt er noch heute, der Stern des sexy Friedensaktivisten, der von einer besseren Welt sang. Doch der Heiligenschein trügt. John Lennon war nicht nur ein begnadeter Sänger, Gitarrist, Beatles-Songschreiber und einer der lautesten Pazifisten der 70er. Sondern auch ein Riesen-Egoschwein mit viel Zorn im Herzen. Wer ihm am nächsten stand, bekam seine Wut ungefiltert ab, verbal und physisch.
Vom Wunderkind der Wissenschaft zum größten Macho, den die Kunstwelt hervorgebracht hat: Picasso, der Über-Maler, umstrittenster, präsentester und einflussreichster Künstler seiner Epoche. Er erfand den Kubismus, die revolutionärste Neuerung in der Kunst des 20. Jahrhunderts. Er legte den Grundstein einer neuen Denkordnung in der Malerei. Er läutete die Klassische Moderne ein. Er bekam noch zu Lebzeiten zwei Museen gebaut: eine Ehre, die nur ganz wenigen Künstlern zuteil wird. Da kann man schon mal die Bodenhaftung verlieren, wie man an Picassos Frauenverschleiß sieht. Sein Beuteschema: jung, schön und formbar wie weicher Lehm.
Die Frauen an seiner Seite behandelte er oft schäbig – und trotzdem gilt er als der erste prominente Feminist der Pop-Geschichte, schrieb er doch 1972 den Song „Woman Is The Nigger Of The World.“ Seine erste Ehefrau Cynthia war nicht die erste, die er schlug. Das räumte er selbst in einem Interview mit dem „Playboy“ 1980 ein. Auch Yoko Ono, vermeintliche Beatles-Spalterin, musste seine Wutausbrüche und Eifersucht wegstecken (er selbst gönnte sich das ein oder andere Auswärtsspiel). Vielleicht war er – das Unterklassenkind, in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, von den eigenen Eltern im Stich gelassen – auch gar nicht in der Lage, die Liebe zu geben, die er so gerne predigte. Zu seinem Sohn Julian aus erster Ehe hielt er jedenfalls nur sporadisch Kontakt, meldete sich jahrelang nicht. Julian selbst sagt, dass Paul McCartney ihm mehr ein Vater gewesen sei als sein eigentlicher Erzeuger. Dafür spricht folgende Anekdote: Als John und Cynthia sich trennten, schrieb McCartney einen Song, um Julian zu trösten – Arbeitstitel „Hey Jules“, später als „Hey Jude“ veröffentlicht. Dass der Song mit 7,5 Mio. verkauften Exemplaren zur erfolgreichsten Single der Band wurde, wird die Sache für Lennons Erstgeborenen nicht besser gemacht haben.
Seine erste Ehefrau Olga Chochlowa, eine Primaballerina aus russischem Adel, war zehn Jahre jünger als er. Ihm zuliebe gab sie ihren Beruf auf, schulte zur Vollzeit-Muse um, brachte seinen Sohn Paolo zur Welt. Doch die Ehe lief nicht gut und er begann mit 46 Jahren eine Affäre mit einer Minderjährigen (das Pariser Modell Marie-Thérèse Walter), die prompt schwanger wurde. Olga verlangt daraufhin die Scheidung, doch Picasso weigert sich, denn nach französischem Recht hätte er seinen Besitz mit ihr teilen müssen. Bis zu ihrem Tod blieb er also mit Olga verheiratet, lebte aber mit Marie-Thérèse zusammen. Ein paar Jahre später kam eine weitere Liaison hinzu, die Fotografin Dora Maar. Marie-Thérèse, dieses Mal die Sitzengelassene, wollte Picasso nicht verlieren und wetteiferte mit Dora um seine Gunst – zwei Hühner, die sich um einen Wurm zankten. Und el Macho? Fühlte sich ganz wohl in seiner Rolle als Objekt der Begierde und sah keinen Grund dafür, sich zu entscheiden. „Ich sagte ihnen, sie sollten es unter sich ausmachen“, brummelte er dazu nur. Und wilderte munter weiter, setzte mit der Malerin Françoise Gilot zwei weitere Kinder in die Welt. Bis zu seinem Tod blieb sein Verhältnis zu Frauen ein seltsames. Er selbst beschrieb es am besten: „Frauen sind entweder Göttinnen oder Fußabtreter.“
Der Lügner Sid Vicious Eine umstrittene Hypothese mit allgemein anerkanntem Wahrheitsgehalt lautet: Die Sex Pistols waren eine gecastete Band. Genau wie Take That, ´N Sync oder Monrose. Vorsingen musste niemand, doch die Formel, die zur Zusammen setzung führte, ist tatsächlich eine backstreatboys-esque. Ein musikaffiner Möchtegern-Manager (in diesem Fall ein Londoner Sex-ShopBesitzer namens Malcolm McLaren) hatte die Idee, eine polarisierende Band aufzubauen, die dem damals noch unbekannten Punk ein Gesicht geben sollte. Sid Vicious – der Legende nach benannt nach dem Hamster eines Kumpels – gehörte freilich nicht zur Originalbesetzung. Er wurde nachträglich in die Band geholt, um den Bassisten Glen Matlock nach dessen Austritt 1977 zu ersetzen. Als Hausbesetzer, Heroinjunkie und allgemein verhaltensgestörte Rampensau bediente er das Rüpelpunk-Image der Pistols hervoragend, war außerdem Schlagzeuger und hatte Bühnenerfahrung. Er durfte also mitmachen bei dem Punk-nach-Plan-Spiel. Und an dieser Stelle wird der Quatsch noch quätscher: Vicious wurde Bassist der Pistols, obwohl er keine Ahnung vom Bassspielen hatte. Und nein, er hat es auch nie gelernt, dafür fehlte ihm das Talent (angeblich bekam er sogar Nachhilfe von Lemmy Kilmister/Motörhead – ohne Erfolg). Seine Basspartien für die Alben spielte der Gitarrist Steve Jones ein, bei Live-Auftritten wurden er und sein Bass leise gemischt und akustisch durch eine Tonspur ersetzt. Das Ende vom Lied: Sid Vicious war und bleibt ein Ikone des Punk. Ein Symbol für Asozialität, ein erhobener Stinkefinger in Menschengestalt. Und gleichzeitig war er der größte Blender, den der Punk jemals hervorgebracht hat. Nebenbei bemerkt ist jeder, der Hakenkreuz-Shirts trägt, sowieso ein Arschloch. Punk hin oder her.
58 curt // ach, du scheisse!
Der Shitstorm eine etymologische Annäherung Kaum ein Volk hat den Ruf der korrekheitsliebenden Korinthenkacker so weg wie wir. Ach, these Germans, denkt man sich rund um den Globus. Ever so pünktlich, incredibly diszipliniert, their gewissenhaftigkeit setting an example of nerdy yet lovable mustergültigkeit. Und doch haben ausgerechnet wir ganz schamlos geschummelt. Und keiner hat’s gemerkt! TEXT: JULIA FELL
Es passierte im Jahr 2009, màs o menos. Da ploppte digitales Ereignis immer häufiger auf, für das es keinen griffigen deutschen Ausdruck gab. Und so krallten wir uns schnell ein Wort aus dem Englischen und assimilierten es („entlehnen“ nennt das der Sprachwissenschaftler). Ohne Rücksicht auf inhaltliche Richtigkeit, auf seine Herkunft und seine Geschichte rissen wir es von seinen Wurzeln ab und pflanzten es unbeholfen in unseren eigenen Sprachgebrauch ein. Benutzen es heute munter und mit kosmopolitischer Begeisterung, ohne eigentlich zu wissen, was wir damit sagen wollen. Der Terminus, der hier so gar nicht artgerecht gehalten wird, ist der Shitstorm. Wie kam es dazu? Der Beginn dieser fragwürdigen Karriere lässt sich auf Anfang 2012 datieren: Da begann das offizielle „Ok-Leute-ab-jetzt-nennenwir-es-alle-so“-Zeitalter. Shitstorm wurde Ende 2011 von einer Fachjury um einen Professor an der Freien Uni Berlin zum Anglizismus des Jahres gewählt – dabei ist es eigentlich gar keiner.
Faktisch wurde das Wort im englischsprachigen Raum nie genutzt, um einen medialen Sturm der Entrüstung zu beschreiben, bis man hierzulande damit angefangen hat. Freilich kennen englische Muttersprachler die Vokabel als Umschreibung einer chaotischen, moralisch fragwürdigen Situation. Wahrscheinlich ist der Begriff verwandt mit der Redewendung „shit hit the fan“, auf Deutsch: Scheiße gelangte in den Ventilator und fliegt uns jetzt um die Ohren. Doch weder die ventilierte Scheiße noch den Shitstorm kannte man als Internetphänomen. Erfunden hat diesen Usus tatsächlich ein Deutscher, der Web 2.0-Guru Sascha Lobo. Auf der re:publica 2010 definierte er den Begriff als Erster – und zwar als eine Situation, in der „in einem kurzen Zeitraum eine subjektiv große Anzahl von kritischen Äußerungen getätigt wird, von denen sich zumindest ein Teil vom ursprünglichen Thema ablöst und stattdessen aggressiv, beleidigend, bedrohend oder anders attackierend geführt wird“. So weit, so einseitig. Mittlerweile bereut Lobo, zum inflationären Gebrauch der Vokabel beigetragen zu haben, entschuldigt sich in seiner „Spiegel“-Online-Kolumne sogar dafür. Viel zu leichtfertig werde der Terminus heute verwendet, kritisiert er, berechtigte kritische Stimmen würden vorschnell diskreditiert, nach dem Motto: Wer mit Scheiße wirft, hat sowieso Unrecht. Schmutzkatapulte verdienten es der landläufigen Meinung nach nicht, ernst genommen zu werden,
auch wenn sie richtige und wichtige Informationen und Meinungen in die Welt schleudern. Das sei nicht fair. Als Alternative zum Shitstorm schlägt er „Stuhlgewitter“ vor. Amüsiert und irritiert beobachten zahlreiche britische und amerikanische Medien mittlerweile den Enthusiasmus, mit dem die deutschsprachigen Länder das S-Wort adoptierten, gar in den Duden aufnahmen. Die britische Traditionszeitung „The Times“ ist sogar der Meinung, dass der Begriff erst durch Angela Merkel populär wurde. Auch „The Guardian“ berichtete 2012, die Vokabel aus Merkels Mund gehört zu haben: „... she referred to having faced a ,shitschturm’ (her pronunciation) over her dealings with crisisridden southern Europe.“ Interessanterweise hat das Oxford Dictionary of English, das britische Äquivalent zum Duden, auf die Situation reagiert und den Shitstorm zumindest schon mal in seine Online-Version aufgenommen, bemerkt die „Huffington Post“. Und wieder ist nirgends die Rede von einem digitalen Phänomen. Der Brite versteht hierunter nach wie vor „a situation marked by violent controversy“. War das eine verzweifelte „Gebt-uns-gefälligstunser-Wort-zurück!“-Maßnahme? Der kleine Shitstorm hat jedenfalls jetzt die Schnauze voll und möchte bitte von seinen Eltern abgeholt werden.
60 curt // ach, Du scheisse!
„Betonen Sie Ihre modische Seite mit diesem aparten Collier, das aus einer Goldkette und einem ScheiSSe-Anhänger besteht. Das Collier ist halsnah gearbeitet und sieht zu jeder Art Kleidung toll aus. Als perfekte Ergänzung zum klassischen Hosenanzug oder als witziges Accessoire zu modischen Shirts.“ Material: 925/00 Sterling Silber, feingoldplattiert // Kettenlängen: 45 cm / 50 cm / 55 cm
Ich beschäftige mich als Mensch und Künstler schon seit Jahren intensiv mit dem Thema Scheiße, nur fehlte mir die zündende Idee, diesem faszinierenden Sujet einen wertigen und glamourösen Rahmen zu geben. Rocko Schamoni
Aus Scheiße Gold machen: Der Traum eines jeden Alchimisten ist dem gefeierten Ausnahmekünstler ohne jeden Zweifel gelungen. Rocko Schamoni, seines Zeichens Autor, Schauspieler, Musiker und festes Mitglied der TelefonAnarchisten Studio Braun, ist nicht nur einer der schillerndsten Vertreter der deutschen Kul-turlandschaft, sondern auch bekennender Fan des Glam. Seit 2013 gibt es sie – Scheiße by Schamoni. Die berühmt-berüchtigte Schmuckkollektion in adretter Wurstform reicht vom Manschettenknopf, zum Doppelring bis hin zur auf fünf Stück limitierten und 48.500 Euro wertigen ScheißeUhr. 18 Karat Gold – made in Hamburg, versteht sich.
Etwas mehr ScheiSSe braucht die Welt TEXT: Tim Brügmann // fotos: Konstanze Habermann // Bildrechte: jonathan johnson
Doch wer steckt hinter der Kollektion, die Deutschland in Atem hält? Wer ist der Mann, von dem sich auch Bela B oder Bruce LaBruce fein funkelndes Edelmaterial auf die Haut legen lassen? Jonathan Johnson, die Lichtgestalt der deutschen Goldschmiedekunst, im Gespräch mit curt über Luxus, die hohe Kunst der Alchemie und … Scheiße.
62 curt // ach, Du scheisse!
Scheiße by Schamoni. Von Rocko nicht gänzlich unerwartet, aber als Idee für ihn dann doch ferner als für einen Goldschmied mit Leidenschaft und Begeisterung. Wie kam es zu eurer Kooperation und wie findet ein Mann deines Fachs seine Testimonials? Ich kenne Rocko schon länger und habe in meiner Zeit als Konzertveranstalter einiges mit ihm zusammen gemacht. Die Original Scheiße-Kette ist in Zusammenarbeit mit Rocko und der Hamburger Designerin Dorle Bahlburg entstanden. Es ist eine Kollektion für Leute, die eine gewisse Einstellung zur Welt haben. Wir sagen ja nicht, dass alles scheiße ist, vielmehr sagen wir mit der Kollektion, dass Scheiße auch schön sein kann. Ich arbeite gerne mit anderen Menschen zusammen. Ergibt sich eine interessante Mischung, kann es zu einer Kollektion kommen. Scheiße-Kette, Scheiße-Manschetten, Scheiße-Uhr: Wie plant man eine derartige Kollektion, welche Schritte gehen ihr voraus, welche Überlegungen stellt man an und nach welchen Kriterien wird schließlich ausgewählt, was in die Vitrine gelangt? Das war und ist ein sehr langer und aufwendiger Prozess. Wir entwickeln die Kollektion ständig weiter. Die Einnahmen der verkauften Schmuckstücke fließen wieder in die neuen Entwicklungen. Es ist also ein geschlossener Kreislauf aus Ausdenken, Umsetzen, Herausbringen und Wiederverwerten. Eine Art Scheiße-„Perpetuum mobile“. 18 Karat Gelbgold, Sterlingsilber, blaue Diamanten … Allesamt Zutaten für unendlichen Glamour und Luxus. Wie passt die Welt des großen Gatsby mit Scheiße in Form und Schrift zusammen? Blutet da nicht das Juwelierherz? Für mich ist es Luxus, Dinge zu entwickeln, die zuallererst keinem EffizienzGedanken folgen. Ich sitze hier nicht und plane lifestyle-ökonomisiert, was gerade funktionieren könnte. Ob Scheiße oder Diamanten: Es handelt sich
dabei um Dinge, die es nun mal auf der Welt gibt. Der eine mag Diamanten, der andere findet sie scheiße. Wichtig ist das Handwerk. Ich produziere alles selbst aus recyceltem Gold und Silber, verwende Ökostrom für meine Maschinen und beziehe meine Diamanten von der ältesten Diamantschleiferei Deutschlands. Über das Design lässt sich natürlich streiten.
guter geschmack hat einen namen: jonathan johnson
Für viele ist das, was du machst, ein Anschlag auf den guten Geschmack. Von welchen Seiten hagelt es Kritik, von welchen überströmt dich Lob? Mit dem Mut, diese Kollektion herauszubringen, geht man natürlich auch das Risiko ein, Leute vor den Kopf zu stoßen. Es geht uns darum, wieder genauer hinzusehen. Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Schmuck ist ein sehr altes Handwerk und ich bin ein großer Bewunderer der alten Schule wie Lalique oder der Wiener Werkstätte. Diese Schmuckkünstler waren in ihrer Zeit revolutionär. Vielleicht bedarf es in unserer Zeit konkreterer Mittel, um auf Defizite hinzuweisen. Zwischen ein paar Mausklicks bleibt kaum noch Zeit für den Inhalt. Da muss man lauter werden.
64 curt // ach, Du scheisse!
Der Zusammenarbeit mit Rocko Schamoni ist nicht nur eine aberwitzige und dennoch hoch qualitative Kollektion entsprungen. Ihr habt zusammen auch ein Werbevideo im QVC-Stil gedreht. Komplett mit attraktivem Model und allen Klischees, die man von schmierigen Dauerwerbesendungs-Vertretern kennt. Was hält dich davon ab, nicht doch den klassischen Weg zu gehen? Ich habe keine Vorstellung von einem geplanten Weg, ob klassisch oder nicht. Ich habe Spaß daran, Dinge zu beobachten, zu lernen, zu interpretieren und zu improvisieren. Das kann Schmuck sein, das kann aber auch etwas anderes sein. Ich mache viele Dinge. Der Schmuck ist oftmals eine Art Verbindung zwischen vielen Bereichen. Gerade habe ich für Bobby Conn ein Musikvideo produziert, das Ende Mai herauskommen wird. Es dreht sich bei dir nicht alles nur um Scheiße. Für den Künstler Bruce LaBruce bist du in eine ganz andere Richtung gegangen. Wie hat sich die Zusammenarbeit hier im Vergleich zu Scheiße by Schamoni unterschieden? Die Scheiße-Kollektion ist ja nur ein kleiner Teil meines umtriebigen Schaffens. In Deutschland ist sie natürlich sehr bekannt. Mit Bruce arbeite ich gerade an einem Parfüm: Obscenity. Er hat auch Regie geführt bei dem Musikvideo für Bobby Conn. Es freut mich sehr, dass er dieses Jahr die Leitung der Jury bei den Filmfestspielen in Cannes im Bereich „Queer“ bekommen hat.
„If you want Blood“-Collier aus recyceltem 18 kt Gelb- und WeiSSgold sowie roter Feueremaille
Pünktlich zum Valentinstag hast du das „Heart of Shit“ herausgebracht. Was birgt das neue Jahr für Jonathan Johnson, was ist geplant und worin besteht die größte Herausforderung 2014? Wir arbeiten seit nunmehr zwei Jahren an einem Bildband. Zusammen mit der Modedesignerin Katja-Inga Baldowski und der Fotografin Konstanze Habermann sind 15 Bilder entstanden. Verschiedene Frauenrollen, die in Zusammenhang mit Schmuck stehen. Das Projekt heißt „Life after Death“ und wir haben dabei 15-mal die gleiche Person fotografiert, immer in einer anderen Rolle. Da gibt es z. B. eine Eiskunstläuferin, eine Schönheitskönigin, ein Cowgirl und auch eine Frau im Dirndl. Das wird dieses Jahr erscheinen. Und unsere erste Pralinen-Kollektion in Zusammenarbeit mit der Confiserie Paulsen zur Premiere des neuen Fraktus-Stücks am Thalia Theater. Schmuck von Jonathan Johnson in München. Utopie und nur als Made in Hamburg denkbar? Was viele nicht wissen, mein Vater ist Münchner. Ich war als Heranwachsender sehr oft in München und mag die Stadt sehr. Ich habe ein großes Vorbild, Gerhard Polt, und Fassbinder. Ich werde dieses Jahr eine Oktoberfest-Kollektion in den Onlineshop bringen: Brathendl und Penisse aus Platin. Ich packe mal mein Bündel und schaue mich in München um. Vielleicht hat ja jemand Lust auf Gefahrengebiete.
„Lilie“ aus recyceltem 18 kt Gelbgold, Sterling-silber, fossilem Mammut-Elfenbein, Vintage-Diamanten und einem gelben Saphir
>> jonathanjohnson.de Die Kreationen von Jonathan Johnson gibt es vom Meister selbst in seinem Hamburger Atelier (PoolstraSSe 20, 20355 Hamburg) oder bequem im Netz.
66 curt // ach, du scheisse!
kot tut not In Peru wird aus Scheiße Geld gemacht, seit Hunderten von Jahren. Doch die goldene Ära ist längst vorbei.
PERU – ISLASBALLESTAS
Schönheit liegt ja bekanntlich im Auge des Betrachters. Sicher würden die meisten Leute es nicht gerade als schön bezeichnen, wenn Millionen Vögel den Boden ihres Landes mit bis zu dreißig Meter (!) hohen Kothaufen übersähen. Als man sich in Peru jedoch mit genau dieser Situation konfrontiert sah, empfanden es die Bewohner nicht als „schöne Scheiße“, sondern eher als ein Geschenk des Himmels. Schon vor über 2.000 Jahren begannen sie, die phosphor- und stickstoffhaltige Vogelkacke als Pflanzendünger zu verwenden.
halbe Milliarde Kilogramm (!) Guano allein nach Deutschland transportiert. Und das Deutsche Reich war nur der drittgrößte Abnehmer des begehrten Düngers. England und Frankreich kauften noch mehr Guano. Auf die Brutzeiten der Vögel, denen man das „weiße Gold“ zu verdanken hatte, wurde nun keinerlei Rücksicht mehr genommen, was sich natürlich negativ auf den Nachwuchs auswirkte. Ohne die ganzen kleinen Scheißer blieb letztlich auch der nötige Nachschub aus.
Die Exkremente von Kormoran, Pelikan und Co. schätzten die Inkas so hoch, dass sie die Inseln vor der Küste Perus bewachten, um das ökologische Gleichgewicht nicht durcheinanderzubringen. Mitte des 15. Jahrhunderts musste jeder, der es wagte, die Nistplätze der Vögel während der Brutzeit zu betreten oder die wertvollen gefiederten „Goldesel“ gar umzubringen, mit der Todesstrafe rechnen. Noch spektakulärer waren die Opfergaben, die dem Gott des Guanos auf den „beschissenen Inseln“ vor Perus Küste erbracht wurden. Aus Dankbarkeit darüber, den Vogelkot vom felsigen Untergrund kratzen zu dürfen, trennte man sich sogar von wertvollen Gegenständen aus Silber.
Im 20. Jahrhundert spitzte sich die Situation für die Vögel weiter zu (und in der Folge natürlich auch für diejenigen, die mit deren Kot ihren Lebensunterhalt verdienen). Die Hauptnahrungsquelle der Vögel, Fische, wurde ihnen durch die zunehmende Zahl an Fischerbooten vor den Küsten Perus streitig gemacht. Aber auch die Naturkatastrophe El Niño wirkte sich negativ auf die Population der Vögel aus. Plötzlich hielten sich Plankton und Plankton fressende Fische in Tiefen auf, die für die Vögel unerreichbar waren, sodass viele der Vögel, die El Niño zunächst überlebt hatten, an dieser Folge der Katastrophe verhungerten.
Das Ende der Nachhaltigkeit in Sachen Guano begann dann mit dem Export nach Europa. Angestoßen im Jahr 1848 durch Alexander von Humbolt wurden 1870 bereits weit über eine
Verhungern mussten die Guano-Exporteure zwar nicht, aber viele von ihnen mussten sich einen anderen Job suchen. Schließlich betrug die Menge des abgebauten Düngers auf den Guano-Inseln
schon 1971 nur noch zirka fünf Prozent dessen, was man dort hundert Jahre zuvor „geerntet“ hatte. Den geschundenen Vögeln von Peru kam glücklicherweise „Batman“ zuhilfe. Denn auf der Suche nach Alternativen kam man andernorts auf die Idee, Fledermauskacke als Dünger zu verwenden. Diese hat nämlich einen ganz entscheidenden Vorteil: Sie stinkt nicht so bestialisch, weil Fledermäuse sich von Früchten und Insekten ernähren. Schön für all jene, die damit ihre Felder düngen. Schön für die Vögel auf den Guano-Inseln, die endlich wieder in Ruhe brüten dürfen. Schön scheiße für die Vogelkacke-Piraten an der peruanischen Küste. Shit happens!
Du interessierst dich für die Leute, die auf einsamen Inseln für einen Lohn von 325 Euro im Monat Vogelkot von Felsen kratzen? Am liebsten würdest du dir eine einstündige, hoch interessante Doku zu diesem Thema anschauen? Dieser QR-Code erfüllt deine Wünsche. Kein Scheiß!
TEXT & FOTO: CHRISTIAN GRETZ
68 curt // ach, du scheisse!
Der Goldene Schiss
Wer hätte gedacht, dass dieses trostlose Bingo noch mal seinen Weg aus den Altersheimen Amerikas findet und weltweit tierisch gut ankommt? Richtig, niemand! Doch mit einer ungewöhnlichen Interpretation des Glücksspiels stößt man anscheinend auf weltweites Interesse. Man nehme eine beliebige Fläche, unterteile diese in mehrere Felder, platziere darauf ein Tier nach Wahl und warte geduldig, bis es sein Geschäft verrichtet. Das Kleinwalsertal am Vorarlberg hat im Jahr 2004 mit Milchkuh Erna von sich reden gemacht. Für die Aktion „Der Goldene Schiss“ konnten amüsierte Touristen mit einem Einsatz von 3 Euro auf einen Gewinn von 100.000 Euro hoffen. Die Tourismus-Region sprach von einem traditionsreichen Vergnügen, dem sich damals schon Bauernburschen widmeten, profitierte aber eher von dem medienwirksamen Gag. Weniger historisch, aber dennoch scheiße-geil, geht es in Gynnis „Litte Longhorn Saloon“ zu. In Austin (Texas) dreht sich neben Musik, Bier und Tanz alles um eine neue Runde „Chicken Shit Bingo“. Die Henne Penny steht dabei wöchentlich unter dem Druck, innerhalb eines Käfigs im Zentrum der Bar sprichwörtlich aus Scheiße Geld zu machen. Trunkene Country-Sänger und texanische Ladys jubeln und grölen, bis der erlösende Moment eintritt und der glückliche Gewinner bis zu 100 Dollar in eine weitere Runde Bier investieren kann. TEXT: ADRIAN LEEDER
NACHT, FLOHMARKT
NACHT, FLOHMARKT
TonHalle München
MÜNCHEN
im Feierwerk am
am
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12.
APR 2014
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JUN 2014
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70 curt // ach, du scheisse!
I don’t speak
but I
„Ihh, schau mal Mama, da ist Kacka an deinem Schuh“, rief letztens ein kleines Mädchen vor mir auf der Straße und rümpfte in kindlicher Manier die Nase, als es auf die Exkremente am Schuh der Mutter deutete. „So eine Scheiße aber auch“, zischte die verärgerte Frau leise. „Mama, du sagst doch immer, man soll nicht ,Scheiße’ sagen“, schaute das Kind seine Mutter mit großen Augen an. Wohl wahr, in der Kindererziehung mag es dafür vielleicht noch nachvollziehbare Argumente geben. Aber sind wir mal ehrlich: Es gibt auch Situationen, in denen Bilder wirklich mehr als Worte sagen, und ich spreche hier von metaphorischen Bildern. Bei ein, zwei Bierchen kann man mit alten Bekannten nämlich hervorragend in der Scheiße wühlen, sich erinnern, wie man damals Scheiße gebaut hat, respektive bis zum Hals in der Scheiße steckte. In einem weiteren Abschnitt des Abends könnte man auch genauso gut die weniger lieben Freunde durch die Scheiße ziehen. Ein halbes Jahr später wird man sich hoffentlich an den scheißgeilen Abend erinnern können. Es wird also deutlich: Wenn es um den Sprachgebrauch des Wortes „Scheiße“ und all seine Derivate geht, stößt man auf ein nahezu unerschöpfliches Repertoire der deutschen Sprache, welches heutzutage moralisch absolut flexibel und weder um eine positive noch negative Konnotation verlegen ist. Nicht ohne Grund wünscht sich wohl keine Geringere als Lady Gaga in ihrem Lied „Scheiße“, sie könne Deutsch sprechen („I don’t speak German, but I wish I could“). Mit Wikipedia und Duden ganz sachlich betrachtet, handelt es sich dabei um das Substantiv „Scheiße, die“, welches oft als ein Adverb oder eine Interjektion im gesamten deutschen Sprachraum als Schimpfwort verwendet wird. Wikipedia spricht auch von einem „Ausruf bei aufgetretenen Schwierigkeiten und Missgeschicken oder Fluch zum Ausdruck der Frustration und der Verärgerung“. Ja, so kann man es natürlich auch sagen. Laut einer Studie der Gesellschaft für die deutsche Sprache hatten 63 Prozent der Befragten „zugegeben“, das Wort selbst zu verwenden, bei Frauen waren es interessanterweise 56 Prozent und bei Männern ganze 72 Prozent. Man kann also festhalten, dass sich die Scheiße offiziell in unseren täglichen Sprachgebrauch eingeschlichen hat. Nichtsdestotrotz gibt es natürlich auch jene Verfechter der adretten Ausdrucksweise, die bei einer derartigen Verlautbarung der Empörung kaum merklich zusammenzucken, schließlich gehöre sich so etwas nicht. Zugegeben, schön ist es nicht: Aber was will man machen, wenn die Kacke am Dampfen ist? Und dann, manchmal, gibt es diese seltenen Momente, in denen die Situation gewaltig aus dem Ruder läuft und die Contenance nur noch eine Aneinanderreihung von Buchstaben ist. Da höre ich dann einen jener Verfechter sich über den „verdammten Scheißdreck“ echauffieren und bin wider Erwarten diejenige, die im ersten Augenblick kaum merklich zusammenfährt. In der nächsten Sekunde schmunzle ich in mich hinein und nicke verständnisvoll mit dem Kopf. So ein Missgeschick aber auch!
German TEXT: MARGARITA SEREDA-WILDENAUER
Wish I
could
Eine kurze Typologie der Nacht Von neun bis fünf ist Vergangenheit. In den Häusern, in den Kellern, in den Hinterhöfen ist es heiß. Der Exzess ist angerichtet. Arroganz und Inszenierung. Du bist startklar. Die Taschen voller Bonbons und Geld. Jetzt verschmelzen mit dem Raum. Mit Musik und mit den Frauen. Mit den Männern. Mit den Pflanzen und den Tieren. Scheiße aber auch, irgendwas hält dich doch auf.
Das Pärchen Ihr seid drei Wochen zusammen und noch so verliebt wie am ersten Tag. Das interessiert zwar keine Sau, aber zeigen müsst ihr das trotzdem. Ihr klebt aneinander wie Scheiße am Schuh. Verschmolzen zu einem fleischgewordenen Flummi bahnt ihr euch wild knutschend den Weg über die Tanzfläche wie Lothar Matthäus in die BildZeitung: in schöner Regelmäßigkeit, ohne Rücksicht auf Verluste. Eure Augen sind halb geöffnet, halb geschlossen, eure Zungen stecken nicht drinnen, sondern hängen raus. Kommt ihr, die Dampfwalze des pubertär zur Schau gestellten Arguments für ewiges Singledasein, mal zum Stillstand, zerschellen die Tanzenden an euren unförmigen Leibern wie die Maschine der 49er-Mannschaft des AC Turin am Berge des Superga. Eure Freunde, sofern ihr welche im Schlepptau habt, verleugnen euch auch noch die Woche drauf. Zum Tanzen seid ihr nicht gekommen, den DJ kennt ihr nicht – dafür euch der ganze Club. Der Lachs Kommt allein in den Club – und geht auch wieder allein. Geld hat er nur für zwei Bier – eines, an dem er den ganzen Abend nuckelt, und eines, das er hofft, dir ausgeben zu können. Sein Handy-Akku ist immer geladen, da er sich einbildet, jemand sei an seiner Nummer interessiert. Sein Style: Fake-Lederjacke, Karohemd mit irgendeinem dämlichen Schriftzug auf dem Rücken („California Beach“), Blue-Jeans eine Nummer zu groß und an den Füßen eines dieser halb Sneaker, halb Herrenschuh-Modelle. Die Jacke wird er den Abend über nicht ausziehen. Sein Verhalten: Beobachtet die Tanzfläche aus schummrigen Ecken heraus, pirscht sich an dein Mädchen ran, das ihn ignoriert. Versteht die Welt nicht mehr und versucht’s bei der Nächsten – mit gleichbleibendem Erfolg.
Text: Kevin Goonewardena // collage: Christian anzenberger
Die Kumpels Benehmen sich wie auf einem Junggesellenabschied, sind aber von Selbigem weit entfernt. Unterscheiden sich von den besten Freundinnen durch kaum mehr als ihren Schwanz zwischen den Beinen. Haben Freiwillige-Feuerwehr-Zugehörigkeit und Dorfkirmes-Attitude im Übergepäck dabei und sind zu knausrig, die für nen Euro an der Garderobe abzugeben. Wenn sie sich nicht wie ihr weibliches Pendant über den Dancefloor bewegen, liegen sie sich in den Armen und gestehen sich ihre durch Alkoholkonsum zutage geförderte Liebe in homoerotischen Anflügen. Ihre bei Avicci auf der dem deutschen Volke angeblich liebsten Ferieninsel erworbene Textsicherheit geben sie ungefragt zum Besten – was nicht passt, wird passend gemacht. Taumeln glücklicherweise Arm in Arm zum Taxi, bevor du im Rhythmus der Sonne entgegenfließt.
Jedes Bรถhnchen ein
Tรถnchen
74 curt // Musik > Präsentationen
curt präsentiert feine konzertabende
05 | 04
Metronomy // Muffathalle „The Look“ oder „The Bay“ sind schon längst zum unabdingbaren Soundtrack durchtanzter Nächte geworden. Auf ihrem neuen Album „Love Letters“ geht das britische Quartett musikalisch einen Schritt zurück, lässt den Computer im Studio links liegen und setzt auf analog statt digital. VVK 21, AK 25 Euro
13 | 04
Heymoonshakers // Milla Die Briten Dave Crowe und Andy Balcon haben sich als Straßenmusiker in Neuseeland gefunden und sind zum Glück zusammengeblieben, sonst bekämen wir ihre eigenwillig raue, dreckige Blues-Electronic-Bass-Music nicht zu hören. Atemberaubendes Beatboxing, eine eindringliche Stimme wie Sandpapier. VVK 12 Euro
15 | 04
Dark Horses // Feierwerk Im Pferderennsport bezeichnet „Dark Horse“ einen Außenseiter, der den Favoriten Konkurrenz macht. Genau wie die gleichnamige britische Band, die die Szene mit ihrem Debüt „Black Music“ kräftig in Wallung brachte: Melancholie irgendwo zwischen ätherischen Sounds & minimalistischem Pop! VVK 12 Euro
20 | 04
White Noise/Black Silence-Festival Zum fünften Mal in Folge setzt das Festival im Gasteig eigenwillige Kontraste. Mit Free Nelson Mandoomjazz, Waves, Radian, Average Engines und Lubomyr Melnyk liegt der Schwerpunkt heuer auf experimenteller und instrumentaler Musik. Sehr cool, was die Azubis des Gasteig da wieder gestemmt haben. Und das bei freiem Eintritt!
TEXTE: MIRJAM KARASEK
Zu allen Konzerten verlosen wir 3 x 2 Karten! alle gewinnspiele findet ihr auf curt.de/muenchen
21 | 04
Monochrome // Feierwerk Das ehemalige Hardcore-Quintett Dawnbreed aus Sindelfingen ist schon lange flügge geworden. Ohne jeglichen Respekt vor musikalischen Grenzen schufen sie sich als Monochrome erfolgreich neu. Fünf Jahre war es still um sie, nun sind sie mit ihrem neuem Album „UNITÀ“ zurück. VVK 10, AK 13 Euro
22 | 04
EF & Platonick Dive // Strom Freunde instrumentaler Gitarrenmusik schlagen Purzelbäume vor Freude! Auf dem Neuling „Ceremonies“ faszinieren die Schweden von EF mit bedächtig verträumten, teils opulenten Arrangements, während Platonick Dive aus Italien ihrer musikalischen Definition „Silence against Noise“ weiterhin treu bleiben. VVK 12 Euro
24 – 26 | 04
MAKE OR BREAK FESTIVAL // Feierwerk Partys und Konzerte querbeet durch alle Genres auf dem gesamten Gelände – Eintritt frei! Tolle Highlights, Underground-Acts und ambitionierter Nachwuchs inklusive. 2014 geben sich u. a. Rainer von Vielen, Fuck Art Let’s Dance, Radio Moscow und Blockhead die Ehre. Wer nicht hingeht, ist selber schuld!
29 | 04
MØ // Feierwerk Gerade mal zwei online gestellte Tracks und schon ging der Hype los: Die dänische Songwriterin Mø aka Karen Marie Ørsted wird bereits vor Veröffentlichung ihres Debüts „No Mythologies To Follow“ als die IndieSensation gefeiert. Schön, gefühlvoll und mitreißend! VVK 16, AK 20 Euro
29 | 04
06 |05
Dredg // Theaterfabrik Die kalifornische Band wird auf ihre alten Tage nostalgisch und schwelgt in Erinnerungen. Auf ihrem Münchner Konzert kredenzt sie ihren 2005 erschienenen Album-Klassiker „Catch Without Arms“ in voller Länge: ihr sicherlich melodischstes, popigstes und persönlichstes Werk. Ein Retro-Abend in der Theaterfabrik voll tief berührender Schönheit für Kopf, Herz und Seele. VVK 25 Euro YASMINE HAMDAN Ampere Die libanesische Sängerin, Songwriterin und Schauspielerin wurde zunächst als UndergroundIkone in ihrem Heimatland gefeiert. Spätestens nach ihrem beeindruckenden Auftritt in Jim Jarmuschs Vampirdrama „Only Lovers Left Alive“ müsste sich nun jeder auf der Welt in sie verliebt haben! Ihr Solodebüt entstand in Kollaboration mit Marc Collin (Nouvelle Vague). VVK 17, AK 21 Euro
76 curt // Musik > Präsentationen
13 | 05
The rifles // Ampere Endlich! Sie sind zurück! Im Original-Line-up besinnen sie sich alter Tugenden und lassen ihren rhythmischhomogenen Power-Britpop wieder aufleben. „None The Wiser“ heißt ihr neues Album, und es klingt als hätten The Clash mit The Jam zusammen einen draufgemacht. VVK 17, AK 21 Euro
27 | 05
BLEECH // milla Das Trio Bleech (seit 2009) beschreibt sich selbst als „loud band from London“, ihre Musik definieren sie als Alternative/Rock/Brit Pop/Grunge/Rock ’n’ Roll. Im Milla fegen die drei Briten mit ihrem aktuellen zweiten Album „Humble Sky“ über die Bühne. Und alle so: Wow! VVK 11, AK 14 Euro
25 | 05
The Amazing Snakeheads // muffatcafé Sie sind wild, kompromisslos und müssen ihre Energie einfach rauslassen: mit dreckigem Garage Punk und brachialem Blues-Rock! Ihr Debüt „Amphetamine Ballads“ klingt nach dunklen, verräucherten Clubs, nach Glasgow bei Nacht. Von den Schotten werden wir sicher noch viel hören! VVK 14, AK 18 Euro
31 | 05
Intergalactic Lovers // muffatcafé Teils folkig angehauchter, teils sphärischer Rock, vorgetragen mit der glasklaren Stimme von Frontfrau Lara Chedraoui: Da wird jedem Zuhörer warm ums Herz. Die Belgier schenken uns mit ihrem zweiten Album „Little Heavy Burdens“ auch weiterhin ehrliches Songwriting voller Melancholie und Euphorie. VVK 14 Euro
07 | 06
Shout Out Louds & Friska Viljor // Rathausplatz Dachau Schweden im Doppelpack: Die Shout Out Louds haben mit „Optica“ in Sachen Indie-Rock erneut einen überaus vergnüglichen Party-Treffer gelandet, während das Duo Friska Viljor mit Mandoline und Akustikgitarre für kollektiven Freudentaumel sorgen. VVK 24 Euro
09 | 06
CLUTCH // BACKSTAGE Lang im Geschäft und kein bisschen leiser: Seit Beginn der 90er-Jahre sind Clutch heftigst am Rocken. Mit ihrem mittlerweile 10. Studio-Album „Earth Rocker“ liefern sie ein noch massiveres Brett aus Hardrock und Blues: voll auf die Zwölf mit treibenden Riffs, verzerrten Gitarrensoli und mächtigen Drums. VVK 24 Euro
25 | 05
BRNS // Ampere Wenn es eine junge Band schafft, ohne professionelle Aufnahme in den angesagtesten Clubs Belgiens spielen zu dürfen, horcht die Musikwelt begeistert auf. Als eine der „most exciting new bands in 2013“ adelte sie der NME. BRNS legen mit ihrer aktuellen EP „Wounded“ auf ihren kontrastreichen, experimentellen Indie-Rock noch einen drauf. VVK 15, AK 18 Euro
>> Zu allen Konzerten verlosen wir 3 x 2 Karten! alle gewinnspiele findet ihr auf curt.de/muenchen
78 curt // Musik
Friska Viljor Wie Br端der von unterschiedlichen M端ttern
TEXT: ines punessen
Freunde kommen und gehen im Leben. Nicht so bei der schwedischen Band Friska Viljor. Ganz im Sinne des Gedichts „A Reason, A Season or a Lifetime“ sind die zwei Frontmänner Freunde fürs Leben: Sie haben sämtliche Hürden zusammen gemeistert, Lehren daraus gezogen und eine solide emotionale Basis geschaffen. Seit Daniel Johansson und Joakim Sveningsson sich im Alter von fünf Jahren zum ersten Mal trafen, sind unzählige denkwürdige Momente und gemeinsame Jahre verstrichen. Gründe, die ihre Freundschaft intensivieren sollten, gab es viele: ihre Vorliebe für kühles Bier und der geheime Wunsch nach einer eigenen Micro-Bierbrauerei. Der therapeutische Einfluss, den die ersten jungfräulichen Friska-Viljor-Melodien nach beidseitig durchlebten Beziehungsenden im Jahr 2005 auf die Jungs hatte. Dann wären da noch das Bandleben als Friska Viljor und später ihre Kinder. So sieht es nun einmal mehr nach einer lebenslangen Freundschaft aus – insofern es Joakim nicht vermasselt. Sein Bandkollege Daniel erzählt: „Joakim ist für mich wie ein Bruder von einer anderen Mutter. Er war mein Trauzeuge. Sollte er heiraten, würde ich ihn umbringen, wenn er jemand anderen fragt.“ Friska Viljors 2013 veröffentlichtes Album „Remember Our Name“ wartete mit poliertem, aber noch immer herzhaftem Folk-Pop-Charme auf, dessen Heiterkeit in starkem Kontrast zu den persönlichen, melancholischen Lyrics stand. Ein Merkmal, das bis in die Anfänge von Friska Viljors Songwriting
zurückreicht. Auch das Intro von „Bite Your Head Off“, dass an einen Gameshow-Jingle erinnert, ist erwähnenswert, während der synthesizer-dominierte Song „Boom Boom“ wie eine Mischung aus Stornoways „Zorbing“ und rheinischem „Hau-reinKarnevalsklassiker“ klingt. Bei der Frage, ob „Boom Boom“ der Song ist, der sie vergleichsweise nahe an Abba positioniert, werden erste Differenzen zwischen den beiden Bandmitgliedern deutlich. Daniel sagt: „Ich hoffe nicht! Abba ist eine der besten Bands in Sachen eingängiger Popmelodien. Joakim hasst das Zeug, aber ich mag es richtig, richtig gerne. Ich hoffe, dass wir noch näher an Abba herankommen.“ In diesem Sinne hielten sich die Jungs kürzlich für drei Tage im Studio auf, um an ihrem sechsten Studioalbum zu arbeiten, das, so Daniel, „entweder ein weiteres Popalbum oder aber etwas entspannter und akustisch sein wird“. So richtig festlegen möchte er sich aber noch nicht. Auch in Sachen Veröffentlichung gibt es unterschiedliche Meinungen. Daniel erklärt lachend: „Wenn du mich fragst, nächste Woche. Joakim würde in zehn Jahren sagen. Wir sind das totale Gegenteil voneinander.“ Auch wieder an Bord, die Schreibblockade, die
seit „Tour De Hearts“ immer wieder vorbeischaut. Eine unausgesprochene Prophezeihung, die nach Daniels Meinung daraus resultiert, dass die beiden Schweden Schreibblockaden jeglicher Art vorab zum Thema machen. Und dann passierts halt. Nicht mehr an Bord ist der Alkohol. Angeblich schon nicht mehr seit jenem zweiten Album, da sie ja „zu alt für diesen glorreichen Rock ’n’ RollScheiß“ seien. Bei näherem Betrachten könnte man aber auch darauf schließen, dass der schwindende Bierkonsum die Mutter aller Schreibblockaden ist. Sollte nun aber die neu erworbene, studiointerne Micro-Bierbrauerei leisten, was sie verspricht, könnten alle Schreibsorgen schon bald der Vergangenheit angehören und die neue Platte 2015 auf den Markt kommen – passend zum zehnjährigen Bandjubiläum. Daniel sagt nachdenklich: „Ich dachte, es wären erst um die sechs Jahre. Du machst mir jetzt schon etwas Angst. Danke, dass du das ansprichst. Wenn ich Joakim sehe, müssen wir unbedingt darüber reden.“
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80 curt // Musik
Shout Out Louds Ferner die Synthies nie klingen
TEXT: ines punessen
Die Shout Out Louds bleiben nicht stehen, sie entwickeln sich von Album zu Album stetig weiter, experimentieren, sind für alle Einflüsse offen. Bei ihrem aktuellen Release „Optica“ zog es das Stockholmer Quintett weit in die Ferne. Dieses Mal hat es ihnen das Weltall angetan: „Kometen, Sonnenlicht, Zeit und Apokalypse“ fanden sie überaus faszinierend und inspirierend. Der Sound klingt dementsprechend weitreichender als die Vorgänger, das Album ist gespickter mit zierlichen Arrangements und vielseitigen Klangschichten, jedoch auch kühler und unnahbarer – Synthesizer sei Dank.
Kühl ist auch der dazugehörige Promotiongag, die sogenannte „Eisplatte“: Der erste Track „Blue Ice“ von „Optica“ wurde in einer limitierten Auflage von nur zehn Stück produziert – mit einer gefrorenen Matrix zum Selberbasteln, die tatsächlich auf dem Plattenspieler abgespielt werden kann.
Peter Bjorn and Johns „Young Folks“. Dabei, erklärt Ted, sei es definitiv schwieriger mit den eigenen Freunden zusammenzuarbeiten. „Es ist problematischer, sie für eine Idee zu begeistern, da sie einem oftmals mit ein ‚Hm, ich weiß nicht …’ entgegnen und skeptisch sind.“ Für die Visualisierung eines Songs ist seiner Meinung nach auf jeden Fall von Vorteil, wenn man in den Songwriting-Prozess mit einbezogen ist.
„Das Weltall hat es uns angetan“, erklärt Gründungsmitglied Ted Malmros. „Es ist wahrscheinlich so interessant für uns, weil man generell so wenig darüber weiß.“ Der Bassist der Band hat generell ein großes Faible fürs Visuelle. Gefragt nach seinem optisch bewegendsten Eindruck, antwortet er nach längerer Überlegung: „Vor ein paar Jahren besuchte ich eine Wetteraustellung im Tate Modern in London und da war dieser unglaubliche Sonnenuntergang in einer der Ausstellungshallen. Er war riesig. Exakt nachgebildet und richtig old school, aber auch so kraftvoll und einfach unvorstellbar.“
So vorbildlich sich die Shout Out Louds als Band präsentieren, so lausig sind die Schweden in organisatorischen Dingen, angefangen bei bandeigenen Feiern und Jubiläen. Eine richtige Fete zum zehnjährigen Bandjubiläum gab es nie, lediglich eine kleine Weihnachtsfeier. „Wir können Jahre damit verbringen, einfach nur ein Abendessen mit der ganzen Band zu organisieren – und am Ende passiert nichts“, sagt Ted.
Solche und andere Eindrücke verwertet Ted gerne in Musikvideos. So war er für die Regiearbeit eines Großteils aller Band-Videos zuständig, übernahm aber auch die Regie für Videos von Lykke Li sowie
Da kann auch der inoffizielle Anführer der Band, Adam Olenius, nichts ausrichten. Er wusste aber zumindest von Anfang an, wen er in der Band haben wollte. Der Bassist erzählt lachend: „Es ist
gut, dass er die Rolle als Frontmann und Führungsperson übernommen hat, da von uns sonst niemand daran interessiert war.“ Generell scheint die bandinterne Kommunikation sehr gut zu funktionieren, was wohl Teil der schwedischen Mentalität ist. So seien sie stets „diplomatisch“ und „respektvoll innerhalb der Gruppe“. Individualisten können draußen bleiben. Mit dieser Einstellung sind sie gerade im Studio. „Wir möchten dieses Mal mehr Zeit im Proberaum als im Studio verbringen, um alle Songs in unterschiedlichem Gewand vorab betrachten zu können. Die fünfte Platte wird sehr wahrscheinlich auch weniger elektronisch klingen“, sagt Ted. Bezüglich des Erscheinungsdatums hegt er die Hoffnung, dass ihr vorheriger Rekord von drei Jahren zwischen zwei Alben diesmal gebrochen wird. Plötzlich klingen die Shout Out Louds schon viel nahbarer.
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82 curt // Musik
TON STEINE SCHERBEN RELOADED
TEXT: PETRA KIRZENBERGER
In den 70er/80er-Jahren waren sie die Helden von Andersdenkern, machten „Musik für Leute mit schönen Illusionen und für Leute mit Wut“. 30 Jahre nach ihrer Auflösung sind Ton Steine Scherben wieder da: ohne Rio Reiser, dafür auf neun Leute aufgestockt. Hier ein Auszug des inspirierenden Interviews mit R.P.S. Lanrue, dem Gitarristen und Komponisten der Band. curt dankt für das Gespräch und freut sich auf die Live-Klänge am 15. April in der Freiheizhalle.
Geht das überhaupt: die Scherben ohne Rio? Man kann Rio natürlich nicht ersetzen. Wir haben über 30 Jahre zusammengelebt und hatten auch außerhalb der Band eine gute Beziehung. Aber es geht um die Songs – die haben wir zusammen geschrieben und gespielt, es ist unser gemeinsames Werk. Von der alten Truppe sind noch Funky, Kai und ich dabei, es gibt eine Sängerin, einen Sänger (Lanrues Tochter Ella Josephine Ebsen und Nico Rovera, Anm. d. Red.), evtl. einige Gastauftritte. Wir spielen zum Teil Stücke, die die Scherben aus diversen Gründen nie gespielt haben. Was dabei herauskommt, ist für mich ebenso spannend wie für alle anderen, aber ich glaub, das wird was Gutes! Die Chemie bei den Proben stimmt, wir haben Lust zu spielen, freuen uns auf die Tournee. Womit habt ihr euch in all den Jahren die Zeit vertrieben? Das war ganz verschieden. (Mehr zu allen Bandmitgliedern demnächst auf der Scherben-Homepage.) Ich selbst musste nach Rios Tod erstmal raus, hab acht Jahre in Portugal gelebt, bis mir ein Waldbrand dort alles zerstörte. Wieder zurück nach Kreuzberg zu kommen, war wie eine Zeitreise ...
Wer stellt wohl heutzutage euer Publikum? Bei unseren Konzerten waren immer schon zwei bis drei Generationen gemischt, so wird es vermutlich auch jetzt sein. Ich staune immer wieder, wie populär wir sind, obwohl wir quasi im Untergrund gelebt haben! Gibt es euren Traum bzw. die Ideale der 68erGeneration noch? Der Drang nach Freiheit ist nicht spezifisch für die 68er. Einer unserer Texte sagt es ganz gut: „Der Traum ist aus. Aber ich werde alles geben, dass er Wirklichkeit wird.“ Damals hab ihr oft kein Geld für eure Auftritte bekommen. Wovon habt ihr gelebt? Wir haben gesammelt, unsere eigenen Platten gepresst und verkauft. Das hat meist gerade so gereicht. Da gab’s ein legendäres Interview von Nikel Pallat (1971), bei dem er u. a. einen Tisch zertrümmerte. Braucht es auch heute eine kritische Einstellung zu den Medien? Das war damals hart. Viele haben uns gespielt,
aber eben nicht verstanden. Es gibt aber heute durchaus noch genug Talkshows, wo man einen Tisch zerhacken könnte! (schmunzelt) Ihr habt die Musiklandschaft Deutschlands geprägt, unsagbar viele Gruppen beeinflusst. Macht dich das stolz? Als Komponist macht mich das durchaus stolz! Ich freu mich, dass wir Musiker inspiriert haben! Gibt es noch Hoffnung oder sind wir rettungslos im Kapitalismus versunken? „Macht kaputt, was euch kaputt macht ist“ ist meines Erachtens heute genau so aktuell wie 1971. Findest du die heutige Jugend unpolitisch? Es gibt durchaus Wutpotenzial! Man kriegt schon auch mit, dass die Jugend sich auflehnt. Allerdings ist es schwer für mich, für die Jugend zu sprechen. Da müsste man evtl. jüngere Leute aus der Band fragen ... (lacht)
>> t onsteinescherben.de Ton steine scherben sind am 15. April live im freiheiz // wir verlosen 2 x 2 Tickets auf curt.de/muenchen
84 curt // Musik
Desmond Myers Oh Shit, Frau Schmidt
TEXT: Michael Dengler
Wer kennt sie nicht: diese Momente, in denen man nur einen Wortfetzen hört und schon hat man das dazu passende Lied im Kopf? Sobald ich „Fuchs“ höre, spielt mein interner Platten-spieler automatisch die Absolute Beginner. Begegne ich einer Frau Schmidt, schreit wie unter Zwang der Wolf in mir: „Oooooooh shiiiiiit, Frau Schmiiiiidt! Die Erinnerungen an die Hip-Hop-Helden meiner Jugend sind auf ewig in meinem Gedächtnis eingebrannt. Dynamite Deluxe, Eins Zwo, Absolute Beginner und 5 Sterne Deluxe: Die jungen MCs rappten sich in den 90ern schier die Seele aus dem Leib und wurden zum Sprachrohr einer ganzen Generation. Sie waren die Punker des Hip-Hop, während zu Zeiten von Juli, Silbermond und Wir sind Helden alles mit einem Plattenvertrag ausgestattet wurde, was nur ein Mikro in der Hand halten konnte. Heute sind es die Sidos, die Cros und Materias, die das große Geld verdienen. Beziehungsweise deren Plattenfirmen! Doch wo und wann änderte sich die Hip-Hop-Kultur und was sagt jemand dazu, der eine ganz eigene Definition des Genres vertritt? curt unterhielt sich mit dem experimentellen Songwriter und Rapper Desmond Myers. Ursprünglich aus Statesville, North Carolina, lebt er heute in Regensburg, war mit Fiva & Das Phantom Orchester auf Tour.
Was war dein erster deutscher Hip-Hop-Track? Ich habe im iTunes-Store nach „German Hip-Hop“ gesucht. Da habe ich einen Typen entdeckt, von dem ich leider nie wieder gehört habe. Er hieß „Manges“ und der Titel „Bruder im Geist“. Ich habe es 100-mal gehört, ohne ein Wort zu verstehen. Jetzt, wo ich auch noch den Text verstehe, hoffe ich sehr, dass er wieder in der Szene auftaucht. Wenn du das liest, Manges: Super Lied, danke dafür! Welche kulturellen Unterschiede gibt es im deutschen und amerikanischen Hip-Hop? Ich glaube die Wurzeln des deutschen Hip-Hop sind mehr in Clubs/Discos entstanden, in Amerika mehr den Block Partys auf der Straße. Daraus resultiert vielleicht auch der größere elektronische Einfluss im deutschen Hip-Hop. In Amerika ist es mehr eine Erweiterung des Soul/Funk-Genres. Wie hat sich Hip-Hop für dich in den letzten 15 Jahren verändert? Für mich sind viele Sachen ähnlich gelaufen wie beim Rock ’ n ’ Roll in den 60ern. Rock hat rebellisch, jung und frech angefangen und irgendwann ist die Magie so energetisch geworden, dass es zu einem kommerziellen Erfolg wurde. Der Unterschied zu Hip-Hop ist nur: Rock-Musik verlor nie ihre Glaubwürdigkeit. Heute ist Hip-Hop genau so groß, wenn nicht sogar größer als Rock ’ n ’ Roll. Jay Zs Texte werden im Frühstücksfernsehen diskutiert, Ice Cube wird zum Kinderfilm-Star und MC Hammer oder auch Snoop-Dogg-Klassiker untermalen Putzmittel-
Werbungen und werden im schlimmsten Fall von animierten Hundeköpfen gesungen! Inzwischen sind diese Rapper viel zu reich und mächtig, um noch legitim die Stimme der Abgelehnten zu sein. Was macht einen guten Hip-Hop-Song aus? Fokus und Humor. „Rapping for the sake of rapping“ mag ich auf keinen Fall. Ich will Strophen hören, in denen was passiert, in denen eine Szene und ein Konzept aufgebaut werden. Ich will ein Thema, egal wie spaßig, saublöd oder ernst es ist. Es gibt nichts Nervigeres als einen Rapper, der sich nicht über mehrere Zeilen klar ausdrücken kann. Es gibt genügend Geschichtenerzähler, von denen man etwas lernen kann. Ich hoffe einfach, dass die vergammelte Leiche des „Dis-Hop“ endlich begraben wird. Hast du einen musikalischen Geheimtipp? Ich hege eine große Leidenschaft für Musik aus Europa. Es gibt so viele Talente in Ländern wie Frankreich, Belgien und Italien. Europa braucht eine kulturelle Identität und die Euro-Krise des Hip-Hop wartet darauf, dieses Loch zu stopfen. Das Schöne ist: Diese Leute, werden von leidenschaftlichen Leuten unterstützt, die die Texte ihrer Lieblingskünstler in Foren übersetzen. Auf Webseiten von Rap Genius oder Lyrics Translate findet man eine sehr inspirierende Community und den Schlüssel zu dieser Musik, ohne die Sprache kennen zu müssen.
>> desmondmyers.com
86 curt // der weinbrandt rät
der weinbrandt rät
Der weinbrandt leert drei bis drölf bitzlige Becher Siebeldinger Schlüpferlüpfer in seiner präferierten Randgruppenkaschemme und fühlt sich wenig später mächtig mulmig in der Magengegend. Fieberhaft ersehnt er den erlösenden Absacker in heimischen Gefilden – ein Korn im Feldbett, der macht immer frei. Doch es kommt anders und so geschwind, wie es kommen muss: Potz Blitz ist sein Rektaler Reichsparteitag in vollem Gange. Gut Dung will Weile haben. Mit Devotionalien, die aussehen wie eine drakonische Dschungelprüfung, huldigt er schier endlos dem unbarmherzigen Keramikgott. Derweil rekapituliert der laktose-intolerante weinbrandt lang anhaltenden Arschfasching, den er sonst nach dem Genuss von gekühltem Kuhdrüsensekret zelebriert. Verflucht seist du, räudiger Rindvieh-Likör, und besonders du, hinterfotziger Federweißer!
Cabernet Sauf Ihn Jung TEXT: Christoph brandt
Je nach Anbaugebiet betitelt man Federweißen ebenfalls als „Najer Woi“, „S(a)user“, „Rauscher“, „Brauser“, „Sturm“, „Bremser“ oder „Staubiger“. Der süß-spritzige Spaltenöffner besteht aus blutjungem Traubensaft, der sich im Zwischenstadium hin zum fertigen, sprich durchgegorenen, Wein befindet und zwischen 4 – 5 % Vol. Alkohol hat. Er wird hauptsächlich zu Herbstbeginn aus früh reifenden Rebsorten wie Ortega, Bacchus oder Siegerrebe hergestellt. Die Hefen, die den Traubenzucker in Alkohol und Kohlensäure umwandeln,
geben dem Most seine typisch milchige Trübung. Diese erinnert an unzählige wirbelnde Federchen, daher rührt die Bezeichnung „Federweißer“. Für den farbenfroheren Federroten eignen sich besonders gut Frühburgunder und Dornfelder. Bei der Produktion gehört die Pfalz mengenmäßig zur Spitze in Deutschland. Abgefüllt gärt frischer Federweißer weiter und wird kontinuierlich etwas hochprozentiger und trockener. Essenziell ist, die Flasche niemals fest zu verschließen, denn der durch die Kohlensäure entstehende Druck muss entweichen, sonst fliegt einem die prickelnde Plörre womöglich um die Ohren. Rüstige Senioren schwören Stein auf Bein auf den gesundheitsfördernden und entschlackenden Effekt des „Bitzlers“. Zwar enthält der neue Wein einen hohen Anteil an Vitamin B1 und B2, aber die Kombination aus Hefen, Milchsäurebakterien und Trübstoffen sorgt gerne mal für perfide Dickdarm-Disko und hat gepaart mit deftigen Speisen des Öfteren durchschlagenden Erfolg.
Der weinbrandt rät: Bekömmlicher ist qualitativer, biodynamisch erzeugter Wein ohne Schwefelbeigabe, z. B. 2012 CLASSE von Mas Coutelou; 11,60 Euro bei Walter & Sohn
88 curt // waschdls grantnockerl
ANAL TOTAL WAschdls grantnockerl
Weißwürschd, Lederhosen und das beruhigende Rauschen der Isar: München ist ein Traum von einer Stadt. Aber weil München nicht München wäre ohne eine ordentliche Portion Grant, lässt curt-Redakteur Sebastian Klug (bayerisch: „Waschdl“) an dieser Stelle in jeder Ausgabe einmal so richtig den Grantler raus und zeigt auf, was schief läuft in der Landeshauptstadt. Diesmal im Visier: die Autokorrekturfunktion seines Mobiltelefons.
TEXT: SEBASTIAN KLUG ILLU: RONIT WOLF
Es gibt Sätze, die liest man nicht gern. Grundsätzlich schon mal nicht und vor allem überhaupt gar nicht, wenn sie von der eigenen Mutter kommen. „Ich gebs dir anal“ ist ein solcher Satz. Bevor jetzt aber Gerüchte aufkommen: Meine Mutter hatte nichts dergleichen vor. Sie handelte in bester Absicht und wollte mir lediglich ein Fläschchen Echinacin, das sie nicht verträgt, ich aber schon, überlassen. Und ebendieses Fläschchen wollte meine Mutter mir „bei Gelegenheit“ geben, oder wie wir in Bayern sagen: „amoi“ oder eben „amal“. Dieser bayerische Ausdruck scheint jedoch den Damen und Herren bei Apple, die offenbar jede einzelne SMS lesen und nach ihrem Gutdünken modifizieren, weder geläufig noch für sie relevant zu sein – weshalb sie sich postwendend dem nächstmöglichen und aus ihrer Sicht offenbar weitaus naheliegenderen Begriff zuwendeten: anal. Nun ist anal zunächst einmal an und für sich kein schmutziges Wort. Zäpfchen werden anal angewandt, Fieberthermometer je nach Modell auch – aber die Tatsache, dass die Menschen, die mein Telefon und das meiner Mutter konstruiert haben, im Silicon (!) Valley residieren, zeigt meines Erachtens nach eindeutig, dass der Fokus in
diesem Fall weniger auf Arztbesuchen denn auf Doktorspielen gelegen hat. Der Name dieses kleinen Übeltäters, der aus meiner lieben Mama ein scheinbar inzestuöses Sexmonster macht, ist Autocorrect. Eine Funktion, die – wie so vieles – unser Leben einfacher machen soll, aber oftmals genau das Gegenteil erreicht. Wobei ich mich eigentlich nicht beklagen sollte, denn die Amerikaner sind von den Unfällen des Autocorrect eindeutig schlimmer betroffen: Wer sich an einem Dock treffen will, trifft sich, wenn er nicht aufpasst, mir nichts, dir nichts an einem Dick (für all die sprachlich Unversauten: einer der zahllosen englischen Standardbegriffe für das männliche Geschlechtsteil). Der Ratschlag, sich bei einer Erkältung mit Wick (englisch: Vicks) einzuschmieren („rub vicks all over your chest“) wird schnell mal zu dem Tipp, es mit seinem Penis zu probieren („rub cock all over your chest“). Aus „Cigars“ wird „Viagra“, aus „Homie“ wird „Homoerotic“ und aus „Peanut Butter“ wird wie von Zauberhand „Penis Butter“ (mit ein klein wenig Fantasie kann man sich vorstellen, um was es sich bei diesem fiktiven Brotaufstrich handeln soll). Und auch aus der sowieso schon verzweifelten Äußerung eines Amerikaners, er sei so hungrig, dass er gleich in seinen Hund beißen würde („I’m so hungry, I’d eat a dog right now.“)
wurde urbanen Legenden zufolge einst die Nachricht, er sei so geil, dass er einen Schwanz lutschen wolle („I’m so horny, I’d eat a cock right now.“). Dass das, was wir im Deutschen als „Blasen“ bezeichnen, im Englischen „Essen“ heißt, sollte im Übrigen jedem trinkfreudigen Münchner zusätzlich zu denken geben, wenn er das nächste Mal auf der Wiesn eine Amerikanerin aufreißt. Allerdings muss ich zugeben: Mit ein wenig Erziehung wird das alles schnell besser. Nach ein paar von mir eigenständig durchgeführten Korrekturen der Autokorrekturen wird bei meinem Telefon aus „Zefix“ jetzt wieder „Zefix“ (vorher: „Zeugin“) und aus „Griasde“ ein „Griasde“ (vorher: „Grüße“ oder „Grieche“). Nur aus „Pfiati“ wird weiterhin „Privatisierung“. Aber das bekomme ich schon auch noch hin. Im Gegensatz zu meiner Mutter. Vor Kurzem wollte sie mir mitteilen, dass sie „bei Gelegenheit“ an einer „Promo“ teilnehmen wolle. An was sie dann allerdings laut ihres Telefons teilnehmen wollte, brauche ich hier wohl nicht zu schreiben. Möchte ich auch nicht. Könnte ich gar nicht: Ich hab jetzt noch Gänsehaut wia d’Sau.
90 curt // curt im ausland
Am arsch der welt Paragliding in der kanadischen Provinz
Wer im Sommer schon mal an einem schönen Wochenende in Kössen, am Hochries oder dem Tegelberg war, der weiß, wovon ich spreche. Wie die Fliegen über der Scheiße kreisen sie dort: Paraglider. Es geht zu wie am Stachus. Irgendwie hatte ich mir das entspannter vorgestellt. Ein Ausgleich quasi zum hektischen Berufsleben. Aber nein. Entspannt wurde es erst mit der Kündigung. Und dem Entschluss, nach Kanada zu gehen.
Einmal angekommen lande ich in einem Kaff am Kalamalka Lake, etwa vier Stunden nord-westlich von Vancouver. Hier gibt es nicht viel, aber ein paar andere Flieger. Zehn, um genau zu sein. Eine beachtliche Zahl, wenn man bedenkt, dass es in ganz British Columbia nur 200 Gleitschirm-Piloten gibt. Und das auf einer Fläche von 944.735 km2. Überhaupt kommt Kanada meinem Wunsch nach Ruhe sehr entgegen. Denn bei durchschnittlich 3,4 Einwohnern pro km2 läuft man sich nicht so häufig über den Weg. Zum Vergleich: Deutschland hat 227,7 Einwohner pro km2 und ist dabei weniger als halb so groß wie British Columbia.
TEXT UND FOTOs: Linda maier
Da stehe ich also, bereit zum Abflug. Die Nase im Wind und die Blicke meiner kanadischen Kumpels im Rücken. Gott sei Dank habe ich den Start nicht verkackt. Ich könnte jetzt die atemberaubende Aussicht beschreiben – die endlosen Wälder, die schneebedeckten Gipfel. Aber im Moment bedarf es meiner ganzen Aufmerksamkeit, mich halbwegs elegant in der Luft zu halten. Kriegt man nämlich nicht rechtzeitig die Kurve, um in der Thermik zu bleiben, bestraft einen das Variometer mit einem fiesen Sink-Ton. Denkt an den Zonk! Die Luft wird dann kurzzeitig so angenehm, wie wenn man mit Vollgas über Schlaglöcher brettert. Oder stellt euch das vor wie beim Rodeo. Nur mit ganz viel Abgrund unterm Arsch.
92 curt // curt im ausland
Aber alles geht gut. Und einmal weiter oben kann man dann gemütlich die Beine baumeln lassen. Freilich habe ich für den Spaß einen Führerschein gemacht. Aber erst die Erfahrung lässt einen begreifen, worauf man sich wirklich eingelassen hat. Jeder Tag ist anders, das Wetter ist sowieso immer anders und der Wind obendrein ganz oft anders, als man es gerne hätte. Jetzt kann es deshalb passieren, dass man nicht so weit kommt, wie man ursprünglich wollte. Und da muss ich sagen, sind die kanadischen Farmer sehr zuvorkommend. Keiner zückt gleich die Schrotflinte, nur weil man notgedrungen auf ihrem Feld landet. Im Gegenteil. Einladungen zu Kaffee und Kuchen sind wahrscheinlicher. Wenn’s aber blöd läuft, dann landet man wirklich am Arsch der Welt. Irgendwo in den Bergen, wo höchstens ein Forstweg in der Nähe ist. Das wird dann ungemütlich, denn im Wald tummeln sich nicht nur Bären, sondern auch „Cougars“, sprich Pumas. Und beide will man wirklich nicht treffen, wenn man verschwitzt und von Mücken geplagt im Unterholz herumirrt. Da kommt einem die kanadische Vorliebe für geländegängige Fahrzeuge sehr entgegen. Jeder ist mal an der Reihe, den anderen irgendwo aufzusammeln. Überhaupt sind Kanadier diesbezüglich anders. Eine sechsstündige Autofahrt ist kein Problem, vier Stunden ja praktisch ums Eck und zwei Stunden „schnell mal wohin“ ganz normal. Auch an den Carpenters im Radio stört sich dabei keiner. Mit dem Sommer ist dann jedoch nicht nur das Fliegen vorbei. Auch Kajak, Camping und Quad-Ausflüge haben ein Ende. Stattdessen wird man zugeschissen mit Schnee. Eine Herausforderung für mich als Münchner Original, denn normal komme ich dank den Öffentlichen mit dem Winter kaum in Kontakt. Hier aber wird die Outdoor-Klamotte tatsächlich auf die Probe gestellt. Und während des Wartens auf die nächste Saison erzählt man sich eben die besten Geschichten noch mal am Kaminfeuer. Wie der andere im Baum gelandet ist, weil er unbedingt im Nebel fliegen wollte. Oder als man zusammen an der Klippe saß und plötzlich hinter einem die Wölfe geheult haben. Oder als der eine sich als Bär ausgegeben und beim Pinkeln angeschlichen hat. Das Geräusch von Eis, das nachts vom Gletscher bricht und ins Tal rumpelt ... Oder man denkt daran, wie schön es doch auch in der Heimat ist. Denn eins fehlt Kanada – und dagegen können Poutine (Fast-Food-Spezialität aus Pommes frites, Käse und darübergegossener Bratensauce), Elchgulasch & Co. einfach einpacken. A gscheide Brezn!
94 curt // impressum
auch wir geben mal ruhe. die stillen รถrtchen der redaktion PETRA
Christian g.
sebastian
christoph
claudia sonja
Patricia
simone
margarita
mel
Marius
linda
mirjam
andreea
steffi
curt media gmbh Geschäftsführung Reinhard Lamprecht. lampe@curt.de GESTALTUNG UND cvd CURT MÜNCHEN Melanie Castillo. mel@curt.de TEXT online und Schlussredaktion Mirjam Karasek. mirjam@curt.de Druck Stoba-Druck GmbH Lektorat Mirjam Karasek. mirjam@curt.de
die curt-dealer der stadt Feierwerk // Südstadt // City Kino // Café Kosmos // Café am Hochhaus // Bergwolf // Trachtenvogl // Substanz // Backstage // Valentin Stüberl // Münchner Volkstheater // Muffatwerk // Deutsche POP Akademie // Glockenbachwerkstatt // Corleone // Zentraler Hochschulsport (ZHS) ...
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an dieser Ausgabe haben mitgewirkt: Mirjam Karasek, Melanie Castillo, Christoph Brandt, Petra Kirzenberger, Sonja Pawlowa, Stefanie Giesder, Thomas Karpati, Michael Dengler, Achim Schmidt, Christian Gretz, Andreea Hula, Bob Pfaffenzeller, Patricia Breu, Julia Fell, Sebastian Klug, Tim Brügmann, Claudia Pichler, Margarita Sereda-Wildenauer, Ines Punessen, Adrian Leeder, Ronit Wolf, Veronica Burnuthian, Linda Maier, Simone Reitmeier, Marius Rohne, Kevin Goonewardena, Valentin Plank, Philipp Dahlmanns und Christian „mama cat“Anzenberger. Vielen Dank an Petra für die Bildbearbeitung! Und alle so: yeah! curt München erscheint 4 x im Jahr in einer Auflage von 10.000 Stück und liegt kostenlos aus. Das idealistische Projekt ist der Zusammenarbeit kreativer Köpfe zu verdanken – Journalisten, Grafiker, Illustratoren, Künstler und Fotografen, die mit Herzblut ein Stadtmagazin von München für München gestalten. Danke an alle Beteiligten! Du willst auch mitmachen? Dann meld dich bei uns! muenchen@curt.de
die nächste ausgabe # 7 7 erscheint im Sommer 2014. Bis dahin sind wir online auf curt.de/muenchen für euch da und lassen nichts anbrennen: Termine, Konzertreviews, Theater, Filme, Rezensionen, massenhaft Verlosungen und Pipapo.
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96 curt // hinten raus
cartoon: Piero Masztalerz // masztalerz.wordpress.com // der cartoon ist aus pieros buch „HEUTE IST DEIN GLÜCKSTAG: SCHöNE SCHEISSE BAND“ // Top!
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Ljuteniza in den Sorten Pindjur und Ajwar, gegrillte und gehäutete Paprikaschoten, Pfirsichkompott, Hagebuttenmarmelade und Rosenkonfitüre wurden aufgrund ihres einzigartigen Geschmacks und Aromas und ihrer herausragenden Qualität ausgewählt und unter Beachtung strenger Qualitäts- und Sicherheitsvorschriften hergestellt. Diese leckeren Produkte sind pur oder als kreatives Extra in anderen Gerichten ein Genuss. Alle traditionellen Produkte werden in Gläser abgefüllt – die einzige Verpackung, die das Nahrungsmittel perfekt schützt und den Geschmack und das Aroma nicht verfälscht. Sie passen ausgezeichnet zu dem aktuellen dynamischen Lebensstil, welcher einfach zuzubereitende und doch schmackhafte Speisen verlangt.
Gegrillte und gehäutete Paprikaschoten Gegrillte und gehäutete Paprikaschoten sind ein beliebtes und vielseitig verwendbares Produkt. Sie können zur Verfeinerung belegter Brote, von Salaten und für eine Vielzahl von Vorspeisen verwendet werden. Mit gegrillten und gehäuteten Paprikaschoten aus dem Glas können raffinierte Gerichte zubereitet werden – einfach und ohne spezielle Kochkünste.
Rosenkonfitüre Eine weltweit einzigartige, aromatische, süße Marmelade mit einer sauren Note. Diese aromatische Delikatesse wird aus den Blättern der ölhaltigen Damaszener-Rose (Rosa Damascena) hergestellt. Das schmackhafte Gelee wird mit ganzen oder zerrissenen Blütenblättern der Rose verfeinert.
Pfirsichkompott Pfirsichkompott wird ausschließlich aus reifen, handgepflückten ganzen Früchten hergestellt. Pfirsichkompott ist ein schmackhaftes Fruchtdessert. Es ist in Sirup ohne Zuckerzusatz eingelegt und ist allein und in Kombination mit vielen anderen Früchten immer ein Genuss.
Das Programm Open the Seal of Taste „Open the Seal of Taste“ ist ein Programm, welches aus Mitteln der europäischen Kommission und von der Republik Bulgarien mitfinanziert wird und zum Ziel hat, die landwirtschaftliche Produktion innerhalb der EU zu fördern. Es ist in erster Linie auf den deutschen, den rumänischen und den polnischen Markt ausgerichtet. Das Programm „Open the Seal of Taste“ wirbt für traditionelle europäische Agrarerzeugnisse höchster Qualität, in welchen nur die besten Zutaten und Materialien verarbeitet werden. Weitere Informationen und Rezepte finden Sie auf
www.OpenTheSealOfTaste.eu Ljuteniza in verschiedenen Varianten: Ajwar und Pindjur Ljuteniza wird aus frisch geernteten Gemüsesorten, die reich an Vitaminen und Nährstoffen sind, hergestellt. Die zwei Hauptvarianten von Ljuteniza sind eine nach Hausart zubereitete fein gemahlene traditionelle Variante und eine grob gemahlene Variante. Ljuteniza in ihren scharfen und milden Varianten Pindjur und Ajwar ist ein Gemüsechutney, das als Zwischenmahlzeit oder Vorspeise serviert werden kann. Sie kann auch als Zutat in verschiedensten Gerichten verwendet werden, um diesen ein besonderes Aroma und mehr Würze zu verleihen. Ljuteniza und ihre scharfen und milden Varianten, Pindjur und Ajwar, sind wie alle Produkte des Programms Open the Seal of Taste aromageschützt in praktischen Gläsern erhältlich.
Hagebuttenmarmelade Hagebuttenmarmelade wird aus den Früchten der Hagebuttenpflanze, Rosa Canina, auch als Wildrose bekannt, bereitet. Es handelt sich um einen 2–3 Meter hohen Dornenbusch, welcher unter den verschiedensten natürlichen Bedingungen wächst und auch noch auf einer Höhe von 200 Metern zu finden ist. Die Hagebutte ist eine Sommerfrucht, die von Mai bis Juli blüht. Die Früchte reifen im Herbst und tragen viele Eigenschaften der Hagebutte in sich. Genau wie die Rosenkonfitüre lieben Jung und Alt die Hagebuttenmarmelade.
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