curt Magazin München #78 // Heimat

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curt Stadtmagazin m端nchen # 78 // sommer 2014

curt Stadtmagazin m端nchen # 78 // sommer 2014

HEIMAT


20. JAHR

KINO, MOND & STERNE 27.06. - 07.09. auf der Seebühne/Westpark

PREMIERE Do 10.07. Fr 11.07. Sa 12.07. Fr 27.06. Sa 28.06. So 29.06. Mo 30.06 Di 01.07. Mi 02.07. Do 03.07. Fr 04.07. Sa 05.07. So 06.07. Mo 07.07. Di 08.07. Mi 09.07.

Fack Ju Göhte The Wolf of Wall Street A Million Ways to Die in the West Only Lovers Left Alive (OmU) Grand Budapest Hotel One Chance - Einmal im Leben Labor Day Les Misérables (OmU) Blau ist eine Warme Farbe Green City Kurzfilmnacht. Bad Neighbours Her (OmU) Ziemlich beste Freunde

So 13.07. Mo 14.07. Di 15.07. Mi 16.07. Do 17.07. Fr 18.07

Love Steaks Die Tribute von Panem: The Hunger Games + Catching Fire Zimt & Koriander Das erstaunliche Leben des Walter Mitty Das Leben des Brian European Outdoor Film Tour 13/14 (OmU) 12 Years a Slave Boyhood Nymphomaniac 1 + 2

Sa 19.07. KINO, MOND & STERNE SOMMERFEST. Searching for Sugar Man (OmU) So 20.07 Mo 21.07 Di 22.07. Mi 23.07. Do 24.07. AB 25.07.

One Chance - Einmal im Leben Grand Budapest Hotel Gravity Fack Ju Göhte Das Schicksal ist ein mieser Verräter WEITERE TERMINE

EINTRITT: € 6,- bzw. Double Feature € 9,- im Vorverkauf zzgl. VVK-Gebühr. EINLASS: 20.00 Uhr. Start: Im Juni 21.30 Uhr und im Juli 21.15 Uhr und im August 21.00 Uhr. Vorstellungen finden bei jedem Wetter statt. KARTEN und alle INFOS im Internet. Kino, Mond & Sterne. Die besten Nächte des Jahres.

www.kino-mond-sterne.de

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vorwort Also, wenn man ehrlich ist, ist München ziemlich nervig. Wenn die Straßencafés voll sind mit sonnenbebrillten und gegelten Menschen, die blasiert in die Gegend schauen und den Porscheschlüssel kunstvoll zwischen iPhone und Hugo drapiert haben, während man selber zwischen zwei Terminen fünf Minuten Pause hat und sich nur einen kurzen Espresso an der Bar gönnen möchte und dann lieber drauf verzichtet, weil man sich nicht an einem Ort mit mehr als zwei Arschlöchern aufhalten möchte. Oder wenn man bei Sonne gemütlich mit dem Rad durch die Stadt fahren will und zwischen rücksichtslosen Autofahrern, Agroradlern und Selbstmordhunden Slalom fahren muss und nach der Fahrt unentspannter ankommt, als man losgefahren ist. Wenn man sich mit ein paar Freunden an die Isar setzen will und keinen Platz mehr findet. Wenn die Verkäufer in manchen Geschäften sowohl im Sommer („Mei, die Hitze!“) als auch im Winter („Der greislige Schneematsch …“) grantig sind. Wenn die Brezenpreise schneller steigen als die Mietpreise. Wenn um den Gärtnerplatz herum alle Anwesenden versuchen, sich gegenseitig zu überhipstern, wo man sich doch auch einfach mal locker machen und den Sommer genießen könnte. Oder wenn die S-Bahnen wieder so voll sind, dass man freiwillig auf die nächste wartet. Reden wir auch lieber nicht davon, wie es ist, innerhalb des Rings eine Wohnung zu suchen; ich warte auch schon darauf, dass man für die Miete eines Garagenstellplatzes einen Einkommensnachweis vorlegen muss (und sie dann trotzdem nicht bekommt, weil der BMW-Manager mit SUV-Weibchen als Bonus zwei hochklassige Referenzschreiben vorlegt). Seien wir ehrlich, diese Stadt kann einen bisweilen fertig machen. Aber dann sitzt man bei der ersten Maß des Jahres im Lieblingsbiergarten, um einen herum Menschen aus allen Alters- und Gesellschaftsschichten. Oder man tollt mit ein paar Freunden und einem Frisbee oder Fußball im Englischen Garten herum und erholt sich danach bei einem kleinen Picknick. Manchmal sitzt man einfach auf der Steinbank vor der Oper, liest die Zeitung oder schaut blöd in die Gegend. Vielleicht bekommt man eine kurze E-Mail von Freunden, die einen kürzlich besucht haben und einem sagen, wie schön sie es fanden und dass sie sich schon riesig auf ihren nächsten Besuch freuen. Oder man schaut von einer Erhebung von oben auf die Stadt oder einfach aus dem Fenster die eigene Straße runter. Dann kann man oft nicht anders, als einfach zu grinsen, weil sich ein unbestimmtes Wohlgefühl in einem breitmacht. Und ob das nun daran liegt, dass München ein spezielles Klima hat oder so nah an Italien liegt, ist eigentlich völlig egal. Denn wenn man ehrlich ist, ist München ziemlich geil. Auf die Heimat! Euer Thomas


curt # 78

HEIMAT

FOTO: Sebastian klug


vorneweg // curt 3

04 // zufallsgenerator Grüße aus der Heimat in die Heimat 08 // Bairische Heimat Ein Zwiegespräch über die Sprache

Cover

idee & Foto: Stefanie giesder >> fotografin-giesder.de

14 // HeimatG’schichten 16 // Florian Wagner (Heimatrauschen) 20 // Marcus H. Rosenmüller 24 // Tuncay Acar 26 // Jules – Bericht eines Flüchtlings 30 // Verein „Dein München“ 34 // Fotostrecke: Heimweh/Fernweh 38 // Ecco Meineke 40 // Walter Heun (TWE) 42 // Michael Volk (Volk Verlag) 44 // Die Schwuhplattler 48 // Tierpräparator Dieter Schön 52 // Initiative „München summt!“ 54 // Bazi’s Schlemmer Kucherl 56 // Noh Nee – Dirndl à l‘Africaine 58 // Modelabel Oipnglügg 60 // Modelabel Mumpitz 62 // Rettet die Wolpertinger! 64 // Bayern-ABC 68 // Theater im Fraunhofer 70 // Lion Fleischmann (Haus 75) 72 // Der Kocherlball 74 // Reminiszenz – Fotokunst

78 // Festivals 80 // Stereowald, Echelon 82 // Humulus Lupulus, PLUS 84 // Reeperbahn, Sinstruct, Free&Easy 85 // Kino Mond & Sterne, Cantona 86 // Viehhof-Kino, Brass Wiesn 88 // Musik 88 // Präsentationen 90 // Home is where the music is 92 // 50/50 94 // Getting Private in Public 96 // Leo Jonas 98 // COEO

100 // Bilderrätsel Münchner Stadtviertel 104 // 5 fragen an Harry G. 106 // curt im ausland Sardinien 110 // selbstversuch Boarisch to go 112 // Waschdls Grantnockerl Der Plural von Heimat ist Menschen 114 // impressum Home sweet home 116 // hinten raus Heimatcollage


4 curt // zufallsgenerator

Ferien fern der Heimat: Da brauchts Souvenirs! curt hat Touristen auf dem Viktualienmarkt, dem Marienplatz und vor dem Hofbr채uhaus nach ihren Mitbringseln gefragt. Dabei sind es nicht nur Postkarten, Bierkr체ge oder Lederhosn, die an den Urlaub in M체nchen erinnern. TEXT: carina neumann // Fotos: Achim Schmidt

GruSSE aus der Heimat in die Heimat

Tom aus Oxford Einen derben Kater aus dem Hofbr채uhaus!


Goel aus Washington StatE Eine kleine bayerische Puppe für meine Tochter und einen kleinen Bierkrug für meinen Kühlschrank. Jetzt fehlt nur noch etwas für meinen Sohn.

Louise Wu & Emily Yu aus Taiwan Ein neues „Hard Rock Cafe“-T-Shirt für unsere Sammlung – als Beweis, dass wir wirklich hier waren.

Dave aus London Ich nehme Gelassenheit mit aus München. Das Leben hier ist weitaus entspannter als zu Hause.

Lee Tsz Hong & Mok Yee Ming Miki aus Hongkong Wir grüßen unsere Freunde und Familie und schicken ihnen all unser Glück!

Avery, Evert & Anston aus Oregan Die Deutschlandfahne und Anstons große Verwunderung, dass die Riesenbrezn hier größer sind als sein Kopf.

Anna & Saki aus Japan Postkarten und die Erinnerung an saubere Straßen und den Geschmack von Wurst.


6 curt // bairische heimat


Bairische Heimat

Jetzt denkst du: Fehler! Schreibt man doch mit „Y“. Reingefallen. Das stimmt zwar, wenn sich „bayrisch“ auf das Staatsgebiet bezieht. Wenn es aber um die Sprache geht, dann ist „bairisch“ richtig. ein zwiegespräch über die sprache von sonja pawlowa // illus: ronit wolf


8 curt // bairische heimat

Jetzt denkst du: Bairisch spricht man in Bayern. Nicht nur. „Bairisch“ ist der Oberbegriff für die Ausprägung des Deutschen, die in den Gebieten Bayern, Österreich und Südtirol gesprochen wird. Dazu kommen noch Gegenden in Sachsen (südliches Vogtland), der Schweiz (Graubünden), Ungarn (Ödenburg) und Tschechien (Böhmerwald).

dazu geführt, dass die Leute, auch wenn sie in der Großstadt gelebt haben, irgendwo in einer Landgemeinde, wo sie auf die Welt gekommen sind, beheimatet waren. Wenn sie mittellos waren, mussten sie daheim durchgefüttert werden. Das Wort kommt von „Heim“, einem Gebäude eigentlich.

Und jetzt denkst du: Wow! Jetzt sagst nix mehr. Aber jetzt sag ich: „Gesprochen“ ist ja nur bedingt wahr. Gesprochen wird Bairisch hauptsächlich in ländlicheren Gebieten oder wenn es der Tourismus erfordert. Zwar gibt es Mundart-Festivals, Bands wie „LaBrassBanda“ oder „Attwenger“, die sich großer Beliebtheit erfreuen, aber normalerweise verbindet man mit Bairisch den „Kommödienstadl“ und die „Volkstümliche Hitparade“. Und oftmals fällt dann der Begriff „Heimat“. Zur Heimat gehört die Sprache. So reden, wie einem der Schnabel gewachsen ist. Ist das so?

Da denkst du: Aha! Und weshalb also verbinden wir Deutschen mit „Heimat“ noch viel mehr als das? Da geht es ja fast um Metaphysik. Das Herz pocht, die Augen tränen. So unendlich viel Gefühl, wenn es doch nur um ein „Heim“ geht?

Das frage ich den Leiter der Kommission für Mundartforschung in der Akademie der Wissenschaften, Prof. Dr. Anthony Rowley. Er ist zwar gebürtiger Engländer, aber die Instanz für Bairisch in Bayern. Prof. Rowley: Der Begriff „Heimat“ kommt wahrscheinlich erst aus dem 19. Jahrhundert. Im Dialekt heißt „hoamat“ eigentlich ein Grundstück, auf dem man wohnen kann. Dann gab es im 19. Jahrhundert das sogenannte „Heimatrecht“. Das hat

Prof. Rowley: Das englische Wort „home“ heißt ja: da, wo ich wohne. Das ist ziemlich nah an „Heimat“. Aber die Deutsche Romantik hat eine Menge mehr hineingepackt. Außerdem: In England wurde die Heimat seit 1.000 Jahren nicht überfallen. Mit den Heimatvertreibungen und verschiedenen Kriegen in Deutschland hat man den Begriff eben abstrakter gefasst als in England. Da denkst du: Da haben wir’s, tiefschürfende Deutsche. Genau. Und ich sag dann: Hinterland, Weltschmerz, Schadenfreude ... Schon klar, was das über den deutschen Charakter aussagt.

Der Google-Translater bietet Varianten für „Heimat“ an, die mehr oder weniger „Heim“ oder „Vaterland“ bedeuten. Aber unsere „Heimat“ erstreckt sich nicht auf ein Territorium, wie etwa auf das Staatsgebiet Frankreichs bei „Patrie“. Das Vateroder Mutterland ist uns sogar wurscht. Bei der „Heimat“ geht es um ein Gefühl großer Nähe und Geborgenheit, das man mit einem Ort in Verbindung bringt, an dem man lange oder intensiv gelebt hat. Dabei muss es sich gar nicht um den Geburtsort handeln wie etwa im Russischen „Rodina“. Die „Heimat“ kann sogar eine geistige sein. Du sagst: Oder gar kein Ort. Was ist mit der sprachlichen Heimat? Ich sag: In meinem Fall ist sie bairisch. Als Kind war ich eine Bairisch-Sprecherin. Als ich lesen lernte, war ich oft überrascht über die Schreibweise. Von Ortsnamen zum Beispiel: Minga, Äding, Birng, Güching ... Warum spreche ich kaum mehr bairisch? Prof. Rowley: Eine Menge Münchner studiert hier in München und redet relativ wenig Dialekt. Aber es gibt Nischen. Ich hatte mal eine Studentin, die war eine 60er-Anhängerin. Die einzige Gelegenheit, bei der sie überhaupt bairisch sprach, war praktisch beim Fußballspiel. Fluchen, Schimpfen, Anfeuern – das macht die Mehrheit im Dialekt. Oder beim Schafkopfspielen. Schafkopf lebt ja von den blöden Sprüchen. Das ist genauso ein Spiel mit der Sprache wie mit den Spielkarten.



10 curt // bairische heimat

Dort und auch beim Fußballspiel kommen Dialektsprecher zusammen. Es gibt auch die Mode, RTLDeutsch zu sprechen. Das setzt sich immer stärker durch. Da war es doch anders, als es kein Fernsehen gab. Jeder kann ohnehin passiv Hochdeutsch. Das war vor 50 Jahren anders. Du sagst: Ja, früher halt ... Ich weiß: In den frühen 80er-Jahren wurde noch fleißig Mundart gesprochen. Damals gab es ja keine Privatsender. Bairisch zu sprechen, war Ausdruck von Auflehnung. Die Punks beispielsweise sprachen grad extra Dialekt, um die Bairisch-Sprecher der damals noch existenten Nazi-Generation zu ärgern. Und selbst die Moderatoren im Bayerischen Rundfunk ließen sich zu mehr als nur Münchner Klangfarbe hinreißen. Heute gibt es das nicht mehr. Welchen Stellenwert hat Bairisch dann noch? Ist Dialekt also eine Sehnsucht nach dem Althergebrachten? Nach Tradition? Konservativ? Nach frischer Landluft? Prof. Rowley: Es gibt natürlich einen erheblichen Unterschied im Gebrauch des Bairischen zwischen Land und Stadt. München war schon immer Residenzstadt, Großstadt und Ziel der Landflucht. Wenn die Leute der starken sozialen Kontrolle auf dem Land entflohen waren und in München eine neue Heimat gefunden hatten, haben sie vielleicht sogar alles abgelehnt, was mit der alten Heimat auf dem Land zu tun hatte.

Du fragst: Dann sprechen also die konservativistischen Daheimbleiber Bairisch? Prof. Rowley: Es gibt zwei Aspekte. Manches im Wortschatz ist recht konservativ. In München nicht, aber bei den ländlichen Dialekten. Da sagt man statt Dienstag „Iata“1, für den Donnerstag „Pfinsta“2. Form und Aussprache sind aber nicht konservativ. Du findest: Da klingt ja manches nach Klingonisch. Ich verstehe alles. Bin halt ein Gscheithaferl. Bairisch ist eigentlich eine moderne, eine sehr moderne Sprache. Es gibt keinen Genitiv, keine einfache Vergangenheit. Das geht in Richtung Englisch, wenn man so will. Einerseits gibt es germanische Wörter, die nirgends mehr vorkommen, außer im Isländischen, und andererseits Lehnwörter aus den gotischen und den romanischen Sprachen. Das zeigt, dass das Bairische wohl immer schon in der Art „Laptop und Lederhose“ einen Schuss Konservativismus und einen Schuss Moderne im Wortschatz und im Sprachsystem hatte. Es gab sogar Versuche, Wikipedia auf Bairisch zu lancieren. Das hat sich nicht durchgesetzt, weil es keine einheitliche Schreibweise fürs Bairische gibt.

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Das bairische Kennwort für Dienstag – Ertag oder Erchtag – (mhd. er(ge)tac) kommt über die Goten vom griech. Kriegsgott Ares (der Arestag = bair. Ertag oder Erchtag).

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Griechisch pémptēhémeéra (= 5. Tag, gerechnet ab dem Sonntag)

Boarische Wikipedia Griass di! Servus! Hawedere! In da Bayrisch-Östareichischn Wikipedia! Des is de Wikipedia in Boarischa Sproch (Austro-Bavarian language, Bairische Sprache) und in de boarischn Dialekt in Bayern (Bayerisch), Österreich (Österreichisch), Südtirol etc. Es gibt do scho 9.783 Artike und iba 1,4 Mio. Klicks (Webhits) Monat fia Monad.

Du überlegst: Ist Bairisch ein Dialekt oder eine eigene Sprache? Sog i: Na ja, wie man mag. Das Bairische hat 13 Millionen Sprecher. Also mehr, als Schweden Einwohner hat. Die Unterschiede zum Standarddeutsch sind groß. In Österreich wurden diese Besonderheiten nicht nur geduldet, sondern z. B. in der Amtssprache zementiert. In letzter Zeit wird aber auch in Österreich immer weniger Österreichisch gesprochen, sodass unser Nachbarland 2014 sogar eine Offensive zum Erhalt von Austriazismen startete. Das wird kontrovers diskutiert. Schon allein, weil Deutsch-Lerner aus England oder Frankreich sich ungern im bairischen Sprachraum aufhalten, um kein „falsches“ Deutsch



12 curt // bairische heimat


aufzuschnappen. Hier geht Österreich ein Haufen Geld durch die Lappen. Außerdem fürchtet man in Österreich den „sprachlichen Anschluss“ und die Hegemonie der Übermacht. Du weißt vielleicht, dass mancherorts scheintote Sprachen mit allen Mitteln „zwangsernährt“ werden. Irisch-Gälisch oder Baskisch zum Beispiel. Und ich fände es auch schade, wenn die angenehm gurrenden Laute im Bairischen, die bei männlichen Sprechern allgemein als sexy empfunden werden, dem schnurgeraden Piefkedeutsch anheimfielen. Deshalb frag ich: Was wird in Bayern zum Erhalt des Bairischen unternommen? Prof. Rowley: Es gibt private Vereine und staatliche Förderung. Was hier absolut fehlt, sind zweisprachige Ortsnamensschilder, sodass am Ortseingang auch „Minga“ stünde. Oder öffentliche Verlautbarungen und Fernsehnachrichten auf Boarisch. Auf Plattdeutsch gibt es das schon. Die Deutsche Bahn hat in Norddeutschland sogar zweisprachige Namensschilder. Du winkst ab: Bairisch ist doch noch da! Prof. Rowley: Der Dialekt hat viele Funktionen. Er verkörpert den Mann auf der Straße, der nicht von den Segnungen der bürgerlichen Zivilisation profitiert hat. Das wäre eher der Polt. Oder der Biermösl, der uns sagt, wie es ist.

Unverfälscht, also nicht durch den Mund der Politiker. Das nutzen andersherum auch die Politiker. Die können nicht einfach mit Hochdeutsch daherkommen und hoffen, dass sie wieder gewählt werden. Und auch in München, schätze ich, kommt man mehr als glaubwürdig rüber, wenn man ein paar Worte Dialekt spricht. Stellen Sie sich vor, der Münchener Bürgermeister könnte nicht einmal „Ozapft is“ richtig aussprechen. Du könntest das natürlich als zu wenig abtun. Siegersprachen sind halt mächtiger. Oder? Nun erlebt aber nicht nur Bairisch, sondern auch Hochdeutsch immer wieder Krisen. Verkaufsschlager wie „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ oder Facebook-Gruppen wie „Da kotzt das Texterherz“ aktivieren Heerscharen von Grammar-Nazis. Denglisch, Kiezdeutsch und Deppenapostrophe – das große Sterben. Anglizismen werden in Frankreich bekanntlich per Gesetz aus der Leitkultur verbannt. Und dort wurde auch vor wenigen Jahrzehnten Bretonisch verboten. So viel Angst haben die Deutschen nicht. Wortimporte schaffen sich nach ein paar Jahren schließlich wieder selbst ab, wenn der erste Hype abflaut. Andere Fremdwörter werden bis zur Unkenntlichkeit entstellt und assimiliert. Wer weiß schon noch, dass Keks, Streik oder Gully ursprünglich Anglizismen waren? Oder Engel, Esel, Fenster, Kreuz? Latein oder deutsch?

Der Anteil von Fremdwörtern im Deutschen liegt dauerhaft bei ungefähr 20 Prozent. Die Tendenz geht allgemein zur Vereinfachung. Im Dialekt genauso wie in Standardsprachen. Und zwar global. Weltweit gab es 2.000 Ursprachen, die in 24 große Sprachfamilien eingeteilt werden. Während in der Gegenwart noch ca. 6.000 gesprochene Sprachen existieren, waren es in der Renaissance geschätzt noch doppelt so viele. Je abgelegener die Gegend, desto eher besteht die Chance, dass eine Sprache unverändert überlebt. Das Isländische ist dem Altnordischen noch so nahe, dass sogar noch mittelalterliche Sagen und Epen ohne Übersetzung verstanden werden. Du willst endlich wissen, was du unter sprachlicher Heimat verstehen sollst? Keine Ahnung. Für den einen ist es der Ursprung, für den anderen die Herkunft seiner Sprache. Eine sprachliche Heimat können aber auch die sprachlichen Gemeinsamkeiten und Ausdrucksformen einer Gruppe darstellen. Da hätte auch Kiezdeutsch oder ein Berufsjargon seine Berechtigung. Vermutlich hat der Schriftsteller Bruce Chatwin den Nagel auf den Kopf getroffen: „Heimat ist da, wo wir die Witze verstehen.“


FOTO: LORRAINE HELLWIG


Portr채ts, interviews, schicksale und ansichten zur heimat

heimatg schichTen


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Hei mat ist fu r mich wie Liebe . Die ist da , aber muss auch gepflegt werden . Florian WAgner, Moderator des BR-Magazins „Heimatrauschen“


Als Moderator des BR-Magazins „Heimatrauschen“ beschäftigt sich Florian Wagner Monat für Monat mit dem Thema „Heimat“ – für curt somit genau der richtige Ansprechpartner.

Interview: nurin khalil // Foto: theresa högner


18 curt // heimatg’schichten

Was ist für dich Heimat? Das werde ich oft gefragt, das ist auch immer gleich die erste Frage. Je mehr ich darüber nachgedacht habe ... Heimat ist kein Ort, sondern ein Gefühl, kein starres Ding, sondern sehr flexibel. Freunde, Gerüche, Geschmäcker ... ein Konglomerat aus vielen verschiedenen Eindrücken. Das ist zumindest MEINE Heimat. Heimat ist ja auch was sehr Individuelles. Wie kommt ihr auf eure Beiträge? Kann man sich auch mit einer Idee bei euch melden? Klar, man kann sich melden, da freuen wir uns sehr. Gerne per E-Mail oder auch per Facebook. Es gibt sehr fleißige Redakteurinnen und Redakteure, die nach Geschichten suchen, die wühlen und kramen und sich umhören. Es passiert sehr viel, auch per Mundpropaganda. Also: „Hey, ich hab gehört, da gibt’s einen, der einen kennt, der mal neben einem gewohnt hat, der früher mal als LederhosenSattler gearbeitet hat.“ Wieso zieht das Thema Heimat so? Also, ich hab da eine Theorie. Ich glaube, dass wir in einer Zeit leben, in der du jederzeit alles haben kannst: nachts einkaufen, in der Früh das Abendprogramm im Stream nachschauen, aus Amerika Sachen bestellen, die innerhalb von zwei Tagen da sind ... Die Welt ist einfach so klein geworden und so schnelllebig, digital und steril, dass generell eine Rückbesinnung stattfindet. Dass die Leute einfach gerne die „Heimat feiern“.

Oft kommt dieses Gefühl überhaupt erst bei Gemeinschaftsevents auf ... Ja klar, Heimat ist, sich zugehörig zu einer Gemeinschaft zu fühlen. Früher ist man sonntags in die Kirche gegangen, dann war man Mitglied einer Gemeinschaft. Den Leuten fehlt heute irgendwie der Bezug. „Ich bin in Susannes YogaGruppe“ ist jetzt vielleicht nicht so das große Gemeinschaftsgefühl. Hast du einen Lieblingsbeitrag? Was für mich generell das Besondere an der Sendung ist, ist, dass es mich jedes Mal aufs Neue überrascht, was für schräge Vögel wir haben. Auf was für Ideen wir kommen. Und auch was für ne geile alte Handwerkstradition wir haben, die inzwischen vollkommen neu interpretiert wird. Wir hatten mal einen Beitrag über Barbiere. Jetzt lassen sich Hipster die Bärte stehen, gehen in den Friseurladen rein und fragen: „Sag mal, kann man sich bei euch auch rasieren lassen?“ Und es gibt einige, die machen jetzt wieder Barber-Shops auf, wo du dich als Mann richtig wie früher hinsetzt und schön mit heißem Wasser und Rasierschaum rasiert wirst. Und das ist doch geil! Das ist das Nagelstudio des Hipster-Mannes. Das, find ich, ist ne irre tolle Geschichte. Gibt’s einen Geheimtipp, ein Eckchen in Bayern, das kein Mensch kennt? Klar, also es gibt unzählige Plätze und Orte und Menschen und Sachen. Ich find’s zum Beispiel total geil, mit ein paar Euro in der Tasche, ohne Telefon, im Sommer mit Flip-Flops und Sonnenbrille loszulaufen und einfach mal so in die Stadt zu gehen. Und dann zu gucken, wie sich der Tag entwickelt. Um am Schluss die Lichter in irgendeinem Biergarten ausgehen zu sehen und dann noch zu ver-


suchen, irgendwo in einen Club reinzukommen, was nichts wird, weil man eben diese Flip-Flops noch anhat, um dann irgendwo anders was zu trinken und heimzugehen. Für mich ist das München. Man kann alles zu Fuß machen, gehst rein, erlebst was, gehst wieder raus. Und am nächsten Tag wachst du natürlich früher auf, weil du wegen der Flip-Flops nicht in den Club reingekommen bist. Also hat selbst das was! Brennt dir, zum Schluss, denn noch was unter den Nägeln? Jawohl. Ich stehe sehr hinter dieser Sendung, ich muss mich nicht verstellen oder so tun, als fände ich jetzt irgendwas toll. Diese Sachen, um die es in der Sendung geht, das ist auch so ein bisschen mein Lebensstil, auch wenn ich nicht jeden Tag in Lederhosen rumlaufe. Nur weil man ein Heimatmagazin hat, heißt das auch nicht, dass man jetzt immer Urlaub in Niederbayern macht. Wenn man ne tolle Heimat hat, dann kann man toll verreisen, und hat den Vorteil, dass man sich auch freut, wieder zurückzukommen. Und Heimat ist für mich wie Liebe. Die ist da, aber muss auch gepflegt werden. Wenn man sagt, ich bin jetzt verliebt, dann wird das irgendwann mal weniger werden. Wenn man da aber immer so schön mit Blümchen und Küsschen und so arbeitet, dann wird diese Liebe lang dauern. Und so ist’s mit Heimat auch. Wenn man natürlich immer nur hier sitzt und sagt, „Ich fühl mich hier so wohl“, aber sich eigentlich nicht die Heimat anschaut und die Heimat entdeckt, dann ... ist man vielleicht irgendwann mal heimatlos.

>> br.de/heimatrauschen; facebook.com/heimatrauschen >> facebook.com/FuerImmerWagner >> huettenkrimi.de

Im Mai moderierte Florian Wagner einen Beitrag an über Seniorinnen, die die junge Szene in München mit köstlichem Kuchen verwöhnen. Und da probiert er doch auch ein Stückchen.


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Die Heimat gibt mir Kraft


Im gespräch mit marcus h. rosenmüller.

Marcus H. Rosenmüller gilt als einer der Wegbereiter der neuen, modernen Heimatfilme. Lange haben seine Fans darauf warten müssen, jetzt ist es endlich so weit: Seit dem 26. Juni läuft „Beste Chance“ im Kino, die Fortsetzung von „Beste Zeit“ und „Beste Gegend“. Wir haben den Kinostart zum Anlass genommen, uns mit dem Regisseur zu treffen und über seine Jugend auf dem bayerischen Land und die Bedeutung von Heimat zu sprechen.

Text: Oliver armknecht

Deine Filme werden immer als eine moderne Version von Heimatfilmen bezeichnet, vor allem deine „Beste“-Trilogie beschäftigt sich sehr stark mit den Themen Wurzeln und der Suche nach sich selbst. Was bedeutet für dich denn Heimat? Das ist eine wahnsinnig schwierige Frage. Heimat ist ein Ort, an dem du dich zu Hause fühlst, für den du vielleicht irgendwann mal Verantwortung spürst. Und ein Ort, der für dich Verantwortung spüren müsste, sodass es eine Beziehung gibt. Das hat dann positive, aber auch negative Aspekte. Der positive ist klar: Man fühlt sich geborgen, nichts ist fremd. Andererseits ist es wichtig, immer etwas Neues kennenzulernen. Im zweiten Teil ist da ein ganz langer Dialog über Erinnerungen, dass jeder Stein irgendwo besetzt ist mit Erinnerungen. Du erlebst nichts Neues mehr, an dem Stein hast du gespielt, hier bist du mit jemandem von der Klippe runtergesprungen. Außerdem kennt dich jeder, du bist nackt. Du kannst dich nicht verstecken. In den Filmen geht es ja nicht nur um Heimat allgemein, sondern eine ganz spezielle Heimat: die Heimat auf dem Land. Was hat dir das Leben auf dem Land gegeben, was es in der Stadt vielleicht nicht gegeben hätte? Es war bei uns einfach diese Freiheit. Wir konnten rauslaufen und waren die meiste Zeit draußen ohne Eltern. In der Stadt kannst du das nicht so einfach. Das ist im ersten Teil auch einer der wichtigsten Momente, wo die beiden zurücktrampen von der Diskothek, in den Wald kommen und schließlich im Maisfeld verschwinden. Das Verschwinden in der Natur, das wurde mir erst später bewusst, wie sehr mich das geprägt hat. Dann kam für mich irgendwann die Metapher für den Fluss in den Vordergrund. Dieses Bewegen, Verändern, Nichtstehenbleiben. Dass das viel mit Glück zu tun hat. Ich hab im ersten Teil ja eigentlich ein kleines Paradies geschaffen. Da ist alles gut, du bist auf dem Land, es gibt keine Drogen. Ich hab allein das Problem genommen, dass du allein in dem Behütetsein nicht dein Glück findest. Dass es irgendwann mal zu dem Moment kommt, wo Kati und Jo, meine beiden Hauptfiguren in der Trilogie, wissen möchten, was dahinter ist. Diese Zerrissenheit: Ich weiß, das hier ist nicht alles. Aber was geht denn hier? Um was geht es eigentlich im Leben? Diese Zerrissenheit wird heute aber auch durch außen erzwungen. Von den jungen Leuten wird ja mittlerweile erwartet, dass sie sich nicht zu sehr festlegen und ständig mobil sind. Können die dann überhaupt noch eine Heimat aufbauen? Früher war Heimat natürlich noch klarer mit einem Ort verbunden, mit einem bestimmten Lebensgefühl, das für diese Region spezifisch war. Der Dialekt. Wann man lacht. Das Essen. Düfte. Alles. Und dazu noch


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Familie und Freunde. Heute mit dem Mobilsein konzentriert es sich dann vielleicht auf die Familie. Umso stärker werden vielleicht dann diese Bindungen sein, während die anderen immer wieder gekappt werden. Ich glaube auch, dass man einen neuen Heimatort finden kann. Dass wenn du irgendwo bist, das Fremde abgelegt hast und dich auskennst und neue Leute kennenlernst, dann wird das irgendwann wieder zu einer Heimat für dich. Dass man sich von Altem lösen muss und dabei gleichzeitig zu seinen Wurzeln stehen sollte, wird in deinen Filmen immer wieder angesprochen. Wie hast du das mit deinen eigenen Wurzeln hinbekommen? Das habe ich eigentlich ganz gut hinbekommen, weil ich nicht so weit wegmusste. Ich wohne immer noch 50 Kilometer von meiner Heimat entfernt und hab den Kontakt zu den Freunden. Und zur Familie. Es gibt immer wieder mal Momente, wo man sich denkt: Hey, nimm dich mal nicht ganz so wichtig und überlege mal: Wer warst denn du und was wolltest du mal? Da kommt man wieder darauf zurück, dass Freundschaften so wichtig sind im Leben. Dass Familie wichtig ist. Da wird man ein bisschen geerdeter dadurch. Was macht denn die Qualität von solchen Kindheitsfreundschaften aus? Warum sind die so wichtig? Ich weiß nicht, ob man sich noch mal so echt kennenlernt wie als Kind. So rein, so offen. Ich brauch meinen Kindheitsfreunden nicht vormachen, wer ich bin. Die kennen mich. Mit deinen Kindheitsfreunden hattest du Erlebnisse, die verbinden. Man sagt ja, dass die ersten Erlebnisse oft die prägenden sind. Dein erster Rausch zum Beispiel, den vergisst du nicht. Das Interessante an Kindheitsfreunden ist, dass es quer durch die Bank ist. Das sind mehr oder weniger die Leute, die zufällig in deinem Kreis gewohnt haben. Als Erwachsener suchst du dir deine Freunde stärker aus. Oft sind das Leute, mit denen du wegen Gemeinsamkeiten viel Zeit verbringst, zum Beispiel im Beruf. Sie sind also stärker zweckgebunden. Wenn du an deine eigene Jugend zurückdenkst, wie fühlt sich das an? Wirst du dabei nostalgisch? Ich hatte natürlich eine super Kindheit, mit diesen Wäldern und so. Da bin ich schon nostalgisch drauf, weil du merkst, du wirst diese Freiheit nie wieder haben. Aber ich denke auch gerne an meine Teenagerzeit zurück. Gerade im ersten Teil „Beste Zeit“ gibt es wahnsinnig viele Momente, die ich so erlebt habe und die für mich ganz eng mit dieser Zeit verbunden sind. Das Fußballzelt aufbauen. Total naiv verliebt sein und gar nicht merken, dass der andere gar nichts von einem will. Ich hab schon während des Studiums die Sehnsucht gespürt, nach dem Behütetsein und den Freunden, die man langsam verliert. Das gab immer schon so einen kleinen Stich. Das waren die besten Freunde, von denen man dachte, man sieht sich ewig, und plötzlich trennt man sich doch. Dann aber zu bemerken, dass eine Verbindung bleibt, auch wenn man sich nicht sieht, das war auch wichtig. Dieses Heimatgefühl, wenn wir zusammen sind, das gibt mir heute noch Kraft.


auf curt.de/muenchen findet ihr weitere Infos zum Film und erfahrt, was Rosi konkret zu seinem neuen Film zu sagen hat.


24 curt // heimatg’schichten

Heimat Nr von TUNCAY ACAR

Der 1968 geborene Münchner Tuncay Acar lebt als Deutscher mit türkischem Background eine westöstliche Zwitteridentität zwischen München und Istanbul. In Istanbul begann er sein Studium der klassischen Archäologie, das er hier abschloss. Als Kulturschaffender, Netzwerker, Veranstalter und Musiker bewegt er sich in beiden Welten. Tuncay ist Vorstandsmitglied von Glockenbachwerkstatt e.V. und Kunstzentrat e.V. Er war als Mitorganisator in das Kulturprojekt hofHaus Weicht involviert und leitete zusammen mit Michael Schild von 2010 bis August 2013 den temporären Veranstaltungsort Import Export in der Goethestraße 30. Seit 2009 betreibt er die deutsch-türkische Kulturaustauschplattform Byzantion Reloaded. melenagzi,Türkei

Tuncays Blog >> triptown.de


Heimatg’schichten // curt 25

Heimat ist das Bedürfnis der Rückbesinnung auf die ursprünglichen Werte. Vor allem jetzt, in einer Zeit, in der die Postmoderne – die innere Entfremdung – ordentlich zugeschlagen hat und das Leben auch immer ein Stück Terror wird. Das Resultat? Wir sehnen uns zurück nach der ersten Kugel Eis unseres Lebens, nach dem Geschmack der Paprikawurscht von damals, als die Mama noch das Frühstück gemacht hat, nach unserem Nintendo, Atari. Altes Vinyl ist zum Beispiel der König der ewigen Heimat. Wenn man nach dem Motto „Home is where the heart is“ geht, dann sollte die Frage nach der Heimat doch eigentlich sehr leicht zu beantworten sein! Nur: Wo ist mein Herz denn gerade überall? Wie auch immer: Wenn die Heimat auftaucht, dann überfällt uns meist ein sehr tiefes Gefühl, das uns sogleich vom Hier und Jetzt entfernt und woanders eintauchen lässt, in eine andere Empfindungswelt, in einen alles mit sich reißenden Strom der ewigen Sehnsucht, dem man – über kurz oder lang – völlig ausgeliefert ist. Soweit zumindest meine Erfahrung!

Wenn ich hier in München an einem sonnigen Frühlingstag aus dem Haus gehe und mir bläst eine frische Brise ins Gesicht, mit diesem spezifischen Geruch von klarer Kälte, dann ist das zum Beispiel so ein Moment. Da denke ich dann ... genau: an die westliche Schwarzmeerküste der Türkei, wo ich die ersten vier Jahre meines Lebens verbracht habe, an dieses kleine Fischerdorf direkt an der Mündung eines kleinen Flüsschens, wo damals das klapprige Holzhaus meiner Großeltern noch stand, auf einem kleinen Grundstück mit einem ungepflegten Garten, direkt an der Küstenstraße, leicht erhoben über dem Sandstrand mit meterhoch schäumenden Wellen. Und wenn die Kühe nicht gewesen wären, die sich unter der Frühlingssonne auf dem Sand herumfläzten, dann hätte man sich in manchen Momenten fast auf Hawaii denken können. Aber damals hatte ich ja noch keine Ahnung von Hawaii.
 Dann gibt es noch die unmittelbare Heimat: das gute bayerische Bier, Brezn, den Englischen Garten, hübsche Schickies, Frisbees, die Express Brass Band und so weiter. Das Olympiagelände und Milbertshofen, wo ich aufgewachsen bin. Das BMW-Werk, in dem mein Papa und meine Mama jahrelang gearbeitet haben. Wie sie immer total geschafft

von der Schicht heimkamen und sich über die Hackordnung am Fließband und die blöden Sprüche der Vorarbeiter geärgert haben. Heimat Nr. 3 ist die Musik, der Funk, der Rhythmus, Yoruba, das spirituelle Ritual der handgemachten Musik, Jazz, Kraut, Embryo, die wahren Hippies, die nie aussterben werden, und alles, was sie uns geschenkt haben.
 Heimat Nr. 4 ist der urbane Dschungel, das „Immer-Schneller“, die Beats, die dir um die Ohren pfeifen und sich mit dem Lärm der Großstadt vermischen. Das universell Urbane, das überall gleich zu sein scheint und doch immer ganz anders ist, Istanbul – München.
 Heimat Nr. 5 ist die ewige Opposition, Graffiti, Che Guevara, das Immer-Dagegensein, das Gegen-den-Strom-Schwimmen, das Sich-dieUnabhängigkeit-Bewahren, die Rebellion, das Nicht-Schweigen.
 Heimat Nr. 6 ist die Antike und auch der Neoklassizismus ...
 Heimat Nr. 7, Nr. 8, Nr. ?


26 curt // heimatg’schichten

Die ehemalige Bayernkaserne in dachau als Unterkunft fĂźr Asylbewerber


Heimat – das ist der Ort, an dem wir uns aufgehoben fühlen, mit dem wir am meisten verbinden. Das ist der beste Bäcker um die Ecke, der Lieblingsplatz am See, das sind Familie und Freunde. Kaum vorstellbar, wenn das alles einmal wegfallen sollte. Doch für Flüchtlinge ist das die traurige Realität. Bei den endlosen Debatten um die Zuwanderung sind ihre Schicksale meist Nebensache – doch es wird Zeit, ihnen endlich mal zuzuhören.

flucht „ d och aus der d as leben heimat muss weitergehen “ INTERVIEW: HANNA KAUFHOLD // FOTOS: LORRAINE HELLWIG // Vielen dank an annette Mann


28 curt // heimatg’schichten

Ich heiße Jules. Meine Heimat ist die Stadt Goma in der demokratischen Republik Kongo, aus der ich 2008 vor dem Krieg geflohen bin. Damals musste alles sehr schnell gehen: Ich hatte keine Zeit zum Packen und musste alles Wichtige zurücklassen. Meine Familie und Freunde sind in alle Richtungen geflüchtet – von niemandem habe ich je wieder etwas gehört. Über meine Flucht möchte ich nicht mehr reden. Seit fünf Jahren lebe ich nun schon in Deutschland; vier Jahre davon im Flüchtlingslager in Neuburg an der Donau. Nachdem ich aber am Protestcamp in Berlin teilgenommen habe, musste ich meine Sachen packen und nach Dachau umziehen. Die Zustände dort waren unhaltbar – zu dritt waren wir in einem Zimmer mit elf Quadratmetern untergebracht, das mit einem kleinen Kühlschrank und drei Metallbetten ausgestattet war. Der Korridor war verschmutzt, es stank. Die Toiletten mussten sich alle Heimbewohner teilen, es gab keine Privatsphäre und man sah schlimme Dinge. Die größte psychische Belastung ist aber der Status, den man als Flüchtling hat. Bis vor Kurzem war ich nur „geduldet“, durfte also nicht arbeiten, das Bundesland Bayern nicht verlassen und bekam sogar zwei Jahre lang kein Taschengeld, nur Essenspakete. Mein Asylantrag lief noch bis vor Kurzem! Jahrelang waren ich und viele andere in den Lagern also zum Nichtstun verdammt, diese Situation hat mich depressiv gemacht. Bei den Protestcamps in Berlin und auf dem Rindermarkt in München haben wir deswegen gefordert, diese menschenunwürdigen Zustände endlich zu beenden. Mittlerweile habe ich eine Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland. Ich besuche nun einen Integrationskurs, im Juli ist die Abschlussprüfung. Danach möchte ich mich weiterbilden – am liebsten für einen Bürojob, damit ich endlich mal wieder mental gefordert bin. Einen Pass habe ich schon beantragt. Er würde es mir möglich machen, eine eigene Wohnung und Arbeit zu finden, doch leider warte ich schon seit Dezember darauf und werde bei Nachfrage immer wieder vertröstet. Also heißt es mal wieder abwarten, ich habe aber einfach keine Kraft und möchte auch keinen Stress mehr. Hier in München fühle ich mich wohl. Anders als in Neuburg an der Donau habe ich schon viele Freunde gefunden, zusammen gehen wir oft an die Isar oder freitags ins Backstage. Mir gefällt besonders der Englische Garten, das Olympiagelände und vor allem die U-Bahn beeindruckt mich. So etwas gibt es in Goma nämlich nicht, genauso wenig wie gutes Bier! Augustiner ist mein absoluter Favorit. Wenn ich einen Job habe, möchte ich als erstes meinen Führerschein machen. Auch wenn München eine BMW-Stadt ist, kommt für mich nichts an Mercedes heran. Das ist bei uns zu Hause so – auch wenn du die Wahl hättest zwischen einem neuen BMW und einem verrosteten Mercedes, wird sich immer für Letzteres entschieden! Heimat ist für mich die Demokratische Republik Kongo mit ihrer faszinierenden Natur, dem schönen Wetter und natürlich mit meinen Freunden, meiner Familie. Das habe ich alles verloren, denn ich kann nicht mehr zurück in mein Land: Zu viele Menschen sind den tiefen politischen Krisen schon zum Opfer gefallen und es wird noch Jahrzehnte dauern, bis Besserung in Sicht ist. Doch das Leben muss weitergehen!



30 curt // heimatg’schichten

Meine Heimat deine Heimat Porträt des vereins „DEIN MÜNCHEN“ Was empfindest du als deine Heimat? „Der Ort, an dem man sich zu Hause fühlt“, antwortet ein Kind. „Irak, München, Deutschland“, sagt ein anderes. Gibt es etwas, das ihr an eurer Heimat München nicht schön findet? „Die abgehobenen Deutschen“ und „die strengen Regeln“, lauten die Antworten. Nicht alle Kinder, die in München aufwachsen, verbinden mit ihrem Wohnort das Lebensgefühl, mit dem sich die Stadt gern bewirbt. Das viel zitierte Herz der Weltstadt ist nicht für alle drin. Der Verein „Dein München“ erkennt die Schieflage und leistet dort einen nachhaltigen Beitrag, wo Eltern ihre Grenzen erreichen und staatliche Institutionen noch nicht greifen. curt hat bei der Geschäftsführerin Mara Bertling und der Projektkoordinatorin Tine Vogeltanz nachgefragt.

Text: Patricia Breu // Fotos: „Dein München“ und michaela morosini


Mit einer intensiven Gründungsphase hat sich „Dein München“ vor drei Jahren unter der Trägerschaft des Münchner Vereins für Sozialarbeit e. V. (VFS) entwickelt. Mara Bertling war damals in der ambulaten Erziehungshilfe des Vereins tätig – und stellte fest, wie viele Kinder den großen und doch vermeintlich einfach zu erfüllenden Traum hatten, ein Mal auf das Oktoberfest zu gehen. Daraus entstand das erste Projekt von „Dein München“: die Wiesn-Kidzz. Der VFS leistete die Anschubfinanzierung und durch den großen Erfolg konnte vor Kurzem mit „Dein München e. V. “ ein unabhängiger gemeinnütziger Verein gegründet werden. Das gesamte Team um Mara Bertling steckt viel Herzblut in die Umsetzung ihrer Vision, benachteiligten Kindern und Jugendlichen nachhaltige Zugänge zu Bildung, Kultur, Freizeit und Sport zu eröffnen.

„München ist eine schöne Stadt“, sagt Mara Bertling, „aber die Armut ist in dieser Stadt leider unsichtbar.“ Wer sieht schon, dass über 20.000 Münchner unter 15 Jahren finanziell schlecht gestellt sind? Besonders von Armut bedroht sind Familien mit einem alleinerziehenden Elternteil (jedes dritte Kind) und Familien mit Migrationshintergrund. Wer kennt die Notunterkünfte, wo derzeit etwa 1.000 Münchner Kinder gezwungen sind, auf engstem Raum zu wohnen? Diese Einrichtungen sind als Übergangslösung für die Wartezeit auf Sozialwohnungen gedacht und sollten im Durchschnitt etwa drei Monate bewohnt werden – weshalb die gesamte Familie mit einem Raum auskommen muss. In Wirklichkeit beträgt die Wohnzeit in Notunterkünften jedoch drei bis fünf Jahre! Diese Missstände im Bewusstsein der wohlhabenderen Müncher zu verankern, ist ein Teil der Vereinsarbeit.


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Das Hauptanliegen von „Dein München“ ist jedoch, diese finanziell benachteiligten Kinder in das Stadtleben zu integrieren. Denn eine Familie mit knappen Mitteln kann sich Ausflüge mit den Kindern nicht leisten. Allein das Ticket für die Öffentlichen Verkehrsmittel ist für viele nicht bezahlbar. Manche Eltern schaffen es auch aus persönlichen Gründen nicht, mit ihrer Familie Freizeit zu gestalten. Und so leben in München Kinder, die noch nie ihr Stadtviertel verlassen haben. Tine Vogeltanz erinnert sich an eine Busfahrt durch München, auf der die Kinder an den Scheiben klebten und sich vor lauter Begeisterung über die schöne Stadt überschlugen – weil sie sie das erste Mal sahen! „Dein München“ veranstaltet Workshops und Aktionen wie Stand Up Paddling mit Eisbachsurfern am Pilsensee, Tagesausflüge in den Zoo, Stadtralleys und Schneesporttage, ermöglicht den Kindern

Konzert- und Theaterbesuche. Wichtig ist, dass nicht nach dem Gießkannenprinzip Wünsche erfüllt werden, sondern dass die Kinder möglichst regelmäßig Teil der Aktionen sind und eine persönliche Beziehung zu den Betreuern aufbauen. Der Verein arbeit hier sehr eng mit seinen festen Sozialpartnern wie z. B. der Mittelschule an der Guardinistraße zusammen. Durch diese Teilhabe am Stadtleben entwickeln Kinder Identität und können ihren Blick auf verschiedene Perspektiven weiten. In der Kindheit werden die Grundvoraussetzungen für die Entwicklung von Kraft für die Bewältigung der Herausforderungen im Leben gelegt, die jeder Mensch selbst leisten muss. Wer sich als Kind in seinem sozialen Umfeld nicht angenommen fühlt, verliert irgendwann seinen Selbstwert und isoliert sich. „In den Kindern schlummert sehr viel Potenzial“, sagt Mara


Bertling, „und sie haben richtig Lust, sich einzubringen. Wenn die Kinder an dieser Stelle nicht gefördert werden, geht früher oder später der Deckel drauf.“ Die Arbeit des Vereins ist abhängig von Spendern und Sponsoren. Viele Unterstützer wie Privatleute und Firmen leisten finanzielle oder materielle Hilfe, weil sie erkennen, dass ihre Heimat München für alle Einwohner Heimat sein soll. Konstantin Wecker, Mark Mast und Luise Kinseher werben als Botschafter für „Dein München“. Auch mit ihrer Unterstützung konnten bisher über 4.500 Kinder an rund 70 Projekten und Aktionen teilnehmen. Und gibt es noch Wünsche zu erfüllen? Die Kinder antworten: „Ein FC-Bayern-Spiel“,„ein DJ-Konzert“,„eine Auto-Tour durch München“. Es ist viel geschafft – und es bleibt viel zu tun!

Spendenkonto DEIN MÜNCHEN e.V. Bank: Münchner Bank KTO: 20 100 20 BLZ: 701 900 00 IBAN: DE 90 701 9000 0000 20 100 20 BIC: GENODEF1M01 Kontakt unter: info@dein-muenchen.org >> dein-muenchen.org


34 curt // heimatg’schichten

heimweh fernweh fotostrecke von eva fredrichs >> facebook.com/evafredrichsfotodesign





38 curt // heimatg’schichten

HeimaT Ein komischer Begriff Im Gepräch mit Ecco Meineke

Ecco DiLorenzo & his Innersoul, die Shtetlmusikanten, Folksfest, Ecco DiLorenzo Jazz Quartett, Anthony’s Garden ... als Musiker mischt der Münchner in vielen Bands mit. Als Kabarettist präsentiert er nach sieben Jahren bei der Münchner Lach- und Schießgesellschaft mit „Liberté! Égalité! Humbatäterä-täta!“ sein mittlerweile drittes Soloprogramm. Er schauspielert, moderiert, schreibt. Der Künstler Ecco Meineke ist viele.

>> eccoland.de >> innersoul.de

TEXT: Mirjam Karasek Foto: Janine Guldener


Wie kam es zu dieser künstlerischen Vielfalt? Als ich Abitur gemacht habe, war ich schon mit Werner Schmidbauer unterwegs. Da bin ich in vielen mixed programs aufgetreten, wo ich gesehen habe, was für verschiedene Formen es gibt. So kam eins zum anderen. Im Prinzip war schon alles da. Wo aber ist deine künstlerische Heimat? Wenn ich was mache, bin ich in dem Moment dort zu Hause. Und was treibt dich an: große Kreativität, Hyperaktivität oder nur die Notwendigkeit der Existenzsicherung? Das ist es schon alles! Es ist leichter, sich festzulegen, wenn man als Künstler sofort mit einem Ding Erfolg hat. Wenn nicht, kannst du vielleicht noch sagen, ich mache primär eine Kunstrichtung und verdiene mir sonstwo was dazu. Ich habe mir gedacht: Warum soll ich grundsätzlich Dinge machen, die nicht kreativ sind, warum nicht gleich kreativ sein in allem? Zahlreiche Projekte, gute Presse, viele Preise: Zahlt sich das finanziell aus? Nein, absolut nicht. Mir als Kabarettist fehlt das Fernsehen. Ohne Fernsehen kriegst du die Bude nicht so voll wie mit. Was Live-Musik betrifft, das ist Tingeln. Da wirst du nicht reich von. Hat Kunst generell einen zu geringen Stellenwert? Ja, klarer Fall. Die hohen Mieten in München sind das eigentliche Armutszeugnis. Wir beißen doch solidarisch alle in den sauren Apfel. Den Bühnenbetreibern kann man keinen Vorwurf machen, die zahlen ebenso drauf. Musik-Clubs sind im Gegensatz zu Berlin extrem dünn gestreut. Außerdem scheitert das ja schon an den Nachbarn. Die Clubs machen zu, wenn sie nicht Zigtausende in die Lärmdämmung stecken. Aber irgendwo kommt doch wieder ein Bass durch. Was bedeutet für dich Heimat? Heimat ist für mich meine Lieben und die Szene. „Heimat“ ist allerdings ein komischer Begriff. Vor zwei Jahren war ich in Gorleben nachts vor dem Endlager und habe den Pressesprecher der Bürger-

initiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg gefragt: Warum ist eigentlich gerade der Widerstand der Bauern dort so groß, wo man doch eigentlich denkt, Bauer ist gleich konservativ? Er antwortete, Landwirte könnten eben ihren Acker nicht einfach zusammenrollen und woanders wieder aufstellen. Wenn du deinen Hof über Generationen bestellst, bist du mit ihm verwachsen. Das ist ein ziemlich natürlicher Heimatbegriff. Den kann ich noch nachvollziehen. Ich kann auch nachvollziehen, wenn man einen Dialekt spricht, dass man sich dort heimisch fühlt, wo er gesprochen wird. Ich bin in einer Bundeswehrsiedlung außerhalb Kaufbeurens aufgewachsen. Natürlich war die unmittelbare Umgebung für mich so was wie eine Heimat, aber andererseits waren mir die bürgerlichen Strukturen so zuwider, dass die Landschaft das nicht retten konnte. Dann bin ich nach München gekommen in die Großstadt und Großstadt ist für mich schon eher eine Heimat. „Stadtluft macht frei!“ Vor Jahren gab es ja eine Wiederentdeckung der Heimat durch die MundartDichtung. Stichworte Fredl Fesl, Biermösl Blosn bis heute bei LaBrass-Banda. Das ist für die jungen Leute so was wie eine Heimat. Wobei ich das so von außen betrachtet manchmal auch wieder als Heimattümelei empfinde. Ich als nicht Dialektsprechender sage: Nur weil es auf Bayerisch ausgedrückt wird, ist es nicht per se schon innovativ. Es geht schon um den Inhalt. Nur Dialekt reicht nicht. Sprache steht für dich also nicht für Heimat? Das ist spiegelbildlich mit den verschiedenen Kunstformen, in denen ich mich bewege. Ich fühle mich grundsätzlich heimisch, habe viele Wurzeln. Ich habe eine große Liebe zur Welt. (lacht) Abseits der Bühnen wirkst du eher introvertiert und ernst ... Sobald ich auf der Bühne stehe, geht die Post ab, aber um all das unter einen Hut zu kriegen, muss man oft konzentriert sein. Da gibt es tausend Kleinigkeiten, die erledigt werden müssen. Zu 90 % Bürokram übrigens. Dann muss man viel Texte lernen, sich vor einem Auftritt fokussieren. Ich gebe auch zu, dass ich privat nicht der gesellige Typ bin, der einen Stammtisch unterhalten kann oder will. Muss ich ja auch nicht.


40 curt // heimatg’schichten

Walter Heun ist der vielleicht wichtigste Netzwerker in der europäischen Tanztheaterszene. Seit er 1991 erstmals die TANZWERKSTATT EUROPA in München realisierte, hat sich das Festival zu einem der bedeutendsten Treffpunkte der internationalen zeitgenössischen Tanzszene entwickelt. Daneben ist Heun u. a. künstlerischer Intendant des Tanzquartiers Wien; er pendelt zwischen seiner Wahlheimat München, Wien und vielen anderen Tanzzentren der Welt.

TEXT: BOB PFAFFENZELLER // Foto: Johannes Mairhofer

Walter heun


Irgendwie sind wir alle lonely Cowboys Ein Gespräch über persönliche und künstlerische Heimat

Walter, du bist geborener Oberfranke, lebst und arbeitest in München und Wien. Wo fühlst du dich zu Hause? Ich bin im letzten Jahr rund 160-mal zwischen München und Wien hin- und hergependelt – irgendwie sind die Serviceleute im Railjet ein Stück Heimat für mich (lacht). Aber in München fühle ich mich daheim. Gerade nach längerer Zeit im Ausland freue ich mich, am Odeonsplatz zu sitzen und mir das alltägliche „Theater München“ anzuschauen. Oder an einem meiner Lieblingsorte, einem verschwiegenen Plätzchen hinter dem Haus der Kunst. Außerdem leben meine Kinder und meine Freundin hier. Wie kam es dazu, dass ausgerechnet München Heimat der TANZWERKSTATT EUROPA geworden ist? Zugegeben, in Wien z. B. passiert sehr viel mehr in der Tanzszene. Aber München ist meine Heimat. Ich habe ab Mitte der 80er-Jahre in München verschiedene Tanzprojekte mit angestoßen und vorangetrieben. Mit der Idee der TANZWERKSTATT EUROPA haben wir dann einen Antrag bei der Stadt München auf Förderung

gestellt – tja, und dann kommt es darauf an, sich sogenannte Matching Funds zu eröffnen. Das heißt? Der eine gibt was, wenn der andere was gibt und wenn man eine bestimmte Summe zusammenhat. Im Fall der TANZWERKSTATT EUROPA waren das die Stadt München, der Freistaat Bayern und die EU. Man muss sich also auch in der Welt der Förderanträge, Behörden und Ministerien zu Hause fühlen. Eine komplizierte Welt? Ja und nein. Wenn du als erster mit einer guten Idee zu den Leuten kommst, freuen sie sich. Heimat sind ja auch die Freunde, die man an bestimmten Orten hat. Wie ist das in deinem bewegten Leben? In der Tanzszene sind wir sind ja alle irgendwie lonely Cowboys, da bleibt kaum Platz für normale Beziehungen. Meine Freunde sind über den ganzen Planeten verstreut. Aber: Wir haben in München alle drei Monate einen Abi-Stammtisch, darauf freue ich mich jedes Mal.

Vom 30. Juli bis 9. August findet wieder die TANZWERKSTATT EUROPA in München statt. Deine persönlichen Highlights? Allein die Künstler wiederzusehen, ist wie nach Hause kommen. Und für mich schließt sich ein Kreis: Jérôme Bel wird „Pichet Klunchun and myself“ zeigen, eine Performance, die mich vor vielen Jahren sehr nachhaltig beeinflusst hat. Und die in München zum allerletzten Mal in Europa zu sehen sein wird.

Bei der TANZWERKSTATT EUROPA wird Jérôme Bel vom 5. – 9. August von 9.30–14 Uhr den Workshop „Performance Hell“ unterrichten. Bel wünscht sich ausdrücklich Laien, die noch nie zuvor getanzt haben oder mit dem Theater in Berührung gekommen sind. Wenn du das Gefühl hast, der Workshop ist so gar nichts für dich, dann bist du genau richtig! Wir verlosen Teilnahmeplätze auf curt.de/muenchen.

TANZWERKSTATT EUROPA // 30. Juli bis 9. August // Mehr Infos zum programm >> jointadventures.net


42 curt // heimatg’schichten

Heimat ist unser Business. Der Volk Verlag macht Lust auf Bayern.

„Heimat“, so sagt uns der 46-Jährige, „ist mehr als ein Zuhause. Heimat ist ein Gefühl.“ Seine Bücher macht er für Leute, die das genauso sehen – all jene, die diesen Begriff spüren und in Bayern mehr als einen Herkunftsort oder die gefällige Folklore sehen, die man den Touristen so gern um die Ohren haut. Mit bislang etwa 200 veröffentlichten Titeln zum Thema Heimat zählt der Volk Verlag zu den führenden Anbietern von Sachbüchern für bayerische Kultur. Michael Volk hat sich ganz bewusst dafür entschieden, bayerische und Münchner Themen als Schwerpunkt zu setzen. Mit seinem Studium der Geschichte hat er ohnehin eine Vorliebe für Historisches, Kultur und Brauchtum. Doch neben den Fakten will er mehr bieten – und zwar angenehme Inhalte, die Spaß machen. „Heimat“, so erklärt er, „ist für uns etwas Lebendiges, Erlebbares. Es gibt eine unendliche Zahl von Geschichten in diesem Bereich!“

TEXT: PETRA Kirzenberger // Fotos: achim schmidt

Wenn einer in dieser Ausgabe zu Wort kommen muss, dann wohl er – Michael Volk. Schließlich ist unser aktuelles Schwerpunktthema sein täglich Brot und seine Leidenschaft: Seit 2003 macht der Münchner in Heimat und gibt mit seinem Volk Verlag vorwiegend Bücher mit München- bzw. BayernBezug heraus. curt war „auf an Ratsch in der Tschüssfreien Zone“ – und fühlte sich schnell ganz wie daheim.

Ein Blick auf die Liste der bereits veröffentlichten und demnächst erscheinenden Bücher macht dies deutlich. So findet sich dort unter anderem eine bemerkenswerte Buchreihe, in der die Urbanisierung der Münchner Stadtteile in eindrucksvollen Aufnahmen sichtbar wird. Zudem gibt es Bairische Wortkunde und G’stanzl, Kochbücher, den Münchner Adventskalender, Kinderbücher, einen historischen Führer durch die ältesten Wirtshäuser Bayerns, Bildbände mit sagenhaften Luftaufnahmen unseres schönen Bundeslandes, Hörbücher, Comics, Bücher zum Thema Architektur, Brauchtum, Kunst- und

Musikgeschichte – und demnächst auch einen echten München-Krimi. Überdies versteht sich der Volk Verlag als eine Art Geschichtsarchiv. Michael Volk und sein Team bewegt Geschichtliches, Brauchtum und die Frage, wie es früher war. Wichtig sei aber vor allem, so Volk, nicht nur schöne Geschichten, sondern auch den idealen Autor zu finden – am besten einen, der seine Erzählung nicht nur recherchiert, sondern selbst erlebt habe. Und wie ist es denn zu guter Letzt mit Tradition versus Veränderung? Schließt sich das nicht aus? Die Antwort kommt prompt: „Den Ausspruch ,Mia san mia‘ kann ich in dieser Hinsicht nicht unterschreiben. Kultur ist lebendig, Brauchtum verändert sich seit jeher.“ Und mit Brauchtum meine er nicht jenes aufgesetzte Tun und Treiben, das man der Welt präsentiert. „Meiner Meinung nach ist Bayern verwurzelt genug, um fremde Einflüsse aufzunehmen und Neues zu integrieren. Genau so ist unsere Kultur ja auch entstanden!“

Mehr zum Volk Verlag und den Neuerscheinungen unter >> www.volkverlag.de


Michael Volk



heimatg’schichten // curt 45

Die schwuhplattler Ein traditionelles Brauchtum wie das Schuhplattln und Homosexualität – das war vor gar nicht allzu langer Zeit noch schlecht bis gar nicht zu vereinbaren. Bei den Münchner Schwuhplattlern treffen sich seit mehr als 15 Jahren Interessierte, um in schwuler Gemeinschaft zu machen, was sie sich in ländlichen Trachtenvereinen nicht getraut haben: geoutet zu platteln. Mittlerweile ist der Verein auf über 80 Mitglieder angewachsen und aus dem kulturellen Leben Münchens nicht mehr wegzudenken. curt sprach mit Stephan Niederleitner, der für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist. Wie kamst du zu den Schwuhplattlern? 2011 – im Rahmen der Vorbereitungen zu meiner Hochzeit. Einen klassischen „Hochzeitswalzer“ fanden mein Lebenspartner und ich unpassend und so haben wir uns von den Schwuhplattlern das Platteln beibringen lassen. Was macht euch aus? Wir sind an sich eine schwule Gruppe, es gibt aber weder ein Aufnahmekriterium „schwul“ noch andere entsprechende Voraussetzungen. Zu uns kann kommen, wer Spaß am Plattln hat und sich in unserer Gruppe wohlfühlt. Neuerdings zählen wir auch zwei Damen zu unseren Mitgliedern! Die Schwuhplattler sind eine tolle Truppe – viele sind für mich inzwischen auch wertvolle Freunde. Was ist Heimat für euch? Heimat ist ein Wert, der sich nicht unbedingt auf einen geografischen Raum reduzieren lässt. Heimat ist dort, wo man sich sozial eingebunden fühlt, wo man mitgestalten und teilhaben kann. So sind wir Schwuhplattler auch mit Blick auf die Herkunft unserer Mitglieder eine bunte Truppe.

TEXT: petra kirzenberger // Fotos: stefanie giesder

Traditionsbewusst – heimatverbunden – schwul


46 curt // heimatg’schichten

Im Sein politisch , im Selbstverstandnis heimatverbunden und im Tun sozial und integrativ – das ist die Formel , auf die man die Schwuhplattler bringen kann .


Wir haben einen Plattler mit ungarischen, einen mit chinesischen Wurzeln – ein Mitglied wohnt am Niederrhein und fährt alle zwei Wochen zur Plattlprobe nach München. Aber natürlich verbinden wir mit Heimat auch München, bayerisches Lebensgefühl und das Brauchtum unserer Region. Worin besteht eure Motivation – politischer Kampf oder Brauchtumspflege? Es ist noch nicht lange her, da hat es viel Mut gebraucht, eine bekennende schwule Gruppe zu bilden und damit in der Öffentlichkeit aufzutreten. Daher verknüpfen wir mit unseren Auftritten automatisch auch eine politische Botschaft. Wir werden immer wieder zu Veranstaltungen eingeladen, die für mehr Toleranz und Gleichberechtigung werben, also klar politisch motiviert sind. Wir sind aber über Politik und Brauchtumspflege hinaus auch sozial engagiert. So traten wie beispielsweise bei der „Initiative krebskranker Kinder“ oder der „Selbsthilfevereinigung für Taubblinde“ auf. Im Sein politisch, im Selbstverständnis heimatverbunden und im Tun sozial und integrativ – das ist die Formel, auf die man die Schwuhplattler bringen kann. Wie war das so, als Schwuler in einem bayerischen Dorf? Offen homosexuell zu leben, war bis vor Kurzem vor allem auf dem Land nicht immer einfach. Toleranz und Umgang mit Schwulen waren in den Heimattrachtenvereinen sehr unterschiedlich ausgeprägt. Zwei Mitglieder haben erzählt, dass ihnen der Austritt aus dem Verein nahegelegt wurde, als deren Schwulsein offenkundig wurde – eine bittere Erfahrung. Heute leben aber viele unserer Mitglieder in ländlichen Regionen. Sie fühlen sich dort wohl und sind gut aufgenommen. Was hat sich seit eurer Gründung verändert? Respekt und Offenheit unserer Gesellschaft gegenüber gleichgeschlechtlichen Lebensweisen haben sich in den letzten Jahren nach meiner Auffassung sehr positiv entwickelt. Das betrifft nicht nur die rechtliche Gleichstellung, sondern auch die Geisteshaltung der Menschen. Toleranz ist jedoch kein Selbstläufer und immer noch keine Selbstverständlichkeit. Wir müssen weiterhin für unsere Rechte und Akzeptanz eintreten. Toleranz ist in unserem Land auch immer ein Stück „political correctness“. Ausgrenzung und Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung sind heute nicht mehr so leicht möglich. Viele Menschen sind authentisch offen – jedoch haben wir noch lange nicht alle auf unserer Seite. Was war der von „daheim“ am weitesten entfernte Auftrittsort? Mit Auftritten in Berlin, Innsbruck, Köln, Zürich oder Rom sind die Schwuhplattler inzwischen international aufgestellt. Die weiteste Reise führte uns 2003 zum Equality Forum in die USA – ein fantastischer Erfolg!

Im Gespräch mit Stephan Niederleitner

>> schwuhplattler.de


48 curt // heimatg’schichten

Ein Bayer fur die Ewigkeit

Porträt des Tierpräparators Dieter Schön

Im Museum „Mensch und Natur“ am Nymphenburger Schloss lebt er weiter: Braunbär JJ1 alias Bruno, wie er sich gerade genüsslich über einen Bienenstock hermacht. In Pose gebracht und lebensecht für die Ewigkeit festgehalten hat ihn Dieter Schön, seines Zeichens Europameister und mehrmaliger Vizemeister in Sachen Tierpräparation. curt besuchte ihn in seiner Werkstatt.


TEXT: Melanie Castillo // Fotos: Stefanie Giesder

Derzeit wird im Museum an der neu geplanten Ausstellung „Aufgetischt“ zum Thema Ernährung und Nutztierhaltung gearbeitet – im konkreten Fall von Dieter Schön: die Präparation des Bullens Excalibur, ein Zuchtbulle aus einer Besamungsstation mit 1.400 Kilo Lebendgewicht. „Wenn i scho a Rindvieh mach, dann muss es a a Gscheids sei“, kommentiert er und tätschelt liebevoll den Kopf seines angefertigten Bullen-Rohmodells. „Des is a echter Bayer!“ Bis das Rohmodell aus Polyurethanschaum-Masse in Lebensgröße in seiner Werkstatt stand, floss viel Wasser die Isar hinunter. „Der Prozess der Präparation beginnt am lebenden Tier. Ich verinnerliche seine Bewegungsabläufe, mache Fotos, Skizzen und Vermaßungen. Wenn der Kadaver dann vor mir liegt und ich anfange, ihn zu häuten, muss ich die Beziehung, die ich zu dem Tier entwickelt habe, komplett ausblenden.“ Die Leidenschaft für den Beruf entdeckte Dieter Schön mit zwölf Jahren, als ihm sein Firmenpate, ein leidenschaftlicher Jäger, einen präparierten Waldkauz schenkte. Heute, mit 53 Jahren, kriegt er die Anzahl seiner Präparationen seit seiner Lehre gar nicht mehr zusammen.


Excalibur in voller pracht – aus Polyurethanschaum-Masse


heimatg’schichten // curt 51

Während man sich in Präparatoren-Insiderkreisen als „oider Ausstopfer“ liebevoll foppen darf, ist der Ausdruck „ausstopfen“ schlichtweg falsch, denn die heutige Arbeitsweise hat damit nichts zu tun. „Die Präparationskunst wird allgemein verkannt. Wir stehen mit unserem Exotenberuf in der Öffentlichkeit im falschen Licht da, weil wir mit toten Tieren arbeiten. Dabei fordert die Arbeit großes handwerkliches Geschick, exakte Kenntnis der Anatomie, präzise Recherche, bildhauerische Fähigkeiten, Kreativität, Leidenschaft für die Natur – und keine Scheu vor unästhetischer Arbeit.“ Zunächst zieht Dieter Schön die Haut vom Kadaver ab und lässt sie anschließend vom Gerber verarbeiten – sie muss dehn- und stauchbar bleiben, um sie am Ende um das fertige Polyurethanschaum-Rohmodell mit Hautkleber in Position bringen und vernähen zu können. Davor werden Kopf und Muskelpartien in monatelanger Arbeit mit Ton detailgetreu modelliert, am Ende Nase und Lippenbereiche sorgfältig nachkoloriert. „Ein gutes Modell hält für die Ewigkeit.“ Lang lebe Excalibur! Museum Mensch und Natur am Schloss Nymphenburg >> http://mmn-muenchen.de

„ oider

ausstopfer “

Neben der Arbeit an Excalibur gibt es für Dieter Schön im Museum noch etliche andere Dinge zu tun wie Ausstellungsauf- und -abbau, Gestaltung von Dioramen, Modellbau, Strukturarbeiten und Pflege an den Präparaten, Schädlingskontrolle, Bearbeitung von rechtlichen Bereichen des Artenschutzes, Gutachten bei Schenkungen, Beschaffung von toten Tieren aus Zoos und Instituten. Außerdem betreibt der ausgebildete Meister seit 1991 im oberösterreichischen Mühlviertel sein renommiertes Unternehmen für Tierpräparation und Modellbau >> schoen-praeparator.at


52 curt // heimatg’schichten

Home made Honig aus Minga über die geniale initiative „münchen summt!“

IMKER Ralf Armbrecht auf dem dach des gasteig


Der Gasteig, das Haus der Architektur, die Seidlvilla, das Gärtnerplatztheater, die Kirche St. Maximilian und die Neue Pinakothek – sie alle haben eines gemeinsam: Im Rahmen der Initiative „München summt!“ bieten sie heimischen Bienen auf ihren Dächern eine neue Heimat.

TEXT: Antonia rode // Foto: adrian leeder

Die Idee, Bienen auf den Dächern der Stadt zu beherbergen, war eigentlich aus der Not geboren: Jean Paucton, ehemaliger Requisiteur an der Alten Oper von Paris, musste seine Bienen wegen Beschwerden der Nachbarn notgedrungen vom Balkon aufs Land umsiedeln. Übergangsweise stellte der Hobby-Imker den Bienenstock heimlich aufs Dach seiner prominenten Arbeitsstelle. Als Jean sein Bienenvolk wieder abholen wollte, stellte er verwundert fest, dass es weitaus mehr Honig produziert hatte als seine Völker auf dem Land. Das war 1982. Seither haben viele Städte die Idee aufgegriffen und es summt allerorten auf Deutschlands Dächern: Als Teil der Initiative Deutschland summt! – ins Leben gerufen von der Stiftung für Mensch und Umwelt – auch in München. Das Team um Ralf Armbrecht, Sigrun Lange und Harald Weiß will in Bayerns Hauptstadt Aufmerksamkeit für das Bienensterben wecken und den Stadtbewohnern verdeutlichen, wie wichtig Bienen für ein ausgewogenes ökologisches System sind. Aber warum nehmen Bienen Stadt und Dach gerne als neues Zuhause an? Fühlen sie sich auf dem Land nicht wohler – fernab von Abgasen, Lärm und Feinstaub? Nicht unbedingt! In der City bieten Balkonkästen, Parks und Schrebergärten den Bienen eine

reiche Auswahl an Pollen, die auch noch länger blühen, ist es in der Stadt im Durchschnitt doch wärmer als auf dem Land. In ländlicher Umgebung stehen den Bienen zudem oft nur gespritzte Rapsund Maismonokulturen als Nahrungsquellen zur Verfügung. Sandra Seefeld ist eine der engagierten Münchner Hobby-Imkerinnen, die mittlerweile sechs Bienenvölker ihr Eigen nennt. Zusammen mit ihrem Mann Norman kümmert sie sich jede Woche um ihre Bienenvölker auf dem Flachdach der Neuen Pinakothek. Nach einem Anfänger-Imkerkurs, der den zukünftigen Bienenpflegern alles rund um Bienen, den Umgang und die Pflege mit den Insekten und die Ausstattung erklärt, ging es recht schnell weiter. Die junge Mutter erfuhr von der Idee, Bienenvölker gewollt in die Innenstädte auf prominente Dächer zu platzieren, und nahm Kontakt mit München summt! auf. Das weitläufige Flachdach der Neuen Pinakothek erschien ihr für die Bienenzucht bestens geeignet, mögen Bienen doch weder pralle Sonne noch viel Wind. Zu trinken brauchen sie natürlich auch etwas. Die Bäume der Lindenallee neben der Neuen Pinakothek spenden Schatten – check. Die Architektur des Daches schützt die Brut vor zu viel

Wind – check. Durch das offene Dach der Neuen Pinakothek gelangen die Bienen schnurstracks zu dem künstlichen See, um ihren Durst zu stillen – check. Alles in einem: ein Bienen-Paradies mitten in Minga. Auf einem Dach inmitten der City sind die Völker außerdem vor der vermeintlich größten Gefahr geschützt: andere gierige Imker. Die Nachfrage für Bienenvölker ist weitaus größer als das Angebot. Die Imkerei ist auch ein kostspieliger Zeitvertreib: Die Kosten für ein Bienenvolk belaufen sich auf rund 150 Euro. Deshalb bekommt Norman Seefeld als Vorstand des Münchner Bezirksbienenzuchtvereins e. V. oftmals auch Geschichten von bestohlenen Imkern zu hören, wenn über Nacht Völker samt Beute spurlos verschwunden sind. Ihr habt jetzt auch Bock auf das geile süße Zeug? Dann besucht die Internetseite der Initiative München summt!. Dort könnt ihr auf einem virtuellen Stadtplan euren Wohnort eingeben und erfahrt, welche Bienen euch besucht haben und wo ihr in eurer Nähe echten Münchner Honig erwerben könnt.

>> muenchen.deutschland-summt.de


54 curt // heimatg’schichten

heimat to go

Bazi s Schlemmer Kucherl

TEXT: annika liebeknecht // Fotos: eva fredrichs


Das Bazi’s Schlemmer Kucherl verkauft Schweinsbraten, Obadzden und andere bayerische Schmankerl zum Mitnehmen – inklusive einem angenehm-wohligen Gefühl von Heimat. Ein Perser und ein Türke wollen in der Müllerstraße einen Imbiss eröffnen. Noch ne Dönerbude? Keine Ahnung, die Wievielte das wäre. Aber Deniz Sevengül und Hamed Ghahremani planen etwas ganz anderes: bayerisches Fastfood. Die bayerische Küche und das Essen liebend, eröffnen sie im April 2013 kurzerhand einen Imbiss und stellen die bekannten Asia- und Dönerboxen um auf Baziboxen – gefüllt mit Schweinsbraten, Rotkraut und Knödeln. Kochen gelernt haben Sie während einer Ausbildung zum Restaurant-Fachmann und anhand von Kochbüchern. Die Speisen im Bazi’s werden jedoch mittlerweile nach einem eigenen geheimen Rezept kreiert und immer wieder mit modernen Nuancen verfeinert. So zum Beispiel der Bayrito, ein Burrito gefüllt mir Knödeln, Rotkraut und Schweinebraten, oder ein Burger belegt mit Schweinekotelett und Mango-Chili-Sauerkraut – alles immer frisch und selbstgemacht. Hinzu kommt, dass die Zutaten der bayerischen Fastfood-Schmankerl ausschließlich von regionalen Händlern stammen. Ein großes ABER wird nun bei vielen im Kopf auftauchen: Muslime und Schweinefleisch, wie kann das funktionieren? Für die beiden ein ganz einfaches Thema. Sie sind in München und als Münchner aufgewachsen und da gehört ein deftiger Schweinsbraten einfach dazu. Auf den ersten Blick muten die beiden in bayerischen Trachten hinter dem Tresen schon kurios an. Auf den zweiten Blick allerdings sind sie einfach zwei Münchner, wenn auch Zugezogene, die den bayerischen Lebensstil, das Essen und die gemütliche Einstellung lieben. Hamed und Deniz haben München zu ihrer Heimat gemacht und davon geben sie jeden Tag einen Teil an ihre Kunden weiter. Nicht umsonst ist ihr Leibgericht der Schweinsbraten – das wohl deutscheste Heimatgericht, das man sich vorstellen kann. Bazi’s ist ideal für die Mittagspause, den kleinen Hunger nach einer nächtlichen Sause oder bei Heimweh. Wenn also das nächste Mal bei dem Gedanken an Muttis Sonntagsbraten eine Träne weggedrückt werden muss, dann nichts wie ab zu Bazi’s. Denn Futtern wie bei Muttern kann man dort jederzeit

bazi‘s schlemmer kucherl // MüllerstraSSe 43 // Mo–Do 10–00 Uhr, Fr 10–05 Uhr, Sa 14–05 Uhr >> facebook.com/Bazimuenchen


56 curt // heimatg’schichten

NOH NEE

Dirndl à l’Africaine


TEXT: Nurin Khalil // Fotos: Achim Schmidt

Die Schwestern Marie und Rahmée, beide gebürtig in Kamerun, verkaufen in ihrem Laden NOH NEE in der Hans-Sachs-Straße bayerische Dirndl aus afrikanischen Stoffen. Wie man auf solch eine Idee kommt, erzählte uns Rahmée im Interview. Wie kam es zu Dirndl à l’Africaine? Das war Maries Idee. Sie hat mit afrikanischen Stoffen experimentiert, hatte eine Modenshow. Dann kam innerhalb eines Brainstormings die Anregung: „Mach doch mal was Besonderes mit dem Stoff, ein Dirndl oder so.“ Anfangs hatten wir ein 50er-Jahre-Kleid, das dann immer mehr das Dirndl-Gesicht angenommen hat. Man konnte auch dann erst sehen, was man aus den Stoffen überhaupt machen kann, dass es funktioniert. Fertigt ihr die Dirndl nach eueren Ideen oder auch nach Auftrag? Nein, wir kreieren diese Dirndl. Wir sind kein Nähatelier! Das rührt nicht von Arroganz, wir haben uns was dabei gedacht. Wir geben die Sachen raus,

marie und rahmée

wenn wir das Gefühl haben, es ist gut. Marie überlegt, wie sie den Stoff schneiden kann. Da muss man auf Dynamik achten, Symmetrie, wie das Muster fällt. Es ist echt verrückt: Wenn du das dann trägst, ist das ein Gesamtkunstwerk. Mit Pailletten oder Muscheln machen wir auch Teile, das geht schon Richtung Abendkleidung. Das Innenfutter ist traditionell bayerisch, totaler Kontrast. Sind das dann Einzelstücke? Einzelschnitte ja, Einzelstücke nicht. Die Kreation kommt erst, nachdem wir die Stoffe gekauft haben. Wir modernisieren aber auch ein wenig. Man kann eine Schleife verwenden, aber man muss nicht. Man kann Schürze tragen, aber man muss nicht. Die Schürze ist ländlicher, ohne sie wirkt es eher wie ein Kleid.

glieder beim bayerischen Business Club. Sie nennen unser Produkt gelebte Integration. Wir verändern keine Kultur, sondern bringen Frische rein. Wir sind IN der Kultur, das ist das Schöne. Es ist kein Mode-Gag, sondern die Arbeit mit der Kultur, der friedliche Weg, Kulturen zu verbinden. Was für Pläne habt ihr für die Zukunft? Was feststeht: Wir werden nie eine Fabrik. In der Masse hat man keine Kontrolle mehr. Wenn du Bio-Baumwolle hast und Menschen knechtest, um sie zu bekommen, dann bist du nicht nachhaltig. Es kann sein, dass wir mal eine kleinere Werkstatt hier vor Ort eröffnen, sodass die Produktion nicht mehr nach Passau muss. Wir verkaufen die Sachen nicht für zwei Euro, schicken sie aber eben auch nicht nach Indien, um Geld zu sparen.

Aber ihr macht auch Schürzen, wenn gewollt ... Ja, wir haben bayerische Schürzen, das ist dann eine verrückte Mischung. Aber es passt. Dann ist es mit Bluse und Schürze echt bayerisch. Es kamen schon Leute, die dachten: „AFRIKA! Aber wo sind die Schlangen- und Zebramuster?“ Dann kam ein richtiger Bayer und meinte ganz enttäuscht: „Das ist ja schon bayerisch.“

Abschließend: Was ist Heimat? Das ist sehr individuell. Jeder hat die Antwort für sich. Meine Heimat ist da, wo meine Menschen sind. Es hat schon auch was mit dem Ort zu tun, mit Zeit, die man dort verbracht hat. Wenn ich jetzt nach Kamerun gehe, bin ich Tourist. Hier bin ich verwurzelt, hier sind meine Menschen. Wo die Zelte sind, die man aufgeschlagen hat, da ist die Heimat.

Auf eurer Facebook-Seite steht, dass verletzende Kommentare sofort gelöscht werden. Habt ihr derartige Erfahrungen machen müssen? Nein, überhaupt nicht. Wir sind sogar Ehrenmit-

NOH NEE – Dirndl à l’Africaine, Hans-Sachs-StraSSe 2 >> dirndlalafricaine.com


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Heimatstoff und Sommerfreuden

TEXT: PETRA Kirzenberger // Fotos: gePPebba

Trifft Bayern auf Schweden und Handwerk auf Kunst und Nachhaltigkeit und hat das Ganze dann auch noch mit Mode zu tun, so ergibt das eine ziemlich spannende Mischung: Unter dem Namen„oipnglügg“ haben Patrick Clemens alias Geppetto und seine Frau Ebba Lindström eine extravagante Denim-Shorts kreiert, die definitiv das Zeug zur Lieblingsklamotte im Kleiderschrank des hippen Münchners hat. curt sprach mit den beiden Lebenskünstlern über Mode, Kunst und Heimat.

Schick ist sie anzuschauen, die aparte Alternative zum traditionellen BayernBeinkleid! Der klassische Lederhosenschnitt wurde so abgeändert, dass die Hose gleichermaßen stylish wie alltagstauglich ist. Drei Modelle gibt es bereits im Online-Shop zu erwerben, im Sommer 2014 bringt „oipnglügg“ eine weitere „vegane Lederhose“ auf den Markt – in Kooperation mit dem Münchner Künstler Raymond Miller (Heimatstoff). Das Material der Hose ist ein Baumwollgewebe, wie es auch zur Herstellung sogenannter Zunfthosen für Zimmermänner verwendet wird. Das plus die aufwendigen Stickereien machen sie zu einem Zuckerl für die Augen. 2003 haben der Dipl.-Sportwissenschaftler und die Modedesignerin die Dachmarke „geppebba“ gegründet. Das erste Hosenmodell, das sie damals erstellten, ist auch heute noch im Sortiment. Im Lauf der Jahre kamen zusätzlich Kleinstserien von Taschen und Shirts hinzu. Begonnen hat alles in München, doch seit rund fünf Jahren pendelt das Paar samt Kindern zwischen Bayern – ihrer alten – und Schweden – ihrer neuen Heimat – hin und her. Die Entscheidung, die Zelte in der Isarstadt abzubrechen, fiel nicht leicht, doch angesichts der hohen Lebenshaltungskosten wurde es immer schwieriger, ihren Traum zu verwirklichen. Zu viel Zeit ging dabei drauf, die Fixkosten mittels allerlei Nebenjobs zu decken. So blieb kaum Energie, um ein Modelabel aufzubauen und Prototypen zu entwickeln.

Das Leben in Südschweden ist wesentlich günstiger, die Familie lebt in schönster Natur nahe dem Meer, die Kinder sind gut betreut, und, wie Geppetto verrät: „Man kann sich hier gut auf die Arbeit konzentrieren, denn außer so Dingen wie Holz hacken gibt es kaum Ablenkung.“ Doch obwohl sich „geppebba“ in Schweden wohl fühlen, sind sie noch sehr mit ihrer Heimatstadt München verbandelt. Der Spagat, den die beiden schaffen, ist nicht nur der zwischen Eltern- und Künstlerdasein oder Heimat und Fremde, sondern eben auch der zwischen Stadt- und Landleben. „Hat man in der Stadt die Milch vergessen, ist das kein großer Akt. Hier muss ich fünf Kilometer radeln, um welche zu holen. Und das ist nur die einfache Strecke!“, lacht Ebba. Geppetto ergänzt: „Ich fühl mich manchmal schon ein wenig wie im Exil. Der Walchensee fehlt mir, außerdem das gute bayrische Bier.“ Er habe aus lauter Heimweh sogar einmal mit einem dort ansässigen Österreicher Starkbier auf offenem Feuer gebraut. Dieser Versuch wurde allerdings mangels trinkbaren Ergebnisses nicht wiederholt. So können geppebba weiterhin Mode zur Kunst und Kunst zur Mode machen. Die Kreativität der beiden Designer scheint von der Entbehrung der bayrischen Heimat zu profitieren, denn sie tüfteln gerade an neuen Ideen und haben sicherlich noch einiges in petto.

>> geppebba.com/oipnglugg


TEXT: Pepillo Pape, Foto: Mumpitz

Die drei sind also unterwegs, doch in keiner Ecke können sie die Heimat finden. Sie beklauen sogar den Kaugummiautomaten, um festzustellen, dass er nur noch Zigaretten verkauft. In ihrer größten Not wenden sie sich an den Lehrer: „Herr Lehrer! Wir haben die Heimat verloren. Wo finden wir denn jetzt unsere schöne Heimat wieder?“ Darauf antwortet ihnen der Lehrer g’scheid: „Meine jungen Purschen. Die Heimat findet ihr nicht hier oder da. Die Heimat ist in euch selbst!“ „Was?“, fragt der Hans, „Wo?“, fragt der Simmerl, „Warum und überhaupt?“, fragt der Ernstl. Alle drei sind sehr verwirrt. Und nachdem sie eine ganze feine Weile zusammen über dies und das und den ganzen Abend grübeln, stellen sie fest: „Heimat ist doch Mumpitz!“

Den Hans und den Ernstl erblickte er schon aus einiger Entfernung. Sie saßen bei der Großmutter vorm Haus und verspeisten einen Apfelkuchen. Dem Simmerl seine Bremsen machten ein heiseres „Bbbrrrätz“, als sein Mountainbike zum Stehen kam. Der Hans und der Ernstl waren sich einig: „Griasdi Simmerl! Magst einen Apfelkuchen?“ Darauf der Simmerl sehr aufgeregt: „Freunde! Wo ist die Heimat?“ Guter Rat war teuer. Da kam die Großmutter mit einer Limo hinzu. Alle drei: „Großmutter, bringst noch einen Kuchen? Und hör mal: Der Bürgermeister hat gesagt, wir sollen die Heimat nicht verlieren, und der Simmerl weiß nicht, wo er sie hingetan hat!“ Die Großmutter hat noch was vom Kuchen abgeschnitten, mit Sahne serviert und den drei Buben erzählt: „Buben jetzt passt mal auf! Wenn ihr nicht wisst, wo ihr die Heimat hingetan habt, dann geht doch schauen, wo sie ist.“

Am vorletzten Dienstag im Jahr 2011 war der Simmerl sehr aufgeregt. Als er vom Baden zurückgekommen ist, wollte er mit dem Rad den Ernstl und den Hans besuchen. Der Weg geht mitten durch die Stadt und auf dem Marktplatz hat der Bürgermeister gerade seine Geschichten erzählt. Was der Simmerl noch gehört hat, war: „... die Heimat nicht verlieren!“ Zuerst ist er weitergefahren, aber dann hat es ihn fast über den Lenker gehauen: „Hab ich die Heimat dabei?“ Da war er sich jetzt nicht mehr so ganz sicher. Wo hatte er sie hingetan? Im Rucksack war sie nicht. Er gab dem Veloziped die Sporen, um schnell zu seinen Freunden zu gelangen.

mumpitz

so ein 60 curt // heimatg’schichten


Mumpitz ist ein winziges , aber extrem aufstrebendes Kleinunter nehmen dreier Freunde aus dem Munchner Raum , die es sich zum Ziel gesetzt haben , Klamotten zu machen , die keiner braucht , aber jeder haben will .

Ihre Hedonismus-Overalls sind Perlen für die Couch und durchdacht von der extragroßen Kapuze über geschmeidige Reißverschlüsse bis hin zu den überlangen Beinen, die auch beim Tief-in-CouchRutschen nicht den Schritt in den Schritt zwickelzwackeln. Mumpitz ist die einzige hochwertige und rostfreie Alternative zum Massenware-Billigshit, denn sie werden in der EU aus GOTS-Material gefertigt (garantiert fairer Handel und ökologischer Umgang mit Ressourcen vom Anbau der Baumwolle bis hin zum fertigen Stoff inklusive Farben).

>> mumpitz.me >> facebook.com/mumpitz.me


das pendant zum wolpertinger in thĂźringen: der Rasselbock

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Rettet die Wolpertinger TEXT: adrian leeder // illus: paul grabowski

Der Wolpertinger (bayer. Woibbadinga) ist ein scheues, nachtaktives Wesen aus den bayerischen Wäldern. Die Herkunft ist äußerst rätselhaft, spekulativ und stets widersprüchlich: Wissenschaftliche Abhandlungen aus dem Mittelalter und der Renaissance berichten bereits von den seltenen Waldgeschöpfen in Mittel- und Nordeuropa. In der Kunst wurden die sagenumwobenen Kreaturen schnell aufgegriffen, wovon berühmte Gemälde wie Jan Brueghels d. Ä. (1568–1625) „Madonna mit Kind, umgeben von Blumen und Früchten“ zeugen. Im Volksmund ist von einem Liebesakt zwischen einem einsamen Hasen und einem Rehbock bei Vollmond vor 200 Jahren die Rede, aus der ein hörniger Hase (lat. Lepus cornutus) hervorging und die häufigste Form darstellt. Seltener sind Kreuzungen aus bis zu fünf Tieren. Die kuriosen Paarungen stoßen bei Tierfans auf großes Interesse. Wolpertinger sind für sie die neuen Oachkatzl. Auf Kinder haben die seltenen Exemplare aufgrund scharfer Zähne und großer Krallen meist eine furchterregende Wirkung, obwohl Übergriffe auf Menschen hierzulande nicht bekannt sind. Erfolglose Jäger stempeln den Wolpertinger als Fabelwesen ab, leugnen seine Existenz und behaupten, gewiefte Präparatoren hätten sich den „Wolpi“ für Naturkundemuseen einfallen lassen. Dafür sprechen gut ausgestattete Naturkundemuseen und historische Jagdsammlungen, wie das Deutsche Jagd- und Fischereimuseum in München, das kürzlich eine Sonderausstellung zeigte. Den Grantlern stehen allerdings kürzliche Sichtungen namhafter Ornithologen im Naturschutzgebiet der Hemhofer/Eggstätter Seenplatte entgegen, bei denen gleich mehrere frivol umhertollende Exemplare im Gebüsch entdeckt wurden. Demzufolge haben sich die Waldtiere neue Lebensräume gesucht. Außerhalb Bayerns sind weitere Verwandte verzeichnet, die allesamt vom Aussterben bedroht sind: Da wäre der thüringische Rasselbock – eine Kuriosität im Tierreich des Thüringer Waldes – und die Pfälzer Elwetritsch. Außerdem der Blutschink (Tirol), die Dahu (Schweiz) und der schwedische Skvader. Der amerikanische „Jackalope“ gilt als aggressiv und wird als „Krieger-Hase“ bezeichnet. Sein Geweihwuchs wurde anscheinend durch einen Shope-Papilloma-Virus hervorgerufen. Der Milch der Weibchen wird eine heilende Wirkung nachgesagt, sodass Tierschützer die Pharmaindustrie für die geringen Bestandszahlen aufgrund medizinischer Interessen verantwortlich machen. Seit 1992 wird von der „Schutzgemeinschaft Deutsches Wild“ das Tier des Jahres gewählt. Der Wolpertinger war bisher nicht dabei. curt setzt sich dafür ein, dass zukünftig auf die Gefährdung dieser hybriden Tierart hingewiesen wird und der Mensch dessen Lebensraum nachhaltig schützt. Wir unterstützen das für 2015 geplante „Internationale Symposium zum Schutz des Wolpertingers und naher Verwandten“ in Kaufbeuren. Ein gutes Zeichen kommt vom Bayerischen Jagdverband, der kürzlich ein ganzjähriges Jagdverbot für Deutschland initiiert hat.


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Bayern A BC TEXT: JULIA FELL // FOTO: STEFANIE GIESDER


A

Almabtrieb: spätsommerliche Euterparade. Mitte September bis Mitte Oktober treiben die Hirten ihre Kühe runter vom Berg und hinein in die Stallungen zum Überwintern. Ist die Weidesaison gut verlaufen, werden die Viecher mit allerlei Blümchen geschmückt und bimmeln der sogenannten Kranzkuh nach Hause hinterher. Und weil das so schee ist, gibt’s Musi, Bier und buntes Festtreiben für alle rundherum. Um Pfingsten rum geht’s dann wieder nauf.

D

Dietl, Helmut: Filmemacher, Drehbuchautor und Homie von Patrick Süskind („Das Parfum“). Dafür, dass er als Regisseur von „Monaco Franze“ und „Kir Royal“ der Welt kleine, aber feine Serien geschenkt hat, die das Münchner Schickimickitum so wunderbar und herzlich porträtieren, gehört ihm ein Bundesverdienstkreuz angesteckt. Dass er mit Veronica Ferres Ringelpiez mit Anfassen gespielt hat, verzeihen wir ihm auch.

G

Goaßlschnalzen: Peitschen-Solo der Kutschersleute. Die Polizei schwingt Alarm, wenn sie gehört, gesehen oder einfach nur Aufmerksamkeit erregen will, der Kutscher lässt lieber galant seine Peitsche (Geißel) sausen. Laut knallend oszilliert seine Fuchtel durch die Luft, als gäb’s kein Morgen mehr. Bekannte Schlagarten sind Vorhandschlag, Rückhandschlag, Doppelschlag und die „Triangel“. Je geschickter der Kutscher, desto abgefahrener der Sound, desto mehr street credibility.

B

Bierdackel (aka Zamperl, Teppichporsche oder behaarte BiFi): durstiger Dachshund mit Weißbierjieper. Bier ist für kleine Köter natürlich dauerhaft keine Lösung. Deswegen hat die Stadt München an einigen Zierbrunnen im Stadtzentrum „Zamperl-Trinkstellen“ eingerichtet, die selbst der kurzbeinigste Wastl erreichen kann, z. B. am Fischbrunnen (Marienplatz).

E

Eierlauf, Remlinger: olympische Disziplin aus Unterfranken. Unverheiratete, unbescholtene Burschen (ohne Vorstrafen) treffen sich am Ostermontag im Ort, um von jedem Haushalt Eier einzusammeln. Gegen 14.30 Uhr stellen sie sich am Marktplatz in zwei Reihen auf, um ein vom Eierlaufbürgermeister ausgeteiltes Los zu erhalten, mit dem die späteren „Läufer“ und „Sammler“ ermittelt werden. Vom Organisationsgremium werden 75 Eier im Abstand von 2 Fuß (ca. 62 Zentimeter) auf einer Linie ausgelegt. Diese Eier muss der Sammler, angefangen beim am weitest Entferntesten, schnellstmöglich und jeweils einzeln aufheben und in einen Korb am anderen Ende der Eierlinie werfen. Gleichzeitig muss der Läufer zum 2.130 Meter entfernten „Remlinger Eierlaufstein“ sprinten, ein Ei dagegenwerfen und wieder zurückjoggen. Sieger ist der Erste im Ziel. Siegerprämie: den restlichen Tag zechfrei.

C

Christbaumloben: das sozialverträgliche Schnorren in der staden Zeit. Im Dezember ist es dunkel, kalt und fad, alles und jeder verkrümelt sich an den heimischen Kamin. Um sich zu vergewissern, ob der Nachbar, den man seit Wochen nicht mehr gesehen hat, noch lebt, klopft man in ganz Bayern in der Weihnachtszeit an seine Tür. Unter dem schwindeligen Vorwand, dass man dessen Christbaum gerne bewundern möchte, wird man hineingelassen. Man bestaunt die Weihnachtstanne, schleimt ein bisschen rum und kriegt dafür einen Schnaps. Dann geht’s weiter zum nächsten Bekannten. Auch eine Art, die düstere Jahreszeit rumzukriegen.

F

Fischer’s fröhlicher Tag: Bier für die ABC-Schützen! Im 19. Jahrhundert legte das Ehepaar Friedrich und Katharina Fischer testamentarisch fest, dass jedes Erdinger Schulkind bei diesem Fest zwei Bratwürste und einen Liter Bier bekommen soll. Um Ärger mit dem Jugendamt zu vermeiden, hat man den Brauch mittlerweile uminterpretiert. Am ersten Freitag im Juli haben alle Grundschüler schulfrei, kriegen eine Brotzeit, nicht-alkoholische Getränke und Bespaßung.

H

Hoagascht: bajuwarische After-Work-Party. Unter Hoangartn, Huigert oder Hoimgarta versteht man noch heute auf dem Land das gesellige Beisammensein von Freunden im heimischen Vorgarten (daher der Name). Bissal Musi machen, Kartenspielen und Ratschen halt.


I

Immaterielles Kulturerbe: virtuelles Sammelbecken der Nostalgie. 2003 hat die UNESCO beschlossen, dass nicht nur Bauten, Denkmäler, Naturwunder etc. geschützt werden müssen, sondern auch Bräuche, Traditionen, Feste und Handwerkstechniken. Die BRD ist diesem Abkommen letztes Jahr beigetreten, seitdem trudeln bei der Stadt München zahlreiche Bewerbungen ein – darunter die Passionsspiele in Oberammergau, der Münchner Viktualienmarkt und das deutsche Reinheitsgebot. Denn Bier gehört nicht gepanscht, findet der Deutsche Bauernbund. 2015 wird sich herausstellen, ob die UNESCO das auch so sieht.

L

J

Juralamm: ebenso zart wie schmackhaft. Als die Dinos noch über die Auen hüpften, bedeckte ein großes Meer die Region zwischen Sulzbach-Rosenberg und Kelheim. Daraus entstand der Bayerische Jura, der sich über Kelheim, Neumarkt i. d. Oberpfalz und AmbergSulzbach erstreckt. Die Landschaft dort ist zwar eher karg, hat aber mit ihren kräuterreichen Magerrasen und Wacholderheiden durchaus ihre Reize. Nur die Schäfer, die ihre Herden an ökologisch ausgesuchten Plätzen im nördlichen Jura grasen lassen, dürfen ihre maximal sieben Monate alten Schäfchen als „Juralämmer“ verkaufen.

Ludwig II.: die bayerische Antwort auf Michael Jackson. Bevor er 1886 unter mysteriösen Umständen im Starnberger See ertrank, führte der Kini ein Leben wie im Märchen. Mit den Schlössern Neuschwanstein, Lindenhof und Herrenchiemsee setzte er sich ein Denkmal, seinen Lieblingskomponisten Richard Wagner förderte er großzügig. Mit den Frauen wollte es nicht so recht klappen; bis auf eine Verlobung mit Sophie in Bayern (Sissis kleine Schwester) gab es keine namhaften Verbindungen mit dem schönen Geschlecht. Nachdem er kurz vor der Hochzeit kalte Füße bekam und damit für reichlich Ärger sorgte, zog Ludwig sich immer mehr aus der Öffentlichkeit zurück. Ob er schwul war oder nicht, sorgt heute noch für Spekulationen. Vielleicht war auch das ein Grund dafür, dass er 1886 von verschiedenen Ärzten als „seelengestört“ und „unheilbar krank“ erklärt wurde. Wenig später wurde er von der bayerischen Regierung entmündigt. Er starb hoch verschuldet, ziemlich einsam und womöglich aufgrund seiner sexuellen Orientierung geächtet. Im Himmel hat er mit dem King of Pop nun mindestens einen, der ihn versteht.

M

Mötley Crüe: eine amerikanische Kapelle mit Geschmack. Warum benutzt eine US-Band eigentlich Umlaute, die es im Englischen gar nicht gibt? Dafür gibt es eine logische Erklärung, die jeden Münchner mit Stolz erfüllen wird. Das Lieblingsbier der Rocker ist nämlich: Löwenbräu! Bevor sie sich das hinter die Binde kippten, nannten sich die Jungs „Mottley Krew“, nach einem Schlückchen Münchner Flüssigbrotes schworen sie dem Hopfentee ewige Loyalität und krönten ihren Namen mit Doppelpunkten. Kein Scheiß!

K

Kaut, Ellis: Grande Dame der Lausbubigkeit. Der Name dieser Wahl-Münchnerin ist nur eingeschworenen Kinderbuchfans geläufig, aber was sie geschaffen hat, kennt wirklich jeder: den aufmüpfigen, rotschopfigen Winzkobold, der Meister Eder auf Trab hält. Übrigens hatte die Pumuckl-Erfinderin 1938 die Ehre, als erstes Münchner Kindl in der Geschichte den Einzug der Wiesnwirte anzuführen.

N O

Nordösterreicher: alternative Bezeichnung für einen Bayern. Wer das hierzulande laut ausspricht, der ducke sich schnell vor den durch die Luft fliegenden Maßkrügen.

Obatzn (Obatzda): leckerer Käse-Smoothie. 250 g Frischkäse mit 3–4 EL Milch verrühren, dann 200 g gestückelten Camembert, ½ Bund Schnittlauch, eine fein gehackte Zwiebel, 1 EL Butter und einen guten Schuss Obstler dazubatzen. Mit Knofi, Kümmel, Paprikapulver, Muskatnuss und Koriander würzen.

P

Prosit der Gemütlichkeit: bekanntester Saufsong überhaupt. Tja, liebe Traditionalisten, jetzt wird es hässlich. Die Mutter aller Wiesn-Hits stammt nicht aus bayerischer Feder. Tatsächlich war es ein Sachse, der die schönste Mitgröhlmelodei ever komponierte – der Chemnitzer Bernhard Dietrich.

Q

Quadratratschn: süddeutsches Gossip Girl. Weiß schon längst, mit welcher Minderjährigen Lothar Matthäus gestern Abend im P1 versucht hat anzubandeln. Hat auch einen Blog, klar.


R

Radi-o-loge: Rettichbauer. In kaum einem anderen Bundesland hat der gemeine Gemüsezüchter einen so wichtigen gesundheitlichen Auftrag wie in Bayern; ohne Radi und Radiserl läge gar kein Grünzeug auf dem Brotzeitbrettl. Ein normal großer Rettich deckt den gesamten Vitamin-C-Tagesbedarf eines Erwachsenen.

U V

Urschl: bayerisches Schimpfwort. Bezeichnet eine Frau, die 1. nicht besonders gut aussieht und 2. auch noch nervt.

Vier Stämme: die vier Staaten im Freistaat. It’s nice to be a Preiss – but it‘s higher to be a Bayer, denkt sich der stolze Bajuware und zieht nicht nur am Weißwurstäquator eine strenge Grenze zum innerdeutschen Ausland. Auch innerhalb der süddeutschen Gefilde unterteilt man sich nach Herkunft. Mit über 50 % der bayerischen Bevölkerung haben die Altbayern die Lederhosen an, gefolgt von den Franken, den Schwaben und den „Zugroastn“ (Flüchtlinge und Heimatvertriebene, insbesondere Sudetendeutsche).

S

Slyrs: Whisky aus den bayerischen Highlands. Eine kleine Destillerie in Lenggries stellt ihn seit 1999 her, den einzigen Bavarian Single Malt Whisky der Welt. Da die Herstellung dieser Spirituose strengen gesetzlichen Auflagen unterliegt, sind pro Jahr nur ca. 100.000 Flaschen im Handel erhältlich. Ab 2015 ist auch eine zwölfjährige Variante geplant. Mehr unter slyrs.de

W

Wolpertinger: Touri-Verarsche, die sich verselbstständigt hat. Was macht ein Tierpräparator, wenn er Einzelteile von verschiedenen Viechern übrig und noch dazu etwas Langeweile hat? Er remixt die Natur ein bisschen – nicht zu arg, gerade so, dass er sich noch an der Grenze zur Glaubwürdigkeit bewegt. Wer die Artenvielfalt bestaunen möchte, dem sei das Wolpertinger-Museum in Mittenwald empfohlen.

Y

T

Trambahnhäusl: die letzte Bastion der Günstigkeit. Auf einer Mittelinsel zwischen den Fahrbahnen der Rosenheimerstraße steht ein kleines Häuschen, das früher mal die Endhaltestelle der TRAM 21 war. Nachdem die Diensträume stillgelegt wurden, zog hier eine Volksküche ein. „Reis mit Scheiß“ gab’s für zwei Mark, ein Helles für eine. Betreiber Dasi weigerte sich allerdings, Zwei-Mark-Stücke mit dem Porträt von Franz Josef Strauß anzunehmen. Anfang der 90er wurde es geschlossen, im Oktober 2010 ging es wieder in Betrieb, sogar mit Unterstützung des Münchner Sozialreferates. Seitdem kann der 43 qm große Hauptraum für Konzerte, als Band-Proberaum, für Lesungen, Ausstellungen o. Ä. gemietet werden (Kostenpunkt: 40 Euro plus 100 Euro Kaution). Jeden letzten Dienstag im Monat kocht hier das Projekt „Volxküche“ auf und bietet Veggi-Food für günstige zwei Euro an.

der Buchstabe der Völkerverständigung. Dass Bayern nicht Baiern geschrieben wird, verdanken wir König Ludwig I. (nicht zu verwechseln mit Ludwig II., siehe „L“), seines Zeichens Sprachliebhaber, Hobby-Poet und großer Goethe-Fan. Als sein Sohn Otto zum König von Griechenland ernannt wurde (Fußnote: Griechenland hatte 1830 seiLudwig X. von Bayern: der erste Italien-Fan Bayerns. Der Herne Unabhängigkeit erlangt, doch nur ein Jahr später zog (Amtszeit: 1514–1545) liebte die schönen Künste. In seiner Resiwurde das neu installierte Staatsoberhaupt Ioannis denzstadt Landshut scharrte der humanistische Freidenker talentierte Kapodistrias ermordet. Die europäischen SignatarMaler um sich, erlaubte sogar, dass die Schriften Martin Luthers in mächte schlugen daher vor, das Land einem Fürsten Bayern verbreitet wurden. Als er bei einem Urlaub in bella italia die dortige aus ihren Reihen anzuvertrauen. Völlig uneigennütBaukunst sah, ließ er den Bau seiner im deutschen Renaissance-Stil begonnezig, natürlich), ordnete er das offizielle „Y“ im Namen nen Stadtresidenz kurzerhand stoppen und von einem italienischen Bautrupp des süddeutschen Freistaates an. Pythagoras würde aus Mantua fertigstellen. schließlich auch niemand mit „i“ schreiben.

X

Z

Zeiselwagen: grünes Taxi für besondere Anlässe. Im ursprünglichen Sprachgebrauch handelt es sich um einen Leiterwagen oder ein anderes Gefährt, das etwas Wichtiges im Sauseschritt von A nach B befördert. Z. B. Uli Hoeness in die JVA.


68 curt // heimatg’schichten

Nichts Als theater curt-Redakteurin Claudia Pichler hat im Theater im Fraunhofer eine neue Heimat gefunden.

Ein perfektes Team: claudia Pichler und steffi obermeier


TEXT: Claudia Pichler // Fotos: Lorraine Hellwig

Lange überlegt habe ich nicht, als mir Beppi Bachmaier, der Wirt vom Fraunhofer, die Leitung seines Theaters angeboten hat. Seit April sind Steffi Obermeier und ich also verantwortlich für alles, was in dem charmanten Theater so passiert – von der Programmplanung über die Buchung der Künstler, die Pressearbeit bis hin zum Abenddienst. Steffi kommt eher aus der Musik, spielt Cello und kennt sich im Bereich der Volksmusik bestens aus. Ich fühle mich durch Literaturstudium und meine bisherige Arbeit mit Gerhard Polt, den Well-Brüdern und im Lustspielhaus eher im Bereich Kabarett und Literatur heimisch – eine gute Mischung also. Und tatsächlich ergänzen wir uns auch persönlich sehr: Wir sprechen die gleiche Sprache, haben einen ähnlichen Sinn für Humor und lösen etwaige Probleme gern schnell und unkonventionell. Wir zwei – das passte also schon mal. Aber zunächst mussten wir uns natürlich auch ans Haus gewöhnen. Das Fraunhofer Theater gibt es seit fast vierzig Jahren. Früher war es die künstlerische Heimat von Kabarettgrößen wie Jörg Hube, Sigi Zimmerschied oder Fredl Fesl, lange Zeit einfach DIE Münchner Kleinkunstbühne. Der Wirt Beppi Bachmaier war und ist ein großer Freund neuer Ideen und ein Förderer junger Künstler, gern auch entgegen gängiger Erwartungen. In den 70ern betrieb er die

legendäre Kleinkunstkneipe MUH – Musikalisches Unterholz. Die Idee dahinter, die sich schon im Namen ausdrückt, gefällt uns auch heute noch für das Fraunhofer Theater. Das kleine Theater ist der ideale Nährboden für Nachwuchskünstler, die erste Brettl-Erfahrung sammeln wollen, für Musiker, die in ihrer Tradition verwurzelt neue Wege gehen. Hier darf ausprobiert werden, und das funktioniert tatsächlich ganz ohne Zuschüsse und Sponsoren – nur ein bisserl quersubventioniert durch das Wirtshaus. Junger Volksmusik wird so schon seit fast dreißig Jahren Raum geboten, noch lange bevor die Heimat-Welle diesen Bereich gehypt hat. Die jährlichen Volksmusiktage sind der Renner beim Publikum, das Institutionen wie die Wellbuam und absolute Neulinge gleichermaßen feiert. Natürlich bleiben lieb gewonnene Veranstaltungen wie die Volksmusiktage erhalten. Aber wir möchten zusätzlich auch einiges Neues umsetzen. So sind Größe und Atmosphäre des Theatersaals ideale Voraussetzungen für stimmungsvolle Lesungen. Auch möchten wir den Gegebenheiten angemessene Theaterprojekte verwirklichen, Kulturtage veranstalten und eine Kernkompetenz des Fraunhofer wiederbeleben: das Kabarett.

Im Fraunhofer fühlten wir uns gleich wohl, die gemütliche Einrichtung und der gute Schweinsbraten und Kaiserschmarrn haben dabei sicher geholfen. Aber zu einem traditionsreichen Haus gehört natürlich auch die „Besatzung“. Die Wirtsfamilie hat uns genauso offen aufgenommen wie die Küchenund Service-Kräfte. Und so mancher grantige Geselle – ob hinterm Schank oder Technikpult – entpuppte sich schnell als besonders sensibel und herzlich. Für uns ist das Fraunhofer schnell ein Stück Heimat geworden – und wir hoffen unseren Künstlern und Gästen geht es ähnlich.

>> fraunhofertheater.de


TEXT: CARINA NEUMANN

70 curt // heimatg’schichten

Passt und pappt Die neuen curt-aufkleber von lion fleischmann

„Farbe ist kein Dreck, Musik ist kein Lärm“ lautet die Lebensphilosophie des jungen Künstlers Lion Fleischmann. Wie die drei Aufkleber-Motive, die er curt für diese Ausgabe gewidmet hat, ist auch er ein Münchner Original. Hier geboren und aufgewachsen, besuchte er die Freie Kunstwerkstatt München und arbeitet seit seinem Abschluss 2011 als freischaffender Künstler. „Man ist immer am besten in dem, was einem Spaß macht“, meint Lion. Und Kunst macht ihm augenscheinlich Spaß, das sieht man an den fröhlichen Charakteren und leuchtenden Farben, die er auf Papier, Holz, Leinund Hauswände und sonstige Alltagsgegenstände pinselt, skizziert oder sprayt. Dabei unterschlägt er allerdings, dass es auch Leidenschaft und verdammt viel Talent braucht. Eingebildet ist er halt nicht.

Ein bisschen verrückt dagegen schon. Nicht selten gehen Zaunlatten für Bilderrahmen drauf und nach einem erfolgreichen Arbeitstag steht Lion auch mal mit Farbspritzern übersät und einem Bleistift hinterm Ohr an der Supermarktkasse. Klar, dass solch ein verrückter Typ nicht in einer stinknormalen Wohnung lebt. Das Privileg der Villa Kunterbunt hat natürlich Pippi Langstrumpf. So kann man sich das kleine hundertjährige Haus mit der Nummer 75 – Lions Zuhause, Atelier und Galerie – am besten vorstellen. Manch ein Besucher stolpert vor lauter Staunen über die bildgeschwängerten Wände über Spraydosen und Farbkanister, um sich schließlich in einem gigantischen viereckigen Universalkunstwerk mit vielen Treppen und Türen wiederzufinden. Mit einem Wort: wuid.

Auch heißen Lions Mitbewohner nicht Kleiner Onkel und Herr Nilsson, sondern Sebastian Wandl und Matthias Mross. Gemeinsam arbeiten die drei Künstler unter dem Kollektivnamen HAUS75. Die Jungs haben sich während ihres Studiums an der Freien Kunstwerkstatt kennengelernt und einiges gemeinsam: Sie sind leidenschaftliche Künstler und verwirklichen ihren Traum, Passion zum Beruf zu machen. An einigen Bildern arbeiten sie zu dritt und lassen Gemeinschaftswerke entstehen, die farblich und stilistisch wunderbar harmonieren. Schwer zu glauben ist, dass dahinter nicht ein und dieselbe Person steckt. Mehr zu Lion Fleischmann und HAUS75: >> lion-con-carne.blog.de >> haus75.de


Nacht, flohmarkt MÜNCHEN

im Feierwerk am

M nchen ehemalige z ndapphalle

am

13.

SEP 2014 MÜNCHEN im Feierwerk Hansastr. 39-41

Ehem. Zündapphalle: Ostbahnhof · Grafingerstr. 6 Kultfabrikgelände

Standbuchung nur auf www.NACHTKONSUM.com Infos unter 089 16 52 44

umwerk

kalaydo.de das regionale Findernet


72 curt // heimatg’schichten

Nach der Party ist vor der Party der kocherlball

Ich war jung und brauchte das Geld. Das Geld, das mein Arbeitgeber jedoch lieber für eine sündhaft teure Weihnachtsfeier ausgab, für die die Herrschaften in all ihrer Bescheidenheit die Muffathalle angemietet und aufwendig dekoriert hatten. Thema: „Russischer Winter“. „Gut“, dachte ich. „Wenn man mir das wohlverdiente Weihnachtsgeld nicht ausbezahlt, werde ich mir heute den Gegenwert an der Bar holen.“ Da ich mit einem gesunden Selbstwertgefühl ausgestattet bin, führte dieser Plan dazu, dass meine Leber in den folgenden Stunden mehr arbeiten musste, als dies das obere Management der Firma das gesamte Jahr über getan hatte. Mein eigentlich ebenso gesundes Selbstbewusstsein wurde infolgedessen dermaßen in den Orbit katapultiert, dass ich es für eine „gmade Wiesn“ hielt, die „paar Meter“ von der Praterinsel bis zu meiner Wohnung am Josephsplatz zu Fuß zu gehen. Ich hatte Glück. Es war nur der Münchner Winter und nicht der russische. Die Nacht war also nicht tödlich kalt, sondern eben nur kalt. Der tagsüber geschmolzene, platt getretene Schnee war im Englischen Garten zu einer gefährlich glatten Eisbahn gefroren und sorgte dafür, dass ich gelegentlich unfreiwillige Pirouetten drehte, mit einer Grazie ähnlich der schunkelnder Bierbankbesteiger auf der Wiesn. Um es kurz zu machen: Irgendwann viel später erreichte ich meine Wohnung – unverletzt. Dieses Ereignis liegt bald zehn Jahre zurück und ist eine der ersten Erinnerungen an meine damals neue Heimat München. Ich habe meine Lehren daraus gezogen. Ich gehe weiterhin einmal jährlich zu einer ähnlich unchristlichen Zeit in den Englischen Garten, bin dabei schwer alkoholisiert und bewege mich komisch. ABER ... es passiert im Hochsommer und zwar nur dann. Um genau zu sein am dritten Sonntag im Juli. Dann nämlich ist Kocherlball.

TEXT: CHRISTIAN GRETZ // ILLUS: TOBIAS HAMMERBACHER


Der Kocherlball ist einzigartig und hat trotzdem sehr ähnliche Wurzeln wie der zuvor beschriebene Schwank aus meinem Leben. Schlecht bezahlte Angestellte beschlossen, sich lieber gemeinsam zu betrinken und tanzen zu gehen, als den Frust zu Hause alleine im Alkohol zu ertränken. Da sie jedoch den ganzen Abend über arbeiten mussten, blieb für die Münchner Dienstboten, Mägde, Zofen, Köchinnen und Köche im neunzehnten Jahrhundert nur das Zeitfenster am Sonntag von sechs bis neun oder zehn Uhr in der Früh, um dieser Gaudi nachzugehen. Dann nämlich schliefen die Herrschaften, bei denen sie angestellt waren. Dass der Frust über die Gesamtsituation recht groß war, legt die Tatsache nahe, dass es bei diesen Veranstaltungen damals häufig Schlägereien und andere Verstöße gegen die „Sittlichkeit“ gab. Dies führte letztlich dazu, dass die allwöchentlichen Kocherlbälle im Englischen Garten schon Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts verboten wurden.

Unser Redakteur Christian Gretz schreibt nicht nur die längsten Intros der Welt, sondern bietet extrem kuriose und interessante Stadtrundgänge für Münchner an. Wer bei der Anmeldung im Bemerkungsfeld „curt“ eingibt, erhält 10 % Rabatt bei Anmeldung im Juli, August oder September 2014. >> ui-muenchen.com

Erst 1989 zum 200. Geburtstag des Englischen Gartens wurde der Brauch wiederbelebt und findet seither einmal im Jahr statt. Freilich nicht wirklich authentisch, da es sich bei den wenigsten der etwa 12.000 Teilnehmer um Köche oder Dienstmägde handelt. Jeder Münchner ist willkommen, wenn um sechs Uhr die Blasmusik vor dem Chinesischen Turm zu spielen beginnt. Und so geben sich natürlich auch die Prominenz aus der Lokalpolitik und der eine oder andere Möchtegernpromi die Ehre. Die erfahrenen Kocherlball-Besucher wissen, dass man besser schon um vier Uhr da ist, wenn man einen Tisch im Biergarten ergattern möchte. Die meisten kommen übrigens in Tracht. Dass es tatsächlich auch ohne gefrorene Tanzfläche zu komischen Bewegungen kommt, liegt nicht nur am Alkoholkonsum, sondern daran, dass dort Walzer, Polka, Zwiefacher und Münchner Française getanzt werden. Wer sich dabei nicht so deppert anstellen möchte wie der Großteil der Besucher, kann in den Wochen vor dem Kocherlball kostenlose Tanzkurse besuchen, die von der Stadt München seit 2006 eigens dafür angeboten werden.

Der Kocherlball ist heuer am 20. Juli. Tanzkurse im Hofbräuhaus: 3., 10. und 17. Juli // Kurs 1: ab 19.30 Uhr // Kurs 2: ab 21 Uhr für die „jungen Leute“ (was auch immer, der Veranstalter damit meint ...)


74 curt // heimatg’schichten

Isarfähre Grünwald, 1905 Originalaufnahme aus dem Stadtarchiv – von Julia Fromm nachkoloriert


Reminiszenz TEXT UND kollorierte fotos: julia fromm

Heimat ist Reminiszenz und Reminiszenz ist das Subjektive schlechthin. So gesehen ist es seltsam, dass nicht mehr Überlegungen darüber bestehen, was Heimat eigentlich ist. Jedes Verständnis, jedes Bild, jeder Geruch, jeder Klang, jede Emotion, die für Heimat stehen, sind Produkt individueller, unvergleichlicher und einzigartiger Erfahrung, Erinnerung, Prägung und Entwicklung. Heimat ist eine Idee, über die wir ein Wort, eine Aura, eine Bedeutung legen. In selber Weise mache ich Dokumente der Vergangenheit, die nicht unmittelbar meine ist, zur Ausgangsbasis meiner Arbeit, indem ich Farbe über sie lege. Aus beliebigen Fotografien, die zwischen 1900 und 1945 aufgenommen wurden und deren Motive somit Teil des visuellen Gedächtnisses einer Gesellschaft sind, werden neue Bilder. Es handelt sich dabei um zwei Fotos einer Heimat, die nicht die meine ist, aber in der ich nun lebe. Obwohl Heimat nicht geografisch definiert ist, wird München noch lange nicht meine Heimat sein: zu unbefangen bin ich ihr gegenüber.


76 curt // heimatg’schichten

Hammers Panoptikum, 1901 Originalaufnahme aus dem Stadtarchiv – von Julia Fromm nachkoloriert


Um das Gefühl der Heimat auf kreative Weise brauchbar zu machen, muss es, davon bin ich überzeugt, ambivalent und distanziert sein. So sind auch die Fotos – es sind eindeutig Archivfotos, aber auch Bilder des Jetzt – Teil einer Identität, aber auch völlig bedeutungslos. Durch die händische Koloration wird dieser Effekt verstärkt. Fotos, die einst Dokument eines Moments waren, werden ihrer Aufgabe beraubt und verfremdet. Es handelt es sich bei den Fotografien um Fundstücke aus dem Stadtarchiv, die in Schwarz-Weiß aufgenommen, dann von mir von Hand koloriert wurden. Dies geschieht ganz primitiv mit Pinsel, Schwämmchen und Lasurfarbe. Die Arbeiten werden auf dem Positiv, also dem gedruckten Bild, koloriert. In stark verdünnter Weise wird die Lasurfarbe Schicht für Schicht aufgetragen. Diese Technik ist sehr alt, denn Farbfilm wurde erst viel später verwendet. Während früher mit allen möglichen farbgebenden Materialien gearbeitet wurde, verwende ich spezielle Lasurfarben, die glänzender und strahlender als natürliche Materialien sind.

1987 kam Julia Fromm in der westösterreichischen Provinz zur Welt, was an sich schon sehr problematisch sein kann. Darauf folgte die für unangepasste kleine Menschen zwingend zermürbende Kindheit in besagter ländlicher Umgebung und eine daran anschließende Vermutung der Glückseligkeit in der Kunst. Während des Studiums an der Kunstuniversität Linz reifte der Beschluss, einen Beruf zu ergreifen, in dem man infantile Kreativität sowie latente Machtkomplexe ausleben kann: Sie wurde Fotografin. Als neue Heimat erkor sie das wohl größte und charmanteste Dorf, das wunderbare München, aus. Eine Leidenschaft für Dramatik, Inszenierung und experimentelle Visualisierung und eine Aversion gegenüber digitaler Effekthascherei bewegen sie in ihren Arbeiten dazu, sich in den interdisziplinären Bereich vorzutasten, sie bedient sich aber auch analoger Techniken (sie kommt sich wichtig vor, wenn sie OP-Handschuhe tragen kann). Am liebsten fotografiert sie Menschen, weil sie die eigentlich ganz gern hat. >> julifro.net


FOTO: PATRICIA BREU


festivals // curt 79

was bei uns so geht in sachen

Festivals

absolut ohne system in total ungeordneter reihenfolge

TEXTE: MIRJAM KARASEK, PATRICIA BREU, CHRISTIAN GRETZ, MELANIE CASTILLO


80 curt // festivals

Stereowald 8 . 9 . August

echelon 23 . August

Wer die oberbayerisch­schwäbische Gegend seine Heimat nennt, weiß: Die richtig guten Partys gibt‘s im Wald. Der „Stereowald“ findet heuer das erste Mal statt und will auch den Stadtkindern ein Zuhause sein.

Stell dir vor, die weltweite Bespitzelung durch die NSA wird beendet und überall tanzen die Menschen vor den stillgelegten Abhöranlagen. Unrealistisch? Mitnichten! Ein Anfang wurde bereits gemacht. Hier in Bayern. Vor zehn Jahren wurde eine der wichtigsten Abhöranlagen der NSA für Europa auf Anraten eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses geschlossen, da dem Geheimdienst Wirtschaftsspionage vorgeworfen wurde. Auf dem ehemaligen Gelände der US-Armee findet nun schon zum sechsten Mal Süddeutschlands größtes Electro- und Housefestival statt. Mehr als 40 Acts (u. a. Moonbootica, Lexy & KPaul, Thalstroem) sorgen auf vier Bühnen von morgens bis tief in die Nacht für Stimmung. Ganz nach dem Motto: „Let’s be weird together!“ Sonderzüge ab München HBF und zurück.

Eröffnet wird die Gaudi mit dem Einzug der Wiesnwirte inklusive Freibier. Es gibt aber nicht nur Bier vom Berabecka Boandlbräu, sondern auch von Omas und Opas gebackenen Kuchen und gutes Essen aus der Region. Bonbonkocher unterhalten die Kids, Förster erklären ihr Revier, lokale Künstler stellen Werke aus und kleine Stände verkaufen Handgemachtes. Die Waldbühne punktet mit Blasmusik in Tracht und bayerischer Liedermacherei. Auf der Wiesenbühne versammelt sich die besondere Musik: Brass-Hip-Hop („Moop Mama“), New-Weird-Bavaria-Indie („Aloa Input“), Hamburger Elektro-Pop („Fuck Art lets Dance“) und jazzaffiner Rock („Instrument“) – um nur ein paar Bands zu nennen. Der Stereowald ist eine ganz besondere Gelegenheit, geliebte Bands wiederzusehen und neue zu entdecken. 3 x 2 Tickets auf curt.de/muenchen gewinnen!

Stereowald // 8. bis 9. August // Grubet 1 bei Aichach (Shuttlebusse vom Bahnhof) // Wochenendticket 29 Euro, Tagesticket Freitag 16 Euro/Samstag 18 Euro, Familienticket Samstag 15 Euro >> stereowald.de

2 x 2 Tickets auf curt.de/muenchen gewinnen!

Echelon Open Air & Indoor Festival // Bad Aibling // 23. August // festivalTickets zwischen 42,50 Euro (regulär) und 85 Euro (VIP) >> echelon-openair.de



82 curt // festivals

Humulus Lupulus 1 . 2 . August

PLUS 1 . 2 . August

Ein weiteres Schmankerl, das wir euch ans Herz legen wollen, ist das „Doldensound Festival Humulus Lupulus“ bei Pfaffenhofen. Zum mittlerweile 11. Mal treffen sich an einem kleinen bewaldeten Hang zwischen Sonnenblumenfeldern und Hopfengärten die Querdenker. Auf der „Giggerlbühne“ fangen die Bands und Kleinkünstler am frühen Nachmittag gemütlich an, denn den Veranstaltern ist eine familiäre Stimmung wichtig. Beim Puppentheater und an der Wasserrutsche haben aber nicht nur die Kinder ihre Gaudi. Die „Hopfenbühne“ wird dann abends gerockt: Münchner Newcomer („The Capitols“ mit barocker Blockflöte oder „9V“ an batteriebetriebenen Geräten), bayerische Bands aus der Gegend und junge Klassiker der schrägen Musikmacherei („DŸSE “) geben sich hier die Ehre. Der Hopfen (lat. Humulus Lupulus) ist Namensgeber für dieses Festival und natürlich wird Scheyrer Klosterbier von nebenan ausgeschenkt. Wer seinen Steinkrug mitnimmt, kann sich das Bier direkt hineinzapfen lassen. Kleine Essensstände versorgen jeden Geschmack (inklusive Frühstücksallerlei mit Weißwürscht) und zum Campingplatz sind es nur gefühlte drei Meter.

Was würden wir nur ohne das hübsche, familiäre Festival am Vöttinger Weiher nur machen? „Prima Leben und Stereo“ ist kulturbeflissen, musikverliebt und ein bisschen verrückt. Sommer für Sommer arbeiten viele ehrenamtliche Leute mit, das Festival auf die Beine zu stellen – die Bezahlung ist die Freude der Besucher, wenn sie dann am Freitag- und Samstagabend fröhlich-friedlich Spaß an der Musik haben und auf der grünen Wiese am beschaulichen Weiher springen und singen. Das war schon vor 21 Jahren so und wird auch hoffentlich so bleiben. Danke, ihr lieben Leute vom PLUS! Auf der Bühne freuen wir uns auf: FM Belfast, Aloa Input, Egotronic, Fiva und Band, No Goes, Mighty Oaks, Fatoni, OK Kid, Rainer von Vielen, Stereo Total, Edgar Wasser, Left Boy, Naked Feen und Ja, Panik!

3 x 2 Tickets auf curt.de/muenchen gewinnen!

Humulus Lupulus // 1. bis 2. August // Vieth bei Pfaffenhofen a . d. Ilm (Shuttlebusse auf Abruf zwischen 19 und 3 Uhr) // 20 Euro inkl. Camping >> humulus-lupulus.de

3 x 2 Tickets auf curt.de/muenchen gewinnen!

Prima leben und stereo // vöttinger weiher, freising // 1. bis 2. August // festival-Ticket VVK 47 Euro, AK 50 Euro >> prima-leben-und-stereo.de


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ELECTRONIC MUSIC WEEKEND NEUE MESSE MÜNCHEN 2/3 AUG 2014 HOUSE STAGE CROSSTOWNREBELS/REBELRAVE

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84 curt // festivals

Reeperbahn 17 . 20 . Sept .

Sinstruct 7 . 10 . Aug . free&Easy 27 . Ju li 9 . Aug .

Wenn wir nicht hier sind, sind wir auf dem Sonnendeck – oder machen einen Ausflug in die bezaubernde Hafenmetropole, die auch heuer wieder zu vier aufregenden Clubfestival-Tagen rund um die weltbekannte Amüsiermeile einlädt. In knapp 70 Locations gibt es Konzerte (u. a. The Subways, Kid Simius, Die Nerven, Jens Friebe, FJØRT, All The Luck In The World, Heinrich, Bored Nothing, Samaris, Talisco, Egotronic, Maxim), die Musikplakat-Messe Flatstock, Lesungen, Vorträge zu neuen Musikentwicklungen und vieles mehr. Kinners, kommt rum!

L’art pour l’art! Hoch hinauf auf 1.500 Meter kraxeln wir gerne, wenn das Sinstruct 2014 zum dritten Mal den kunstvollen Freiraum inmitten der Südtiroler Bergwelt ausruft. Nahe der Gemeinde „Unsere Liebe Frau im Walde“ treffen sich Künstler verschiedener Nationen zum kreativen Stelldichein im idyllischen Grünen. Inmitten saftiger Weidewiesen steht der Dialog im Vordergrund: zwischen verschiedenen Kunstrichtungen, zwischen Kunst und Natur, Künstlern und Besuchern – weitab von Kommerz und Mainstream.

2 x 2 Tagestickets für den 18. sept. auf curt.de/muenchen gewinnen!

Reeperbahn-Festival // 17. bis 20. September // Hamburg, verschiedene Locations // festival-Ticket für 4 tage 89 Euro // >> reeperbahnfestival.com

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Sinstruct Festival // 7. bis 10. August // Südtirol/ Val di Non // Festivalticket VVK 45 Euro, AK 50 Euro >> sinstruct.com

Mei, das klingt nach einem All-inklusive-Sorglos-Rundum-Paket-Urlaub. Ist es auch. Wenn das Backstage in alljährlicher Manier zum Free&Easy aufruft, dann wird‘s vogelwild und bunt: 17 Tage lang Konzerte, Partys, Kleinkunst, Filme auf vier Indoor-Bühnen und einer Outdoor-Bühne. Dazu günstige Getränkepreise, ein hübsch dekorierter Biergarten mit Bier und lecker Cocktails, jeden Tag ab 17 Uhr geöffnet – und dann später Halligalli ab 23 Uhr mit den Resident DJs. In der kleinsten Area, dem Werkstatt-Studio, sind Newcomer-Bands bei den Mitternachts-Shows zusätzlich auf jeden Fall einen Blick wert. Ach ja, und vor allem: Eintritt frei!

FREE & EASY FESTIVAL 2014 // 24. Juli bis 9. August // BACKSTAGE MÜNCHEN // EINTRITT FREI >> backstage.eu


Kino Mond & Sterne 27 . bis 7 . Sept.

cantonA 18. bis 19. Juli

Zum 20. Jubiläum des beschaulichsten Kino-Open-Airs Münchens im Amphietheater des Westparks ist dem Veranstalter Peter Mopils und seinem Team wieder mal eine perfekte Mischung aus Blockbustern und Juwelen aus dem Bereich Arthouse und Independent gelungen. Ein paar Specials gibt‘s zum runden Geburtstag natürlich auch, wie z. B. die Wiederholung der schönsten und beliebtesten Filme der letzten 19 „Kino, Mond & Sterne“-Jahre. Und ganz neu: Als eines der wenigen Freiluftkinos nimmt es mit einer gesonderten Filmreihe an der Sommer-Berlinale teil. Die Auswahl an Getränken und kulinarischem Kram zum Essen ist da, aber im Vergleich zu manch anderen KinoOpen-Airs, hat man hier auch die Möglichkeit, sein Zeug selber mitzubringen. Bloß Glas und Porzellan darf nicht mit aufs Gelände. Also, alles in Thermoflaschen abfüllen, was geht – und Matz ab!

Festival-Premiere in der oberbayerischen Provinz! Auf dem Prielhof Scheyern im Städtedreieck München, Augsburg und Ingolstadt steigt das Cantona Music Festival. Wenn die schwedische Ausnahme-Indieband JOHNOSSI und die Ingolstädter Helden SLUT auf dem alten Klostergutshof aus dem 18. Jahrhundert inmitten von Weihern und grünen Feldern auftreten, hat das ein ganz besonderes Flair. Dazu gesellen sich viele Geheimtipps wie die IndieSenkrechtstarter Paper & Places und Adulescens, die schwedische Garagenpunk-Combo The Fume und die bayerische Mundart-HipHop-Formation Mundwerk Crew. Anlass zur Premiere war allerdings ein trauriger: Der Cantona-Liveclub in der 16.000-Seelen-Kleinstadt Schrobenhausen musste wegen fehlendem Brandschutz schließen. Deshalb wagen die Clubbetreiber den Schritt nach draußen – und wir kommen gerne, wenn es in Scheyern mächtig knallt.

Jede woche kino-freikarten auf curt.de/muenchen gewinnen!

Kino, Mond & Sterne // Open Air Kino vom 27. Juni bis 7. September auf der Seebühne im westpark // Eintritt 6 Euro >> kino-mond-sterne.de

2 x 2 Tickets auf curt.de/muenchen gewinnen!

Cantona Music Festival // 18. Bis 19. Juli // Prielhof Scheyern // VVK: Tagesticket Freitag 18 Euro/Samstag 25 Euro, Festivalticket 36 Euro >> cantona-festival.de


86 curt // festivals

VIEHHOF OPEN AIR bis 31. August

brass wiesn 8. bis 9. August

„Wir sind dreckig, ehrlich und wunderschön“, sagt Initiator Hartmut Senkel. Und recht hat er, denn so unprätentiös und dabei wunderbar charmant geht’s nur im Schlachthofviertel zu. Zum vierten Mal hat sein Team das Brachland der ehemaligen Großviehhalle in eine palmengeschmückte Oase mit Freiluftkino, Kunst und Kultur verwandelt. 82 Tage lang! Auf dem 10.000 qm großen Areal weht dank großer Kreativität und Liebe zum Detail ein Hauch von Berlin. Im Biergarten „Zur Freiheit“ lässt sich der Sommer auf Liegestühlen unter Palmen genießen, die Kinder aufgeräumt beim Hüpfen, Sandeln oder Planschen im selbst gebastelten Swimmingpool aus Bierkästen und Plane. Es spielen, wie gehabt, auf der Substanz-Bühne Bands aus München und Umgebung. Videokunst, Kabarett, Literatur, Kunst – alles dabei. Ach ja, die Fußball-WM wird im Viehhof-Kino natürlich auch nicht fehlen. Besonderer Pluspunkt: Der Biergarten ist täglich bis 1 Uhr geöffnet! Und wenn die Sonne dann untergegangen ist, schlägt Hartmut Senkel den Gong: Die Kinovorführung unterm Sternenhimmel startet.

Brass Wiesn Festival – Klappe, die zweite: Nach einer genialen Premiere im letzten Jahr geht’s schön schräg, cool und heimatverbunden weiter. Der derbe Mix gibt auf dem idyllisch gelegenen Echinger Freizeitgelände den Ton an: Traditionelle Blasmusik paart sich mit Balkan-Pop und Indie-Brass, Mundart mit Jazz und bayerischem Rap. Dirndl- und Lederhosen-Vertreter feiern mit Led-Zeppelin-T-Shirt-Trägern, Jung mit Alt. Insgesamt 30 Bands aus aller Welt spielen auf zur verrückten Gaudi am See. Darunter Karamelo Santo, Tegernseer Tanzlmusi, Fanfare Ciocarlia, RotFront, Tante Frieda, Dellnhauser Musikanten, Aurea, Blechbixn, Hypnotic Brass Ensemble ... Bazar, Goaslschnoiza, Maibaum-Aufstellen, Oldtimer-Bulldog-Ausstellung und ein Bad im See inklusive! Wie cool ist das denn bitte?!

freikarten auf curt.de/muenchen gewinnen!

Viehhof-Kino // Tumblingerstr. 29 // 11. Juni bis 31. August // kinoticket AK 9 Euro >> viehhof-kino.de

2 x 2 Tickets auf curt.de/muenchen gewinnen!

Brass Wiesn Festival // 8. bis 9. August // Eching am See // VVK: 2-Tages-Ticket 39 Euro, 1-Tages-Ticket 25 Euro >> www.brasswiesn.de



88 curt // Musik > Präsentationen

curt präsentiert

Konzerte

Zu allen Konzerten verlosen wir 3 x 2 Karten! alle gewinnspiele findet ihr auf curt.de/muenchen

17 | 07

Dub FX // backstage HighTech-Streetperformer und Live-Looping-Künstler: Der Australier Dub FX macht außergewöhnliche, vielschichtige Musik, die er nur mit Stimme und Effektgeräten in Echtzeit erstellt. In Süddeutschland spielt Dub FX nur eine einzige Show: in München! „Frieden, Liebe und gute Stimmung!“ Jawoll!

17 | 07

The gaslamp killer // feierwerk, h39 „Instrumental psych dirty beats“ nennt William Benjamin Bensussen seinen Style. Der Mitbegründer der „Low End Theory“-Reihe erregt mit hyperaktiven, experimentellen Sets weltweit Aufmerksamkeit. Er verarbeitet mit Samplern und Keyboards scheinbar unvereinbare Elemente so lange, bis sie sich zusammenfügen.

21 | 07

panda bear // strom Der US-Amerikaner Noah Lennox, Gründungsmitglied der Band Animal Collective, ist als Panda Bear bekannt für seine experimentellen, schillernden Ambient-Klänge. Und er hat Neues auf Lager: Der Nachfolger zu „Tomboy“ von 2011 soll im Laufe des Jahres erscheinen. Wir sind gespannt!

06 | 08

Protomartyr // ampere In einem eisigen Detroiter Lagerhaus voll leerer Bierdosen und Kippen haben Joe Casey, Greg Ahee, Alex Leonard und Scott Davidson von PROTOMARTYR ihr zweites Album „Under Color of Official Right“ auf den Weg gebracht: roher, ungeschliffener Postpunk, melodiös – und immer mit gefletschten Zähnen.


TEXTE: MIRJAM KARASEK, MELANIE CASTILLO

19 | 08

jimmy eat world // Muffathalle Ihr Song „Lucky Denver Mint“ zählt mittlerweile zu den 90er-Jahre-Klassikern, zwei Jahrzehnte später veröffentlichen sie mit „Damage“ ihr achtes Album: Jimmy Eat World aus Mesa, Arizona – solider alternativer Rock mit einer Prise Pop-Punk und live sowieso absolut sehenswert.

29 | 08

blumfeld // theaterfabrik Eine ganze Generation wird jubilieren: Die „Zeittotschläger“ Andre Rattay, Jochen Distelmeyer und Eike Bohlken haben sich wiedergefunden. Am 22. August 1994 veröffentlichten sie ihr stilprägendes Album „L’ETAT ET MOI“. 20 Jahre später sehen wir sie live auf exklusiver Reunion-Tournee. Groß!

14 | 09

woven hand // ampere Düster wird‘s, wenn Woven Hand die Apokalypse beschwört. Der ehemalige 16 Horsepower-Sänger David Eugene Edwards präsentiert mit seiner 2001 gegründeten Band das neue Album „Refractory Obdurate“, eine beklemmende Predigt aus Neofolk und Alternative Country. Unendlich-schön-traurig!

15 | 09

fiva // Ampere Nachdem die Stadt nun wieder ihr gehört, startet die Münchner Rapperin Nina Sonnenberg aka FIVA mit dem mittlerweile fünften Studioalbum „Alles Leuchtet“ ihren nächsten Coup. Dieses Mal mit prominenten Freunden wie ihrem jahrelangen Weggefährten Sebastian Schwarz aka DJ Radrum.

25 | 09

GUSGUS // strom Still stehen und zuschauen – auf einem Konzert der isländischen Band GusGus ein Unding! Ihr perfekt visualisierter Grenzgang zwischen Electro und Pop, eine beeindruckende Lightshow, wechselnde Sänger und vor allem ihr neuestes Machwerk „Mexico“ machen ihren Live-Gig zu einem Fest!

28 | 09

kerretta + Duct Hearts + Waves + Nasmyth // glocke München und Postrock – geht doch! Ein fabelhaftes Mini-Postrock-Festival mit hochkarätiger Besetzung steht Ende September in der Glockenbachwerkstatt vor der Tür. Allen voran das Trio Kerretta, das in Neuseeland im Jahr 2006 von Dave Holmes, Will Waters und Hamish Walker gegründet wurde. Ihr aktuellstes Werk „His Streets Of Honey, Her Mouth Of Gold“ erschien heuer auf Golden Antenna Records und ist live ein absolutes Schmankerl. Auch die Münchner Postrock/Slugde-Szene kann sich mit Duct Hearts, Waves und Nasmyth sehen lassen. Ein Mini-Instrumental-Festival par excellence. Danke @ LEARN TO sWIM!


90 curt // Musik


HOME is where the music is Man kann ja wirklich viel behaupten, aber so ziemlich jeder Mensch auf dieser Erde würde auf die allzu bekannte einsame Insel unter anderem Musik mitnehmen. Daraus kann man entweder schließen, dass ein Großteil dieser Bevölkerung nicht fähig ist, mit Sand und Kokosschalen zu musizieren, oder ihnen schlicht und ergreifend etwas fehlen würde. Wir haben uns auf die Suche nach vier außergewöhnlichen Newcomern gemacht, um von ihnen zu erfahren, was Heimat für sie bedeutet. Hierbei trafen wir auf die Indie-Folker getting private in public, den Singer-Songwriter Leo Jonas, die ElektroPop-Band 50/50 und das DJ- und Produzenten-Duo COEO.

text und fotos: Michael dengler


92 curt // Musik


50 50

Es erscheint wie ein Traum: Man bekommt eine ausverkaufte Support-Tour angeboten, nur hat man zu diesem Zeitpunkt keine Band mehr. Nun gibt es zwei Möglichkeiten: untergehen oder oben schwimmen. 50/50 entschieden sich für letzteres und spielten Ende Mai im Atomic Café ihr erstes Konzert in München, wo ich Felix, Jonas, Paul und Flo traf.

Beschreibe dich in einem Wort:

Wo bist du geboren?

(Felix)

(Jonas)

(Paul)

(Flo)

München ist wie ...

>> facebook.com/5050page

in fünf jahren ...

heimat in bildern


94 curt // Musik


gpip

Dieses Treffen war die Definition von „auf dem Sprung“. Kurz vor der Abfahrt nach Wismar traf ich Bene, Ben, Valle und Laurin von getting private in public. Inzwischen spielen sie auch außerhalb der Stadtgrenzen von München und begeistern bis hin zur Ostseeküste. Noch ein Grund mehr, sich mit ihnen über ihre und unsere Heimat zu unterhalten.

Beschreibe dich in einem Wort:

Wo bist du geboren?

(Bene)

(Valle)

(Ben)

(Laurin)

München ist wie ...

in fünf jahren ...

Live: 31. Juli // Munich rocks im ampere // >> facebook.com/GettingPrivateInPublic

heimat in bildern


96 curt // Musik


Leo Jonas

Ein paar Tage hatte Leo Jonas Ruhe nach seinem Albumrelease Mitte Mai. Da bot es sich an, einen sonnigen Vormittag für ein Treffen mit ihm in seinem Vorgarten – dem Leopoldpark – zu nutzen. In den letzten Jahren war Leo sowohl mit Band als auch solo in ganz Deutschland unterwegs, hat viel erlebt und ist jetzt bereit, richtig durchzustarten.

Beschreibe dich in einem Wort:

Wo bist du geboren?

München ist wie ...

heimat in bildern

in fünf jahren ...

>> facebook.com/pages/Leo-Jonas


98 curt // Musik


COEO

Hilfe! Die Niederbayern kommen – in diesem Fall jedoch gut eingemünchnert. Ich durfte Laaax und Flo in ihrem Studio mitten in der Au besuchen. Sehr gemütlich zwischen Plattentellern, Keyboards und jeder Menge Vinyl unterhielt ich mich mit dem DJ-Duo von COEO an ihrem seit Langem ersten freien Wochenende über ihre Herkunft und wohin sie wollen.

Beschreibe dich in einem Wort:

Wo bist du geboren?

(Laax)

(Flo)

München ist wie ...

in fünf jahren ...

Live: 26. Juli // Back in the Woods Festival in Garching >> facebook.com/pages/COEO

heimat in bildern


100 curt // bilderrätsel

stadtviertel bilderratsel Welche Münchner Stadtviertel verbergen sich hinter diesen Bildern? Die eingefärbten Buchstaben ergeben das Lösungswort, das ihr bis zum 10. August an muenchen@curt.de mit Betreff „stadtviertel bilderrätsel“ einschicken und damit eins der 3 curt-Überraschungspakete mit Freikarten, Musik und vielem anderen Kram gewinnen könnt. Viel Spaß beim Tüfteln!

idee und umsetzung: carina neumann // Fotos: christian Vogel


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TEXT: Petra kirzenberger // fotos: lorraine hellwig

104 curt // 5 fragen an


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Hätte Gerhard Polt eine Talentschmiede, so wäre Markus Stoll garantiert sein Musterschüler. Als Harry G. und Isarpreiß hat sich der smarte Wahl-Münchner mit der spitzen Zunge und der scharfen Beobachtungsgabe längst einen Namen gemacht. Begonnen hat alles mit humoristisch-gesellschaftskritischen Videoblogs über so manch’ Münchner Subkultur, inzwischen hat der erste YouTube-Clip (Thema „Wiesn“) beinahe 500.000 Klicks und Harry G. tourt mit einem Kabarett-Programm durch Bayern. curt war mit Markus shoppen und durfte anschließend drei seiner Persönlichkeiten porträtieren. Kann man als Zuagroasta in München heimisch werden? Heimat würde ich prinzipiell mit Herkunft in Verbindung bringen. Aber natürlich kann auch ein neues Zuhause heimatlich werden. Die Sache mit den „Zuagroastn“ ist für mich humoristisch sehr interessant, aber ich find’s schön, dass München für viele zur Heimat wird. Was sind deine Lieblingsplätze zur Feldforschung? Im Grunde alle „Samstags-Wallfahrtsorte“, überall da, wo der Bogenhausener samt Hofstaat anrückt und Pralinen kauft, jedes gut situierte Warenhaus mit seiner mitunter recht bornierten Kundschaft, aber auch in Biomärkten kann man absurde Situationen beobachten. Und natürlich Gastronomie und Geschäfte rund um die Maximilianstraße. Wo ist der Isarpreiß am liebsten und wo der Markus? Na, in der Frontrow am Lago natürlich (sprich: alle Cafés am Starnberger See)! Außerdem natürlich die Cafés, wo alle Stuhlreihen gleich ausgerichtet sind. Da macht es total Sinn, mit dem Porsche vorzufahren! Ich selbst bin gern am Viktualienmarkt – allerdings dann ohne Hut –, außerdem beim Surfen am Eisbach. Da lässt sich’s nebenbei herrlich beobachten: Die dort versammelten Touristen geben einiges her! Ansonsten bin ich gern im Bayerischen Wald – das ist für mich ein echter Geheimtipp. Wer ist eigentlich Günther? Ich glaub, so ziemlich jeder kennt einen Günther. Der Günther ist das große Mysterium, der Typ, der hinter den Kulissen alles lenkt, der, dem München eigentlich gehört. Man könnte sagen, der Günther steht für den Staat selber. Er macht einfach, was er will. Wo willst du dereinst begraben werden? Mit Gerhard Polt in einer Familiengruft. Harry G. in München: 6./7. August im Theatron // Weitere Termine >> harry-g.com


106 curt // curt im ausland

Sardinien

Ein reisebericht von Patricia Breu


Sardinien ist das Land struppiger Macchia, smaragdblauer Strände, hügeliger Städtchen – und Heimat meiner neuen Familie. Jeden Sommer besuchen wir die Familie meiner Schwiegermutter inklusive der restlichen 355 Verwandten. Und jedes Mal passieren neue Sachen, die einem hier sowieso keiner abnimmt. Meine Schwiegermutter Annunziata und ihre sieben Geschwister wuchsen in dem kleinen Ort Sas Murtas an der nördlichen Ostküste Sardiniens auf. Als sie geboren wurde, gab es weder fließendes Wasser noch Strom auf der Insel. Während also der Deutsche haderte, welchen VW-Käfer es zu kaufen galt, überlegte die sardische Hausfrau noch, welche Seife wohl die Wäsche am Fluss am saubersten waschen würde. Der Familienvater versuchte, wie so viele Sarden, als Schäfer dem kargen Land eine Lebensgrundlage abzutrotzen. Deutsche kannte die Familie als Touristen, die im Sommer ihre Ferien auf Sardinien verbrachten. Der Vater dachte sich: Wenn diese

Leute freiwillig in unser ausgedörrtes Land reisen, wie schlimm muss es dann erst in ihrer Heimat zugehen? Und in ihm wuchs die Vorstellung von einer eiskalten Hölle namens Deutschland. Weil sich aber allein von einer Herde Schafe die Familie nicht ernähren ließ, zogen die Kinder trotzdem ins Ausland, um dort ihr Glück zu versuchen. Viele junge Sarden folgten damals dem Ruf des Abwerbeabkommens nach Deutschland. Onkel Mario zum Beispiel wurde Fernfahrer im tiefschwäbischen Göppingen. Deutsch lernte er in der Fremde eher durch den zufälligen Umgang mit Einheimischen. So tat sich Mario natürlich ziemlich schwer, deutsche Konsonanten richtig auszusprechen. Und als sein Kollege wissen wollte, wohin Mario heute fährt und dieser „Aschlok“ erwi-derte, wollte er eigentlich nur „Hassloch“ sagen. Verständlich, dass ihm dies erst nach langen Beschwichtigungsversuchen geglaubt wurde.


108 curt // curt im ausland

Ganze 43 Jahre lang blieb Mario in Schwaben, wo er auch seine sizilianische Frau kennenlernte. Er hatte viele Jahre darauf gewartet, wieder nach Hause zurückzukehren, und seine sardische Identität davor geschützt, durch deutsche Einflüsse aufzuweichen. Erst als Mario nach Sardinien zurückkehrte, erkannte er, dass auch Deutschland eine Heimat für ihn geworden war. Die unweigerliche Konsequenz: Marios Familie wurde deutscher als so mancher Schrebergarten-Vereinsvorsitzender. Heute ist Onkel Mario der einzige Bewohner Posadas mit bunt bemalten Gartenzwergen im Vorgarten. Direkt am Rasen vorbei führt eine große Errungenschaft der Ortschaft, die sie ganz und gar Mario zu verdanken hat: ein Radlweg. Weil dies in Deutschland schließlich üblich ist, konnte Mario die Gemeinde tatsächlich von dessen Notwendig-


keit überzeugen. Obwohl Mario gar kein Radfahrer ist – denn er schwört auf deutsche Wertarbeit in Form seines Volkswagens. Meistens ist es ziemlich schwer, das Gemüt der jeweils anderen Kultur zu verstehen, ohne sich über den anderen lustig zu machen. Vor ein paar Jahren verbrachte ein Münchner Freund der Familie seine Ferien in Sas Murtas. Weil er sich zur Abwechslung mal etwas bewegen wollte, es aber recht heiß war, joggte er oben ohne ums Haus. Soweit die deutsche Version. Die sardische Verwandtschaft erzählt sich jedoch bis heute gern den Schwank von einem Sommer, der so unerträglich heiß war, dass die Kartoffel durchdrehte und nackt durch die Gegend rannte. Auch beim Essen ist Vorsicht geboten. Dass eine Ablehnung des Nachschlags ohne Gnade ignoriert wird – ja, darauf ist man spätestens seit der Lektüre von Jan Weilers „Maria ihm schmeckt’s nicht“ vorbereitet. Doch der schlimmste Killer der neu gewonnenen Familienharmonie ist, an Omas Tisch

nach dem vierten Nachschlag einem ihrer Enkel beim letzten Stückchen Wildschwein zu helfen. Kein Wunder, dass der hilflose 25-jährige Junge so dünn ist, wenn ihm alles vom Teller weggefuttert wird! Annunziata ist das einzige Kind der Familie, das in Deutschland geblieben ist und hier eine Familie gegründet hat. Als ihr Vater das erste Mal zu Besuch nach Ulm kam, war er überwältigt von den saftigen Wiesen dort. Von diesem Zeitpunkt an verwandelte sich Deutschland für ihn in ein „grünes Paradies“, in dem seine Schafe sehr gerne gegrast hätten. Als Symbol der Verbindung zu meiner zweiten Heimat werde ich mich zur Hochzeit über alle sardischen Geschenke in Form von mediterranen Glitzer-Gemälden, pseudo-antiken Vasen und des obligatorischen Porzellan-Schwans riesig freuen. Denn eines habe ich auf jeden Fall von meiner Schwiegermutter gelernt: Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Gesicht!


110 curt // selbstversuch

boarisch to go Ein selbstversuch von Sonja Pawlowa

Ko ma no Boarisch ren z’Minga Miassat ma probiern . Drum probier i ’ s hoid . Und wei i mi alloanigs ned drau , suach i ma zerst ebban , de wo ’ s a ko . Des is aba gar ned so oafach , wia ’ s zerst ausschaugt . Ob man mit Bairisch durch München kommt oder ob man es sogar braucht, ist eine Hand-aufs-HerzFrage, die nach einem Selbstversuch schreit. Boarisch ren ist als Einzelgänger schier unmöglich. Meine Erfahrung sagt: Ein Mitsprecher tut not. Doch als ich die Bayern aus meinem Bekanntenkreis darauf anspreche, stellt sich heraus, dass da kaum einer des Dialekts mächtig ist. Bisserl Schneebergerisch, und aus.

dahoam Da steht es über der Tür – das Dahoam in der Frauenhoferstraße –, Peri steht hinter der Bar. Auf den ersten Blick wirkt sie nicht allzu bayerisch, trägt sie doch kein Dirndl und auch keine Zöpfe oder so. Mein Eindruck trügt nicht. Peri ist Türkin und die Freundin des Wirts, der heute allerdings physikalisch nicht da ist. „Mi dad intressirn, ob ma bei eich auf boarisch bschteyn kannt und du dadast des verstehn.“ Peri hat kein Problem damit: „Ich bin schon sehr lange in München, mein Freund ist Bayer. Das geht schon.“

fei scho Das „Fei Scho“ in der Jahnstraße deutet schon mit seinem modernen Design an, dass es sich nicht um eine klassisch bayerische Lokalität handelt. Und auch die Empfangsdame ist geradezu unbayerisch, nämlich asiatisch. „Des is jetzad wengam körd. I mechad amoi aussafindn, ob i a durch Minga kamat, wenn i nua boarisch red.“ „Zum hier Essen oder zum Mitnehmen?“ Kein Kommentar. Im weiteren Gesprächsverlauf verwendet sie dann lieber Englisch. Allerdings versteht der Wirt Nico bestens, was ich sage. Er ist Österreicher und erklärt mir, dass das „Fei Scho“ ein Ableger vom „Jo Mei“ ist.


WUID Schon die Menükarte im „Wuid“ in der Humboldtstraße ist für Ausländer im engeren Sinn eine Herausforderung. Zwei Drittel der Gäste sind hörbar nicht einmal des Deutschen mächtig. Wie sollen sie dann wissen, was sich hinter der Speise „Bixnmacher“ verbirgt? Die Kellner Markus und Yassin jedoch sind beide Münchner und verstehen problemlos meinen Schmarrn. „Ganz selten, dass wir was erklären müssen“, sagt Markus. „Die meisten Ausländer kommen in Gruppen und haben einen Hiesigen dabei. Der übersetzt dann.“

am kiosk Claudio arbeitet beim Kiosk an der Reichenbachbrücke. Viele von euch werden ihn kennen. Ihr dürft ihn das nächste Mal auf Boarisch anreden. Er antwortet dann genauso. Claudio ist Halb-Italienier und kein Fast-Italiener. Und: Er ist in Rosenheim aufgewachsen. Muss ich mehr sagen?

beim arzt Ärzte können bekanntlich Latein, aber können sie auch Boarisch? Meiner kann. Dr. Thomas Rieger ist Allgemeinmediziner und sehr, sehr cool. In seiner Praxis hängt nicht die beliebte Konsens-Kunst, sondern ein Porträt vom Chef. Im Sprechzimmer kann man das CD-Cover von den Sex Pistols nicht übersehen. Der Mann hat Humor – aber vergeht ihm der, wenn einer nur Boarisch spricht? „Na, des konn i scho. Und brauch i a“, sagt er. Einmal sei tatsächlich ein älterer Patient mit dem Krankheitsbild „Siri“ da gewesen. Und? Weiß jeder, was der Mann hatte? Nein, keine indische Freundin, sondern er war wund. Manche sagen auch „seri“, aber der Rieger versteht beides.

Trachtenvogl Was ma im „Trachtenvogl“ in der Reichenbachstraße gwies ned sigd, is a Tracht. Der Kellner, der mich betreut, trägt viel Tattoo und Coolness. Boarisch verstehen – ja, klar. Foto – nein, danke. Schade.

bei der post Natürlich hätte ich auch eine Bank ausprobieren können, oder einen Friseur. Bleibt sich gleich, finde ich. Auf Boarisch angesprochen, muss Michael aus der Großannahmestelle zugeben, dass er mich leider nicht versteht. Es ist ihm bisschen peinlich, denn er ist ein echter Münchner. „Kommt aufs Viertel an, wo man aufwächst“, sagt er.

lingoking Wie hilft man sich, wenn man mit Hochdeutsch nicht weiterkommt? Bei Fremdsprachen gibt es bei Lingoking weltweit Soforthilfe. Übersetzer und Dolmetscher wandeln unser Gesagtes und Gesprochenes in Laute und Texte um, die manchmal echt exotisch klingen. Damit man die entsprechende Fachkraft nicht lang suchen muss, gibt es eine Firma, die die Suche übernimmt. Doch kann ich mir auch einen Übersetzer für Boarisch buchen? Gibt es da Vereidigte mit Stempel? Gibt es ein Norm-Bairisch?„Bairisch-Übersetzungen hat bisher noch keiner verlangt“, erklärt Joachim von Lingoking. „Aber wenn es einer braucht, suchen wir halt mal.“ (lingoking.com)


112 curt // waschdls grantnockerl

DEr PLURAL VON HEIMAT IST MENSCH

WAschdls grantnockerl

Heimat ist was Schönes. Berge. Seen. Bier. Weiße Wolken vor blauem Himmel. Kühe auf der Weide, Schweine auf dem Teller. Pralle Wadeln und noch prallere Dekolletes. Bayern auf den Wiesen, Preißn an der Isar. Postkartenidylle. Unwirkliche Schönheit, die schon fast weh tut. Klischees, so breit, so krass, so schmalzig, das man kaum mehr atmen kann. Das ist Heimat. Oder?

Weißwürschd, Lederhosen und das beruhigende Rauschen der Isar: München ist ein Traum von einer Stadt. Aber weil München nicht München wäre ohne eine ordentliche Portion Grant, lässt curt-Redakteur Sebastian Klug (bayerisch: „Waschdl“) an dieser Stelle in jeder Ausgabe einmal so richtig den Grantler raus und zeigt auf, was schief läuft in der Landeshauptstadt. Diesmal hat er sich die zahlreichen Dimensionen des Heimatbegriffs vorgenommen – und das ungewohnt ungrantig.

TEXT und fotoidee: SEBASTIAN KLUG

In den letzten Jahren habe ich mit verschiedenen Menschen über das Thema Heimat gesprochen – und dabei die unterschiedlichsten Antworten erhalten: Für Sebastian Horn, Sänger der „Bananafishbones“, ist Heimat beispielsweise der Ort, an dem seine Familie, seine Freunde sind. Extremsportler und Musiker Matze Brustmann, Kopf der Münchner Band „Balloon Pilot“, dagegen verbindet Heimat stark mit der Natur um ihn herum. Der Schriftsteller Jan Weiler wiederum betrachtet Heimat als den Ort, an dem er seine Gefühle ausdrücken kann, ein Sprachraum, in dem man ihn versteht. Einer jedoch fiel unlängst ein wenig aus der Reihe: Der Drehbuchautor Peter Probst beantwortete die Frage nach seiner Vorstellung von Heimat so, dass Heimat für ihn dort sei, wo er sich aufregen könne. Wo ihn Dinge bewegen.

Heimat als Aufreger? Als Stressor, als Konfliktherd? Das widerspricht zuerst einmal so ziemlich allem, was das klischeehafte Bild einer Heimat, eines Zuhauses überhaupt erst ausmacht: Geborgenheit. Frieden. Ruhe. Eine Heimat, in der man Kraft aufwenden muss, um in ihr zu bestehen, wirkt dagegen wie ein lästiges Übel. Ungemütlich, unharmonisch, unschön – mit einem Wort: unheimelig. Wenig erstrebenswert. Irgendwie „falsch“. Stattdessen wenden wir Unmengen an Energie auf, um die Fassade eines Zuhauses und einer Heimat aufrechtzuerhalten, die in unseren Köpfen „richtig“ zu sein scheint. Wir räumen unsere Wohnung auf, wenn Besuch kommt, und erzeugen so die Illusion, bei uns wäre immer alles in Ordnung (oft gewürzt mit dem Satz „Bitte entschuldigt das Chaos“). Wir streiten nicht mit unserem Partner vor anderen und machen sie so glauben, wir lebten in nicht enden wollender Harmonie. Wir formen unsere Realität nach einem Bild, das eigentlich wiederum unsere Realität widerspiegeln sollte. Wer jedoch einen Schritt zurücktritt und hinter diese Fassaden blickt, sieht, dass die eigene Wohnung nicht perfekt aufgeräumt sein muss, um ein


perfektes Zuhause zu sein. Dass eine Beziehung, in der man streitet, daran nicht kaputt geht, sondern im Grunde genau dadurch am Leben bleibt, weil man sich austauscht, sich voreinander behauptet, sich immer wieder neu kennenlernt. Mit einer Heimat ist es im Grunde ganz genauso: Sie wird erst zur Heimat, wenn man erkennt, an welchen Stellen noch gearbeitet werden muss. Wenn man lernt zu unterscheiden zwischen dem, was man akzeptieren muss (in Bayern beispielsweise die Stellung der CSU und die Sprache der Preißn) und dem, was man noch ändern kann (beispielsweise die Stellung der CSU und den verirrten Trachtenwahn der Preißn). Es gibt so viele Heimaten (sofern das der korrekte Plural ist), wie es Menschen gibt. „Heimat“ ist vielleicht einer der intimsten Begriffe überhaupt, aufgeladen mit Hoffnungen, Ängsten, Wünschen, Sehnsüchten, Traditionen, Innovationen und einer Unmenge an Gefühlen. In ihr steckt alles, was jeden Einzelnen von uns ausmacht. Heimat gehört nicht der Politik, nicht der Werbung und nicht den Wiesnwirten. Heimat gehört uns, und niemand kann sie uns nehmen. Das sollten wir nie vergessen.


114 curt // impressum

home sweet home

tirolk채rntensteiermark

neben k체hen

unter palmen

LPA, G.C.

kartoffelacker

im viertEl

VEREINSHEIM

massmann

da, wo meine liebsten sind

weide(n)

passionsspieldorf

auf den d채chern der stadt

ISAR

hier und da

bananental

kaufbeuren, allg채u

WORMS

ISARvordorf


curt media gmbh Geschäftsführung Reinhard Lamprecht. lampe@curt.de GESTALTUNG UND cvd CURT MÜNCHEN Melanie Castillo. mel@curt.de Schlussredaktion & Lektorat Mirjam Karasek. mirjam@curt.de Litho & Final countdown Petra Kirzenberger. petra@curt.de Druck Stoba-Druck GmbH

an dieser Ausgabe haben mitgewirkt: Mirjam Karasek, Melanie Castillo, Petra Kirzenberger, Sonja Pawlowa, Stefanie Giesder, Patricia Breu, Achim Schmidt, Christian Vogel, Christian Gretz, Carina Neumann, Nurin Khalil, Lorraine Hellwig, Julia Fell, Sebastian Klug, Thomas Karpati, Hanna Kaufhold, Bob Pfaffenzeller, Julia Fromm, Claudia Pichler, Michael Dengler, Adrian Leeder, Oliver Armknecht, Ronit Wolf, Simone Reitmeier, Eva Fredrichs, Antonia Rode, Annika Liebeknecht, Johannes Mairhofer, Tobias Hammerbacher, Tuncay Acar und Andreea Hula (unsere Social-Media-Uschi). curt München erscheint 4 x im Jahr in einer Auflage von 10.000 Stück und liegt kostenlos aus. Das idealistische Projekt ist der Zusammenarbeit kreativer Köpfe zu verdanken – Journalisten, Grafiker, Illustratoren, Künstler und Fotografen, die mit Herzblut ein Stadtmagazin von München für München gestalten. Danke an alle Beteiligten! Du willst auch mitmachen? Dann meld dich bei uns! muenchen@curt.de

die curt-dealer der stadt Feierwerk // Südstadt // City Kino // Café Kosmos // Café am Hochhaus // Bergwolf // Trachtenvogl // Substanz // Backstage // Valentin Stüberl // Münchner Volkstheater // Muffatwerk // Deutsche POP Akademie // Glockenbachwerkstatt // Corleone // Zentraler Hochschulsport (ZHS) ...

die nächste ausgabe #  79 erscheint im Herbst 2014.

curt Magazin München curt Media GmbH // Geschäftsführer: Reinhard Lamprecht (ViSdP), Gerald Gömmel Widenmayerstr. 38, 80538 München Tel. 089 520 306 81 // Fax 089 520 306 15 E-Mail: muenchen@curt.de

curt Magazin Nürnberg Chefredaktion: Reinhard Lamprecht Bogenstr. 43, 90441 Nürnberg Tel. 0911 940 58 33 Fax 0911 80 15 317 E-Mail: info@curt.de

Bis dahin sind wir online auf curt.de/muenchen für euch da und lassen nichts anbrennen: Termine, Konzertreviews, Theater, Filme, Rezensionen, massenhaft Verlosungen und Pipapo.

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Ein Nachdruck der Texte oder Fotos in curt – auch im Internet – ist nur mit schriftlicher Genehmigung gestattet. Für unverlangt eingesandtes Text- und Bildmaterial wird keine Haftung übernommen.


IDEE & UMSETZUNG: SIMONE REITMEIER 116 curt // hinten raus



FreiluFtkino

•viehhof kino. • • eingang: tumblingerstr. 29 (u3-u6 poccistr.) •

-

11. 6.

de

31.8.

nachtbiergarten „zur Freiheit“ (bis 1:00 uhr) Freizeit, Familie unD kultur

• musik-bühne • im

Viehhof

liVe

am wochenende

Viehhof • alle Filme unD alle inFos auF: www.ViehhoF-kino.De • im

veranstaltet durch:


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