curt Magazin München #79 // Irgendwas mit Kunst

Page 1

curt Stadtmagazin m체nchen # 79 // k채ltezeit 2014

curt Stadtmagazin m체nchen # 79 // K채ltezeit 2014

iRgendwas mit kunst


HEFT 9 · SPIELZEIT 2014 / 2015

DAS NEUE MAGAZIN DES MÜNCHNER VOLKSTHEATERS. JETZT IM VOLKSTHEATER

KENNSTE, JA? NA DANN PASS MAL AUF!


VORWORT Mit Schrecken musste ich bei einer Piccasso-Ausstellung entdecken, dass Pablo etwa in meinem Alter war, als er im Paris der 20er-Jahre wie am Fließband Werke von Weltruhm schuf. In dieser Zeit traf er oft andere Künstler, mit denen er gemeinsam die Kunst der Moderne revolutionierte; unter ihnen auch der ein wenig jüngere Joan Miró und Salvador Dalí, damals noch ein Teenager. Sie streiften um die Häuser am Montmartre, besoffen sich mit Absinth (für Dalí nur Limo), versanken in hitzige Debatten – und beschritten vollkommen neue Wege der Kunst. Ich hingegen diskutiere zwar auch gerne und oft betrunken die wildesten Theorien – um anschließend aber meinen Rausch auszuschlafen und weiterzumachen wie gehabt. Nicht so Picasso, Miró und Dalí. Picasso suchte zu dieser Zeit nach neuen Ausdrucksformen, während Miró bereits begeistert mit seinen surrealen Formen experimentierte. Dalí saß einfach nur daneben, hörte den Erwachsenen beim Fachsimpeln zu und nippte heimlich am Absinth. Picasso sagte vielleicht etwas wie: „Mein lieber Joan, ich weiß nicht weiter. Der Kubismus ist mir mittlerweile zu verkörperlicht, ja, von manchen fast verherrlicht, er ist mir ein Graus. Gleichzeitig komme ich auch mit dem Klassizismus nicht mehr zurecht. Ich stecke in einer Sackgasse.“ – „Pablo, dieses Dilemma kenne ich! Salvador, nimm die Finger vom Absinth! Deine Augen sind schon ganz wirr!“, würde Miró vielleicht darauf geantwortet haben. „Du musst den Kubismus als Übergang zu etwas Abstrakterem verstehen, dem Surrealismus! Mit ihm kann ich nun Dinge ausdrücken, die ich vorher nicht für möglich gehalten hätte!“ – „Was? Mit blauen und roten Klecksen und Strichen?“, krakeelte Dalí dazwischen. – „Salvador, misch dich nicht ein! Hier hast du eine Serviette und einen Kohlestift. Mal was Schönes und lass uns reden, ja? Und lass mir den Absinth stehen!“ – Darauf Picasso: „Na, wenn das so einfach wäre.“ – „Es ist so einfach, Pablo. Begreife es nicht als ein Gegeneinander, sondern als ein auseinander heraus entstehendes Größeres, das ...“ – „Hä? Auseinander was? Oh je, ich glaub, ich muss kotzen ...“ (Dalí). – „Verdammt, Salvador, jetzt hast du dich tatsächlich auf den Tisch übergeben ... von dem bisschen Absinth?“ – „Tut mir leid, Joan, ich mach das gleich weg. Hey, warte, das sieht aus wie eine Taschenuhr, die von der Tischkante tropft. Cool! Moment, ich sehe einen Hummer auf einem Telefon. Schön! Maître, noch eine Runde Absinth für mich und meine Freunde! Schnell, die Farben verblassen nämlich langsam, die FARBEN!“ So ungefähr stelle ich mir das jedenfalls vor. Eine aufregende Zeit muss das gewesen sein. Und ungemein produktiv. Wenn ihr demnächst jemanden alleine in der Ecke einer alten Münchner Künstlerkneipe grünes Zeug saufen und wild in die Luft gestikulieren seht, bin ich das wahrscheinlich. Beachtet mich einfach nicht, ich bin sicher nur dabei, mit mir selber eine neue Kunstrichtung zu diskutieren. Denn die Moderne ist echt durch, glaubt mir. Bis dann, euer Thomas


6 MAL FREI E WA H L!


VORNE WEG // curt 3

CURT # 79 7 // IRGENDWAS MIT KUNST

ZUFALLSGENERATOR

KUNST-QUIZ

04 Kunst ist ...

52 Was bedeuten diese Kunstwerke?

MÜNCHNER G‘SCHICHTEN

FILM

06 Im Gespräch mit Andi Kräftner

52 Beltracchi – Die Kunst der Fälschug

10 Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit –

Macher der Kunstszene 16 Kreativquartier 18 Die größte Bühne Münchens – so geht Straßenkünstler-Casting 22 Die Färberei 24 Kunstspeisen 26 Hardcore abende – neue Lesereihe 30 Kunst oder Porno? 34 Menschenhaut als Leinwand – curt lässt sich tätowieren 37 Flüstergesang – die leise Kunst 38 Kunst als Therapie – Refugio 40 Planet Kunst – Expedition Museum 44 Kunstvoll sterben – Sargdesign 46 Exotische Kunst oder die Kammer des Grauens – ein Besuch in der Asservatenkammer am Flughafen 48 Die Geschichte von Luc und Marina Abramovic in Wort und Bild

COVER

Im Gespräch mit Regisseur Arne Birkenstock SELBERMACHEN 60 Lion Fleischmann (HAUS75) MUSIK & KULTUR 62 Panama Plus Festival

FOTO: JULIA FROMM >> julifro.net

64 PULS-Lesereihe

Münchner Kammerspiele 66 curt präsentiert feine Konzertabende SELBSTVERSUCH 70 Mann trägt lang – 24 Stunden mit

künstlichen Fingernägeln IMPRESSUM 72 Selbstporträts HINTEN RAUS (DIESES MAL MITTENDRIN) 74 Die Kunst der Zweifaltigkeit

Ja, ja, mit Essen spielt man nicht! Aber was macht Calippo Schmutz aka Luc nicht alles für die Kunst … Die dramatische Story zum Motiv gibt‘s ab Seite 48.


4 curt // ZUFALLSGENERATOR

Kunst ist Ansichtssache. Kunst ist relativ. Ein Begriff, über den man lange und hitzig debattieren kann. curt hat in der Stadt Münchner Kunstinteressierte angesprochen und sie nach ihrer ganz eigenen Definition gefragt. Keine Zeit also für langes Kopfzermartern. Spontaneität war gefragt.

KUNST IST ... INTERVIEWS: MARGARITA SEREDA-WILDENAUER // FOTOS: NADINE DECKENSATTL

THOMAS UND KATHRIN AUS MÜNCHEN

CLARA, CLAUDIA UND SERGIO AUS SIZILIEN

Inspiration fürs Hirn. (Thomas) Persönliche Reflexion der Wirklichkeit. (Kathrin)

Die Möglichkeit, die Geschichte und Entwicklung eines Landes zu vermitteln. (Clara) Die Möglichkeit, die persönliche Weltanschauung darzustellen. (Claudia und Sergio)


SEBASTIAN, HALBMÜNCHNER AUS KÖLN

CARO UND ROBERT AUS MÜNCHEN

KIRA AUS MÜNCHEN

Denkgrenzen überwinden.

Ich hatte schon damals keine passende Antwort auf die gleiche Frage meines Opas. (Caro)

Kunst ist, sobald sich jemand kreativ betätigt und seine Gefühle ausdrückt.

SIMON UND TATJANA AUS MÜNCHEN

DORIS AUS MÜNCHEN

DUC AUS MÜNCHEN (EIGTL. AUS VIETNAM)

Freiheit. (Tatjana) Flucht aus dem Alltag. (Simon)

Ästhetik. Schönheit aller Dinge. Farben. Daher ist die heutige Kunst auch nicht mehr das, was es mal war.

Möglichkeit zur Selbstverwirklichung. Verschafft dem Künstler Unsterblichkeit.


6 curt // MÜNCHNER G‘SCHICHTEN

KUNST IS FOR SUCKERS!


Kunst kommt von Können, nicht von Wollen: Sonst hieße es ja „Wunst“. Andi Kräftner reiht sich keineswegs in das Lager blasierter Möchtegern-Künstler und verschrobener ExistenzExhibitionisten ein. Dafür zählt der sympathische Schreiner und Hansdampf in allen Gassen zu den mannigfaltigsten Machern Münchens. curt hat den flinkzüngigen Geek im kreativen Chaos seiner gemütlichen Giesinger Werkstatt zur Rede gestellt.


8 curt // MÜNCHNER G‘SCHICHTEN

TEXT: CHRISTOPH BRANDT FOTOS: CHRISTIAN VOGEL, ANDREAS KRÄFTNER

An manchen Tagen scheint Kräftners Siebdruckmaschine zu glühen und endlos Band-Shirts und Jutetaschen mit Club-Logos auszuspucken. Für außergewöhnliche Red-Bull- oder X-Games-Events kreiert der geschickte Handwerker-Hüne immer aufwendigere Trophäen und massig Medaillen. Kehrt unerwarteterweise mal Ruhe ein, schwingt er sich entweder auf sein BMX oder verwirklicht eigens erdachte Objekte, wie z. B. den KresseKräutergarten „Vitamin Gunshots“, dessen Silhouette aussieht wie eine AK-47. Dazu gesellen sich Ghettoblaster-Couchkissen oder Seifen in Knarrenform. Verständlich, denn welches zarte Mimöschen möchte nicht beizeiten ihren mies müffelnden Mann mit Waffengewalt zur somatischen Säuberung zwingen?

Erzählst du uns bitte etwas über die SeifenWumme? Ich bin gelernter Industrie-Designer. Die Idee kam mir vor ca. drei, vier Jahren. Mit erheblicher Rumtrickserei konstruierte ich eine Form, danach besorgte ich in irgendeinem InternetHippieladen Gießseife, die ich in der Mikro erwärmte. Durch die Duftöle roch die ganze Bude lange recht streng nach Lavendel. Da die ersten 20 Exemplare sofort vergriffen waren, goss ich schließlich zusammen mit einer Studentin jeden Freitag an die 300 bis 400 Stück. Mittlerweile erhält man sie in mehreren Museumsshops wie der Sammlung Brandhorst bis hin zum Museum of Contemporary Art in Chicago – die sind dort ja eh recht waffenaffin. Hat die Freiheit bei den Aufträgen durch deine Bekanntheit zugenommen? Bekanntheit? Ich nenne es lieber Vertrauen, dass ich bei bestimmten Firmen genieße, die sich inzwischen mit mir auf der sicheren Seite wähnen. Man verfügt schon über genügend Freiheiten, um nicht komplett dem Wahnsinn zu erliegen. Das Schöne an dem Job ist die Vielfalt und das Mittendrin. Ich würde jeck werden, wenn ich jeden Tag drucken müsste. Von eigenen Sachen alleine kann man selten leben, das ist leider ein verklärtes Weltbild. Das Vervielfältigen als Handwerk an sich und der Umgang mit Farben sind der reine Wahnsinn, aber der Verkauf ist total leidig, denn die meisten horten bereits 100 T-Shirts daheim. Drucken ist ein Traum, Verkaufen der Alptraum. Die Aufträge sind

dafür da, sich den eigenen Scheiß zu leisten. Heute z. B. belichte ich fünf Siebe nur für mich und probier was aus. Es ist mehr so ein Dahinwabern, the Art of Survival; man darf nicht ausflippen, wenn mal ein paar Tage lang das Telefon still steht. Dann baut man sich eben irgendein Kasterl, damit man wieder irgendwas irgendwohin stellen kann. Hast du Vorbilder à la Banksy und gibt es derzeit ein Wunschprojekt? Ausgeschlossen, Banksy ist für mich die Diddl-Maus. Zeit und Muße sind leider sehr rar geworden. Man verliert schnell den Überblick, was man alles fabriziert hat. Dann willst’ dich mal aufs Radl setzen und hast einen Platten. Ich würde gerne eine Woche mit schönem Papier verschwenden, nur um meine neue MonsterDruckmaschine zu beherrschen. Oder üben und in der Folge zum ultimativen Salsa-König mutieren. Fällt es dir schwer, von deinen Erzeugnissen loszulassen? Nein, ich benötige eigentlich keine Belege davon; ich bin in der glücklichen Lage, alles zu besitzen, was ich will. Ein Foto oder der verfräste Prototyp der X-Games-Medaille reicht mir vollends. Nur neulich beim Wrestler-Gürtel, den ich gefühlte 100 Mal in der Hand hatte … Dich kotzt jeder Mini-Kratzer an; der tut dir weh, weil man selber jeden Fingerabdruck vermeidet. Bei der Siegerehrung hält der geistesgestörte Gewinner die Trophäe hoch und die anderen Sportler blasen das Teil mit Sekt weg. Mitten in dem Inferno befindet sich dieser Gürtel, den du vorher behandelt hast wie


dein eigenes Fleisch und Blut. Gut, das schmerzt einmal kurz, aber das war’s dann. Es ist eben nicht mehr so schön, wie man es damals gebaut hat. Die Freestyle-Profis nehmen das reingesteckte Herzblut dennoch wahr. Wird heutzutage mehr konsumiert als selber produziert? Mein Gott, momentan hängen die meisten vorm Rechner rum. Niemand ist mehr dreidimensional. Alles ist flach und digital. Aber sobald jemand gerne ein bestimmtes Teil haben möchte, weiß keiner mehr, wie es funktioniert. Tatsächlich wähne ich mich da in einer ganz guten Ecke, weil ich weiß, wie man Sachen baut. Es stellt kaum einer Fragen, ob es ein gewisses Teil wirklich braucht. Ich bin nur so am Dahinproduzieren und froh, dass ich das Zeugs nicht verscherbeln muss. Jeder ist heutzutage ein Experte. Die Leute würden auch am liebsten sämtliches selber machen, wenn sie nicht viel wichtigere Dinge zu tun hätten. Jeder findet sich total geil und möchte sich am liebsten unsterblich machen, ein Stück hinterlassen. Aber wenige besitzen so eine fette Säge wie ich.

Angst, dass hier jemand etwas klaut? Dem Viech, das diese sauschweren Maschinen herausträgt, werde ich kaum hinterherlaufen. Ist es die Benutzung der rechten Gehirnhälfte beim kreativen Prozess oder sind es eher die Farben, die dich in eine Art Schaffensrausch verfallen lassen? Ich liebe es zwar, hier in meiner Werkstatt zu werkeln, aber es liegt weniger daran, dass die Farben so himmlisch duften. Ein Kommentar zu unserem Überthema „Irgendwas mit Kunst“ ... Gestaltet doch ein cooles Cover und den restlichen Inhalt nur mit Blindtext: So geht für mich Kunst. Kunst is for Suckers!

Weitere Infos zu Andi Kräftner >> kraeftner.de


10 curt // MÜNCHNER G‘SCHICHTEN

KUNST IST SCHÖN, MACHT ABER VIEL ARBEIT

TEXT: MARGARITA SEREDA-WILDENAUER // FOTOS: CHRISTIAN VOGEL

Dass Kunst schön ist, aber viel Arbeit macht, wusste schon Karl Valentin. Dem Museumsbesucher bleibt diese in der Regel verborgen. Wir haben hinter die Kulissen geblickt und bei den Protagonisten der Münchner Kunstszene nachgefragt, wie das so ist mit ihrer Arbeit.


KATHARINA FREIFRAU VON PERFALL, VORSITZENDE DES VORSTANDS VON PIN. FREUNDE DER PINAKOTHEK DER MODERNE E.V. Mit dem Ziel, die Kontinuität des Sammelns und die publikumsorientierte Vermittlung der Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts zu ermöglichen, unterstützt der PIN.-Verein durch Förderung von Ankäufen, Ausstellungen und Vermittlungsprojekten alle vier Institutionen unter dem Dach der Pinakothek der Moderne. Bereits zum 12. Mal findet am 22. November in der Rotunde der PdM die PIN.-Party als ein Kulturhighlight des Münchner Herbstes statt. curt sprach mit Katharina von Perfall, die lange Zeit als Kunstberaterin tätig war und seit 2010 Vorsitzende von PIN. ist. München und Kunst gehörten schon immer zusammen. Wie erleben Sie heute die Szene? München unterscheidet sich von anderen Orten, national und international, durch seine Vielzahl an Institutionen, die gerade im Bereich der Gegenwartskunst eine enorme Kompetenzdichte aufweisen. Selbst das so viel größere Berlin hat hier weniger zu bieten. Auffällig, produktiv und vor allem sehr sympathisch ist, dass sich diese Institutionen nicht – oder nur im positiven Sinne – als konkurrierend verstehen und aus dem Wissen heraus kooperieren, dass die Außenwirkung Münchens als Kunststadt von einem kollegialen Miteinander aller Beteiligten lebt. Fördern, um das Sammeln und Vermitteln, also die Planungssicherheit der Museen zu ermöglichen. Welche Herausforderungen stellen sich? PIN. feiert im nächsten Jahr sein 50-jähriges Gründungsjubiläum. Ein halbes Jahrhundert, in dem sich die Bedingungen, unter denen Kunst entsteht und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, fundamental verändert haben. Während die Preise für gute Kunst kontinuierlich steigen, sind die staatlichen Etats für Ankäufe und Ausstellungen ständig zurückgeschraubt worden. Früher hatte PIN. bzw.

die Vorgängerinstitution, der Galerie-Verein, vor allem die Rolle, Anstöße zu geben und die Augen der Verantwortlichen für Gegenwartspositionen zu öffnen, nicht selten im Widerspruch zur gerade vorherrschenden Ankaufspolitik. Heute müssen wir vor allem die Rolle des Ermöglichers übernehmen. Sei es, um Projekte aus eigenen Mitteln zu unterstützen, sei es, um Sponsoren zu begeistern. Welche Bedeutung hat Kunst und damit auch deren Förderung für unsere Gesellschaft? So merkwürdig es klingen mag: Ich glaube, heute erfüllt die Kunst ihre Rolle zunächst als Kommunikationsanlass. Wenn vor einem Kunstwerk Menschen aus unterschiedlichen Kulturen oder Lebensbedingungen aufeinandertreffen und sich darüber austauschen, was sie jeweils mit dem Werk verbinden, erfahren sie in einem geschützten Rahmen unendlich viel voneinander. Deswegen liegen uns innovative Vermittlungsformate, insbesondere für Kinder und Jugendliche, sehr am Herzen. Sicherlich blicken Sie schon gespannt der diesjährigen PIN.-Party am 22. November entgegen. Was ist noch zu tun? Es ist nicht mehr wie

früher der eine große Ankauf, den wir finanziell fördern. Vielmehr sind wir bemüht, das Museum in all seinen Aktivitäten zu unterstützen und neue Förderer dafür zu begeistern. Die PIN.-Party ist dafür ganz typisch. Das Prinzip dabei ist, einer Auktion die Plattform zu bieten, auf der sich gute Künstler und Galerien gerne wiederfinden und ihre Arbeiten verkaufen können. Neben der Auktion gilt es, allen Gästen einen strahlenden Abend zu bescheren, an dem unterschiedliche Generationen zusammentreffen und Spaß haben. An einem Ort, der für solche Feierlichkeiten nicht ausgestattet und geplant ist. Um all dies zu ermöglichen, bedarf es einer ausgetüftelten Vorbereitung. Meine Aufgabe dabei ist, mit ganz vielen anderen Menschen, die uns unterstützen – z. B. Betina Gerlach, die das ehrenamtliche Festkomitee leitet –, diese Themen zu koordinieren. Im Frühjahr galt es, Künstler und Galerien anzusprechen, Kontakte zu knüpfen, um für die diesjährige Auktion die nun feststehenden 56 Arbeiten zu finden. Dabei ist die Pressearbeit ein wesentlicher Bestandteil. Denn es geht ununterbrochen darum, unser Anliegen in die Welt zu tragen, um in den Herzen und Köpfen der Menschen anzukommen.


12 curt // MÜNCHNER G‘SCHICHTEN

DR. ULRICH WILMES, HAUPTKURATOR HAUS DER KUNST Das Haus der Kunst ist ein öffentliches Museum für zeitgenössische Kunst ohne eigenen Sammlungsbestand. Im Fokus steht die Untersuchung und Vermittlung der historischen Dimension des Zeitgenössischen. Als promovierter Kunsthistoriker ist Dr. Ulrich Wilmes mit Zwischenstationen, unter anderem am Lenbachhaus, seit 2008 Hauptkurator im Haus der Kunst. Im Vorfeld der Ausstellung „Georg Baselitz – damals, dazwischen und heute“ (19.09.2014 – 01.02.2015) sprach er mit curt über seine Arbeit als Kurator und die Kunstvermittlung.


Wie darf man sich die Arbeit eines Hauptkurators bei der Konzeption einer Ausstellung vorstellen? Von Fall zu Fall unterscheidet sich die Arbeit. Grundsätzlich kann man von drei Phasen sprechen: Recherche, Konzeption und Umsetzung. Die Idee zu einer Ausstellung entsteht natürlich nicht über Nacht. Vielmehr sind es Themen, die man im Laufe der Jahre mit und in sich trägt, wobei der Kontext der Institution immer eine Rolle spielt. Im Rahmen einer Einzelausstellung erfolgt in enger Zusammenarbeit mit dem Künstler die Zusammenstellung von Werken, die entweder einen bestimmten Werkaspekt herausarbeiten oder retrospektiv angelegt sein sollen. Bei einer Gruppenausstellung dagegen steht ein bestimmtes Thema im Vordergrund, welches nach intensiver Auseinandersetzung mit Artefakten gefüllt wird, die dieses sinnvoll darstellen. Zuletzt geht es darum, frühzeitig die Leihgaben anzufragen, einen Ausstellungskatalog zu erstellen und, was neuerdings immer öfter der Fall ist, die Ausstellung auf Reisen zu schicken. Die Planung erfordert eine Vorlaufzeit, die im Schnitt bei zwei bis drei Jahren liegt. Die Recherchezeit ist dabei noch nicht mit eingerechnet. Im internationalen Vergleich ist dies relativ kurz. Was bereitet Ihnen dabei die meiste Freude und stellt für Sie die größte Herausforderung dar? Es ist ganz klar die Zusammenarbeit mit dem Künstler, die beides zugleich ist: ein Erlebnis und eine Herausforderung. Mein Kollege Jean-Christophe Ammann sagte mal: „Alles, was ich gelernt habe,

habe ich von Künstlern gelernt.“ Und in gewisser Weise stimmt es. Denn oft ist es der Fall, dass man noch nie zusammengearbeitet hat. Im Fall Baselitz z. B. kannten wir uns zwar vom Sehen, aber wir kannten uns eben nicht. Faszinierend ist dann zu sehen, wir schnell sich eine intensive Arbeitsbeziehung entwickelt. Baselitz gehört zu der Generation von Malern, die lebende Kunstgeschichte repräsentieren. Es ist wirklich beeindruckend, mit welch ungebrochener Energie und enormer Produktivität er unerschrocken Themen wieder aufgreift, seine Arbeit infrage stellt und weitere Entwicklungsschritte zurücklegt. Wie erleben Sie die publikumsorientierte Kunstvermittlung im Wandel der Zeit? Der Kunstbetrieb ist einem ständigen Wandel unterworfen und hat sich insbesondere in den letzten 20 bis 25 Jahren stark verändert und ist gewachsen. Ein maßgeblicher Einfluss geht von der medialen Entwicklung aus. Das Handwerk als solches, sprich das Machen einer Ausstellung, hat sich dadurch weniger verändert. Dagegen aber das, was eine Ausstellung ist und wie sie vom Publikum wahrgenommen wird. Mit der Folge, dass sich auch die Institution selbst und der damit einhergehende Anspruch an die eigene Arbeit gewandelt haben. In den letzten Jahren haben wir die Aktivität rund um begleitende Programme enorm verstärkt. Kooperationen mit anderen Institutionen der Stadt werden wichtiger. Damit meine ich nicht die musealen Einrichtungen, was naturgemäß ohnehin der Fall ist und in Mün-

chen auch sehr gut funktioniert, sondern z. B. die Staatsoper oder die Kammerspiele. Während es noch um die 90er-Jahre geradezu verpönt war, sich im Museum einen Kaffee zu kaufen, sind Café und Museumsladen heute nicht mehr wegzudenken. Die Kunsthalle hat sich von einem Ausstellungsort zu einem Ort entwickelt, der zum Verweilen einlädt. Mischen Sie sich nach getaner Arbeit manchmal unter die Besucher? Natürlich, sogar ganz gerne. So z.  B. während der Führungen, die ich regelmäßig als Kurator mache. Es ist spannend zu sehen, wie eine Ausstellung von unterschiedlichen Besuchern wahrgenommen wird. Trotz der Kostenfrage sind wir stets bemüht, auf die Bedürfnisse unserer Besucher zu reagieren. Gerade läuft die Georg-Baselitz-Ausstellung. Sind Sie selbst nach vielen Jahren bei den Vorbereitungen noch aufgeregt? Es ist immer mit Aufregung verbunden. Sicherlich ist es die Er-öffnung, schließlich hat man eine gewisse Erwartungshaltung und möchte viele Besucher erreichen. Ein anderer Spannungsmoment ist das Eintreffen der Bilder. Zum ersten Mal ihre Wirkung vor Ort zu sehen. Im Fall Baselitz konnte man sich die großformatigen Bilder schon wunderbar in den hohen Räumen vorstellen. Dennoch ist es interessant, welche Präsenz sie im Raum entfalten. Absolut außerordentlich finde ich die Serie „Schwarze Bilder“, die 2012 bis 2013 entstanden ist und meinen Ausgangspunkt für diese Ausstellung bildet.


14 curt // MÜNCHNER G‘SCHICHTEN

DR. ANDREA BAMBI, LEITUNG PROVENIENZFORSCHUNG BAYERISCHE STAATSGEMÄLDESAMMLUNGEN Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen verwalten den Kunstbesitz des Freistaates Bayern und beherbergen u. a. die Pinakotheken und das Museum Brandhorst. Die Provenienzforschung beschäftigt sich mit der Prüfung von Kunstwerken mit unklarer Herkunft. Ziel ist herauszufinden, ob sich darunter während des Nationalsozialismus unrechtmäßig enteignete Kunst aus ehemals jüdischem Besitz befindet, um so eine lückenlose Dokumentation und gegebenenfalls Restitution sicherzustellen. In der Direktion der Staatsgemäldesammlungen in der Neuen Pinakothek sprach curt mit der Kunsthistorikerin Dr. Andrea Bambi über die Arbeit der Provenienzforschung, welche sie seit 2008 leitet.


Spielt München aufgrund des geschichtlichen Hintergrunds eine besondere Rolle im Bereich der Provenienzforschung? Die Pinakotheken und damit München nehmen sicherlich eine Sonderrolle ein. Zum einen ist die unmittelbare Nähe zu den Führerbauten zu Zeiten des Nationalsozialismus und die nachgewiesene Funktion des damaligen Generaldirektors der Staatsgemäldesammlungen Ernst Buchner maßgeblich. Dieser agierte als Sachverständiger in der Kunstpolitik des Dritten Reiches. Zum anderen war nach 1945 am Königsplatz einer der größeren Central Collecting Points eingerichtet, an dem in den Bergungsorten entdeckte Kunst in mindestens sechsstelligem Bereich zusammengeführt wurde und ein Wissenschaftlerteam unmittelbar mit der Aufklärung der Herkunft beschäftigt war. Wie wahrscheinlich ist es, dass solche Kunst aktuell in den Ausstellungsräumen aushängt? In Anbetracht der Größe unserer Bestände, rund 32.000 Kunstwerke, können wir nicht ausschließen, dass sich darunter keine Raubkunst befindet. Inzwischen haben wir aber eine Vorstellung vom genauer zu prüfenden Bestand. Im Moment überprüfen wir 1.500 Werke, die eine offene Provenienz haben, es sich also nicht zwangsläufig um Raubkunst handeln muss. Ich gehe davon aus, dass wir auf eine zweistellige Zahl kommen werden, wenn die Arbeit getan ist. Überprüft wird der Gesamtbestand. So kann es durchaus sein, dass ein Kunstwerk aushängt, wenn es museale Qualität besitzt.

Wie sieht die Arbeit der Provenienzforschung aus? Wir werden tätig, wenn augenfällige Merkmale vorliegen. Sei es ein Name in der Provenienz, der eindeutig in Raubkunstgeschäfte verwickelt war, oder eine große zeitliche Lücke. Wenn man z. B. weiß, dass ein Werk um 1930 in jüdischem Besitz war und dann erst wieder eine Zahl für 1950 auftaucht. Die Provenienzforscher haben viel mit Originalen zu tun, aber vor allem mit deren Rückseite. Zunächst wird diese auf allerlei Vermerke, Aufkleber etc. untersucht, die möglicherweise Auskunft über den Verbleib des Bildes geben können. So z. B. die Nummern der Collecting Points mit blauer Kreide, anhand derer der damalige Informationsstand zum jeweiligen Werk dokumentiert wurde. Stellt sich nach der Inaugenscheinnahme unter Einbezug kunsthistorischer Literatur heraus, dass das Bild in jüdischem Besitz war und nach der Machtergreifung dem Eigentümer verlustig gegangen ist, recherchieren wir zu konkreten Umständen dieser Familie. Aufgrund des gesetzlich nicht geregelten Falls der Restitution, in Anbetracht der Verjährung in Deutschland und der nicht bindenden Washingtoner Erklärung befindet sich das Museum in Fällen mit unklarer Faktenlage in einer schwierigen Situation. Zum einen ist es zur Bewahrung von Staatseigentum angehalten, zum anderen trägt es auch eine moralische Verpflichtung. Beratend kann dabei die Limbach-Kommission angerufen werden. Durch die Einbindung Ernst Buchners wurden unsere Sammlungen extrem stark geprüft, sodass vieles zeitnah geklärt werden konnte. Problematisch sind heute Überweisungen

aus dem Staatsbesitz nach 1945, da Bayern Kunstbestände der Partei und einzelner Funktionäre wie Hermann Göring geerbt hat. Dazu läuft bei uns seit einem Jahr ein Projekt unter Leitung von Florian Wimmer. Ferner sind private Bestandsschenkungen mit fehlenden Unterlagen nicht immer einfach. Dabei findet unsere Arbeit in der naturgemäßen Diskretion des Kunsthandels oft ihre Grenze. Wie groß ist das Münchner Team und wie wirkte sich der Fall Gurlitt auf die Provenienzforschung aus? Das Team besteht aus mir und Florian Wimmer, einer Assistentin und einer im Moment ausgeschriebenen Stelle. Es ist wenig, aber besser als nichts. Ganz klar hat der Fall Gurlitt das Interesse enorm befördert und deutlich gemacht, wie umfangreich Recherchen sein können.


TEXT: JULIA FELL // FOTO: KREATIVQUARTIER

UNDER (DE)CONSTRUCTION: EIN HAUCH ANACHITEKTUR IN SCHWABING

16 curt // MÜNCHNER G’SCHICHTEN


Die alte Luitpoldkaserne am Leonrodplatz, eingekesselt zwischen Dachauer-, Loth- und Schwere-Reiter-Straße, ist so ein Gelände, an dem man x-mal vorbeiläuft, ohne es richtig zu registrieren. Kein Wunder, denn das ganze Grundstück liegt seit Jahren im Dornröschenschlaf. Ursprünglich stand hier mal eine Luftschifferkaserne, die aber nach und nach aufgegeben oder anderweitig vermietet wurde und heute nur noch partiell genutzt wird. Bislang wohnen hier das PATHOS Transport Theater, die Tanztendenz und das Atelierhaus Halle 6 – alle vom Kulturreferat gefördert. Der Rest des 20 Hektar großen Geländes: Vorhängeschlösser, schlafender Raum, Brachland. Laut gähnende Leere mitten in einer Stadt, die aus allen Nähten platzt. Das soll sich jetzt ändern. In einem Wettbewerb, ausgeschrieben von der Stadt, wurden landesweit Architekten aufgerufen, Pläne zur Wiederbelebung des Geländes zu entwickeln. Gewonnen hat das Berliner Büro TELEINTERNETCAFÉ, in dem auch einige Münchner sitzen. Sein Konzept: Die ansässige Künstlerszene behält ihren Raum und wird Kern eines neuen Stadtteils namens KREATIVQUARTIER. Gleichzeitig soll das Areal drum herum erschlossen werden; die alten Hallen werden (teilweise) abgerissen und weichen Neubauwohnungen. Im Sommer 2016 soll diese „prozessuale Quartiersentwicklung“ abgeschlossen sein. Und Nordschwabing wird einen neuen Kiez haben, einen Stadtteil im Stadtteil. Damit pflanzt man hier zwei Blumen in ein Beet, die in München vom Aussterben bedroht sind: Wohnraum und Kunstraum. Tür an Tür zwar, aber mit Bedacht und nicht unnötig dicht aufeinandergestapelt. Auf dem Reißbrett eine Bombenidee, in der Praxis nicht ganz geräuschlos umsetzbar. Zum einen schmückt sich die Stadt zwar gerne mit kulturellen Zwischennutzungsprojekten (Art Babel, Puerto Giesing oder Mixed Munich Arts), doch sind die Zusagen der Stadt schwer zu erkämpfen und – klar – immer nur temporär. Das macht langfristiges Planen kaum möglich. Zum anderen hat das Kreativquartier mit seinen ansässigen Künstlern eine bunt gemischte Ureinwohnergemeinde, die

von der Umgestaltung des Kasernengeländes nicht nur begeistert ist. Da sind Fingerspitzengefühl und Durchhaltevermögen gefragt. Vielleicht auch der eine oder andere Kasten Bier. Bevor nun im Laufe des Jahres die schweren Maschinen anrücken, findet dort noch etwas anderes statt: das Projekt UNDER (DE)CONSTRUCTION. Das setzt sich mit dem auseinander, was mit dem Areal passiert – kurz vor und während seiner Transformation. Acht Künstler wurden eingeladen, mit der industriellen Bausubstanz, die bald für immer verschwunden sein wird, kreativ zu spielen: Wände aufzuklopfen, Räume mit Video-Installationen zu bespielen, vorhandene Möbel auseinanderzunehmen und wieder neu zusammenzusetzen, Sonderbarkeiten vor Ort zu entdecken und zu hinterfragen. Das Ergebnis ist so eklektisch wie die Geschichte der Kaserne selbst und reicht vom vorsichtigen Kratzen an der Oberfläche bis hin zum völligen Umkrempeln. Parallel zur Ausstellung gibt es eine Menge spannender Veranstaltungen, Netzwerktreffen, offener Workshops sowie eine Filmreihe in Kooperation mit der HFF München (immer mittwochs). Ein anderes Highlight sind die DiscossionAbende, bei denen club lectures mit Live-Musik und DJ-Sets verbunden werden. Mirko Hecktor, der die Eventreihe kuratiert, hat sich dafür mit der Import Export Kantine zusammengetan; die hat im Kreativquartier nämlich auch eine neue Bleibe gefunden. Nebenbei wird das gesamte Gelände zum ersten Mal für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Soweit die guten Nachrichten. Die schlechten: UNDER (DE)CONSTRUCTION ist vorerst für nur 18. Oktober. Die Gretchenfrage bleibt am Ende des Tages: Darf das Projekt über den geplanten Zeitraum hinaus bleiben? Sag ja, liebe Stadtverwaltung!

>> underdeconstruction.de >> import-export.cc


18 curt // MÜNCHNER G‘SCHICHTEN


DIE GRÖSSTE BÜHNE MÜNCHENS SO GEHT STRASSENKÜNSTLER-CASTING

TEXT: CHRISTIAN GRETZ // FOTOS: JOHANNES MAIRHOFER

Die Welt wird von einem 32 Millionen Kilometer langen Straßennetz umspannt. Also mehr als genug Platz für alle Künstler, die sich die Straße als Bühne ausgesucht haben. Doch ganz so einfach ist es leider nicht. ALBERT DIETRICH, (RECHTS IM BILD) BEIM CASTING LIVE DABEI

Künstler brauchen ein Publikum und das findet sich eher zwischen Stachus und Marienplatz als zwischen Geiselbullach und Olching. Damit die Straßenkünstler aber nicht wie die Tauben zur Plage werden, hat die Stadt München beschlossen, ihre Live-Auftritte mit ein paar Regularien überschaubarer zu gestalten. Und wo es Regeln gibt, gibt es meist auch jemanden, der dafür sorgt, dass diese eingehalten werden. In München macht das ALBERT DIETRICH, der Leiter der Stadtinformation.

Herr Dietrich, seit wann und wie oft vergeben Sie Genehmigungen für Straßenmusiker, die in München auftreten wollen? Ich mache das nun schon seit etwa zwanzig Jahren. Wir vergeben die Genehmigungen täglich neu, außer am Sonntag. Es betrifft übrigens nicht nur die Straßenmusiker, sondern auch Clowns, Statuendarsteller oder Maler. Täglich werden nur fünf Genehmigungen für den Vormittag und fünf für den Nachmittag vergeben. Müssen Sie da nicht ständig Streit um die begehrten Plätze schlichten? Das war früher tatsächlich Normalität. Wenn sich z. B. Leute schon morgens um vier Uhr angestellt hatten und andere meinten, sie könnten einfach um halb acht, wenn wir die Türen öffnen, erscheinen und an den Wartenden vorbeihuschen. Inzwischen gibt es solche Fälle nur noch sehr selten. Das ist ein Vorteil des Internets. Die Künstler sprechen sich inzwischen meist vorher untereinander ab. Wobei selbst heutzutage teilweise schon um vier Uhr Leute vor der Tür warten, wenn die Wettervorhersage gut ist. Die vertrauen sich anscheinend nicht wirklich untereinander (lacht). Die Anzahl der täglichen Genehmigungen ist relativ gering. Woran liegt das? Die Fußgängerzone (Kaufinger-/Neuhauserstraße) ist schließlich nur etwa 800 Meter lang. Zusammen mit den Seitenstraßen Richtung Odeonsplatz und Sendlinger Tor kommen wir auf eine Gesamtlänge von


20 curt // MÜNCHNER G‘SCHICHTEN

etwa zweieinhalb Kilometern. So ein Instrument hört man mindestens zweihundert Meter weit. Dazwischen dann die anderen Künstler, also Maler oder Statuen. Dazu die ganzen Marktstände. Haben die Künstler einen Lieblingsplatz? Hettlage. Dort ist die Akustik gut. Wie hoch sind die Geldstrafen, wenn ein Künstler gegen die Regeln verstößt? Das kommt auf die Polizei an. Die schreiben letztlich die Anzeigen. Also im Schnitt 25 bis 150 Euro. Wir hatten auch schon Wiederholungstäter, die bis zu 1.000 Euro bezahlen mussten. Die kriegen dann einfach auch nichts Neues, solange sie den Betrag nicht bezahlt haben. Wissen Sie, wie viel ein Straßenkünstler in München an einem Tag durchschnittlich in etwa verdient? Ja, aber darüber möchte ich keine Auskunft geben. Das schürt nur Neid und Begehrlichkeiten unter den Künstlern. Ich habe auch den Künstlern dazu geraten, Journalisten gegenüber nie über ihre Einkünfte zu reden. Die verdienen schon nicht schlecht. Aber mir könnten Sie eine Million Euro bieten und ich würde mich trotzdem nicht raussetzen.

ALBERT DIETRICH IN SEINEM CASTING-BÜRO

Wie umfangreich ist denn Ihre Kartei? Über die ganzen Jahre sind etwa 3.000 Karteikarten von unterschiedlichen Straßenkünstlern hier angelegt worden. Damit schaffe ich es, den Überblick zu behalten. Selbst wenn einer nach vielen Jahren hier wieder auftaucht, wissen wir, ob damals etwas Erwähnenswertes vorgefallen ist. Und der harte Kern? Der liegt bei etwa 200 Künstlern. Mir sind auch die Leute lieber, die regelmäßig kommen. Mit denen ist es unkomplizierter und es finden sich Lösungen für kleine Probleme. Erst heute hatten wir übrigens einen schockierenden Fall. Ein Straßenmusiker aus London, der vor dem Rathaus übernachtet hat, um möglichst früh da zu sein, wurde während des Schlafens angepinkelt. Eine Riesensauerei. So etwas ist bisher nie vorgekommen. Das hängt meiner Meinung nach auch mit der ganzen Thematik der Bettelmafia zusammen, die momentan in den Medien hochgekocht wird. Von vielen Leuten werden die Straßenkünstler dann in den gleichen Topf geworfen, was natürlich absolut skandalös ist. Das sind zum Teil sehr begabte Leute, die auch in Orchestern spielen könnten. Einige spielen ja tatsächlich auch in Orchestern. Die möchten das mit der Straßenmusik eben einfach zusätzlich machen. Die Fußgängerzone ist schließlich der größte Konzertsaal, den wir hier haben.


Für viele ist die Straße also gar nicht wegen des sogenannten „Hutgeldes“ interessant. Es geht eher darum, ein breites Publikum zu erreichen. Richtig. Ich bekomme fast jede Woche mehrere Anfragen von Leuten, die mich nach den Kontaktdaten von Künstlern fragen, die sie in der Fußgängerzone erlebt haben und für private Veranstaltungen wie Hochzeiten oder Geburtstage buchen möchten. Sie fungieren also auch als Agent für Ihre Künstler? Wenn man so will, ja. Wobei ich mich natürlich dadurch nicht finanziell bereichere. Im Gegenteil, immer wieder lehne ich Geschenke ab. Ich möchte absolut unabhängig bleiben. Sobald man sich auf Deals einlässt, steht man ja irgendwie in der Schuld. Da heißt es dann: „Aber ich hab doch damals auch ...“ Wie viele erfolgreiche Vermittlungen gibt es denn im Durchschnitt? Ich würde sagen, etwa zwei pro Woche. Wobei ich die Adressen der Künstler nicht herausrücke. Ich informiere sie nur darüber, dass jemand bei mir angefragt hat. Sie können dann selbst entscheiden, ob sie mit der Person in Kontakt treten. Mein Teil ist damit dann erledigt. Ich will nur danach immer von beiden Seiten wissen, ob es zur gegenseitigen Zufriedenheit verlaufen ist. Nach diesem Feedback entscheide ich dann, ob ich den Künstler wieder vermittle. Da steht schließlich auch mein guter Ruf auf dem Spiel.

Haben Sie Erfahrungswerte aus anderen Städten? In Stuttgart zum Beispiel zahlen die Künstler keine Gebühr und müssen sich auch nirgends anmelden. Ja, das weiß ich. Doch meist geht das Ganze in Städten ohne jegliche Regelungen und Kontrollen im Chaos unter. Zürich hat zum Beispiel unser System komplett übernommen. Auch in Dresden und Berlin ist es im Gespräch. Voraussetzung dafür, dass es funktioniert, ist allerdings, dass es eine klar definierte Fußgängerzone gibt, in der man es mit der AFB-Satzung auf ein rechtliches Fundament stellen kann. Das Casting hier ist ja relativ unkompliziert. Viele stellen sich das Ganze vermutlich spektakulärer vor: Sie als der Herrscher über die Straßenkünstler, der den Daumen hebt oder senkt. Wie viele werden von Ihnen eigentlich abgelehnt? Etwa jeder Fünfte schafft es nicht. Wobei ich ja nicht wie der Bohlen sage: „Geh in die Wüste!“ Meist ermutige ich die Leute eher und sage: „Das üben wir einfach noch mal daheim. Und dann kommst’ wieder.“ Ich sehe mich eher als Vater der Straßenkünstler und nicht als deren Diktator. Aber es gab auch schon einen, der beinahe aggressiv wurde. Er sagte, er wäre Professor und brauche nicht vorzuspielen. Zunächst ging er dann beleidigt nach Hause. Als er drei Tage später dann doch vorspielte, habe ich ihm auch seine Genehmi-

gung erteilt. Der Hit war’s zwar nicht. Wie der zu seiner Professur gekommen ist, ist mir ein Rätsel. Aber bitte, das hab ich nicht zu beurteilen. Gibt es eine besondere Anekdote, die Ihnen in Erinnerung geblieben ist? Ja, es gab da diesen Kerl, der sich bei mir vorstellte mit der Aussage, er könne sieben Instrumente spielen. Er hat dann tatsächlich eines nach dem anderen angeschleppt und das erste war gleich ein Fagott. Da dachte ich mir schon: „Um Gottes willen!“ Ich arbeite seit 1967 in der Oper und weiß deshalb, wie schwierig das zu spielen ist. Und es war dann auch tatsächlich furchtbar. Ich habe ihm dann gesagt, er solle total umsatteln, mit dem Zeug könne er bei uns nicht punkten. Jetzt fährt er wieder Rikscha.

Alle Infos zu den Regelungen gibt’s unter >> muenchen.de (Rathaus > Stadtinfos > Stadt-Information)


22 curt // MÜNCHNER G‘SCHICHTEN

DIE FÄRBEREI

FÖRDERUNGSPOOL IN UNTERGRIESING


TEXT UND FOTOS: CLAUDIA PICHLER

„Wie finden Sie das, dass die Pastinaken uns immer mehr Arbeitsplätze wegnehmen?“ So fragte sich eine Projektgruppe der Färberei munter durch die Passanten der Münchner Innenstadt und erntete die kuriosesten Antworten. „Pastinaken raus!“ hieß die Kunstaktion, von der die Straßenumfrage nur ein Teil war und die sich gegen rechte Tendenzen und Intoleranz in der Mitte der Gesellschaft richtete. Daneben konnte man eine 3-Zimmer-Wohnung besuchen – zunächst in der Färberei, dann im Gasteig –, in der alle drei Zimmer stilecht eingerichtet verschiedene Formen von Rechtsextremismus und Rassismus zeigten. Ein „Alt-Nazi-Zimmer“, ein Jugendzimmer mit rechtspopulistischer Musik und Literatur oder ein scheinbar durchschnittliches Wohnzimmer. Mit der Wohnungsbesichtigung begab man sich auf die Suche nach dem Nazi da draußen und dem in uns. Das erfolgreiche Projekt aus dem Jahr 2011 erlebte bereits 2013 ein Revival und soll 2015 noch mal wiederholt werden. Es ist nur ein Beispiel von vielen, die in der Färberei in Untergiesing bisher entstanden sind. ANTJE WEINDL förderte bereits seit 1985 die damals noch sehr junge Graffiti- und Hip-Hop-Szene in München, veranstaltete Großkonzerte und Ausstellungen in der Stadt. Als ihr Engagement immer beständiger wurde, konnte sie im Auftrag der Stadt nach Räumlichkeiten suchen, die ihr und der jungen Szene als Heimat dienen sollten. Fündig wurde sie 1999 in Untergiesing: Die Färberei in der Claude-Lorrain-Straße 25 stand schon länger leer und bot mit den großen Räumen und dem industriellen Charme das perfekte Quartier. Mit den Künstlern wurden die Räume renoviert und so entstanden verschiedene Ausstellungsräume, Ateliers und Werkstätten. „Die Färberei versteht sich in erster Linie als Förderungs-Pool“, erklärt die Gründerin Antje Weindl. Hier werden junge Künstler gefördert, sie dürfen in den Räumen kostenlos ausstellen, sich dem bunten Publikum des Hauses zeigen und werden in der Pressearbeit, durch Flyerdruck oder Projektmittelakquise unterstützt. In der Färberei findet ein breites Spektrum Platz: vom ursprünglichen Schwerpunkt in Graffiti über Malerei und Fotografie bis hin zu Skulptur, Performance … Um allen Richtungen gerecht zu werden, wird eine sehr hohe Dichte an Ausstellungen gestemmt. Bis zu zwei Mal im Monat wechselt das Dargebotene. Da Raum ja bekanntlich das Teuerste in München ist, ist es schon Luxus, dass die Färberei eine schöne große Siebdruckwerkstatt beheimatet. Die gibt es auch schon von Anfang an. Jeder, der sich dafür interessiert, kann sie nach einem Einführungskurs zum Selbstkostenpreis nutzen. Neben dem Siebdruck gibt es ein umfangreiches Kursangebot. Im Mappenkurs wird zum Beispiel die erste Hürde einer akademischen Laufbahn anvisiert. Hier stehen alte Hasen der Szene dem Nachwuchs beratend zur Seite. Diese Mischung ist es auch, die die Färberei besonders macht. Sie stellt einen offenen Treffpunkt dar, an dem Jung und Alt, Erfahrene und Frischlinge aufeinandertreffen. Im lockeren Miteinander sind so schon viele Gemeinschaftsprojekte entstanden. Natürlich gibt es auch Hausregeln, doch wissen die Nachwuchskünstler ihre Möglichkeiten in der Färberei offensichtlich ohnehin sehr zu schätzen. Von Beginn an wird der Schlüssel bei allen Projekten sympathisch unkompliziert übergeben – und dabei ist noch nie etwas schiefgegangen. Die Färberei // Claude-Lorrain-Straße 25 >> diefaerberei.de


24 curt // MÜNCHNER G‘SCHICHTEN

In der Maxvorstadt, da liegen sie, die eindrucksvollen Häuser der Bayerischen Staats- und Gemäldesammlung, Alte Pinakothek, Neue Pinakothek, Pinakothek der Moderne, Museum Brandhorst … Wenn man durch das Münchner Kunstareal wandert, kann man es schnell mit der Ehrfurcht zu tun bekommen. Die ehrwürdigen Häuser gehören zu den renommiertesten Kunstsammlungen weltweit. Es ist vielleicht dieses imposante Image, das junge Leute davon abhält, sich ganz locker der Kunst zu nähern. Besonders, wenn sie meinen, nicht genügend Hintergrundwissen zu haben. Seit April 2013 aber gibt es ein monatliches Format, das genau diese Leute anspricht: jung, kunstinteressiert, aber nicht zwingend in dem Bereich vorgebildet.

KU NST SP EIS EN

TEXT UND FOTO: CLAUDIA PICHLER


WAS? Am Anfang stand die Idee, jungen Leuten die Pinakotheken zugänglicher zu machen. Dafür brauchte es eine offene, moderne Form der Kunstvermittlung. Nicht die klassische Führung, sondern ein lockerer, ungezwungener Austausch, bei dem das eigene Interesse an Kunst und eine gleichberechtigte Diskussion zwischen Gastgebern, Special Guest und Teilnehmern im Mittelpunkt stehen. Kunstspeisen ist auch eine Plattform, bei der sich kunstinteressierte Leute kennenlernen und austauschen.

WER? Die Gastgeber sind Lina Zylla und Stephanie Waldschmidt. Lina, Studentin an der Akademie der Bildenden Künste, entwickelte Kunstspeisen während eines Praktikums an den Pinakotheken und führt es seitdem mit Steffi, Mitarbeiterin der Bayerischen Staats- und Gemäldesammlung im Bereich Kunstvermittlung.

WER NOCH? Lina und Steffi laden zu jedem Treffen einen Special Guest ein. Die Auswahlkriterien sind recht einfach: Der Gast kennt sich in einem speziellen Gebiet gut aus, soll aus seiner Perspektive und seinen persönlichen Erfahrungen darüber erzählen können. Allerdings ist Kunstspeisen kein Ort für einen Fach-

monolog, vielmehr erklärt der Special Guest sein Thema verständlich und ist immer offen für eine Diskussion. Die Fragen der Teilnehmer stehen im Mittelpunkt.

WANN? Kunstspeisen findet jeden letzten Donnerstag im Monat statt, zwischen 16 und 18 Uhr.

WO? Treffpunkt ist jedes Mal das Café Klenze in der Alten Pinakothek, wo man sich bei einem kleinen Gaumenschmaus des Victorian House austauscht. Danach geht es in eines der Häuser im Kunstareal zum Besuch einer Sonderausstellung oder Teil einer Sammlung. Das jeweilige Thema und in welches Museum es geht, erfährt man unter >> facebook.com/pinakotheken.

WIE? Es gibt keine falschen oder blöden Fragen! Das ist ein wichtiges Kriterium beim Briefing des Special Guest. Kunstspeisen ist ein offener Austausch über Kunst, an dem alle Kunstinteressierten, egal welcher Vorbildung, teilnehmen können. Es geht nicht wie bei einer klassischen Führung darum, dass die Teilnehmer mit einer Informations-

flut über ein Thema zugedeckt werden. Hier kann man sich unvoreingenommen auf Kunst einlassen. Nach der ersten Betrachtung werden dann alle Fragen beantwortet, die sich ergeben, und Hintergründe geklärt. Das ist aber auch keine einseitige Belehrung, sondern ein offenes Gespräch. Natürlich gehen manche Diskussionen auch mal in die Tiefe, aber kein Laie hat dabei das Gefühl, abgehängt zu werden.

WAS NOCH? Zum Schluss gibt es immer auch noch Tipps, was in München aktuell ausstellungs-, galerieeröffnungs- oder partymäßig so los ist.

BRAUCHT’S DAS? Ja, und wie! Kunstspeisen ist ein entspanntes Format, das einem jeden die Hemmung nimmt, sich auf Kunst einzulassen. Kunst, insbesondere zeitgenössische, hat viel damit zu tun, wie sie auf den Betrachter wirkt; die Betrachtung ist gekoppelt an die eigene Erfahrung. Bei den Kunstspeisen kann man sehr locker an Kunst herangehen, einen individuellen Zugang finden und so die eigene Erkenntnis zulassen.

>> facebook.com/pinakotheken


26 curt // MÜNCHNER G’SCHICHTEN

MIT FRANZ DOBLER IM ANTIQUARIAT LUGAUER

Treffen mit einigermaßen erfolgreichen Autoren schüchtern mich meist ein. Normalerweise erläutern sie dir stundenlang äußerst selbstverliebt ihr bisheriges schriftstellerisches Schaffen und dulden dabei selten andersartige Themen. Beim uneigennützigen Gespräch mit dem konzilianten Schreiberling Franz Dobler und Markus Naegele, unprätentiöser Belletristik-Programmchef im Heyne Verlag, gestaltet sich das jedoch total konträr.

HARDCORE-ABENDE TEXT: CHRISTOPH BRANDT // FOTOS: CHRISTIAN VOGEL


MARKUS NAEGELE VOM HEYNE VERLAG

Bei einem verfrühten Glas Feierabend-Flüssigbrot kommen wir schnell vom Hundertsten ins Tausendste. Wir quatschen über Country-Musik, den fatalerweise verkannten Krimi-Autor Jim Thompson und darüber, dass ich laut Dobler noch viel zu grün hinter den Ohren sei, um selber in absehbarer Zeit einen Roman zu verfassen. Nur die eine Sache, um die es eigentlich gehen soll, die Lesereihe „Hardcore-Nights“, lassen wir fast völlig außen vor. Was ich hiermit selbstredend nachhole. Das von Naegele ins Leben gerufene Label „Heyne Hardcore“ vermittelt literarischen Underground ohne Gnade. Es hat mich persönlich – nach halbwüchsigen Horror-Auseinandersetzungen mit Stephen King – letztendlich zurück zu den Heyne-Veröffentlichungen gebracht. Sei es Sinnliches von Porno-Lady Sasha Grey, unbarmherzige Thriller von John Niven, Rock ’n’ Roll-Beichten von Ozzy Osbourne oder altehrwürdiger Gonzo-Journalismus von Hunter S. Thompson: You name it! Solange es weder megafad noch für Memmen geeignet ist. Mit der monatlichen Veranstaltungsreihe „Hardcore-Nights“ möchte Naegele – in seinem Vorleben Musikjournalist, Booker und Redakteur – nun einen bunten Kultur-Abend schaffen. Damit das Ganze kurzweilig von der Bühne geht, gibt es jeweils einen Special Guest, der seine vier LieblingsHardcore-Bücher präsentiert und daraus Passagen vorträgt. Musikalische Gäste und DJs runden im fliegenden Wechsel die atypische Lesung ab. Zusätzliche Überraschungen liegen stets im Bereich des Möglichen. MARKUS NAEGELE: Heyne Hardcore existiert seit mittlerweile neun Jahren und verfügt heute über eine relativ große Bandbreite. Wenn ich so etwas lediglich vom Büro aus organisiere, hauche ich dem in sich geschlossenen Label meiner Meinung nach zu wenig Leben ein. Dazu bleibt es einigen Autoren verwehrt, auf Lesereisen zu gehen, weil sie z. B. von zu weit her stammen. Ich habe vor, einen authentischen Rahmen zu schaffen, der anders gepolt ist und sich von drögen Lesungen abhebt. Ein Abend, der Laune macht. Es motiviert mich, Popkultur-affine Literaten, mit denen ich persönliche Beziehungen pflege, mit entsprechenden Musikern zusammenzubringen. Dabei will ich aber einen exklusiven Touch definitiv vermeiden und keine 15 Euro Eintritt verlangen. Los geht es am 16. Oktober mit FRANZ DOBLER, dem letzten Gentleman der deutschen Gegenwartsliteratur. Der Augsburger, Jahrgang 1959, veröffentlicht seit 1988 diverse Gedichtbände und Romane. Dazu gesellen sich zahlreiche Erzählungen und Sachbücher, wie die hervorragende Johnny-CashBiografie „The Beast In Me“. Bei Heyne Hardcore erschien der von ihm übersetzte Geschichtenband „In den Straßen von Los Angeles“ von Ry Cooder. Aktuell befindet er sich mit seinem Krimi „Ein Bulle im Zug“ auf Tour.


28 curt // MÜNCHNER G’SCHICHTEN

Welche Auswahl haben Sie für die HardcoreNight-Premiere getroffen? DOBLER: Ich übersetze derzeit ein Südstaaten-Familiendrama von Jim Thompson. Er gilt als zentraler Vertreter und legendärer Großmeister des Noir-Genres. Dann lese ich aus dem Boxerroman „Schlag weiter, Herz“ vom Berliner Autor David Pfeifer. Heyne Hardcore visualisiert für mich die Popkultur und ich bewundere, dass es sich innerhalb Random House, des größten Buchkonzerns der Welt, wie ein kleines IndependentLabel benimmt. Das wird bestimmt kein plumper Bücherverkauf-Abend. Und im Sinne der Wertschätzung unterstütze ich Markus immer liebend gerne. Muss man sich aktuell neue Wege einfallen lassen, um neue Leser zu erreichen? NAEGELE: Ich denke ja. Die einen sprechen ständig von Social Media, aber das ist mir alles zu artifiziell. Wir werden an dem Abend keineswegs 500 Bücher los, aber das soll auch nicht die Zielsetzung sein. Ich könnte natürlich viel einfacher und schneller eine Werbung in irgendeinem Stadtmagazin schalten, klar, aber da bleibt das Herzblut auf der Strecke. Ein Label muss leben!

IT‘S A HARDCORE NIGHT – LITERATUR … MUSIK … PARTY JEDEN 3. DONNERSTAG IM MONAT AB 20 UHR IM MÜNCHNER CLUB UNTER DECK

Als musikalischer Gegenpol trumpft Philip Bradatsch auf, seines Zeichens melancholischer Sänger der kongenialen HardcoreBluesgrass-Country-Kombo „Dinosaur Truckers“. An den Turntables sorgt DJ Dirk Wagner bis zum Zapfenstreich für Feierstimmung.

16. OKTOBER: FRANZ DOBLER (BUCH) & PHILIP BRADATSCH (DINOSAUR TRUCKERS) (MUSIK) 20. NOVEMBER: FRIEDRICH ANI (BUCH) & 4SHADES (MUSIK) 18. DEZEMBER: NAGEL (BUCH) & MUSIKALISCHER ÜBERRASCHUNGSGAST

>> HEYNE-HARDCORE.DE/ Herzlichen Dank ans Antiquariat Lugauer für die freundliche Foto-Location!


PULS Lesereihe

Lass uns Freunde sein Rationaltheater M端nchen Di 28.10.14 20 Uhr Es lesen: Izabela Banasik Katharina Biersack Curry Fiasko Musik: KARO Eintritt frei deinpuls.de/lesereihe


30 curt // MÜNCHNER G‘SCHICHTEN

IST DAS KUNST ODER KANN ICH MASTURBIEREN? IDEE: JULIA FROMM // TEXTE: PATRICIA BREU, NURIN KHALIL // ILLUS: ANDY WEIXLER


Kunst gibt es in schier allen Bereichen des Lebens, Schaffens und Seins. So auch im sexy-hottie Bum-bum-Teil, der – sind wir mal ehrlich – einen jeden von uns tagtäglich beschäftigt. Den geisteswissenschaftlichen Exkurs in die Tiefen des Definitionsdschungels dessen, was Kunst ist, ersparen wir uns an dieser Stelle. Vielmehr stellen wir uns die einfach anmutende, doch gar nicht so einfach zu beantwortende Frage: Ist das Kunst oder Porno? Auf der Suche nach Unterscheidungskriterien dachten wir uns, das Endergebnis, das könnt’s sein. Erigierte Geschlechtsteile machen’s zu Porno, die Betrachtung von geilem Stoff im öffentlichen Ausstellungsraum aber zu Kunst. Kant sagt, Schönheit ist interesseloses Wohlgefallen. Davon ist Pornografie eher weit entfernt. Leidenschaftsloses Lochgestopfe vs. fantasieanregende Matratzenrhythmik. Genügen vielleicht einfach ein paar Gläser Wein, um in alles Künstlerische Gehalt hineinzuphilosophieren? curt hat sich Gedanken gemacht – manchmal auch nüchtern.


32 curt // MÜNCHNER G‘SCHICHTEN

DIE KUNST DER PONYGRAFIE

Im Museum of Contemporary Art in Los Angeles, Anfang dieses Jahres, taucht in den Ausläufern der Ausstellungsräume ein Schild auf, das minderjährige Besucher davor warnt, den nächsten Raum mit Bildern von Mike Kelley zu betreten. Der Grund: Darstellung pornografischen Inhalts. Übertriebene Warnung? Es wartet ein Raum voller Penisse, an Frauen, in allen Erektionszuständen, Größen und Farben. Der Höhepunkt ist ein Satyr mit Einhorn vor fantastischer Nachtlandschaft. Mit einem freudigen Grinsen schiebt der Satyr seinen Riesenpenis von hinten in das zuckersüße Einhorn. Die Entweihung reiner Unschuld! Ist das jetzt Kunst oder Pornografie? Der Begriff „Pornografie“ setzt sich zwar aus den altgriechischen Wörtern porne (Hure) und graphem (einritzen, zeichnen, schreiben) zusammen, doch verwendet wird der Ausdruck erst seit dem 19. Jahrhundert, als durch die Aufklärung ein Umdenken stattfand, das den Sex aus der kirchlichen Bestimmungshoheit nahm und zu einem biologischen Vorgang umdeutete. Wurde vorher zwischen rechtem und unrechtem Sex unterschieden, definierte man jetzt normalen und


Die Kunst des pornosprechs abnormalen Sex. Das mittelalterliche Gebot, den Sex daheim im stillen Kämmerlein einzusperren, wurde jedoch nicht vollständig gestürzt – und das Brechen dieses Verbots macht die Pornografie bis heute aus. Welche Darstellungen als pornografisch gelten, hängt auch immer von den Umständen der Zeit ab. Die badende Bathseba eines barocken Meisters wird heute keinen voyeuristisch veranlagten Besucher mehr rot werden lassen. Die Alte Pinakothek müsste sonst voll sein von Warnschildern. Nacktheit ist für uns heute so präsent, dass es schwerfällt, vor lauter lasziv geräkelten Ärschen zwischen Werbung und Porno zu unterscheiden. Und doch existieren offensichtlich immer noch Grenzen. Ob uns ein ausgestelltes Kunstwerk erregt, liegt ganz bei uns selbst. Das Gefühl, etwas Verbotenes zu betrachten. Sich dabei ertappt fühlen, neben anderen Besuchern seine eigenen Fantasien im Rahmen an der Wand hängen zu sehen. Ich bin also ziemlich erleichtert, dass mich der Liebesakt meines rosaroten Lieblingstieres nicht angemacht hat. Jedenfalls stellenweise …

Pornöse Worte können leichter zu Kunst werden als Bilder, denn sie erzeugen selber Bilder im Kopf des Lesers. Das Penisgemälde aber muss es erstmal schaffen, zu weiterem Denken über den Horizont der Geilheit hinaus anzuregen. Im musikalischkünstlerischen Schaffensbereich also sollte es kein Problem sein, nahezu allen zu Papier gebrachten Texten in irgendeiner Form einen artistischen Gehalt zuzusprechen. Denn wer würde schon beim ersten Hören des stöhnenden Gesangs der dänischen Fagget Fairys erahnen können, wovon da gesungen wird?

quer durch den Badezimmerspiegel. Auch die Anfangssequenz weist in gewiefter Doppeldeutigkeit bereits auf den Weg hin, den das Ganze noch einschlagen wird. Beim Erklären der Poolreinigungspumpe wird deutlich darauf hingewiesen: „You have to push it all the way in or it will come off.“

„I love my horse, I love to ride it, I love to make love to it too, so feed the horse, I love my girls, I like them big on the top, big on the bottom too.“

Ich bin mir jedenfalls sehr sicher, dass Abriss-Miley und Anaconda-Nicki da doch eher rausfallen. So aus beidem. Es gibt nämlich auch noch die Sorte an Erzeugnissen, die weder Kunst noch Porno sind. Irgendwo dazwischen gefangen, im valley of embarassing bullshit.

Dennoch: Im Bereich der Musikvideokunst gibt es genügend gut getarnten Porno. Wer Is Tropicals Video zum Song „Dancing anymore“ kennt, weiß, wovon die Rede ist. Nicht nur wird die durchgängige Masturbation des Hauptakteurs geschickt in Szene gesetzt, der eigentlich seinen HaussitterTätigkeiten für die reichen französischen Besitzer nachkommen sollte. Sexy animierte 3-D-Püppchen rammelt der Jüngling auf dem Sofa, im Flur und

Sind’s also Doppeldeutigkeiten, die Bild und Ton zu Kunst machen? Also, die Kunst der Tarnung, der Ironie oder des Indirekten? Als Tipp hierzu siehe auch das Musikvideo von Dent de Cuir, „She’s bad“. Sexy Aua-Kunst.


34 curt // MÜNCHNER G‘SCHICHTEN


MENSCHENHAUT ALS LEINWAND EIN BESUCH BEIM FREEHAND-TÄTOWIERER TRASHINKBOMBER

TEXT: JULIA FELL // TATTOO-MODELL: PATRICIA BREU // FOTOS: JOHANNES MAIRHOFER, THAI

Die Zeiten, in denen passives Material Pinselstrichen und Gedankengängen unterworfen war, sind vorbei. Immer mehr Künstler arbeiten mit oder sogar gegen lebendige Flächen, erkunden ihre Besonderheiten, kommunizieren mit ihnen. Gegenseitiges Bewabern statt passivem Bemaltwerden. Heute, im Jahrzehnt der Individualisierung und Selbstdarstellung, ist die organische Materie gerne auch zweibeinig und anspruchsvoller denn je, wenn es um das Zeigen des eigenen Geschmacks geht. Das führt uns zu einem Münchner Tätowierer, der seine Rolle anders versteht als die meisten seiner Gilde. Der mit Nadel und Ink auf warmes Fleisch zeichnet, seiner Kreativität – mit ein paar Grenzen – freien Lauf lassen darf. Klar weiß er, dass er Dienstleister ist, aber eben auch freier Maler. Für seine Kunden bedeutet das: keine Skizze, keine mit Kohlepapier auf die Haut gepauste Rohzeichnung. Stattdessen: ein grobes Thema und Vertrauen in den Stil desjenigen, der die Nadel führt. Der heißt in unserem Fall THAI AKA TRASHINKBOMBER und sorgt für Schmerzen und wunderschöne Unikate. curt-Redakteurin Patricia Breu hat sich sofort in seinen Style verliebt – und sich unter seine Nadel getraut.


36 curt // MÜNCHNER G‘SCHICHTEN

Wie unterscheidet sich Freehand vom klassischen Tätowieren und wie arbeitest du? Bei mir gibt es keine Zeichnung vorher zu sehen, alles entsteht während des Prozesses und die Vorbesprechung läuft übers Netz ab. Ich kriege von meinen Kunden immer nur eine grobe Idee oder ein Thema. Dafür kriegen sie etwas in meinem Style; keines meiner Tattoos wird es zweimal geben. Ich arbeite deswegen freehand, weil ein Bild auf einem Blatt Papier einfach etwas anderes ist als ein Bild auf der Haut. Du musst z. B. den Köperfluss beachten. Ich passe die Tattoos deswegen beim Stechen dem Körper an und arbeite mich Stück für Stück voran. Die meisten meiner Tattoos sind großflächig, darum fange ich erst ab 400 Euro an. Der ausgemachte Preis ändert sich aber nicht, auch wenn es mehrere Sessions dauert. Wie viel an deinen Tattoos ist überhaupt geplant? Insgesamt ist mehr improvisiert als geplant. Deine Kunden wissen also nie, wie das fertige Tattoo aussehen wird. Weißt du’s? Ich hab immer so ein grobes Bild im Kopf, wie’s sein wird, das entsteht schon während des Schreibens. Meine Kunden wissen ja auch, dass sie bei mir nur ein Überraschungspaket bekommen, und müssen mir zu 100 % vertrauen. Was, wenn dem Kunden das Tattoo nachher nicht gefällt? Das passiert eigentlich nicht. Meine Kunden sind keine Spontangänger, die meisten

beobachten mich schon seit Jahren und wollen einfach ein Tattoo haben, das sehr eigen ist. Du hast Malerei und Grafik an der Münchner Akademie der Bildenden Künste studiert. Hat dich das beeinflusst? Auf jeden Fall. Die beiden Welten Kunst und Tätowieren vermischen sich bei mir automatisch. Bei meiner letzten Einzelschau hab ich auch eine Mixed-Media-Arbeit gemacht, bei der Leute als Performance ein Tattoo bekommen haben, aber eben nicht in echt, sondern als Projektion. Ich nehme mir beim Stechen schon sehr viele Freiheiten, bringe auch meine eigene Handschrift ein. Trotzdem sehe ich Tätowieren immer noch als eine Dienstleistung an. Die bildende Kunst, meine anderen Projekte, die mache ich für mich. Mit meinen Tattoos sollen vor allem meine Kunden glücklich sein – sie laufen schließlich ein Leben lang damit rum, nicht ich. Würdest du jemandem ein Arschgeweih stechen? Nee. Aber ich biete ja allgemein keine klassischen Tattoos an. Hast du schon mal einen Auftrag abgelehnt? Ja, das kommt öfter vor, z . B. wenn sich jemand etwas wünscht, dass ich mir einfach nicht vorstellen kann. Manche Leute wollen auch einfach zu viele verschiedene Elemente in einem Motiv haben. Oder wenn ich schon im Vorfeld, also beim Mailen mit dem Kunden, merke, dass das Vertrauen nicht da ist. Wenn jemand nicht wirklich Bock drauf hat,

FERTIG!

dass alles freehand gemacht wird, mit einem ganz konkreten Motiv im Kopf zu mir kommt, dann kann ich ihm seinen Wunsch nicht erfüllen – ich kann ja nicht in seinen Kopf hineingucken. Was war das Abgefahrenste, das sich ein Kunde je gewünscht hat? Auf einer TattooConvention in Krakau hab ich jemandem eine Fischgräte auf den Penis tätowiert – mit gefühlten 500 Leuten drum herum, die die Handys draufgehalten haben. Das war ziemlich freaky.

>> trashinkbomber.com >> anna25.de


MÜNCHNER G‘SCHICHTEN // curt 37

DIE LEISE KUNST DER FLÜSTERSCHWESTERN TEXT: KATHARINA WINTER // FOTO: JOHANNES MAIRHOFER

Irgendwo in einem Münchner Café sitzt ein Pärchen vor ihren Latte Macchiato. Es treten zwei hübsche Frauen an ihren Tisch. „Dürfen wir Ihnen etwas ins Ohr flüstern?“, fragen sie. Das Pärchen ist verwirrt. „Kommt natürlich drauf an was“, lacht er. „Aber nicht zu laut“, erwidert sie besorgt. Die beiden dunkelhaarigen Schwestern treten links und rechts ans Ohr der jungen Frau. Man sieht, wie sich die Münder der Sängerinnen bewegen, aber man hört nichts. Die anfängliche Verunsicherung der jungen Frau weicht langsam aus ihren Gesichtszügen und geht in einen Ausdruck vollkommener Entspannung über. ICH WILL MUSIK NUR NOCH SO HÖREN So lautet das Fazit der CaféGäste, die zufällig eine Kostprobe vom Flüstergesang der Schwestern Anouschka und Anina Doinet bekommen haben. Normalerweise treten die gebürtigen Münchnerinnen nicht in öffentlichen Räumen auf. „Die Leute sind eher misstrauisch. Sie haben Angst, dass wir ihnen irgendwas verkaufen wollen.“ Deshalb haben sich die Flüsterschwestern auf private Veranstaltungen spezialisiert: Hochzeiten, Firmenevents oder ein romantisches Candlelight-Dinner. Da kann es schon vorkommen, dass sie an einem Abend für über 300 Gäste flüstern. „Es ist ein schöner Moment. Persönlich, aber trotzdem auf Distanz“, verrät Anina. „Dieses entspannte Gefühl setzt sich durch die ganze Gesellschaft fort.“ Am Gesichtsausdruck der Gäste erkennen sie, wem sie schon ins Ohr geflüstert haben und wem nicht. EINE NEUE KUNSTFORM ALS LOTTO-GEWINN Entdeckt haben Anouschka und Anina den Flüstergesang durch Zufall. Sie waren auf dem Geburtstag einer Freundin ihrer Eltern eingeladen. Und saßen am Kindertisch mit lauter 12-Jährigen. „Da sind wir ganz albern geworden und wollten irgend-

welchen Schmarrn mit ihnen machen.“ Da die beiden eine Theater- und Gesangsausbildung absolviert haben, lag Singen natürlich nahe. Das macht auch Kindern Spaß. Aber lautes Singen lasse die anderen Gäste immer verstummen, erklärt Anouschka: „Deshalb haben wir den Kindern einfach von links und rechts ganz leise ins Ohr gesungen.“ Das hat funktioniert. Und es war so leise, dass die Erwachsenen tatsächlich nichts gehört haben. Aber sie sind neugierig geworden. Auch am Erwachsenentisch waren alle begeistert und haben den Schwestern zu ihrem „Lottogewinn“ gratuliert. „Klar haben wir uns gefreut, dass wir was Neues entdeckt haben, aber wir wussten nicht so richtig, was wir damit anfangen sollten.“ Die Idee, den Flüstergesang für Veranstaltungen anzubieten, sei erst mit der Zeit entstanden. EIN HERZ UND EINE SEELE Anina und Anouschka sind ein eingespieltes

Team. Während sie flüstern, sehen sie sich nicht. Zwischen ihnen ist der Kopf desjenigen, der zuhört. Deshalb haben sie weder Blickkontakt, noch können sie sich gegenseitig hören oder einander Zeichen geben. Trotzdem klappt ihr Duett immer. Die Texte für ihre kurzen Liedchen dichten sie selbst. Dabei gehen sie auch auf Wünsche des Kunden ein. Während sie die Geräusche von außen natürlich wahrnehmen, hört der Besungene nur ihre beiden Stimmen. Das Gehirn verbindet die unterschiedlichen Töne dann automatisch miteinander. Das ist etwas ganz anderes, als wenn man Musik über Ohrstöpsel hört. Auf curt.de/muenchen findet ihr eine geflüsterte Kostprobe! Ab dem 13. November treten Anouschka und Anina mit ihrem neuen eigenen Stück „Schwesternterz“ im Heppel&Ettlich auf >> flüstergesang.de


38 curt // MÜNCHNER G‘SCHICHTEN

KUNST ALS THERAPIE TEXT UND FOTO: JUDITH SCHRENK

Yasin, so wollen wir ihn hier nennen, hat bei der Flucht seine Geschwister und seine Eltern verloren. Als er nach München kam, wurde er im Asylheim aufgenommen. Aber Yasin sprach nicht, jahrelang sagte er kein Wort. Der damals neunjährige Junge kommunizierte nur über Zeichnungen. Doch die Aufarbeitung funktionierte: Nach drei Jahren begann Yasin mit seiner Therapeutin zu reden. Diese Therapeutin war BARBARA SCHWARZ. Die 42-Jährige arbeitet als Kunsttherapeutin bei Refugio, einem Münchner Beratungs- und Behandlungszentrum für Flüchtlinge. „Ich in Schulen und in Asylheimen“, erklärt sie, „gerade wenn die Kinder kein Deutsch sprechen, ist die Kunsttherapie eine ideale Form der Aufarbeitung.“ Das Alter der Kinder ist breit gefächert, einzig der Wille muss vorhanden sein. Einmal in der Woche besucht Barbara ihre Schützlinge. Sie malen, töpfern, fotografieren – der Therapeut genießt große Gestaltungsfreiheit. Barbara und ihre Kollegen sind bei den Kindern sehr beliebt und werden meist schon am Auto freudig empfangen. Nur selten gibt es laut Barbara Fälle, in denen diese relativ neue Form der Therapie auf Ablehnung stößt: „Das kommt wirklich nicht oft vor. In den meisten Kindern kann man ein künstlerisches

Interesse wecken!“ Bei ihren Schützlingen ist aber meist eine ergänzende Therapieform nötig: „Da kann die Kunsttherapie nicht für sich allein stehen. Die Betroffenen müssen auch über ihre Schicksale sprechen.“ Trotzdem stellt diese Form der Erlebnisbewältigung für die studierte Kunsttherapeutin eine ideale Form der nonverbalen Aufarbeitung dar: „Durch das Malen bekommen die Kinder Abstand zur eigenen Geschichte, es ist eine Art Schutzmechanismus für sie. Oft fehlen einem nach Traumata die Worte; hier brauchen sie keine, um sich auszudrücken.“ Die Betreuer geben lediglich ein Thema vor, der Rest bleibt jedem Kind frei. Ob beim Thema Familie ein Elefant oder eine Maus gezeichnet wird – alles, was hilft, ist erlaubt. Der Erfolg ist nicht immer sofort sichtbar. Manchmal werde sie schon von Ärzten als Basteltante angesehen, erklärt Barbara. Bisher hat sie nicht nur mit Kindern gearbeitet, auch im Altersheim war Barbara als Kunsttherapeutin tätig. „Es ist erstaunlich, wie sehr sich die Bilder der alten Menschen und die der Kinder ähneln. Als würde sich der Kreis der Geschichten schließen“, erzählt sie. Genau diese Geschichten sind Barbara anfangs sehr nahe gegangen, sich nach der Arbeit zu lösen war kaum möglich. Zu diesem Zweck gibt es regelmäßig Supervisionen, die Mitarbeiter unterstützen sich gegenseitig: „Man darf diese Schicksale nicht an sich heranlassen, sonst würde man zugrunde gehen. Das zu lernen ist Teil meines Berufs.“

REFUGIO München // Beratungs- und Behandlungszentrum für Flüchtlinge und Folteropfer // Rosenheimer Straße 38 // Tel. 089- 982957-0 >> refugio-muenchen.de



40 curt // münchner g‘schichten

Planet Kunst logbucheintrag von SONJA PAWLOWA

Der Kunstbau, unendliches Schweigen. Wir schreiben das Jahr 2014. Dies sind die Abenteuer meiner Wenigkeit, die ich in meiner ein-Frau-starken Besetzung fünf Sonntage unterwegs war, um fremde Galerien zu erforschen, neues Leben und neue Installationen. Viele Lichtjahre vom Können entfernt dringt meine Dummheit in Galerien vor, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat.


Sonntags ist der Eintritt auf 1 Euro reduziert. Das wurzelt in den sozialistischen 1970erJahren, als dem Volk die Tore zur Bildung geöffnet werden sollten. Damals war der Eintritt an Sonntagen frei. Wer sich den symbolischen Euro ausgedacht hat, weiß man nicht. Hat sicher was mit Volkszählung zu tun. Statistik kostet.

Trambahnstation Pinakotheken. 10.52 Uhr. Scharen Kulturbeflissener strömen links und rechts der Barer Straße in tempelartige Protzbauten. Obwohl in Körperbau, Physiognomie und Sprache unterschiedlich, verhält sich die Schar höchst homogen. Die meisten streben auf die Pinakothek der Moderne zu. Die kunstvoll arrangierten Strohballen vor dem Gebäude deuten auf Opferfeuer hin. Wahrscheinlich zu Sonnwend. Die Pinakothek der Moderne gleicht einer Kirche. Gemessenen Schrittes in die Heiligen Hallen der Pinakothek der Moderne – erschlagen von der imposanten Architektur mit der „Stairway to Heaven“ im edel-klassischen Weiß – stehenbleiben, um sich zu orientieren – links die Kasse, rechts der Museumsshop. Je nach Credo wählt man links oder rechts. Also zur Kasse, denn der Shop ist zu voll.

Diejenigen also, die sich nicht im Museumsshop verloren haben und auch nicht Regenschirm oder Rucksack an der Garderobe abgeben mussten, können nun als 1-Euro-Spotter in die Kathedrale der Kunst vordringen. Kinder, die rennen oder hopsen, werden mit Blicken vernichtet. Die Hände werden gefaltet. Tatsächlich könnte man das Publikum in eine Kirche beamen – und passt. Leise, andächtig und geläutert betrachten die KunstGläubigen ihre Heiligen. Zu nahe darf man dem Allerheiligsten allerdings nicht kommen, sonst geht die Sirene los.

Es gibt Seitenaltäre, über denen in großen Lettern die Namen der Gottheiten prangen: BEUYS (Konsum-Gottheit aus dem späten 20. Jahrhundert, auch Buy-es, Neokalkulist) KIRCHNER (Opium-Gott aus dem frühen 20. Jahrhundert, früher Pornist) KIRKEBY (Kirchen-Däne und zeitgenössischer zweiäugiger Odin) Gezeigt wird, was kreischende Fans ihren Stars abluchsen konnten: Proviantkonserven, Klopapier, Schnappschüsse von Orgien mit unbekleideten Vestalinnen sowie gedrungene Marterpfähle und bunt hingeworfene Grabsteine. Besonders beeindruckend: Gaben der Gläubigen aus ihren jeweiligen Lebensbereichen, wie etwa zwei Besen, die Beuys geopfert wurden und Votivtäfelchen neben den Fotokreuzgängen. Leider sind die Texte verwhaaat? schlüsselt. „Kirkebys Radierungen und Holzschnitte suggerieren potenziell greifbares Volumen, ein Höchstmaß an Substanz und Stofflichkeit, ja sinnlicher Materie, was die körperliche Affi­ni­tät zur lebendig fluktuierenden Gusshaut der Skulpturen unmittelbarhervorruft. Die latent vorhandene Tendenz zum Metamorphotischen verbindet sich mit jenem lyrisch gefärbten Klang, den letztlich auch die Farbe in den Gemälden dieses Künstlers in sich trägt.“


42 curt // münchner g‘schichten

Was ist Kunst überhaupt? Im Altertum war das klar definiert. Zu den sieben Künsten gehörten:
 Grammatik – gehört immer noch dazu. Noch gibt es keine nennenswerte kunsthistorische Literatur in Kiez-Deutsch. „Kleckst du Farbe, bring isch Expo, Alder.“ Rhetorik – auch noch aktuell. „Variation 47 aus der Spätphase gefällt mir besser als ‚Blau‘ aus dem Venedig-Zyklus.“ Dialektik – die einen schaffen Werke, die anderen verdienen Geld damit. Arithmetik – Kunst ist teuer, für die, die gut rechnen können. Gilt aber nur für die, die Rhetorik und Dialektik drauf haben. Geometrie – passt überall. Musik – das ist überholt. Musik ist keine Kunst, sie unterhält und macht Spaß. Astronomie – hat schon wieder mit Geld zu tun. Aber mit astronomischen Summen kennt sich curt nicht aus.

Heute gilt für die Kunst die Definition von Georg Bertram: „Einen Tisch erkennen wir an seiner Form, ohne dass es zusätzliche Aktion oder Erklärung braucht. Wir müssen nicht an einem Tisch essen, um ihn als Tisch zu erkennen. Ein Kunstwerk hingegen erschließt sich nicht über seine Form, wir müssen es erfahren.“ Stimmt das? Denn Logik gehört nicht zu den Künsten. Und sie hat auch nichts in der Theologie zu suchen. Aber verwirrend ist Kunst schon. Ein Glück, dass es in dieser Kirche die Pfeiler des Kunstglaubens gibt. Hier also hilfreich der Katechismus der Pinakotheken.

DOGMA 1. Heißt ein Werk „OHNE TITEL“, bedeutet das: Der Künstler schweigt – der Kurator auch. Meistens sind das die Werke, die man gern verstehen würde. 2. Je moderner die Kunst, desto klinischer der Ausstellungsraum. 3. Size matters. Hauptsache groß. 4. Je langweiliger das Werk, umso imposanter der Künstler. Biografien sind unerlässlich und hängen großzügig herum. 5. Kunst darf nicht gefällig sein. Auch inhaltsleere Anklage muss verstören. 6. Kunst muss innovativ sein. Ein zweites Werk seiner Art ist Kunstgewerbe. 7. Kunst muss eingeordnet werden. Früh- und Spätphasen, Post und Neo-Irgendwas, Gruppen und Anlehnungen. LITURGIE Ehrfürchtige Angst in den geflüsterten Dialogen der Betrachter: „Aber der Rahmen ist schön.“ „Wir laufen verkehrt herum. Der Pfeil geht anders.“ „Da muss man sich drauf einlassen. Nach einer Weile wirkt es.“ „Aha, das war gar nicht die Tür zur Toilette, sondern eine Installation.“


KEUSCHHEIT Der Künstler – im Gegensatz zum Kunstpersonal – darf sexy sein. Und nicht nur das. Das Klischee eines Künstlers ist ein Freigeist, der leidenschaftlich einem Drang folgt. Geld hat er keines. Eigentlich ist er wahnsinnig und schneidet sich wahlweise ein Ohr ab oder er verhungert. Arm, aber sexy. Die Ähnlichkeit zu frühchristlichen Heiligenfiguren und Eremiten ist kein Zufall. Daher rührt sicher die religiöse Bewunderung für Kunst. Und weil die, die von der Kunst leben, nämlich die Galeristen und Kuratoren und Kunstgeschichtler, ein schlechtes Gewissen haben wegen ihrer Secondhand-Kreativität, wollen sie wie die Vampire teilhaben an den Leben der Erleuchteten. Kunst kaufen ist also moderner Ablasshandel. EWIGKEIT Was ist mit Zeitgeist? Manche Werke sind so zeitbezogen, dass man sie später nicht mehr versteht. Waibels Bild mit seinem Messer auf der Landkarte wirkt heutzutage klischeehaft. War es sicher immer. Plattitüden wie „Krieg ist scheiße“ werden auch mit den Jahren nicht besser. Siehe „Breaking Bread“ gegen den Hunger. Oder wieder Beuys. Was da in der Ursuppe der grünen Bewegung wie Revolution aussah und mit Konservendosen und Fett

eine Watsche in die Fresse des Establishments gewesen sein mag, rostet und stinkt jetzt vor sich hin. Obwohl natürlich kein echter Dreck ins Museum kommt. Die zwei Beuys-Besen, die an der Wand lehnen, werden täglich gesäubert und im rechten Abstand und Lehnwinkel zurückgestellt. WERTKONSERVATIVISMUS Monet wirkt heute kitschig. Das mag auch daran liegen, dass es im Museumsshop zu viele Merch-Produkte gibt. Regenschirme mit Hundertwasser-Muster, T-Shirts im Schiele-Style, Kühlschrank-Magnete mit Rembrandts Konterfei ... Und überhaupt Hundertwasser. In der touristenfreundlichen Ausstellung im Künstlerhaus am Lenbachplatz wird auch eine Teekanne in Form einer Schnecke gezeigt. War das mal innovativ? Was sich heute Sekretärinnen statt eines Katzenposters schenken, hat womöglich zur Gründung der Angewandten in Wien geführt. BEICHTE „Ich verstehe nichts, also bin ich dumm.“ Egal. Nichts wissen macht frei. Nachdem ich sowieso keine Million übrig habe, die ich mit einem Kunstkauf waschen wollte, und auch

keinen100-qm-Raum für eine Steine-Installation, lasse ich mich aus der Museumskathedrale zurückbeamen in eine völlig normale Kunstwelt, in der gilt: Machen, machen, machen! Denn Kunst machen, macht Spaß. Das Gewichse drum herum nicht.


44 curt // MÜNCHNER G‘SCHICHTEN

KUNSTVOLL STERBEN

2010 – eine Vernissage in der Hans-SachsStraße. In einem Ladenlokal eine Ausstellung von Särgen und Urnen. Ansonsten alles wie gewohnt: Vernissage mit Häppchen und Wein. Aber eben auch nicht. Särge und Urnen sind keine Objekte und das Zusammenspiel keine Installation. Die Künstlerinnen und Schwestern Lene und Kati Jünger sind Schreinerin und Keramikerin. Und die Dritte im Bunde, Lydia Gastroph, Goldschmiedin. Aber auch quasi die Galeristin. Lydia ist nämlich die Chefin des Unternehmens „weiss“, das die Särge und Urnen vertreibt. Keine der drei ist Grufti oder Vampir. Warum also Särge und Urnen?

TEXT: SONJA PAWLOWA // FOTOS: EVA JÜNGER & LYDIA GASTROPH

Das kommt so: Lenes und Katis Vater Hermann Jünger – Mitglied der Akademie der Schönen Künste, Preisträger aller möglichen Auszeichnungen und ehemaliger Professor an der Akademie in München – wollte nicht in einem 08/15-Eichensarg beerdigt werden. Das überrascht nicht. Sein Leben lang gestaltete dieser Mann nicht nur seinen genialen Schmuck, sondern auch andere Bereiche des Lebens. Jeder Gegenstand im Haus, das Haus selbst und auch der Kleidungsstil der Bewohner folgten seinen ästhetischen Vorgaben, nämlich „Reduktion auf das Wesentliche“. Also baute ihm Lene einen solchen Sarg: schlicht, klar und rot. Kein Schnickschnack.

Das und die Tatsache, dass das Sargangebot bei den klassischen Bestattern übersichtlich und einheitlich gestaltet ist, ließ den Gedanken an eine Sarg- und Urnenkollektion reifen. Und offenbar gab es eine Nachfrage nach Särgen und Urnen, die nicht aus der Fabrik kommen. Mehrere Jahre in Folge gewann Lene Jünger mit ihrem Sargkonzept den ersten Preis für Sargdesign. Kati wurde für die Urnen prämiert. Ein Erfolg. Welches Konzept? Sarg ist Sarg, oder? Nein, wäre ja schade. Und zu teuer für drei Tage freudloser Trauer. So kommt es, dass die Särge Schranksärge wurden und sind. Angeliefert wird das ausgewählte Modell mit vier Regalbrettern und abmontierbaren Tragegriffen. Man kann den Sarg also hochkant aufstellen und als Schrank verwenden. Wahlweise gibt es auch die Sargtruhe, die man beispielsweise für Bettwäsche benutzen kann. Gleiches gilt für die Urnen: erst Keksdose, dann Behältnis für den Verstorbenen. Ist das gruselig? Gibt es Kunden für dieses Konzept? Gibt es. Vorwiegend Leute, die sich mit ihrem bevorstehenden Tod auseinandersetzen. Das sind solche, die krank sind und wissen, dass sie ihre Krankheit nicht überleben werden. Lydias Schwester war so eine. Sie hat aus dem Sargschrank einen Schrein ihres Lebens werden lassen und Andenken und Er-


innerungsstücke darin aufbewahrt. Oder Lydias Vater, auch Besitzer eines Sargschranks. Er stellt seine Wanderstiefel darin ab. Um ihn für seinen späteren Zweck nicht zu ramponieren, hat er das unterste Fach mit Zeitungspapier ausgelegt. Gibt es auch noch anders. Christin Hieke ist eine alleinerziehende Mutter, die seit Jahren eine Urne in monatlichen 10-Euro-Raten abzahlt. Nicht, dass sie die Urne als solche in Bälde nutzen möchte. Sie will ihre minderjährige Tochter entlasten, sowohl finanziell als auch von der Bürde, Entscheidungen über die Art der Beisetzung treffen zu müssen. Bis dahin will sie die Urne im Wohnzimmer als Blumenvase oder so nutzen. Für Lydia Gastroph bedeutete die Gründung eines Sargshops die Anmeldung eines Gewerbes als Bestatter beim KVR. Auch interessant: Bestatter kann jeder werden. Kostet nur 45 Euro. Mehr braucht man nicht. Der einzige Tätigkeitsbereich bei einem Todesfall, der exklusiv einer Bestattungsfirma obliegt, ist die Überführung zum Friedhof oder Krematorium. Später kann man sich die Asche auch als DHL-Paket zum Friedhof schicken lassen. Selber abholen geht nicht. Die Asche wird in einem Zylinder angeliefert, den man in den Urnenbehälter steckt. In Deutschland darf man die Urne nämlich nicht zu Hause behalten und auch nicht im Garten vergraben. Es gibt allerdings Alternativen zu Friedhöfen: Friedwälder

und ausgewiesene Wiesen, auf denen Asche verstreut werden darf. Man kann seine Liebsten auch auf hoher See „beerdigen“. Das am Rande. Diverse Messen zum Thema Bestattung, wie die BEFA in Düsseldorf oder die ENDlich-Messe in Hamburg, informieren über Entwicklungen im Beerdigungsbusiness. Das Unternehmen „weiss“ nimmt an solchen Veranstaltungen nicht teil. Das ist Absicht, wenn auch schlecht fürs Geschäft. Die Idee hinter Sargschränken und Urnen im Wohnzimmerschrank ist schließlich, den Umgang mit dem Tod zu revolutionieren. Im Normalfall stirbt ein Mensch im Krankenhaus, der Bestatter kümmert sich im Allinklusiv-Verfahren um den weiteren Verlauf und die Angehörigen zahlen und weinen. Aber im Grunde haben sie nichts mit dem Sterben, dem Toten und der Leiche zu tun. Anders beim Unternehmen „weiss“: Der Tod gehört zum Leben und soll nicht verdrängt und dann stillos werden. Daher auch die Idee, Särge und Urnen im Leben und im Tod zu verwenden. Bleibt zu sagen, dass Lene nicht glücklich ist, wenn sie einen Sarg baut. Denn meistens bedeutet ein Auftrag, dass ein Mensch gestorben ist oder bald sterben wird. Der Tod ist kein leichtes Thema, auch nicht in der Kunst. Da ist es doch schön, wenn die Kunden die Regalbretter im Schranksarg noch recht lange nutzen wollen.

Falls ihr gerade auf der Suche nach einem Schrank seid und keine Fans der Wegwerfgesellschaft, dann denkt mal darüber nach, ob es vielleicht ein Sarg sein darf. Bestellen könnt ihr unter >> gastroph-juenger.de Einige Urnen könnt ihr vom 10. Oktober bis zum 22. November in der Galerie BVK in der Parcellistraße anschauen.


46 curt // MÜNCHNER G‘SCHICHTEN

EXOTISCHE KUNST ODER DIE KAMMER DES GRAUENS


EIN BESUCH IN DER ASSERVATENKAMMER AM MÜNCHNER FLUGHAFEN TEXT: KATHARINA WINTER // FOTOS: NADINE DECKENSATTL

Ein Hocker aus einem echten Elefantenfuß, das Schwert von einem Säbelzahn-Rochen oder ein ausgestopftes Löwenbaby – das sind nur einige der Exponate, die in der Asservatenkammer am Münchner Flughafen vor sich hingammeln. Alles Andenken, die Urlauber aus Asien oder Afrika mit nach Deutschland gebracht haben und eigentlich in ihrem Wohnzimmer aufstellen wollten. Marie Schuster vom Zoll in München kann über solche Kunstobjekte nur den Kopf schütteln. „Für mich ist Kunst, was Picasso gemalt hat“, erklärt sie. „Aber auf keinen Fall das, was hier so landet.“ Jährlich kassieren die Zollbeamten über 1.000 Exponate alleine am Münchner Flughafen ein. Dabei machen sie nur Stichproben und kontrollieren nicht jeden Koffer. Laut Washingtoner Artenschutzübereinkommen ist es verboten, Tiere und Pflanzen mit nach Deutschland zu bringen, die vom Aussterben bedroht sind. Das Handelsabkommen wurde am 3. März 1973 in Washington D.C. unterzeichnet. Aber bis heute wissen viele nicht, welche Urlaubsandenken verboten sind. Oder wollen es nicht wissen. TOTE TIERE UND PFLANZEN FÜR MEHR PRESTIGE Dunkel und muffig ist die ungefähr 60 m² große Asservatenkammer und vollgestopft mit toten Tieren, Schmuck und Lederwaren. Die meisten Ur-

laubsmitbringsel sind Muscheln oder Korallen: Eine ganze Regalwand ist nur mit Souvenirs aus dem Meer gefüllt, darunter ist auch eine riesengroße Monstermuschel. Daraus wollte der Reisende eigentlich ein Waschbecken für sein Badezimmer bauen lassen. Ganz besonders geschmacklos ist ein kleiner Kaiman: Er wurde am Bauch von unten bis oben aufgeschnitten und mit Draht so aufgerichtet, dass er auf zwei Beinen steht. Anschließend wurde der Schnitt wieder zugenäht und ihm ein Sonnenschirm in die Krokodilpranke gesteckt. Ein bisschen krank muss man schon sein, wenn man sich so etwas zu Hause ins Bücherregal stellt, um seine Freunde damit zu beeindrucken. Genauso gewöhnungsbedürftig sind die Fläschchen mit Reisschnaps, in denen eine tote Kobra schwimmt. Angeblich wirkt dieses asiatische Hausmittel potenzfördernd. Manche brächten den Schnaps mit, berichtet Zollbeamtin Marie Schuster, um ihn dann nach dem Essen ihren Gästen anzubieten. Erst hinterher würden sie ihnen die Flasche mit der Kobra zeigen. In München trinkt den Schnaps aber keiner mehr. Die verbotenen Urlaubsmitbringsel müssen nämlich in der Asservatenkammer bleiben. Der Zoll darf sie nicht weiterverschenken oder -verkaufen. Nur ein paar von den Mitbringseln verleihen die Beamten in Form eines Artenschutzkoffers an Schulen und Kindergärten. So sollen die Kinder schon früh lernen, welche Tiere und Pflanzen vom Aussterben bedroht sind. Vielleicht sammeln sie dann als Erwachsene in ihrem Urlaub mehr Eindrücke und weniger Andenken, hofft Marie Schuster.


48 curt // MÜNCHNER G’SCHICHTEN

„MARINA ABRAMOVIC IST EINE SCHWINDLIGE BREITARSCHGAZELLE!“

TEXT: PABLO SCHIKANE // FOTOS: JULIA FROMM (AUSSER „LUC IM SCHAUFENSTER“)

Als Marina auf Reisen ging, passte Luc (aka Calippo Schmutz) auf ihren Hund auf. Er ahnte nicht, dass Marina da schon längst mit dem schwindligen Ulay an der Chinesischen Mauer rumturnte.


EINE GESCHICHTE ÜBER DAS KÜNSTLERPAAR MARINA ABRAMOVIC UND CALIPPO SCHMUTZ (AKA LUC) IN WORT UND BILD

Calippo Schmutz presst die Lippen zusammen, wenn er den Namen der weltberühmten Performancekünstlerin hört: Marina Abramovic. Der Vorwurf: Bis heute performt die gebürtige Jugoslawin Spielarten, die ursprünglich von ihrem damaligen Partner Calippo Schmutz konzipiert wurden – und feiert damit riesige Erfolge. Sein Kopf glüht, als er zu erzählen beginnt. Er scheint noch immer gekränkt.

Luc zog selbst los in Richtung China, um nach Marina zu sehen. Zu Fuß. Niemand nahm Notiz davon. Er sah sie nie wieder.


50 curt // MÜNCHNER G’SCHICHTEN

Jahrzehnte liegen die gemeinsamen Tage in Amsterdam zurück, in denen er, Calippo Schmutz, und eben Marina Abramovic das Genre der Performancekunst neu erfanden. Das Künstlerduo erlangte erstmals Aufsehen, als es sich sieben Tage in einer schäbigen Windmühle einsperrte und täglich getrennt voneinander mindestens vier Stunden masturbierte. Dabei führten sie sich abwechselnd eine mittelgroße Karotte ein, während sie über Lautsprecher ihre Gefühle und Fantasien mitteilten. Dem Publikum vor der Windmühle blieb über die gesamte Dauer der Performance unklar, wer wer ist und bei wem gerade die Karotte (symbolisiert Hase = Fruchtbarkeit) zum Einsatz kam. Die renommierten Kunsthäuser dieser Welt jagten fortan das kreative Duo, wollten es nur für sich und das kunstinteressierte Publikum war immer dort, wo Calippo und Marina ihre außerordentlichen Stücke vorführten.

Um seiner Ohnmacht Ausdruck zu verleihen, legte er sich auf einen Steg am Deininger Weiher. Dem Publikum war es erlaubt, mit bereitgelegten Gegenständen mit Luc zu machen, was ihm einfiel.


Bei der Performance „Roulette Genital black/red“ kam es dann zu einem tragischen Unfall. Schmutz verletzte sich schwer, woraufhin seine Partnerin ihn abblitzen ließ und mit einem gewissen Ulay weiterzog. Während Abramovices Performances seither in der MoMA in New York zu den Highlights gehören, Jay Z, Lady Gaga und Adidas zu ihren besten Kunden zählen, performt Calippo Schmutz, mittlerweile wohnhaft bei der Mama in Garching, weiterhin erfolgreich mit seiner Kunstfigur „Luc“, das Männchen im weißen Bademantel. >> Sein neuestes Projekt „Both Eyes blind – left/right“ zeigt der Meister beim UAMO-Festival am 18. Oktober im Einstein.

Wieder in München verdiente sich Luc, die Figur von Calippo Schmutz, sein Geld bei einem Hausmeisterdienst für Kunstgalerien. Dabei sperrte er sich versehentlich sieben Tage lang ein. Er ernährte sich ausschließlich von herumstreunenden Weberknechten. Abramovic verkaufte dieses Missgeschick als Performance, als sie sich freiwillig ebenfalls in ein Schaufenster einsperrte, ihr dabei aber stets frisches Mineralwasser gereicht wurde.


52 curt // KUNST-QUIZ

QUIZ Ein roter Klecks auf einer Leinwand. Ein mikroskopisch kleines Kunstwerk, das in einem gigantischen Saal versehentlich zertrampelt wird. Ein Nagel in einem Brötchen. Wir stehen da und denken uns: Hä, und wieso jetzt? Kunstausstellungen, auf denen wir einfach nicht so viel kapieren, manchmal auch gar nichts, verlassen wir meist kopfkratzend und mit einem großen Fragezeichen. Den Künstler zu fragen, trauen wir uns dann aber irgendwie auch nicht so recht. Wer weiß, wie der so tickt. Wir trafen den ukrainischen Outsider-Künstler LEONID HRYTSAK in seinem Werkraum und Sammelsurium im Dachstudio der Kunstakademie München. Es ist ein Ort der Gesetzlosigkeit – eben einfach ein gepflegtes Chaos. Mittendrin steht Leonid, hantiert mit allerlei Krimskrams herum und erklärt uns seelenruhig, was seine Kunstwerke so aussagen. Die haben nämlich eine ganz eigene Sprache. Erratet ihr, welche wahre Bedeutung in Leonids Werken steckt? Die Auflösung findet ihr am Ende des Kunst-Quiz – los geht‘s!

Danke, Leonid, dass du dir die Zeit genommen hast, uns deine Großstädter und Co. vorzustellen! Mehr zu Leonid Hrytsak unter >> leonid.tk

IDEE & TEXT: CARINA NEUMANN // FOTOS: JOSEF HIRTE


WAS BEDEUTEN DIESE KUNSTWERKE?

OBJEKT AUS DER SERIE „GROSSSTÄDTER“

MASKEN

(NOCH) OHNE TITEL

AUS SPIELZEUGTRÖTE, ALUFOLIE, SCHRAUBEN, FAHRRADSCHLAUCH UND FICHTENZAPFENSCHUPPEN

AUS SAMT UND STOFFEN. DER BETRACHTER KANN DIE MASKE VERFORMEN UND ZU NEUEN GESICHTERN KNETEN.

AUS KIPPENSTUMMELN, TOTEN INSEKTEN, BIERDECKELN, ALTEM ZEITUNGSPAPIER UND SONSTIGEM

1

A: Nichts. B: Man sollte nie zu viel nachdenken – man verteilt einfach Zeugs um sich rum und das Zeugs kommt dann von alleine zu dir. Dabei entstehen auch Fehler. Und die machen es erst richtig gut! C: Es spiegelt sehr gut den Kontrast von Leben und Tod wider. Obwohl es düster wirkt, hat es doch viel Leben in sich. Wenn man genau hinschaut, hat es sogar Augen.

2

A: Das liegt immer im Auge des Betrachters. B: Die Maske hängt man sich neben den Spiegel. Wenn man sich mal nicht so schön fühlt, kann man sich sein eigenes Idealbild basteln und sieht, dass Schönheit nicht immer Perfektion ist. Das heitert auf. C: Meine Masken wollen spielen.

3

A: Gold ist Müll und Müll ist Gold – wisst ihr, was ich meine? B: Durch Raucher sterben viele kleine und auch große Lebewesen – ich bin Nichtraucher. C: Es leuchtet und wird durch Licht reich. Es spiegelt die Zerstörung durch den Menschen wider. Die Kippenstummel sind intelligent und bilden kleine Figürchen und Türmchen – sie sind fast menschlich.


54 curt // KUNST-QUIZ

SCHMUCK

4

A: Da nimmt man das einfach mal so, tüddelt das irgendwie so hin – und schon hat man eine schöne Brosche! B: Das ist eine Kette, die je nach Variation mal locker flockig fällt, mal wild verknotet ist – besonders toll für Mädchen. C: Es ist halt einfach schön, muss ja nicht immer alles gleich ’ne Bedeutung haben, oder?

OBJEKT 49, SERIE „OUTSIDER“

OHNE TITEL

AUS TOTER MOTTE, BREMSBELAG, LAUB, PFEFFERMINZE UND KIPPENSTUMMEL

AUS SCHNEE- UND WINTERREIFENKETTEN

5

A: Der kleine Knirps hier kommuniziert mit jedem anders – je nachdem, wie angemessen man sich ihm gegenüber verhält. B: Es ist ein Reflektor, er reflektiert unsere Gesichter. Es spiegelt gut unsere Gesellschaft wider. C: Wer reitet so spät durch Nacht und Wind? Das ist meine Version von Goethes „Erlkönig“: der Mottenkönig, der den Outsider reitet.

6

A: Unser Gehirn will immer Sachen identifizieren, will immer verstehen. Das hier kann sich jeder so hinbasteln, wie er es möchte – je nach Geschmack. Als Lampe zum Beispiel? B: Das Chaos regiert die Welt. Zumindest wenn man sich in seinem eigenen Chaos auskennt. C: Nichts.


AUFLÖSUNG: 1 B // 2 C // 3 C // 4 A // 5 B 6 A // 7 B // 8 B // 9 B OHNE TITEL

OHNE TITEL

OBJEKT AUS DER SERIE „GROSSSTÄDTER“

AUS BREMSSCHEIBEN, DIENT ALS OBJEKT FÜR EINEN FILM ÜBER EINEN KÜNSTLER. DIESER KÜNSTLER ...

AUS BESTECK UND FAHRRADSPEICHE

AUS BREMSBELAG, ROSENBLÄTTERN UND PFEFFERMINZE

7

A: ... liebt Bremsscheiben. Und die Bremsscheiben lieben sowohl den Künstler als auch sich gegenseitig. Eine Symbiose. B: ... lebt isoliert im Wald. Er will keinem gefallen und seine Sachen für sich machen. Seine Werke sind wie er weit von der normalen Welt entfernt. C: ... projiziert seine düsteren Gedanken in seine Werke. In der Zeit, in der er dieses Objekt schuf, hatte er eine dunkle Zeit.

8

A: Es ist einfach sehr dekorativ und gibt Einrichtungen den letzten Schliff. B: Es ist ein Spagat zwischen Kunst, Witz und Design. C: Wie war das noch? Ach ja. Ich hatte keine anderen Gegenstände mehr und dann ist auf einmal das hier entstanden.

9

A: Unfall. B: Es romantisiert, spricht durch Einfachheit und Schlichtheit. Es stoppt dort, wo es spannend wird – und soll nicht zu weit gehen. C: Dieses Großstädter-Weibchen ist brünstig und balzt. Deshalb die farbenfrohe Aufmachung – das ist ihr Balzkleid.


56 curt // FILM

Der größte Kunstfälscherskandal der Nachkriegszeit entlarvte nicht nur Wolfgang Beltracchi, der nach eigener Aussage in rund 40 Jahren bis zu 300 Werke unterschiedlichster Künstler fälschte, sondern auch einen grotesk übersteigerten Kunstmarkt, in dem Gemälde zu spekulativen Kapitalanlagen werden.

Der Regisseur Arne Birkenstock hat eine Kino-Dokumentation über Beltracchi gedreht, die jüngst als DVD erschien. curt bat ihn zum Gespräch.

TEXT: MIRJAM KARASEK FOTOS: SENATOR HOME ENTERTAINMENT

BELTRACCHI

DIE KUNST DER FÄLSCHUNG


Im Beipackzettel zu der kürzlich erschienenen DVD steht: ein „höchst amüsanter Dokumentarfilm“. Haben sie dem Ernst des Themas genüge getan? Immerhin wird der Gesamtschaden auf rund 34 Mio. Euro beziffert. Es geht hier eben nicht um Waffenschieber, Mädchenhändler oder Flüchtlingsschlepper, sondern um einen Kunstfälscher, der über vier Jahrzehnte die wichtigsten Akteure im weltweiten Kunsthandel betrügt. Dabei legte er zweifellos eine hohe kriminelle Energie, aber eben auch Charme, Chuzpe, Kunstverständnis und handwerkliches wie strategisches Know-how an den Tag. Ich wäre ein schlechter Filmemacher, wenn ich diese Gaunerkomödie nicht auch unterhaltsam erzählen würde. Beltracchi ist eine sehr ambivalente Persönlichkeit und somit eine perfekte Filmfigur. Und so ambivalent wie er ist, zeichnet ihn auch mein Film. Interessant ist die Frage, warum der Kunstfälscher unter den Betrügern der beim Volke Beliebteste zu sein scheint. Das hat erstens etwas mit dem Wohlstand der Opfer zu tun, die durch den Betrug weder um ihr Haus noch um ihre Rente gebracht werden. Zweitens sind seine Kenntnisse und Fertigkeiten – anders als zum Beispiel bei einem Finanzbetrüger, der ebenfalls über hoch spezialisierte Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen muss – beim Kunstfälscher für jedermann nachvollziehbar: Er kann gut malen. Drittens bedient der Kunstfälscher sicher gewisse Vorurteile gegenüber dem Kunstmarkt und der zeitgenössischen Kunst insgesamt. Das alles macht seine Taten nicht weniger verwerflich, aber es erklärt, warum viele Menschen bei dieser Geschichte immer auch mal grinsen müssen und manche den Fälscher sogar ein wenig bewundern. In Ihrer Dokumentation zeigen Sie viele Seiten einer Medaille: wütende Kunstsammler, genarrte Experten, akribische Ermittler, ihn bewundernde Freunde ... Welche überwiegt für Sie? Ist Beltracchi ein krimineller Hochstapler oder ein moderner Till Eulenspiegel, der einem profitgierigen Kunstmarkt den Spiegel vorhält? Beltracchi hat eigene Werke als Originale der klassischen Moderne verkauft und sich damit sehr viel Geld ergaunert. Das ist Betrug und wird völlig zu Recht strafrechtlich geahndet. Sein Motiv war die Gier und nicht die Aufklärung. Und doch hat Beltracchi mit seinen Taten – ohne dass es seine ursprüngliche Absicht gewesen wäre – zur Aufklärung beigetragen. Der Beltracchi-Skandal hat uns viele Defizite und Absurditäten im internationalen Kunsthandel offengelegt, der Fälscher hat dem Markt in diesem Sinne auch einen Spiegel vorgehalten. Das war nicht das Motiv, aber ein Nebeneffekt seines Tuns. Insofern ist er beides: Hochstapler und Eulenspiegel. „Museen sind nichts weiter als ein Haufen Lügen, und die Leute, die aus der Kunst ein Geschäft machen, sind meistens Betrüger“, so wird Picasso zitiert. Wer ist Ihrer Meinung nach nun der Betrüger: der Maler oder diejenigen, die seine Werke bereitwillig gegen bare Münze für bare Münze hielten? Bei aller berechtigten Empörung über manche Gepflogenheit im Kunstmarkt: Man darf die Opfer nicht zu Tätern machen! Es steht außer Frage, dass es der Fälscher war, der betrogen hat, und die Sammler und Händler diejenigen waren, die betrogen worden sind. Einige Betrogene in dieser Geschichte müssen sich allerdings die Frage gefallen lassen, ob sie es dem Betrüger nicht allzu leicht gemacht haben. Der Kunstmarkt selbst beschreibt Beltracchi gerne wahlweise als Genie oder als Teufel.


58 curt // FILM

Das Praktische daran: Gegen beide – Genie und Teufel – ist man machtlos und muss sein Geschäftsgebahren auch nicht ändern. Würde man Beltracchi hingegen als das ansehen, was er ist, nämlich als einen zwar besonders pfiffigen und talentierten, aber am Ende des Tages doch ganz normalen Kunstfälscher, so müsste man im Kunstmarkt darüber nachdenken, wie man sich künftig vor ihm und seinesgleichen besser schützen kann. Ob die betroffenen Akteure aus dem Skandal gelernt und ihre Konsequenzen gezogen haben – daran habe, nicht nur ich, meine berechtigten Zweifel. Ihre Dokumentation trägt den Untertitel „Die Kunst der Fälschung“: Ist Beltracchi für Sie folglich ein eigenständiger Künstler? Oder doch nur ein talentierter Fälscher? Ihre Schlussfolgerung ist sprachlich ungenau. Der Begriff „Kunst“ ist wesentlich weiter gefasst und bezieht sich auch auf Dinge wie zum Beispiel Handwerkskunst. Genau so ist der Untertitel gemeint. Der Kunstfälscher betreibt ein kriminelles Geschäft und doch benötigt er besondere Fertigkeiten, um dieses Geschäft so „erfolgreich“ auszuüben wie Beltracchi. Dieser konnte nicht nur außergewöhnlich gut malen, sondern wusste auch seine Kenntnisse über Materialien und Alterungsprozesse praktisch umzusetzen, um Fälschungen herzustellen, die auch die kompetentesten Experten nicht als solche erkannten. Dazu kam sein großes Wissen über Kunstgeschichte und Kunsthandel, das er für eine außerordentlich erfolgreiche Verkaufsstrategie nutzte. In diesem Sinne erzählt uns seine Geschichte etwas über die „Kunst“ der Fälschung. Ob Beltracchi darüber hinaus auch ein Künstler ist und als solcher erfolgreich bestehen kann, wird sich zeigen. Dieser Punkt wird im Film ja auch von dem Kunsthistoriker Henry Keazor angesprochen und eher bezweifelt. Frage an Sie als Regisseur und somit Künstler: Was ist Kunst? Es fällt mir schwer, diese Frage zu beantworten. Was „Kunst“ ist oder nicht, entscheidet am Ende ja auch der Betrachter. Für mich ist der künstlerische Prozess entscheidend. Der künstlerische Prozess hat sehr viel mit Zweifeln und Fragen zu tun. Das kenne ich aus dem Schneideraum. Es dauert ewig, bis man aus den vielen im Drehmaterial schlummernden Möglichkeiten die eine Fassung geschnitten hat, die dann dem Film zugrunde liegt. Das ist eine ewige Suche mit zahllosen Umwegen. Der direkte Weg führt hier selten zum Ziel. Deshalb war mir die Sequenz aus dem Max-Ernst-Film von Peter Schamoni so wichtig. Hier sehen wir den Künstler in seiner Verzweiflung vor der weißen Leinwand. Max Ernst weiß in diesem Augenblick eben nicht, was er als nächstes tun soll. Er brütet und wartet, entdeckt die Maserungen in einer Holzdiele, experimentiert damit herum und entwickelt so die Frottagetechnik, ohne zu wissen, ob und wie diese bei Kritik und Handel ankommt. Beltracchi nutzt diese Frottagetechnik zu einem Zeitpunkt, zu dem sie von Kunstkritik und Kunsthandel bereits anerkannt und geadelt ist. Anders als Max Ernst in seiner Verzweiflung vor der weißen Leinwand oder ich in meiner Verzweiflung im Schneideraum weiß der Fälscher immer, wie es weitergeht, er macht sich nicht selbst auf die Suche, sondern greift auf etwas Bewährtes zurück. Das ist für mich dann eher Handwerk als Kunst. Sechs Jahre Haft für Beltracchi: Wie werten Sie persönlich das Urteil? Ihr Vater hat Beltracchi ja auch verteidigt. Das Wunderbare an unserem Rechtsstaat ist doch, dass jeder Fall individuell, nach feststehenden Regeln und mit offenem Ausgang verhandelt


wird. Ausschlaggebend für das Strafmaß ist nicht Volkes Stimme oder die vom Beobachter „gefühlte“ Gerechtigkeit, sondern auch Faktoren wie Schadenshöhe, Beweislage und Kooperationsbereitschaft des Beschuldigten. Da sich Anklage, Gericht und Verteidigung einvernehmlich auf dieses Strafmaß geeinigt haben, gehe ich davon aus, dass es dem Fall und den verhandelten Straftaten angemessen war. Sechs Jahre Haft sind nun wirklich kein Pappenstiel, auch wenn mancher Feuilletonist das anders sieht. Provokante Frage zum Schluss: Ist Ihre Dokumentation nicht auch ein wenig Schmücken mit fremden Federn, ein Mitreiten auf der lukrativen Vermarktungswelle rund um den Skandal? Provokante Gegenfrage: Ist ihre Berichterstattung das dann nicht auch? Wollen wir künftig keine Geschichten mehr erzählen über Menschen und Ereignisse, die uns und unsere Leser bzw. Zuschauer interessieren? Streng genommen schmücke ich mich dabei immer mit fremden Federn, egal ob ich einen Film über Volksmusiker, Elefanten, Tangotänzer oder eben über einen Kunstfälscher mache. Ohne starke Figuren mit starken Geschichten entsteht kein starker Dokumentarfilm. Und wenn ein Protagonist dann noch so sehr polarisiert wie Beltracchi, dann ist das für den Film umso besser. Im Übrigen: Die mediale Vermarktungswelle und die vielen Talkshow-Auftritte rund um das Buch der Beltracchis haben unserem Film mindestens soviel geschadet wie genutzt. Wir wurden als Teil einer PR-Kampagne wahrgenommen, obwohl wir das zu keiner Zeit waren. Andererseits ist es völlig nachvollziehbar, dass ein solcher Film ins Kino gebracht wird, wenn die Aufmerksamkeit für das Thema möglichst hoch ist.

ARNE BIRKENSTOCK „BELTRACCHI – DIE KUNST DER FÄLSCHUNG“ Dokumentarfilm // Regie: Arne Birkenstock // VÖ: 26. September 2014 // Auf DVD und Blu-ray >> 3 DVDs auf curt.de/muenchen gewinnen!


N O I L

60 curt // SELBERMACHEN

in Wirklich pfängt, ist em el st o vorm H Münchr grinsend ch mit dem Backpacke lein als au d al n l u – h t wigt o g w K in ve so n und re KLIC beitet er Pinsel schw AHME! durch Indie N Künstler ar osen den F er t kd er U is d ec re n A St fe T f en af n e isst, au spiratio ls freisch MOMEN ne.blog.d ünchen. A den Kuchen che nach In -con-car ndern in M f Hauswän auf der Su e/ >> lion so au er , .d m er en 75 d d Im , us . än rt do n. >> ha Künstlern rüchigen W bärtige Typ 15 ausstelle it indischen nicht auf b Der kleine Januar 20 ternet eine erdings m im lebt auch g d eu n n n u d llu ß n te u ns dank In ro ss – u g u t h is en -A lic 5 h m sgabe lic S7 m em d U keit zi unserer Au f der HA er letzten US75 zusa wird er au eiben – ab at er sich in ollektiv HA h tr K ke , u rer fz ke le W st er au t und n e w a er ü ner K Himalay r Meister hen zaub raßen. Sein potenzielle n paar Stric ies und dem rt in den St p te se A ie ip et d u H et s o , geht‘s! re lh au en s St Si h k seine groben te und lo unstwer chen Kü ann zwis ckt die Stif genialste K Seite), einer m Zü as n . d h te c ao er is ch p b Pi re le m nF anderem n (auf der is 12. Nove nfach, Lio karten und uss. Wer b inen Skizze nicht so ei et mit Frei werden m gen. Mit se ak et n d -P u n rt Es war gar el lle g cu vo m n n ih innt ei euch erst fnahme vo schickt, gew ürlich von Momentau unscht“ zu nstwerk nat K u „ K ff as re d l et h obwo .de mit B verewigt – chen@curt l an muen ai M Eer p HMANN sie uns ON FLEISC S: TOS & ILLU ANN // FO NA NEUM TEXT: CARI

LI


is yours ... The stage


62 curt // MUSIK

OH,

TEXT: MELANIE CASTILLO // FOTOS: PANAMA PLUS

WIE SCHÖN IST PANAMA PLUS!

DIE MACHER DES KUNST- UND KULTURFESTIVALS PANAMA PLUS: STEF ZINSBAUER, PETER PAZMANDI, MAX HEITZSCH, FLO KREIER, SUSANNE STEINMASSL UND TOBI TZSCHASCHEL


Panama Plus liegt irgendwo zwischen Munich Underground und Alice im Wunderland. Das Kunst- und Kulturfestival verwandelt seit Jahren wechselnde Locations zu einem absurden Mix aus Kurzfilmkino, Kunstausstellung und Musikfestival. Am 21. November öffnet das Muffatwerk die Pforten für die bunteste Kulturparty des Jahres. curt hat mit dem Festivalteam gesprochen.

Was ist Panama Plus? FLO KREIER: Wir sehen uns als Kulturfestival, das die Bereiche Musik, Film und Ausstellung möglichst gleichberechtigt nebeneinanderstellt. Unser Ziel ist es, das Publikum mit abgefahrenen Acts, Installationen und Filmen zu begeistern und auch ein bisschen zu überfordern. Perfekt ist es, wenn man sich als Besucher andauernd denkt: „Was ist denn hier los?“ Im diesjährigen Team sind befreundete Kulturcrews: das Kunstfestival AABER Award, die Akustik-Maestros Hauskonzerte.com und das DJKollektiv MunichOpenMinded. Warum? SU STEINMASSL: Das sind Crews, denen wir uns inhaltlich immer nahe gefühlt haben. Ihre Veranstaltungen haben viel Seele und Hirn, das spricht uns an. Als wir uns kennengelernt haben, war sofort auch der Gedanke da, mal gemeinsame Sachen zu machen. Das klappt jetzt endlich, was uns alle sehr freut. Wie ist die Aufgabenverteilung? TOBI TZSCHASCHEL: Wir besprechen viel, aber die Details arbeiten die Crews in ihren eigenen Bereichen aus. Wir wollen keinen Einheitsbrei haben, sondern ein stimmiges Gesamtkonzept, mit dem alle down sind. Alle haben ja ihren ausgecheckten Plan und eine genaue Vorstellung von ihrer Arbeit. Wer also

zum Beispiel die Veranstaltungen von Hauskonzerte.com gut findet, der wird auch die Akustikkonzerte beim Panama Plus mögen. Was wird dieses Jahr alles passieren? MAX HEITZSCH: Wir werden das Muffatwerk in Panama Plus verwandeln. Mit raumübergreifenden Lichtinstallationen von 507Nanometer, Räumen in Räumen, Guerilla-Acts, überraschenden Performances, Lesungen und einer ganzen Reihe von megaguten Künstlern, Bands, Filmen und DJs. Außerdem gibt’s das alljährliche Beatbattle, ein Wettbewerb im Beatsbauen. Wir geben eine Woche vor dem Festival Samples raus, mit denen Producer dann rumbasteln können. Jeder, der uns gute Beats schickt, kommt umsonst aufs Festival. Worauf freut ihr euch am meisten? FLO KREIER: Es wird echt zu viele geile Sachen geben, um eine konkret rauszuheben. Am meisten freu ich mich auf die Reaktionen der Besucher. Panama Plus wurde immer sehr gut angenommen, wir bekommen oft noch Wochen nach der Veranstaltung total euphorische E-Mails, in denen sich Besucher für das Festival bedanken. Auf der Veranstaltung die ganzen funkelnden Augen und begeisterten Gesichter zu sehen, macht echt glücklich. Dann weiß man, dass sich die wochenlange Vorbereitung gelohnt hat.

PANAMA PLUS FESTIVAL 2014 // 21. NOVEMBER IM MUFFATWERK Konzerte, Kurzfilme, Ausstellung, Lesungen, Beatbattle mit den Crews Hauskonzerte.com, AABER AWARD, MunichOpenMinded, 507Nanometer, SVS // Live u. a. koenigleopold, Veli, Gudrun von Laxenburg, French For Rabbits, Never Sol ... >> facebook.com/PanamaPlus

2x2 Festivaltickets auf curt.de/muenchen gewinnen!


64 curt // MUSIK & KULTUR

„LASS UNS FREUNDE SEIN“ DIE PULS LESEREIHE 2014

28. Oktober im Rationaltheater // Eintritt frei! >> deinpuls.de

DIE NEUE SPIELSAISON DER MÜNCHNER KAMMERSPIELE

4 Abende, 4 Städte, 12 junge Nachwuchs-Autoren und das Versprechen, ganz individuelle Interpretationen von „Lass uns Freunde sein“ zu hören – das ist die PULS Lesereihe 2014. Das Thema hat es in sich: Es kann uns ein herzerwärmendes Gefühl in der Kneipe schenken, einen kurzen Ego-Push bei Facebook oder auch einen Stich ins Herz versetzen, wenn dieser Satz frontal von der Angebeteten kommt. Wer von den 12 nominierten Literaten wird sich ins Herz des Publikums lesen? Jeweils drei von ihnen präsentieren in der Endrunde des bayernweiten Schreibwettbewerbs ihre Texte in jeweils einer Stadt. Wer am Ende gewinnt, entscheidet das Publikum vor Ort und die bayernweiten PULSHörer, denn alle Beiträge werden nach der Lesung zur Abstimmung auf deinpuls.de bereitgestellt. Und: Dieses Jahr spielt die Würzburger Singer/Songwriterin KARO auf. Musik und Lesung – und das heimelige Gefühl, dabei im eigenen Wohnzimmer zu sitzen. „Ab jetzt ist jeder Tag der letzte“ – das ist aber für Johan Simons kein Grund, Trübsal zu blasen, denn: „Ab jetzt werden wir jeden Tag feiern!“ Die fünfte und letzte Münchner Spielzeit des Intendanten beginnt mit fünf Eröffnungspremieren: Seit 27. September ist die neue Theatersaison der Münchner Kammerspiele mit der Uraufführung von DAS SCHWEIGENDE MÄDCHEN, Elfriede Jelineks Annäherung an den NSUProzess, eingeläutet. Außerdem: HUNDEHERZ und eine Fusion zwischen München und Peking, Deutschland und China, Tanz und Theater – „TOTALLY HAPPY“. Das Theater bewegt sich an der Schnittstelle zu verwandten Künsten, Sprachen und Nationalitäten; es kommen Stoffe aus Bayern und große Namen. Mit diesem Programm will Johan Simons zum Abschied ein Ausrufezeichen setzen. Sobald die fünf Eröffnungsproduktionen gefeiert sind, werden die Sitze im Schauspielhaus ausgebaut und mit RITOURNELLE samt ausgezeichnetem Line-Up experimentelle elektronische Musik und Noise ins Haus gelassen. >> Karten für Ritournelle am 25. Oktober auf curt.de/muenchen gewinen!


WOLF HAAS 19. OKT / 28. DEZ –– BRENNEROVA / LESUNG –– 20 UHR

ROCKO SCHAMONI

29. OKT – DIE BESTE ALLER SCHLECHTEN WELTEN – 20 UHR

H M B C 1. / 2. NOV – KINDERKONZERT AM 2. NOV UM 16 UHR – 20 UHR

11 FREUNDE KÖSTER & KIRSCHNECK LESEN VOR UND ZEIGEN FILME 29. NOV –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– –– 20 UHR

MAX GOLDT 29. DEZ CHEFINNEN IN BODENLANGEN JEANSRÖCKEN 20 UHR

BANANA FISHBONES 3. JAN 2015 –– LIVE & UNPLUGGED / KONZERT –– 20 UHR MÜNCHNER VOLKSTHEATER THEATER DER STADT MÜNCHEN BRIENNER STR. 50 AM STIGLMAIERPLATZ · 80333 MÜNCHEN WWW.MUENCHNER-VOLKSTHEATER.DE

KARTEN 089.5 23 46 55

KINDER DER SONNE VON MAXIM GORKI REGIE: CSABA POLGÁR

AB 25. SEPT 2014 KARTEN 089.5 23 46 55


66 curt // MUSIK

CURT PRÄSENTIERT FEINE KONZERTABENDE

09|10

GRUFF RHYS // AMPERE Der Ex-Frontmann der Super Furry Animals erneut auf Solopfaden: mit einem außergewöhnlichen MultimedialRock-Projekt. Auf einer „investigativen Konzertreise“ folgte er den Spuren seines Ahnen John Evans, der 1792 die Neue Welt erkundete. Ergebnis: Buch, Film, interaktive App und das Album „American Interior“.

09|10

TRAAMS // KRANHALLE Bizarr, düster und wunderbar rotzig kommt das Trio dahergefegt. Wenn in ihrem Heimatdorf West Sussex janz weit draußen tote Hose herrscht, machen sie eben selbst Krach. Geniale Idee: Ihr Debüt „Grin“ schlägt voll rein und zaubert dunklen Gestalten der Nacht ein Grinsen aufs Gesicht. Post-Punk at it’s best!

14|10

PONTIAK // MILLA Fast möchte man meinen, die drei Carney-Brüder wären Workaholics: „Innocence“ ist Pontiaks 7. Album innerhalb von 8 Jahren. Respekt! Macht ihnen offensichtlich viel Spaß, ihr Spagat zwischen groovendem PsychedelicRock und athmosphärischen Folk- und AmericanaKlängen. Und nicht nur ihnen!

16|10

DEATH FROM ABOVE 1979 // OHOUSE Endlich! Die beiden Sound-Puristen Jesse Keeler und Sebastien Grainger sind ganz wild darauf, euch mit Schlagzeug, Bass & Keyboard hämmernden Dance-Punk in die Ohren zu blasen. Ihr neues Album „The Physical World“ riecht stark nach Renovierung des alten DFA1979Sounds – und war längst überfällig. Ausverkauft!

17|10

ALLAH-LAS // ATOMIC CAFÉ Eine Zeitreise zurück ins California der späten 60er: Die Allah-Las lassen Bilder von lauen Sommernächten am Strand, Trips mit dem alten VW-Bus auf dem Pacific Coast Highway, Sonne, Wind und freier Liebe lebendig werden. So klingt Freiheit auf Vinyl gepresst. Psychedelischer Surf-Pop-Rock eben – live in München.

TEXTE: MIRJAM KARASEK

ZU ALLEN KONZERTEN VERLOSEN WIR 3 X 2 KARTEN! ALLE GEWINNSPIELE FINDET IHR AUF CURT.DE/MUENCHEN


19|10

20|10

24|10

24 – 25 |10

01|11

CARIBOU // MUFFATHALLE Der selbsterklärte Sound-Eremit Dan Snaith aka Caribou lässt sich von Stimmungen treiben, tüftelt weiter an neuen Klangfiguren. In München präsentiert er „Our Love“: ein überschwängliches Soul-Werk rund um die hehren Gefühle der Liebe. Da wird uns doch gleich warm ums Herz. SEBADOH // ATOMIC CAFÉ 14 Jahre war es ruhig um Sebadoh. Dinosaur-Jr.-Bassist Lou Barlow und seine Band gelten als Pioniere der LoFi-Bewegung. Und verschwanden in der Versenkung. Letzten Herbst meldete sie sich mit dem Paukenschlag „Defend Yourself“ zurück. „Schwindelerregend melodiöser Noise-Rock“, urteilt der Rolling Stone. Dito! KILL IT KID // ATOMIC CAFÉ Die junge UK-Band aus Bath macht amerikanischen Bluesrock – mächtiger Gitarrensound und Stimmgewalt inklusive. Mit ihrem selbstbetitelten Debüt starteten sie voll durch und packen nun mit „You Owe Nothing“ noch eins drauf: ein ganz eigener Mix aus authentischem Blues und einer Extraportion Grunge. DIGITALANALOG 12 // GASTEIG U- & E-Musik, Audio- & Videokunst, Performances und Literatur, Lokales & Internationales, Experimentelles und Innovatives: Beim Digitalanalog 12 gibt’s vieles für viele, nur keinen Mainstream! Das Line-up ist superlang, das Festival superschön. Der Eintritt: 0 Euro! SLOW CLUB // ATOMIC CAFÉ Charles Watson und Rebecca Taylor: Dem entzückenden Pärchen aus Sheffield gelingt es immer wieder auf ein Neues, allen Trübsal dieser Welt – zumindest ein Konzert lang – vergessen zu machen. Das britische Twee/Antifolk-Duo bringt euch auch noch was Feines mit: die neue Scheibe „Complete Surrender“.

04|11

09|11

GREGORY ALAN ISAKOV // AMPERE Höchste Zeit für ein kuscheliges Tête-à-tête mit Gregory Alan Isakov. Sanft, ja melancholisch erzählt der Singer/Songwriter von den kleinen Dingen des Lebens, von seinen Reisen, die ihn letztendlich von Südafrika nach Colorado geführt haben. Viele warme Gefühle – das brauchen wir im Winter allemal. FINK // MUFFATHALLE Wie gut, dass Fin Greenall Plattenteller und Produktionskonsole den Rücken gekehrt und sich für die Welt des Singer-Songwritings entschieden hat. Auch auf dem mittlerweile 9. Album „Hard Believer“ trumpft das UK-Trio mit vertraut wenig auf, das nach wunderbar viel klingt. Jedes Lied eine kleine Sinfonie aus Folk, Rock und Elektronika.

10|11

AUGUSTINES // FREIHEIZ Heftige Shows sind quasi ihr Markenzeichen. Nur zu gerne erinnern wir uns an das restlos ausverkaufte Konzert im Atomic Café, bei dem Leadsänger Billy McCarthy trotz heftigster Heiserkeit sein Ding rockerattitüdig durchzog. Im Freiheiz stürmt das Trio die Münchner Bühne erneut mit Indie-Rock vom Feinsten.

10|11

SBTRKT // THEATERFABRIK Selbst designte afrikanische Masken sind sein Markenzeichen. Sehen muss man SBTRKT (sprich „sub-tract“) auch nicht zwingend. Aber hören! Der ehemalige Resident-DJ des Londoner Clubs „Plastic People“ verschmilzt unterschiedlichste Genres mit nur wenigen Remixen zu futuristischen Dance-Klängen. Top!

15|11

BLAUDZUN // ATOMIC CAFÉ Live ist der Niederländer Johannes Sigmond lange kein Geheimtipp mehr. Auf seiner aktuellen Platte „Promises of No Man’s Land“ – in seiner Heimat übrigens auf Platz 1 der Charts – lässt er es dank zahlreicher Gastmusiker noch vielfältiger tönen. Nach dem Indie-Folk-Spektakel in der Kranhalle, jetzt im Atomic Café am Start.


16|11

18|11

EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN // MUFFAT

Der Erste Weltkrieg als Thema eines Albums? Für die experimentelle Avantgarde-Legende sicherlich kein Problem. Und zeitlich passend zum 100-jährigen Gedenken. „Lament“ heißt das neue Werk, basierend auf Tonaufnahmen von Kriegsgefangenen. Sicherlich eine einzigartige Komposition, die uns da erwartet. GEORGE EZRA // THEATERFABRIK Für solch eine Stimme muss manch anderer Sänger viele Jahre exzessiv rauchen und trinken. Der junge Singer/Songwriter aber klingt schon als Teenager wie Johnny Cash und startet mit seinem Hit „Budapest“ durch. Allerorten dudelt der Song rauf und runter. Pop für junge Mädels? Mitnichten! Ausverkauft!

03|12

04|12

LITTLE DRAGON // TONHALLE Ein weiteres Zuckerl aus Schweden: Der Sound der vierköpfigen Formation Little Dragon aus Göteborg bewegt sich gekonnt zwischen Indie, Soul und Pop. Gesanglich von der schwedisch-japanischen Sängerin Yukimi Nagano schwebend und verträumt zum Ausdruck gebracht – elektronische Untermalung inklusive. THE RURAL ALBERTA ADVANTAGE Ganz schön eigenwillig, dieses Trio, nicht nur was den Bandnamen betrifft. Ihre Musik geht vage Richtung IndieFolkrock – mit verzerrten Akustikgitarren, gerne auch Synthie, Cello oder Glockenspiel. Live sollen sie exzellent sein! Werden wir überprüfen: Die Kanadier kommen nach drei Jahren wieder in deutsche Lande – ins Atomic Café!

19|11

THURSTON MOORE // AMPERE Erinnert sich der Gründer von Sonic Youth und Chelsea Light Moving schon an seine besten Tage? Wohl kaum. Zwar heißt das neue Album „The Best Days“ – die sind aber noch lang nicht vorbei. Im Gegenteil: Er setzt mit teils atmosphärisch-gefühlvollen, teils experimentellen Sounds erneut Akzente als Solokünstler.

05|12

S O H N // STROM Ungewöhnlicher Name, ungewöhnliche Musik: Analoge Drum Machines & Synthies, tiefe Bässe & spacige Loops, eine soulig-warme Stimme – so klingt der 2012 gegründete Electronica- und Post-Dubstep-Act von Christopher Tayler. Auf dem Zündfunk-Festival hat er bereits überzeugt. Jetzt kommt er als Headliner nach München.

25|11

PHOX // ATOMIC CAFÉ Sechs Schulfreunde aus Baraboo/Wisconsin ziehen aus, die Konzertbühnen Deutschlands zu erobern. Mit im Gepäck: ihr brandaktuelles, selbstbetiteltes Debüt-Album. Beschwingter, eingängiger Indie-Pop, getragen von der warmen Charakterstimme Monica Marins. Guter-Laune-Sound mit Geheimtipp-Faktor!

16|12

MIGHTY OAKS // THEATERFABRIK Mighty Oaks machen seit 2010 zusammen Musik. Sehr schöne Folk-Musik. Mit dreistimmigem Satzgesang, Gitarren, Mandolinen, sanften Basslinien, schlichten Drums. Das kommt an: Ihr Debüt „Howl“ wird gefeiert, ihre Single „Brother“ läuft Dauerschleife. Klar: Ihr Konzert im Strom war ausverkauft. Gut: Sie kommen wieder!

30|11

BOY & BEAR // STROM Diese Band macht laut eigener Aussage „getriebenen Indie-Folk mit Choralgesängen“. Das klingt so gut, dass die Deutschland-Tournee im März vollends ausverkauft war. Mit ihrem zweiten Album „Harlequin Dream“ besucht das australische Quintett gerade mal drei deutsche Städte. München ist dabei. Juhu!

22|12

HUNDREDS // AMPERE Ganze vier Jahre haben sich die beiden Hamburger, Eva und ihr älterer Bruder Philipp Milner, Zeit für ihr zweites Album „Aftermath“ gelassen. Gut so, denn Hundreds haben sich weiterentwickelt und wagen auch Neues. Doch keine Angst, ihren wunderbaren Elektropop-Songs mit viel Melancholie bleiben sie treu.


NACHT, FLOHMARKT TonHalle München

am

8.

NOV 2014

11.

MÜNCHEN

25.

OKT 2014

OKT 2014

22.

6.

NOV 2014

im Feierwerk am

DEZ 2014

TonHalle München · Ostbahnhof

Feierwerk: Hansastraße 39-41

Kultfabrikgelände · Grafingerstr. 6 Einlass ab 17 Uhr

Standbuchung nur auf www.NACHTKONSUM.com Infos unter 089 16 52 44

umwerk

kalaydo.de das regionale Findernet


70 curt // SELBSTVERSUCH

MANN TRÄGT LANG

TEXT: MARTIN EMMERLING // FOTOS: JULIA FELL

24 STUNDEN MIT KÜNSTLICHEN FINGERNÄGELN

Früher hatte ich Angst vor langen Damenfingernägeln, den Krallen unberechenbarer Wildkatzen. Vom Kratzen langer Nägel auf Nylon oder auf diesen porigen Kunstofffedermäppchen aus der Schulzeit stellen sich mir nach wie vor die Haare auf. Unangenehm! Und heute tunken Frauen ihre Nägel in Lack, in allen möglichen Farben. Die lang gewachsenen oder künstlich angeklebten, mit Bildergeschichten, Strass und Sternchen verzierten Pornoschippen, die tragen doch nur noch Solariumsrezeptionistinnen. Oder Friseurinnen – da klappert der Kamm immer so schön an den Nägeln. Angenehm. Und wer eigentlich noch? Ich jetzt. curt macht‘s möglich. Außer Friseurinnen und Solarkatzen muss es doch noch mehr Kunden geben, sonst würden nicht so viele Nagelstudios in München aus dem Boden schießen. Im Salon meiner Wahl, dem Lee7 in der Sonnenstraße 7, nehme ich Platz. „Einmal lange, bunte Fingernägel bitte, mit allem Drum und Dran!“ Nach kurzer Diskussion mit der hübschen und freundlichen thailändischen Nail-Art-Designerin Katie, welche Hand es denn nun sein soll, einigen wir und auf die rechte. Wenn schon, denn schon. Very en vogue wird mein Ringfingernagel in einem anderen Pink lackiert als der Rest. „Nein, nicht so lang wie die von Jackie Joyner-Kersee!“ Und klipp und klapp. Das ging fix. Zur Krönung gibt es noch ein paar Ornamente. Katie schwingt den Pinsel galant wie eine Kalligrafin, zaubert im Nu Schriftzüge, Schmetterlinge, Blüten, Anarchie- und Peace-Zeichen. Zum Schluss noch aufgeklebte Sternchen. Wunderbar! Und dennoch, was jetzt? Der Hosenknopf will nicht zugehen, ich muss die andere Hand einsetzen. Zigarette drehen? Grenzt an Harakiri. SMS schreiben? Reden wir nicht darüber. Zwiebeln schneiden? Schlecht. Dosenaufmachen auch. Also Döner mit allem. Mit spitzen Fingern reiche ich die Münzen und treffe auf einen Blick voller Unverständnis. Genauso reagiert die Dame an der Kasse im Drogeriemarkt (obwohl sie auch solche Nägel trägt). Abends in die Kneipe. „Drei Helle fürs Sägewerk!“ Ja, lustig, ein Gag. Glas liegt auch nicht so gut in der Hand. Dafür macht das Komm-wir-kippen-den-Salzstreuer-aus-und-tun-so-als-wärs-Koks sehr viel Spaß. Na klar, alles Gewöhnungssache. Aber ohne mich! Runter damit, her mit dem Nagelentferner! Der Lack geht, die künstlichen Nägel und Sternchen bleiben kleben. Dann eben mehr Entferner. Von dem krieg ich eh nicht genug – der riecht so angenehm. Lecker! Mehr Infos zu Münchens sympathischstem Nagelsalon findet ihr hier >> lee7-nagelstudio.de


Beste Agentur der welt >> bloomproject.de

10 JAHRE

BLOOM CURT GRATULIERT UND BEDANKT SICH FÜR ALLES!


72 curt // IMPRESSUM

SELBSTPORTRAITS DER REDAKTION. WUNDERSCHÖN.

CHRIS G.

SONJA

CHRISTIAN

MEL

JULIA

NURIN

CARINA.

LION

MIRJAM

KATHARINA

ANDY

PETRA

BIRGIT

ADRIAN

CLAUDIA

RONIT

JOHANNES

PATRICIA

LORRAINE

TIM


CURT MEDIA GMBH GESCHÄFTSFÜHRUNG Reinhard Lamprecht. lampe@curt.de GESTALTUNG UND CVD CURT MÜNCHEN Melanie Castillo. mel@curt.de

AN DIESER AUSGABE HABEN MITGEWIRKT: Mirjam Karasek, Melanie Castillo, Christoph Brandt, Sonja Pawlowa, Christian Vogel, Thomas Karpati, Christian Gretz, Patricia Breu, Julia Fell, Carina Neumann, Claudia Pichler, Margarita Sereda-Wildenauer, Nurin Khalil, Julia Fromm, Nadine Deckensattl, Johannes Mairhofer, Andy Weixler, Birgit Andorf, Judith Schrenk, Josef Hirte, Martin Emmerling, Pablo Schikane, Lion Fleischmann, Katharina Winter, Annika Liebeknecht und Ronit Wolf.

SCHLUSSREDAKTION UND LEKTORAT Mirjam Karasek. mirjam@curt.de LITHO & FINAL COUNTDOWN Petra Kirzenberger. petra@curt.de DRUCK Kastner & Callwey Medien GmbH

DIE CURT-DEALER DER STADT Feierwerk // Südstadt // City Kino // Café Kosmos // Café am Hochhaus // Bergwolf // Trachtenvogl // Substanz // Backstage // Valentin Stüberl // Münchner Volkstheater // Muffatwerk // Deutsche POP Akademie // Glockenbachwerkstatt // Corleone // Zentraler Hochschulsport (ZHS) // Hugendubel ...

CURT MAGAZIN MÜNCHEN curt Media GmbH // Geschäftsführer: Reinhard Lamprecht (ViSdP), Gerald Gömmel Widenmayerstr. 38, 80538 München Tel.: 089 520 306 81 // Fax: 089 520 306 15 E-Mail: muenchen@curt.de

curt München erscheint 4 x im Jahr in einer Auflage von 10.000 Stück und liegt kostenlos aus. Das idealistische Projekt ist der Zusammenarbeit kreativer Köpfe zu verdanken – Journalisten, Grafiker, Illustratoren, Künstler und Fotografen, die mit Herzblut ein Stadtmagazin von München für München gestalten. Danke an alle Beteiligten! DU WILLST AUCH MITMACHEN? Dann meld dich bei uns! muenchen@curt.de

DIE NÄCHSTE AUSGABE # 80 ERSCHEINT IM FRÜHJAHR 2015. Bis dahin sind wir online auf curt.de/muenchen für euch da und lassen nichts anbrennen: Termine, Konzertreviews, Theater, Filme, Rezensionen, massenhaft Verlosungen und Pipapo.

FACEBOOK.COM/CURT.MUENCHEN

CURT MAGAZIN NÜRNBERG Chefredaktion: Reinhard Lamprecht Bogenstr. 43, 90441 Nürnberg Tel.: 0911 940 58 33 Fax: 0911 80 15 317 E-Mail: info@curt.de

Ein Nachdruck der Texte oder Fotos in curt – auch im Internet – ist nur mit schriftlicher Genehmigung gestattet. Für unverlangt eingesandtes Text- und Bildmaterial wird keine Haftung übernommen.


74 curt // HINTEN RAUS (ODER IN DEM FALL: MITTENDRIN)

DIE KUNSTVOLLE ZWEIFALTIGKEIT ILLU: ANDY WEIXLER // TEXT: BIRGIT ANDORF

Alter Meister wird von schöner Muse geküsst, ejakuliert sein farbenfrohes Begehren auf die Leinwand – und heraus kommt große Kunst! Ja, so war das früher, als Künstler noch Genies waren und man seinen van Gogh noch nicht bei IKEA kaufte. Heute hingegen hat sich die Muse längst aus dem Staub gemacht. Und der alte Meister rätselt: Was soll beim ungeküssten Möchtegernkünstler schon aus dem Pinsel fließen? Wahrlich nicht nur Gutes ...

ZEIGE FALT-BEREITSCHAFT! FALTE DIESE SEITE SO, DASS SICH DIE PFEILSPITZEN BERÜHREN, UND DU ERFÄHRST, WAS DIE ALTEN MEISTER ÜBER MODERNE KUNST DENKEN.

}


So einfach war das damals: Rubens, Rembrandt, Picasso – wo ein Künstler war, da war die Muse nicht fern. Doch woher manch selbsternannter Künstler von heute seine Inspiration holt, das ist etwas, was der virtuos den Pinsel schwingende Sch önfärber vergangener Jahrhunderte auch nicht so recht w eiß.


Premium-Druckdienstleister mit hÜchstem Qualitätsanspruch! Alles in einem Haus und aus einer Hand Fachberatung -> Vorstufe -> Druck -> Weiterverarbeitung -> Logistik Aus Verantwortung zur Umwelt - 100 % klimaneutral und frei von CO2!

www.kastner-callwey.de


20 curt // UAMO-FESTIVAL 2014

Hubert v. Hayek

Lisa Graf

Henrike Hegner

Ronit Wolf

A HOT! PRETTY! Warum hast du den Test eigentlich gemacht? Du wolltest es nur noch einmal von uns hören, oder? Okay: Ja, du bist hot! Pretty durch und durch! Dein Platz ist vorne oben. Schwabing! CSU! Shotgun! Tipp: Geh zum UAMO – und da auf die Toiletten. Direkt über den Waschbecken haben wir sie angebracht – die mit Abstand schönsten Bilder, die du dir nur vorstellen kannst. Bitte, Schönste(r) im ganzen Land. Gern geschehen!

AM INHALT DES CURT-UAMO-SPECIALS WAREN BETEILIGT:

DES SCHÖNHEITSTESTS VON SEITE 7

IMPRESSUM

AUSWERTUNG

B LAUWARM! PRETTY UGLY! Warum hast du den Test eigentlich gemacht? Mensch, wir sagen dir doch auch nur das, was du schon dein ganzes Leben lang hörst: nicht schlecht, aber auch nicht richtig gut! Durchschnitt eben. Dein Platz ist die Mitte – Sendlinger Tor! Rot-Grün! Bitch Seat! Du hast nie die hässlichsten Sexualpartner, aber auch nie die richtig hübschen. Tipp: Auf dem UAMO gibt es geile Bräute und Bräutigame, die wissen, dass es selbst irgendwo am Sendlinger Tor guten Kaffee gibt und man den Durchschnitt eben auch mal mit bestem Gewissen ficken soll. C: COLD! UGLY! Warum hast du den Test eigentlich gemacht? Mensch, du weißt doch ganz genau, was wir dir jetzt sagen müssen, oder? Tut uns leid. Aber der Test war nichts. Team: ugly. Dein Platz ist unten: München Grünwald! Fahrersitz nach der Disko! Du bist ein bisschen schlau? Dann komm zur UAMO-Nerd-Nite und schau, was für spannende Sachen sich deine Kumpels zum Thema prettyugly ausgedacht haben. Oder bist du jetzt nicht die ganz große Blitzbirne? Cool! Dann komm zum UAMO und betrink dich mit deinen Seelenverwandten. Erkennungszeichen: T-Shirt „Staff UAMO“.

Gregor Micheler

Johannes Blank

Johanna Eder

Julia Fromm (Teamfotos) >> julifro.net

WER BEI UAMO MITMACHEN WILL, IDEEN UND FREUDE AN DEREN REALISIERUNG HAT ODER ALLES SCHEISSE FINDET, SOLL EINFACH EINE E-MAIL AN INFO@UAMO.INFO SENDEN.


UAMO CITY TOUR 2014

UAMO-FESTIVAL 2014 // curt 19

SAN FRANCISCO // FLORENZ // LINZ // ZÜRICH // ACCRA // BERLIN // LEUVEN

SEIT 2011 GIBT ES ZU DEM JÄHRLICHEN KUNSTFESTIVAL IN MÜNCHEN AUCH DIE UAMO CITY TOUR, DIE SICH AUF LOKALE KÜNSTLER DER JEWEILIGEN STÄDTE KONZENTRIERT. ALLE VOR ORT GEZEIGTEN ARBEITEN ZUM THEMA PRETTY UGLY WERDEN AUCH BEIM FESTIVAL ZU SEHEN SEIN.

LEUVEN

SAN FRANCISCO

ACCRA

LINZ

FLORENZ

BERLIN

ZÜRICH


18 curt // UAMO-FESTIVAL 2014

OSCAR SALAMCA (PEREIRA) „BOCA/MOUTH“

KAYLEIGH O’KEEFE (LONDON) „FLABZILLA“

HUBERT VON HAYEK (MÜNCHEN) „THE PRETTY UGLY WORLD ATLAS“

GRACE EAKINS (CALGARY) „ANITA“

HEIKE SIEGERT (MÜNCHEN) „MISLEADING ADVERTISING“

ULF KRISTIANSEN (NESODDTANGEN) „JEALOUS GUY“


BARBARA HEROLD UND FLORIAN HUTH (MÜNCHEN) „PP SN 70-40“

MEHRDAD KHATAEI (TEHERAN) „FAITH DIVIDES US – DEATH UNITES US“

UAMO-FESTIVAL 2014 // curt 17

SOPHIA LUBE (VALLEY) „VERMINDERTE GEWINNERZIELUNGSABSICHT“

KARL HEINZ JERON (BERLIN) „SOMEBODY DID SOMETHING THEN THE PEOPLE CAME“


16 curt // UAMO-FESTIVAL 2014

SANDRA ARAÙJO (PORTO) „RIO – ME PORQUE ÉS DA ALDEIA E VIESTE DE BURRO E BAILE“

RENE BEHRENDT (AUGSBURG) „NOTHING IS FOREVER“

SHELLY BRANDON (ORLANDO) „ALTERED PEOPLE“

MARTIN GECK (MÜNCHEN) „MAKEBOX“

ANNA BLUMENKRANZ (MÜNCHEN) „ZWANGSTISCHDECKE/STRAIT“


EVALIE WAGNER (PRAMBACHKIRCHEN) „ARTIFICIAL LIMB“

FALK VON SCHÖNFELS (MÜNCHEN) „MEIN LEBEN IN QUITTUNGEN“

UAMO-FESTIVAL 2014 // curt 15

RONIT VAN SENDLING (SENDLING) „3 OF THEM“


14 curt // UAMO-FESTIVAL 2014

ANGELA PROYER (WIEN) „MONOBRAUENSERVICE“

LINUS RIEPLER (WIEN) „RENDEZVOUS“

GIUDITTA RUSTICA (BERLIN) „THE BLIND ANGER III“


JON PURNELL (LONDON) „HÄSSLICH“

JOSH BRICKER (LOS ANGELES) „TOWER“

AGNES LISON (MÜNCHEN) „VERSTRICKTE WELT“

ANDREAS KOPP (MÜNCHEN) „UGLY SELFIES“

UAMO-FESTIVAL 2014 // curt 13

TATIANA PANCEWICZ (STETTIN) „ROLE MODELS“


12 curt // UAMO-FESTIVAL 2014

CHRISTIANE HAAG (LONDON) „THE PERFECT BODY SHOP“

WERNER HÄRTL (OTTERFING) „YOLO OUTDOORS“

MARCO HÜHN (AUGSBURG) „CATWOMAN“

DAVID THEOBALO (LONDON) „DOMINION“


Žarko aleksiĆ (WIEN) „SELFPORTRAIT WITH DEATH“

FAKHRIYA AL-YAHYAI (MUSCAT, OMAN) „EL-AID AL KABEER“

UAMO-FESTIVAL 2014 // curt 11

FAKHRI DIMITRI DIMOV AND LORA AZZA (STRASBURG) „PINCHED“


10 curt // UAMO-FESTIVAL 2014

AUSSTELLER

FOTO, INSTALLATION, MALEREI, ILLUSTRATION, OBJEKT, VIDEO, PERFORMANCE & INTERACTIVE

Žarko aleksiĆ

Es war Liebe auf den ersten Blick! Auf Žarkos Exponate freut sich die curt-Redaktion auf dem UAMO-Festival ganz besonders. Der gebürtige Serbe studiert an der Akademie der bildenden Künste in Wien.


UAMO-FESTIVAL 2014 // curt 9

PRETTY UGLY HOROSKOP ZUM UAMO-FESTIVAL STEHEN EURE STERNE SO: BOMBE! FÜR ALLE! STEINBOCK Du wärst lieber ein einzigartiges Einhorn? Dann stoß dir die Hörner beim ROCK’N’READ! ab – Musiker und junge Literaten machen eine Lesung zusammen: Schnell, hart und rotzig. Und pass auf: Ein Horn brauchst du noch. Sonst bist du halt ein Anarcho-Einhorn. Let there be Bock! SCHÜTZE Schmeiß mal dein Schutzschild weg und schau zu bei den LIVE PAINTED STORIES: Die großartige Erzählerin Ines Honsel trägt uns da schöne Geschichten vor und Künstler illustrieren live dazu. Schabernack, Schwachsinn, Schindluder – lass es an dich ran! LÖWE Roaarr! Ihr Löwen liebt doch den Status-Kampf. Schaut beim UAMO ART BATTLE zu, wie Künstler bis aufs Blut gegeneinander zeichnen. Oder zeichnet gleich mit. Könnt ihr nicht? Egal, dann seid ihr eben Kanonenfutter. JUNGFRAU Okay, okay, du bist Jungfrau! Deine ganze Jugend wurdest du deswegen gehänselt. Höchste Zeit, sich zu rächen. Lass dich im THE-PERFECT-BODY-SHOP und beim MONO-BRAUENSERVICE verschönern. Dann baggerst du die gemeine Saskia aus Klasse 9a an und lässt sie so heiß gemacht einfach stehen. Ha! WASSERMANN So ein Wassermann steht den ganzen Tag mit der breiten Flosse in der Gegend rum und macht nix? Tanz dir die Plattsohle wund zu feinstem Electro-Indie-Rock von FELIDAE TRICK. Nur doof rumstehen ist die reinste Vergeudung deines schönen Potenzials.

STIER Seit dem Stierkampf-Verbot ist das Leben öde, oder? Du scharrst ja schon mit den Hufen. Also: Tob dich aus beim MAKEBOXWORKSHOP. Bring hässlichen Schrott mit, mach etwas Schönes draus und druck es in 3-D aus. Frau, Mann, Kind: kannst du alle mitbringen. Allez! Stiere! Allez! ZWILLINGE Hanni und Nanni – mit der Alten im Schlepptau ist es immer harmonisch? Schaut doch mal an unserer ZWANGSTISCHDECKE, wie gut ihr damit von einem Teller essen könnt. Und macht danach UGLY SELFIES in unserer Fotokabine. Die löst nur aus, wenn man irgendwie doof in die Kamera schaut. Wird ja kein Problem für euch sein. KREBS Schön bist du nicht unbedingt – aber lecker. Komm zur NERD NITE: In einem von drei spannenden wissenschaftlichen Vorträgen geht’s um Lebensstile und Kochen. Und dort hörst du auch, warum dein Fleisch dem Manager so fürchterlich gut und Schlossern so schlecht schmeckt. Kenne deinen Feind – und deinen Freund. Bei uns kommst du auch wieder heil raus. FISCHE Zwei Beine sind für so einen Fisch im Wasser ja schon ein Albtraum. Mal sie auf und geh damit zu unseren BRINGYO U R - O W N - B E D M O N S T E R WORKSHOP und unsere Textil-Designer schneidern sie dir dort an Ort und Stelle nach. Dann kannst du deinem Albtraum nicht nur in die Augen schauen, sondern ihn auch unter die Flossen schnallen und damit über die Ausstellung flanieren.

WAAGE Zu viel Pop, zu wenig Politik? Du glaubst, das UAMO-Festival sei unausgeglichen? Nimm das: unsere VIDEOSCREENINGS. Ein reumütiger Putin, die Rolle der zeitgenössischen Kunst, Plastikmüll hochästhetisch inszeniert und lustiger Quatsch. Intelligent und witzig. Don’t mess with us, biatch! So! Alles wieder im Lot und wir ham uns wieder lieb, ok? SKORPION Du versprühst Gift gegen jeden, der dich böse anschaut? Da gibt es bessere Alternativen. Geh zur PRETTY TRASH KREATIVSTATION, denn dort kannst du aus alten Verpackungen tolle Kunstwerke machen. Überhaupt gibt es beim UAMOFestival noch viel, viel mehr, was du so noch nie gesehen hast. Da kannst du jetzt aber mal dein Gift drauf nehmen! WIDDER Du bist ein typisches Schaf? Lammfromm, dumm und feige? Du wärst gern anders? Verständlich! Zeit für eine Typveränderung: Geh zum Rendezvous mit dem Wiener Künstler LINUS RIEPLER. Wir wetten, in dir steckt noch mehr. Das schwarze Schaf oder der Wolf im Schafspelz. Nun schau nicht so belämmert – das zeigen wir dir schon!

MEHR INFOS ZU DEN UAMO-FESTIVALPROGRAMMPUNKTEN ERFAHRT IHR AUF UAMO.INFO TEXT: HENRIKE HEGNER // ILLUS: GREGOR MICHELER


8 curt // UAMO-FESTIVAL 2014

UAMO-FESTIVAL 2014 „PRETTY UGLY“ 16.–19.10. IM EINSTEIN KULTUR (U4/U5 MAX-WEBER-PLATZ)

PROGRAMM

UAMO.INFO

15.00 PREISVERLEIHUNG // WORKSHOPS // 16.00 ART-BATTLE

SO, 19.10.

20.00 NERD NITE (UAMO-SPECIAL) // 21.00 BAND: 9 VOLT

SA, 18.10.

20.00 ROCK‘N‘READ // 21.00 LIVESTREAM THEATER ISTANBUL-RIO-MÜNCHEN* // 21.45 BAND: FELIDAE TRICK

FR, 17.10.

20.00 ERÖFFNUNG // 21.00 LIVE PAINTED STORIES // 21.30 BAND: TWIN TONE TRIGGER

DO, 16.10.

MUC: Wolfram Kunkel (als Bandmitglied war er Mitauslöser für die Schwabinger Krawalle.) Konzept & Idee: Johannes Blank , Karnik Gregorian, Bülent Kullukcu RIO: Lucas Zappa/El tocayo crew, Rua maria angelica ISTANBUL: Caglar Yigitogullari

ÖFFNUNGSZEITEN 16.10. 20–00.00 // 17.10. 14–00.00 // 18.10. 12–00.00 // 19.10. 12–18.00

Eine fette Skype-Leitung und Künstler verstreut auf brisanten Kontinenten. Texte, Bilder, Musik – für einen Abend synchronisiert sich MUC-RIO-IST zu einer explosiven Sinfonie. Live, smart, aktuell. We are all pretty ugly.

MALEN MIT MILLA UND NÄHEN MIT NEO // PRETTY TRASH KREATIVSTATION

WORKSHOPS MAKEBOX 3-D-DRUCKSTATION // BRING YOUR OWN BEDMONSTER –

ISTANBUL–RIO DE JANEIRO–MÜNCHEN

ZÜRICH, OMAN, LEUVEN, LINZ, ISTANBUL, WIEN, RIO DE JANEIRO, MÜNCHEN, STETTIN,

*A PRETTY UGLY STREAMING EXPLOSION //

AUSSTELLUNG MIT KUNST AUS SAN FRANCISCO, TEHERAN, BERLIN, FLORENZ, ACCRA, CALGARY, ORLANDO, STRASBURG, PORTO, TEL AVIV, LOS ANGELES, LONDON

WÄHREND DES GANZEN FESTIVALS GIBT‘S THE PERFECT BODYSHOP // MONOBRAUEN-SERVICE // VIDEOSCREENING // LIVE PERFOMANCES // LIVE VJ’S


UAMO-FESTIVAL 2014 // curt 7

BIST DU PRETTY ODER UGLY? DER SCHÖNHEITSTEST Du gehst an einer Gruppe Bauarbeiter vorbei. Was hörst du? A Pfeifkonzert! Was sonst? B Stille. Betretende Stille. C Pfeifen. Dein eigenes. Und: „Ey, Günther, hast’ beim Penny jetzt noch Bier bekommen?“ Du stehst mal wieder Schlange vor: A dem P1 B der Würschtelbude C dem P1 mit der Würschtelbude Wenn man mit dir schlafen will, muss man ... A Michael Fassbender/Scarlett Johansson heißen. B mich nett fragen. Oder: Ach, einfach fragen. C vier Helle trinken – und zweieinhalb Wurzelsepp. Knutschen? A Immer und überall – mit Michael/Scarlett. B Ist mit einem Kissen tatsächlich besser, als man so meint. C Stell ich mir voll aufregend vor.

Dein Outfit für ein Date? A Stimme ich mit meiner Stylistin ab. B Das volle Programm: anprobieren, scheiße finden, ausziehen, alte Lieblingsjeans an. C Ich greife mein T-Shirt „Abi bitte mit Sahne – Kaufbeuren 2003“, Textil-Erfrischer drüber, glattstreichen. Fertig!

Sei ehrlich – heute ist nicht dein Tag! Oder warum ... A tunkst du gerade Marshmallows in Senf? B stopfst du dich mit Palcohol – pulverisiertem Alk – voll? C ferkelst du gerade mit kleinen fraktalen Wesen in deinen Hänge-Geranien?

Wie stehst du zu „Bauer sucht Frau“? A Ich schau nie Fernsehen und wenn, dann nur Arte, Bayern3 und Sexy Clips. B Scheiß Trash-TV! Peinlich! Dumm! Billig! Schau ich natürlich – nur heimlich. Ehrensache. C Also, das Catering für die Kandidaten ist jetzt gar nicht mal so übel. Du hast dreckige Fingernägel. Was machst du? A Ich gehe ins Nagelstudio. B Ich lackiere sie über. C Ich beiße sie ab. Wie sieht deine Bartpflege aus? A Jogis Trainingsprogramm: Feuchtigkeitscreme, Pinzette für Feinkorrekturen und Gurken. B Die macht Muddi. C Ich entferne eingetrocknetes Essen aus dem Bart.

AUSWERTUNG: Zähl bitte, welche Antwortmöglichkeit du am häufigsten angekreuzt hast: also, entweder A, B oder C. Die Auswertung findest du auf Seite 20.


6 curt // UAMO-FESTIVAL 2014

FAQ

VON RONIT WOLF UND HENRIKE HEGNER

WAS HEISST ‘N EIGENTLICH ÖAMUUHH ÄHH … SORRY, UAMO? Nein, das ist kein afrikanischer Stamm und auch kein light-weight Cocktail für Mitternachtsstunden, sondern die Kurzform von: Urban Art and Media Organisation. Eigentlich ganz einfach, oder? WELCHE KUNST WIRD GEZEIGT? Alles was zum aktuellen Thema passt, sich nicht zu lange erklären muss oder vorneweg keine Erklärungshoheit verlangt. Nächstes Jahr bitten wir um Einsendungen ohne Text. WIE? FESTIVAL? IST DAS NICHT EIGENTLICH NUR EINE URBAN-ARTAUSSTELLUNG? Ne. Wir haben vier Tage Zeit – und nur Bilder gucken ist auch nicht jedermanns Sache. Es gibt: Konzerte, Workshops für Kinder und Erwachsene (Bring your own Bedmonster & Pretty Trash), Lesungen mit Begleit-Musik/Zeichnungen (Painted Stories, Rock‘N‘Read), unterhaltsame wissenschaftliche Vorträge (Nerd-Nite), Live Streaming Theater nach Rio de Janeiro und Istanbul sowie der Zuschauerliebling: die Art Battle – da zeichnen Künstler gegeneinander, wobei das Publikum Themen und Tempo vorgibt. Mitmachen und anfassen: Bei uns immer!

WAS IST DIE UAMO-CITY-TOUR? Jedes Jahr können sich Galerien oder Orte, die sich „Galerie“ aufs Wammerl schreiben, aus aller Welt zu unserem Festival-Thema bewerben. Wir machen das seit 2011 und bisher waren 15 Städte aus 14 Ländern dabei! Die zaubern dann in ihrer jeweiligen City ’ne fette Ausstellung und bringen die zur Festival-Zeit dann nach Muc. WIE FINANZIERT IHR EUCH? Eintritt, Kulturförderung und bisschen Sponsoren und Werbung. Letzteres mehr, wenn wir denn mal nicht so miese Außenhandelsvertreter wären. MACHT EUCH DAS FESTIVAL REICH? Mit Geld? Nö. Es ist alles viel teurer, als ihr denkt. Leider. Glaubt uns. WARUM MACHT IHR DAS DENN? Weil wir alle Kunst lieben – und weil wir nichts Besseres zu tun haben bzw. weil wir das Experiment mögen. KOSTENPUNKT? 8 Euro. Oder beim Gewinnspiel auf curt.de/muenchen mitmachen und Festivaltickets gewinnen. ICH HABE EIGENTLICH GAR KEINE AHNUNG VON KUNST. SOLL ICH TROTZDEM KOMMEN? Auf jeden Fall! Dennoch solltest du davor mal den Schönheitstest machen, um zu sehen, welcher UAMOFestivaltyp du bist. Bist du pretty oder ugly?


JOHANNES: Nach zehn Jahren war ich wieder in München und hatte aus den verschiedenen Städten Berlin, Leipzig, Amsterdam, Hamburg usw. diesen Schwung mitgenommen. Den wollte ich nicht abbremsen. Ich hab ein paar Leute getroffen, die sofort Bock darauf hatten. Die Konstellation hat sich im Laufe der Jahre geändert. Unsere Türen sind immer offen für engagierte Mitmacher. Jetzt sind wir gerade im Einstein und sehen, was die nächsten Jahre so für Räume bringen. Es müsste halt noch 20 von den Räumen geben. Ein Appell an die Stadt München. An den neuen Bürgermeister … (lacht) Wie ist euer Konzept? RONIT: Das Wichtigste ist Vernetzung. Ich glaube nicht, dass UAMO existieren könnte ohne Vernetzung. JOHANNES: Die internationale Städte-Tour war am Anfang nicht da. Unser Netzwerk wächst jedes Jahr. Der Austausch ist wichtig. Ich lasse mich davon real inspirieren. Eigentlich machen wir uns das total einfach: Wir lassen uns die Kunst kommen, die wir sehen wollen. RONIT: Wir brauchen nicht mal zu reisen. Die reisen alle zu uns. I love it totally. Bisher waren die Themen völlig unabhängig von evtl. Sponsoringgedanken. So haben wir keine Restriktion, was das Thema angeht. Und lassen uns überraschen, was die Leute einsenden. JOHANNES: Das Konzept legen wir so aus, wie wir Bock haben. Vielleicht könnten wir anders sogar davon leben und viel Geld durch hippes Sponsoring verdienen. Das wäre dann aber eine komplett andere Herangehensweise. Wir wollen UAMO bleiben.

JOHANNES: Ich würde mir auch mal ’nen Metzger wünschen, weil ich so gerne Fleisch esse … RONIT: Wenn jemand geile Ideen hat, dann ist der viel mehr wert als jemand, der nur rumhockt und labert und nichts macht. Wie ist der Arbeitsprozess? Woher kommen die Ideen? JOHANNES: Der Ablauf ist eigentlich immer der gleiche. Wir überlegen uns ein Thema. Das wird demokratisch abgestimmt, soweit ich das in Erinnerung hab. Dann wird ein kurzer Text dazu verfasst – kein theoretisches Gefasel. Anschließend folgt die Ausschreibung für die Städte-Tour und die normale Ausstellung. Bei der Programmplanung probieren wir immer wieder neue Formate aus: Wenn was schiefgeht, dann geht’s halt schief. Was mich außerdem persönlich sehr interessiert, ist die Connection zwischen Off- und Online. Der Moment, wo sich die Leute sehen. Wollt ihr noch ein Schlusswort sprechen? RONIT: Wir sollten weiterhin Sachen ausprobieren. Das ist das Allerwichtigste, was für uns UAMO ausmacht. JOHANNES: Das macht auch uns und den Besuchern am meisten Spaß.

Wie ist eure Gruppe zusammengesetzt? Welche Einflüsse kommen zusammen? RONIT: Alles Mögliche: Grafik-Design, Illustration, Bildende Kunst, SchreibKunst, Soziologen. Ich bin eigentlich ganz froh darüber, dass auch mal ein Kein-Künstler dabei ist. Musik haben wir auch. Das ist das Tolle! Wir sind interdisziplinär. Interdiszipliniert?


4 curt // UAMO-FESTIVAL 2014

WIR MACHEN UAMO – UND WAS MACHST DU SO? TEXT: JOHANNA EDER // FOTOS: JULIA FROMM (JULIFRO.NET)

IM GESPRÄCH MIT UAMO-FESTIVALLEITER JOHANNES BLANK UND DEM MÄDCHEN FÜR ALLES UND TAUSENDSASSA RONIT WOLF

Was ist das Kunstverständnis von UAMO? JOHANNES: Jeder, der sich Kunst anschaut, schaut sich ja auch andere Sachen an. Zum Beispiel siehst du fern oder auf der Straße ein Stück Dreck liegen oder die Frisuren deiner Frau oder sonst was. Wir versuchen bei UAMO, dazu keine große Trennung zu machen. RONIT: Ein weiterer Aspekt ist die Spontaneität, die man durch die Events hat. Das ist für mich genauso Kunst. Neue Programmformate wie spezielle Workshops, Art Battle, Live Streaming Theater oder Musik. Das ist auch eine der Stärken von UAMO: dass wir nicht nur Bilder, Installationen und Skulpturen ausstellen, sondern in neuen Arten von Events spontane Stimmungen aufnehmen. Das finde ich stark. JOHANNES: Wir haben immer ein Thema. Das Interessante ist, dass die Leute aus den unterschiedlichsten Bereichen und Städten etwas herstellen, was man sich ansehen, hören und fühlen kann. Uns ist es egal, ob dieser Mensch jetzt ausgebildeter Künstler ist, Gärtner oder Metzger. Hauptsache, die eingereichte Arbeit passt zum Thema. Wir versuchen so, auch wegzukommen von klassischen Kunstverständnissen. Sonst besteht die Gefahr, dass der Betrachter meint: „Oh ich muss mir jetzt ganz viel dazu denken, um es zu verstehen.“ Aber viel-

leicht müssen sie sich gar nichts dazu denken. Oder vielleicht können sie sich einfach auch das dazu denken, was sie sich in dem Moment persönlich dazu denken wollen. RONIT: Genau. Ich finde es sehr viel verspielter. Das fängt ja schon damit an, dass man mit seinem Bier da rumlaufen kann. Es ist nicht so: „Hier ist die Kunst und hier ist der Mensch.“ Das verschwimmt. Das ganze UAMO ist eigentlich wie eine Spielwiese. Es ist frei und nicht kategorisiert. Wer weiß, vielleicht wird es mal eine neue Kunstkategorie. (lacht) Für was steht „UAMO“ eigentlich und wie kam es zum UAMO? JOHANNES: Es heißt „Urban Art and Media Organisation“. Wir wollten ein Festival mit Leuten, die in einem urbanen Raum leben und Kunst machen. Das ist die „Urban Art“ bei UAMO. Media deswegen, weil ich einen Medienkunst-Background habe. Und „Organisation“, weil wir das auch organisieren müssen. RONIT: Es war damals das erste Festival, das es hier in Bayern gab. Wir sind der Opi unter den Urban Art Festivals.


von links nach rechts: Johannes Blank (Festivalleitung), Ronit Wolf, Henrike Hegner, Johanna Eder, Mr. Pretty-Ugly, Hubert v. Hayek, Lisa Graf, Gregor Micheler

gly

FOTOS: Julia Fromm


Die UAMO-Bagage

retty


UAMO-FESTIVAL 2014 // curt 1

JE SCHÖNER DESTO HÄSSLICHER? ODER JE HÄSSLICHER DESTO SCHÖNER? WOHER ALL DIE KATEGORIEN? HÄSSLICHKEIT IST DEFINITIONSSACHE – SCHÖNHEIT AUCH! WAS DEM EINEN EIN GRAUEN, IST DEM ANDEREN HEILIG UND ES IST NUR EIN KLEINER SCHRITT – MITTEN IN DIE SCHEISSE. SCHÖNHEIT LIEGT IM AUGE DES BETRACHTERS. DAS WEISS SOGAR DER DRECK.

UAMO – Urban Art and Media Organisation Hintergrund der Organisation ist die Förderung von nationalen und internationalen Künstlern auf interdisziplinärer Ebene. Seit dem Gründungsjahr 2003 veranstaltet der gemeinnützige Verein jährlich ein 4-tägiges Kunstfestival in der Stadt München. Dabei steht das Festival jedes Jahr unter einem anderen Motto, zu welchem die Künstler ihre Arbeiten einreichen können. UAMO versteht sich als Plattform für Künstler aller Art und so zeigten seit dem ersten Festival 2004 bis heute mehr als 300 Künstler aus über 20 Ländern ihre Arbeiten. Das Festival bringt Kunst- und Kulturinteressierte mit Künstlern zusammen. Teil des umfassenden Rahmenprogramms sind heute neben Lesungen und Abendveranstaltungen unter anderem auch Workshops, an denen die Besucher aktiv kreativ werden können. Seit 2011 gibt es zu dem jährlichen Kunstfestival in München auch die UAMO City Tour, die sich auf lokale Künstler der jeweiligen Städte konzentriert. Alle vor Ort gezeigten Arbeiten werden beim jährlichen UAMO Kunstfestival zu sehen sein.


the mini story.

27.11.2014 – 31.01.2016 @ bmw museum. Legendär bis zukunftsweisend. Die neue Ausstellung im BMW Museum zeigt, wie aus einem MINI ein Big Player wurde. BMW Museum, München. Di – So, 10.00 – 18.00 Uhr. Mehr unter bmw-museum.com


CURT STADTMAGAZIN MÜNCHEN # 79 // KÄLTEZEIT 2014

E DAS GROSS AL ZUM CURT-SPECI UND SCHÖNSTEN EN HÄSSLICHST FESTIVAL URBAN ART S. MÜNCHEN ELT. UND DER W

UAMO-FESTIVAL // 16.–19. OKTOBER 2014 // EINSTEIN KULTUR


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.