HANDWERTE

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DIPLOMARBEIT von Anna-Lena Thamm Fakult채t Gestaltung, Visuelle Kommunikation Bauhaus-Universit채t Weimar, 2011

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IMPRESSUM

Diplomarbeit von Anna-Lena Thamm ‚HANDWERTE‘ Fakultät Gestaltung, Visuelle Kommunikation Bauhaus-Universität Weimar, 2011 Betreut durch: Professor Hermann Stamm, Diplom-Designer Steffen Groß

Fotos und Texte Anna-Lena Thamm Satz & Layout Anna-Lena Thamm

Dank an alle Handwerker, Professor Hermann Stamm, Diplom-Designer Steffen Groß und Familie Wutzmer.

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INHALTSVERZEICHNIS 5. Fotos und Interviews

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1. Vorwort

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Glasschleifer Karl Kutzer .................................................. 30

2. Die Bedeutung des Handwerks

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Kürschner Hansjürgen Grebenstein ............................... 34

2.1. Der Handwerker .............................................

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Holzblasinstrumentenbauer Gunter Frommann ........ 38

2.2. Die Werkstatt ................................................. 12

Büchsenmacher Helmut Adamy ...................................... 42

2.3. Handwerk und Geschichte ......................... 13

Zangenschlosser Wolfgang Nothnagel ......................... 46

2.4. Implizites und Explizites Wissen .............. 14

Gerber Jürgen Stölcker ....................................................... 50

2.5. Grenzen der Sprache ................................... 16

Blaudruckerin Sigritt Weiß ............................................... 54

2.6. Kopf und Hand heute ................................... 17

Formstecher Hans-Joachim Frindte ................................ 58

2.7. Qualität und Kennerschaft ........................ 20

Stockmacher Michael Geyer ............................................ 62

2.8. Aussterbende Berufe ................................... 21

Leitermacher Bernd Schulz .............................................. 66

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Messerschmied Ernst Sommer ........................................ 70

3.1. Ideenfindung ................................................... 23

Glasbläser Manfred Bimbös ............................................. 74

3.2. Konzept ............................................................ 24

Kamera-Reparateur Manfred Merten ........................... 78

3.3. Umsetzung ...................................................... 25

Graveur und Medailleur Helmut König ........................ 82

3.4. Ausstellung ..................................................... 26

Senfmüller Ulf Morgenroth .............................................. 86

3. Gestalterisches Konzept und Umsetzung

4. Schlussbemerkungen

6. Quellenverzeichnis

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1. VORWORT

Den Handwerkern in meiner Familie verdanke ich, dass ich in Thüringen geboren und aufgewachsen bin, denn eigentlich stammen meine Vorfahren mütterlicherseits aus dem heutigen Tschechien. Damals war ein Teil dieses Landes, das Sudetenland, von Deutschen besiedelt. Aber gegen Kriegsende mussten hunderttausende Familien Haus und Hof verlassen, weil per ‚Beneš-Dekret‘ die Deutschen ausgebürgert wurden. So kamen auch meine Großeltern im Güterwaggon nach Deutschland, in die Nähe von Berlin, wo sich ein Auffanglager für Vertriebene befand. Nur eine alte Holztruhe mit Erinnerungsstücken und den nötigsten Dingen hatten sie dabei. Mein Onkel war zu diesem Zeitpunkt gerade einmal ein paar Jahre alt. In Tschechien war mein Opa bereits in der Glasindustrie als Glasbläser tätig und suchte nun nach einer Region in Deutschland, die ebenfalls Glas herstellte. Die Wahl fiel auf Thüringen und so kamen meine Großeltern nach Stützerbach, wo sie von einer ortansässigen Familie aufgenommen werden mussten, da die Regierung die Unterbringung der vertriebenen Sudentendeutschen beschlossen hatte. In den umliegenden Glashütten kam er als gelernter Facharbeiter relativ gut unter. Es gab genügend Arbeit nach dem Krieg, weil viele Wirtschaftszweige am Boden waren oder im Krieg zerstört worden. Nach den Glasbläsern kamen auch die Glasschleifer mit ihren Familien in den Thüringer Wald, mit Hoffnung auf Arbeit und Brot. Das technische Glas wurde seit jeher in Thüringen hergestellt, unter dem Einfluss der sudetendeutschen Glasmacher bildet sich jedoch ein völlig neuer Produktionszweig heraus – die Hohlglasverarbeitung. Als mein Onkel alt genug war, ging er als Lehrling in die Glasverarbeitung als Hohlglasveredler. Zur gleichen Zeit lernte auch Karl Kutzer diesen Beruf. Er teilt mit unserer Familie ein vergleichbares Schicksal. Zu meinen Großeltern und meinem Onkel bestand schon damals eine enge Freundschaft. Heute führt er als Glasveredler erfolgreich seinen Familienbetrieb in Ilmenau und ist einer der Handwerker, die ich während meiner Arbeit besuchte.

Dieser Besuch war aufgrund der gemeinsamen Geschichte besonders interessant für mich und nicht zuletzt waren die Biografien meiner Familie Ausgangspunkt für die Wahl meines Diplomthemas. Ich wollte mich näher mit dem Handwerk als solches beschäftigen. Viele der Glashütten im Thüringer Wald gibt es heute nicht mehr, die Glashütte in Schmiedefeld zum Beispiel, in der mein Opa bis zur Rente gearbeitet hatte, kenne ich nur noch aus Kindertagen – heute ist sie stillgelegt und dem Verfall preisgegeben. Es ist also nicht mehr viel übrig vom traditionellen Glasmacherhandwerk, für das Thüringen einmal so bekannt war. Ein paar kleine Glasmacher, die ihr Handwerk neugierigen Blicken vorführen und beispielsweise mundgeblasene kleine Tierchen verkaufen, gibt es noch hier und da. Die letzte Glashütte kann man in Lauscha finden, wo die Glasschmelze noch aus dem sogenannten Hafen entnommen und an langen Röhren geblasen und geformt wird, so wie es einst mein Opa konnte. Aber nicht nur in dieser Handwerkssparte finden sich seltene oder sogar aussterbende Berufe, wie ich schnell feststellte. Zumeist sind die ganz alten, über Jahrhunderte oder Jahrtausende gewachsenen Handwerkszweige von diesem Schwund betroffen. Die Gewerke, die sich tief in unser kulturelles Gedächtnis eingebrannt haben, die Regionen unverwechselbar machten, scheinen zu verschwinden. Im folgenden Teil möchte ich näher auf die Bedeutung des Handwerks eingehen und welche Rolle es in unserer Kultur heute noch spielt und zukünftig spielen wird.

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2. DIE BEDEUTUNG DES HANDWERKS 2.1. Der Handwerker „Handwerk – das Machen mit den Händen – gehört zu den ältesten und wichtigsten Erfahrungen der Menschen. Arbeit war eigentlich immer Arbeit mit den Händen. Der Mensch begreift die Welt, indem er sie be-greift.“1 Die willentlich gesteuerte Beweglichkeit der Hand grenzt den Menschen zu anderen Lebewesen ab. Sie ist Voraussetzung für die Entwicklung des Gehirns und damit der Intelligenz über Jahrtausende der Evolution. So ermöglichte das Denken die Entwicklung von Werkzeugen, die letztlich der Verlängerung der Hand dienen und sie in ihrem Tun unterstützen. Ein Werkzeug kann aber nur dann gedacht und umgesetzt werden, wenn vorher die Bewegung da war. Unter Zuhilfenahme der Werkzeuge konnten wiederum neue Dinge erzeugt und geformt werden – das Repertoire der Hand wurde nochmals um ein Vielfaches erweitert. Erste Hochkulturen entstanden, die heute für Museen beeindruckende Zeugnisse des Schaffens liefern. Die Bearbeitung von Ton ist untrennbar mit dieser Entwicklung verbunden. Seit jeher fasziniert den Menschen Material, dass er mit seiner Hand verändern und formen kann. Es entstanden erste Schalen und Gefäße und allmählich die Erkenntnis, dass man durch Brennöfen den Ton haltbarer machen kann. Gerade der Ton ist ein gutes Beispiel, um zu veranschaulichen, welches Verhältnis der Schöpfer zu den Objekten hat, die er herstellt. Denn in jedem Produkt steckt auch ein Teil der Seele des Handwerkers. Oft handelt er aus einer tiefen Intuition heraus. Er kann kaum beschreiben was er da genau tut, da jede Bewegung, jeder Handgriff schon in Fleisch und Blut übergegangen ist und das Sehen wie ein Kontrollorgan funktioniert. Er projiziert ein Bild auf das Material, eine Vorstellung, wie das Objekt später aussehen soll und arbeitet darauf hin – ganz in dieses Ziel versunken. Und er wird nicht eher aufhören und alles nötige dafür tun, damit es seinen Vorstellungen entspricht. „Die Arbeit dient keinem anderen Ziel als der Herstellung des Produkts. Die Einzelheiten der täglichen Arbeit bleiben sinnvoll, weil sie für den Schaffenden sämtlich in Beziehung zum Produkt seiner Arbeit stehen. Der Schaffende kann seine Arbeit in allen ihren Teilen übersehen, überwachen und beurteilen. Er kann auf

diese Weise aus seiner Arbeit lernen; er kann dabei seine Fähigkeiten entdecken, entwickeln und nutzen. Arbeit einerseits und Vergnügen, Entspannung, Erholung und Spiel andererseits sind ebenso wenig voneinander geschieden wie Arbeit und Kultur. Die Erwerbstätigkeit des Schaffenden bestimmt seine ganze Lebensweise.“2 Er ist nicht hektisch und getrieben, er weiß, dass er sich auf seine Fertigkeiten verlassen kann und falls es zu Schwierigkeiten kommen sollte, weiß er, wie er sich dem stellen kann. Für ihn haftet an Problemen kein negatives Bild, eher im Gegenteil, er kann dadurch besser werden und geht letztlich gestärkt aus solchen Situationen hervor. Probleme bedeuten lediglich einen Aufschub der Fertigstellung. Der Handwerker macht seine Arbeit um seiner selbst willen gut. Es erfüllt ihn und gibt eine tiefe Befriedigung nach getaner Arbeit. Er hält als Ergebnis etwas Reelles in den Händen, auf das er stolz ist. Es ist ihm möglich es zu befühlen und zu beurteilen. „Der Stolz auf die eigene Arbeit bildet den Kern handwerklichen Könnens und Tuns, da er den Lohn für sein Geschick und sein Engagement bildet.“3 „Den größten Stolz empfinden Handwerker im Blick auf Fertigkeiten, die sie einem Reifungsprozess verdanken. Deshalb bietet bloße Nachahmung keine Befriedigung. Die Fertigkeit muss sich entwickeln. Die Langsamkeit der Zeit im Handwerk ist eine Quelle der Befriedigung. Die Praxis prägt sich dem Körper ein und macht die Fähigkeit zu unserer eigenen. Die langsame Zeit des Handwerks ermöglicht auch die Arbeit der Reflexion und der Phantasie – der Drang nach raschen Ergebnissen vermag das nicht. Reifung bedeutet auch Dauerhaftigkeit: Wir werden dauerhaft zum Besitzer der Fertigkeit.“4 Aus diesem Selbstbewusstsein resultiert eine hohe Stabilität und Identitätssicherheit, die so lange unangetastet bleiben kann, wie der Handwerker arbeitet. Sollte er einmal nicht mehr in der Lage sein, dies zu tun, bedingt durch Alter oder Krankheit, verschwindet auch sein Lebensinhalt und er fühlt sich nutzlos. „Wer rastet, der rostet.“, trifft hier bei vielen erschreckend zu. Es entsteht der Eindruck, nur die Arbeit hält den Handwerker lebendig. Bei fast jedem Interview, das ich während

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meiner Besuche bei den Handwerkern führte, war es so, dass sich der arbeitende Mensch nicht vorstellen konnte, einmal gar nicht mehr in der Werkstatt zu stehen, und das obwohl einige das Rentenalter schon lange erreicht hatten. Ein weiteres Merkmal der handwerklichen Arbeitsweise ist, dass die Prozesse und Teilschritte ganzheitlich von einer Person getan werden können. Der Schaffende trägt zu jeder Zeit die Verantwortung für das entstehende Produkt. Jeder Handwerker beherrscht alle Schritte, die zur Herstellung seiner Objekte nötig sind, so kann er darüber nachdenken, sieht Probleme bereits im Voraus und kann Lösungen abwägen. Gerade in Werkstätten, in denen eine minimale Arbeitsteilung stattfindet, ist dies zu beobachten. Es gibt keine Arbeiter, die nur in einem Teilgebiet eingesetzt werden und nur ein paar Handgriffe lernen, wie es zu Zeiten der industriellen Massenproduktion aufkam. Denn sobald der Einzelne das Ganze nicht mehr überschauen kann, führt das zu Abstraktionsproblemen.

zu steuern – nur dann kann er sie nutzen. „Wir sollten Schwieriges und Unvollständiges als etwas Positives erleben. Sie sollten uns in einer Weise anregen, die bei der Simulation oder der problemlosen Manipulation vollständiger Objekte nicht zu erwarten ist.“7 Daher ist heute die Zusammenarbeit z.B. zwischen Produktdesigner und Handwerker wichtig. Der Handwerker denkt nicht wie ein Designer – für ihn steht in erster Linie der Gebrauch im Vordergrund, nicht unbedingt das Aussehen. So gab es im Mittelalter beispielsweise auch keinen direkten Zusammenhang zwischen Form und Funktion (‚form follows function’) der Alltagsgegenstände, wie es heute üblich geworden ist. Es wurde sich an der Tradition orientiert, an Musterbüchern oder es wurde von anderen Handwerkern kopiert. Jedes Schmuckelement oder jede Verzierung, die über die ursprüngliche Grundform hinaus entstand, verdanken wir dem Formwillen des Handwerkers.

„Lernen ohne zu denken ist vergebens. Denken ohne zu lernen ist gefährlich.“ (Konfuzius)

„Wenn Hand und Kopf voneinander getrennt werden, leidet der Kopf.“ 8 „Bei jedem guten Handwerker stehen praktisches Handeln und Denken in einem ständigen Dialog. Durch diesen Dialog entwickeln sich dauerhafte Gewohnheiten, und diese Gewohnheiten führen zu einem ständigen Wechsel zwischen dem Lösen und dem Finden von Problemen.“9 Die Philosophin Hannah Arendt (1906-1975) unterschied dagegen den Menschen entweder in das ‚Animal laborans‘ oder in den ‚Homo faber‘. Der erste Typus verrichtet lediglich notwendige Arbeit, die ihm zur unmittelbaren Lebenserhaltung dient. Das ‚Animal laborans‘ ist ein ‚Rädchen im Getriebe’, das selbst kaum Handlungsspielraum besitzt. Wobei er sich bei der Arbeit selbst in seiner Natur erfahren kann. Der ‚Homo faber‘ dagegen entspricht im Prinzip dem Bild des Handwerkers, der kreativ wirkt und etwas herstellen kann. Er will sich verwirklichen und tut die dafür nötige Arbeit. Er will etwas Größeres schaffen, das am Ende über ihm als Werk steht. Für Arendt funktionieren dabei die Hände eher wie bloße Werkzeuge, dabei sind sie viel mehr als das, denn sie können gleichzeitig fühlen und denken. Mittlerweile wird der ‚Homo faber‘ mehr und mehr zum ‚Animal laborans‘ degra-

Richard Sennett verwendet ein schönes Beispiel in seinem Buch ‚Handwerk’ um dies zu veranschaulichen. Heute übernehmen Computersimulationen einen Großteil der Planungsarbeit z.B. für Architekten. Davor gab es den Entwurf auf Papier. Der Physiker Victor Weisskopf warnte die Studenten, die nur mit computerisierten Experimenten arbeiteten: „Wenn Sie mir dieses Ergebnis zeigen, versteht der Computer die Antwort, aber ich glaube nicht, dass Sie die Antwort verstehen.“5 Auch Elliot Felix gibt zu bedenken: „Alles was man tut, hat weniger Folgen als auf Papier … Darum wird alles nicht so sorgfältig durchdacht.“6 Es birgt also Gefahren, nur eine Seite der Herstellung zu kennen. Sich nur auf seine Vorstellungskraft zu verlassen, ohne gleichzeitig die Fertigkeiten, die zur Umsetzung nötig sind zu beherrschen, kann unter Umständen zu schwerwiegenden Fehlern führen. Simulation jeglicher Art ist also mit Vorsicht zu genießen oder zumindest in dem Bewusstsein, dass der Mensch selbst nicht aufhören darf, die Arbeit zu durchdenken und zu überprüfen. Der Schaffende darf nicht stummer Zuschauer von Maschinen werden, er selbst muss jeder Zeit das Gefühl haben, die Maschinen

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diert, denn das Herstellen von bleibenden Objekten, verkommt immer stärker zur Arbeit für Wegwerfartikel ohne höheren Sinn. Schuld daran trägt die Mentalität der Wegwerfgesellschaft, die eine hohe Lebensdauer für Dinge nicht vorsieht und von der Verschwendung lebt. Nach Hannah Arendts Auffassung müsste die Arbeit am Fließband für den Menschen geisttötend und stupide sein, gerade durch die ständige Wiederholung der gleichen Tätigkeit. „Jeder kommt als ganzer Mensch auf die Welt, mit einer großen Bandbreite an Begabungen, die auf Entfaltung drängen und gelebt werden wollen, damit sie sich nicht gegen uns wenden.“10 Durch die Eintönigkeit entsteht Langeweile, der Mensch bleibt weit hinter seinem Potential zurück, er wird krank und der Kopf leidet. „Für Menschen, die komplizierte Handfertigkeiten entwickeln, ist sie nichts dergleichen. Etwas immer wieder zu tun ist anregend, sofern diese Tätigkeit im Blick nach vorn organisiert wird. Die Substanz der Routine mag sich verändern, wandeln oder verbessern, der emotionale Lohn aber ist die Erfahrung, es immer wieder zu tun. Diese Erfahrung ist keineswegs sonderbar. Wir alle kennen sie, und sie hat einen Namen: Rhythmus.“11 Zu beobachten ist dieser Rhythmus z.B. bei der Kunst des Glasmachens, wenn sich u.a. durch Drehen und Blasen mit der Glasmacherpfeife der glühende Glasklumpen langsam in ein Objekt verwandelt.

walten lässt, kann er seine Kunden dauerhaft an sich binden und hat damit ein gutes Auskommen. Die meisten Handwerker leben auch heute noch von der Mundzu-Mundpropaganda, die Fluch und Segen sein kann. Um ausdauernd und mit ungebrochenem Fleiß arbeiten zu können, muss der Handwerker zuweilen gegen sich und seine Bedürfnisse arbeiten. Er muss hart zu sich sein, schmerzen erdulden, Ermüdungserscheinungen überwinden, um zum Ziel zu gelangen. Eine weitere Eigenschaft des Handwerkers ist seine Sparsamkeit. Er wirft nichts einfach weg, sondern prüft den Materialrest auf weitere Verwendungsmöglichkeiten. So macht der Kürschner Hansjürgen Grebenstein in Erfurt aus Fell- oder Lederresten z.B. Babyschuhe. Verschwendung ist ihm ein Fremdwort. Gleiches gilt für sein Werkzeug. Er weiß um den Wert seiner Arbeitsmaterialien. Handwerker verfügen über breite Lagerbestände, vor allem Reste, die für den Außenstehenden eher die Anmutung von Chaos erzeugen. Ein Leben im Überfluss ist für den Handwerker befremdlich, da er immer mit dem Mangel leben muss. Mangel kann aber auch Kreativität erzeugen. Für viele Materialien muss der Schaffende in Vorleistung gehen und dafür Entbehrungen hinnehmen, konkreten Kunden folgen erst. Gerade nach Kriegsende oder zu Ostzeiten gab es nicht alles zu jeder Zeit und es war nötig auf Vorrat zu kaufen. Um effizient arbeiten zu können, war es für den Handwerker unerlässlich, gut zu planen. Wie bereits erwähnt, arbeitet der Schaffende konzentriert und diszipliniert auf ein Ergebnis hin. Dieses möchte er möglichst ohne große Umwege erreichen. Daher geht er vor Beginn der eigentlichen Arbeit gedanklich alle Arbeitsschritte durch, wägt ab, wo es zu Problemen kommen kann und trifft im Vorfeld Entscheidungen. Wichtig ist da auch die Ordnung. Nur wenn jedes Arbeitsmittel an Ort und Stelle ist, können Arbeitsgänge fließend getan werden. „Richtig planen spart Kosten und Zeit. [...] Dieses bewußte Planungsverhalten umfaßt die Zeit des Fertigungsprozesses eines einzelnen Produktes, aber auch einen Zeitraum von mehreren Jahren.“13 Auch unter einem anderen Aspekt hat er die Zeit im Blick: Er muss den Punkt erkennen, an dem er aufhören muss, denn sonst könnte es zu einer Verschlechterung

Ebenso bemerkenswert ist die Geduld und Ausdauer vieler Handwerker. Der Formstecher, den ich besuchte, sagte mir, dass es bei ihm oft vorkäme, dass nach einem Tag Arbeit an einem feinteiligen Model, kaum eine Veränderung zu sehen sei und gerade feine Tupfenformen sehr viel Zeit benötigen. Für einen Außenstehenden ist diese immense Arbeit kaum einzuschätzen und erkennbar. Für den Ungeduldigen mag es daher eher frustrierend sein, kaum Fortschritte auszumachen. Der Handwerker hat sich jahrelang in Geduld geübt. In Form von Konzentration, welche er mit der Zeit zu erweitern gelernt hat. Denn er versteht es als „zeitweilige[n] Aufschub des Wunsches nach einem Abschluss.“12 Der Handwerker erkennt, dass die Langsamkeit seiner Arbeit die spätere Qualität des Ergebnisses ausmacht. Die stetige Qualität ist überlebenswichtig, nur wenn er ständig äußerste Sorgfalt

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des Objektes kommen. Der Medailleur Helmut König verglich diesen Umstand mit einer Zeichnung, die nur gut ist, wenn sie bewusst weglässt und manchmal nicht jedes Detail perfekt herausgearbeitet darstellt. Unvollständigkeit finden die Menschen interessanter als makellose Perfektion. Daher gilt es außerdem, den Perfektionismus zu meiden. Der Handwerker muss nicht mit der Maschine konkurrieren oder sich selbst übertreffen – er soll nicht demonstrieren wie gut er ist, sondern mit Blick auf das Objekt arbeiten. Massenproduktion verkörpert Perfektion. Maschinen können völlig gleichartige Dinge in unbegrenzter Anzahl herstellen. Sie können dem Menschen zeigen, dass eine „Arbeit tatsächlich fehlerfrei getan werden kann.“14 Aber es ist gefährlich, sich eine Maschine als Vorbild zu nehmen, man sollte immer bedenken, dass ein Vorbild nur eine Option ist, wie es gehen kann. „Herausragende[...] Fähigkeiten sollten uns nicht zur Nachahmung anregen, sondern zur Innovation.“15 „Erst wenn wir verstehen, wie etwas auf perfekte Weise getan werden kann, vermögen wir die Alternative zu erkennen: ein Objekt, das etwas Besonderes an sich hat und Charakter besitzt. [...] Perfektion dagegen lässt keinen Raum für Experimente und Abwandlungen. Das Streben nach Perfektion, so mahnt [schon] Voltaire seine Kollegen, könne eher zu Trübsinn als zu Fortschritt führen.“16 Es ist also für den Konsumenten, wie auch für den Handwerker selbst wichtig zu verstehen, was Maschinen für ein Potential haben und welche Produkte sie hervorbringen können. Der Schaffende muss die Maschine bewusst außen vor lassen, wenn es dem sinnlichen Ergebnis eher schadet als dient. Sie soll ihm als Hilfsmittel dienen, ihn nicht gänzlich ersetzen. Denn sonst kann sich der Handwerker nicht mehr selbst erfahren und verkommt zum Produzenten, zum ‚Animal laborans‘. Auf der anderen Seite ist der Perfektionismus schon immer eine Triebfeder des Menschen gewesen und er führte zur Weiterentwicklung des Handwerks. Durch die wachsenden Bedürfnisse der Bevölkerung mussten die Handwerker Vorrichtungen erfinden und Maßstäbe schaffen, die ihre Produkte reproduzierbar machten, um den Markt weiter befriedigen zu können. Auch unter diesem Aspekt ist die industrielle Entwicklung zu sehen. Und wo würde der Mensch heute stehen, hätte er nicht aus Versehen bei der Arbeit Fehler begangen, um so auf neue Entdeckungen zu stoßen.

Wenn Maschinen nicht einwandfrei funktionieren, gelten sie als defekt und müssen repariert werden. Sie haben nicht den Freiraum und kein Experimentierfeld wie der denkende und schaffende Mensch. Trotz alledem wird dem Handwerker angekreidet, dass er in seinem Denken eher rückwärtsgewandt sei und Neuerungen gegenüber skeptisch und abwehrend gegenüber stehen würde. Das mag z.T. noch aus der zünftigen Zeit herrühren, die sehr streng organisiert war. Es hängt aber auch damit zusammen, dass man im Handwerk schon immer stark auf Tradition setzte und es sehr wichtig war, woher man kam und woraus man schöpfte. Besonders schwierig war das Verhältnis zwischen Handwerk und Industrie als die Massenproduktion sich durchsetzte und viele kleine Handwerker in die Arbeitslosigkeit trieb oder ganze Handwerkszweige verdrängte, z.B. die Schuhmacher oder Schneider. So wurde die Maschine bald zum Feind erklärt und verteufelt. Heute ist das sicher eine überholte Vorstellung, da ein Großteil derer, die erfolgreich arbeiten, moderne Einflüsse in ihre Werkstätten einfließen lassen haben und davon profitieren. Beispielsweise durch bewusst getroffene Entschlüsse, die in einem gesunden Verhältnis zwischen Tradition und Moderne stehen. Es darf nicht vergessen werden, zu sagen, dass für den Handwerker auch neue Betätigungsfelder durch diese Entwicklungen entstanden sind. Andere wiederum haben sich für traditionelle Herstellungsverfahren entschieden, die mitunter umständlicher und langwieriger sein mögen, aber durch ihre spezielle Qualität genauso ihre Daseinsberechtigung begründen. So auch beim Senf aus Kleinhettstedt: Es wäre zwar technologisch machbar, wesentlich mehr Senf in kürzerer Zeit herzustellen, dies würde allerdings zu Lasten der Grundschärfe des Senfes gehen. Denn im Senfschrot sind viele ätherische Öle enthalten, die für den Geschmack verantwortlich sind und sich durch zu hohe Temperaturen, während des Herstellungsprozesses verflüchtigen würden. Daher muss alles ein bisschen langsamer gemahlen werden, damit die Qualität am Ende stimmt und nicht zusätzlich nachgewürzt werden muss, wie bei industriellen SenfHerstellern.

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Wie bereits dargelegt, geht es dem Handwerker nicht um schnelle Erfolge oder darum möglichst viel Geld mit seiner Arbeit zu verdienen – er macht seine Arbeit in erster Linie um seiner selbst willen gut. Der Mensch steht also im Mittelpunkt dieser wirtschaftlichen Denkweise. Es geht ihm um Nachhaltigkeit, um ein ‚sich-einsfühlen’ und ein Schöpfen aus der Natur, nicht um ein ‚dagegen-arbeiten’. Es gelang dem Menschen die Kräfte der Natur, wie Wasser, Feuer und Wind zu bezwingen und für sich zu nutzen. Gerade die alten Handwerke arbeiten fast ausschließlich mit Materialien und Rohstoffen, die sie aus der Natur gewonnen haben. Dabei achten sie immer auf ein ausgewogenes Maß; werden Bäume gefällt, pflanzen sie im nächsten Schritt neue Setzlinge an. Alles beruht auf einem Geben und Nehmen. Der Handwerker wusste z.B. welches Holz für bestimmte Bauteile besonders gut geeignet war, wo es wuchs, wann es die richtige Reife hatte und wie man dessen Qualität prüfen konnte. Dieses Wissen um die Natur wurde von Generation zu Generation weitergegeben und im Praktischen gelebt. Die Natur wurde gerade in der bäuerlichen Kultur mit Ehrfurcht und Respekt betrachtet, da sie letztlich über Leben und Tod entscheiden konnte. Der Mensch war abhängig von Ernteerträgen und Witterungseinflüssen. Bestimmte Handwerkszweige entstanden nur dort, wo es auch die nötigen Rohstoffvorkommen gab. Noch heute zeugen Namen, Sprichwörter, Straßennamen oder Flurbezeichnungen von ihrer Existenz. In ländlichen Regionen gab es Handwerker wie den Schmied, den Böttcher oder den Wagner. Viele Familien verdienten sich aber auch ein Zubrot, indem sie Handwerke als Nebentätigkeit neben der Landwirtschaft betrieben. Typisch dafür sind z.B. die Stockmacher, Korbflechter oder Besenmacher. Handwerk diente vor allem im frühen Mittelalter vorrangig der Selbstversorgung und war in die Hausarbeit integriert. Bis hinein ins 20. Jahrhundert war es durchaus üblich, sein Brot selbst zu backen. Bäckereien breiteten sich zunächst eher im städtischen Raum aus. Somit war das Handwerk aus der bäuerlichen Kultur nicht wegzudenken und verlieh Regionen über Jahrhunderte hinweg ihren unverkennbaren Charakter.

Der technische Fortschritt seit Beginn der industriellen Revolution brachte es mit sich, dass versucht wurde, immer stärker von der Natur abzurücken und sich von ihr in gewissem Maße unabhängig zu machen. Der Mensch schien damit auch beweisen zu wollen, dass er seine eigene Natur abstreifen kann, wie ein zu eng gewordenes Hemd. Die Fähigkeiten der Maschinen, die der Mensch neu erschaffen hatte, sollten Ausgangspunkt für diese Entwicklung sein. Vielleicht imponierten die Maschinen sogar dem ein oder anderen so stark, dass sie versuchten genauso tadellos und kühl zu funktionieren. Mit dem Aussterben der ersten alten Handwerke, bedingt durch diesen Fortschritt, ging also auch ein Verlust an Hand- und Naturwissen einher. Die Natur wird oftmals zum Feind unternehmerischen Denkens erklärt, wenn es um schnelle Gewinne geht. Wirtschaftsprojekte, die nicht konform mit dem Umweltschutz sind, werden versucht diplomatisch zu lösen oder tot zu schweigen, selbst wenn Regionen oder Landschaften dauerhaften Schaden nehmen könnten. Mittlerweile wird diese Denkweise kritischer beäugt, wo es ein wachsendes Bewusstsein für die Natur gibt. Aber schaut man in die Billiglohnländer in Fernost, wo auf Kosten der Menschen und der Natur für westliche Industrienationen produziert wird, erkennt man das Dilemma. Je mehr sich der Mensch von der Natur entfernt und gegen sie arbeitet, sich an kurzfristigen Erfolgen orientiert, desto schneller zerstört er seine eigenen Lebensgrundlagen. Das alles ist weit entfernt von den Grundsätzen des Handwerkers. Aber auch der Handwerker ist nicht frei von Schuld. Richard Sennett spricht in seinem Buch die ‚Büchse der Pandora‘ an und vergleicht deren Auswirkungen mit dem Negativpotential der Fertigkeiten des Handwerkers. Denn die Einteilung in ‚gut‘ und ‚böse‘ sind elementare Eigenschaften des menschlichen Wesens. Wie bei anderen Berufsgruppen, kann auch der Handwerker mit seinen Händen etwas Bösartiges und Gefährliches erschaffen. So muss sich der Büchsenmacher stets darüber bewusst sein, dass er Werkzeuge zum Töten fertigt. Er kann seine Arbeit natürlich gut damit begründen, dass es richtig und wichtig ist, kranke Tiere oder zu große Wildpopulationen als Jäger zu schießen. Diese erhalten ein Gerät, mit dem sich eine Aufsicht über den Wald gewährleisten lässt.

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nimmt den Telefondienst und das Mittagessen und die Mutter die Dekoration. Der Senf wird gemeinschaftlich hergestellt. Die Werkstatt bildet ganz schlicht die Arbeitsgrundlage für den Handwerker. Die meisten Gewerke sind auf diverse Maschinen und Werkzeuge angewiesen und darüber hinaus auf Energie in Form von Wasserkraft, Feuer, Strom oder Wind. Den Platz dafür bietet ein gesonderter Raum – die Werkstatt, die baulich speziell nach den jeweiligen Bedürfnissen aufgebaut wird. Zunächst also muss der Handwerker über Kapital verfügen, das den Kauf dieser Mittel ermöglicht. Dies ist zugleich eine Zugangsschranke für Konkurrenten – nicht jeder kann sich das leisten. Dagegen können z.B. die Korbflechter an nahezu jedem Ort, auch in der Wohnung ihre Waren herstellen – das wichtigste Arbeitsgerät sind nach wie vor die Hände. Das rührt noch aus der Zeit, als dieses Handwerk als Hausarbeit mit gemacht wurde, um ein paar Mark dazu zu verdienen. Rohstoffe waren in der Natur vorhanden. Die Arbeit, die bereits in der Werkstatt selbst steckt, erfüllt den Handwerker ebenso mit Stolz, wie seine Produkte. In ihr ist er Herr seiner Selbst, kann eigenverantwortlich Entscheidungen treffen und kann alles so herrichten, wie er es möchte, um effizient zu arbeiten. In gewisser Weise verrät dieser Ort also auch viel über dessen Besitzer. Die Werkstatt ist für den Handwerker ein Lebensraum, denn er verbringt dort im Schnitt mehr Zeit als in seiner Wohnung. Er arbeitet länger als jeder Büroangestellte mit einem Achtstunden-Tag. Manchmal auch samstags oder sonntags. Der Schaffende hört nicht mittendrin auf, er fühlt sich seiner Arbeit in starkem Maße verpflichtet – er hat eine enge Bindung zu dem, was er tut. Andererseits kann er aber genauso einmal früher Feierabend machen, wenn ihm danach ist. Der Büchsenmacher Helmut Adamy sagte mir einen, für seine Berufsgruppe, typischen Spruch: „Ein Büchsenmacher stirbt nicht, ein Büchsenmacher verendet am Schraubstock.“ Diese Verbundenheit beginnt bei vielen Familienunternehmen schon früh – so antwortete mir Adamy auf die Frage hin, wie er zu seinem Beruf gekommen sei, folgendermaßen: „Nebenan ist mein Sohn, er ist der siebente Büchsenmacher in Folge in unserer Familiengeschichte. Ich bin in dem Haus hier gegenüber geboren und hier aufge-

Trotzdem ist und bleibt das Gewehr eine Waffe, die Schaden anrichten kann. In der Vergangenheit hat es einige Fälle gegeben, wo solche Waffen zum gezielten Töten von Menschen missbraucht wurden, beispielsweise der Amoklauf in Erfurt. Der Handwerker schafft also Potentiale, die er selbst nicht möchte, aber in Kauf nehmen muss, wenn er ein Objekt in guter Absicht herstellen will. Vergleichbare Beispiele finden sich auch in der Wissenschaft und Forschung: Die Atombombe, die in ihrem Potential auf einen Schlag die Menschheit auslöschen könnte oder die Genforschung. Wenn die Genmanipulation, das Klonen und ‚Designerbabies‘ praktisch möglich sind, greifen die Werkzeuge der Moral. Aber die, die diese Entdeckungen gemacht haben, wollen weiter forschen, gehen in ihrem Beruf auf, aber verkennen mitunter, was sie erschaffen – das birgt eine große Gefahr. Das Wissen darum ist einmal in der Welt und kann nicht mehr zurück genommen werden.

2.2. Die Werkstatt „Handwerk war fast immer an eine Werkstatt gebunden. Eine Werkstatt hat man fürs Leben.“17 Und sogar noch darüber hinaus, wenn sie von Generation zu Generation weitergegeben und ausgebaut wird. Dann ist sie nicht nur Leben, dann ist sie auch Familie. Und natürlich Heimat, denn das Leben in der Werkstatt ist ein Sesshaftes. Dort verbringt der Handwerker sein Leben – an einem Ort, in einer Region, in einer Landschaft. Er folgt einem eingespielten Tagesablauf, richtet sich mitunter auch nach den Jahreszeiten. Meist liegt neben der Werkstatt die Wohnung oder das Wohnhaus, manchmal ist beides auch in einem Haus untergebracht. Jedenfalls gibt es keine langen Wege. Viele Betriebe werden von mehreren Familienmitgliedern organisiert und strukturiert. Es gibt klare Rollen für die Frauen und Männer innerhalb der Familie. Am Beispiel der Familie Morgenroth, die die Mühle in Kleinhettstedt betreibt, kann dies schön beobachtet werden: Der Sohn ist für den Einzelhandel zuständig, der Vater kümmert sich um den größeren Vertrieb und die Wasserkraft, die Oma über-

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wachsen. Von meinem dritten Lebensjahr an, sobald ich halbwegs laufen konnte, bin ich in der Werkstatt tätig gewesen. Ich hatte auch, wie mein Enkel heute, neben dem Schraubstock vom Vater und Opa meinen kleinen Schraubstock, wo ich ein bisschen gefeilt und geklappert habe. Nicht an Jagdwaffen, aber zum Spaß an der Freude. Und so wächst man halt da rein und für mich gab es da gar keine Frage, dass ich auch Büchsenmacher werde.“

bruch des römischen Reiches gab es einen Knick in der Entwicklung der verschiedenen Kulturen. Vieles geriet in Vergessenheit. Wissen war nicht mehr der breiten Bevölkerung zugänglich, sondern wurde zurückgedrängt hinter Kloster- oder Schlossmauern. Latein war die Sprache der Gelehrten, einfache Bauern und Stadtbewohner konnten diese Sprache nicht. Das Handwerk war in diesem Zeitraum stärker in die Hausarbeit integriert. Gebrauchsgüter wie Nahrung, Möbel oder Stoffe und Felle wurden in Heimarbeit hergestellt. Erst im Hochmittelalter kam das Handwerk zu neuer Blüte. Die Städte entwickelten sich zu Handelszentren, wo Wissen und Können in regem Austausch standen. Gleiches galt für das Kunsthandwerk, das immer mehr kaufkräftige Abnehmer fand. Zünfte übernahmen zu dieser Zeit die Kontrolle über die bestehende kulturelle Vielfalt im Handwerk. Sie stellten Regelwerke auf, kontrollierten den Markt und gaben Rechte und Pflichten für eine Handwerksausbildung heraus. Die zünftige Ordnung war aus dem Leben des Handwerkers nicht mehr wegzudenken, sie gab ihm Selbstbewusstsein, Sicherheit und eine soziale Heimat. Dieses hochorganisierte System speiste sich aus der Tradition heraus, war nahezu unantastbar aber auch schwerfällig – Neuerungen erfolgten nur sehr langsam. Der Handlungsspielraum des Individuums war begrenzt, es musste sich dem sozialen Interesse unterordnen. Mit der Gewerbefreiheit um 1830 lockerten sich die Zunftbestimmungen. Erst als im 19. Jahrhundert die Industrialisierung einsetzte, änderten sich die wirtschaftlichen Kräfteverhältnisse in Europa. Die Industrielle Revolution wurde zum Gegenstück und schließlich zum Feindbild des Handwerks stilisiert. Die Maschine und die Arbeit am Fließband von relativ ungelernten Arbeitern kostete vielen Handwerksbetrieben, ja ganzen Gewerken die Existenz, in jedem Fall führte sie aber notgedrungen zu einem Umdenken und einer Anpassung des Handwerks. Schon manch Zeitgenosse schätzte die neuen Entwicklungen kritisch ein. So waren es John Ruskin, William Morris oder die ‚Arts and Crafts‘-Bewegung, die mit einem weinenden Auge gen Zukunft blickten. Ihre Ansichten sind heute wieder hochaktuell. „Sowohl für Ruskin als auch für Morris war die lebendige, menschliche Arbeit eine Quelle von Glück, Selbstbestimmung und Wohlstand. Die selbstbestimmte, kreative Arbeit des Handwerkers erschien beiden erstrebenswert. Ein Glück, das jedoch immer

„In der Werkstatt wird die Ungleichheit der Fähigkeiten und Erfahrung zu einer Angelegenheit direkter zwischenmenschlicher Beziehungen. Die erfolgreiche Werkstatt schafft legitime Autorität aus Fleisch und Blut, nicht über Rechte und Pflichten, die auf dem Papier stehen.“18 Eine Werkstatt allein als Raum betrachtet, bleibt nicht mehr als das, was sie ist – ein Raum, der der Produktion dient, mit einer Vielzahl von Gerätschaften, einer Ahnung von Zeit und Arbeit, die dort einst stattfand. Sie trägt eher den Charakter eines Museums. Erst der darin arbeitende Mensch macht sie lebendig und kann uns zeigen, welchen Wert und Zauber sie besitzt. Dann erst kann sie sich erklären und ihr Wissen preisgeben. Jede Werkstatt steht und fällt mit den Menschen, die in ihr arbeiten, deshalb ist es so wichtig, sie immer in diesem Kontext zu verstehen.

2.3. Handwerk und Geschichte Die Arbeit mit den Händen und die Herstellung von Werkzeugen, mit der der Mensch seine Umwelt bewusst gestalten konnte, grenzten uns zu anderen Lebewesen ab. Dadurch konnte es gelingen, Kulturen zu prägen, zu pflegen und weiterzugeben. Der Mensch hat den Drang, Dinge aus sich selbst heraus zu erschaffen. Die Vielfalt der Epochen seit Beginn der Menschheitsgeschichte belegen uns dies eindrucksvoll. Die griechische Antike beeinflusste weite Teile Europas, im Norden gab es wiederum die Kultur der Kelten, der Wikinger, Goten oder Sachsen. Überall dort wurde handwerkliche Arbeit auf hohem Niveau betrieben. Erst nach dem Zusammen-

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2.4. Implizites und Explizites Wissen

gefährdet ist: bedroht durch die Maschine, bedroht durch die Vorherrschaft der Rendite.“19 Im Handwerk ging es nicht um die Steigerung von Gewinnen, sondern man lebte und arbeitet so, dass man ein vernünftiges Auskommen hatte. Produziert wurde meist auf Bestellung, nicht auf Vorrat. Die Maschine konnte nun den Menschen in ihrer Leistungsfähigkeit übertreffen – ihn sogar bei manchen Arbeitsschritten ersetzen. Er wurde herunter degradiert zur Verrichtung stupider Arbeit, entgegen seinem Willen nach komplexen Tätigkeiten. Der Wunsch nach Massenproduktion und dessen Notwendigkeit nahm aber nicht mehr das Ganze in den Blick, sondern nur noch die einzelnen Teile. „Wirtschaft – das war Ruskins wichtigste Botschaft und sein Glaubensbekenntnis – muss dem Leben dienen, nicht umgekehrt.“20

„Unterweist jemand einen anderen im Fach, so sind sie nur Lehrer und Schüler. Bringt derselbe dem anderen sein Handwerk bei, so sind sie Meister und Lehrling.“ (Gesellenspruch) „Im Handwerk wird durch Beobachtung und durch ‚Machen‘ gelernt. Nicht durch Theorie und Bücher. Machen, Tun, Nachahmen, Üben führen schließlich zu jener selbstverständlichen Arbeitssicherheit, die außerhalb des Handwerks kaum anzutreffen ist.“21 Gerade dieser Umstand führt zu Problemen, wenn es darum geht, handwerkliches Können zu konservieren, also es in Worte zu fassen, es aufzuschreiben oder mit bildnerischen Mitteln zu zeigen. Explizites Wissen kann der Mensch meist mit Worten beschreiben, da er sich darüber bewusst ist. Implizites oder stilles Wissen ist jenes, welches er schon so sehr verinnerlicht hat, dass er nicht mehr darüber nachzudenken braucht, während er davon schöpft – es ist zur Routine für ihn geworden, oder er tut es aus einer Intuition heraus. Es geht dabei meist um eine Handlung, die der Mensch vollziehen will. Ein einfaches Beispiel, um diese Problematik gut zu veranschaulichen, ist das Fahrrad fahren: „Wir wissen, wie es geht, können das aber nur schwer in Worte fassen. Weil wir die physikalischen Regeln – Neigungswinkel, Geschwindigkeit und Lenkeinschlag – berücksichtigen, aber nicht explizit kennen.“22 Wenn der Mensch eine Fertigkeit neu erlernt, versucht er auf verschiedenen Wegen besser zu werden, er probiert sich aus und stößt auf neue Zusammenhänge, die er sich wiederum zu Hilfe nimmt, um Schritt für Schritt voran zu kommen. „Bei Fertigkeiten höheren Niveaus gibt es ein beständiges Wechselspiel zwischen stillschweigendem Wissen und bewusster Überlegung, wobei das stillschweigende Wissen als Anker funktioniert, während das bewusste Überlegen der Kritik und Korrektur dient. Die Qualität handwerklicher Arbeit ergibt sich auf diesem höheren Niveau aus Urteilen über stillschweigende Gewohnheiten und unausgesprochene Annahmen.“23 So sagt schon die Redensart „Durch schmieden wird man Schmied“ alles.

Im Laufe des 20. Jahrhunderts gelang es den meisten Handwerkssparten, sich anzupassen und neu auszurichten. Einige Gewerke verschwanden, andere entstanden völlig neu. Manche von ihnen können sogar als ‚Hightech-Handwerker‘ bezeichnet werden. So ist das Handwerk im ständigen Wandel begriffen. Heute kann es meist schnell und flexibel auf die Bedürfnisse des Marktes reagieren. Bemerkenswert ist, dass der Wunsch nach individuellen Produkten in den letzten zwei Jahrzehnten stetig gestiegen ist. Trotzdem unterliegt das Handwerk genauso konjunkturellen Schwankungen und Krisen, wie industrielle Unternehmensstrukturen.

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chen, bewerten, verknüpfen und sich mit anderen austauschen.“26 Dieses Wissen ist an Köpfe gebunden, sobald es aufgeschrieben wird, verkommt es für einen Außenstehenden wieder zur Information. Ob Wissen weitergegeben werden kann, hängt also nicht zuletzt vom Gegenüber, dessen Kenntnisstand und Aufnahmefähigkeit ab. Wenn dies auf die menschlichen Beziehungen innerhalb der Werkstatt bezogen wird, ergibt sich eine besondere Autorität des Meisters gegenüber seinen Lehrlingen und Gesellen. Nur er kann „Dinge sehen, die andere nicht sehen, und Dinge wissen, die andere nicht wissen. Und diese Autorität zeigt sich in ihrem Schweigen.“27 So kann es verheerende Folgen haben, wenn der Meister stirbt und sein Wissen vorher nicht geteilt hat. Es ist dann auf immer verloren, vielleicht findet einer seiner Lehrlinge durch Probieren ein paar Methoden und Erkenntnisse selbst heraus, aber das Ganze als solches lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Das beste Beispiel ist bis heute der Geigenbauer Stradivari – noch heute versucht man seiner Genialität auf die Spur zu kommen und hat es selbst mit modernster Technik nur unzureichend geschafft, denn bloße Messwerte machen noch lange keine neue Stradivari-Geige. Gerade wenn der Meister neben der bloßen Fertigkeit und seinem Können auch noch ein herausragendes Talent besitzt, wird es schwierig implizites Wissen zu extrahieren.

Gerade in der Kindheit lernt der Mensch täglich neue Dinge kennen, er eignet sich Wissen an, lernt wie er Gefahren erkennen und umgehen kann und versucht sich in verschiedensten Fertigkeiten auszuprobieren. Die Kinder müssen trotz der vielen Eindrücke aber auch lernen, sich einer Sache zu widmen und Zeit darin zu investieren. „In der modernen Erziehung gilt repetitives Lernen als geisttötend. Aus Angst, die Kinder zu langweilen, und in dem Bemühen, ihnen ständig neue Anreize zu bieten, mögen aufgeklärte Lehrer Routine vermeiden – doch damit nehmen sie den Kindern die Erfahrung, eine eingeschliffene Praxis zu überprüfen und von innen heraus zu verändern.“24 Sie müssen lernen ihr Tun zu hinterfragen und sich selbst kritisch gegenüberstehen. Im Spiel gelingt dies meist am besten. Es ist ungezwungen, die Kinder können selbst Regeln aufstellen und danach agieren und sie jederzeit verändern, wenn sie während des Spiels erkennen, wie es vielleicht noch besser gehen könnte. Spielen ist also ähnlich zu betrachten wie das Üben beim Erlernen neuer Tätigkeiten. Auch hier spielt die Wiederholung und Modulation eine entscheidende Rolle. Wer das als Kind verinnerlicht hat, kann es als Erwachsener anwenden, wenn er vor Problemen steht. Allerdings gibt es noch eine andere Seite der Medaille, wenn es um praktisches Lernen oder ‚learning by doing‘ geht. Für manche Tätigkeiten braucht das Individuum Talent und dieses ist in dessen Veranlagungen ungerecht verteilt – es zeigt ihm seine natürlich gesetzten Grenzen, die es nicht erweitern kann. Selbst der Ehrgeizigste kann an dieser Hürde scheitern und muss erkennen, dass er in etwas niemals wirklich gut sein wird. Und Scheitern ist eine bittere Erkenntnis für Kinder, die hochmotiviert und unvoreingenommen eine Tätigkeiten erlernen wollen. Das Kind bleibt dann frustriert zurück, muss zusehen wie andere es besser machen. „In diesem Lichte betrachtet, kann ‚learning by doing‘, so tröstlich es als Patentrezept der fortschrittlichen Pädagogik erscheinen mag, in Wirklichkeit eine grausame Angelegenheit sein. Die Werkstatt des Handwerkers ist in der Tat eine grausame Schule, wenn sie uns unser Ungenügen vor Augen führt.“25

Diese Thematik stellt also nach wie vor ein großes Problem dar, je komplexer das Wissen und Können eines Einzelnen, desto schwieriger kann man es konservieren. Die aktuellen Anforderungen der Wissensgesellschaft wirken sich außerdem kontraproduktiv darauf aus. Wissen wird heute leider häufig verwechselt mit Informationsfülle und gefährlichem Halbwissen, was bei Wikipedia und Co schnell zusammengegoogelt wird, ohne es zu hinterfragen. So genau schaut zunächst keiner hin, die Kommunikation funktioniert oberflächlich für den ersten Moment. Erst wenn es in die Tiefe geht, fallen Defizite auf. Es wird heute verlangt, auf verschiedenen Wissensgebieten kompetent zu sein. So lernt man alles ein bisschen, aber nichts richtig und generell erfolgt die Ausbildung in relativ kurzer Zeit, gerade im Vergleich zum Handwerk.

Können entsteht also durch einen jahrelangen Prozess, durch Erfahrung und Praxis. „Damit aus Informationen Wissen wird, muss der Mensch auswählen, verglei-

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Wissen zählt heute mehr als Können. Seit Beginn der Industrialisierung ist der Menschheit durch kurzfristiges Denken bereits viel verloren gegangen. Eine Orientierung am Handwerk würde manchmal gut tun. Wissen steckt aber nicht mehr nur in den Köpfen der Menschen, sondern verteilt sich immer mehr auf Datenbanken, die schnelle Antworten zu jedem Problem liefern können. Informationen lassen sich auslagern. „Je mehr wir Wissen und Können von Menschen ablösen, in kleine schwarze Kästchen packen oder in Bits und Bytes umwandeln, desto größer ist die Gefahr, dass uns wichtige Kompetenzen, wichtiges Erfahrungswissen auf immer verloren gehen.“28

gen schlecht mit Worten in Gefühlslagen umgedeutet werden. So nimmt man sich die Umgebung der handelnden Person vor, um Stimmung beim Leser zu erzeugen. Ein regnerischer Morgen, die dürren Zweige klapperten an die Fensterscheibe, der Kaffeeduft, den ich immer so liebte, war heute kaum wahrnehmbar. Alles erschien ein wenig an Farbe verloren zu haben und obwohl der Ofen wie an jedem Morgen die Küche erwärmte, spürte ich eine Gänsehaut unter meinem Bademantel. Es ist Ziel, den Leser mitfühlen zu lassen, um ihn so zu packen. Der Autor kann nicht einfach schreiben: Heute Morgen bedrückte mich etwas. Eine gut geschriebene Geschichte kann uns in eine andere Welt versetzen, so wie es auch manche Filme vermögen. Im Handwerk ist das Zusehen aber nur der erste Schritt – der Mensch muss es selbst machen, um es zu verstehen. Und wie bereits dargelegt wurde, ist das einfache Nachahmen für viele komplizierte Handlungsvorgänge nicht ausreichend. Es braucht Zeit, Geduld und den Willen besser zu werden, damit eine Fertigkeit tief durchdrungen werden kann.

2.5. Grenzen der Sprache Wie wir gerade erfahren haben, kann es mitunter geradezu unmöglich sein, eine Tätigkeit mit Worten zu beschreiben, da wir in stillem Wissen handeln und nicht explizit darüber nachdenken. „Bei den Schwierigkeiten des Wissenstransfers müssen wir uns fragen, warum die Weitergabe so schwierig ist und warum Wissen zu einem persönlichen Geheimnis wird.“29 So formulierte schon Goethe in Faust die Worte „im Anfang war die Tat“30, nicht etwa das Wort, wie die Bibel glauben machen mag. Der Mensch ist eher von seinem Handeln geprägt, als von seinen Worten. So können Bewegungen stärker auf uns wirken, als es Sprache vermag. Die Signale der Körpersprache beispielsweise, die Mann und Frau ständig unbewusst aussenden und empfangen. Worte sind viel zu starr und begrenzt, um Gefühlslagen und Bewegungen in ihren feinen Nuancen hinreichend zu beschreiben. Das Repertoire der Handlungsmöglichkeiten übersteigt den Wortschatz bei weitem. Jedes Wort hat eine klare Bedeutung, in Kontext gesetzt, kann sie sich erweitern, z.B. durch die Verwendung treffender Adjektive, die bei einer Geschichte die Vorstellungskraft aktivieren sollen. Im Vergleich zum Film betrachtet, zeigt die Erzählung noch deutlicher die Unterschiede auf. Im Film kann Körpersprache gedeutet werden, sie ist interpretierbar, manchmal wird sie ganz individuell erfahren. In der Erzählung können Bewegun-

Deshalb tun sich viele schwer mit jeglicher Art von Anleitung. Sei es beim Aufbau von Möbeln, beim Programmieren eines DVD-Recorders oder beim Nachkochen von Rezepten. Diese können in Worten, in Bildern oder in einer Kombination aus beiden angelegt sein. Viele Verbraucher sind Laien, die das erste Mal vor einer Herausforderung stehen. Manche Anleitungen vergessen das und beschreiben aus Sicht eines Profis, was zu tun ist. Da dieser bereits über stilles Wissen verfügt und der Laie nicht, kann es zu Verständigungsproblemen kommen und der Konsument wird frustriert zurück gelassen. Daher muss der Könner zurück auf die AnfängerEbene kommen, um richtig anzuleiten, er muss sich an seine Anfänge und damaligen Probleme erinnern. Ein gutes Beispiel ist das Verhältnis eines Lehrers zu seinem Schüler, sei es in der Musik, beim Ballett oder in der Fahrschule. Gleiches gilt natürlich auch für die Lehrling-Meister-Beziehung.

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2.6. Hand und Kopf heute

Gleichzeitig wurde die Technisierung der Produktion vorangetrieben. So wurde die Maschine zum Sinnbild neuzeitlichen Denkens.

„Unter all den Beschäftigungen, die dem Menschen den Unterhalt bringen, ist die Handarbeit diejenige, die uns dem Stand der Natur am nächsten bringt.“ (Jean-Jacques Rousseau)

Der Kopf ist von größerem Wert als die Hand, wird uns in der westlichen Zivilisation gelehrt. Wissensarbeiter sind heute angesehener als Handarbeiter. Woher kommt das? Wissen lässt sich aufschreiben, Können dagegen kann nur gelebt werden. Ideen und Erkenntnisse verkörpern Dauerhaftigkeit, sie geben Halt in einer komplexen Welt; praktische Fertigkeiten sind dagegen vergänglich und können nur von Mensch zu Mensch weitergegeben werden. Reißt diese Übertragungsform ab, geht auch kulturelles Vermögen auf immer verloren. Denn das Handwerk fördert unsere kulturellen Traditionen und prägt unsere Regionen entscheidend mit. „Eine abwertende Haltung gegenüber dem praktischen Können, soweit es die Welt der ökonomischen Notwendigkeit betraf, hatte für die Eliten den Vorteil, dass der Preis der Arbeit und der Preis der Menschen, die die ungeliebte Arbeit verrichten mussten, in Grenzen gehalten werden konnte.“32

Das 21. Jahrhundert hält für die Menschheit viele rasant stattfindende Veränderungen bereit. Das betrifft in erster Linie den Fortschritt der Technologien und der Kommunikationswege oder den Ausbau der globalen wirtschaftlichen Vernetzung. Damit einhergehend findet auch ein Wandel der Berufsbilder statt. Neue Betätigungsfelder entstehen, alte werden durch den technischen Fortschritt abgelöst oder verschwinden vollständig. Heute ist es möglich vom internetfähigen Computer aus viel zu organisieren und zu steuern. Das Web macht den Menschen ortsunabhängiger. Körperlich schwere Arbeit geht prozentual zurück, während der Anteil an geistiger Produktivität wächst. Informationen sind in der ‚Wissensgesellschaft‘ wichtiger denn je. Was passiert also mit denen, die sich eher durch ihre Könnerschaft in einer praktischen Arbeit auszeichnen, die z.B. eine Fertigkeit über Jahre hinweg immer weiter perfektioniert haben? Um ganz konkret zu werden: Was für eine Rolle spielt das Handwerk noch in der heutigen Zeit? Was geht verloren, wenn Berufe aussterben?

„Trotz aller Versprechungen der modernen Gesellschaft, dem Menschen Freizeit, Freiheit und Selbstbestimmung zu schenken, sind die meisten von uns nach wie vor Sklaven eines Stundenplans, den wir uns nicht ausgesucht haben.“33 Arbeit ist für den Großteil der Gesellschaft zur Notwendigkeit verkommen, um den eigenen Lebensstandard zu halten – nicht immer erfüllt sie einen und bringt einen voran. Der Philosoph Frithjof Bergmann beschreibt sie als „milde Krankheit, als etwas, das man überlebt.“34 So hangelt sich der Beschäftigte von Arbeitstag zu Arbeitstag: Verflucht die Montage, feiert an Mittwochen Bergfeste und vergöttert die Freitage, weil sie den Weg ins Wochenende ebnen. Der Mensch zeichnet sich aber nun mal durch sein Handeln aus. Wird er darin beschränkt, fehlt ihm ein wichtiger Baustein, um sich selbst verwirklichen zu können. Wenn er den Sinn seiner Arbeit nicht mehr überschauen kann, sie ihm nutzlos erscheint, dann fühlt er sich entweder überfordert oder unterfordert. Den modernen Ausgleich zu körperlicher Betätigung versucht er im Fitnessstudio oder im Freizeitsport zu finden. Wenn er auch nichts mit den Händen herstellt, so kann er doch wenigstens den eigenen Körper formen.

„Naturwissenschaft und Technikentwicklung waren bis ins 19. Jahrhundert nicht vom Handwerk zu trennen. Handwerk bedeutete Wissen und Können und verfügte damit über Macht. Wissenschaft entstand in den Köpfen und Werkstätten von HandwerkerInnen, die aus Fehlern lernten und mit ihrem Können experimentierten.“31 Durch die Industrielle Revolution gewannen Banken und Politik zunehmend an Einfluss auf die Bevölkerung und Wirtschaftskreisläufe. Der Bedarf nach Produkten war gestiegen und Unternehmer erkannten, dass sich durch unbegrenzte Stückzahlen wesentlich höhere Gewinne erzielen ließen und dass der einfache Fabrikarbeiter leichter zu kontrollieren war, als ein autarker Handwerker. Die Wissenschaft verselbstständigte sich mehr und mehr und wurde ein selbstständiger Zweig.

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Der Mensch braucht Sinn, daraus zieht er seine Motivation, er möchte gerne gute Arbeit leisten. Wenn er auf etwas Getanes stolz sein kann, dann gibt ihm das Kraft.

nehmer muss heute flexibel sein und dahin gehen, wo Arbeit zu finden ist. Wenn er sein Leben nur nach dieser Art von Arbeit ausrichten muss, ist es unmöglich zur Ruhe zu kommen, wirklich sesshaft zu werden, ruhigen Gewissens eine Familie zu gründen oder höhere Bedürfnisse zu entwickeln. Überlebenswichtig für die Könnerschaft im Handwerk ist die Kennerschaft. Nur wenn jemand die Arbeit eines Schaffenden zu schätzen weiß, ist er bereit, sie zu belohnen. Das Verständnis für Qualität ist über Jahrzehnte hinweg gesunken. Der Industrie dient das, aber es zerstört den Anspruch des Handwerks. Werbeslogans wie „Geiz ist geil“ bilden da nur die Spitze des Eisbergs. Es geht mehr und mehr um schöne Hüllen ohne Inhalt und um Markenfetischismus, das das Sozialprestige bedient. Wenn man hinter die glänzenden Fassaden der Großkonzerne blickt, erkennt man, dass es nur um schnelle Gewinne geht. Die eigentlichen Interessen des Menschen werden verschleiert und umgangen. Stattdessen erzeugt die Wirtschaft immer neue Bedürfnisse. Entweder bleiben sie für viele unerreichbar, wie der Wunsch nach dem perfekten Körper oder sie fördern eine soziale Abgrenzung. Ein Beispiel dafür ist das Tragen von Markenkleidung und dem damit verbundenem Kultstatus. Alles soll gut aussehen, aber schnell kaputt gehen. Diese Art der Wirtschaft gibt jede Verantwortung auf Nachhaltigkeit ab. Mittlerweile regen sich Stimmen, die sich von globaler Massenproduktion und billigen Wegwerfartikeln distanzieren, weil sie gemerkt haben, dass die Wirtschaft dem Menschen nicht mehr dient. Der ‚Aufstand der Massen gegen die Massenproduktion’ führt oftmals zu einer Rückbesinnung auf alte Handwerkstraditionen – hinter handgemachten Produkten verbirgt sich eine ganz andere Qualität. Hinzu kommt, dass der Konsument langsam beginnt zu erkennen, dass er Macht besitzt. Er kann steuern, was in den Supermarktregalen stehen soll. Nehme man nur einmal die ‚Bio-Welle‘ der letzten Jahre als Beispiel. Warum sollte der Verbraucher Äpfel aus Neuseeland kaufen, die einmal um den Globus verschifft wurden, wenn der Bauer um die Ecke ebenfalls Äpfel anbietet? Der Konsument muss anfangen, seinen Konsum zu hinterfragen, er muss darauf achten, welchen zusätzlichen Mehrwert der Kauf beinhaltet. Und falls es nur die Beruhigung des schlechten Gewissens ist, wenn er die ein Euro teureren Äpfel vom Biobauern kauft und damit die eigene Region fördert und den Bauern gerecht ent-

Motivation erzeugt der moderne Arbeitgeber heute auf zwei Wegen: „Das eine ist der moralische Imperativ, für das Wohl der Gemeinschaft zu arbeiten. Das zweite Rezept verweist auf den Wettbewerb. Es unterstellt, dass der Wettbewerb mit anderen dazu motiviere, eine gute Leistung zu bringen, und verspricht statt des Zusammenhalts der Gemeinschaft individuelle Belohnungen. Beide Rezepte haben sich als unsicher erwiesen. In nackter Form dient keines von beiden dem handwerklichen Streben nach Qualität.“35 Die ‚Maslowsche Bedürfnispyramide‘ zeigt dagegen, was für den Menschen wirklich zählt: Die unterste Stufe stellt die Befriedigung körperlicher Grundbedürfnisse dar, wie Nahrung, Schlaf, Kleidung oder Wohnraum. Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, strebt er die nächst höhere Stufe an: Sicherheit. Er möchte sich aufgehoben und beschützt fühlen. Danach möchte er soziale Bedürfnisse stillen. Wenn auch das erfolgt ist, will er Anerkennung, Respekt und Wertschätzung erfahren. Erst an der Spitze der Pyramide steht die Selbstverwirklichung. Der Handwerker ist frei, von keinem Arbeitgeber abhängig und schafft sich sein eigenes Arbeitsklima. Ihm gelingt es wesentlich leichter, bis an die Spitze der Bedürfnispyramide vorzustoßen, als einem Angestellten. Der muss manchmal miserable Arbeitsbedingungen, niedrige Löhne, fehlende Wertschätzung oder die ständige Angst um den Job ertragen. Das soll nicht heißen, dass dem Handwerker ein sorgenfreies Leben vergönnt ist und er das Maß aller Dinge ist. Auch seine Laufbahn ist nicht immer erfolgreich. Er kann genauso scheitern und unter schlechten Marktbedingungen sein Dasein fristen. Als Selbstständiger ist er zwar freier, gleichzeitig trägt er aber auch die Verantwortung für seine wirtschaftliche Existenz mit allen Konsequenzen. Wenn die Bedingungen es zulassen und er sein Handwerk erfolgreich ausführen kann, dann verläuft sein Arbeitsleben meist linear, d.h. er verbringt seine Laufbahn in einem Beruf und ist damit zufrieden. Der Begriff ‚Job‘ spricht schon dafür, dass ein Angestellter ihn nicht über einen längeren Zeitraum macht, sondern von einem zum anderen Job wechselt. Der Arbeit-

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lohnt. Der Gemeinschaftssinn wird so gestärkt. Das Prinzip ‚Jeder ist sich selbst der Nächste‘ wird in der Wirtschaft noch zu oft vorgelebt.

Wirtschaftsordnung ist. Wer kauft dann noch die Billigprodukte? In Handwerksprodukten findet sich dagegen die gesuchte Beständigkeit. Sie können individuell auf Kundenwünsche zugeschnitten sein. Damit haben sie einen höheren Wert für den Konsumenten. Er ist dadurch bereit, mehr zu bezahlen, wenn er dafür ein ‚echtes‘ Qualitätsprodukt bekommt. Dieses muss nicht mit teuren Kampagnen beworben werden, der Unterschied zu Massenware ist erkennbar. Mit dem wachsenden Interesse für diese Produkte müssen entsprechende Voraussetzungen geschaffen werden, die eine Reproduktion ermöglichen, um den Bedarf zu befriedigen. Das mag anders aussehen als die altbekannte Massenfertigung von einst. Der moderne Handwerker ist offen für derartige Neuerungen. Die ‚Manufaktur‘ erlebt beispielsweise im Moment ein Comeback. „Historisch gesehen war die Manufaktur ein Bindeglied zwischen der mittelalterlichen Werkstatt und der modernen Fabrik, und es kamen darin auch Maschinen und mechanische Arbeitsteilung zum Einsatz, wenn auch keine Fließbänder. [...] Das Label Manufaktur ist zum Indikator nachhaltiger und wertiger Produktion in kleiner Stückzahl geworden.“38 Einen Markt für handwerkliche Produkte hat es schon immer gegeben. Nun nimmt auch das breite Interesse wieder zu. Der Wunsch nach Individualität wächst. Wenn er ausschlaggebend für alltägliche Kaufentscheidungen wird, dann ist Massenproduktion in ihrer alten Begrifflichkeit überflüssig. Dann schwinden die Skalenvorteile der industriellen Fertigung. Genau an diesem Punkt brauchen die Menschen gute Handwerker, die deren ‚wahre‘ Bedürfnisse umsetzen können.

Die Autoren Holm Friebe und Thomas Ramge haben sich in ihrem Buch ‚Marke Eigenbau‘ mit der neuen Wirtschaftsmacht jenseits der alten Massenproduktion genauer befasst. „Eine Reihe von technologischen, wirtschaftlichen und sozialen Trends, die fast alle im Zusammenhang mit dem Internet stehen oder durch die Digitalisierung verstärkt werden, deuten in eine Richtung: Diesmal steht das System der Massenproduktion wirklich zur Disposition.“36 Tatsächlich gibt es jetzt schon einige erfolgreiche Unternehmen, die wieder den Menschen in den Mittelpunkt wirtschaftlichen Denkens stellen. Noch gibt es keinen verbindlichen Namen für sie, manche sagen dazu ‚Wikinomics‘, abgeleitet von der Mitmachidee ‚Wikipedias‘ oder sie werden als ‚Peer Production‘ bezeichnet, weil sich der ein oder andere an ‚Peer-to-Peer-Netzwerke‘ erinnert fühlt. Wikipedia, welches sich aus Artikeln verschiedener Autoren zusammensetzt, belegt, dass die ‚Weisheit der Vielen‘ eine Qualität produziert, an die kein Lexikon heran kommt. So kann davon ausgegangen werden, dass dieses Prinzip auch auf anderen Gebieten einen Siegeszug antreten wird. „Die Zukunft des Digitalen liegt wiederum im Analogen und damit auch im Handwerk.“37, sagt auch Christine Ax in ihrem Buch ‚Die Könnensgesellschaft‘. Sie ist ebenfalls der Auffassung, dass die Massenproduktion ihren Zenit überschritten hat und in ihrer jetzigen Struktur nicht mehr lange funktionieren wird. Ein Blick auf die Konsumgesellschaft genügt, um diesen Umstand zu erkennen. Die Märkte der westlichen Industrienationen sind zum größten Teil mit Gütern des täglichen Bedarfs mehr als gesättigt. Es werden nur Variationen von Variationen eines Produkts auf den Markt geschleudert, mit einer bewusst kurzen Lebensdauer. Es soll und muss kaputt gehen, damit ein Neues gekauft werden kann. Die Qualität sinkt mit steigender Quantität – der Preis wird so niedrig gehalten. Solange die Nachfrage der Schwellenländer noch nicht gesättigt ist, mag Quantität an die Stelle von Qualität treten. Spätestens aber, wenn der Nachholbedarf getilgt ist, wird es schwierig für das unaufhörliche Wachstum, was Voraussetzung für die bestehende

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2.7. Qualität und Kennerschaft

Zu Beginn der Industrialisierung galt Handwerksarbeit als hochwertig, der Mensch pflegte meist ein persönliches Verhältnis zu dem jeweiligen Handwerker, der für ihn individuelle Produkte fertigte. Er wusste um die Langlebigkeit und konnte sich auf die Arbeit des Handwerkers verlassen. „Die Maschine führte ein neues Element in das Verhältnis zwischen Quantität und Qualität ein. Zum ersten Mal in der Geschichte weckte die schiere Masse gleichförmiger Objekte die Sorge, die Überfülle könne die Sinne abstumpfen und die uniforme Vollkommenheit der maschinell erzeugten Güter löse möglicherweise keine Resonanz und keine persönliche Reaktion aus.“39 Produkte aus den Fabriken galten vielen als Ramsch, nur durch den Preis konnten sie sich allmählich durchsetzen. Die geschickten Fabrikbesitzer und Erfinder reagierten kreativ auf die Kundenwünsche und brachten die Industrielle Revolution weiter voran. Qualität entsteht also aus einem Zusammenspiel beider Gruppen. Qualität von vor 100 Jahren wird heute anders wahrgenommen. Sie ist im ständigen Wandel begriffen. Sie verändert sich, passt sich wieder an, unterliegt der Kreativität und neuen Einflüssen.

„Wir leben in einer Gesellschaft, die von allem den Preis kennt und von nichts den Wert.“ (frei nach Oscar Wilde) Der Begriff Qualität leitet sich aus dem lateinischen ‚qualitas‘ her, was so viel bedeutet wie Beschaffenheit, Eigenschaft, Merkmal oder Zustand. Man kann sie unter drei verschiedenen Gesichtspunkten betrachten. Entweder beinhaltet ein Produkt eine gewisse Qualität, z.B. durch die Zusammensetzung der Inhaltsstoffe oder es geht bei der Verwendung dieses Begriffes um die Prozesse der Herstellung und Weiterbehandlung, die diese Wertigkeit ergeben. Eine weitere Betrachtungsweise zeigt sich in dem Begriff der ‚Beschauqualität‘, d.h. die Hülle wirkt hochwertig, während der Inhalt von minderer Beschaffenheit sein kann. Qualität sagt nicht, ob etwas gut oder schlecht ist. Diese Beurteilung erfolgt erst während der Nutzung endgültig. Heute wird der Qualitätsbegriff oft als Gütesiegel verkauft, er funktioniert dann eher wie eine Art Garantiebekundung und gibt dem Verbraucher Sicherheit, sich für etwas ‚Gutes‘ entschieden zu haben. Eigentlich ist sie aber nur ein Mittel zur Unterscheidung zwischen gleichartigen Produkten. Damals fiel dem Verbraucher diese Differenzierung leichter, er konnte sie in hohem Maße selbst vornehmen, er war ein Kenner und nicht auf das Urteil anderer angewiesen, so wie es ihm heute suggeriert wird. Er war selbst in der Lage Qualität zu sehen, zu hören oder zu spüren. Es ist einfacher, diese Aufgabe abzugeben. Aber dadurch verliert der Konsument die Bewertung seiner Umwelt als Kompetenz. Er gerät in eine Abhängigkeit, wird verunsichert und verliert das Vertrauen in die Versprechen, die nach dem Kauf nicht erfüllt werden können. Je häufiger das passiert, desto eher tendiert er dazu lieber ‚Billiges‘ statt ‚Gutes‘ zu kaufen. Von den Fehlern, die heute im Qualitätsdenken gemacht werden, profitieren die ‚Geiz-istgeil-Akteure‘ am meisten. Zudem fehlt oftmals der Dialog zwischen Hersteller und Konsument. Der Konsument legt sein Urteil in die Hände der Firmen, die Firmen aber fragen den Konsumenten nicht mehr nach seinen Wünschen. Jeder lebt in seiner eigenen Welt, aber alle reden von guter Qualität.

Es gibt ein schönes indisches Sprichwort: „War es teuer, weinst du einmal. War es günstig weinst du immer weiter.“ Für das Bewusstsein ist es wichtig zu verstehen, dass für wenig Geld auch nicht viel zu bekommen ist und es wesentlich mehr Nerven kostet, als wenn gleich etwas Vernünftiges gekauft und dafür tiefer in die Tasche gegriffen wird. Geiz ist doch nicht so geil. Schon gar nicht unter der Erkenntnis, wie viel er zerstört – weltweit. In Deutschland zeigen sich die Folgen dadurch, dass Arbeitsplätze bedroht sind, Löhne sinken und sich immer mehr Menschen keine Qualität mehr leisten können, weil sie schlicht nicht mehr bezahlbar ist – sie müssen billig einkaufen – so dreht sich das Rad immer weiter. Aber jene Konsumenten, die es noch in der Hand haben, müssen aktiv werden. Sie müssen die richtigen Entscheidungen treffen, sie müssen aber auch sagen, was sie möchten und sich in den Kreativitätsprozess einbringen.

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2.8. Aussterbende Berufe

Ähnlich sieht auch die Idealvorstellung der Autoren Holm Friebe, Thomas Ramge aus: „Den Ausbeutungsverhältnissen einer globalisierten Industrieproduktion setzen wir die Vision einer nachhaltigen Produktion hochwertiger Produkte zu fairen Preisen entgegen, die den Wert menschlicher Arbeit und die Würde des Produzenten anerkennt; Produkte, die gekauft werden von Verbrauchern, die Konsum als strategische Entscheidung verstehen.“40 Konsum soll wieder Sinn machen. Die Überfluss- und Wegwerfgesellschaft hat diesen Sinn nicht. Diese Welt desensibilisiert die Menschen – alles ist schnell und einfach verfügbar; sie kaufen Potential, das sie gar nicht brauchen; die Nutzungsdauer ist eher kurz, da es ständig kleine Neuerungen und Verbesserungen auf dem Markt zu finden gibt. Quantität vermischt sich mit Qualität. Die Verbraucher wissen den Wert einer Sache nicht mehr zu schätzen. Es sind nur noch tote Dinge. Außerdem wird suggeriert, der Mensch würde glücklicher und zufriedener werden, wenn er dieses oder jenes Produkt kauft. Dieses Versprechen kann nie gehalten werden, da diese Bedürfnisse künstlich generiert werden. Die ‚Maslowsche Pyramide‘ hat gezeigt, dass gar nicht so viel nötig ist, um glücklich zu sein.

„Wer die Vergangenheit vergisst, verdammt sich dazu, noch einmal von vorn zu beginnen.“ (Volksmund) Ohne Zweifel gab es im Laufe der Geschichte immer wieder Neuerungen, die bestimmte Arbeitsschritte oder ganze Berufe überflüssig machten. Das mag zu Arbeitserleichterungen, zu Zeit- und Kosteneinsparungen geführt haben; in jedem Fall gehen die alten Praktiken aber irgendwann verloren. Je mehr dem Menschen Dinge oder Arbeitsweisen abhanden kommen, desto skurriler muten sie an und werden dadurch wieder interessant für uns. Man beginnt den Wert dahinter zu erkennen und den Sinn der Bewahrung für kommende Generationen. Museen und Heimatkundestuben entstehen, weil sie Anschauungsmaterial über vergangene Epochen liefern. Der Mensch kann Werte erst nach einem längeren Zeitraum erkennen. Was gerade erst vergangen ist, blendet er aus und richtet den Blick nach vorn auf das, was gerade erst neu angebrochen ist. Es war z.B. nur eine Frage der Zeit, bis der Trabant unter den Begriff ‚Oldtimer‘ fiel – direkt nach der Wende war das sicher noch unvorstellbar. Diese Denkweise kann auf ganz viele Beispiele übertragen werden. Manche davon mögen banal erscheinen, trotzdem tragen all die kleinen Fragmente dazu bei, Kulturen eine Identität zu geben. So auch bei Berufen. Es gibt vier Typen, die in verschiedener Weise dem Lauf der Zeit unterliegen, besonders deutlich im Handwerk: Typ 1: Diese Handwerkszweige wurden durch die industrielle Massenproduktion verdrängt und weitgehend abgelöst. Sie konnten mit ihrer Arbeit nicht mehr genug verdienen und mussten ihre Werkstätten schließen. Die Räumlichkeiten wurden umfunktioniert, standen leer oder wurden abgerissen. Typ 2: Als das Alte Handwerk nicht mehr gefragt war, wandelten sich die Aufgabengebiete der Handwerker in ihren Werkstätten. Sie arbeiteten teilweise auf ähnlichem Gebiet weiter oder wechselten in andere Branchen. Typ 3: Diese Betriebe konnten sich an moderne Gegebenheiten anpassen. Sie rüsteten ihren Maschinenpark auf oder suchten sich eine Nische durch Spezialisierung.

„Das Prinzip [der Marketingstrategien der] Industrie zerstört Menschen und Beziehungen zwischen ihnen und schafft keine echten Werte.“41 Geschichten von echten Menschen dagegen, die auf ganz besondere Weise ein Produkt herstellen, bieten diesen fehlenden Mehrwert. Sie sprechen den Konsumenten nicht von Werbetafeln mit blütenweißem Lächeln an. Sie sind authentisch und dadurch interessanter. So agiert auch die ‚Slow-Food-Bewegung‘. Sie setzt auf Nachhaltigkeit, auf Entfaltung der Sinne und echte Werte, die auf Kennerschaft und Könnerschaft beruhen und besinnt sich auf Grundsätze des handwerklichen Verständnisses. Der Qualitätsgedanke kann so zu neuer Blüte gelangen.

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Dadurch entsteht Druck, es bietet aber auch Chancen. Der Austausch verschiedener Generationen im Handwerk ist demnach wichtig und förderlich.

Typ 4: Durch den technologischen Fortschritt wurden nicht nur alte Handwerke abgelöst, sondern es entstanden ebenso völlig neue Betätigungsfelder und Berufe.

Doch trotz aller Bemühungen sterben Handwerke und gehen verloren. Wie bereits angedeutet, ist es schwierig, sie für die Nachwelt zu konservieren. Das funktioniert nur über Objekte, über Fotografien, Erzählungen oder Anleitungen. Wirklich erlebbar wird das Handwerk dadurch allerdings nicht. Es kann nur lückenhaft wiedergegeben werden und so nur einen Teil seines Zaubers entfalten. Der Außenstehende kann eine Ahnung bekommen, verstehen kann er es nur, wenn er selbst aktiv wird und sich in einem Handwerk ausprobiert oder Handwerker trifft, denen er über die Schulter schauen darf. Es sieht oft leichter aus, als es ist. Berufe verschwinden nicht nur, ein ganz spezieller Typ Mensch geht verloren. Die Arbeit zeigt sich an den Händen, im Gesicht und im Verhalten des Handwerkers. Werkstätten werden ebenfalls nutzlos, ohne den darin arbeitenden Menschen. Dörfer verlieren ihre Lebendigkeit, wenn sie nur noch dem ‚Neben-einander-wohnen‘ dienen. Dörfliche Kultur, ja ganz allgemeines Kulturgut, gerät in Vergessenheit. Was innerhalb mehrerer Jahrhunderte oder Jahrtausende entstanden ist und lange gebraucht hat, um zur völligen Reife zu gelangen, scheint innerhalb kurzer Zeit nahezu auszusterben.

Bestimmte Branchen – z.B. das Baugewerbe mit Handwerksberufen, wie den Zimmerleuten, den Maurern oder den Elektrikern, waren seit jeher gut aufgestellt. Andere Bereiche des Handwerks hatten eine wechselvollere Geschichte zu verzeichnen. Selbst Betriebe, die sich dem rasanten Modernisierungstempo anpassen konnten, haben es mitunter schwer. Besonders traditionelle Handwerkszweige. So gelten viele Gewerke bereits als selten oder sind mittlerweile vom Aussterben bedroht. Das liegt zum einen an der Streichung von Berufsbildern aus der Handwerkerrolle und zum anderen an der oft schweren körperlichen Arbeit, an hohen Arbeitszeiten oder an niedrigen Löhnen. Die alten Meister nehmen das in Kauf, weil sie es nicht anders kannten und den Wert für sich und ihre Arbeit zu schätzen wussten. Berufsinteressenten entstammen einer anderen Generation. Sie haben mehr Alternativen für ihre Ausbildung und achten mehr auf die Verdienstchancen. Daher fehlt es an Nachwuchs an allen Ecken und Enden. Eine ganz andere Sache ist, ob die Bewerber die entsprechenden Voraussetzungen erfüllen. Die motorischen Fähigkeiten verschlechtern sich zusehends, wie bereits bei Kindern im Schulsport zu sehen ist. Die wenigsten bekommen noch einen Purzelbaum oder Handstand hin – das ist erschreckend. Gerade die Langsamkeit im Handwerk setzt von vorn herein viel Feingefühl, Geduld und Durchhaltevermögen voraus. In einer Welt, in der alles immer schneller geht und schnelle Erfolge zählen, wird es diese Denkweise zunehmend schwerer haben.

Lösungen zur Bewahrung sind ganz individueller Natur – einen allgemeingültigen Rettungsplan gibt es nicht, weil nicht überall das Bewusstsein dafür da ist. Und selbst wenn man um den Wert des alten Handwerks weiß, sind die Möglichkeiten einer Rettung begrenzt. Die Zeit und der Fortschritt sind keine Feinde in dem Sinne, sie ermöglichen es dem Menschen sich zu verbessern und neue Wege zu gehen.

Viele Familienbetriebe versuchen sich deshalb immer noch aus dem eigenen Nachwuchs zu rekrutieren. Das hat den Vorteil, dass die Kinder bereits in das Handwerk hinein wachsen, so wie es früher auch schon üblich war. Sie erleben dann keine bösen Überraschungen. So hofft die ältere Generation, den Handwerksbetrieb an die Jüngeren abgeben zu können. Die Bindung innerhalb einer solchen Handwerksfamilie ist sehr stark, auch gegenüber dem ausgeübten Beruf. Niemand will derjenige in der Familie sein, bei dem diese Tradition endet.

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3. GESTALTERISCHES KONZEPT UND UMSETZUNG 3.1. Ideenfindung Ausgehend von den, im zweiten Teil meiner Arbeit dargestellten Ergebnissen meiner Recherche begann ich, mir Gedanken zu einem Konzept für die fotografische Arbeit zu machen. Das Mittel der Fotografie hatte ich mir von vornherein ausgewählt, jedoch konnte es nicht mein Ziel sein, handwerkliche Arbeit mit dieser Darstellungsform hinreichend wiederzugeben. Es konnte nur ein Ausschnitt sein, den ich zeigen würde – eine Ahnung von dem, was Könnerschaft für die menschliche Natur bedeutet. So suchte ich nach den elementaren Dingen, die das Handwerk auszeichneten: Den Handwerker selbst, seine Hände als wichtigstes Werkzeug und seine Werkstatt als Lebens- und Arbeitsraum. Darüber hinaus wollte ich jene Handwerkszweige aufspüren, die in unserer modernen Welt selten geworden, oder gar vom Aussterben bedroht sind. Geografisch nahm ich mir meine Heimat (Thüringen) vor, da ich nicht zuletzt selbst erfahren wollte, welche Handwerke einst die Landschaften und Kultur geprägt haben und immer noch prägen.

Ich wollte nicht die Arbeitsweise dokumentieren, sondern war eher an den Oberflächen und Strukturen interessiert und dem, was man daraus ablesen kann. Es sollte möglichst interpretierbar und relativ neutral bleiben – eine reine Dokumentation von dem, was vor mir liegen würde. Es war ebenfalls klar für mich, dass ich eine Serie von verschiedenen Handwerkern zusammentrage, um die Vielfältigkeit des Handwerks zumindest in einem Ausschnitt zu belegen. Damit die Serie als solche funktionieren kann, brauchte ich klare Vorgaben über Bildaufbau und Motivauswahl, die ich mir selbst erarbeitete, ausgehend von dem, was das Foto transportieren soll.

Wie ich während meiner Recherche feststellte, gab es schon einige bebilderte Publikationen zum Thema seltenes oder altes Handwerk. Nennenswert ist vor allem das Buch ‚Seltenes Handwerk‘ von Albrecht Börner, mit Fotografien von Roger Melis. All diesen Büchern lag die Gemeinsamkeit zu Grunde, dass sie den Herstellungsprozess in ausgesuchten Fotografien zeigten. Es wurden jeweils die Momente der Arbeit dokumentiert, die entscheidend für die Herstellung waren. Man könnte die Bilder mit denen von Henri Cartier-Bresson vergleichen, der auf der Suche nach dem ‚entscheidenden Augenblick‘ war. Trotz alledem kann Fotografie meist nur eine Bewegung einfrieren, sie kann sie nicht in ihrer Komplexität zeigen. Selbst die Methodik der Langzeitbelichtung bringt hier nicht den gewünschten Erfolg. Die Entscheidung, Zugang auf einen anderen Weg zu finden, kam für mich daher sehr schnell.

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3.2. Konzept Ich möchte in meiner Arbeit den Handwerker und seinen Lebensraum authentisch wiedergeben. Der Betrachter soll sich auf eine kleine Reise in die Arbeitswelten des handwerklich arbeitenden Menschen begeben und einen Einblick erhalten. Er soll eine Ahnung bekommen von der Wertigkeit der gefertigten Produkte und der Herangehensweise des Handwerkers an seine Arbeit. Die Fotos versprühen eine derbe Poesie, mögen vielleicht auf den ein oder anderen auch ein wenig romantisch wirken – in jedem Fall vermitteln sie eine Ahnung von dem, was mit unseren Händen seit Jahrtausenden möglich war und selbst in unserer modernen Welt noch möglich ist oder wieder möglich werden kann. Die Fotografien können als Anker in einer immer schneller und komplizierter werdenden Welt verstanden werden. Arbeit bekommt hier Sinn, sie wird nicht als Last empfunden, sondern eher als Tätigkeit, als Bewegung, die dem Menschen zu Sicherheit, Selbstbestimmtheit und zu einem selbstbewussten Leben verhilft. Es ist wichtig, sie im kulturellen Bewusstsein zu behalten und ihren Wert zu erkennen, um sie so zu bewahren. Anhand der seltenen bzw. aussterbenden Berufe wird diese zerbrechliche Welt des Handwerks besonders deutlich hervorgehoben. Der Blick in die Zukunft, auf neue Technologien ist wichtig und unerlässlich, genauso wie unsere kulturelle Vergangenheit. Denn erst durch ihre Wertschätzung können wir erkennen, wo wir heute stehen und dementsprechend handeln.

Abb.: Detailfoto der Hand, Portrait des Handwerkers

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3.3. Umsetzung

Anhäufung von Arbeitsmaterialien – ein stilles Zeugnis von dem, was einmal war. Mit dem Handwerker im Zentrum bekommt das Bild dagegen etwas Erhabenes und in-sich-ruhendes. So als würde er dem Betrachter für einen Moment erlauben, ihn in seiner Werkstatt zu besuchen. Man kann sich unter seiner Aufsicht umsehen und allerlei Dinge entdecken. Durch den immer leicht unter der Augenhöhe des Handwerkers gewählten Betrachterstandpunkt wird eine gewisse Unterlegenheit erzeugt. Gleichzeitig werden so die Könnerschaft und der Stolz des Portraitierten auf seine Arbeit herausgehoben. Manchmal ist der Blick direkt in die Kamera gerichtet, manchmal wirkt er tief versunken, wirkt selbstbewusst oder der Handwerker schaut aus dem Fenster. Diese Unterschiedlichkeit soll den jeweiligen Charakter der Person unterstreichen. Der eine ist von Natur aus eher bescheiden und zurückhaltend, der andere kann begeistert Geschichten über sein Arbeitsleben erzählen. So wie bei jedem Menschen kann auch der Handwerker nicht in eine Schublade einsortiert werden, die seinen Typus mustergültig verkörpert. Um diesen Eindruck zu verstärken, sind bei jedem Handwerker Interviews entstanden, die uns nochmal einen tieferen Einblick in die Arbeits- und Denkweise ermöglichen. Die Fragen ähneln sich, damit man die Aussagen auch untereinander vergleichen kann. Manche Antworten waren wirklich verblüffend ähnlich, gerade wenn es darum ging, was den Handwerkern an ihrer Arbeit gefällt oder wie sie sich ihren Lebensabend vorstellen.

Exemplarisch stelle ich in meiner Arbeit 15 verschiedene Handwerksberufe dokumentarisch vor: Die Blaudruckerin, den Formstecher, den Gerber, den Glasschleifer, den Leitermacher, den Kürschner, den Büchsenmacher, den Medailleur, den Stockmacher, den Zangenschlosser, den Holzblasinstrumentenbauer, den Messerschmied, den Kamera-Reparateur, den Senfmüller und den Glasbläser. Für mich stehen weniger technische Abläufe im Mittelpunkt meines Interesses, als vielmehr der darin arbeitende Mensch mit seiner für ihn typischen Umgebung. So entschied ich mich zum einen für ein Detailfoto der Hände (Abb.), die ihr Produkt halten oder es gerade herstellen. Wie bereits erwähnt, ging es mir nicht um die Bewegung der Hände, sondern um die Oberfläche – um Spuren der Handarbeit an den Händen. Wenn man die entstandenen Fotos vergleichend nebeneinander hält, kann man sehen, wie unterschiedlich die Hände in ihrer Beschaffenheit ausgeprägt sind. Das liegt zum einen natürlich an ihrer individuellen Anatomie, was Größe und Form betrifft; es lassen sich aber auch Rückschlüsse auf die Art der Arbeit ziehen. So sind die Finger des Kürschners sehr fleischig, da er viel Kraft in sie legen muss, um Felle oder Leder zuzuschneiden – er führt überwiegend sehr grobe Arbeitsgänge aus. Dagegen sind die Hände des Holzblasinstrumentenbauers ausgerichtet auf filigrane Arbeiten. Die Hände des Stockmachers sind verfärbt durch die Gerbsäure, die Fingerkuppe des Leitermachers ging während seines Arbeitslebens durch einen Unfall verloren. Wir erfahren also eine Geschichte zu den jeweiligen Händen, wir sehen welches Produkt sie herstellen und haben eine Ahnung davon, was sie leisten können. Sie haben für uns die Anmutung von Fleisch gewordenen Werkzeugen – es sind ‚denkende Hände‘.

Alle Fotografien sind im Querformat aufgenommen, da so, gerade beim Portrait in der Werkstatt, mehr Details des Arbeitsraumes eingefangen werden konnten und es damit eine Sichtebene auf die Dinge und die Person gibt. Bei den Fotos der Hände entschied ich mich ebenfalls durchgängig für dieses Format, da die Grundform der Hände bereits ein Rechteck bildet. Diese Herangehensweise war außerdem vorteilhaft, da meist beide Hände zu sehen sind, die auf einer Schärfeebene liegen sollten. Im Hochformat wäre dies technisch wesentlich schwieriger gewesen. Durch die Verwendung des Querformates ist es mir zusätzlich möglich, die Arbeit – gerade im Hinblick auf eine Ausstellung – auf unterschiedliche Weise zu kombinieren.

Das zweite Foto zeigt den Handwerker in seiner Werkstatt (Abb.). Er ist bewusst in die Mitte des Bildes gerückt, weil er buchstäblich der Mittelpunkt dieser Werkstatt ist und ihr Leben einhaucht. Ohne ihn wäre die Werkstatt nur ein Raum mit einer

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Um den Eindruck der untrennbaren Zusammengehörigkeit zu verstärken, wählte ich trotz der digitalen Arbeitsweise die Schwarz-Weiß-Fotografie. Farben wären zum einen interpretierbar gewesen und hätten den Blick auf bestimmte Punkte im Bild gelenkt, die ich nur mäßig hätte beeinflussen können. Durch die Fülle an Bildinformationen aus Vordergrund und Hintergrund kann erst durch die farbreduzierte Wiedergabe ein Verschmelzen der Elemente eintreten. Der Handwerker und seine Werkstatt sind eins. Der Wechsel der Hell-Dunkelwerte erzeugt Harmonie und Rhythmus. Außerdem wirken die Fotos ruhiger und in sich geschlossen. Es soll keinesfalls vordergründig auf Trauer und Tod mit dieser Entscheidung zu Schwarz-Weiß angesprochen werden, vielmehr stehen die Fotos in der Tradition zur Geschichte der Dokumentarfotografie, die nun mal überwiegend in Schwarz-Weiß abgebildet wurde. An dieser Stelle sei einmal der Fotograf August Sander erwähnt, der zu Beginn des letzten Jahrhunderts u.a. Berufsgruppen in einer großangelegten Portraitsserie namens ‚Menschen des 20. Jahrhunderts‘ zeigte. Seine Fotos entstanden in der für den Menschen typischen Umgebung mit charakteristischer Kleidung oder berufsspezifischen Attributen. Auch bei ihm stand der Mensch schnörkellos im Vordergrund. Sander gilt als einer der bedeutendsten deutschen Fotografen der frühen Dokumentarfotografie. Diese Art der Fotografie steht in meinem Verständnis für das unbedingte Interesse am Menschen, an Objekten oder an Prozessen. Sie rückt Dinge in den Vordergrund, stellt sie heraus und zeigt Zusammenhänge auf. Durch ihre meist ruhige Bildsprache entschleunigt sie unsere reizüberflutete, rasant voranschreitende Zeit und lässt den Betrachter dadurch in vielleicht bekannte, aber so noch nie wahrgenommene Welten eintauchen. Natürlich kann die Dokumentarfotografie auch in politischem Kontext gesehen werden, wie z.B. Bilder von James Nachtwey belegen oder wie im Falle von Nick Ut, dessen Vietnamfotos ein ganzes Volk gegen den Krieg mobilisieren konnten. Dort sind es meist Momentaufnahmen, die das Geschehen ablichten und bewerten. Für meine Portraitserie war es dagegen unumgänglich, vorher ein Gespräch zu führen und sich Zeit zu nehmen, so dass der Handwerker Vertrauen fassen konnte und sich während der Aufnahmen authentisch gab.

Zur technischen Seite noch ein paar Worte: Die Aufnahmen sind alle digital, mit einer Canon 5D Mark I aufgenommen. Je nachdem wie viel Platz mir die Werkstatt bot, verwendete ich ein Weitwinkel- oder ein 35mm-Objektiv. Für die Detailfotos der Hände kam ein 50mm-Objektiv zum Einsatz, da hier der Bildausschnitt sehr eng von mir gewählt wurde. Ich arbeitete mit unterschiedlichen ISO-Werten, je nachdem, welche Helligkeit in der Werkstatt vorhanden war. In einigen seltenen Fällen setzte ich zusätzlich einen Reflektor oder indirekten Blitz ein. Mir war wichtig, mit vorhandenen Lichtquellen zu arbeiten, da ich so authentisch wie möglich den Arbeitsplatz abbilden wollte. Es soll nicht ‚überinszeniert‘ wirken.

3.4. Ausstellung Eine Ausstellung meiner Arbeit wünsche ich mir eher klassisch. Die Anordnung der Fotos kann auf verschiedene Weise erfolgen: Die beiden jeweils zusammengehörigen Fotos von Hand und Portrait könnten zusammenstehend gezeigt werden oder genauso gut könnte es eine Gegenüberstellung aller Portraitfotos zu den Fotos der Hände geben. Der Grundgedanke meiner Arbeit bliebe bei beiden Varianten erhalten. Womöglich erzeugen die Fotos der Hände für sich alleinstehend eine neue Spannung, da nicht von vorn herein vorgegeben ist, welche Hände zu welchem Handwerk gehören. Der Betrachter wird dazu animiert, selbst auf die Suche zu gehen.

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4. SCHLUSSBEMERKUNGEN

Handwerkliche Arbeit verlor in den vergangenen 150 Jahren in unserer Denk- und Lebensweise an Ansehen und Wertschätzung, gerade im Vergleich zur Massenproduktion. Ob es zum viel zitierten ‚Aufstand der Massen gegen die Massenproduktion‘ kommt, ist unklar. Trotzdem krankt das bestehende Wirtschaftsprinzip und stößt an seine Grenzen. Das liegt nicht unbedingt an der Massenfertigung selbst – die braucht es, um den Grundbedarf auch weiterhin zu befriedigen. Nur die damit verbundene unaufhörliche Steigerung der Produktion nimmt immer grausigere Züge an. Derzeit haben wir eine Überproduktion, die zu großen Teilen nicht an den eigentlichen Bedürfnissen der Verbraucher orientiert ist. Für manche Produkte finden sich sogar kaum Abnehmer. Unsere heutigen Strukturen zerstören zunehmend soziale und ökologische Gefüge und Interessen. Die Wirtschaft arbeitet heute eher gegen den Menschen als für ihn. Eine Rückbesinnung auf die Denkweise des Handwerks kann in diesem Zusammenhang nicht schaden. Die Arbeitsweise der Handwerker kann uns lehren, wie Arbeit sinnvoll gestaltet werden kann, wie nachhaltiges Wirtschaften funktioniert und wie qualitativ hochwertige Produkte erzeugt werden können, die von hohem Nutzwert sind. Gegenwärtig findet ein Wandel im Handwerk statt – es entstehen neue Wirtschaftszweige und damit Berufsfelder. Alte Handwerke, die nicht mehr vom Markt gebraucht werden, verschwinden langsam. Im Hinblick auf unsere Zukunft ist der Handwerker genauso wenig wegzudenken, wie der Wissensarbeiter.

Es wäre schön, wenn ich meinen Teil zu einer neuen Kennerschaft beitragen könnte. Die Schaffung einer Nachfrage nach bestimmten Produkten ist wahrscheinlich immer noch die wirksamste Methode, um seltenes Handwerk im kulturellen Gedächtnis zu behalten. Jeder der Handwerker löste in mir Faszination und Bewunderung aus, auch dadurch, dass sie auf mich sehr authentisch, bodenständig und ausgeglichen wirkten. Ich verspürte nach jedem Treffen eine innere Ruhe und großes Glück, sie kennengelernt zu haben und für einen Moment in ihre Welt eingetaucht zu sein. Ich hoffe, dass meine Fotos auch einen Teil meiner Gefühle transportieren können.

Mit meiner Arbeit möchte ich die Menschen anhalten, über diese Thematik nachzudenken und das alte Handwerk in neuem Licht zu betrachten. Ich möchte zeigen, wie wichtig es ist, unsere Kultur zu erhalten, zu pflegen und aus ihr für die Zukunft zu schöpfen. Der Betrachter soll sensibilisiert werden für seltene Handwerksberufe, die er so vielleicht vorher noch nicht kannte und bei ihm Interesse wecken.

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4. FOTOS UND INTERVIEWS

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Glasschleifer Wie sind Sie zu Ihrem Beruf gekommen?

gestalten konnte – nach meinen Vorstellungen, was man früher nicht konnte und durfte. Auch die ‘Arbeitsplätze der kurzen Wege‘ – man muss es so einteilen, dass ich nicht von A zu B lange Strecken laufe, eine kurze Arbeit mache und dann wieder zurück laufe. Es muss dann schon kontinuierlich sein. Ich muss verschiedene Arbeitsgänge kurz hintereinander machen können.

Die Glasindustrie war im Thüringer Wald angesiedelt, dort gab es alle Rohstoffe, Quarzsand und Energie, also Holzkohle. Auch Glashütten. Meine Eltern sind aus dem Sudentenland nach dem Krieg als Glasmacher auf der Suche nach Arbeit hier nach Thüringen gekommen. Nach den Glasmachern kamen die Glasschleifer – es gab genug Arbeit, weil alles nach dem Krieg am Boden war. So habe ich auch Hohlglasveredler gelernt. Wenn ich die Möglichkeit gehabt hätte, wäre ich nicht Glasschleifer geworden. Ich war damals ein durchschnittlicher Schüler, konnte sehr gut malen. Ich war nicht dumm, aber ich hatte die Voraussetzungen nicht. Dann wollte ich mal Förster werden, aber dafür hätte ich auf die Oberschule gemusst und dafür waren meine Zensuren zu schlecht. Und so habe ich mich für Glasschleifer entschieden.

Was verstehen Sie unter dem Begriff ‚Qualität‘ bzw. ‚gute Arbeit‘? Die gute Arbeit ist Voraussetzung für kontinuierliche Arbeit. Wenn ich keine Qualitätsarbeit mache, dann kommt der Kunde eins, zwei Mal und dann sucht er sich einen anderen Betrieb oder ein anderes Land. Er allein bestimmt die Qualität. Also wenn ich gute Qualität mache und der Betrieb jahrelang besteht, dann ist die Qualität ok. Wenn du das nicht machst und der Kunde sagt: „Das gefällt mir nicht.“, bist du sowieso in einem halben Jahr weg vom Markt. Höchste Qualität ist das A und O. Der Kunde ist König.

Was gefällt Ihnen an Ihrem Beruf besonders? Die künstlerische Gestaltung. Und das mit der Zeit gehen – wenn etwas Neues verlangt wird, dann kann man das auch kreativ entwickeln. Gestaltung – und sich dadurch auch selbst eine Freude machen – aber letztendlich muss man Geld verdienen. Das bestimmen die Kunden, nicht ich. Aber wenn was Neues verlangt wird, ist es für mich sehr interessant und auch schön.

Was ist der Vorteil handwerklicher Produktion gegenüber industrieller Massenproduktion? Massenproduktion bestimmt auch der Kunde. Wenn man, speziell im Glas, etwas produziert, also Massenproduktion macht, dann ist es ein Wegwerf- oder ein Verschleißartikel. Wenn man solche Objekte gestaltet, wie ich es tue, die kauft man einmal im Leben und wenn sie nicht zerstört werden, dann bleiben sie stehen – dann sind das Erinnerungsstücke, die z.T. auch relativ teuer sind, die sich nicht jeder leisten kann. Das, was wir hier machen, ist im Glas eine kleine Nische und dafür gibt es auch einen Markt und dadurch können wir bestehen.

Was gefällt Ihnen nicht an Ihrem Beruf? Es ist eine ziemlich schwere Arbeit. Den ganzen Tag muss man sich konzentrieren auf die Arbeit, man muss auf eine Sache gucken, man kann nicht so richtig entspannen oder mal was anderes machen. Und am Ende des Tages kommen da ganz schöne Gewichte zusammen, wenn man schleift.

Was bedeutet Ihnen Ihre Werkstatt? Vor der Wende habe ich in einem sozialistischen Betrieb gearbeitet, da war ich Meister. An meiner Werkstatt gefällt mir, dass sie mir gehört, dass ich sie mir selbst

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Fehlt den Menschen, die nur mit dem Kopf und nicht mit den Händen arbeiten, etwas?

Denken Sie, dass Ihr Beruf aussterben wird? Im Beruf ist es so, wie im Leben – es geht mal bergauf und bergab. Menschen unterliegen einem Geschmack. Und wenn in der Mode spitze Schuhe gefragt sind, dann werden eben spitze Schuhe hergestellt. Erst in einem Betrieb, dann im Land, dann in Europa, dann weltweit – der Markt wird überschwemmt, bis der Markt gesättigt ist. Und dann kommt wieder was Neues und das bricht dann wieder zusammen. Es ist also ein Auf und ein Ab. Aussterben kann der Beruf deshalb nicht, weil immer eine Schicht da ist, die sich für diesen Beruf interessiert. Das sind keine Massen – die einen können sich das nicht leisten und andere wollen das auch gar nicht. Jeder hat einen anderen Geschmack. Wir haben eben eine Richtung der Glasverarbeitung, die einige Leute anspricht und deren Geschmack trifft. Wir arbeiten für eine Nische.

Denen fehlt einfach die Realität zum Leben. Jeder Mensch – ob Frau, ob Mann, ob jung, ob alt, ist bestrebt das Beste zu machen. Etwas, das er verkaufen kann, mit möglichst wenig Zeitaufwand – ein Produkt. Jeder Mensch will den Aufwand minimieren, das ist das Ziel. Und die Leute, die am Computer sitzen, die machen auch eine gute Arbeit – aber das will jeder. Aber es muss auch welche geben, die handwerkliche Arbeit machen, solange sie gefragt ist. Ob Dachdecker, Klemptner usw. – da gibt es keine Maschinen, die das können. Denn die Sachen, die wir machen sind individuell. In der Zukunft könnte es aber so sein, das es immer mehr hochintelligente Menschen geben wird und dann entsteht ein gewisser Konkurrenzkampf. Die, die Vorort handwerklich produzieren, das geht dann wahrscheinlich in die Pinsen – vielleicht, man muss vorsichtig sein. Vielleicht wird es auch gefragt sein. Ich hoffe nur, dass es gut geht.

Können Sie sich vorstellen, irgendwann völlig mit Ihrer handwerklichen Tätigkeit aufzuhören – z.B. ganz normaler Rentner zu sein? Das kann passieren, wenn man mal krank ist, aber ansonsten kann ich mir das nicht vorstellen. Wenn man rastet, dann rostet man. Und wenn man sich für nichts mehr interessiert und nur noch Fernsehen guckt und sich berieseln lässt von den Medien, die die Themen vorgeben, dann verkalkt man, dann wird man dumm im Kopf. Man muss sich informieren. Ich will mich nicht steuern lassen, ich will selber kreativ sein. Ich will Glas erfinden, ich will an der Maschine was verbessern. Wenn ich nicht mehr arbeite, verblöde ich und ich will noch nicht verblöden. Deshalb arbeite ich und weil es mir Spaß macht.

Wie kommen die Kunden zu Ihnen – werben Sie? Auf der Frankfurter Messe, bei einer internationalen Messe – Dubai, Naher Osten, Amerika, England – die kommen dort hin, kaufen zwar nicht in Masse, aber kaufen spezielle Sachen, die noch nicht so bekannt im Ausland sind. Es wird viel nachgemacht, die Dublikate in Fernost – unsere Produkte können die so noch nicht – das sind alles Unikate, jedes Stück ist anders. Wenn die soweit sind wie wir in dieser Richtung, dann müssen wir schon wieder was Neues machen. Und das ist dieser kleine Vorsprung, den wir versuchen zu halten. Andere rücken immer wieder nach. Das ist auch in Ordnung, das ist legitim, die sind dann auch billiger, weil die andere Stundenlöhne haben. Damit sind sie echte Konkurrenz. Man soll kollegial sein, man soll aber nicht immer alles verraten – das ist falsch. Man muss sich ein bisschen was erkämpfen, nicht immer nur abkupfern.

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Kürschner Wie sind Sie zu Ihrem Beruf gekommen?

Mitunter kommen die Töchter, haben von der Mutter eine Jacke, oder von der Oma und dann wird das abgeändert. Man kann es auseinandernehmen, kahle Stellen reparieren usw. – so ist das früher immer gemacht worden. Das war nicht so eine Wegwerfgesellschaft wie heutzutage. Gern hätte ich einen Nachfolger – mein Sohn hat aber keine richtige Lust darauf und ist von hier weg gegangen. Er arbeitet nun in einer anderen Branche.

Nicht jeder konnte damals in der DDR den Beruf erlernen, den er wollte. Ich wollte eigentlich in die Elektronikbranche – das ging nicht. Dann wollte ich Elektriker werden – das ging auch nicht, da waren genug Bewerber. Und dann hat meine Mutter, weil sie Pelze so liebte, bei ihrem Kürschner nachgefragt und er hat ihr Tipps gegeben, wo ich hingehen sollte und so ist das dann gekommen. Gefallen hat mir die ganze Geschichte nicht, der ganze Beruf hat mir nicht gefallen, aber man war halt untergebracht. 1969 habe ich in Weimar meinen Meister gemacht und selbstständig bin ich seit 33 Jahren. Damals waren wir in Erfurt 15 Betriebe, die sind alle nicht mehr da – jetzt bin ich noch der Einzige. So ist die Geschichte und nach mir ist dann Ruhe.

Der Beruf teilt sich ja in Kürschner und Pelznäher. Kürschner sind meistens Männer und Pelznäher sind Frauen gewesen. Der Kürschner bekam früher die Felle, hat Maß genommen und machte einen Schnitt für die Kundin – ich hab das auch ewig nicht mehr gemacht. Dann wurden die entsprechenden Felle sortiert und geschnitten. Danach wurde es aufgespannt, glatt gemacht und nach dem Schnittmuster abgeglichen. Anschließend ging es zur Näherin. Es kamen noch bestimmte Innenteile hinein, dann wurde es zusammengenäht, versäubert und am Ende gefüttert. Bei der Herstellung, z.B. für Kanin, konnten schon mal 30 Stunden hingehen. Zu DDR-Zeiten lief das alles prima. Nach der Wende gab es dann andere Sachen. Früher galt der Pelz auch nicht als Statussymbol, sondern war ein normales Kleidungsstück. Das war eben was. Und der hielt über Jahrzehnte – nicht wie heute: Kaufen und wegschmeißen. Und das ist eigentlich das Schöne an dem Beruf.

Gefällt Ihnen mittlerweile Ihr Beruf? Ja, später hat mir das auch Spaß gemacht. Nach der Wende ist dann die Lederbranche dazu gekommen – Lederjacken und solche Sachen. Leder ist ja nichts anderes als Pelz, nur eben ohne Haar. Das ging dann sehr gut, ist mittlerweile auch wieder rückläufig durch die Thermosachen, die nun getragen werden. Nach wie vor haben aber viele Leute Pelzjacken und so gibt es oft Reparaturen: Eingerissene Stellen, Reißverschlüsse wechseln. Man wird dicker, man wird dünner – sowas machen wir alles. Später haben wir dann noch mit Kopfbedeckungen angefangen. Das ist auch so eine Marktnische. Es gibt zwölf Hutgrößen und verschiedene Arten. Dann machen wir Handschuhe und nach wie vor Pelzmützen. Es muss nur kalt genug sein, wenn es das nicht ist, bleibt es liegen. Da hat man Geld ausgegeben für das Material und keiner kauft es. Wir produzieren größtenteils in Kleinserien vor. Wenn aber z.B. ein Jäger mit Fuchsfellen kommt, dann machen wir auch was davon: Westen, Jacken oder eine Decke oder ein Kissen. Auch aus alten Sachen kann man viel machen – das ist das Schöne am Pelz. Andere Sachen werden dagegen weggeschmissen, nach eins, zwei Jahren, wenn es unmodern ist. Ein Pelzmantel hält dagegen 50 Jahre und länger. Da kann man in der Zwischenzeit, etwa alle zehn Jahre, mal was machen.

Gibt es auch Tierarten, deren Felle Sie nicht verarbeiten? Ja, es gibt gewisse Pelzsorten, die durch den Artenschutz verboten sind. Andere Sorten fallen an, wie Kanin oder Schaf, da stirbt das Tier nicht wegen dem Fell, sondern wegen des Fleisches. Dieses kann man ja nutzen und was daraus machen. Alles andere muss nicht sein – solche Felle hab ich auch nie in der Hand gehabt während der 50 Jahre, die ich im Beruf bin. Das geht mir gegen den Kragen. Die Tierschützer ziehen leider alles über einen Kamm – da ist alles verpönt, wo Haare dran sind. Die regen sich sogar auf, wenn Leute Kunstfelljacken tragen, weil sie nicht erkennen, dass es Kunstfell ist.

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Was sind die beliebtesten Fell- und Ledersorten?

Wie kommen die Kunden zu Ihnen – werben Sie?

Fuchs oder Kaninchen, Schweinsleder, Bison.

Wer einen bis jetzt nicht kennt, der wird einen auch nicht mehr kennen. Ich mache ein bis zweimal Werbung in der Zeitung, früher habe ich mehr gemacht. Der Umsatz ist nicht zurückgegangen, nur weil ich weniger mache. Wenn jemand an der Lederjacke eine Reparatur braucht – das macht doch keiner mehr. In Erfurt würde mir kein anderer einfallen, der sich damit befasst. Man braucht ja auch gewisse Techniken. Das spricht sich dann schon rum, da ist man bekannt, auch ohne Werbung. Im Sommer lässt das alles ein bisschen nach, aber im Herbst geht das sofort wieder los – jedes Jahr.

Wie stehen Sie zu industrieller Massenproduktion? Neulich habe ich ein technisches Gerät im Baumarkt gekauft und das war gleich kaputt, ging von Anfang an nicht richtig und da hat mir der Mitarbeiter gesagt: „Das wird weggeschmissen.“ Ich sage noch: „Das kann man doch reparieren.“ „Nein, das wird weggeschmissen.“ Da war schon ein Container voll mit solchem Zeug – das ist heute halt so. Zu DDR-Zeiten haben wir noch gelernt mit Material umzugehen und es ist bei mir auch heute noch so: Da wird mit jedem kleinen Stück noch etwas gemacht, nichts einfach weggeworfen. Von dem was übrig ist, wird eine Bommel gemacht oder davon werden Babyschuhe gebaut.

Denken Sie, dass Ihr Beruf aussterben wird? Ja, ich denke schon. Es werden zwar schon noch welche ausgebildet, ich kenne jetzt die Zahlen nicht – vielleicht 15 Lehrlinge deutschlandweit. Die werden z.T. die Betriebe der Eltern übernehmen. Ein Boom ist es nicht, aber wer weiß was in 20, 30 Jahren ist, vielleicht ist es dann wieder Mode. Pelz ist bei den Modeschöpfern immer noch mit dabei – aber es ist nicht die Masse.

Verbringen Sie viel Zeit in Ihrer Werkstatt? Mittlerweile trete auch ich ein bisschen kürzer. Ich habe glücklicherweise eine gute Näherin, die mir viel abnimmt. Ich bin ja eigentlich schon Rentner und stehe nicht mehr von früh bis abends in der Werkstatt. Es gibt aber immer mal kompliziertere Reparaturen, die ich selber mache.

Können Sie sich vorstellen, irgendwann völlig mit Ihrer handwerklichen Tätigkeit aufzuhören – z.B. ganz normaler Rentner zu sein? Wenn man 50 Jahre gearbeitet hat, dann langt es ja eigentlich auch. Das bringt die Zeit einfach so mit sich, es geht ja nicht ewig weiter. Es ist alles eine Frage der Gesundheit, wie in jedem anderen Beruf auch. Wenn es nicht mehr geht, hört man auf. Wie es die Gesundheit erlaubt, da machen wir noch ein paar Jahre.

Achten Sie auf die Zeit, die Sie für die Herstellung Ihrer Produkte benötigen? Das ist nebensächlich. Vielleicht ist es auch ein bisschen Hobby, dass man sich damit so beschäftigt. Aber so genau sieht man das eigentlich nicht.

Fehlt den Menschen, die nur mit dem Kopf und nicht mit den Händen arbeiten, etwas? Es hat sich umgedreht, das ist das, was ich nicht verstehe. Viele Leute gucken heute den ganzen Tag in ihren Computer und verdienen trotzdem ihr Geld. Das würde mir total gegen den Strich gehen. Ich mache lieber was und wenn was fertig ist, da hab ich meine Freude dran. Das ist Handarbeit.

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Holzblasinstrumentenbauer Wie sind Sie zu Ihrem Beruf gekommen?

Muss man für die Reparaturen die Fähigkeit besitzen, Instrumente spielen zu können?

Über die Musik bin ich zu dem Beruf gekommen. Mein Vater war Musiklehrer und dadurch bin ich recht früh mit Musik in Kontakt gekommen – mit dem Klavierspielen und der Klarinette. Dann sind wir umgezogen nach Geraberg und da hat mein Vater ein Blasorchester aufgebaut und ich habe dort mitgespielt. Nachdem ich in Ilmenau mein Abitur gemacht hatte, wollte ich Musiklehrer werden. Durch die Armeezeit wäre mein Werdegang aber sehr stark unterbrochen worden. Also habe ich mich dazu entschieden, mich auf zehn Jahre zu verpflichten, meinen Musiklehrer als Abendstudium zu absolvieren und nebenbei Geld zu verdienen. Aber da gab es gewisse Differenzen in der Sturm-und-Drang-Zeit – da konnte ich so manche Sachen nicht mit meinem Gewissen vereinbaren und habe nach vier Jahren die Kurve gekratzt. Ich habe dann in Weimar ein Schulmusikstudium angefangen und musste leider aufhören, weil meine Sehnenscheiden das Klavierspielen nicht mehr so stark vertragen haben. Und Schulmusik ohne Klavier – das geht eben nicht. Ich bin damals durch gewisse Beziehungen nach Markt-Neukirchen dirigiert worden, um mich als Instrumentenbauer ausbilden zu lassen. Dort habe ich, wie jeder andere auch, zwei Jahre Fagottbauer gelernt. Nach dieser Zeit war ich in Erfurt angestellt bei einem Blechblasinstrumentenbaumeister und habe für ihn Instrumente repariert. 1984 habe ich mich selbstständig gemacht und seitdem bin ich eigentlich auch selbstständig. Noch zu DDR-Zeiten habe ich meinen Meister gemacht und als Meisterstück eine Klarinette gebaut. Diese benutze ich noch heute, weil ich nach wie vor musiziere. Ich kann also, aufgrund meiner Vorbildung, Instrumente qualifiziert spielen. Es gibt Kunden, die nicht so versiert auf ihrem Instrument sind und es manchmal nicht richtig einschätzen können, ob es geht oder nicht. Das kann ich dem Kunden dann vorspielen.

Bis zu einem gewissen Grad geht das ohne dieses Verständnis, aber die Feinheiten, auf die es letztendlich auch ankommt, die kriegt man dadurch nicht raus. Den letzten Schliff bekommt man nur durch ausprobieren hin oder indem man bestimmte Feinabstimmungen macht. Und wer nicht eine gewisse Stufe auf dem Instrument erreicht hat, der kriegt das eben nicht so hin. Es gibt Musiker, die merken das gar nicht, aber es gibt eben auch welche, die merken das schon. Und da ist Reparatur nicht gleich Reparatur. Man muss sich ständig an die Kandare nehmen und voll konzentriert arbeiten, denn sonst schleichen sich Fehler ein. Die Mechanik ist sehr umfangreich und da hat man schnell mal eine Kleinigkeit übersehen. Wenn man da nicht ständig auf vollen Töpfen läuft, kriegt man es eben nicht so gut hin oder nimmt es am nächsten Tag nochmal in die Hand. Es sind nicht nur Routinearbeiten – im Prinzip ist ein Instrument mehr oder weniger Bastelei und Friemelei. Dazu braucht man Erfahrung und nicht jeder Versuch führt gleich zum Erfolg.

Was für Instrumente reparieren Sie? In der Hauptsache sind es Querflöten, Saxophone, Fagotte, Oboen – eigentlich alles. Es gibt zwar gewisse Unterschiede und Eigenheiten, aber vom Prinzip her ähneln sich die Instrumente. Man entwickelt sich im Laufe der Jahre ja auch weiter und macht nicht gleich am Anfang die kompliziertesten Sachen. Man arbeitet sich ein – nicht zuletzt durch die Befruchtung zwischen Musiker und Reparateur. Man muss Dinge aufnehmen können und entwicklungsfähig bleiben.

Wie ist die Qualität der Instrumente, die Sie reparieren? Das geht quer durch die Bank. Es sind hochwertige Instrumente dabei, die wie Silberflöten z.B. um die 10 000 Euro kosten, aber auch billiges Zeug. Die sind manchmal billiger als das, was die Reparatur kosten würde und da versuche ich dem Kunden immer abzuraten.

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Was gefällt Ihnen an Ihrem Beruf besonders, was nicht?

Achten Sie auf die Zeit, die Sie für die Reparaturen benötigen?

Ich habe meine Ruhe und kann mir meinen Arbeitstag frei einteilen. Ich kann auch mal weggehen, wenn mir danach ist oder kann mal am Wochenende arbeiten. Ich muss niemanden fragen und bin niemanden Rechenschaft schuldig. Der Nachteil ist, dass es niemanden gibt, den man um Rat fragen könnte, wenn einmal Probleme auftauchen. Dann muss man sich selber was überlegen. Es gibt ein gutes Gefühl, wenn man mit irgendetwas zufrieden ist. Ganz zufrieden kann man aber nicht sein, weil es immer irgendwas gibt, wo man sagen könnte: „Das hättest du vielleicht auf die Art noch besser hingekriegt.“ Aber letztlich ist die Funktionalität entscheidend. Kommt aber auch darauf an, was man für Ansprüche an sich selber stellt.

Das ‚Auf-die-Uhr-gucken‘ funktioniert nicht. Ich setze mich nicht hin und schreibe jede Minute auf. Es sind alles Richtpreise, man orientiert sich ein wenig an der Konkurrenz und handelt es mit dem Kunden aus. An diese Stundenzahl versucht man sich zu halten. Bei Autowerkstätten, zum Beispiel, ist ja fast jeder Handgriff genormt – das geht hier nicht, dafür sind die Instrumente zu unterschiedlich, da gibt es keine pauschalen Aussagen.

Wie stehen Sie zu industrieller Massenproduktion? Kommt darauf an, was es ist – Autoreifen oder ähnliche Produkte zum Beispiel. Bei individuelleren Produkten sollte man, zumindest da wo es möglich ist, auf Langlebigkeit achten und das ist bei manchen Produkten eben nicht der Fall – auch in der Musikbranche nicht. Man redet immer vom Kohlendioxid-Ausstoß und vom Energie-einsparen, was sicher richtig ist, aber auf der anderen Seite werden solche Sachen produziert, die Unmengen Energie verschlingen, hohe Transportkosten erzeugen usw. und die Produzenten kriegen in der Stunde 90 Cent oder noch weniger. Heute werden leider viele Ressourcen verschleudert, das fällt uns irgendwann auf die Füße. Mit anderen Sachen ist das genauso, da werden z.B. nur noch Baugruppen ausgewechselt, anstatt sich mal hinzusetzen und ein einzelnes Teil zu suchen. Man muss mithalten können oder sich eine Nische suchen.

Was verstehen Sie unter dem Begriff ‚Qualität‘ bzw. ‚gute Arbeit‘? Wenn man sich das manchmal anguckt, für was die Leute Geld ausgeben mussten – da geht das reparierte Instrument mitunter schlechter als zuvor. Für mich ist das natürlich dann eine dankbare Aufgabe, solche Sachen wieder hinzubiegen. Der Kunde sieht eben nur die äußerlichen Sachen – das Instrument glänzt, ist gut geputzt und hat neue Polster drauf – was im Detail an Feinarbeit und Überlegung dahinter steckt, das sieht er nicht. Da wird auch vielfach geschludert. Viele haben das nicht richtig gelernt und machen Reparaturarbeiten nebenbei. Der nächste vergleichbare Reparateur, der richtig ausgebildet ist, sitzt in Leipzig. Ich versuche dagegen Sachen zu machen, die ich mit ruhigem Gewissen aus der Hand geben kann. Wenn dann irgendwas ist, dann bezahlt man auch mal mehr Geld – das ist eben Handarbeit, da geht nicht immer alles so, wie man sich das vorstellt. Gerade bei Instrumenten von Anfängern ist es sehr wichtig, dass die einwandfrei funktionieren. Die Musikschüler sind beim lernen ganz besonders auf den richtigen Klang angewiesen. Wenn da nicht alles genau abgestimmt ist, wirft man denen Knüppel zwischen die Beine.

Wie kommen die Kunden zu Ihnen – werben Sie? Das funktioniert alles durch Mund-zu-Mundpropaganda. Reklame funktioniert nicht. Man muss sich selbst erst mal einen Namen machen und das ist eine langwierige Geschichte. Das geht nicht von einem Jahr aufs andere. Ich bin jetzt 27 Jahre im Geschäft, es hat sich immer ein bisschen weiter entwickelt.

Denken Sie, dass Ihr Beruf aussterben wird? Wenn der Automatisierungsgrad so bleibt, also weiterhin noch viel Handarbeit dahinter steht und Geld für Musik und Kultur ausgegeben wird, dann wird es den Bedarf weiter geben. Es gibt immer noch Menschen, die sich für Musik begeistern, ein Instrument lernen oder auch beruflich damit zu tun haben.

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Büchsenmacher Was gefällt Ihnen an Ihrem Beruf besonders?

Der Büchsenmacherberuf ist in Suhl entstanden, als Waffenschmiede aus dem Nürnberger Raum hier her gewandert sind und hier gut schmiedbares Eisen und genügend Wald für Holzkohle gefunden haben. Unsere Innung beruft sich heute noch auf das Gründungsdatum von 1563. Suhl hat in der Waffenherstellung eine sehr wechselhafte Geschichte. So wurde die Stadt einstmals als die ‚Rüstkammer Europas‘ bezeichnet. Alle Fürstenhäuser, die gegeneinander Krieg geführt haben im Mittelalter, haben ihre Waffen aus Suhl bezogen, bis hin zum Ersten und Zweiten Weltkrieg. Der heutige Büchsenmacher, so wie ich meinen Beruf verstehe, fertigt ein Werkzeug für den individuellen Jäger, um sein Jagdwerk ausüben zu können. Wir fertigen also Jagdwaffen nach speziellen Wünschen und Bedürfnissen. Das fängt an bei der Kaliberwahl, der Anzahl der zusammengelöteten Läufe, bis hin zur Schaftform und der Art des Zielglases. So wie der Maßschneider den Anzug macht, bauen wir die Jagdwaffe. Man kann eine Jagdwaffe von der Stange kaufen – aus der Industrie, davon gibt es ein Überangebot auf dem Markt. Es gibt aber genauso Leute, die das Geld noch ausgeben wollen und die Jagd noch unter traditionellen Gesichtspunkten sehen – die bestellen sich bei uns eine Waffe.

Wenn ich selbst am Schraubstock stehe und arbeite und habe am Abend ein Stück fertiggestellt – kann das anfassen und bin mit meiner Arbeit zufrieden, dann ist das eine schöne Geschichte. Wenn ich eine Waffe geliefert habe, schickt mir manchmal der Kunde nach einiger Zeit ein Foto von einem erlegten Tier zu. Er ist glücklich und zufrieden und ich bin es dann auch.

Was gefällt Ihnen nicht an Ihrem Beruf? Es gibt ja den großen Begriff des ‚Waffenhändlers‘. Wir sind auch Waffenhändler und werden nun alle in einen Topf geschmissen mit den Militärwaffenhändlern und anderen. Wenn nun eine schlimme Geschichte passiert, wie 2003 am Gutenberggymnasium in Erfurt, dann wird uns das in die Schuhe geschoben, obwohl wir gar nichts dafür können. Wir gehen verantwortungsvoll und legal mit Waffen um. Die Jagd hat immer zur Gesellschaft gehört. Sie hat sich gewandelt in den letzten Jahren und man sollte sie nicht einfach verteufeln. Wir sind keine Mörder, die Tiere aus Lust erschießen, sondern wir machen das als Hege und Pflege. Wenn wir gar nicht mehr auf die Jagd gehen würden, frisst uns irgendwann das Wild auf.

Was bedeutet Ihnen Ihre Werkstatt? Wie sind Sie zu Ihrem Beruf gekommen?

Als selbstständiger Büchsenmacher ist es so, dass man nie mit einem Achtstundentag abgeschlossen hat. Ich bin hier manchmal von früh um sechs bis um zehn, halb elf abends. Manchmal bin ich erst früh um neun hier und wenn ich etwas anderes vorhabe oder zur Jagd gehe, dann bin ich mittags schon weg. Das ist der Vorteil der Selbstständigkeit. Aber das mit dem ‚später anfangen‘ und ‚eher aufhören‘ ist äußerst selten. Ich bin also frühs der Erste und abends der Letzte hier, obwohl ich inzwischen auch schon zu den älteren Herrschaften gehöre. Meine Schulkollegen sind schon lange im Vorruhestand und legen die Füße hoch. Da gibt es ein Sprichwort was ich mir gemerkt habe: „Ein Büchsenmacher stirbt nicht, ein Büchsenmacher verendet am Schraubstock.“

Nebenan ist mein Sohn, er ist der siebente Büchsenmacher in Folge in unserer Familiengeschichte. Ich bin in dem Haus hier gegenüber geboren und hier aufgewachsen. Von meinem dritten Lebensjahr an, sobald ich halbwegs laufen konnte, bin ich in der Werkstatt tätig gewesen. Ich hatte auch, wie mein Enkel heute, neben dem Schraubstock vom Vater und Opa meinen kleinen Schraubstock, wo ich ein bisschen gefeilt und geklappert habe. Nicht an Jagdwaffen, aber zum Spaß an der Freude. Und so wächst man halt da rein und für mich gab es da gar keine Frage, dass ich auch Büchsenmacher werde.

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Sie sagten, Sie jagen auch selbst. Ist es wichtig für den Beruf des Büchsenmachers selbst auf die Jagd zu gehen?

Es gibt den Spruch: „Wenn Hand und Kopf getrennt werden, leidet der Kopf.“ Was fehlt den Menschen, die nur mit dem Kopf arbeiten und nicht mit den Händen?

Ein jeder Büchsenmacher sollte ein bisschen Ahnung von der Jagd haben, damit er weiß, was mit den Geräten eigentlich passiert, die er baut. Da gibt es einen schönen uralten Spruch: „Nicht jeder Büchsenmacher ist ein Schütze. Aber jeder Schütze glaubt, er sei ein Büchsenmacher. Und das ist von Übel.“ Nicht jeder muss unbedingt Jäger sein, aber er muss mit der Jagd sympathisieren, damit er weiß, wovon er redet. So kann er auch dem Kunden gegenüber ganz anders auftreten.

Der Computer ist auch bei uns nicht mehr wegzudenken, zu mindestens bei der Büroarbeit, bei vielen anderen Dingen aber auch. Wenn ich z.B. eine andere Waffe von einem Hersteller hier her gebracht kriege und der Kunde möchte gerne einen zweiten Lauf dazu haben, dann nehmen wir den Lauf und stellen ihn auf einen 3DMesstisch. Dort bekommen wir eine dreidimensionale Zeichnung aufs Tausendstel genau und das gebe ich dann meinem Maschinenbauer und der fräst mir das. Anschließend kann ich es wieder von Hand einpassen. Insofern, der Spruch ist schon richtig, man darf nur nicht Sklave dieser Einrichtung werden, sie muss immer noch das machen, was ich will. Deshalb kann ich auch überhaupt nicht verstehen, wie die ganze Kommunikation der jungen Leute per SMS, E-Mail oder per Facebook usw. stattfindet. Die persönliche Kommunikation nimmt immer weiter ab. Ohne Computer geht’s nicht, aber man sollte immer daran denken, dass er kein Lebensgefährte ist.

Achten Sie auf die Zeit, die Sie für die Herstellung der Jagdwaffen benötigen? Wir haben eine individuelle Fertigung und es ist im Vorfeld sehr schwer einzuschätzen – brauche ich dafür jetzt eine Stunde oder länger oder auch kürzer? Sicherlich habe ich eine Preisvereinbarung mit dem Kunden, aber es gibt schon Möglichkeiten, dass man sich da ehrlich und offen begegnet.

Was ist der Vorteil handwerklicher Produktion gegenüber industrieller Massenproduktion?

Denken Sie, dass Ihr Beruf aussterben wird? Aussterben nicht, aber die Zahl der Büchsenmacher wird sich doch verringern. Die individuelle Fertigung wird es immer geben. Und wer eine gute Arbeit zu vernünftigen Preisen auf den Markt bringt, der hat gut zu tun.

Schießen tun die Gewehre aus der Industrie sicherlich genauso gut wie unsere. Es fehlt eben die Individualität, die kleinen Feinheiten, die man in einer Serienproduktion überhaupt nicht beachten kann. Bei den industriell gefertigten Waffen, da gibt es keinen, der außen mit der Feile einen Bogen daran feilt oder einen Schnörkel daran macht. So wie das von der Maschine herunterfällt, wird das zusammengeschraubt und ausgeliefert. Bei uns wird jede einzelne Stelle individuell von Hand nachgepasst und nachgearbeitet, ausgefeilt und schön gemacht. Das macht es aus.

Können Sie sich vorstellen, irgendwann völlig mit Ihrer handwerklichen Tätigkeit aufzuhören – z.B. ganz normaler Rentner zu sein? Rentner schon. Jetzt bin ich ja noch der Inhaber und Chef dieses Unternehmens. Ich will nicht aufhören, aber ich möchte gerne mal von 180 runter auf 100 Prozent. Und will natürlich, dass ‚meine Jugend‘, sprich mein Sohn und mein Schwiegersohn, hier von 80 auf 100 Prozent kommt. Solange ich das mit den Händen und den Augen noch kann, solange wird das auch weitergehen.

Wie kommen die Kunden zu Ihnen – werben Sie? Ein kleiner Teil sind Händler und Großhändler. Der größte Teil sind Jagdbegeisterte, die sich von mir eine Waffe leisten wollen. Leben tun wir von der Mund-zuMundpropaganda und daneben haben wir eine Internetseite.

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Zangenschlosser Ich bin nur noch ganz alleine hier und stelle durchgesteckte Zangen her. Durchgesteckt heißt, dass ein Teil durch das andere durchgesteckt wird – das geht nur in glühendem Zustand. Früher mit Steinkohlefeuer, später mit Gasfeuer und jetzt mit Induktionsanlage. Das Rohteil, welches nur einen Schlitz hat, wird dann mit einem Dorn aufgedornt, sodass das innere Teil durchgesteckt werden kann. Die Zange besteht also aus einem äußeren und einem inneren Teil. Dieser Vorgang muss schnell gehen, etwa innerhalb von 15 Sekunden, damit man die Zange in einer Wärme zusammenschmieden kann. Damals musste man sie öfter zweimal warm machen, mit Hilfe einer Feuerzange, da war alles mit ganz viel Handarbeit verbunden. Mittlerweile kaufe ich die einzelnen Teile fertig gefräst mit neuer Technik. Zu DDRZeiten sahen diese Teile noch anders aus, da sieht man schon wie viel mehr Arbeit wir damit hatten. Das war alles handgeschmiedet, die ganzen Durchbrüche und Aussparungen, den Steg im inneren Teil. Es gab immer zusammengesteckte Paare, die wir zusammengelegt haben, damit man sie nicht verwechseln konnte. Jedes Teil war ein bisschen anders und wir haben sie entsprechend angefeilt, damit sie später zusammen passen. Wenn die Zange genietet ist, muss ich sie noch einmal erwärmen, um sie gängig zu machen. Durch das Durchstecken können da drinnen Ecken sein, die klemmen. Damit die Zangen schön leicht gehen, spannt man sie auf und macht eine geheime Mischung aus Öl und Schleifpulver in die Zangen hinein. Diese müssen dann auf einer Maschine etwa zehn Minuten laufen. Dann muss die Zange gerichtet werden, die Schenkel sind alle nicht so gerade wie sie sein sollten. Die Richterei ist der schwierigste Arbeitsgang. Da kann man nicht sagen: „Du musst da und dort draufhauen.“ Das muss man selber mitkriegen. Es muss auch ein kleiner Luftspalt dazwischen sein, wenn ich etwas ganz dünnes nehme und fass das mit Gewalt an. Denn wenn die Zange vorn ganz zu wäre, dann federt sie, geht vorn auf und setzt sich hinten zu. Auch die Schenkelbreite muss stimmen. Der Opa hat immer gesagt: „Ihr müsst trainieren. Ihr müsst die Zange schnell in der Hand drehen können. Und je länger ihr guckt, desto krummer wird die Zange.“

Danach werden die Zangen geschliffen – alles nach Augenmaß – die müssen hinterher blank sein. Dann kommt noch die Endfertigung: Die normalen Griffe werden in flüssige PVCPaste getaucht. Dazu kommen die Zangen in ein Gestell, etwa 300 Stück und werden in einen Ofen auf 180 Grad erwärmt. In diesem Zustand werden sie getaucht und anschließend wieder im Ofen für eine halbe Stunde gelassen, damit der Weichmacher bei der Hitze verfliegt. Es gibt aber auch fertige Griffe in verschiedenen Sorten aus PVC. Mit Ätztechnik können dann noch Stempel ins Metall aufgebracht werden. Damals waren wir – mein Opa, mein Vater, mein Bruder und ich, die Einzigen in der DDR, die durchgesteckte Zangen hergestellt haben. Damals war es also sehr selten, mittlerweile hat sich das gewandelt, wobei heute wenige Betriebe diese Art von Zangen herstellen können. Die Steinbacher, die konnten das, die hatten noch Ahnung. So hat sich das etabliert. Die produzieren für westdeutsche Hersteller und haben viel Arbeit. Ich bin der Einzige, der noch die ganz alte Technik, mit dem Auftreiben durch den Dorn, beherrscht. Das zeige ich aber nur noch auf dem Schmiedefest, was zur Kirmes stattfindet. Und das ist so kniffelig, dass ich das auch erst mal trainieren muss, bevor die Zuschauer kommen, weil ich das sonst nicht mehr so mache.

Wie sind Sie zu Ihrem Beruf gekommen? Der Großvater war Zangenmacher, der Vater war Zangenmacher und ich habe Gesenkschlosser gelernt, was ja auch mit Zangenmacherei zu tun hat. Der Urgroßvater – das war der Zangendöll, das war ein Großer damals in Steinbach. Und so hat sich das ergeben, seit 1969 bin ich in unserem Familienbetrieb tätig. Gesenkschlosser habe ich deshalb gelernt, weil mein Opa den großen Fallhammer hatte und dafür wurden Gesenke gebraucht. Ich habe aber nur ein paar Stück daheim gemacht, weil die dann mit der Schmiederei aufgehört haben.

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Was ist der Vorteil von durchgesteckten Zangen gegenüber den normalen, handelsüblichen Zangen?

Achten Sie auf die Zeit, die Sie für die Herstellung der Zangen benötigen?

Es gibt die durchgesteckte Zange, es gibt die aufgelegte Zange oder auch dazu zugehörig die eingelegte Zange. Wenn man mit so einer aufgelegten Zange arbeitet und drückt, dann gibt es in der Mitte eine Scherkraft. Die will seitwärts weg und der Niet muss die ganze Kraft aufnehmen. Bei einer durchgesteckten Zange gibt es rechts und links eine Führung – da gibt es keine Scherwirkung, da kann der Niet kleiner sein, die hält sich in sich. Dadurch ist sie teurer und dauert viel länger in der Herstellung. Ein Profi wird daher so eine Zange kaufen. Im Baumarkt gibt es die nicht, weil sie zu teuer sind.

Nein, darauf achte ich eigentlich nicht. Wenn ich Arbeit habe, dann kann es auch mal abends halb neun werden. Es kann auch mal Nachmittag um vier werden, das liegt daran wie dringend dieser Auftrag ist. Es sind auch schwache Zeiten da.

Was gefällt Ihnen an Ihrem Beruf besonders?

Es ist mehr Handarbeit dabei, z.B. für Kleinserien. Aber dort muss die Qualität genauso stimmen wie bei Großserien.

Was verstehen Sie unter dem Begriff ‚Qualität‘ bzw. ‚gute Arbeit‘? Ohne Qualität kann man heute nichts mehr verkaufen. Qualität ist das A und O.

Was ist der Vorteil handwerklicher Produktion gegenüber industrieller Massenproduktion?

Es sind viele Arbeitsgänge bei der Herstellung. In der DDR, das habe ich mal gezählt, waren es 72 Arbeitsgänge. Vom Material abschneiden in der Schmiede, über das Schmieden, über das Fertigmachen bis zum Konservieren, sprich anölen der Zange. Jetzt sind es nicht mehr so viele Schritte, aber es kommen immer noch zwischen 40 und 50 Arbeitsgänge zusammen. Es ist also nicht eintönig, es ist immer abwechslungsreich. Wenn ich eine sehr große Zangenmenge liegen habe und es mir ‚langweilig‘ oder ‚nervig‘ wird, dann nehme ich mir halt einen anderen Kasten mit Zangen, da habe ich einen anderen Ablauf.

Fehlt den Menschen, die nur mit dem Kopf und nicht mit den Händen arbeiten, etwas? Nur Büroarbeit – da fehlt die Bewegung. Ich habe jede Menge Bewegung, ich muss die Zangen zusammen schmieden, habe Handarbeit und habe Feilarbeit. Und auch eine gewisse Handfertigkeit.

Denken Sie, dass Ihr Beruf aussterben wird? In unserem Ort wird das nicht passieren, diese Fertigung stirbt nicht aus, d.h. die alte Fertigung gepaart mit moderner Herstellungstechnologie. Ich kann noch als Einziger die uralte Fertigung, aber meine Produktion läuft mittlerweile auch über moderne Methoden.

Was gefällt Ihnen nicht an Ihrem Beruf? Die schmutzigen Hände, die sind schwer sauber zu bekommen.

Was bedeutet Ihnen Ihre Werkstatt? Die Werkstatt ist mein Eigentum. Aber vom Alter her werde ich nicht mehr all zu lange drin arbeiten können, denk ich mir.

Können Sie sich vorstellen, irgendwann völlig mit Ihrer handwerklichen Tätigkeit aufzuhören – z.B. ganz normaler Rentner zu sein?

Wie kommen die Kunden zu Ihnen – werben Sie?

Frührentner bin ich schon. Die Zangenschmiederei fällt einem mit zunehmendem Alter schwerer. Ich kann mir schon vorstellen, vielleicht mit 67, vollkommen mit der Arbeit aufzuhören. Ich habe auch keinen Nachfolger mehr.

Ich liefere grundsätzlich nur an Händler, z.B. nach England, Frankreich, Amerika. Das sind aber alles kleinere Abnehmer, keine Großkunden.

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Gerber Was gefällt Ihnen nicht an Ihrem Beruf?

Das Fell oder Leder hat eine Geschichte, vor allem das Wild, kann man sagen. Man sieht die Einschusslöcher, sieht ob ein Knochen getroffen wurde, dann ist die Austrittswunde groß oder ob es ein Durchschuss war. Bei Wildschweinen kann man manchmal verwachsene und aktuelle Kampfwunden in der Haut sehen. Das ist dann nicht meine Handschrift gewesen, sondern die des Rivalen. Und man kennt die Erzählungen der Jäger, wie sie das Tier erlegt haben.

Seit 1894 gibt es den Betrieb. Meine Mutter hat ihn von 1949 bis 1976 geführt und war zu DDR-Zeiten die einzige Gerbemeisterin, die es gab. Hochangesehen bei ihren Kollegen. Sie hatte den Betrieb von meinem Großvater übernommen und ich dann ab 1976. Als Geselle bin ich fünf Jahre auf Wanderschaft gewesen. Diese Zeit will ich nicht missen, ich habe sehr viel gelernt dabei, auch wenn es manchmal hart war.

Eigentlich gibt es da nichts. Ich bin mit allen Wassern gewaschen. Ich habe den Vorteil, dass mein Geruchssinn nicht mehr funktioniert. Den habe ich mir vor vielen Jahren aus Dummheit verätzt. Man hat es gelernt, aber hat es nicht so gemacht wie man sollte und dadurch kam das. Dadurch hatte ich nicht mehr das Problem alles riechen zu müssen, denn es ist manchmal doch gewöhnungsbedürftig. Wenn ich z.B. einen Fuchs bekomme, der mit der Kanone geschossen wurde, der lange gelegen hat und dem schon das Haarkleid ausfällt, dann ist das keine angenehme Arbeit. Man muss es schon gewohnt sein und ein bisschen hart gesonnen. Und ich arbeite meistens pur, ohne Handschuhe, denn so kann ich besser mit der scharfen Klinge hantieren. Es sei denn ich habe eine Verletzung, die mir sagt: „Nimm mal lieber einen Handschuh.“ Ich hatte schon drei Blutvergiftungen, vier Mal Schweinerotlauf – das sind Dinge, die passieren.

Was gefällt Ihnen an Ihrem Beruf besonders?

Was bedeutet Ihnen Ihre Werkstatt?

Es wird nicht langweilig, es ist keine stupide, jeden Tag gleiche Arbeit. Man hat jeden Tag eine andere Herausforderung, wo man sich wieder neu Gedanken macht. Das ist das Interessante dabei und die Begegnung mit vielen Menschen. Es gibt hier Führungen mit Leuten aus allen Herren Ländern, selbst Richard von Weizsäcker hat mir mal die Ehre gegeben. Das war ein Highlight. Es macht Spaß, das hier mal zeigen zu können. Und es gibt auch mal Ausnahmeprojekte, wo man seine Freude hat: Z.B. für Restauratoren, die für eine historische Kutsche eine ganz spezielle Lederprägung brauchten, wo wir als einzige helfen konnten. Es macht sehr viel Arbeit, die klassischen Dinge wieder zu produzieren und nicht nach modernen Verfahren zu arbeiten. Ich habe noch genügend Rezepte von meinem Urgroßvater, wo es Anleitungen gibt, wie es gemacht wurde. Wenn man dann die Voraussetzungen hat, ist es natürlich etwas leichter. Können muss man es trotz alledem.

Leben. Genugtuung. Eine abwechslungsreiche Arbeit zu haben. Und Familie. Man möchte die Tradition gern aufrechterhalten und hat eine Verbindung. Das gibt man nicht einfach so auf und sagt: „So Schluss, Ende. Ich gehe nach Hause und setze mich in den Lehnstuhl.“ – das könnte ich nicht machen. Es ist für mich kein Zeitvertreib in dem Sinne, sondern ich verdiene noch ein bisschen Geld neben meiner schmalen Rente.

Wie sind Sie zu Ihrem Beruf gekommen?

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Was verstehen Sie unter dem Begriff ‚Qualität‘ bzw. ‚gute Arbeit‘?

Fehlt den Menschen, die nur mit dem Kopf und nicht mit den Händen arbeiten, etwas?

Die Handarbeit. Es ist sehr viel Handarbeit dabei. Und: Immer das Beste geben. Wir haben in der Vergangenheit immer schon hochwertige Dinge gemacht und eine Ehre hat man ja auch. Wir haben uns bei ein paar Arbeitsgängen mehr Mühe gemacht, als unsere Kollegen, die sich das einfacher machten. So kam es, dass unsere Produkte auch geeignet waren, um exportiert zu werden. Jeder Gerber hat so seine Geheimnisse, wie er bestimmte Gerbverfahren verfeinert, um gute Ergebnisse zu erzielen. Wir konnten z.B. ein strahlend weißes Leder herstellen, was die volkseigenen Betriebe mit einem sehr teueren Weißgerbstoff so nicht konnten. Das sind Dinge, die man durch Überlegung findet oder aus Überlieferungen und wieder alte Rezepte hervor kramt – sowas ist Gold wert. Man möchte etwas Gescheites machen – allerdings mit unseren bescheidenen Mitteln, wir waren ja nicht hochtechnisch eingerichtet, wie andere Betriebe zu dieser Zeit. Ich habe hier verschiedene Maschinen aus der Jahrhundertwende stehen, die mittlerweile technische Denkmäler sind. Daher auch ohne entsprechende Verkleidungen oder Schutzvorrichtungen. Z.B. eine Bügelpresse, man kann Prägeplatten nutzen, die Krokodil oder Elefant imitieren, für Schweins- oder Rindsleder. Oder man nimmt eine glatte Bügelplatte, die einen Glanz auf der Oberfläche erzeugt.

Es ist stupide. Das ist heute der Trend, weil alle vorm Bildschirm hocken und von da aus sehr, sehr viel machen. Aber sie werden alt mit körperlichen Schäden. Gut, viele machen einen Sport, gehen in einen Verein oder in eine Sportstätte, wo sie sich dann auspowern, damit sie einen Ausgleich haben. Trotz alledem – körperliche Arbeit ist heute nicht mehr das Thema. Es will ja auch heute keiner mehr arbeiten. Früher hätten sie uns in den Hintern getreten, wenn wir da irgendwelche Sülze gemacht hätten. Naja, Prügelstrafe gab es nicht, aber man hat das so erlebt und wir haben mehr Respekt gehabt, vor allem vor dem Alter und vor den Kollegen. Das ist heute nicht mehr da. Nicht allgemein, muss ich sagen, aber doch vielfach ist das verloren gegangen.

Denken Sie, dass Ihr Beruf aussterben wird? Ja. Es gibt noch eine Gerberei in Lobenstein, die aber rein pflanzlich arbeitet und harte Leder macht, also etwas anderes als ich. Dann gibt es noch eine Sämischgerberei in Nossen, die Letzte in Deutschland. Und dann muss ich schon nachdenken – man hat nicht mehr so die Verbindung wie früher, da hat man sich mindestens zweimal im Jahr getroffen und ausgetauscht. Heute macht jeder seins. Vieles ist schon dicht, die haben aufgehört, handeln noch ein bisschen oder machen etwas anderes.

Achten Sie auf die Zeit, die Sie für die Herstellung Ihrer Produkte benötigen? Ich habe gut zu tun, aber ich sage mir: „Was ich heute nicht schaffe, das mache ich eben morgen.“ Meine Kunden warten natürlich auf ihre Felle. Aber im Moment bin ich gehandicapt, weil meine Lebensader da draußen so gut wie trocken liegt. Ich habe ja Wasserrecht von dem vorbeifließenden Wasser. Das kommt von einer sehr ergiebigen Quelle, die in ihrem Bachlauf durch die Stadt fließt. Das haben viele Gerbereien einstmals genutzt. Heute kann ich ohne Probleme meine Pumpe für meinen Hochtank anstellen, die läuft meist automatisch, aber im Moment nicht, wegen der Baustelle vor dem Haus.

Können Sie sich vorstellen, irgendwann völlig mit Ihrer handwerklichen Tätigkeit aufzuhören – z.B. ganz normaler Rentner zu sein? Nein, eigentlich nicht. Naja, sicher, irgendwann, wenn ich sage, das Kreuze tut mir doch zu sehr weh, muss ich dann den Schlüssel rumdrehen und sagen es geht nicht mehr. Aber so richtig vorstellen kann ich mir das nicht. Ich brauche meine Bewegung und meine Abwechslung hier, brauche eben Arbeit. Arbeit hält jung und geschmeidig. Wer rastet, der rostet. Ich hebe heute noch fünf Kilo aus dem Stand, wenn ein junger Mann da ist, dann sag ich schon: „Pack mal mit zu.“ Aber wenn es sein muss, hieve ich die allein rum. Man ist dadurch doch geschmeidiger, als wenn man den ganzen Tag nur im Sessel oder vor der Glotze hängt. Das ist nicht meine Erfüllung.

Wie stehen Sie zu industrieller Massenproduktion? Wenn sie qualitativ gut ist, ist das in Ordnung. Wir waren klein, größere Betriebe machen natürlich Masse, es muss sich ja rechnen.

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Blaudruckerin Wie sind Sie zu Ihrem Beruf gekommen?

Findet man den Blaudruck auch auf Märkten?

Das kann man gar nicht so richtig beantworten. Es ist eben so passiert. Wir haben das mal gesehen und dann haben wir gesagt: Das ist gut. Ich komme aus einer Handwerksfamilie und hatte bereits ein Textilstudium. Wir wollten nicht mehr unter dem Sozialismus arbeiten, das war der Hauptantrieb. Ich musste dann noch eine normale Ausbildung machen, denn Handwerksmeister konnte man nur werden, wenn man vorher eine handwerkliche Ausbildung hatte. So musste ich noch einen Meisterlehrgang innerhalb von vier Jahren machen und habe meinen Meister dann in Greiz erhalten. Aus der Tradition heraus durfte damals nur ein Handwerksmeister einen Handwerksmeister ausbilden. Damals gab es keinen solchen mehr, der Beruf war ausgestorben. Nur durch eine Sondergenehmigung des Ministeriums durfte ich bei einem Verbandskünstler meinen Meister machen. Die Genehmigung zur Selbstständigkeit kam recht schnell, da es so ein seltenes Handwerk war.

Auf Märkte gehen wir nicht, das wertet den Blaudruck so ab, weil das so ein seltenes Handwerk ist. Wir verkaufen an Händler und verkaufen in der Werkstatt. Wir haben öfter mal Gruppen hier. Und dann habe ich sehr viele Anrufe, die haben das irgendwo gesehen oder gehört und die bestellen Tischdecken in deren Tischgröße. Ich spreche das also mit den Kunden am Telefon ab, wie es werden soll und dann warten sie ein viertel oder halbes Jahr oder länger und dann schicke ich denen das hin. Innerhalb einer Woche ist das Geld spätestens da, da haben wir noch nie Probleme gehabt.

Was gefällt Ihnen an Ihrem Beruf besonders, was nicht? Das Kreative. Das Zeichnen hat mir sehr viel Spaß gemacht. Letzten Sommer hab ich wieder gezeichnet, da hab ich mir einen Model machen lassen. Auch was nicht so viel Spaß macht, gehört dazu. Das eine gehört zum anderen und da macht man das halt auch mit. Das Aufzeichnen dauert seine Zeit und das Drucken. Das Schönste war das Zeichnen, aber man freut sich nachher auch, wenn man den Druck einigermaßen ordentlich und gleichmäßig hingekriegt hat. Am Schönsten ist der Moment, wenn man gefärbt hat und sieht es auf der Leine hängen, da freut man sich. Jedes Mal Färben ist ein Erlebnis, weil auch so viel schief gehen kann.

Wo liegen die Gefahren beim Herstellungsprozess? Man muss den Model ganz festhalten, damit er nicht auf dem Stoff verrutscht. Das geht so schnell, wenn er einen Millimeter verrutscht, das sieht man dann nachher. Mit dem Klopfen muss man vorsichtig sein, ich hab das früher mit der Faust gemacht, mit dem Hammer kriegt man das nicht so gut hin, gerade bei kleinen Modeln. Dann muss man aufpassen: Die Reserve, die wir aufdrucken, also das Papp, das darf nicht zu dünn sein, sonst wird das Weiß nicht richtig abgedeckt. Das Papp muss auch gleichmäßig und gerade gestrichen sein, sonst sieht man später Unregelmäßigkeiten beim Druck. Deshalb machen wir vorher Probestreifen. Wenn die Kübe nicht richtig stimmt, wird es nicht richtig weiß oder läuft runter und wenn mein Papp nicht richtig drauf ist, läuft es auch runter. Es gehört schon ein Stückchen Erfahrung dazu. Wir machen das jetzt so viele Jahre, aber es passiert doch immer mal wieder was. Das Drucken ist eine Kunst und das Färben auch. Man kann nicht nach dem Drucken sagen: „Schön, jetzt ist es fertig.“ Man muss erst mal warten und am Ende kann man sagen: „Es ist prima geworden.“

Was bedeutet Ihnen Ihre Werkstatt? Wir haben alles geopfert, damit wir das machen können. Wenn die anderen in den Urlaub gefahren sind, haben wir in der Werkstatt gestanden. Es musste auch alles finanziert werden, die ganze Ausrüstung. So mussten wir erst mal die Werkstatt aufbauen. Die Modeln haben einen ganz schönen Wert. Der Modelbestand, etwa 300 Stück, ist so viel Wert wie die ganze Werkstatt und alles zusammen so viel wie ein Einfamilienhaus. Wir haben ganz schön dafür bluten müssen.

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Denken Sie, dass Ihr Beruf aussterben wird?

Viele fragen uns auch, warum wir nicht jemanden mit rein nehmen, der das dann weiterführt. Wir haben meistens so zehn, zwölf Stunden am Tag gearbeitet und Sonnabends und Sonntags. Machen Sie mal solche Arbeitszeiten mit fremden Leuten – wenn die dann nach acht Stunden aufhören und sagen: „So, Feierabend.“ und wir mitten in der Arbeit sind – das geht schon nicht. Außerdem ist räumlich alles begrenzt. Mein Mann hat oben nochmal die gleiche Werkstatt und hinten haben wir einen großen Werkstatttrakt. Sie müssen sich dann um den Angestellten kümmern und kommen gar nicht mehr zu dem, was Sie eigentlich machen wollen. Wir haben immer gesagt: „Wir backen kleine Brötchen, aber es sind unsere Brötchen, die brauchen wir nicht teilen.“ So haben wir unsere volle Freiheit. Es kommt zwar nicht oft vor, aber wenn uns mal so ist, dann hauen wir früher ab.

Ich weiß nicht, es sind jetzt nur noch ein paar Leute, die das machen. Und ich denke, wenn dann noch Generationen drüber sind, dann ist doch eines Tages Schluss, denn es ist sehr arbeitsaufwendig und am Ende kann man nicht so viel Geld nehmen. Die jüngeren Leute gehen doch lieber da hin, wo sie mehr verdienen können. In der heutigen Zeit, würde ich es vielleicht auch nicht noch mal anfangen.

Was ändert sich, wenn es Ihren Beruf nicht mehr geben sollte? Es wird sich wahrscheinlich nicht viel ändern. Die Leute kaufen das, was von der Industrie gefertigt wird. Man merkt ja, dass die ganzen kleinen Handwerke nach und nach verloren gehen. Auch dadurch, dass die Billigware aus anderen Ländern zu uns kommt, da ist zwar auch viel Handarbeit drin, aber die Löhne sind anders. Es wird immer weniger werden. Wenn die Alten weggestorben sind, werden es die Jungen nicht weiter machen. Zu DDR-Zeiten hatten wir Mangelwirtschaft und dadurch hat das Handwerk hier geblüht. Aber eines Tages wird man kommen und sagen: „Mensch, da war doch mal was, wie macht man das?“ Und dann ist es zu spät, dann kriegt man das nicht mehr zusammen. Die Kübe, das ist eine ganz schöne Fummelei, bis man da dahinter kommt und die Reserve – wenn die Rezepte fort sind, dann ist es auch schlecht. Vieles muss man mit dem Auge sehen, das kann man nicht aufschreiben. Mein Mann weiß ungefähr, wenn er in die Kübe fasst, was da drin ist, er hat kein Labor. Selbst Fachleute von der BASF konnten das nicht begreifen, wie wir das so schön färben konnten, ohne es vorher berechnet zu haben.

Achten Sie auf die Zeit, die Sie für die Herstellung Ihrer Produkte benötigen? Nein. Es wird so lange gemacht, bis das so ist, wie man sich das denkt.

Wie stehen Sie zu industrieller Massenproduktion? Mein Ausbilder hat damals immer gesagt: Wir haben die Möglichkeit mit unserer Gestaltung die Käufer zu beeinflussen, dass sie etwas niveauvolles kaufen. Natürlich muss es die Industrie und Massenware geben – wir mit unseren Preisen könnten den einfachen Mann nicht erreichen. Aber mit unserer Gestaltung kann man den Leuten zeigen, wie es aussehen muss. Die Industrie könnte das in dieser Qualität gar nicht machen. Die würden dann blaue Farbe aufdrucken und das Weiß aussparen, wie Siebdruck oder mit weißer Farbe die Muster aufdrucken, aber das sieht und fühlt man dann. Beim Blaudruck dagegen sieht man, dass die blaue Farbe hinten und vorn ist, es ist durchgefärbt.

Können Sie sich vorstellen, irgendwann völlig mit Ihrer handwerklichen Tätigkeit aufzuhören – z.B. ganz normaler Rentner zu sein? Das kann man nicht. Solange uns die Füße noch tragen und die Hände es noch mitmachen, da geht’s in die Werkstatt. Und ich bin froh, dass mein Mann so gut mitzieht. Wir haben alles aufgegeben, damit wir das machen können. Alles Private zurück gestellt und da kann man dann nicht so einfach aufhören.

Fehlt den Menschen, die nur mit dem Kopf und nicht mit den Händen arbeiten, etwas? Ich habe früher auch im Büro gearbeitet, hatte da eine leitende Stellung, das hat mir auch sehr viel Spaß gemacht. Aber es ist doch anders, weil man jetzt etwas selber schaffen kann. Man hat eine Vorstellung und kann die umsetzen, hat Einfluss darauf. Im Büro muss man machen, was gerade anfällt.

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Formstecher Was bedeutet Ihnen Ihre Werkstatt?

Meine Tätigkeit beschränkt sich auf die Herstellung der Druckmodel für den Blaudruck und der Druckwalze für den historischen Tapetendruck. Der Druckstock ist unten aus Holz und das Muster wird mit Messing eingesetzt, da sich diese Kombination am besten bewährt hat. Und daraus sind dann die Druckstöcke, die die meisten Blaudruckereien verwenden.

Vom Vater habe ich das kleine Gebäude und im Nachhinein habe ich, entsprechend der finanziellen Möglichkeiten, die Werkstatt erweitert. Da hängt man natürlich dran. Neue Fenster, Heizung – früher war das nur sehr einfach, mit Ofenheizung. Da hatte man sich schon dran gewöhnen müssen früh am Morgen, wenn man runter kam, dass dann Minusgrade waren. Wenn man heute runter kommt und findet eine angenehme Wärme vor, da hat man gleich eine positivere Einstellung zur Arbeit. Ich bin ja letztlich mehr in der Werkstatt als in der Wohnung, sie ist ja direkt am Haus.

Wie sind Sie zu Ihrem Beruf gekommen? Ich habe den Beruf beim Vater gelernt, der auch Formstecher war. Obwohl ich den Beruf eigentlich gar nicht so unbedingt lernen wollte, ich hatte andere Ideen, aber es hat sich dann vom Vater aus so ergeben. Damals war es nicht so, dass die jungen Leute viel aussuchen konnten – der Vater hatte eben diesen Beruf und da stand das fest, dass ich das weitermache. Ich wollte gern Förster werden, aber ich habe heute ja trotzdem mit Holz zu tun.1963 habe ich meine Meisterprüfung gemacht und 1982 habe ich den anerkannten Kunsthandwerker bekommen. Und heute bin ich einer der Wenigen, die in diesem Beruf noch tätig sind. Meine Kinder haben sich noch nicht richtig entschieden. Der jüngste Sohn interessiert sich sehr dafür und so hoffe ich, dass er sich eines Tages dazu durchringt, das weiter zu machen.

Was verstehen Sie unter dem Begriff ‚Qualität‘ bzw. ‚gute Arbeit‘? Die Qualität ist für mich selber schon wichtig, denn ich muss ja das Produkt, was ich herstelle, weitergeben. Ist die Qualität mies, dann sieht das ja der Drucker. Er muss seine Sache, die er weiter gibt, auch gut machen. Wenn er jetzt z.B. Meterware herstellt, dann ist wichtig, dass die letzte Kontrolle der fertig gestellten Model genau stimmt. Man kann nicht sagen: „Das reicht mir jetzt so.“, es muss immer 100-prozentig sein, wenn man ihn abgibt. Man muss sich darauf verlassen können, dass der Drucker bei der Arbeit keine Schwierigkeiten hat. Das gilt auch bei der Tapete.

Was gefällt Ihnen an Ihrem Beruf besonders? Die Feinheiten, um so ein Musterbild entstehen zu lassen. Man muss Ruhe und Ausdauer mitbringen: Wenn ein Tag rum ist, dann ist es nicht unbedingt so, dass man von dem Muster viel fertigstellen konnte. Und der Kontakt mit verschiedenen Leuten, die man durch die Zusammenarbeit kennen gelernt hat.

Achten Sie auf die Zeit, die Sie für die Herstellung Ihrer Produkte benötigen? Das kann man nicht. Man überschätzt das auch bei manchem kleinen Model, wenn da z.B. Drahttupfen drin sind – das sind schnell mal 6000 oder 7000 kleine Tupfen. Da kann man nicht sagen: „Ich mach heute mal drei, vier Stunden.“ – das wäre dann gar nicht sichtbar. Man muss schon mal zehn, elf oder auch zwölf Stunden am Tag zusammen bekommen, um das auch fertigstellen zu können. Je feiner das Material, desto länger braucht man.

Was gefällt Ihnen nicht an Ihrem Beruf? Was nicht unmittelbar so schön ist, wenn die Modeln Plan geschliffen werden. Da wird mit einem ganz feinen Bimsstein gearbeitet und dabei entwickelt sich ein ganz zarter Staub. Das ist was, was zum Beruf dazu gehört, aber nicht so angenehm ist. Meine Frau merkt es dann immer, wenn sie die Wäsche waschen darf. Aber alles andere – da fällt mir nichts ein.

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Wie viel Zeit steckt in etwa in so einem Model?

Man muss eigentlich alles machen – auch in den Berufen. In unserem Beruf muss man beides können: Man muss zeichnen können und in der Lage sein, das Gezeichnete praktisch auszuführen.

Das ist unterschiedlich. Das kommt einmal auf die Größe und das Motiv der Model an. Man kann einfache Modeln mal in zehn, 20 Stunden herstellen und es gibt natürlich auch viele Modeln an denen man 14 Tage bis drei Wochen sitzt. Aber dann nicht nur mit acht Stunden am Tag. Das sieht man eigentlich gar nicht, wenn man so ein Stück fertig hat.

Wer sind Ihre Kunden? Das sind beim Blaudruck kleine Werkstätten, die in Deutschland verteilt sind. Frau Weiß in Erfurt beispielsweise. In Norddeutschland gibt es wohl noch eine Werkstatt, die führt der Enkel weiter, dann in der Lausitz oder in Bayern. Viele davon sind schon in einem gewissen Alter, sodass sicher eines Tages auch diese Werkstätten schließen. Bei den Tapeten arbeite ich mit einem Restaurator zusammen - der ist der Einzige, der diesen Tapetenhanddruck noch richtig herstellt. Er hat sich das anhand von Aufzeichnungen Goethes erarbeitet und gewisses Inventar neu hergestellt.

Was ist der Vorteil handwerklicher Produktion gegenüber industrieller Massenproduktion? Es sind Modelunikate oder sehr alte Modeln, die nicht mehr zum arbeiten gehen und man diese wieder neu herstellt. Am besten lässt sich das feststellen bei der Tapete: Man kann natürlich auch einen Schnelldruck machen oder man nimmt eben einen Model dafür. Der Unterschied ist in etwa so, wie wenn man eine Zeichnung und eine Fotografie vor sich hat. Die hergestellte Tapete mit Modeln wirkt plastischer als moderne Tapete. Beim Farbaufdruck ergeben sich unterschiedliche Höhen der Farben und das wirkt nun mal ganz anders. Auch bei den Stoffen – da sieht man schon als Laie den Unterschied.

Denken Sie, dass Ihr Beruf aussterben wird? Ja, wenn es die Kinder in der Form nicht mehr weiter machen, dann gibt es unsere Werkzeuge vielleicht auch eines Tages nur noch im Museum zu sehen. Das ist der Lauf der Zeit. Es ist zwar schade – aber meist wird wieder auf einen Beruf aufmerksam gemacht, wenn er nicht mehr existiert. Solange es den Beruf noch gibt, kommt keiner darauf, was zu unternehmen. Man gibt ja auch viel von Mund zu Mund weiter, vieles was so gar nicht niedergeschrieben ist. Und das geht dann verloren.

Fehlt den Menschen, die nur mit dem Kopf und nicht mit den Händen arbeiten, etwas? Ich würde sagen, es ist für jeden Beruf wichtig beide Seiten anzuwenden. Nicht nur das Kopfdenken, sondern das man das auch umsetzen kann. Manches ist in solchen Berufen sehr einseitig. Man sieht es ja auch, dass einige dann ganz aussteigen und was ganz anderes machen, um etwas mit den Händen zu gestalten oder herzustellen. Da gibt es sehr extreme Beispiele. Sicher wird es für den einzelnen Menschen für eine gewisse Zeit sehr positiv sein, aber das erfüllt ihn dann nicht auf Dauer. Für jeden Beruf ist die praktische Ausbildung wichtig. Wenn einer nur am Schreibtisch sitzt, der muss neben der Theorie auch das Praktische sehen – was er da hin zaubert, muss auch ausführbar sein. Heute geht es meist darum, was man studiert hat, aber wer seinen Meister gemacht hat, ist auch nicht schlechter. Wir können ja nicht von lauter Hochschulabsolventen existieren.

Können Sie sich vorstellen, irgendwann völlig mit Ihrer handwerklichen Tätigkeit aufzuhören – z.B. ganz normaler Rentner zu sein? Das wird sicher eines Tages so kommen. Man kann froh sein, solange man den Geist und die körperlichen Fähigkeiten dafür hat und das noch ausüben kann. Ich sage mir nicht: „Ab da ist Schluss.“ Das werden die natürlichen Wege ergeben. Ich habe da noch nicht drüber nachgedacht.

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Stockmacher Was gefällt Ihnen nicht an Ihrem Beruf?

Das Stockmacherhandwerk gibt es seit 1836 hier in Lindewerra. Damals kam der Stockmacher Wilhelm Ludwig Wagner auf der Suche nach Rohmaterialvorkommen und die fand er hier. Es gab Lohwälder, d.h. die Eichenrinde wurde in etwa zwei Meter Höhe abgeschält und zur Gerbsäureherstellung benutzt, um Leder zu gerben. Diese Bäume wurden gefällt und aus den Baumstümpfen wuchsen dann frische junge Triebe heraus, die zur Herstellung von Stöcken verwendet wurden. Dieser Stockmacher hat den Familien im Dorf das Handwerk gelehrt und so wurde Lindewerra zu einem Ort der Stockmacherei. In Spitzenzeiten waren es etwa 30 Familien, die sich so etwas dazu verdienen konnten, da dieses Gebiet relativ ärmlich war. Das Stöcke-Machen wurde als Nebentätigkeit gemacht, um über den Winter zu kommen, im Sommer wurde in der Landwirtschaft gearbeitet. In anderen Gebieten waren es stattdessen die Korbflechter oder Löffelschnitzer. In den Siebzigern gab es noch acht Betriebe in Lindewerra, die dieses Handwerk noch hauptberuflich ausgeführt haben und immer private Familienbetriebe geblieben sind. Seit vier Jahren sind wir die Letzten hier im Ort. Es gibt noch eine Firma im Nachbarort, wobei der Besitzer auch von hier stammt. Ansonsten gibt es niemanden mehr in Deutschland, der dieses traditionelle Stockmacherhandwerk macht.

Das man manchmal zu viel arbeiten muss. Es heißt ja so schön: Selbst und ständig, bei Selbstständig. Ansonsten gibt es immer Sachen, die man gerne bzw. nicht gerne macht. Stockmacher haben immer schwarze Hände, das kommt durch den im Holz bzw. der Rinde enthaltenen Gerbstoff.

Was bedeutet Ihnen Ihre Werkstatt? Das ist das Stammkapital überhaupt, was man braucht um dieses Handwerk ausüben zu können. Sie ist die Lebensgrundlage für uns.

Wo kommt das Holz für die Stöcke her? Das Rohmaterial wird nur noch in Spanien oder England gekauft. Ein ganz geringer Teil ist noch aus den Wäldern hier.

Was verstehen Sie unter dem Begriff ‚Qualität‘ bzw. ‚gute Arbeit‘? Wir stellen hier hochwertige Stöcke her, die es nirgendwo sonst gibt, die auch kein anderer machen kann. Unsere Konkurrenten in Fernost können sowas noch nicht herstellen und das ist unsere Qualität, die wir bringen.

Achten Sie auf die Zeit, die Sie für die Herstellung Ihrer Produkte benötigen?

Wie sind Sie zu Ihrem Beruf gekommen? Das liegt in der Familie, ich bin jetzt die fünfte Generation. Es wurde immer von Vater zu Sohn weitergegeben und so ist es bei mir gelandet.

Ja, muss man ja, es muss sich rechnen. Wir achten darauf, dass es keine Verzögerungen in der Produktion gibt. Aber man muss sich auf der anderen Seite wiederrum Zeit nehmen für bestimmte Sachen, um die Qualität zu halten. Man könnte sich vielleicht manche Arbeitsgänge sparen, die wir aber trotzdem noch machen, weil sonst wieder das Ergebnis leiden würde.

Was gefällt Ihnen an Ihrem Beruf besonders? Es ist abwechslungsreich. In der Stockherstellung braucht man 30 Arbeitsgänge, um verschiedenste Arten von Stöcken herzustellen. Es gibt unterschiedliche Griffformen und Stockarten, die wir anbieten. Aber auch der Verkauf und der Einkauf der Rohwaren macht mir sehr viel Spaß.

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Was ist der Vorteil handwerklicher Produktion gegenüber industrieller Massenproduktion? Die Qualität und Flexibilität – das ist der Unterschied. Alles ist noch klein und übersichtlich, keine Massenproduktion – alles sind Unikate, jeder Stock ist unterschiedlich gewachsen. Das funktioniert nicht in der Industrie.

Fehlt den Menschen, die nur mit dem Kopf und nicht mit den Händen arbeiten, etwas? Ja, auf jeden Fall. Es ist ein Ausgleich, man braucht auch körperliche Arbeit. Sicher, geistige Arbeit ist auch anstrengend. Man lernt aber so handwerkliche Arbeit zu schätzen, wenn man z.B. Stöcke im Laden irgendwo stehen sieht. Man weiß dann, wie viel Arbeit dahinter steckt und entwickelt eine andere Beziehung dazu.

Wie kommen die Kunden zu Ihnen – werben Sie? Es sind viele Stammkunden, wo Beziehungen seit Jahren bestehen und gewachsen sind – deren Vorgänger haben schon bei uns gekauft. Oder verschiedene Großhändler, die an Souvenirläden oder Sanitätshäuser weiter verkaufen. Wir sind auf Messen gefahren, um Kundschaft zu bekommen. Wir haben auch schon nach Japan, die USA oder Indien verkauft, aber unser Absatzgebiet ist Europa: Also Deutschland, Österreich, Schweiz, Italien – die Gegenden wo gewandert wird. England und Frankreich sind auch gute Märkte.

Denken Sie, dass Ihr Beruf aussterben wird? Ja. Ich habe zwar einen Sohn und eine Tochter, aber ob die das irgendwann einmal weiter führen, weiß ich nicht. Ich würde mich freuen, wenn es so wäre.

Können Sie sich vorstellen, irgendwann völlig mit Ihrer handwerklichen Tätigkeit aufzuhören – z.B. ganz normaler Rentner zu sein? Schwer. Also ich weiß es von meinem Großvater, der hat bis zum 81. Lebensjahr in der Werkstatt gearbeitet. Mein Vater ist jetzt 69, er arbeitet noch jeden Tag in der Gaststätte, die er sich neu aufgebaut hat und ich denke mal, bei mir wird es irgendwann genauso sein. Ich könnte es mir nicht vorstellen, mit 65 irgendwo zu sitzen und nichts mehr zu machen.

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Leitermacher In Deutschland bin ich der letzte originale Leitermann, der sein Handwerk wie zu Urgroßvaterszeiten ausführt. Allerdings fahren wir jetzt mit einem LKW unsere Ware aus und nicht mehr mit einem Pferdewagen, wie meine Vorfahren. Zu DDRZeiten hat das Geschäft 30 Jahre geruht. 1981 habe ich den Betrieb übernommen, durfte aber zu dieser Zeit nur produzieren, nicht verkaufen. Nach der Wende war ich der Erste, der einen Antrag auf ambulantes Gewerbe gestellt hat und seitdem fahre ich übers Land. Und das solange es mir erlaubt ist, jeden Tag. Einen Tag in der Woche nutze ich, um das Auto wieder mit Waren aufzufüllen. Ich habe Leitern in der Größe von 50 Zentimetern bis zehn Metern dabei und daneben Gartenmöbel, Rechen, verschiedene Sorten Stiele, Kuchenbretter, Brotschieber – also alles, was von Holz herzustellen ist. Zurzeit arbeite ich allein. Bei größeren Arbeiten hilft mir meine Frau oder mein Junge, denn alles kann man ja doch nicht – aber wir sind ein reiner Familienbetrieb. Die Herstellung der Leitern usw. ist Winterarbeit oder es wird gemacht, wenn schlechtes Wetter ist. Ich richte es mir so ein, dass ich früh um acht anfange zu arbeiten, je nachdem wo ich hinfahre, bis abends unterwegs bin und am Abend schnell nachlade, damit ich am nächsten Früh zur nächsten Tour aufbrechen kann. Ich fahre nach Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg und beliefere direkt den Endverbraucher. Die anderen hier ansässigen Leitermacher geben ihre Produkte an Großhändler ab. Am Wochenende bin ich auf Märkten unterwegs, in der Woche fahre ich über die Dörfer.

Frau bekommt jedes Jahr die ersten Kirschen. Wenn ich mit dem LKW unterwegs bin, dann bin ich schon oben und muss nur noch an den Baum heranfahren. Dadurch, dass man jedes Dorf besuchte, kam man mit den Bauern ins Gespräch: „Hast du gehört, was die Ochsen kosten?“, „Hast du gehört, was die Schweine kosten?“, „Hast du gehört, was das Getreide kostet?“ Man war Teil des Dorfes, wie der Schmied oder der Schneider. Mittlerweile hat sich das auch schon wieder etwas geändert.

Was gefällt Ihnen nicht an Ihrem Beruf? Die Zahlungsmoral wird zunehmend schlechter. Ich sehe das ja auch ein, ich komme ja nicht angemeldet, aber früher war das anders.

Was bedeutet Ihnen Ihre Werkstatt? Mein Leben. Die Gebäude waren schon da, aber nicht der Maschinenpark. Das hat man sich alles mit eigenen Händen beschafft und geschafft. Es gibt Maschinen, die teilweise älter sind als ich und die neueren Maschinen sind mehr oder weniger alle von uns Leitermachern im Kollektiv selber entwickelt wurden.

Was verstehen Sie unter dem Begriff ‚Qualität‘ bzw. ‚gute Arbeit‘? Das ist eine Grundvoraussetzung, denn mir nutzt es nichts, wenn ich eine Ware verkaufe und dann wieder in das Dorf fahre und man mir sagt: „Da hast du mir Plunder verkauft.“ Das Interessante ist, ob nun bei einem Uhrmacher oder einem Schlosser zu beobachten – die arbeiten alle mit Toleranz. Beim Leitermacher muss es passen. Weil die Leitern weder verkeilt noch verleimt werden, die werden mit zehn atü zusammengepresst und das war es. Dann muss es halten. Es gibt auch Vorschriften wie stark die Holmen und Sprossen sein müssen. Für die Leitern verwenden wir nur Fichtenholz, größtenteils aus dem Thüringer Wald und der Region.

Wie sind Sie zu Ihrem Beruf gekommen? Ich mache das jetzt in der fünften Generation. Der Beruf lag also in der Familie und die ersten Leitergeschäfte habe ich mit etwa vier Jahren gemacht.

Was gefällt Ihnen an Ihrem Beruf besonders? Der Umgang mit den Menschen. Man kommt durchs Land. Man ist mehr oder weniger in jedem Dorf bekannt. Die Landschaften. Und wenn ich es einrichten kann, dann fahre ich, sobald die ersten Früchte reif werden, los und meine

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Achten Sie auf die Zeit, die Sie für die Herstellung Ihrer Produkte benötigen?

Denken Sie, dass Ihr Beruf aussterben wird? Der Beruf ist zum Aussterben verurteilt, weil unsere Kinder das nicht mehr lernen dürfen. Der Ausbildungsberuf ist gestrichen worden und wird auch nicht wieder eingeführt.

Es ist in dem Moment keine Einzel-, sondern eine Serienproduktion. Und so nimmt man sich einen Stapel Holz rein und daraus werden die Sprossen gemacht und die Holme gebohrt, egal welche Länge die Leitern später haben sollen. Man spricht: Eine Zehnmeter-Leiter – einen Tag Arbeit.

Können Sie sich vorstellen, irgendwann völlig mit Ihrer handwerklichen Tätigkeit aufzuhören – z.B. ganz normaler Rentner zu sein?

Was ist der Vorteil handwerklicher Produktion?

Ich möchte in diesem Beruf alt werden. Ich werde auch mal gefragt: „Was denkst du dir nun, du bist 62?“, aber in der Richtung habe ich mir noch gar keine Gedanken gemacht. Solange ich das körperlich kann, führe ich das durch. Es ist ja auch so in einem Familienbetrieb, da hat man sich das mit eigenen Händen aufgebaut. Ich kenne von jeder Maschine die Geschichte, wie die hier her gekommen oder zustande gekommen ist. Aber ich kann auch nicht meinem Jungen sagen: „Du musst weitermachen.“, weil es zurzeit zu unsicher ist.

Man ist flexibler, man kann auf den Kundenwunsch schneller reagieren. Wir arbeiten heute noch zusammen, nicht als Genossenschaft, sondern als Kollegen. Da hilft man sich auch untereinander aus. Wir sind alles Familienbetriebe hier.

Wie stehen Sie zu industrieller Massenproduktion? In dieser Richtung gibt es das nicht. Für Malerleitern und Treppenleitern schon.

Gibt es außerhalb dieser Region noch Leitermacher? Im Holzland liegen die Orte, wo die Leitermacher herkommen: Das ist Weißenborn, Bad Klosterlausnitz, Hermsdorf, Tautenhain, Bobeck und Schleifreisen. Und selbst wenn heute irgendwo in Deutschland ein Leitermacher ist, der stammt aus dem Holzland.

Fehlt den Menschen, die nur mit dem Kopf und nicht mit den Händen arbeiten, etwas? Ja. Mein Vater ist bereits 92 Jahre alt und wo er körperlich nicht mehr konnte – das war ein Graus. Wir haben das dann schon so gemacht, dass wir ihn nur die Arbeiten machen lassen haben, wo er sich nicht zu sehr anstrengen musste. Es hat lange gebraucht, bis er sich daran gewöhnt hatte. Das war für ihn eine Strafe, obwohl er körperlich schon so kaputt war – es hat ihm mehr weh getan, wenn man gesehen hat, wie er sich da geplagt hat.

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Messerschmied Was gefällt Ihnen an Ihrem Beruf besonders, was nicht?

Der Beruf heißt Messerschmied und ich selbst bin Messerschmiedemeister. Ich habe den Meistertitel 1984 erworben. Heute heißt der Beruf nicht mehr so, sondern Schneidwerkzeugmechaniker und er ist nicht mehr meisterpflichtig. Ich habe von Grund auf Messer hergestellt, heute ist das eher seltener. Nach wie vor bearbeiten wir sämtliche Schneidwerkzeuge, wie Messer, Taschenmesser, Berufsmesser, verschiedene Scheren, technische Messer oder arbeiten altes Besteck usw. auf. Es werden auch Neuanfertigungen gemacht. Wir haben zum Schleifen unterschiedliche Schleifscheiben und Polierscheiben in verschiedenen Körnungen.

Die Arbeit ist sehr vielfältig. Es sind auch Arbeiten dabei, die nicht so viel Spaß machen, wie in jedem Beruf. Aber im Wesentlichen ist unser Beruf sehr abwechslungsreich, man kann sehr kreativ seine Ideen verwirklichen. Es macht mir Spaß. Was mir nicht so gefällt: Im Schneidwarenbereich oder Stahlwarenbereich, wie wir sagen, gibt es heutzutage eben sehr viel Billigware und wenn sowas zum Schleifen kommt, das gefällt mir weniger gut. Wenn eine Schere oder ein Messer die Qualität nicht von vornherein hat, dann kommt am Ende auch nichts Gutes dabei heraus. Da will ich die Kunden nicht verärgern, so sage ich meistens, das lohnt sich nicht. Ich kann nicht sagen, ich arbeite an der Schere lange herum und zum Schluss muss der Kunde sein Geld bezahlen, es bringt ihm aber nichts, weil das Grundmaterial von vornherein nichts wert ist.

Ich könnte noch selbst schmieden, aber wir haben das nur zu Schauzwecken gemacht, denn ich bin allein tätig und brauche auch irgendwann Feierabend. Bei mir geht die Arbeitszeit von Montagfrüh sieben Uhr bis oft abends um sieben, um acht und am Sonnabend arbeite ich auch noch.

Was bedeutet Ihnen Ihre Werkstatt? Wie sind Sie zu Ihrem Beruf gekommen?

Das ist eigentlich der Ort, wo ich den größten Teil meines Lebens verbringe.

Ich habe eigentlich Zerspanungsfacharbeiter mit Abitur gemacht, das ist eine Spezialrichtung für Werkzeugbau. Danach habe ich ein Fachschulstudium zum Maschinenbauingenieur absolviert und dann habe ich meine Frau kennengelernt. Ich hatte in meinem Beruf keine Aufstiegschancen, weil ich nicht alles so gemacht habe, wie es in der DDR gewünscht war. Und da hat sich das hier, in der Werkstatt des Schwiegervaters, angeboten und so habe ich zuerst in Feierabendtätigkeit hier mitgearbeitet. 1981 bin ich dann mit eingestiegen und habe mir aufgrund meiner Vorkenntnisse nur noch die Spezialrichtung ‚Messerschmied‘ mehr oder weniger im Selbststudium angelernt, denn es gab zu DDR-Zeiten keine Schule, die Messerschmiede ausgebildet hat. Die Meisterstücke habe ich in der Werkstatt hergestellt und am 24. Mai 1984 bin ich dann schließlich mit sehr gutem Ergebnis von einer Prüfungskommission frei gesprochen worden.

Was verstehen Sie unter dem Begriff ‚Qualität‘ bzw. ‚gute Arbeit‘? Gute Arbeit kann man nur machen, wenn man ein hohes Fachwissen hat, gute handwerkliche Fertigkeiten und gute Maschinen besitzt und das Ausgangsmaterial muss auch eine entsprechende Qualität haben. Ich sage immer: „Man kann aus einem Trabant keinen Mercedes machen.“

Achten Sie auf die Zeit, die Sie für Ihre Arbeit benötigen? Es gibt schon Zeitvorgaben, die man sich macht. Ich setze mir eben das Ziel: An dem Tag muss ich so viele Messer oder Scheren schaffen, um letztlich was zu verdienen. Manchmal läuft auch mal was quer. Aber generell gibt es schon ein Zeitschema.

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Was ist der Vorteil handwerklicher Produktion gegenüber industrieller Massenproduktion?

Denken Sie, dass Ihr Beruf aussterben wird?

Ich gehe ganz individuell auf jedes Produkt ein. Jede Schere z.B. ist etwas anders. Das eine muss man so bearbeiten, das andere so. Die Industrie fertigt Tag für Tag ein und dieselbe Schere. Es ist auch so, dass die Industrie bei der Produktion von Messern, diese am Ende wieder stumpf macht, weil sie über einen feinen Schleifstein abgezogen werden. Bei uns ist das anders, da ist die Schneide bis vorne hin ausgeschliffen. Auf einem Naturstein wird der Grat per Hand abgezogen. Die Industrie macht einen ziemlich stumpfen Winkel. So kommen viele frisch gekaufte Messer erst mal zu mir – zum Schleifen. Im Handwerk kann man individueller auf die Wünsche des Kunden eingehen, was die Industrie nicht kann.

Könnte ich mir vorstellen. Wenn man sich seine Kollegen so anguckt, da war ich mit über 50 Jahren einer der Jüngsten. Das Durchschnittsalter geht so an die 68, 70 Jahre heran. Bei vielen ist es mit einem Nachfolger schlecht. Man muss seinen Beruf schon mit Liebe machen, um so viele Stunden hier zu arbeiten. Ich selbst habe einen Sohn, der Messerschmied gelernt hat und ein paar Jahre hier gearbeitet hat. Er geht jetzt seinen zweiten Bildungsweg und hat ein Studium aufgenommen und ich denke, danach wird er woanders sein Geld leichter verdienen. Es gibt noch einige Messerschmiede in Deutschland. In manchen Gebieten, wie Südthüringen ist er wenig besiedelt – der nächste Messerschmiedemeister sitzt in Erfurt. Es macht aber nicht jeder dieses Aufgabengebiet, wie wir es machen, z.B. Taschenmesserreparaturen.

Fehlt den Menschen, die nur mit dem Kopf und nicht mit den Händen arbeiten, etwas?

Können Sie sich vorstellen, irgendwann völlig mit Ihrer handwerklichen Tätigkeit aufzuhören – z.B. ganz normaler Rentner zu sein?

Ich habe mich beispielsweise mit meiner Steuerberaterin über das Thema unterhalten und sie macht ihren Beruf sehr gern. Aber sie sagt eben, wenn sie gearbeitet hat und abends die Bücher zu macht, dann sieht sie nichts mehr, da ist alles weg. Und ich sehe einen Fortschritt bei der Arbeit oder wenn ein Produkt fertig ist. Das finde ich gut.

Wenn ich das Rentenalter erreicht habe, dann mache ich nicht mehr so einen Stress, also arbeite nicht mehr so viele Stunden, aber ich werde wahrscheinlich die ein oder andere Stunde doch noch in der Werkstatt verbringen. Es kommt erst einmal darauf an, wie die Gesundheit mitspielt, aber ich hoffe, dass ich dann noch guter Gesundheit bin.

Wie kommen die Kunden zu Ihnen – werben Sie? Hauptsächlich über Mund-Zu-Mundpropaganda. Ab und an mache ich auch Werbung. Es ist nicht so, dass ich herumfahre und Scheren und Messer einsammle – der Kunde kommt zu mir in den Laden und dort gibt er seine Schneidwerkzeuge ab.

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Glasbläser In über 100 Arbeitsgängen baut Manfred Bimbös Kontrabarometer aus dem Sortiment seines ehemaligen Betriebes. Heute führt er größtenteils Reparaturen aus und stellt gelegentlich auch noch Neuanfertigungen selbst her. Damit das Kontrabarometer exakt funktioniert, muss es genau auf die Höhenlage des Ortes, in dem der Besitzer wohnt, geeicht sein. Die meterhohen Präzisionsgeräte sind in ihrer Form und Funktion seit Jahrzehnten unverändert geblieben. Herzstück ist eine mit Quecksilber gefüllte mundgeblasene Glasschnecke. In einem anderen Gefäß befindet sich eine Anzeigeflüssigkeit (meistens gefärbtes Petroleum oder Öl) mit wesentlich geringerer Dichte als Quecksilber. „Die Skalenspreizung wird durch die unterschiedlichen Innendurchmesser des Ausdehnungsgefäßes und des Anzeigerohres erreicht. Hierbei ist zu beachten, dass bei niedrigem Luftdruck das Quecksilber im Gefäß hoch steht und damit auch die Anzeigeflüssigkeit. Dagegen steht bei hohem Luftdruck die Anzeigeflüssigkeit niedrig. Die Skaleneinteilung, die zum rechten Schenkel gehört, verläuft daher von oben nach unten. Das Barometer wirkt ‚kontra‘, daher auch der Name ‚Kontrabarometer’.“42

Was gefällt Ihnen nicht an Ihrem Beruf?

Wie sind Sie zu Ihrem Beruf gekommen?

Achten Sie auf die Zeit, die Sie für die Herstellung der Kontrabarometer benötigen?

Im Sommer, wenn es sehr warm ist, dann ist es ziemlich heiß. Aber sonst macht es schon Spaß.

Was bedeutet Ihnen Ihre Werkstatt? Wenn ich heute hoch gehe – ich gehe nicht mehr so oft hoch – dann ist das richtig komisch, da kann man sich kaum noch vorstellen, dass man jeden Tag acht, zehn Stunden gesessen und gearbeitet hat.

Was verstehen Sie unter dem Begriff ‚Qualität‘ bzw. ‚gute Arbeit‘? Das ist schon wichtig. Qualität – das muss schon sein, wenn man da was fertigt, da muss eins wie‘s andere aussehen – da kann nicht eins so aussehen und das andere so. Das kann man nicht verkaufen. Wenn etwas kaputt ist an einem alten Stück, kommen die Leute von weither. Das sind keine Wegwerfprodukte. Wer so was kennt, der hängt richtig dran.

Das hat sich ergeben. Ich habe Glasbläser gelernt und so bin ich dann in die Barometrie hinein gekommen und habe das dann 30 Jahre im Betrieb gemacht. Aber nur die Glasverarbeitung, seit der Wende mache ich das alles selbst. Ich habe mein Gewerbe bekommen, weil ich langjährige Erfahrung hatte – da war ich 55 Jahre alt.

Naja, Zeit ist Geld. Das muss auch ein bisschen flott gehen, wenn man zu lang dran rum macht, da ist es ja dann teurer. Es ist aber erst fertig, wenn es gut ist.

Was ist der Vorteil handwerklicher Produktion gegenüber industrieller Massenproduktion?

Was gefällt Ihnen an Ihrem Beruf besonders?

Massenproduktion ist ja hier gar nicht möglich, das ist ein reiner Handwerksberuf. Da gibt es keine Automaten und nichts – das muss man alles mit der Hand machen. Man hat das eben so im Sinn. Wenn man z.B. die Schnecke am Barometer fertigt, dann muss eine wie die andere aussehen.

Das ist der Spaß am Glasblasen, weil man das gelernt hat. Man hat ja nicht nur das gemacht, man hat auch größere Apparate gebaut – das hat man ja immer mitgemacht.

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Wie kommen die Kunden zu Ihnen – werben Sie? Übers Internet zum Beispiel. Die Barometriebranche ist ja nicht so groß gewesen, dass man davon leben kann. Ich hab ja noch Apparaturen geblasen für Laborgeräte wie Kühler, Bechergläser und Erlenmeyerkolben und andere Sachen. Barometer hat man so mitgemacht, das war nicht so viel, in der Glanzzeit waren es vielleicht 30 im Jahr.

Denken Sie, dass Ihr Beruf aussterben wird? Es sieht so aus, durch das Quecksilberverbot – man kann nur noch Reparaturen machen. Jetzt gibt es Flüssigkeitsbarometer, die sind aber nicht so genau – Quecksilber ist das Beste. Ansonsten gibt es nur noch zwei, drei die das in Thüringen machen.

Können Sie sich vorstellen, irgendwann völlig mit Ihrer handwerklichen Tätigkeit aufzuhören – z.B. ganz normaler Rentner zu sein? So lange es geht – es ist doch nicht viel. Mal eine Reparatur im Monat. Entweder ist es ganz alt, auf dem Trödelmarkt gekauft oder es hat 50 Jahre auf dem Dachboden gelegen – dann muss alles wieder aufgefrischt werden. Das Brett neu lackieren, die Eisenteile polieren, Rohre oder andere Teile reparieren, alles reinigen und mit Quecksilber neu befüllen auf die jeweiligen Höhen.

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Kamera-Reparateur Wie sind Sie zu Ihrem Beruf gekommen?

Im Vorfeld wird eben verlangt, dass man weiß, was in der Kamera steckt – dazu gehört natürlich viel Erfahrung und man kann auch mal daneben liegen. Dann muss man sich mit dem Kunden arrangieren und neu verhandeln. Es wird auch immer mehr Improvisation, vom Hersteller bekommen wir nichts mehr, er hat auch nicht mehr viel nach all den Jahren – es sind alles nur noch unsere Bestände, die aufgearbeitet werden. Ich kann jetzt auch nicht irgendwelche Bastelarbeiten machen – alles nur in dem Rahmen, wie ich es verantworten kann als Unternehmer.

Mein Vater hat das Geschäft aufgebaut und was war naheliegender, als dann dort mit einzusteigen. Es gab auch einige Voraussetzungen dafür, d.h. es durfte kein Abi, kein Studium da sein, denn zu DDR-Zeiten durfte keiner in die Privatwirtschaft, der bereits ein Studium „gekostet“ hatte. Auf diese Art bin ich zu dem Beruf gekommen und habe dann die Firma meines Vaters übernommen. Seit 1970 bin ich in diesem Geschäft hier.

Was gefällt Ihnen an Ihrem Beruf besonders? Wie kommen die Kunden zu Ihnen – werben Sie?

Es wiederholt sich nichts. Jede Kamera, jedes Objektiv oder Projektor, den man vor sich hat ist immer wieder individuell. Es gibt Standardfehler, aber die äußern sich unter Umständen verschieden, sodass man von vornherein nicht sagen kann, woran es genau liegt. Und meistens sind dann noch andere Kleinigkeiten zu machen, somit gleicht keine Reparatur der anderen. Es hängt auch mit dem Abnutzungsstand der Kamera zusammen oder mit der Nutzung generell – ob nur Studioaufnahmen gemacht werden oder ob sich der Fotograf in der Natur bewegt. Manchmal holt man sogar kleine Tierchen aus der Kamera – lebende, aber die meisten bereits verendet. Also ist der Beruf sehr abwechslungsreich und ganz oft ist die Fehlersuche die eigentliche Hauptreparatur. Man will ja hinterher dem Kunden auch eine Arbeit abgeben, die ihm etwas nützt.

Man kann Eigenwerbung machen, das funktioniert auch nur mit entsprechendem Feedback über Kreise, die heute selbst noch aktiv sind, also Clubs oder Sammlergruppen. Die Firma ist durch ihr langjähriges Bestehen bereits bekannt gewesen und viele haben das noch im Hinterkopf. Und im Internet muss man gefunden werden. Zum Teil kommen die Kunden aus Thüringen, aber es geht bis hin ins Ausland mittlerweile.

Was reparieren Sie für Kameras? Ich repariere nur analoge alte Kameras, alles andere hat keinen Sinn. Die modernen Hersteller sind an einem Service nicht interessiert. Es geht um den Neukauf, nicht um Reparaturen. Die Entwicklungskosten sind immens hoch und damit trotzdem günstige Verkaufspreise zu Stande kommen, werden entsprechend Massen davon produziert. Gerade für die günstigen Modelle gibt es keinen Service – das ist die sogenannte ‚Wegwerfgesellschaft‘. In immer kürzer werdenden Abständen kommen neue Modelle auf den Markt. Die alten Kameras, die wir hier reparieren, haben damals viel Geld gekostet, da hängen Erinnerungen dran und Emotionen, die teilweise mit bezahlt werden. Die Kameras sind das bei weitem nicht mehr wert, aber der Kunde hat die Kamera, mit der er ein Leben lang umgegangen ist oder die er von früher her kannte. Er kennt das System und seine Möglichkeiten. Es ist ein Hobby und Hobbys kosten

Achten Sie auf die Zeit, die Sie für die Reparaturen benötigen? Das geht nicht. Das ist noch nie gegangen. Auch zu DDR-Zeiten, da war die Regulierung der Arbeit und der Zeit noch eine andere als heute. Heutzutage ist man freischaffend, man kann selber alles steuern – wo Aufwand und Preis hingehen. Damals waren Regelleistungspreise da, die entwickelten sie aus Erfahrungswerten des Herstellers und darauf aufbauend hat man dann die Reparaturen zeitlich eingegrenzt und einen Preis genannt. Der Zeitrahmen hat sich natürlich verschoben, weil die Kameras älter geworden sind und dadurch ist der Aufwand erheblich höher. Damit ist die Zeitvorgabe nur ein Anhaltspunkt.

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Geld – eben oft eine Emotionsfrage. Neu bekommt man die Kameras nicht mehr und gebraucht ist der Markt mit analogen Kameras zugeschüttet und dadurch fallen die Preise. Aber es ist nicht klar, ob nun alles mit der Kamera in Ordnung ist. Gerade wenn Kameras lange liegen, dann ist es in der Feinmechanik so, dass es kaputt geht. Es gibt auch Sammler, die ihre Kameras in Ordnung haben wollen, obwohl sie sie nicht benutzen oder jede mal benutzen. Der Bedarf an analogen Kameras ist da. Und solange es Interessenten gibt, kommt bei mir auch immer mal ein bisschen was an.

was möglich ist. Es ist kein Metier mehr, dass ich empfehlen würde, es ist keine richtige Zukunft mehr da. Ich bin der Einzige, der in Thüringen noch existiert. Vor der Wende hatten wir über 50 Werkstätten, die das gemacht haben. Der Bedarf war viel höher, weil man mehr auf die Reparatur angewiesen war. Heute ist der Bedarf weniger und irgendwann wird der Beruf aussterben. Selbst die Geschäfte haben kein Interesse mehr am Service, die hatten uns früher unterstützt, indem sie Kameras angenommen und weitergeleitet haben. Es ist Arbeit, die kein Geld bringt und deshalb macht es heute keiner mehr.

Was passiert, wenn es einmal keine Ersatzteile mehr für die Reparaturen gibt?

Können Sie sich vorstellen, irgendwann völlig mit Ihrer handwerklichen Tätigkeit aufzuhören – z.B. ganz normaler Rentner zu sein?

Dann ist es vorbei. Zu DDR-Zeiten war Mangelwirtschaft und man konnte nicht so reparieren, wie es heutzutage üblich ist. Da bestimmte Teile nicht zu allen Zeiten verfügbar waren, hat man sich ein eigenes Lager angelegt. Damals waren die Kunden auch sehr geduldig, was Wartezeiten anging. Und von diesem Grundstock zehren wir heute noch. Wenn der irgendwann aufgebraucht ist, wird es problematisch. Man kennt allerdings auch die Verschleißteile und es gibt eben Teile, die reichen ein Leben lang. Man muss die Teile vorfinanzieren, so gilt es immer abzuwägen, was Sinn macht oder ob es andere Möglichkeiten gibt. Es ist eine Gratwanderung – da mache ich es, da lasse ich es sein. Es gibt einige Sachen, die kriegt man nicht mehr bestellt und die kann man auch nicht mehr machen lassen. Zum Beispiel Bezüge, das waren ganz spezielle Prägungen, von Spezialmaschinen angefertigt, die kann man nicht nachmachen. Die Elektronik ist auch ein Problem, die ganzen Bauelemente, die gibt es so heute gar nicht mehr. Wenn da was vorbei ist, dann ist es wirklich vorbei. Da kann man nur noch versuchen zu improvisieren. Oder der Kunde hat ein zweites oder drittes Gehäuse als Ersatzteilspender liegen und man versucht aus zwei Kameras wieder eine zu machen.

Es hängen mehrere Sachen dran. Die eine Seite ist die, dass ich eigentlich nicht in Rente gehen kann, weil ich zu DDR-Zeiten keine Versicherung hatte. Ich würde fast keine Rente bekommen. Aus diesem wirtschaftlichen Grunde müsste ich schon weiter machen. Die Frage ist nur: Kann man es noch oder kann man es nicht mehr. Auf der anderen Seite ist es so, die Kunden, die man hat, kommen nicht jeden Tag, denn es soll ja halten, was man macht. Wenn es nicht stressig wird, kann man als Rentner immer noch weiter machen. Aber das kann ich nicht voraussehen. Weitermachen werd ich schon, ganz einfach um vielen Kunden zu helfen. Ich mache es nicht ungern, sonst würde ich hier nicht mehr sitzen, es macht schon Spaß, es ist ein schöner Beruf.

Fotografieren Sie selbst auch? Ja, wenn ich Zeit habe, das ist mein Problem. Ich sehe die Fotografie unter dem Gesichtspunkt: Man kann Schnappschüsse von den Kindern oder Enkeln oder Urlaubsfotos machen, das ist alles das eine. Aber wenn man fotografieren will – was ich darunter verstehe, dann braucht man Zeit dafür und den Kopf frei. Wenn man das nicht hat, und das habe ich zurzeit nicht, dann funktioniert es nicht. Ich habe früher sehr viel fotografiert und habe im Fotoclub in Dresden mitgemacht.

Denken Sie daher, dass Ihr Beruf aussterben wird? Auf alle Fälle. Es ist keine normale Reparatur mehr heutzutage. Neu einsteigen ist fast nicht möglich. Man kann das keinem mehr zumuten. Es gehört jahrelange Erfahrung dazu, man muss einen Überblick haben und dann abschätzen können,

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Graveur und Medailleur Wie sind Sie zu Ihrem Beruf gekommen?

Bei Schrift, das macht nichts – aber bei anderen Dingen – wenn man großes Pech hat, fängt man wieder bei null an. Da flucht man kräftig und hört erst einmal auf. Und wenn man ganz bös ist, dann schmeißt man es in die Ecke, aber dann sucht man es auch wieder am anderen Tag. Zu unserem Beruf gehören eigentlich drei Dinge: Ein Teil ist Talent, ein Teil Fleiß und der dritte Teil auch ein bisschen Glück. Plus dem Glück, dass man gesund bleibt. Selbst wenn man mittelmäßig talentiert ist, dafür aber sehr fleißig, kann man spitze werden. Und wenn man hochtalentiert ist, aber ein fauler Bursche, wird es auch nur mittelmäßig. Wenn man kein Talent hat, dann wird es eben nichts.

Ich konnte gut zeichnen und das ist die Voraussetzung. Wir sind ja die Generation unmittelbar nach dem Krieg gewesen, da war es schwer. Die Betriebe waren kaputt, alles wurde neu aufgebaut. Es war nicht so einfach, eine Lehrstelle zu bekommen. Letztendlich klappte das. Mein Klassenlehrer sagte zu mir: „Schön wäre es, wenn du Graveur werden könntest.“ Ein Beruf, wo man sein Talent nutzen kann – das habe ich nie bereut. Der Graveur – das ist eine breite Palette, es gibt sechs bis sieben Spezialisierungsrichtungen. Ich bin dann in die Medaillenbranche reingekommen, wie die Zufälle so spielen. Ich habe viel graviert, alles was möglich ist, auch Souvenirs oder Schilder, Pokale usw. – eine riesige Breite.

Was gefällt Ihnen an Ihrem Beruf besonders? Es ist immer wieder etwas anderes – es wiederholt sich kaum etwas. Ich mache meine Arbeit heute noch gern. Manchmal da freu ich mich direkt, wenn es weiter geht oder wenn was fertig wird und wird dann abgeprägt. Wenn man zufrieden ist, dann ist das schön. Manchmal ist man nicht zufrieden – selbstkritisch muss man bleiben. Immer schön auf dem Teppich bleiben und mit den Augen mausen.

Wie wird eine Medaille hergestellt? Manchmal mache ich den Entwurf oder die Vorstellungen stehen schon, dann berät man sich noch oder man übernimmt es genau so wie gewünscht. Wenn ich Ihnen jetzt die Herstellung erkläre, das ist doch nur theoretisch, das müssten Sie sehen. Also, es wird aufgezeichnet, dann nimmt man einen Stichel und einen Hammer und los geht’s. Oder man muss erst Vorarbeiten machen, dass man erst absägen muss, muss zudrehen, was später graviert wird. Wenn man einen Prägestempel z.B. für eine Medaille macht, der muss vorher graviert und gehärtet werden, wird angelassen, wird poliert und dann wird es geprägt – alles in einer Hand wird das hier gemacht. Ich arbeite überwiegend im Positiv, das geht besser und ist einfacher. Man kann das besser sauber machen. Viele der Schriften habe ich selber hergestellt, in Handarbeit, die werden dann geschlagen. Oder ich lasse mir eine Schablone für eine Schriftart fertigen. Wenn man älter wird, sieht man viele kleine Buchstaben gar nicht mehr so. Es kann passieren, kurz bevor alles fertig ist, dass man sich verhaut mit der Schrift, das macht ein bisschen Arbeit. Kann sein – einen Tag Arbeit umsonst, und wenn man Pech hat auch zwei. Dann muss man das heraus feilen, soweit es geht und dann nochmal neu die Buchstaben aufbringen.

Was gefällt Ihnen nicht an Ihrem Beruf? Wenn es einmal nicht so gut ankommt, was auch mal passiert, aber es sollte nicht zu oft sein. Wir sind alle Menschen, wir machen auch mal einen Fehler.

Wie viel Zeit steckt in so einer Medaille? Bei einem Kopf kann man sagen, etwa drei bis vier Tage Arbeit. Ein Tag entspricht zwölf Stunden. Jetzt wo ich älter bin, arbeite ich nur noch halbe Tage.

Gibt es in Thüringen noch andere, die Medaillen herstellen, wie Sie? Kaum. Es gibt einen Eisenacher, in Tabarz noch einen und dann hört es auf mit der Prägemedaille. Dann können Sie nach Dresden gehen oder bis Nürnberg, München oder ins Ruhrgebiet. Da werden die Wege weiter.

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Achten Sie auf die Zeit, die Sie für die Herstellung Ihrer Medaillen benötigen?

schön sind. Aber wenn man das nicht hätte, dann kommen wir in unserem eigenen Dreck um. Solche Berufe sind notwendig. Und wenn einer denkt, mit dem Computer kann er seine Nägel reinhauen, das geht nicht, dafür braucht er einen Zimmermann. Durch die Technisierung wird alles vorbereitet. Man kann die Technik nutzen, wo es möglich ist.

Es geht danach, wenn es gut ist, wenn es vertretbar ist. Zeichnen, heißt ja eigentlich auch weglassen. Man muss sich auf das Wesentliche beschränken, was man machen will. Man muss ein Gespür haben, wenn es genug ist. Schluss. Sonst kann man mehr kaputt machen. Mitunter wird es dann schlechter. Es ist genauso, wenn man über ein Thema eine Arbeit schreibt und man weiß viel mehr darüber und man schreibt ein paar Seiten mehr, dann steht vielleicht am Ende drauf: „Vier. Thema verfehlt.“ Das habe ich auch schon gehabt. Aber diesen Fehler habe ich nur einmal gemacht.

Wie sieht es bei diesem Beruf mit Nachwuchs aus? Der Nachwuchs, der gebraucht wird in den größeren Betrieben, der wird garantiert heran gebildet. Bei uns, im Handwerk ist es sehr schwach. Wie wollen Sie als einzelner Meister das bewerkstelligen? Ich habe Leute hier sitzen gehabt von der Landesregierung, die haben mir dieselbe Frage gestellt. Da habe ich gesagt: „Das liegt doch an euch, stellt doch die Weichen.“ Wenn ich einen Arbeitsplatz stelle und die viele Zeit investiere, die notwendig ist, dann könnte doch das Land die Lohnkosten und Fahrtkosten übernehmen. Wie soll ein alleinstehender Meister die anfallenden Kosten alleine aufbringen? Zu DDR-Zeiten habe ich auch Lehrlinge gehabt. Aber es störte auch, die ganz feinen Arbeiten habe ich erst nach Feierabend machen können, weil man dafür Ruhe brauchte. Es dauert seine Zeit, man muss es denen ja immer wieder zeigen. Heute wird alles ein bisschen gelernt, aber nichts richtig. Das ist die neue Zeit, da wächst man eben rein, wenn man es nicht anders kannte. Im Handwerk muss man immer dazu lernen. Und der Spruch: „Den selben Fehler macht man nicht nochmal“, der stimmt auch nicht, nach einiger Zeit macht man sogar den gleichen Fehler wieder.

Was ist der Vorteil handwerklicher Produktion gegenüber industrieller Massenproduktion? Es ist das Individuelle. Und wenn das ganz aussterben würde, was ich nicht glaube, es ist eben nur selten, dann wird die Welt ärmer. Massenproduktion – auch auf dem Medaillenmarkt, das was die paar Großbetriebe in Deutschland machen, kann man in ihrer Qualität gegenüber handwerklicher Arbeit unterscheiden. Da muss es schnell gehen, alles ist computergraviert – es ist eine Massenware. Es gibt Leute, die den Unterschied sehen. Und es gibt Fans und Sammler, die sehen das sowieso. Die sehen sogar von wem das graviert wurde, das ist wie eine Handschrift – jeder hat seine Art.

Wie kommen die Kunden zu Ihnen – werben Sie? Können Sie sich vorstellen, irgendwann völlig mit Ihrer handwerklichen Tätigkeit aufzuhören – z.B. ganz normaler Rentner zu sein?

Das ist Mund-zu-Mundpropaganda. Das spricht sich rum, wenn man eine Arbeit macht, die gefällt. Und wenn man Mist macht, das spricht sich auch rum, aber ganz schnell. Wir müssen immer den Spagat machen – es muss vertretbar sein und es muss bezahlbar bleiben, sonst funktioniert es nicht.

Rentner bin ich doch. Aber ich bin noch hier – solange es der große ‚Manitu‘ zulässt. Ein Maler oder Schriftsteller hört doch auch nicht auf. ‚Rente – und nun ist Schluss‘, das geht doch gar nicht. Es gibt viele arme Menschen, die mit sich nichts anzufangen wissen. Die bloß Fernsehen gucken, die sich nicht belesen oder für irgendetwas interessieren oder etwas machen und bauen. Es gibt so viele Hobbys. Ein Mensch, der immer etwas gemacht hat oder schöpferisch tätig war, der hat keine Langeweile. Es gibt so viel Dinge, wo man nicht dazu kommt. Wo man sagt: „Das macht man dann, wenn man mal Zeit hat.“

Fehlt den Menschen, die nur mit dem Kopf und nicht mit den Händen arbeiten, etwas? Die Zeit ist so. Das kann man nicht zurückdrehen. Aber wenn ich heute höre ‚nur technisieren‘ – das wird nicht funktionieren. Wir haben viele Berufe, ich denke an den Klemptner, den Elektriker oder den Maurer, da gibt es Arbeiten, die nicht so

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Senfmüller Unsere Mühle ist seit 1732 in Familienbesitz. Heute haben wir eine Turbine und nutzen die Wasserkraft nur noch indirekt, das Wasserrad erzeugt nur den Strom für unsere Elektromotoren. Wir waren neben der Mehlmüllerei auch schon mal Senfmühle, Ölmühle, Gipsmühle, Sägemühle oder Spinnerei, da letztlich alles mit Zerkleinerung zu tun hatte. Von 1880 bis 1990 haben wir nur noch Mehl produziert und 65 Tonnen Getreide am Tag vermahlen. Wir waren mal ein mittelständischer Betrieb. 1972 wurden wir enteignet und ein VEB Betrieb und somit Angestellte auf unserem eigenen Haus und Hof. Nach der Wende forderte die Treuhand Altlastschulden von uns ein, so kam es, dass im rechten Gebäudeteil die Roggenmühle ausgebaut und verkauft wurde. Danach stand die Mühle erstmal still. Ab 1999 haben wir angefangen, die Senfgeschichte neu aufleben zu lassen und haben mit fünf Sorten angefangen. Es begann als Hobby und lief dann so gut, dass wir mittlerweile 22 Sorten haben.

Das Ganze läuft über zwei bis drei Durchgänge, je nachdem wie hart oder weich das Korn erntebedingt ist. Dadurch können wir besser die ätherischen Öle erhalten, die für Schärfe und Geschmack verantwortlich sind. Mit dem entstandenen Senfschrot setzen wir in der eigentlichen Senfmühle mit Wasser, Zucker und Salz die Maische an. Das Ganze wird dann zwölf bis 15 Stunden eingemaischt. Als natürlichen Konservierungsstoff geben wir anschließend Branntweinessig hinzu. Da wir mit ätherischen Ölen arbeiten, ist es wichtig, die Temperatur so niedrig wie möglich zu halten, daher laufen die Steinmahlgänge nur mit 55 Umdrehungen pro Minute. Wenn die Maische fertig ist, wird sie über eine Pumpe den Mahlsteinen zugeführt und in mehreren Durchgängen vermahlen. Der Senf quillt auf und wird dicker. Anschließend gelangt der Senf in einen Sammelbehälter und wird mit den verschiedenen Geschmacksrichtungen verfeinert. Unsere drei speziellen Senfsorten müssen wir einzeln ansetzen und vermahlen, weil die sich aus einer Mischung der drei Senfsaaten zusammensetzen und dadurch aufwendiger in der Produktion sind.

Wie sind Sie zu Ihrem Beruf gekommen? Was gefällt Ihnen an Ihrem Beruf besonders?

Es lag ja in der Familie. Mit 18 denkt man da noch anders, da wollte man lieber was Eigenes. Es ist ja nicht so einfach gesagt: „Das machst du mal weiter.“ Aber man wächst da rein. Ich habe dann Müller gelernt in Eberstedt und Stuttgart und bin 2004 in den Einzelhandel mit eingestiegen. Der Vater macht den größeren Vertrieb und die Wasserkraft, die Oma übernimmt den Telefondienst und das Mittagessen und die Mutter die Dekoration. Der Senf wird gemeinschaftlich hergestellt.

Ich habe mich 2004 selbstständig gemacht. Man kommt nicht in einen Trott hinein, denn man hat jeden Tag etwas anderes zu tun, das finde ich gut. Wenn man einmal selbstständig ist und es läuft gut, dann will man, so glaube ich, auch nicht mehr in ein Angestelltenverhältnis wechseln. In der Lehre hatte ich Schule in Stuttgart und da war mir schon klar geworden – die Großstadt ist nicht so mein Fall. So ganz ab vom Schuss möchte ich auch nicht sein und hier ist es ideal. Erfurt, Weimar oder Stadtilm sind in der Nähe und hier habe ich meine Ruhe, das finde ich sehr gut. Viele meiner Freunde müssen bis sonst wo hin, um Arbeit zu bekommen. So war das hier das Beste, was mir passieren konnte.

Wie wird der Senf hergestellt? Wir bearbeiten drei Senfsaaten, die wir aus der Nähe von Bad Tennstedt, aus Mittelsömmern beziehen. Je dunkler die Saatkörner, desto schärfer und würziger ist der Senf. Die Saat müssen wir schroten, damit sie später im Maischprozess mit Wasser reagieren kann. Bei einem geschlossenen Korn in Wasser angesetzt, passiert nicht viel, das quillt nur etwas auf, aber Senf wird daraus nicht. Deswegen läuft das Korn über einen Walzenstuhl, den Einzigen von 18, den wir noch betreiben.

Was gefällt Ihnen nicht an Ihrem Beruf? Ich habe täglich geöffnet. Ich könnte mir es zwar auch mal leisten einen Tag zu schließen, aber es ist mittlerweile alles so eingespielt, noch vom Vater. Es ist auch ein Saisongeschäft und da muss man schlechte Monate im Sommer wieder ausgleichen.

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Was bedeutet Ihnen die Mühle?

entwickeln kann. In der Industrie schmeckt im Prinzip alles gleich, man merkt da Qualitätsunterschiede. Deswegen lasse ich die Leute hier probieren, man schmeckt den Unterschied und kann so überzeugen.

Meine Vorfahren – es liegt viel darin. Ich weiß noch, wie ich als Kind auf den Mehlsäcken geschlafen habe oder den Rutschen hinunter gerutscht bin. Man weiß immer wofür man es macht. Ich will auch nicht derjenige sein, der das mal nicht mehr weitergibt. Wir haben einen guten Zusammenhalt in der Familie.

Fehlt den Menschen, die nur mit dem Kopf und nicht mit den Händen arbeiten, etwas?

Was verstehen Sie unter dem Begriff ‚Qualität‘ bzw. ‚gute Arbeit‘?

Man braucht beides. Es kommt aber auch auf den Menschen an. Manche mögen es nicht oder haben zwei linke Hände. Aber nur den ganzen Tag im Büro zu sitzen, das wäre mir zu eintönig, das würde ich nicht wollen. Ich kann genauso nicht jeden Tag Senf produzieren, ich brauche da Abwechslung – den Kopf auch mal nicht einschalten und einfach Rasen mähen. Man sollte sich je nach seinen Stärken einen Beruf suchen, indem man sich ausleben kann.

Es gibt ja die ‚Slow-Food‘-Bewegung. Heutzutage ist alles viel zu schnell. Wir könnten natürlich auch Aufträge annehmen und produzieren nur noch. Hier ist fast alles Handarbeit. Es gehört eine Woche Vorbereitung zu einem Produktionstag. Die Qualität würde darunter leiden. Man muss heute den Punkt finden „Nein“ zu sagen. Ich möchte auch nicht in großen Ketten zu finden sein. Wir produzieren nur nach Lagerbestand oder Auftragslage. Sonst wird man irgendwann so groß, bis einen der nächst größere Anbieter schluckt: Siehe Born-Senf, der wird auch nicht mehr in Erfurt hergestellt.

Denken Sie, dass Ihr Beruf aussterben wird? In der Müllerlehre lernt man die Mehlmüllerei und kann sich danach noch spezialisieren auf Gewürz- oder Futtermittelmüllerei. Wie ich den Senf mache, hat mir mein Vater beigebracht. Es werden jedes Jahr noch 200 bis 250 Müller ausgebildet, die Leute haben nur nicht mehr den Zusammenhang, wo Mehl aus dem Supermarkt eigentlich her kommt. Daher nutzen wir den Mühlentag, um z.B. Führungen zu machen, denn das Grundprinzip der Herstellung ist das Gleiche, wie vor 100 Jahren. Nur die Mengen haben sich erhöht. Im Müllerhandwerk braucht man also nach wie vor Müller, von da her ist der Beruf nicht vom Aussterben bedroht. Es gibt in Deutschland noch ein paar Senfmühlen, die neben uns traditionell Senf herstellen. Die Bekanntesten findet man in Monschau in der Eifel, in Cochem an der Mosel, Erkelenz und in Schwerte an der Ruhr. Die Senfmüllerei macht jeder ein bisschen anders, jeder hat da seine Geheimrezepte.

Wer sind Ihre Kunden? Unseren Senf findet man deutschlandweit in Feinkostläden, Fleischereien und darüber hinaus exportieren wir in die Schweiz und nach Österreich.

Achten Sie auf die Zeit, die Sie für die Herstellung des Senfes benötigen? Das ist immer der gleiche Ablauf: Der Senf wird einen Tag vorher gemahlen, abends wird er angesetzt. Dann maischt er die ganze Nacht durch und am nächsten Tag kommt der Essig hinzu, wird zwei Stunden mit vermaischt und danach geht die Vermahlung über die Steine los. Am Ende wird noch abgefüllt.

Wie stehen Sie zu industrieller Massenproduktion?

Können Sie sich vorstellen, irgendwann völlig mit Ihrer handwerklichen Tätigkeit aufzuhören – z.B. ganz normaler Rentner zu sein?

Die Industrie muss auf Masse produzieren, zerstört durch die hohe Verarbeitungsgeschwindigkeit aber sehr viel von den ätherischen Ölen und demzufolge geht die natürliche Senfschärfe zurück. Wenn die Industrie nun einen richtig scharfen Senf herstellen will, dann muss sie nachwürzen und gibt Fremdgewürze hinzu. Wir wollten dagegen den Leuten beibringen, was Senf eigentlich für eine Schärfe

Ich werde ja keine Rente kriegen, weil ich Selbstständig bin. Aber ich kann mir auch nicht vorstellen, wenn ich im Rentenalter bin, gar nichts mehr zu machen. Wenn ich jetzt in den Urlaub fahre, ist es schon so, dass ich zwei Wochen später Heimweh bekomme. Ich denke, ich werde hier immer etwas machen – bis es nicht mehr geht.

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6. QUELLENVERZEICHNIS

1 ‚HandWerk – die Letzten ihrer Zunft‘, Armin Panter, Claudia Scheller-Schach, Ed. Braus, Heidelberg 1996, S. 6 2 ‚The American Middle Classes‘, C. Wright Mills, White Collar, New York 1951, S. 220-223; dt.: Menschen im Büro, Ein Beitrag zur Soziologie des Angestellten, Köln 1955, S. 303 3 ‚Handwerk‘, Richard Sennett, Berlin-Verlag GmbH, Berlin 2008 (Originalausgabe „The Craftsman“, 2008 bei Yale University Press, New Haven und London), S. 390 4 Ebd., S. 391 5 ‚Seeing through Computers: Education in a Culture of Simulation (Advantages and Disadvantages of Computer Simulation)‘, Zit. In Sherry Turkle, American Prospect, März-April 1997, S. 81 6 ‚Drawing Digitally‘, Elliot Felix, Arbeitspapier für das Urban Design Seminar, MIT, Cambrigde, Mass., 4. Oktober 2005 7 ‚Handwerk‘, Richard Sennett, Berlin-Verlag GmbH, Berlin 2008 (Originalausgabe „The Craftsman“, 2008 bei Yale University Press, New Haven und London), S. 64 8 Ebd., S. 65 9 Ebd., S. 20 10 ‚Die Könnensgesellschaft – Mit guter Arbeit aus der Krise‘, Christine Ax, Rhombos-Verlag, Berlin 2009, S. 49 11 ‚Handwerk‘, Richard Sennett, Berlin-Verlag GmbH, Berlin 2008 (Originalausgabe „The Craftsman“, 2008 bei Yale University Press, New Haven und London), S. 235 12 Ebd., S. 294 13 ‚HandWerk – die Letzten ihrer Zunft‘, Armin Panter, Claudia Scheller-Schach, Ed. Braus, Heidelberg 1996, S. 10 14 ‚Handwerk‘, Richard Sennett, Berlin-Verlag GmbH, Berlin 2008 (Originalausgabe „The Craftsman“, 2008 bei Yale University Press, New Haven und London), S. 139 15 Ebd., S. 139 16 Ebd., S. 143

17 ‚HandWerk – die Letzten ihrer Zunft‘, Armin Panter, Claudia Scheller-Schach, Ed. Braus, Heidelberg 1996, S. 6 18 ‚Handwerk‘, Richard Sennett, Berlin-Verlag GmbH, Berlin 2008 (Originalausgabe „The Craftsman“, 2008 bei Yale University Press, New Haven und London), S. 79 19 ‚Die Könnensgesellschaft – Mit guter Arbeit aus der Krise‘, Christine Ax, Rhombos-Verlag, Berlin 2009, S. 85 20 Ebd., S. 72 21 ‚HandWerk – die Letzten ihrer Zunft‘, Armin Panter, Claudia Scheller-Schach, Ed. Braus, Heidelberg 1996, S. 10 22 ‚Der verborgene Schatz‘, Mischa Täubner, brand eins - Wirtschaftsmagazin, 11/2010, Seite 56 23 ‚Handwerk‘, Richard Sennett, Berlin-Verlag GmbH, Berlin 2008 (Originalausgabe „The Craftsman“, 2008 bei Yale University Press, New Haven und London), S. 73 24 Ebd., S. 56 25 Ebd., S. 133f 26 ‚Der verborgene Schatz‘, Mischa Täubner, brand eins - Wirtschaftsmagazin, 11/2010, Seite 56 27 ‚Handwerk‘, Richard Sennett, Berlin-Verlag GmbH, Berlin 2008 (Originalausgabe „The Craftsman“, 2008 bei Yale University Press, New Haven und London), S. 109 28 ‚Die Könnensgesellschaft – Mit guter Arbeit aus der Krise‘, Christine Ax, Rhombos-Verlag, Berlin 2009, S. 54 29 ‚Handwerk‘, Richard Sennett, Berlin-Verlag GmbH, Berlin 2008 (Originalausgabe „The Craftsman“, 2008 bei Yale University Press, New Haven und London), S. 104 30 ‚Faust – Der Tragödie erster Teil‘, J. W. Goethe, 3. Szene 31 ‚Die Könnensgesellschaft – Mit guter Arbeit aus der Krise‘, Christine Ax, Rhombos-Verlag, Berlin 2009, S. 146 32 Ebd., S. 37 33 ‚Anleitung zum Müßiggang‘, Tom Hodgkinson, München 2007, S.17 (Original: How to be Idle, London 2004)

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‚Marke Eigenbau - Der Aufstand der Massen gegen die Massenproduktion‘, Holm Friebe / Thomas Ramge, bpb - Bundeszentrale für Politische Bildung, Bonn 2009, Zitat Frithjof Bergmann, S.53 ‚Handwerk‘, Richard Sennett, Berlin-Verlag GmbH, Berlin 2008 (Originalausgabe „The Craftsman“, 2008 bei Yale University Press, New Haven und London), S. 43 ‚Marke Eigenbau - Der Aufstand der Massen gegen die Massenproduktion‘, Holm Friebe / Thomas Ramge, bpb - Bundeszentrale für Politische Bildung, Bonn 2009, S.48 ‚Die Könnensgesellschaft – Mit guter Arbeit aus der Krise‘, Christine Ax, Rhombos-Verlag, Berlin 2009, S. 169 ‚Marke Eigenbau - Der Aufstand der Massen gegen die Massenproduktion‘, Holm Friebe / Thomas Ramge, bpb - Bundeszentrale für Politische Bildung, Bonn 2009, S. 149 ‚Handwerk‘, Richard Sennett, Berlin-Verlag GmbH, Berlin 2008 (Originalausgabe „The Craftsman“, 2008 bei Yale University Press, New Haven und London), S. 150 ‚Marke Eigenbau - Der Aufstand der Massen gegen die Massenproduktion‘, Holm Friebe / Thomas Ramge, bpb - Bundeszentrale für Politische Bildung, Bonn 2009, S. 17 ‚Die Könnensgesellschaft – Mit guter Arbeit aus der Krise‘, Christine Ax, Rhombos-Verlag, Berlin 2009, S. 257 www.freunde-alter-wetterinstrumente.de/12barges.htm

- Glas Veredelung Karl Kutzer, Unterpörlitzer Straße 31, 98693 Ilmenau - Kürschnermeister Hansjürgen Grebenstein, Lange Brücke 26, 99084 Erfurt - Holzblasinstrumentenbaumeister Gunter Frommann, Martinrodaer Weg 10, 98716 Elgersburg - Gebr. Adamy Jagdwaffen - Büchsenmacher Meisterbetrieb, Windeweg 3, 98527 Suhl - Elektronik Werkzeuge Theodor Nothnagel, Bermbacher Straße 13, 98587 Steinbach-Hallenberg - Gerber Jürgen Stölcker, Zöllnersgasse 5, 99974 Mühlhausen - Sigritt Weiß Blaudruckerei, Mühlburgweg 32, 99094 Erfurt - Formstecherei Frindte, Krollstraße 54, 99974 Mühlhausen - Stockmanufaktur Michael Geyer, Am Rasen 14, 37318 Lindewerra - Bernd Schulz, Eisenberger Straße 52, 07639 Weißenborn - Arno Lützelberger, Messerschmiedemeister Ernst Sommer, Bahnhofstraße 27, 96515 Sonneberg, Thür - Bimbös Manfred - Glasbläserei, Barometer und Reparatur, Stollenstraße 2a, 98693 Martinroda - Foto Merten, Güldene Pforte 7, 98693 Ilmenau - Helmut König Graveur- und Prägeanstalt, Hammerweg 2, 98544 Zella-Mehlis - Kunstmühle Kleinhettstedt - Senfmühle, Kleinhettstedt 44 , 99326 Ilmtal

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