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Ballett am Rhein Düsseldorf Duisburg
A First Date – Erste Begegnungen mit Demis Volpi
Ingeborg Tichy-Luger im Gespräch mit dem neuen Direktor und Chefchoreographen des Ballett am Rhein
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DEMIS VOLPI © SIGRID REINICHS
Allem Anfang wohnt ein Zauber inne! Lieber Demis Volpi, herzliche Gratulation zum erfolgreichen Start mit dem Ballett am Rhein! Eineinhalb Jahre sind nun seit Ihrer Bestellung zum Ballettchef vergangen – und Sie hatten damals Ihren Start ja völlig anders geplant und programmiert ... doch dann kam die Pandemie. Welche enorme Herausforderung war es nun für Sie, mit einer zum Großteil aus neuen Tänzerinnen und Tänzern bestehenden multinationalen und -kulturellen Compagnie in relativ kurzer Zeit ein Covid-19-sicheres Vorstellungskonzept auf die Beine zu stellen? Die Herausforderungen sind sehr unterschiedlich: am Anfang der Pandemie ging es darum, die Gefahren und die dadurch entstandenen neuen Begrenzungen zu verstehen, logistische Lösungen zu finden, um dann einen kreativen Prozess zu ermöglichen, damit nicht jedes Ballett einem Kompromiss gleicht. Gleichzeitig war es plötzlich durch die Reisebeschränkungen gar nicht mehr sicher, wer denn alles überhaupt anreisen darf – momentan sind eine Ballettmeisterin, eine Tänzerin und ein Tänzer noch im Ausland. Nun geht es sehr stark darum, einen Alltag im Balletthaus zu ermöglichen, der uns gleichzeitig Sicherheit und Freiheiten bietet sodass Räume für Spontaneität entstehen können. Darüber hinaus müssen unsere Zuschauerinnen und Zuschauer den Gang ins Opernhaus neu lernen und die neuen Hemmschwellen, die es durch die Abstandsregeln gibt, überwinden. Für einen neuen künstlerischen Anfang, wo es sehr stark darum geht, das Vertrauen des Publikums zu gewinnen, sind die gegebenen Umstände eine große Hypothek.
Und wie sehr hat es in Pandemiezeiten geholfen, dass mit dem Balletthaus in der Merowingerstraße Ihrem 45-köpfigen Ensemble großzügige und sichere Trainingsmöglichkeiten zur Verfügung stehen? Das Balletthaus war uns bislang eine große Hilfe! Vor allem die Tatsache, dass wir fünf Ballettsäle
haben. Allerdings muss ich auch sagen, dass wir nur davon profitieren konnten, weil alle im Team – vor allem unsere Ballettmeisterinnen und Ballettmeister – sich bereit erklärt haben, zu sehr ungewöhnlichen Zeiten zu arbeiten. So haben die Tänzerinnen und Tänzer in den ersten Wochen zwischen 9 und 21.30 Uhr trainiert und geprobt. Das war eine enorme Leistung aller Beteiligten!
Ihr programmatisches Konzept startet mit “A First Date“ in drei Episoden – sowohl im Opernhaus in Düsseldorf als auch im Theater Duisburg – und hat dem Publikum nun ein individuelles Kennenlernen jedes einzelnen Tänzers und jeder Tänzerin in einer choreographischen Bandbreite von José Limón über Andrey Kaydanovskiy bis zu zehn Ihrer eigenen Arbeiten – darunter auch Uraufführungen – ermöglicht. Es waren sogar drei Uraufführungen! Eigentlich ist das ziemlich verrückt, was wir da gemacht haben. Sechs Premieren in zehn Tagen in zwei verschiedenen Städten, knapp ein Monat nach unserem Neubeginn und mit Einhaltung der Sicherheitsabstände. Aber es hat sich gelohnt. Wir sind von unsem Publikum wahnsinnig herzlich empfangen worden und die Tänzerinnen und Tänzer hatten so die Möglichkeit, sich einzeln vorzustellen. Dass sich das Programm trotzdem nicht wie ein gewöhnlicher Gala-Abend anfühlt, hat sehr viel damit zu tun, dass die ehemalige Tänzerin und nun Filmregisseurin Daisy Long für jede Episode jeweils einen Film kreiert hat, in dem man die Compagnie sehr nah erleben kann.
Dazu ist es uns auch noch gelungen, mit Aszure Barton und Andrey Kaydanovskiy zwei choreographische Persönlichkeiten vorzustellen, die auch in den nächsten Monaten bei uns präsent sein werden.
Nach Uraufführungen von Juanjo Arqués und von Ihnen im Abend “Far and near are all around” im Oktober trifft das Publikum auf “Entfernte Verwandte” im November: Hans van Manen, ein wohlbekannter und hochgeschätzter “Verwandter” in Düsseldorf Duisburg zeigt
EPISODE 1: “PRIVATE LIGHT”: LARA DELFINO, NELSON LÓPEZ GARLO © BERNHARD WEIS
EPISODE 2: “LOOK FOR THE SILVER LINING”: RUBÉN CABALAIRO CAMPO, MARIÉ SHIMADA © BERNHARD WEIS
sein 2014 uraufgeführtes Stück “Dances with Harp” in einer neuen Fassung als “Dances with Piano” gemeinsam mit seinem “Solo”, die beide im Frühjahr 2019 in dieser Kombination vom Ballett am Rhein getanzt wurden. Im zweiten Teil des Abends feiert die renommierte Choreographin Sharon Eyal mit “Salt Womb” ihr Debüt bei Deiner Compagnie. Hans van Manen war es wichtig, dass Stücke ein längeres Leben im Repertoire haben, damit das Publikum die Chance hat, sie erneut zu entdecken, damit die Sehgewohnheiten sich auch weiterentwickeln können. Dafür braucht man, ähnlich wie in der Musik, mehrere Begegnungen mit einem Werk. Das kam uns sehr entgegen, da ich für die Compagnie langfristig auch ein Repertoire aufbauen will. Da ist Wiederholung sogar wichtig und kann sehr bereichernd sein, wenn man immer Neues im Vertrauten entdecken kann. Mit Sharon Eyal kommt die Arbeit einer Künstlerin ans Haus, die radikal, präzise und gleichzeitig wahnsinnig befreiend ist. Sie ist nicht ohne Grund in kurzer Zeit zum regelrechten Star der choreographischen Szene geworden.
Bald darauf folgt im Dezember Ihre erste abendfüllende Uraufführung im Opernhaus Düsseldorf. Worauf darf sich das Publikum dabei freuen? Es wird ein Abendfüller, der auf ein Theaterstück vom argentinischen Schriftsteller Julio Cortázar basiert. Das Stück ist situativ, absurd und surreal zugleich. Es beschäftigt sich auf eine wundervoll humorvolle Art und Weise durch das Kolorit eines Cafés in Buenos Aires mit der Frage, ob ein Mensch über das Leben eines Anderen entscheiden darf. Das Stück zeigt uns in seiner phantasievollen Poesie, wie sinnlos die gesellschaftlichen Konstruktionen sein können. Die Figuren in ihrer Überzeichnung werden eine zentrale Rolle spielen, die Handlung ergibt sich aus diesem Mosaik.
Wie wichtig ist Ihnen die Förderung von Choreographienachwuchs aus Ihrer eigenen Compagnie? Darf die Kooperation des Ballett am Rhein mit der Tonhalle Düsseldorf “Über Grenzen – Prometheus aus Licht” zu Beethovens “Die Geschöpfe des Prometheus” als Start einer Choreographen-Nachwuchsschiene verstanden werden, denn die Choreographin des Abends, Virginia Segarra Vidal, ist eine Tänzerin aus Ihren eigenen Reihen? Als eine der größten Compagnien Deutschlands haben wir eine Verpflichtung dem Tanz gegenüber und auch seiner Zukunft. Wir müssen weiterdenken und Andere zum Weiterdenken einladen. Ich bin sehr froh darüber, dass wir im Dialog mit Bettina Masuch, der Intendantin des Tanzhaus NRW, eine neue Plattform für die Entstehung neuer choreographischer Sprachen entwickeln, ergebnisoffen und erstmalig, in dem wir das Wissen und Können der freien Szene mit den Erfahrungen und Strukturen einer Ballettcompagnie zusammenbringen. Ich sehe darin spannendes Potenzial für eine langfristige Zusammenarbeit und Weiterentwicklung unserer Kunstform.
Darüber hinaus brauchen wir auch Chancen für die bereits entdeckten Talente. Die Kooperation mit der Tonhalle Düsseldorf war die ideale Bühne für Virginia Segarra Vidal. Ich bin wirklich sehr neugierig darauf, was sie aus dieser sehr besonderen Möglichkeit machen wird – nicht nur für ihre eigene Weiterentwicklung, sondern auch künstlerisch für diesen besonderen Abend unter einmaligen Bedingungen.
Wann wird voraussichtlich die Planung für das zweite Halbjahr der Saison 2020/21 bekanntgegeben werden? Im Herbst! Ich kann nur hoffen, dass all die Erfahrungen, die wir jetzt sammeln, uns weiter bringen werden, um innerhalb der Begrenzungen weiter neue Räume zu entdecken. Natürlich hoffen wir aber alle, dass das Ende der Pandemie bald in Sicht ist.
Ich darf jedenfalls jetzt schon alles Gute, viel Erfolg und vor allem Gesundheit wünschen Ihnen, lieber Demis Volpi, Ihren Tänzerinnen und Tänzern und dem gesamten Team des Ballett am Rhein! Danke sehr für das Interesse!