Urban Research Kreativ Quartier — Sascha Bauer Franziska Glöckler Daniel Springer
Urban Research Kreativ Quartier — Sascha Bauer Franziska Glöckler Daniel Springer — Enstanden an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart — 2013
Inhaltsverzeichnis
Kreativquartier | Erster Teil Urban Research Kreativquartier Geschichte Was ist ein Kreativquartier? Typologie Topos Typus Tektonik Binz | Kreativquartier in Zürich Einführung Urbaner Kontext Geschichte Gebäude Organisation Gebäudenutzung Akteure Ende Wagenhallen | Kreativquartier in Stuttgart Einführung Urbaner Kontext Städtebaulicher Wandlungsprozess Geschichte Gebäude Organisation/Akteure Interview — Interview mit Uwe Stuckenbrock
p. 012 – 019 p. 020 – 027 p. 028 – 035 p. 036 – 043 p. 044 – 055 p. 056 – 075 p. 076 – 099
p. 100 – 109 p. 110 – 121 p. 122 – 125 p. 126 – 129 p. 130 – 131 p. 132 – 139 p. 140 – 143 p. 144 – 147
p. 148 – 157 p. 158 – 166 p. 167 – 169 p. 170 – 175 p. 176 – 181
NDSM | Kreativquariter in Amsterdam Einführung Urbaner Kontext Städtebaulicher Wandlungsprozess Geschichte Gebäude Organisation Interview mit Rob Post Interview mit Eva de Klerk Akteure — Interview mit Klaus Overmeyer Museumsquartier | Kreativquartier in Wien Einführung Urbaner Kontext Geschichte Gebäude Institutionen als Akteure — Interview mit Manfred Ortner Interview mit Elke Krasny Interview mit Matthias Küper Kreativquartier | Exkurse Exkurs Partizipation Exkurs Zwischennutzung Exkurs Typologie Schlussanmerkungen
p. 216 – 225 p. 226 – 235 p. 236 – 241 p. 242 – 247 p. 248 – 257 p. 258 – 259 p. 260 – 261 p. 262 – 263 p. 264 – 273
p. 274 – 281
p. 282 – 289 p. 290 – 301 p. 302 – 305 p. 306 – 319 p. 320 – 325
p. 326 – 327 p. 328 – 337 p. 338 – 345
p. 348 – 367 p. 370 – 377 p. 378 – 391 p. 392 – 397
p. 182 – 191 p. 192 – 205
p. 206 – 215
Sonstiges | Zum Schluss Danksagungen Impressum
p. 398 – 403 p. 404 – 405
Kreativquartier | Erster Teil Urban Research Kreativquartier p. 012 – 019 | Geschichte p. 020 – 027 | Was ist ein Kreativquartier? p. 028 – 035 | Typologie p. 036 – 043 | Topos p. 044 – 055 | Typus p. 056 – 075 | Tektonik p. 076 – 099 |
Wandel von der Industrie- zur Wissengesellschaft.
Begriffs Kreativquartier, ist die Erstellung dieses Buches
„Selbstverantwortung und Eigeninitiative sind das Mantra der
mehr als eine Herausforderung. Nicht nur informelle
individualisierten Leistungsgesellschaft. (…) weil wir aufgrund
Ansammlungen werden salopp als Kreativquartier be-
gesellschaftlicher Fragmentierung, beruflicher Flexibilisierung und
zeichnet, sondern auch zahlreiche neuentstehende
privater Individualisierung einzelgängerisch werden, blüht Ge-
Areale werden mit der Etikette versehen; Werbeplakate,
meinschaft als hoffnungsvolle Verheißung und Sehnsucht neu auf.“ 1
Bauschilder oder Internetauftritte verweisen darauf.
Um diesem Wandel gerecht zu werden, ist eine neue
Das Potenzial der „Kreativen Klasse“ wurde längst von
Orientierung in der räumlich-baulichen Konzeption
Städten und Immobilienentwicklern entdeckt.
und in der Organisation vorgefundener Gebäude erfor-
Die Vielzahl von Kreativ- und Kulturwirtschaftsberich-
derlich. Ausgeübte Tätigkeiten und die damit verbunde-
ten, Untersuchungen an Hochschulen, von Investoren,
nen Anforderungen treten in den Vordergrund, während
Architekten, Stadtplanern, Landschaftsplanern, Desig-
die Architektur in den Hintergrund rückt. Bei der
nern und selbsternannten Ermöglichern / Entwicklern
Untersuchung dieser Anforderungen, können wir – als
wurde versucht unter einen Hut zu bringen, um die
planende Instanz – neue Rahmenbedingungen für zu-
aktuellen Tendenzen zu verdeutlichen.
künftige Projekte generieren. Faszinierend an Kreativquartieren ist neben der äuße-
p.14
Aktuell in Zeiten einer inflationären Verwendung des
Urban Research Kreativquartier
Jahrzehnten erfahren wir nicht nur in Deutschland den
tiere ihren Ursprung in den Zeiten des Post-Fordismus.
Bedingt durch die immer deutlicher werdenden Auswirkungen der Globalisierung, beginnen wir unsere
ren Mannigfaltigkeit eine innere Vielfalt. Zum einen
Gewohnheiten und Denkweisen zu ändern. Das Berufs-
finden sich hier Überlegungen unterschiedlichster Fach-
bild des Architekten gewinnt im Gegensatz zu seiner
und Studienrichtungen. Zum anderen haben bestehende
klassischen Position als oberste Planungsinstanz zuneh-
theoretische Untersuchungen und gebaute Kreativquar-
mend an Bedeutung auf dem Feld der Moderation und
p.15
Kreativquartier — Erster Teil
Urban Research Kreativquartier | In den letzten
das in den Städten und deren Auseinandersetzung mit
herauszufiltern. Mit Hilfe von vier bestehenden Kreativ-
ihrem industriellen Erbe. Entscheidend hierbei ist die
quartieren (Wagenhallen, Stuttgart; NDSM Werft,
Verwertung der bestehenden gebauten Substanz als
Amsterdam; Binz, Zürich und Museumsquartier, Wien)
Herausforderung für die Architekten und Designer von
versuchen wir eine mögliche Bandbreite dessen aufzu-
heute. Brachflächen, leerstehende Gebäude und ge-
zeigen, was zeitgenössisch ein „Kreativquartier“ sein
schlossene Geschäfte galten einst als das Versagen einer
kann. Die vier Beispiele ermöglichen auch die Untersu-
Gesellschaft im politischen und ökonomischen Wachs-
chung anhand ihres Institutionalisierungsgrades.
tumssinne. Heute bieten diese sogenannten Möglich-
Ergänzt wird die Untersuchung durch spezifische Texte
keitsräume großes Potenzial vor allem für die „Kreative
und Interviews, die zur Thematik beitragen und aktuelle
Klasse“, die es gut versteht, sich vorhandenen Raum
Tendenzen aufzeigen.
anzueignen und für ihre Bedürfnisse umzugestalten.
p.16
Nicht das fertige Raum- und Grundrissmuster als ko-
„Kreativquartiere“ können solche Möglichkeitsräume sein.
pierbare Typologie sind Zielsetzung dieser Analyse.
Vor über einem Jahr begannen wir die städtebaulich-
Vielmehr wollen wir erforschen, inwiefern unterschied-
architektonische Untersuchung mit dem Arbeitstitel
liche Rahmenbedingungen in einer neuen Raumkonfi-
„Kann ein Kreativquartier eine architektonische Typologie sein?“
guration angeordnet werden können und welche Rah-
Wir wollten prüfen, ob und inwiefern das Kreativquartier
menbedingungen im städtischen Umfeld gegeben sein
ein planbares Konstrukt ist bzw. sein kann, oder ob es
müssen, so dass ein Kreativquartier entstehen kann.
lediglich eine gesellschaftliche und bauliche Erscheinung
Urban Research Kreativquartier
gewisse Gemeinsamkeiten und Differenzierungen
Die zunehmende Vermischung von Freizeit und Arbeit
ist. Dabei haben wir uns der typologischen Untersu-
erfordert neue Nutzungszyklen. Diese gesellschaftliche
chungsstrategie bedient, um architektonisch relevante
Veränderung gilt es zu fokusieren und grundlegende
Themen zu berücksichtigen und anhand des Vergleiches
Anforderungen herauszufinden, die sich aus den unter-
p.17
Kreativquartier — Erster Teil
Organisation kreativer Cluster. Besonders spürbar ist
matische Struktur von Kreativquartieren. Im Abschnitt
ergeben. Für eine bessere Positionierung der „Kreativen
Tektonik gehen wir auf das vorgefundene Gebaute ein.
Klasse“ innerhalb des sozialen und ökonomischen Gefü-
Anhand von Transformationsprozessen wird aufgezeigt,
ges, konzentrieren wir uns in der Untersuchung zudem
wie post-industrielle Bausubstanz neuen Anforderungen
auf die wesentlichen Aufgaben des „neuen“ Planens.
angepasst wird.
Die vorliegende Arbeit gliedert sich in vier Teile: Im
Im dritten Teil werden anhand dieser drei Parameter,
ersten Teil unserer Arbeit gehen wir auf die Thematik
„Topos“ (urbaner Kontext in kleinerem Maßstab), „Typus“
„Kreativquartier“ im Allgemeinen ein, geben einen Ein-
(Nutzer und Akteure der Quartiere) und „Tektonik“
blick in die Geschichte kreativer Ansammlungen und
(architektonische Untersuchung gebauter Struktur), die
versuchen eine erste Definition zu formulieren.
vier ausgewählten Kreativquartiere im Detail untersucht.
Wir erläutern Kriterien für die Auswahl der vier zu ver-
Urban Research Kreativquartier
Kreativquartier — Erster Teil
schiedlichen Tätigkeiten innerhalb der Kreativquartiere
Im letzten Teil klären wir rückblickend Begriffe, wie
gleichenden Kreativquartiere und die dafür gewählte
Trend, Mode, Phänomen, Methode oder Prinzip, die der
Vorgehensweise der typologischen Untersuchungsstrate-
Beschreibung des Kreativquartiers gerecht werden.
gie und erläutern, wie wir die Begriffe Topos, Typus und
Außerdem soll eine weltweite Verortung momentan akti-
Tektonik in dieser Untersuchung verwenden: Topos
ver Kreativquartiere einen Überblick bieten. Exkurse
zeigt dabei im Städtevergleich messbare Parameter, die
zum Thema Partizipation und Zwischennutzung, sowie
relevant sind für die Verortung von Kreativquartieren.
Interviews und Gespräche mit international tätigen Per-
Im Abschnitt Typus wird die Spanne des theoretischen
sonen aus diesem Feld ergänzen die Arbeit.
Diskurses um die „Kreative Klasse“ der letzten 20 Jahre
p.18
Kreativwirtschaft vorerst endet. Diese Definition bildet unter anderem eine entscheidende Basis für die program-
1 „Gemeinsam aufbrechen statt in Gemeinschaften erstarren“; Bathen , Dirk / Jelden, Jörg; S. 26; in: Revue – Magazine for the Next Society; Heft 12; Frühjahr 2013
p.19
aufgezeigt, welcher in der Definition der Kultur- und
Geschichte — Ein geschichtlich orientiertes Glossar an wichtigen Einflüssen zur Entstehung von Kreativquartieren
Um den Informations- und Ideenaustausch sowie auch die Präsentation von Gedichten, Musikstücken und Experimenten zu fördern, wurden Treffen von Künstlern, Intellektuellen und Literaten in Salons abgehalten, die von Mäzenen, Vereinen oder meistens auch von wohlhabenden, gebildeten adligen Frauen ausgetragen wurden. Philosophen wie Voltaire oder Diderot verkehrten in den Pariser Salons und bereiteten dort den Boden für die Französische Revolution.
Der Salon von Gertrude Stein, der in der gemeinsamen Wohnung mit ihrem Mann Leo Stein in der Rue de Fleurus 27 in Paris lag, wurde zu einem Zentrum der schriftstellerischen und malerischen Avantgarde. Das Haus lag in unmittelbarer Nähe zum Jardin du Luxembourg . Es war ein eingeschossiger Pavillon in einem Innenhof. Nach Norden hin ausgerichtetem Winkel ein Studio anschloss.
1. Ökobewegung
1889
1899
1911
Künstlerkolonie Darmstadt
Taliesin Schule Der amerikanische Architekt Frank Lloyd Wright gründete 1911 mehrere „Ateliers“ mitten in der amerikanischen Prärie. Er betrachtete Talisien als eine Schule, wobei ihm u. a. die Künstlerkolonie Darmstadt als Vorbild diente. Talisien wurde ein Anziehungspunkt von jungen Architekten aus der ganzen Welt.
p.22
Kaffehaus Das Kaffehaus gilt Anfang des 20. Jahrhunderts als intellektueller Treffpunkt von Literaten, Dichtern und Künstlern. Es ist vergleichbar mit den Salons zur Zeit des 18. Jahrhunderts, nur das diese Treffen zum Teil in öffentlichen Kaffehäusern stattfinden.
Manifeste Ein wichtiges Mittel des intellektuellen und künstlerischen Zusammenschlusses Anfang des 20. Jahrunderts war das Manifest. Die bedeteutenden Bewegungen wie Futuristen, Dadaisten und Surrealisten hatten ihre Manifeste und dadaurch auch Aufmerksamkeit auf Gleichgesinnte.
1919
Derive
1953
Team X Die Architektengruppe Team X hat sich ursprünglich aus einem Congrès International d’Architecture Moderne (CIAM) entwickelt und wirkte bis in die 80er Jahre. Die Vertreter des Team 10 kritisierten die klassischen Ideen der Moderne, speziell von Le Corbusier. Anstatt einer Funktionstrennung von Wohnen, Arbeiten, Freizeit und Verkehr setzten sie die Hierarchisierung in Haus, Straße, Stadtviertel und Stadt entgegen.
Das Dérive ist „eine Technik des eiligen Durchgangs durch abwechlungsreiche Umgebungen“(15). Anhand dieser Technik sollen bekannte Bewegungs- und Handlungsabläufe gezielt umgangen werden um so neue unentdeckte Wege oder Plätze anzueignen und neue Situationen des Begegnens zu schaffen.
Detournement
Surrealisten Die Experimentierkünstler der Surrealisten gingen zum Teil aus der dadaistischen Bewegung hervor. Die Treffen wurde auch oftmals in Kaffehäusern und Clubräumen organisiert, bei denen zugleich auch experimentiert wurde. Automatisiertes Schreiben und zeichnen, sowie auch unter Schlafmangel und Rauschzuständen wurde ein beliebtes Stilmittel der Surrealisten.
Künstlerkolonie Worpswede
Mit dem Ziel der Schaffung von zukunftsweisenden Bau- und Wohnformen veranlaßte der Großherzog Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein die Gründung der Künstlerkolonie in Darmstadt. Die Kolonie bestand bis 1914, also bis zum Ausbruch des 1. Weltkrieges. Bekannte Vertreter sind unter anderem die Architekten Peter Behrends und Josef Maria Ohlbrich.
Die entstanden Kolonien werden durch neu geschaffene Siedlungen repräsentiert, oftmals im Ideal der vorherschenden Architekturauffassungen des Architekten, der Stilrichtung oder des Ortes. Jedoch haben die Künstlerkolonien die Nähe zu der Natur gemeinsam. Und gerade die Schaffung einer neuen Kolonie in der Prärie erfordert auch eine Auseinandersetzung mit der neu zu definierenden Architektur.
Dadaisten Die Künstlergruppe der Dadaisten wurde 1916 in Zürich gegründet. Als Gründungsort galten die Räume eines Clubs oder Kaffeehauses namens „Cabaret Voltaire“ in dem unregelmäßig Treffen abgehalten wurden. Von dort aus wurde die Künstlerbewegung weltweit bekannt und durch Splittergruppen auf der ganzen Welt repräsentiert.
Die Kolonie in Worpswede, welche in der Nähe von Bremen liegt, ist eine Gemeinschaft von Künstlern, die dort sowohl arbeiten und zugleich leben. Einige bdeutende Künstler und Künstlerinnen des deutschen Impressionismus und Expressionismus haben waren Teil der Bewegung.
Ende des 19. Jahrhundert wird die erste Ökobewegung durch die wiederaufkommende Romantik und Heimatschutzbewegung eingeläutet. Gerade Künstler und Intellektuelle idealisieren diese Idee. Daraufhin enstehen viele Künstlerkolonien gerade in Mitteleuropa, die die Verbundenheit zu der Natur suchen.
Entworfene Gebäude
1916
Geschichte
Gertrude Stein
1957
Situationisten Die situationistische Internationale ging 1957 aus mehreren intellektuellen Splitterparteien hervor. Oftmals waren ihre Projekte an der Schnittsstelle zwischen Architektur, Kunst und Performance angesiedelt und beeinflußten dadurch die Wahrnehmung der damaligen Stadt. Die damals entstandenen Konzepte des Derive und des Détournements sind noch heute bedeutend.
Das Détournement ist eine weitere Technik der Situationisten, die sich als Zweckentfremdung übersetzen läßt. Im Mittelpunkt steht die kreative Aneignung von vorgefundenem. Das Detournement bezieht sich auf viele Facetten des Lebens. Im Sinne des Städtebaus lassen sich vorgefundene und verlassene Gebäude als Objekte der Begierde für eine Zweckentfremdung heranziehen. Durch die Verbindung des Vorgefundenen und der Zweckentfremdung sollen neue Situationen, Ideen und Identitäten entwickelt werden. 1958
L‘architecture mobile Der Architekt und Denker Yona Friedman veröffentlichte im Jahr 1958 das Manifest „L‘architecture mobile“. Dabei prägte er die Ideen der Raumstadtkonzepte. Seine Stadtentwürfe sind gleichzeitig soziale Utopien, die die Bewohner als Selbstgestalter ihrer Lebensumwelt antizipieren.
p.23
Kreativquartier — Erster Teil
Die Salonkultur
Der Brutalismus bedeutet in der Architektur die Hinwendung zu der rohen Bausubstanz. Reyner Banham definiert es anhand der Projekte von Peter und Alison Smithsons wie folgt: „1. formale Lesbarkeit des Grundrisses; 2. klare Zurschaustellung der Konstruktion; und 3. Wertschätzung der Materialien „as found“ [als gegebene].“
Die Hippiebewegung oder auch Flower-Power Bewegung, welche in den 60er Jahren in San Francisco hervorging, prägte die 1970er Jahre. Aus dieser Bewegung gingen nicht nur viele politische und soziale Ideen hervor sondern auch Experimente. Es enstanden soziale Wohnexperimente, die in Kommunen ihresgleichen fanden. Es wurde mit Drogen wie LSD experimentiert, die noch teilweise als Medizin in der Psychiatrie eingesetzt wurde. Und es gab meist friedliche Proteste für eine humanere, klassengleiche und anti-konsumorientierte Gesellschaft.
1959-74
In den Jahren 1959-1974 entwarf der Künstler Constant Nieuwenhuis eine Serie aus Malereien, Skulpturen und Modellen zu seiner Idee des New Babylons. Das Projekt basiert darauf, das der neue kreative Mensch oder auch Homo Ludens, Teil der Produktion von Stadt ist, immer auf der Suche nach neuen Sensationen und Situationen
Gesellschaft des Spektakels Der von dem Situationisten Guy Debord verwendete Begriff „Gesellschaft des Spektaktels“ war eine heftige Kritik auf die Lebenswelt der 50erund 60er Jahre. Das gleichnamige Buch wurde 1968 publiziert und inspierirte die Protestbewegungen, sowie die in den 80er Jahren aufkommende Subkultur.
1964
1961
Fun Palace Das visionäre Projekt Fun Palace des Architekten Cedric Price in Kooperation mit der Theaterregisseurin Joan Littlewood nahm inhaltlich das Kreativquartier vorweg. Das Projekt beruht darauf ein Labor für die Künste entwerfen, also ein Ort, an dem ständig Aktivitäten stattfinden an denen man aktiv teilhat oder passiv betrachtet.
1964
Diese Form des Protests hat ihre Wurzeln ebenfalls in den 1970er Jahren. Durch die Abwanderung der Mittelschicht an den Speckgürtel der Stadt sowie durch die Auflösung von ehemals florierenden Industrien, entstanden ungenutzte Leerflächen in den zentrumsnahen Gebieten. Hausbesetzungen können politisch motiviert oder auch einfach aus einem pragmatischen Ansatz entstehen. Noch heute werden sie in dieser Form häufig verwendet, um auf den teuren Wohnraum in den Städten aufmerksam zu machen.
Walking City 1960 bis 1974 wurden von der britischen Architektengruppe „Archigram“ unterschiedliche soziale Utopien imaginiert, die noch immer großen Einfluß ausüben. Ihre Entwürfe waren geprägt von einem Zukunftsoptimismus, der von Wohnkapsel bis hin zu mobilen Städten wie die „Walking City“ reichte.
Stillegung alter Fabriken
Studentenrevolte
1968
2. Ökobewegung
p.24
The Death and Life of Great American Cities In dem wichtigsten Buch von Jane Jacobs kritisiert sie die modernistische Stadtplanung, die durch ihre Strenge und funktionale Trennung das öffentliche Leben der Städte beinträchtigt. Sie plädiert für Mischnutzungen und gewachsenen Strukturen, die nach den Bedürfnissen der Menschen ausgerichtet sind.
Zeitgleich mit dem Aufkommen der großen Protestaktionen entstand in den 1970er Jahren die zweite große Umweltbewegung, die noch stark bis in die 1980er Jahre wirkte und ihren Ausdruck durch den Anti-Atomkraftprotest fand. Geprägt ist dieser Protest durch eine allgemeine Hinwendung zu einem alternativen Lebensstil.
1968 Recht auf Stadt 1968 prägte der französische Soziologe und Denker Henri Lefevbre in seinem Buch „la droit à la ville“ den Begriff der Recht auf Stadt. Darin setzt sich Lefevbre für eine Re-urbanisierung der Gesellschaft ein, die durch das Einschließen in „Schachteln, Käfigen oder ‚Wohnmaschinen‘„ das Bewußtsein für Urbanität verloren hat.
In den Jahren 1967 und 1968 kam es in Deutschland, Frankreich, Italien, USA und vielen weiteren Ländern zu politisch motivierten Studentenproteste. Die Straße und die Besetzung von Universitäten war der Ausdruck dieser Bewegung.
Die zunehmende Deindustrialisierung der Post-industriellen Gesellschaft ist geprägt von der Auflösung oder Abwanderung unterschiedlicher Industriezweige. Die eigens dafür gebauten und genutzten Komplexe werden mehr und mehr obsolet. Daraus resultieren leerstehende Industriebrachen die ohne direkte Nachnutzung das Zeitalter der Industrieruinen einläuten. 1964
Silver Factory Die von dem Künstler in Manhatten gegründete Factory war ein Treffpunkt der internationalen in New York angesiedelten Künstler und homosexuellen Szene. Der Name Factory stammte von der in leeren Industrielofts angesiedelten Atelierflächen. In den Räumlichkeiten wurden die Grenzen zwischen künstlerischer Arbeit und Vergnügen verwischt und meistens gleichzeitig verrichtet.
Hausbesetzungen
Partizipation Zu der Zeit der 70er Jahre kam durch die Abwendung von den modernistischen Idealen und der aufkommenden Stadtutopien die Idee der Beteiligung der Stadtbewohner auf.
New Babylon
Geschichte
Hippie
1967
1967 Soziale Plastik Der Künstler Joseph Beuys förderte mit seinen Kunstaktionen und theoretischen Auseinandersetzungen den Begriff der sozialen Plastik. Gemeint ist dabei ein erweiterter Kunstbegriff, und zwar die Vorstellung einer „umfassenden schöpferischen Umgestaltung des Lebens“[70] Weiter formulierte er seine Vorstellung, die „Gesellschaftsordnung wie eine Plastik formen, das ist meine und die Aufgabe der Kunst.“[71]
p.25
Kreativquartier — Erster Teil
New Brutalismus
1970
In den 70er Jahren entwickelte sich durch die Beliebtheit des Protests und auch in Zusammenhang mit der Musik der Punk. Darin ist die Anti-haltung gegenüber gesellschaftlich relevanten Themen besonders entscheidend. Daraus entstand eine Bewegung die sich durch Haltung, Mode und Benehmen prägend identifizierte.
1970 Arcosanti
Co-working Spaces
Das Projekt „Arcosanti“ von Paolo Soleri wurde in der Wüste von Arizona gegründet. Es handelt sich um eine Stadtutopie für deren Durchführung bzw. ständige und noch heute andauernde Durchführung der Partizipationsgedanke eine wichtige Rolle spielt.
Darunter versteht man Räumlickeiten in denen Arbeitsplätze für unterschiedlich arbeitende Menschen zur Verfügung stehen. Gerade Menschen aus dem Kreativsektor nutzen diese Räume, da sie durch einen Schreibtisch und die digitale Infrastruktur (Internet, Drucker, Beamer, usw) die Grundversorgung für die digitale Arbeit abdecken.
Pop-Up
2002
Rise of the Creative Class Spätestens dieses Buch des amerikanischen Ökonoms Richard Florida Anfang der Nullerjahre war eine Ansage für eine Kehrtwende in den verstaubten Stadtplanungsämter vieler Länder. Darin prophezeit Florida den Aufstieg der kreativen Klasse und den damit auch einhergehenden ökonomisches Auswirkungen für die Städte.
2006
Geschichte
Kreativquartier — Erster Teil
Punk
Digitale Boheme
Techno/Clubszene
1989
1989 Mauerfall Der Mauerfall in Berlin war nicht nur ein wichtiges politisches Zeichen zu der Zeit des Kalten Krieges, sondern es ließ auch im weiteren Verlauf der Geschichte neue Möglichkeitsräume und städtische Experimentierfelder in der ehemals zweigeteilten Stadt entstehen.
p.26
Internetboom Durch die Verbreitung des Internets in den 90er Jahren wurde die Welt der Arbeit und der sozialen Kommunikation stark verändert. Von Email über Peer-to-Peer bis hin zu sozialen Netzwerken. Durch diese Auswirkungen sind wir noch heute stark geprägt und bestimmen in großem Maße die Interaktion mit unserem Lebensumfeld.
Die Autoren Holm Friebe & Sascha Lobo beschreiben den Typus des digital- und kreativarbeitenden Menschen, der durch seine Arbeitswerkzeuge wie Laptop und Handy an keinen Arbeitsplatz gebunden ist. Die neuen Arbeitsformen, die das Internet hervorgebracht hat, begünstigt diesen Typus und schafft daher raumungebunde Möglichkeiten. Beliebte Aufenthaltorte sind Cafés, Co-working Spaces und Krativquartiere.
Raumrohlinge Räume die wie Baustellen wirken sind die hier thematisierten Attraktivitätsräume. Die Ästhetik des vorgefundenen und möglichst unbehandelten ist dabei im Vordergrund. Diese Architekturen ermöglichen viel Ideen der Umdeutung, da sie nicht als fertig betrachtet werden können.
Reclaim the Streets Dieser Slogan ist auch als Protestform zu verstehen. Es handelt sich um die (Wieder-) Aneignung des öffentlichen Raumes. Durch Konsum und motorisierten Individualverkehr hat die Straße in ihrem ursprünglichen Sinne ihre Öffentlichkeit verloren. Durch Aktionen wie durch Critical Mass, Street Art oder Adbusting wird versucht darauf aufmerksam zu machen. Die Ursprünge sind bei den Situationisten und dem politisch motivierten Protest zu finden.
Die Nutzung von gewöhnlich bedeutungslosen Stadträumen und Gebäuden steht hier im Vordergrund. Dadurch, das sie vernachlässigt sind, bieten sie ein Potential, einerseits weil sie niemand benutzt und andererseits sich niemand darum kümmert. Bei diesen Aktionen steht auch die begrenzte Zeit im Vordergrund. Beides, der Ort und die Zeit, steht dabei im Zusammenhang mit relativ geringen Kosten für die Präsentation der Idee.
1992
Critical Mass Bei dieser Massenveranstaltung handelt es sich um einen Protest der auf dem Fahrrad stattfindet, um auf die unterdrückten Rechte der Fahrradfahrer gegenüber dem Automobil aufmerksam zu machen. Die erste Critical Mass wurde 1992 in San Francisco abgehalten. Heutzutage finden diese Demonstration noch in vielen Städten auf der ganzen Welt Stadt.
p.27
Die in den späten 80er Jahre aufkommende Clubszene hing stark mit der elektronischen Musik zusammen. Der in Chicago großgewordene Techno wanderte um die ganze Welt und hatte auch auf Berlin großen Einfluß. Gerne wurde alte Industriehallen oder stillgelegte Fabriken für die Veranstaltungen benutzt. In den 90er Jahren avancierte das Phänomen auch zu einem Massenphänomen das die Straße als ihren Austragungsort ansah, wie am Beispiel der Berliner Love Parade.
Was ist ein Kreativquartier? — Das Kreativquartier in seiner Urform ist eine Organisationsstruktur im gebauten Raum und innerhalb einer Gemeinschaft kreativer und kulturschaffender Menschen.
Das Kreativquartier bewegt sich organisatorisch zwischen einem ungesicherten, losen Gemenge von Akteuren und einer straff organisierten Institution: Das ungesicherte, lose Gemenge von Akteuren organisiert sich in einem nicht festgesetzten Möglichkeitsraum, der maximale Freiheit zur Entfaltung für die Nutzer bereitstellt. Interne selbstorganisierte Vorgehensweisen ermöglichen einen schnell fluktuierenden Wandel aufgrund aktueller Bedürfnisse und Wünsche.
Was ist ein Kreativquartier?
Kreativquartier — Erster Teil
Organisationsstruktur
Die straff organisierte Institution konzentriert sich an einem Ort größtmöglicher Kontrolle und finanzieller Sicherheit mit Hilfe einer hierarchisch strukturierten Organisation unter Einbindung der Öffentlichkeit: in Form von Öffentlichkeitsarbeit, Veranstaltungen und der öffentlichen Zugänglichkeit. Ein partizipativer Gedanke mag noch vorhanden sein, führt aber auch zu Ausschlussprinzipien. Gebäude/Räume Das Kreativquartier in seiner ursprünglichen Form ist umgenutzter oder zwischengenutzter Raum für Kunst-/Kulturproduktion, der sich je nach Institutionalisierungsgrad prozentual zu einem Raum für Kunst-/Kulturkonsumption wandeln kann. Seine räumliche Ausdehnung reicht angefangen bei Gebäudeetagen bis hin zu großflächigen Gebäudekomplexen und bietet kostengünstigen Arbeitsraum unter Ausschluss von primären Komfortwünschen. Möglichkeitsräume in Form von Ateliers, Werkstätten, Freizeitraum oder einfach nur freiem Raum, befinden sich in einem ausgeglichenen Verhältnis und sind nicht nur eine Ansammlung eines Bereiches in Form einer angemieteten Bürogemeinschaft. Ein reiner Co-Working-Space oder Büroturm ist eben kein Kreativquartier! Akteure Agens und Nutzer des Kreativquartiers ist der kreative Mensch in der Gemeinschaft, der auf der Suche ist nach kostengünstigem Raum für die Verwirklichung seiner Ideen. Der Hauptkern bildet sich aus Akteuren, die der Kultur- und Kreativwirtschaft zugeschrieben werden können. Jeder Nutzer und Besucher kann in diesen Quartieren seinem eigenen Streben und Vergnügen nachgehen, wobei es in erster Linie keine Rolle chem Tätigkeitsfeld er tatsächlich arbeitet.
p.31
p.30
spielt, wie viel Bildung der Einzelne mitbringt, sondern in wel-
Institutionalisierung
Für die Untersuchung des Themas „Kreativquartier“ haben
Die Gebäude stehen über kurz oder lang zum Verkauf oder
wir vier Quartiere ausgewählt, die exemplarisch eine gute
werden bereits einer anderen Nutzung zugeschrieben (z. B.
Bandbreite möglicher Modelle von Kreativquartieren aufzeigen
Stuttgart 21). Wenn die Nutzer ihr Quartier erhalten wollen,
sollen.
müssen sie damit rechnen, ihre autonome Position einzubüßen. Sie müssen sich Aufmerksamkeit verschaffen, was oft mit im-
Ursprung
menser Öffentlichkeitsarbeit einhergeht, um dem Eigentümer
Die Bandbreite reicht von der besetzten Binz in Zürich, als
(meist der Stadt) einen Mehrwert bieten zu können. Eine Unter-
autonomem Gebilde, bis zum Museumsquartier Wien, einem
stützung seitens der Stadt für den Erhalt eines Quartiers ist
straff organisierten Konstrukt, einer Institution. Dazwischen
also nur zu erwarten, wenn sie dabei ihren selbstauferlegten
bewegen sich die NDSM Werft in Amsterdam sowie die Wagen-
touristischen, ökonomischen und teilweise auch sozialen und
hallen in Stuttgart. Sie können einem Zustand zwischen Auto-
kulturellen Zielvorgaben mit diesem Projekt näher kommen
nomie und Insititutionalisierung zugeordnet werden.
kann.
Allen gemein ist ihr Ursprung als autonome Gemeinschaft
Verstärkte Kooperation mit dem Eigentümer (in vielen Fällen
kreativer Menschen, nicht selten sind das Gruppen aus der Be-
der Stadt) kann also zum Erhalt des Quartiers beitragen. Je
setzerszene. In Eigenmotivation eignen sie sich leerstehende
größer das Interesse des Eigentümers ist, umso größer sind
oder temporär ungenutzte Räume an. Dies geschieht in allen
die Fördermöglichkeiten (z.B. Gelder für Gebäudeinstandhal-
Fällen völlig selbstorganisiert und ohne jegliches Zutun offiziel-
tung oder kulturelle Fördermittel). Bei diesem Prozess erhöht
ler Stellen. (Siehe mehr zur Geschichte der Kreativquartiere in
sich der Insititutionalisierungsgrad und mit ihm die Kontrolle
den jeweiligen Untersuchungen.)
von Kreativität. Zudem verändert sich das Verhältnis von
Man kann hier von Zwischennutzungen sprechen (siehe
Was ist ein Kreativquartier?
Kreativquartier — Erster Teil
4 Kreativquartiere — Eine Auswahl
Kunst-/Kulturproduktion und -konsumption.
auch Exkurs Zwischennutzung).
Der Verlust von Freiheit und Diversität schränkt die Eigen-
Schon seit längerem stellt dieses Modell ein ernst zu neh-
ständigkeit der Nutzer und somit des Quartiers mitunter ein.
mendes Potenzial für Stadtentwicklung dar. Jedoch schon der
Auf den ersten Blick nicht sichtbar, entsteht dann ein völlig
Begriff „Zwischennutzung“ lässt erkennen, dass ein Kreativ-
neues Gebilde. Mit seinem interkulturellen, sozialen und kreati-
quartier nur eine temporäre Erscheinung sein kann. Hinsicht-
ven Image kann es sein Umfeld und die lokale Stadtplanung
lich einem dauerhaften Bestehen und einer Etablierung, bleibt
erheblich positiv beeinflussen. Der Weg zur Instituationalisie-
ein solches Konstrukt in der Regel vorerst ergebnisoffen. Für
rung ist also differenziert zu betrachten und darf nicht voreilig
den langfristigen Erhalt eines Quartiers aus einer Zwischennut-
als Negation kreativen Raums abgetan werden.
zung beobachten wir nur wenige Möglichkeiten. BINZ Zürich
WH Stuttgart
NDSM Amsterdam
MQ Wien
Gefahr der Auflösung
BINZ Zürich
WH Stuttgart
NDSM Amsterdam
Autonomie
Institution
p.33
p.32
MQ Wien
Was ist ein Kreativquartier?
Kreativquartier — Erster Teil
Vergleichbarkeit
Ausstellungsflächen im Verhältnis (Schätzwerte)
In unserer Untersuchung und Gegenüberstellung der vier Kreativquartiere wollen wir uns primär auf den mitteleuropäischen Raum konzentrieren. Dies erscheint sinnvoll, weil hier-
Permanent Temporär
bei auch städtebauliche und politische Strukturen nicht zu sehr voneinander abweichen. Zudem kann eine programmatische Untersuchung stattfinden, die das Konzept der Kultur- und Kreativwirtschaft vom angloamerikanischen Ansatz der Kreativen Klasse nach Richard Florida abgrenzt (siehe Abschnitt Typus) und eine gemeinsame Grundlage anhand ihrer Definition im deutschsprachigen Raum bildet, die auch mit der EU-Definition deckungsgleich ist. Somit ist der Ansatz der Kunst- und Kulturproduktion innerhalb der Kreativquartiere in vier unterschiedlichen Ländern vergleichund quantifizierbar Raum Auch die Gebäude der vier Kreativquartiere sind ein Ent-
BINZ
WAGENHALLEN
scheidungsfaktor. Im Zeitalter des Post-Fordismus und den
Zürich
Stuttgart
Nachwehen der Suburbanisierung kann man feststellen, dass immer mehr produzierende Betriebe im innerstädtischen Bereich Europas ihre Tore schließen. Die Betriebe wandern auf günstigere Flächen außerhalb der Stadt oder verlagern ihre
O% O%
1O % 4O %
Produktion ins Ausland. So können die Gebäude der vier Kreativquartiere ebenfalls ein Spektrum abdecken, welches die gegenwärtige europäische Situation um den Leerstand von Gebäuden repräsentativ widerspiegelt. Das Museumsquartier in Wien war ehemals eine Hofstallung, die Anfang des 20. Jahrhunderts zum Messebetrieb umgebaut wurde. Die Wagenhallen in Stuttgart, eine frühere Lokomotivremise der Königlich Württembergischen Staatseisenbahn, wurde bereits kurz nach 1945 zum Busbetriebshof umgewandelt. Die NDSM-Werft war das renommierteste Schiffsbauwerk Amsterdams. Aufgrund internationaler Konkurrenz musste sie den Betrieb in den 1980er Jahren einstellen. Auch die ehemaligen Betreiber der Fabrikhallen der Binz in Zürich, stellten ihren Betrieb Ende der 1980er Jahre ein (siehe Geschichte der jewei-
NDSM
MQ
Amsterdam
Wien
2O % 5O %
8O % 8O %
auch die Transformation zum Kreativquartier ist nahezu zeit-
p.34
gleich (MQ 2001, NDSM 2003, Wagenhallen 2003, Binz 2003). Anmerkung Zum Zeitpunkt der Untersuchung befinden sich alle vier Quartiere in unterschiedlichen Zuständen der Entwicklung, worauf wir in den folgenden Untersuchungen näher eingehen werden.
p.35
ligen Quartiere). Fast alle vier Gebäude entstanden zu Zeiten der Industrialisierung (Ausnahme Museumsquartier Wien) und
Typologie — Typologien haben eine lange Tradition in der Architektur. Sie dienen zur Einordnung von Gebäudetypen nach unterschiedlichen Parametern. Es wird unterschieden nach ihrer Funktion (z.B. Bürogebäude, Sportgebäude), nach ihrer Konstruktion oder des Materials (z.B. Skelettbauwerke, Holzbauwerke) oder nach ihren formalen Eigenschaften (z.B. Rundbauten, Turmhäuser). Damit können wir Gebäude besser einordnen um sie dann vergleichen und wieder voneinander abgrenzen können. In der Architekturgeschichte wurde unterschiedlich typisiert. Jedoch entspricht die Einordnung in eine Typologie immer auch einer Verallgemeinerung, das bedeutet jede Individualität wird dadurch im Herzen zerstört.
Kreativquartier — Erster Teil
Typologie
p.38
p.39
In heutiger Zeit, in der leer stehende Gebäude teilweise das
bekannter Vordenker, ist die Typologie einer der zentralen
Stadtbild prägen, rückt die Wiederbelebung und Revital- genetischen Informationssatz
veränderlichen, individuell
Untersuchungsgegenstände der Architekturtheorie. Mit den
isierung in das Aufgabenfeld des Architekten. Aufgrund
eines Organismus bezeichnet,
neu entstehenden naturwissenschaftlichen Methoden glaubt
unterschiedlicher Randbedingungen scheint es sinnvoll, eine
ist der Phänotyp die sich in
man, unter dem Begriff des Typus ein sicheres Fundament der
Möglichkeit zur Klassifizierung und Einordnung unseres The- Wechselwirkung mit der Umwelt
Gestaltung finden zu können. Die historisch legitimierten
mas Kreativquartier zu finden, die den neuen Anforderungen
herausbildende, veränderliche
Gestaltungsprinzipien werden über Bord geworfen und mit Hilfe
gerecht wird.
Gestalt. Das Maß an Abwei-
der Typologie sollte zwischen dem sklavischen Kopieren und
Es stellt sich also die Frage, in wie fern mit gesammel- chung zwischen dieser Gestalt
der individuellen gestalterischen Willkür ein akzeptabler Weg
ten Informationen ein vergleichbares Ordnungssystem bereit
gefunden werden. Immer wieder wird die Disziplin Architektur
gestellt werden kann, um eine sinnvolle Vergleichbarkeit beste- mung bezeichnet man als phä-
neu definiert. Als Gestaltungstätigkeit befindet sich die Archi-
hender Kreativquartiere zu ermöglichen.
tektur zwischen Kunst, Technik und gesellschaftlicher Verpflichtung und wird in einem vielfältig verschlungenen Diskurs
gungen, Abhängigkeiten und Bildungsregeln in einem Datensatz
kontrovers diskutiert. 1
erfasst werden: dem Genotyp in seiner formalen Ausprägung. notyp führt 1909 der dänische Genetikpionier Wilhelm Ludvig
logie. Anfang des 20 Jahrhunderts wird diese Diskussion unter
Johannsen in die Entwicklungsbiologie ein. 4
den Begriff der „Typisierung“ gestellt und in der Typologiedis-
„Während der Genotyp den unveränderlichen, individuell
kussion der 1960er Jahre bis hin zu deren aktuellen Ausläufern
genetischen Informationssatz eines Organismus bezeichnet,
weiter vertieft. Als Methode der Darstellung und Benutzung
ist der Phänotyp die sich in Wechselwirkung mit der Umwelt
Vorbilder
wird
die
Typologie
ziemlich
herausbildende, veränderliche Gestalt. Das Maß an Abwei-
unterschiedlichen Definitionsansätzen unterzogen und reicht
chung zwischen dieser Gestalt und der genotypischen Bestim-
von der kreativen Form der Natur-Nachahmung (Chamoust,
mung bezeichnet man als phänotypische Plastizität.“ 5 Untersuchen wir Kreativquartiere anhand ihrer ähnlichen
Laugier, Quatremère de Quincy, Gottfried Semper) über die
Erscheinungen, stellen wir fest, dass dennoch alle unterschied-
Methode der industriellen Fertigung (Walter Gropius, LeCorbusier, Hannes Meyer) bis hin zur Philosophie der Architektur
lich sind. Die augenscheinliche Ähnlichkeit der Kreativquartie-
(Aldo Rossi, Vittorio Gregotti, Anthony Vidler), um nur einige zu
re liegt wohl in ihrer programmatischen Struktur und ihrer
nennen. 2 Ende der 1980er Jahre kommt noch ein Schwerpunkt
städtischen Verortung, also auf der phänotypischen Seite.
hinzu: die rational vollkommen beherrschbare „künstliche Intel-
Jedoch sind die post-industriellen Gebäude von Kreativquartie-
ligenz“ in Form der computerbasierten Vorgehensweise, die es seither erlaubt, Gestaltung durch Auswahl, Adaptierung und Kombination auf rein faktischer Basis anhand definierter Parameter und Zahlenwerte zu ermöglichen. Wissenschaftliches Arbeiten im Bereich der Architektur gestaltet sich dennoch schwierig und zeigt eine teils unpräzise bzw. kaum nachvollziehbare Vorgehensweise. Vervollständigt wird dieses Szenario, wenn man beobachtet, dass sich die praktische Handlungsweise schneller entwickelt und im Gegenzug sich die theoretischen Werkzeuge für Architekten heute kaum weiterentwickeln. Oft werden Bezugssysteme beliebig gewechselt und man bedient sich lediglich Aufzählungen, um das Feld grob abzustecken. Die Typologie als Werkzeug des Architekten bleibt wissenschaftlich unstrukturiert und unexakt. 3
notypische Plastizität.“
Eine grundlegende Unterscheidung zwischen Genotyp und Phä-
ten und Theoretiker an einer einheitlichen Definition der Typo-
architektonischer
und der genotypischen Bestim-
Hierzu müssen für alle Kreativquartiere gleiche Grundbedin-
Bereits im 17. und 18. Jahrhundert versuchen sich Architek-
p.40
„Während der Genotyp den un-
Typologie
Ein Ordnungssystem zur Vergleichbarkeit
Seit den Zeiten der Aufklärung, unter Berücksichtigung
ren in ihrer formalen Ausprägung des Genotyps sehr unter1 Christian Kühn, Der Begriff der Architekturtypologie und seine Bedeutung für die Theorie des CAAD, Diss. ETH Nr. 11323, 1995
schiedlich. Die aufgezeigte Unterscheidung zwischen Genotyp
2 Christian Kühn, Der Begriff der Architekturtypologie und seine Bedeutung für die Theorie des CAAD, Diss. ETH Nr. 11323, 1995; und eigene Ergänzungen
ten und wird angepasst. Die beiden Begriffe stehen in Wechsel-
3 Matthias Castorph, Gebäudetypologie als Basis für Qualifizierungssysteme, Diss. D386, Fachbereich Architektur/ Raum- und Umweltplanung/ Bauingenieurwesen der Universität Kaiserslautern, 1999,S.47-51
und Phänotyp verhält sich im Bezug auf Kreativquartiere also umgekehrt: Mit der phänotypischen Plastizität, die durch die Nutzer eingebracht wird, ändert sich der Genotyp des Gebauwirkung zueinander. Die Verwendung des Werkzeugs Typologie scheint hierfür gut geeignet, sollte aber durch vorhandene subjektive Wertungen (z.B. Phänomen der ästhetischen Differenz) befreit werden um somit als geschärftes Werkzeug eine Verwendung zu finden. Der Exkurs Typologie versucht einen historischen Abriss des Diskurses um den Begriff des „Typus“ und der „Typologie“ aufzuzeigen. Anhand unterschiedlicher Ansätze wollen wir auf-
4 Ernst Mayer; Die Entwicklung der biologischen Gedankenwelten, Springer 2002, S. 172; aus dem Beitrag: Michael Hensel und Achim Menges, Form- und Materialwerdung - Das Konzept der Materialsysteme; Arch+ 188, 2008, S.20 5
Ebd., Seite 20
p.41
Kreativquartier — Erster Teil
Typologie als Untersuchungsstrategie
„Was der Methode zuträglich erscheint, lässt uns hinsichtlich
wieder aus dem sich stets ent-
chungsstrategie und als guter Ausgangspunkt für die Erfor-
der Anwendung auf die Wirk-
wickelnden wechselseitigen
schung eines Entwurfsproblems dienen kann.
lichkeit perplex. Allein die
anhand ihrer programmatischen Erscheinung untersucht wer-
Wirklichkeit bildet das Ganze
den. Dies beinhaltet sowohl die strukturelle Organisation inner-
Spiel dreier konvergierender
keiten in Bezug auf ihren urbanen Kontext haben. Im zweiten Schritt soll die Architektur der Kreativquartiere
Vektoren, dem Topos, dem
Grafische Untersuchung
und darauf ist das Handeln
halb des Kreativquartiers als auch die allgemeine Einordnung
Typus und der Tektonik. Wenn
Im Zuge der Untersuchung von Kreativquartieren wollen wir
bezogen. Die Regel reicht nicht
seiner Akteure (phänotypische Plastizität). Diese Untersuchung
aus, beschreibt im besten Fall
findet sich im Abschnitt „Typus“ und zeigt, dass die auf den
also die Tektonik keinen be-
die vier Kreativquartiere anhand von Fakten und grafischen
sonderen Stil fördern muss,
Darstellungen zum Zeitpunkt unserer Untersuchung analysie-
Vorgehen und Methode, aber
ersten Blick sehr unterschiedlichen Kreativquartiere auch hier
wirkt sie in Verbindung mit
ren und einen Ansatz zur Klassifizierung versuchen. Damit ein-
lässt das Handeln und Tun in
Gemeinsamkeiten aufweisen, die sich unter anderem in der Kul-
dem Ort und dem Typus der
her geht selbstverständlich die Veränderung an den Gebäuden
seiner umfassenden, gesell-
tur- und Kreativwirtschaft und auch in selbstorganisierten Vor-
Neigung der Architektur ent-
und der näheren Umgebung, was im Umfeld der Kreativquartie-
schaftlichen Verbindlichkeit
gehensweisen wiederspiegelt. Der Begriff „Typus“ erfährt in
gegen, ihre Legitimität in
re ein wichtiger Aspekt ist.
vorerst außen vor.“
der architekturtheoretischen Diskussion eine mehrfache Be-
einer anderen Disziplin zu
Typus
Typologie als Untersuchungsstrategie
Topos
suchen.“
Eine grafische Untersuchung bietet Vorteile: Sie kann mit
— Piet Lombaerde
mantische Auslegung eine übergeordnete Rolle und somit wird
Wirklichkeit, wodurch wesentliche Unterschiede der gebauten
der Typus-Begriff im Folgenden nach seiner ursprünglichen
Substanz von Kreativquartieren aufgezeigt werden können. Die
Wortbedeutung týpos = Gestalt oder Gepräge verwendet. Denn
Materialität des Gebauten wird dabei vernachlässigt. Sie ist oft
die spezielle Programmatik in Kreativquartieren macht die
ausschlaggebendes Kriterium für ein ästhetisches Urteil. Durch
Erscheinung eines Kreativquartiers aus.
die Reduktion auf grafischer Ebene kann unsere Untersuchung
Im dritten Schritt soll das Gebaute der Kreativquartiere an-
wertungsfrei dargestellt werden und begibt sich auf die Ebene
hand seiner wertneutralen, fremdreferenziellen und somit
der Beschreibung von Gebäuden, ohne das Gebäude selbst zu
quantifizier- und klassifizierbaren Elemente untersucht werden und beinhaltet alle Veränderung am Gebäude zum Untersu-
beschreiben.
chungszeitpunkt. Exemplarisch werden Prozesse der TransforVorgehensweise
mation anhand der Wagenhallen in Stuttgart untersucht. Diese
Im Exkurs Typologie zeigen wir verschiedene Ansätze einer
findet sich im Abschnitt „Tektonik“. Der Begriff der „Tektonik“
typologischen Definition der Architektur auf. Primär sind da-
beinhaltet in dieser Untersuchung auch die bauliche Umgebung
bei die Leitgedanken einer Architektur als Raum, Funktion,
und kann somit als „Gefüge“ im weitesten Sinne verstanden
Form, Konstruktion oder Ereignis. Dies bildet den Ausgangs-
werden. Die Untersuchung zeigt einen baulichen Überblick, der
punkt unserer Untersuchung:
trotz unzähliger Transformationen das ursprüngliche Gebäude
„Tatsächlich scheint es, als erwachse das Gebaute immer
erkennen lässt und somit – in Bezug auf die Untersuchung
wieder aus dem sich stets entwickelnden wechselseitigen Spiel
„Topos“ und „Typus“ – eine eher untergeordnete Rolle einnimmt. „Was der Methode zuträglich erscheint, lässt uns hinsicht-
Tektonik
der Tektonik. Wenn also die Tektonik keinen besonderen Stil
lich der Anwendung auf die Wirklichkeit perplex. Allein die
fördern muss, wirkt sie in Verbindung mit dem Ort und dem Ty-
Wirklichkeit bildet das Ganze und darauf ist das Handeln
pus der Neigung der Architektur entgegen, ihre Legitimität in
bezogen. Die Regel reicht nicht aus, beschreibt im besten Fall
einer anderen Disziplin zu suchen.“ 6
Vorgehen und Methode, aber lässt das Handeln und Tun in sei-
Im ersten Schritt soll der Gesamtkomplex der Kreativquartiere anhand seiner Positionierung im städtischen Gefüge untersucht werden. Es sollen primär die quantifizierbaren städtischen Randbedingungen aufgezeigt werden, unter denen sich 6 aus Kenneth Frampton „ Grundlagen der Architektur: Studien zur Kultur des Tektonischen“, München-Stuttgart, 1993
deutungsverschiebung. In unserer Untersuchung spielt die se-
wenigen Strichen eine Idee skizzieren und abstrahiert eine
dreier konvergierender Vektoren, dem Topos, dem Typus und
p.42
Blick sehr unterschiedlichen Kreativquartiere viele Gemeinsam-
vorliegenden Untersuchung von Kreativquartieren als Untersu-
Typologie
zeigen, dass das strukturelle Prinzip der Typologie in der
erwachse das Gebaute immer
Kreativquartiere vorzugsweise ansiedeln und die ihre Wechselwirkung mit der Stadt beeinflussen. Diese Untersuchung findet sich im Abschnitt „Topos“ und zeigt, dass die auf den ersten
7 Theorie der Praxis – eine weitere Begründung, Werner Oechslin, aus: Bringing The World Into Culture. Comperative Methodologies in Architecture, Art, Design and Science. Liber Amicorum offered to Richard Foqué. Hg. von Piet Lombaerde. University Press Antwerp, Antwerpen 2009, S.133-143.
ner umfassenden, gesellschaftlichen Verbindlichkeit vorerst außen vor.“ 7
p.43
Kreativquartier — Erster Teil
„Tatsächlich scheint es, als
Topos — Der Ort mit seinen vorhandenen Strukturen ist immens wichtig für die Untersuchung von Kreativquartieren und kann mögliche Erkenntnisse zur Planbarkeit oder Moderation aufzeigen. Spezifische Merkmale eines funktionierenden Gefüges im Stadtraum werden anhand den Kategorien Fläche, Bevölkerung, Qualität und Lage untersucht.
spielen für kreative Menschen bei deren Arbeits- und
tiere zu untersuchen, die durch ihre Öffentlichkeit
Wohnortentscheidung nicht nur attraktive Jobangebote
einen mehr oder weniger erheblichen Einfluss auf den
eine große Rolle. Im Besonderen wird Wert gelegt auf
Ort und die städtebauliche Infrastruktur haben oder
Faktoren wie Toleranz, Offenheit, kulturelles Angebot,
für manche Nutzer besonders prägnant in der Stadt-
sowie die allgemeine Lebensqualität einer Region oder
wahrnehmung sind, muss man auch einen Blick auf die
einer Stadt. 1
Topos
Kreativquartier — Erster Teil
Topos | griechisch: τόπος – tópos – Ort. Um Kreativquar-
Stadt selbst und auf ihre Strukturen werfen. Dazu zählen sowohl objektiv messbare, wie auch subjektiv wahrnehmbare Faktoren. Beim Vergleich der Städte Amsterdam (NDSM), Stuttgart (Wagenhallen), Wien (Museumsquartier) und Zürich (Binz) steht primär die Frage im Vordergrund, welche Faktoren diese Städte mit sich bringen, die sie für das Milieu der Kreativen so attraktiv machen. Sind diese Faktoren beeinflussbar? Und wie kann Stadt in Zukunft reagieren, um kreative Milieus anzuziehen, bzw. um Kultur- und Kreativwirtschaft zu fördern. Der Gesellschaftswandel, der sich in den letzten Jahren abzeichnet, erfordert ein neues Verständnis für die persönliche Wahl des Arbeits- und Wohnorts. Insbesondere in der Gruppe der Kreativen bleibt eine mend aus. Und wie Richard Florida bereits argumentiert,
1 Michael Fritsch und Michael Stützer: Die Geografie der Kreativen Klasse in Deutschland, Raumforschung und Raumordnung, S.65 (2007)
p.47
p.46
klare Abgrenzung zwischen Arbeit und Freizeit zuneh-
Bevölkerung
Im Vergleich der Makrolage der vier Kreativquartiere stellen
Toleranz und Offenheit als subjektiv wahrnehmbare Faktoren
Topos
Kreativquartier — Erster Teil
Fläche wir die klassisch gemessenen Größen der Städte einander
in der Bevölkerung, machen es neu Zugezogenen leichter,
gegenüber. Sie zeigen deren objektive Vergleichbarkeit anhand
sich in ein vorhandenes Gefüge zu integrieren. Wir können davon
ihrer Größe, Struktur und Bevölkerung.
ausgehen, dass Akzeptanz in der Gesellschaft kreatives Arbei-
Alle vier Städte wurden von der GaWC (Globalization and
ten in hohem Maße begünstigt.
World Cities Research Network) in die Liste der Weltstädte
Je offener ein Umfeld ist, desto diverser sind auch seine
(oder „Global Cities“) aufgenommen. 2 Wien ist die Bundes-
Akteuere und folglich inspirierender und stimulierender ist das
hauptstadt und bevölkerungsreichste Großstadt Österreichs.
Arbeitsumfeld für die Kreativen.
Sie ist außerdem die sechstgrößte Stadt der Europäischen Union. Stuttgart ist die Hauptstadt von Baden-Württemberg und sechstgrößte Stadt Deutschlands. Amsterdam ist die Hauptstadt und die Stadt mit der größten Bevölkerung in der Niederlande. Zürich ist die größte Stadt der Schweiz. Ausserdem deren wichtigstes wirtschaftliches, wissenschaftliches und gesellschaftliches Zentrum. 3
Wien
Stuttgart
2 http://www.lboro.ac.uk/ gawc/world2010t.html (Global cities)
Wien
Stuttgart
Amsterdam
Zürich
Einwohnerzahl 3 Wikipedia (zu den Themen Amsterdam, Stuttgart, Wien, Zürich und Weltstädte)
Amsterdam
Zürich
1 731 537
573 054
790 044
393 599 (2011)
22,3 % Ausländer 10,1 % Studierende (2012)
21,8 % Ausländer 8,4 % Studierende (2011/2012)
13, % Ausländer 7,2 % Studierende (2012)
31,3 % Ausländer 11,2 % Studierende (2012)
Gesamtfläche
Metropolitan Area
414,9 km2
207,4 km2
219,3 km2
91,9 km2
23 Gemeindebezirke 89 Katastralgemeinden
23 Stadtbezirke 152 Stadtteile
7 (+1) Stadtbezirke 97 Ortsteile
12 Stadtkreise 34 Quartiere
Gemeinde-Bezirke
2.58 Mio.
2.29 Mio.
2.49 Mio.
1.62 Mio.
Demografie
2
4 223 EW ⁄ km
2 958 EW ⁄ km
2
4 791 EW ⁄ km
2
2
4 046 EW ⁄ km
Bevölkerung nach Alter und ethnischer Gruppe Ethnische Gruppen restliche Bevölkerung
100
100
100
100
90
90
90
90
80
80
80
80
70
70
70
70
60
60
60
60
50
50
50
50
40
40
40
40
30
30
30
30
20
20
20
10
10
10
0
0
0
12
8
x1000
4
0
4
8
12
x1000
12
8
x1000
4
0
4
8
12
x1000
20 10 0 12
8
x1000
4
0
4
8
12
x1000
12
8
x1000
4
0
4
8
12
x1000
p.49
p.48
Einwohner ⁄ km 2
Stuttgart
Amsterdam
Zürich
Die Lebensqualität im allgemeinen führt zu individuellem
Topos
Kreativquartier — Erster Teil
Wien
Qualität Topographie
Wohlbefinden. Sie „ist die subjektive Wahrnehmung einer Person über ihre Stellung im Leben in Relation zur Kultur und den Wertsystemen in denen sie lebt und in Bezug auf ihre Ziele, Erwartungen, Standards und Anliegen.“ 4 Dazu zählen auch äußere Faktoren wie materieller Wohlstand, Bildung, Berufschancen, sozialer Status, Gesundheit,
Höchster Punkt Tiefster Punkt
Natur und anderen. 5 Diese sind beeinflussbar, was wiederum dazu führt, dass die Lebensqualität einer Stadt durchaus auch
543 m ü. A. 151 m ü. A.
549 m ü. NN 207 m ü. NN
-2 m ü. NN -6 m ü. NN
871 m ü. M 392 m ü. M
bestimmbar und steuerbar sein kann. Natur
Lage Ein Merkmal für erfolgreiche Kreativquartiere (vor allem in Anbetracht des Konsumierens von Kunst und Kultur) ist das Vorhandensein einer guten bis sehr guten infrastrukturellen Anbindung sowie zentrumsnaher Lage. Nicht nur für die Tourismuswirtschaft, sondern häufig auch für die Nutzer der Quartiere ist die Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln unabdingbar. Am Beispiel des Museumsquartiers in Wien kann man deutlich beobachten, dass die Faktoren Lage, Erreichbarkeit und Tourismuswirtschaft mitunter eine große Rolle im Erfolg des Quartiers spielen. Aber auch Quartiere die ferner des Zentrums gelegen sind, erfahren große Beliebtheit bei Kreativschaf-
kultivierte Fläche Verkehrsfläche Grünfläche Wasseranteil
fenden. Oft sind es Industriebrachen, die Künstler und Kreative sich zu Eigen machen. Am Beispiel der NDSM Werft profitieren die Akteuere von der exponierten Lage der alten Schiffsbau-
35.4 % 14.4 % 45.6 % 4.5 %
35.5 % 14.7 % 46.9 % 2.9 %
42.8 % 7.2 % 25.2 % 24.8 %
47.6 % 13.5 % 33.3 % 5.6 %
Halle. Während im Zentrum Amsterdams der Gebäudebestand Lage
sehr kleinteilig und dazu nur teuer zu mieten ist, bieten die großen Flächen des Werftgeländes ein hohes Potenzial an Möglichkeitsraum für Experimente und Veranstaltungen aller Art.
*
5 Wikipedia (zum Thema Lebensqualität)
*
*
1,18 km (Stephansplatz)
2,28 km (Schlossplatz)
3,2 km (Dam Place)
2,17 km (Lindenhof)
1,69 km (West Bahnhof)
1,7 km (Hbf)
2,46 km (Hbf)
2,58 km (Hbf)
11.4 Mio. (Stand 2011)
3.1 Mio. (Stand 2012)
9.8 Mio. (Stand 2011)
Übernachtungen/ Jahr
2.2 Mio. (Stand 2013)
p.51
p.50
4 Definition der WHO (Weltgesundheitsorganisation, 1993) http://www.drnawrocki.de/ empfehlung/lebensqualitaet%20. html
*
Wien
Stuttgart
22,2 69 % 31 %
9,6 99,6 % 0,4 %
Amsterdam
Zürich
Sämtliche Faktoren haben an verschiedenen Orten unter-
Topos
Kreativquartier — Erster Teil
Fazit Tourismus Stand 2012
schiedliche Wichtigkeiten, je nach Ausgangssituation und Zielvorstellung des Projekts Kreativquartier. Als spezifisches Merkmal eines funktionierenden Gefüges im Stadtraum ist also der Ort mit seinen vorhandenen Strukturen immens wichtig für die Untersuchung und kann mögliche Erkenntnisse zur Planbarkeit oder Moderation eines Kreativquartiers aufzeigen.
Total (in Mio.) Transferpassagiere Lokalpassagiere
Deutschland (Exempel) „Besonders niedrige Anteile freiberuflicher Kreativer finden sich vor allem dort, wo große Städte relativ weit entfernt liegen.“ 6 Am Beispiel Deutschland soll aufgezeigt werden, wie Kunst- und Kultur-Produktion vermehrt und/oder ausschließlich in größeren Städten oder stadtnah anzutreffen ist. Bei der Verteilung der freiberuflichen Künstlern erkennt man darüber hinaus eine hohe Akkumulation in München, Düsseldorf und Frankfurt (in den top10 des „quality of living“rankings von Mercer)7 sowie in Berlin und Hamburg, die in Deutschland zu den beiden Bundesländern mit dem höchsten Anteil ausländischer Bevölkerung gehören.8
51,0 59 % 41 %
24,8 66 % 34 %
6 Michael Fritsch und Michael Stützer: Die Geografie der Kreativen Klasse in Deutschland, Raumforschung und Raumordnung, 65 (2007) 7 http://www.mercer.com/ qualityoflivingpr# city-rankings
ÖPNV
8 http://de.statista.com/ statistik/daten/studie/254889/ umfrage/auslaenderanteilin-deutschland-nachbundeslaendern/ (Stand 2011)
Name der Gesellschaft Linienlänge in km Haltestellen
Wiener Linien
VVS Verbundnetz
937,4 km 4 452
6 003 km 3 833
GVB städtischer Verkehrsbetrieb 280 km k.A.
VBZ Stadtnetz
Berlin
3 509 872
3 927
Hamburg
1 798 836
2 382
München
1 378 176
4 436
Köln
1 017 155
2 510
691 518
2 785
Stuttgart
613 392
2 958
Düsseldorf
592 393
2 725
Dortmund
580 956
2 070
Essen
573 468
2 726
Bremen
548 319
1 685
p.52
Frankfurt am Main
278 km 443
p.53
Die größten Städte Deutschlands mit jeweiligen Einwohnern
Topos
Kreativquartier — Erster Teil
Freiberufliche Künstler (Anteil insgesamt im Jahr 2004 in Deutschland)
Quellen Wien http://www.wien.gv.at/ http://www.wien.gv.at/statistik/pdf/wieninzahlen.pdf Statistik Austria, Statistik des Bevölkerungsstandes, Bevölkerungspyramide 1.1.2012 http://www.viennaairport.com/jart/prj3/va/main. jart?rel=de&content-id=1249344074274&reserve-mode=active
0,08 % 0,11 % 0,14 % 0,21 %
<= 0,08 % <= 0,11 % <= 0,14 % <= 0,21 % <=
(Angabe in Prozent der Bevölkerung)
Kreative Klasse (Anteil insgesamt im Jahr 2004 in Deutschland)
Stuttgart http://www.stuttgart.de/ http://service.stuttgart.de/lhs-services/komunis/ documents/6432_1.PDF http://www.vvs.de/download/ZahlenDatenFaktenVB2012.pdf Landeshauptstadt Stuttgart Statistisches Amt; Einwohner am 31.12.2011 https://www.destatis.de/DE/Startseite.html http://www.flughafen-stuttgart.de/media/402724/Statistischer_ Jahresbericht_2012.pdf http://www.statistik.baden-wuerttemberg.de Amsterdam http://www.os.amsterdam.nl/ http://en.gvb.nl/overgvb/bedrijfsprofiel/Pages/Bedrijfsprofiel. aspx http://www.iamsterdam.com/en-GB/business/meetings/products/ amsterdam-pocket-atlas http://trafficreview2012.schipholmagazines.nl/passengers.html#tr ansporttransferodtransitoloadfactora Zürich http://www.stadt-zuerich.ch http://www.statistik.zh.ch http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/10/03/blank/ key/02/04.html http://www.flughafen-zuerich.ch/Portaldata/2/Resources/documents_ unternehmen/investorrelations/Broschuere_Zahlen_und_Fakten_2012_ de.pdf
7,4 % 8,5 % 9,7 % 14,3 %
<= 7,4 % <= 8,5 % <= 9,7 % <= 14,3 % <=
(Angabe in Prozent der Bevölkerung)
„Die Kreative Klasse in Deutschland; Geografie, Effekte und wirtschaftspolitische Schlussfolgerungen“ von Michael Fritsch und Michael Stützer (http://www.wiwi.uni-jena.de/uiw/publications/ pub_since_2004/2007/Fritsch&Stuetzer_KreativeKlasse_Thinktank_2007.pdf) http://www.mercer.com/qualityofliving http://www.wikipedia.com Suchbegriff: Bevölkerungsdichte https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/LaenderRegionen/Regionales/ Gemeindeverzeichnis/Administrativ/Aktuell/05Staedte.html;jsessio nid=F043DB487C095A6B0554C8B86B156ED9.cae2
p.55
p.54
Sonstiges: European Spatial Planning Observation Network, Study on Urban Functions (Project 1.4.3), Final Report, Chapter 3, (ESPON, 2007)
Typus â&#x20AC;&#x201D; Die Eingrenzung des Typus auf den Teilaspekt der Programmatik dient zur Bildung eines Systems der vergleichbaren QuantiďŹ zierung von Akteuren in Kreativquartieren.
Nutzer des Kreativquartiers auf dem Feld der Architek-
Industrien – Eine Analyse von Schlüsselindustrien am Beispiel
tur, der Kunst und des Design zu bewegen. In vielen
Berlins“ von Dieter Puchta, Friedrich Schneider, Stefan
Studien wird er dem Milieu der Kultur- und Kreativ-
Haigner, Florian Wakolbinger und Stefan Jenewein 3 .
wirtschaft zugeschrieben. In diesen Studien findet man
Diese Publikation enthält einen Überblick über die
auch diverse andere Branchen, deren Zuordnung schwie-
Wandlungsfähigkeit und den Werdegang der Definition
rig erscheint. Es gibt dabei unterschiedliche Ansätze
von Kultur- und Kreativwirtschaft und soll Grundlage
sowie Unterteilungen, die von Land zu Land, in den
des ersten Teils dieses Abschnitts sein.
p.58
Anfängen sogar von Stadt zu Stadt, verschieden sind.
Typus
für eine weiterführende Lektüre ist die Studie „Kreative
Richard Florida geht davon aus, dass durch den Wegfall
Unzählige Berichte, Artikel und Untersuchungen sind
der traditionellen Industriezweige zahlreiche qualifzierte
in den vergangenen Jahren entstanden. Die Studie der
Arbeitskräfte auf dem Arbeitsmarkt vorhanden sind,
britischen Labour Partei „Creative Industries Mapping
die mit Hilfe von Umschulungen und Weiterbildungen
Document“ 1 aus dem Jahr 1998, stellt gebräuchliche Be-
nach und nach in die „Creative Economy“ überführt wer-
griffe wie „Kulturwirtschaft“ und „Kulturgüter“ in Frage
den können. Er schreibt seiner „Creative Class“ einen
und inspiriert zahlreiche Wissenschaftler, sich mit die-
sehr breit angelegten Berufsmix zu, der nach seiner Ein-
sem Thema zu beschäftigen 2 . Charles Landry gibt
schätzung bereits 30% der Erwerbstätigen ausmacht 4 .
Denkanstöße in seinem Buch „The Creative City: A Toolkit
Manche seiner Argumente werden in diversen Studien
for Urban Innovators“ von 2000. Auslöser einer breiter
bestätigt 5 , so z. B. auch die These, wonach es im Zuge
angelegten Definitionsfrage ist unter anderem Richard
des Wirtschaftswachstums weniger darauf ankommt,
Florida mit seinem Bestseller „The rise of the creative class
„welche oder wie viel Bildung Menschen mitbringen, sondern
and how it’s transforming work, leisure, community, and every-
wo sie tatsächlich arbeiten“. Richard Florida vernachlässigt
day life“ aus dem Jahr 2002. Besonders erwähnenswert
aber einen wichtigen Punkt, der zur Bildung der
p.59
Kreativquartier — Erster Teil
Typus | Auf den ersten Blick scheint sich der typische
„Die zunehmende Ökonomisierung der Kultur und das Auftau-
der von den holländischen Vertretern nochmals aufge-
chen von symbolischen Ökonomien, in denen das Image bzw. der
griffen wurde. Denn er schreibt über die arbeitende
Zeichenwert eines Produktes (z. B. Marke) gegenüber der Nütz-
Klasse unter dem Aspekt der Kreativität, vernachlässigt
lichkeit und Zweckmäßigkeit immer mehr in den Vordergrund
aber, dass diese durch ihre Anwesenheit signifikante
tritt, haben sich in den letzten Jahren zahlreiche Berufsfelder her-
Auswirkungen auf eine Stadt haben.
ausgebildet, die der Kreativwirtschaft zuzurechnen sind. Diese
Diese gegenseitige Beeinflussung möchten wir im fol-
haben verstärkt zu freiberuflichen Formen der kulturellen und
genden als „urbane Vorzüge“ umschreiben, die schon in
kreativen Erwerbsarbeit geführt. Diese sind an der Schnittstelle
den frühen Theorien über das Humankapital zu finden
zwischen Ökonomie und Kultur zu situieren.“ 7
sind. Es geht primär um urbane Vorzüge wie Kulturan-
Typus
Kreativquartier — Erster Teil
Creative Class und der Creative Economy wichtig ist und
– Janet Merkel
gebote, kulturelle Infrastrukturen, städtebauliche und soziale Umgebungen und die historische Bausubstanz, die der Kreativen Klasse Entfaltungsmöglichkeiten bietet. Allen aktuelleren Diskussionen gemein ist die Erkenntnis, dass die Kreative Klasse nicht nur aus Künstlern oder kulturnahen Beschäftigungen bestehen kann 6 . So weitet sich die Kreative Klasse in unterschiedliche Richtungen aus und wird unter sehr unterschiedlichen
p.61
p.60
Begriffen subsumiert.
Typus
Kreativquartier — Erster Teil
„Die Bedeutung der Kreativwirtschaft ist seit einiger Zeit bei der gezielten Entwicklung von Städten und deren Wirtschaftskraft in den Fokus gerückt. [...] Viele, die mit der Förderung und der Entwicklung von Städten und Regionen betraut sind, ‚stolpern‘ jedoch bei der näheren Beschäftigung mit dem Thema immer wieder darüber, […] dass bereits der Begriff der ‚kreativen Industrien‘ ganz unterschiedlich definiert ist. Dies stiftet eine mit dem Thema verbundene potenzielle Verwirrung.“ 8 – Dieter Puchtai
1 Vgl. Department for Culture, Media and Sport, Creative Industries Mapping Document, London 1998 2 APuZ; Aus Politik und Zeitgeschichte; 34-35/2006 - 21. August 2006; Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament: Herausgegeben von der Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn; Redaktion: Dr. Katharina Belwe u.A.; Thema: Kulturwirtschaft, daraus: Kultur- oder „Kreativwirtschaft“: Was ist das eigentlich?, Andreas Joh. Wiesand, S. 8 3 „Kreative Industrien – Eine Analyse von Schlüsselindustrien am Beispiel Berlins“ von von Dieter Puchta, Friedrich Schneider, Stefan Haigner, Florian Wakolbinger und Stefan Jenewein; ISBN 978-3-8349-1581-8; Gabler Fachverlag, Wiesbaden 2009 4 APuZ; Aus Politik und Zeitgeschichte; 34-35/2006 - 21. August 2006; Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament: hg. v. der Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn; Redaktion: Dr. Katharina Belwe u.A.; Thema: Kulturwirtschaft, daraus: Kultur- oder „Kreativwirtschaft“: Was ist das eigentlich?, Andreas Joh. Wiesand, S.9 5 vgl. Gerard Marlet/Clemens van Woerkens, Skills and Creativity in a Cross-section of Dutch Cities, Stichting Atlas voor gemeenten, Utrecht School of Economics, Universität Utrecht, Discussion Paper Series 04-29, 2004 6 u.a. vgl. Kevin Stolarick/Richard Florida/ Louis Musante, Montreal’s Capacity for Creative Connectivity,: Outlook & Opportunities, Montreal 2005, vgl. http://www.creativeclass.org
6 „Kreative Industrien – Eine Analyse von Schlüsselindustrien am Beispiel Berlins“ von Dieter Puchta, Friedrich Schneider, Stefan Haigner, Florian Wakolbinger und Stefan Jenewein; ISBN 978-3-8349-1581-8; Gabler Fachverlag, Wiesbaden 2009; aus: Vorwort, S. 5
p.63
p.62
6 „Kreativquartiere – Urbane Milieus zwischen Inspiration und Prekarität”, Janet Merkel; hg. v. Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung; ISBN 978-3-89404-252-3; edition sigma, 2008; S. 11-24
Die Geographie der Kreativen Klasse in Deutschland, Fritsch, M., Stützer, M.; Jena, 2007
„Kreativquartiere – Urbane Milieus zwischen Inspiration und Prekarität“, Janet Merkel; 2008
The Art of City Making, Charles Landry, 2006
The Creative City: A Toolkit for Urban Innovators, Charles Landry, 2000
Potenzialanalyse Kreativwirtschaft im Großraum Graz. Traxler, J., Grossgasteiner, S., Kurzmann, R., Ploder, M.; Graz, 2006
1. Kulturwirtschaftsbericht Mecklenburg-Vorpommern, 1997
Kulturwirtschaft in Niedersachsen. Quantitativer Befund und Schlussfolgerungen für die wirtschaftspolitische Diskussion, 2002
Definition Kultur- und Kreativwirtschaft
1. Hessischer Kulturwirtschaftsbericht, Wiesbaden 2003
Deutscher Bundestag, Kulturwirtschaft in Deutschland – Grundlagen, Probleme, Perspektiven; Enquete-Kommission, 2006
1. Kulturwirtschaftsbericht für den Freistaat Sachsen 2008
1. Kulturwirtschaftsbericht Schweiz, 2003
Bundesregierung, Kulturberufe. Statistisches Kurzportrait im Kulturberufemarkt in Deutschland 1995-2003, Bonn 2004
Skills and Creativity in a Cross-section of Dutch Cities, Gerard Marlet/Clemens van Woerkens, 2004
Endbericht: Untersuchung des ökonomischen Potenzials der „Creative Industries“ in Wien; Ratzenböck, V. u.a.; 2004 * Aufgrund der Fülle an Forschungsberichten und Publikationen, zeigen wir hier eine Auswahl, die im nachfolgenden Teil eingearbeitet sind.
„Kreative Industrien – Eine Analyse von Schlüsselindustrien am Beispiel Berlins“ von Dieter Puchta, Friedrich Schneider, Stefan Haigner, Florian Wakolbinger und Stefan Jenewein; 2009
From Cultural to Creative Industries; Theory, Industry, and Policy Implications. Cunningham, St.; 2002
Creative Class
1. Kulturwirtschaftsbericht Sachsen-Anhalt, 2001
Talente, Technologien und Toleranz - wo Deutschland Zukunft hat; Kröhnert, S., Morgenstern, A., Klingholz, R.; Berlin, 2007
Land Hamburg, Kulturwirtschaftsbericht für Hamburg. Die wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung von künstlerisch-kreativen Leistungen in der Freien und Hansestadt Hamburg, 2006
1. Kulturwirtschaftsbericht für Berlin, Juni 2005
Montreal’s Capacity for Creative Connectivity,: Outlook & Opportunities, Kevin Stolarick/Richard Florida/Louis Musante, 2005
Kulturwirtschaft und Kreative Industrien 2007; Söndermann, M.; 2007
Bundesregierung, Monitoring zu ausgewählten wirtschaftlichen Eckdaten der Kulturund Kreativwirtschaft 2009
Deutscher Bundestag, Kulturund Kreativwirtschaft, Enquete-Kommission, 2007
Forschungsgutachten Kultur- und Kreativwirtschaft im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie (2009)
p.65
Forschungsberichte und Publikationen*
Creative Industries Mapping Document, London 1998
p.64
Typus
Kreativquartier — Erster Teil
„The rise of the creative class and how it’s transforming work, leisure, community, and everyday life“, Richard Florida, Juni 2002
Volkswirtschaftlich
Soziologisch
Der nachfolgende Abschnitt soll die Bandbreite der unterschiedlichen Ansätze zur Beschreibung der Kreativen Klasse aufzeigen und den Begriff der Kultur- und Kreativwirtschaft eingrenzen. Die Verwendung des Begriffes „Kreative Industrien“ in der Literatur ist sehr unterschiedlich. Zahlreiche Definitionsansätze, machen einen Vergleich der
+ Kreative Industrien · Musik, darstellende Kunst, Film, Radio, TV · Werbung, PR, bildende Kunst, Kunsthandwerk, · Design, Architektur, kulturelles Erbe, Printmedien · Software, Internet, Telekommunikation
+ Creative Class · Wissenschaftler (z.B. Physiker) · Kreative Professionals (z.B. Anwälte, Unternehmensberater)
- Branchen- bzw. Sektorbezogen
- Berufe, Tätigkeiten
Typus
Kreativquartier — Erster Teil
Eine Begriffsvielfalt
Studien sehr schwierig. Eine allgemein anerkannte Definition sucht man vergeblich. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von ähnlichen Begriffen,
die
schneiden. Folgende Begriffe werden in der Literatur in diesem Zusammenhang am häufigsten genannt. 9,10 Nach kontinental9 APuZ; Aus Politik und Zeitgeschichte; 34-35/2006 - 21. August 2006; Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament: hg. v. der Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn; Redaktion: Dr. Katharina Belwe u.A.; Thema: Kulturwirtschaft, daraus: Kultur- oder „Kreativwirtschaft“: Was ist das eigentlich?, Andreas Joh. Wiesand, S. 8-16 und eigene Ergänzungen 10 „Kreative Industrien – Eine Analyse von Schlüsselindustrien am Beispiel Berlins“ von Dieter Puchta, Friedrich Schneider, Stefan Haigner, Florian Wakolbinger und Stefan Jenewein; ISBN 978-3-8349-15818; Gabler Fachverlag, Wiesbaden 2009; Seite 21 und eigene Ergänzungen 11
europäischem Verständnis werden Kreative Industrien bran-
Verwertungsrechtebezogen
· Informations- und Kommunikationstechnologie · Content-, Medien- und Kulturwirtschaft
· Copyright, Patent, Marken, Design
- Im Wesentlichen Inhalt vs. Technologie
- Erfindungen und Entwicklungen die sich schützen/ verwerten lassen
chen- bzw. sektorenbezogen abgegrenzt. In angloamerikanischen Studien wird primär eine Auswahl von Berufen bzw. Tätigkeiten zur Untersuchung herangezogen. Insofern kann daher auch von einem volkswirtschaftlichen (kontinentaleuropäischen) bzw. soziologischen (angloamerikanischen) Ansatz ge-
Angloamerikanischer Ansatz
sprochen werden. Durch unterschiedliche Gewichtungen ist der
Die Art der ausgeübten Tätigkeit ist wesentliches Kriterium für die Einordnung zur Kreativen Klasse nach Richard Florida.
Anteil kreativ Beschäftigter am Arbeitskräftepotenzial typischerweise in angloamerikanischen Studien höher 11.
„Mitglieder der Kreativen Klasse arbeiten innovativ, sie können Probleme identifizieren, Lösungen entwickeln und dabei Wissen auf neue Art und Weise einsetzen und neu kombinieren.“
Kulturwirtschaft
Im Gegensatz hierzu, werden Berufe die hauptsächlich
Cultural Industries
durch Routinetätigkeiten gekennzeichnet sind, nicht zur Kreati-
Cultural Industries Cluster Kulturgüter
Cultural Goods
Kulturökonomie
Cultural Economy
Kreativsektor
Creative Sector
Ebd. Seite 22
12 ebd. Seite 22 (Zitat aus „The rise of the creative class and how it’s transforming work, leisure, community, and everyday life”, Richard Florida; ISBN 9781864032567; Basic Books Reprint, 2003)
Produktionsorientiert
sich zwangsläufig inhaltlich über-
Kreative Industrien
Creative Industries
Grafik Kreativwirtschaft in Matrixform (Quelle: Puchta 2009)
ven Klasse dazugezählt. 12 Nach Florida werden die Kreativen in drei Untergruppen gegliedert 13,14 . Neben den „Bohemiens“ (künstlerisch tätiger
Grafik Unterteilung der Kreativen Klasse nach Richard Florida (Quelle: Fritsch/Stützer)
Teil der Kreativen Klasse) unterscheidet Florida zwischen den „Hochkreativen“ (innovative Menschen) und den „Kreativen Professionals“ (wissensintensive Bereiche).
Creative Economy Kreative Klasse
Creative Class Medien-Wirtschaft Kreative Klasse
12 „Kreativquartiere – Urbane Milieus zwischen Inspiration und Prekarität“, Janet Merkel; hg. v. Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung; ISBN 978-389404-252-3; edition sigma, 2008
Creative Capital Theory Copyright Industries
Bohemiens
Hochkreative
Kreative Professionals
Knowledge Economy künstlerisch
innovativ
wissensintensiv
Schriftsteller bildende/darstellende Künstler Publizisten Fotografen … u.a.
Wissenschaftler Physiker Chemiker Mathematiker Informatiker u.a
Unternehmensbertungs- und Organisationsfachkräfte Finanz- und Verkaufsfachkräfte Anwälte Verwaltungsfachkräfte u.a.
IKT-Wirtschaft Content-Wirtschaft Medien-Wirtschaft
p.67
p.66
12 Fritsch, M., Stützer, M.; Die Geographie der Kreativen Klasse in Deutschland. Raumforschung und Raumordnung, #65 (1), S. 15-29. Jena, 2007
Typus
„Im Modell der Kulturwirtschaft
Unterstützende Dienstleistungen
In Kontinentaleuropa spricht man grundsätzlich von der Kul- bildet der Faktor ‚Kultur im
‚Kreativität‘ im Mittelpunkt.“ 15
‘Kreativität’ im Mittelpunkt.“
1
2
3
4
5
Kulturgüter und Dienstleistungen
tivwirtschaft steht der Faktor
Vertrieb
Merkmal. Im Modell der Krea-
Merkmal. Im Modell der Kreativwirtschaft steht der Faktor
Weiterverarbeitung
weiten Sinne‘ das gemeinsame
Produktion
tur- und Kreativwirtschaft. „Im Modell der Kulturwirtschaft bildet der Faktor ‚Kultur im weiten Sinne‘ das gemeinsame
Schöpferischer Akt
Kreativquartier — Erster Teil
Kontinentaleuropäischer Ansatz
Darüber hinaus werden in der Literatur weitere Ansätze kontrovers diskutiert. So sprechen einige von dem horizontalen Ansatz (Subsumierung bestimmter Branchen unter der Kategorie „kreativ“) 16 und dem vertikalen Ansatz (wertschöpfungskettenbezogener Anteil an Kreativität für alle Branchen). Eine eindeutige Messung scheint auch hier schwierig, auch wenn der vertikale Ansatz zusätzlich in die Subsektoren „Erbringung der Vorleistung“, „Produktion“, „Vervielfältigung“ und „Verteilung“ gegliedert ist 17,18. Weiterhin kommt auch die Einordnung von geistigem Eigentum in Form von Patenten, Copyright und ähnlichen Indikatoren zur Diskussion und damit auch die Frage nach der Erfassung von Kreativität aus den Technologieindustrien. Die weiter gefassten Begriffe werden u. a. mit anderen Branchen ergänzt, z. B. mit der Informations- und Kommunikationstechnologie (die so genannte HCT-Wirtschaft) zur „Copyright-Industrie“ 19 ; oder das Research & Development zur John Howkins versteht unter „Creative Industries“ bzw. „Creative Economy“ die Summe aus den vier Wirtschaftsbereichen „Copyright-Industrie“, „Patent-Industrie“, „Marken-In-
Kreativbranchen Kulturwirtschaft
p.68
Kreativwirtschaft
dustrie“ und „Design-Industrie“ 21.
Verlagsgewerbe, Film- & Rundfunkwirtschaft Künstlerische und sonstige Gruppen Journalisten- / Nachrichtenbüros Museen/Kunstausstellungen Handel mit Kulturgütern Architekturmarkt
Werbemarkt Software- / Computerspieleindustrie
15 vgl. Söndermann, M.; Kulturwirtschaft und Creative Industrien 2007. Aktuelle Trends unter besonderer Berücksichtigung der Mikrounternehmen. Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. Berlin, 2007 16 vgl. Kröhnert, S., Morgenstern, A., Klingholz, R.; Talente, Technologien und Toleranz - wo Deutschland Zukunft hat. Berlin Institut für Bevölkerung und Entwicklung. Berlin, 2007 17 Ratzenböck, V., Demel, K., Harauer, R., Landsteiner, G., Falk, R., Leo, H., Schwarz, G.; Endbericht: Untersuchung des ökonomischen Potenzials der „Creative Industries“ in Wien; Wien, 2004 aus [Puchta, 2009, S. 25] 18 Traxler, J., S., Kurzmann, Grossgasteiner, R., Ploder, M.; Potenzialanalyse Kreativwirtschaft im Großraum Graz. Joanneum Research; Graz, 2006 aus [Puchta, 2009, S. 25]
19 Söndermann, M.; Kulturwirtschaftsberichte der Bundesländer: Viele Sprachen - ein Ziel? In: Däubler, Ch., Fesel, B.; Kulturwirtschaft 2005; Friedrich-Naumann-Stiftung; Büro für Kulturpolitik und Kulturwirtschaft; Berlin, 2006
Zwischenfazit Wie wir erkennen können, bietet die Begriffsvielfalt eine breite Diskussionsgrundlage für die Definition der Kulturund Kreativwirtschaft. In den letzten Jahren sind im mitteleuropäischen
Raum
zahlreiche
länderspezifische
Kreativwirt-
schaftsberichte entstanden, die sich diesen Begriffsgrundlagen bedienen und parallel eine eigene Definition versuchen zu formulieren. Unter solch unterschiedlichen Begriffen und den sich darunter verbergenden Konzepten, scheint es überraschend, dass sich dennoch langsam ein Konsens zur Kultur- und Kreativwirtschaft im europäischen Raum abzeichnet.
20 ICG culturplan Unternehmensberatung GmbH, STADTart Planungs- und Beratungsbüro; Gutachten zum Thema: „Kulturwirtschaft in Deutschland - Grundlagen, Probleme, Perspektiven“; Berlin, Graz, Dortmund, 2007 20 Cunningham, St.; From Cultural to Creative Industries; Theory, Industry, and Policy Implications. Media International Australia, Incorporating Culture & Policy #102. 54-65, University of Queensland, 2002 aus [Puchta, 2009, S. 25]
p.69
„Creative Economy“ 20.
Musikwirtschaft
Markt für darstellende Künste
· Selbstständige Musiker/innen, Komponist/innen · Musik- und Tanzensembles · Verlag von bespielten Tonträgern und Musikverlage · Theater- und Konzertveranstalter · Betrieb von Theatern, Opern, Schauspielhäuser · Sonstige Hilfsdienste des Kultur- & Unterhaltungswesens · Einzelhandel mit Musikinstrumenten und Musikalien
· Selbstständige Bühnenkünstler/ innen · Selbstständige Artist/innen · Theaterensemble · Theater- / Konzertveranstelter · Betrieb von Theater, Opern, Schauspielhäusern, usw. · Varietes und Kleinkunstbühnen · Sonstige Hilfsdienste des Kultur- und Unterhaltungswesens · Tanzschulen · Weitere Kultur- / Unterhaltungseinrichtungen (Zirkus, Akrobat, Puppentheater)
Rundfunkwirtschaft
Typus
Kreativquartier — Erster Teil
Kultur- und Kreativwirtschaft Abgrenzung Die Vielzahl von Begriffen und die enorme Bandbreite einzelner Definitionsansätze macht es schwierig, unsere Untersuch-
ung hinsichtlich der Programmatik in Kreativquartieren
einzugrenzen. Fortdauernde Diskussionen um Begriffe wie Kreative Klasse oder Kultur- und Kreativwirtschaft haben zu einer Eingrenzung geführt, die mit den vorliegend untersuchten Kreativquartieren und deren Akteuren sowie unserem derzeitigen Verständnis von kreativer Arbeit die größte Übereinstimmung hat. Mit Hilfe dieser Eingrenzung ist es uns möglich, eine vergleichbare Quantifizierung vorzunehmen. Definition Kultur- und Kreativwirtschaft Nachfolgend wird die aktuell gültige Definition der Kultur- und
· Rundfunk, Herstellung von Hörfunk und Fernsehprogrammen
Pressemarkt
· · · ·
Selbständige Journalist/innen Nachrichtenbüros Verlegen von Adressbüchern Zeitungs- & Zeitschriftenverlag
Buchmarkt
Kreativwirtschaft im Forschungsgutachten Kultur- und Kreativwirtschaft im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie (2009) für Deutschland aufgezeigt, welche
Schöpferischer
sowohl mit der europäischen Kernabgrenzung der EU-Kommis-
· Selbständige Schriftsteller/innen · Buchverlag · Einzelhandel mit Büchern
sion als auch mit dem britischen Creative-Industries-Konzept kompatibel ist.
Akt
Unter Kultur- und Kreativwirtschaft werden diejenigen Kul-
Werbemarkt
· Werbegestaltung & -vermittlung
tur- und Kreativunternehmen erfasst, welche überwiegend erwerbswirtschaftlich orientiert sind und sich mit der Schaf-
Architekturmarkt
fung, Produktion, Verteilung und/oder medialen Verbreitung
Kunstmarkt
von kulturellen/kreativen Gütern und Dienstleistungen befassen. Das Wirtschaftsfeld Kultur- und Kreativwirtschaft umfasst
Software- / Gamesindustrie
folgende elf Kernbranchen oder Teilmärkte: Musikwirtschaft,
· Selbständige bildende Künstler/ innen · Kunsthandel, Museumsshops & Kunstausstellungen
Buchmarkt, Kunstmarkt, Filmwirtschaft, Rundfunkwirtschaft, Markt für darstellende Künste, Designwirtschaft, Architekturmarkt, Pressemarkt, Werbemarkt sowie Software/Games-Indus-
Architekturbüros für: · Hochbau und Innenarchitektur · Orts-, Regional- und Landesplanung · Garten- und Landschaftsgestaltung
· Verlegen von Software · Softwareberatung & Entwicklung
trie. Der wirtschaftlich verbindende Kern jeder kultur- und kreativwirtschaftlichen Aktivität ist der sogenannte schöpferische Akt. Damit sind alle künstlerischen, literarischen, kulturellen, musischen, architektonischen oder kreativen Inhalte,
Filmwirtschaft Designwirtschaft
Werke, Produkte, Produktionen oder Dienstleistungen gemeint,
Sonstiges
p.70
ten zugrunde liegen. Grafik Statistische Teilgruppen nach Teilmärkten (WZ 2003) (Quelle: Bundesministerium für Wirtschaft u. Technologie) * Schätzungen
· Selbständige Bühnenkünstler/ innen · Film- / TV- & Videofilmherstellung · Filmverleih und Videoprogrammanbieter Kinos
· Produkt- und Industriedesign · Modedesign · Grafikdesign · Kommunikationsdesign und Werbegestaltung
· Restaurator/innen, Denkmalstätten · Bibliotheken / Archive · Bot. Gärten, Zoos, Naturparks · Schaustellergewerbe und Vergnügungsparks
p.71
die als wirtschaftlich relevanter Ausgangskern den elf Teilmärk-
Typus
Kreativquartier — Erster Teil
Gesamtwirtschaftliche Perspektive Ohne die Werke und Leistungen der Schriftsteller, Komponisten,
Musiker,
Bühnenkünstler,
Filmemacher,
bildenden
Künstler gäbe es keine Kultur- und Kreativwirtschaft. Sie sind Urheber, Originärproduzenten oder Dienstleister, ohne die keine Filmfirma, kein Musikkonzern, kein Buchverlag und auch kein Galerist etwas zu verwerten und zu verbreiten hätte. Nicht zuletzt bewegen sich die selbständigen Künstler selbst in einer Künstler-, Kultur- oder Kreativszene, die durch Vielfaltsproduktion gekennzeichnet ist. Diese Vielfalt unterschiedlichster Produktionsformen wird von Professionellen, Semiprofessionellen oder Autodidakten geprägt, die in hartem, zum Teil ruinösem Wettbewerb zueinander stehen. Die Vielfaltsproduktion wird außerdem durch die Nutzung neuer Technologien, durch Digitalisierung und durch das Internet ständig weiter entfacht. Die selbständigen Künstlerberufe stehen somit in einem komplizierten Wirtschaftsumfeld, die zukünftig eine erweiterte wirtschaftspolitische und kulturpolitische Beachtung benötigen.
2,6 % Kultur- und Kreativwirtschaft
Chemische Industrie
Energieversorgung
74 Mrd.
71 Mrd.
61 Mrd.
49 Mrd.
43 Mrd.
p.73
Automobilindustrie
Grafik Bruttowertschöpfung, Forschungsgutachten Kultur- und Kreativwirtschaft der Bundesregierung 2009
Maschinenbauindustrie
p.72
des deutschen BIP
Kreativwirtschaft Erwerbstätige
Im Jahr 2008 existierten in der Kultur- und Kreativwirt-
Typus
Kreativquartier — Erster Teil
Zusammenfassung der empirischen Befunde
Sonstiges Musikwirtschaft
schaft rund 238 300 Unternehmen und Selbständige. Sie erzielten zusammen ein Umsatzvolumen von insgesamt 132
Buchmarkt
Milliarden Euro und konnten rund 763 400 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten einen Voll- oder Teilzeitarbeitsplatz
Kunstmarkt Filmwirtschaft
bieten. Zusammen mit den Selbständigen arbeiten in der Kulturund
Kreativwirtschaft
in
Deutschland
rund
eine
Rundfunkwirtschaft
Million
Erwerbstätige.
Darstellende Künste
Insgesamt konnte die Kultur- und Kreativwirtschaft damit im
Software & Games
3,3 %*
Jahr 2008 schätzungsweise einen Beitrag in Höhe von rund 63 Milliarden Euro zur Bruttowertschöpfung leisten. Zu den Teilmärkten mit starker wirtschaftlicher Stellung der
Designwirtschaft
Großunternehmen zählen die Rundfunkwirtschaft sowie der
Werbemarkt
Buch- und der Pressemarkt. Zugleich ist im Pressemarkt und in der Rundfunkwirtschaft die relative Bedeutungslosigkeit von
Architekturmarkt
Kleinstunternehmen zu beobachten.
Pressemarkt
Die wichtigsten Märkte für Kleinstunternehmen sind der Kunstmarkt, der Markt für darstellende Künste, die Designwirtschaft, sowie der Architekturmarkt. Hier erwächst ein hoher Marktanteil des Umsatzes durch die große Zahl der Kleinstunternehmen, die als Einpersonenunternehmen oder Freiberufler im Markt tätig sind und im Schnitt zwischen 100 000 und
Kreativwirtschaft Umsätze
200 000 Euro Jahresumsatz erzielen. Zu den ausgeglichenen
Sonstiges Musikwirtschaft
Teilmärkten, die in allen Unternehmensgrößenklassen mehr oder weniger gleiche Umsatzanteile aufweisen, zählen die Soft-
Buchmarkt
ware-/Games-Industrie sowie die Filmwirtschaft. Die im Hinblick auf die Wachstumsdynamik wichtigsten Teilmärkte der
Kunstmarkt Filmwirtschaft
letzten Jahre sind die Software- /Games-Industrie, die Designwirtschaft, der Markt für darstellende Künste und der KunstRundfunkwirtschaft
markt 22 . Software & Games
2,5 %*
Darstellende Künste
Designwirtschaft
Werbemarkt
Architekturmarkt
Grafik Umsätze in der Kultur- und Kreativirtschaft, (Quelle: Umsatzsteuerstatistik; eigene Berechnungen Michael Söndermann/AG Kultur- und Kreativwirtschaft 2008) * Anteil Gesamtwirtschaft
Kreativwirtschaft
Kreativbranche
Kulturwirtschaft
Sonstiges
p.75
p.74 p.74
Pressemarkt
Tektonik — Bei der Untersuchung von Kreativquartieren können wir feststellen, dass die Beschaffenheit der Architektur im klassisch typologischen Verständnis keine ausschlaggebende Rolle spielt. Dabei genügt dem Nutzer, um ein Projekt zu verwirklichen, ein Minimum an gebauter Infrastruktur. Die Individualisierung und Aneignung, bzw. Veränderung seitens der Künstler und Kreativen wollen wir am Beispiel der Wagenhallen und deren Transformationsprozesse analysieren.
bäudestruktur untersucht, redet man in erster Linie
des als unfertige Ästhetik von immenser Wichtigkeit für
über das Erscheinungsbild oder die Konstruktionsweise
die Nutzer des Kreativquartiers zu sein scheint.
des Gebauten. Wenn man eine ganze Reihe von Gebäu-
p.78
So finden wir in Kreativquartieren oft Möglichkeits-
den mit derselben Programmatik analysiert, versucht
räume vor, deren Nutzung wenige bis keine Regeln
man Merkmale und Parallelen zu finden, welche die Ge-
auferlegt werden. Das Vorgefundene wird wiederum stets
meinsamkeit dieser Gebäude ausmachen. Diese werden
einer Individualisierung und Aneignung, bzw. Verände-
mit Hilfe von Sprache und/oder einer Form von Abbil-
rung seitens der Künstler und Kreativen unterzogen.
dung beschrieben. Das größte Problem der Beschrei-
Diese Tatsache weist nicht zuletzt auf eine Parallele zur
bung ist die offensichtliche Reduktion auf das Wesentli-
gegenwärtigen Veränderungen unserer Gesellschaft
che und es kommt zwangsläufig nur noch zu einer Teil-
hin, in der immaterielle Werte zunehmend im Vorder-
beschreibung des Ganzen. Das Gebäude wird durch die
grund stehen. Wir beobachten einen Verlust an traditio-
Be-schreibung in seiner Eigenschaft beschränkt, was
neller Sicherheit innerhalb institutionalisierter Struktu-
aber wiederum für eine Klassifizierung und/oder Ein-
renInteressant ist immer mehr die Selbstverwirklich-
ordnung notwendig ist. (siehe Abschnitt Typologie als Untersu-
ung des Individuums im großen Netzwerk, in dem Kom-
chungsstrategie)
munikation und Beziehungen oberste Priorität haben.
Bei der Untersuchung von Kreativquartieren können
Tektonik
spuren eines bereits vorhandenen und genutzten Gebäu-
Auserdem kann man in den letzten Jahren von der
wir jedoch feststellen, dass die Beschaffenheit der Archi-
zunehmenden gesellschaftlichen Bindungslosigkeit
tektur im klassisch typologischen Verständnis keine aus-
im kirchlichen oder politischen Sinne sprechen (Michel
schlaggebende Rolle spielt. Ein Minimum an gebauter
Serres) was unsere Mitbürger lediglich noch zur Kulti-
Infrastruktur genügt dem Nutzer, um ein Projekt zu ver-
vierung ihrer Privatsphäre drängt und der Triumph des
wirklichen. Vielmehr beobachten wir, dass Gebrauchs-
Individualismus im soziologischen Sinne im „Cocooning“
p.79
Kreativquartier — Erster Teil
Tektonik | Wenn man Architektur hinsichtlich ihrer Ge-
anderem im Konsum und mit einhergehend gibt es
Tektonik
Kreativquartier — Erster Teil
endet. Der Individualismus findet seinen Ausdruck unter genügend Produzenten, die auf individuelle Bedürfnisse eingehen. Man könnte sogar noch einen Schritt weiter gehen und behaupten, das Netzwerk diene der immate-
p.81
p.80
riellen Selbstdarstellung des Individuums.
kenden Schiff befinden, das alle Rettungsboote schon losgelassen hat, dann ist ein
Tektonik
Kreativquartier — Erster Teil
„Wenn Sie sich auf einem sin-
Einführung Transformation „Wenn Sie sich auf einem sinkenden Schiff befinden, das
Wohngebäude 2+3
alle Rettungsboote schon losgelassen hat, dann ist ein vorbeitreibender Klavierdeckel, mit dem Sie sich über Wasser hal-
Werkstattanbau
vorbeitreibender Klavierdeckel, ten können, ein willkommener Lebensretter. Das heißt aber mit dem Sie sich über Wasser
nicht, dass die Formgebung von Klavierdeckeln das beste De-
halten können, ein willkomme-
sign für Rettungsringe wäre.“ 1
ner Lebensretter. Das heißt
Am Beispiel der Wagenhallen wollen wir Transformationspro-
aber nicht, dass die Formge-
zesse aufzeigen. Meist sind die Veränderungen am Gebäude
bung von Klavierdeckeln das
nur anhand von spezifischen Nachforschungen herauszufinden
beste Design für Rettungsringe
und entwickeln sich regelrecht zu einer Schatzsuche.
wäre.“
Die Wagenhallen wurden im Laufe ihres Bestehens mehrmals umgenutzt (vgl. Geschichte Wagenhallen). Nicht nur bei einer Nutzungsänderung, sondern auch während der Nutzung wur-
Verwaltungsanbau
Hallen-Freifläche
Kunstverein Wagenhallen e.V.
Veranstaltungsbereich
Künstlergemeinschaft Stgt.-Nord
den Transformationen, Ergänzungen und Reparaturen am Gebäude vorgenommen. Anhand des nachfolgenden Bildmaterials soll der Transformationsprozess aufgezeigt werden. Dieser gibt einen Überblick über die Veränderung der vergangenen 100 Jahre und einen
Transformation Wagenhallen
ersten Hinweis auf die Anpassung zum Kreativquartier der ehe-
Bereits wenige Jahre nach der Eröffnung der Wagenhallen
maligen Typologie „Lokomotivremise“.
im Jahr 1894 kann man Veränderungen am Gebäude erkennen. In der Zeit des ersten Weltkrieges und der Materialverknappung ist im hinteren Teil der Wagenhallen eine Pufferbohle und ein alter Waggonrahmen der KWStE (mit Herstellerkennzeichnung) als verstärkendes Element in der Wand verbaut. Auch die ursprünglichen Gleisnummerierungen über den gemauerten Einfahrtstoren behielten nur kurze Gültigkeit. Nach dem Zweiten Weltkrieg wird die Lokotivremise zum Busdepot und Buswartungszentrum umgebaut, weswegen die Gleise und die Schiebebühne im Hallenquerflügel III entfernt wurden.
Waggons
Im Jahr 1964 wird der Bau umfassend renoviert. Der neue Verwaltungsbau im hinteren Teil entsteht und die alten Tore werden durch größere Rolltore ersetzt. Im Zuge des Umbau muss die alte Lüftungstechnik mit den beweglichen und festen
Wagenhallen
Rauchfängern von dampfbetriebenen Lokomitven weichen. Bis zum 1. Juli 2003 wird der Bau von der Regional-Bus-Stuttgart genutzt und geht anschließend an die Stadt Stuttgart über, welche die Hallen für kreativ Schaffende öffnet. gen am Gebäude vorgenommen. Die zeitlich neuesten Veränderung sind in den ausgeschäumten Lüftungsschlitzen, den zugemauerten Fensteröffnungen, den angebauten Gebäudeteilen und vielen kleinen Transformationen sichtbar und werden auf den nachfolgenden Seiten gezeigt.
p.83
p.82
Seither werden von den Nutzern der Wagenhalle Anpassun1 R. Buckminster Fuller, Einleitung: Bedienungsanleitung für das Raumschiff Erde und andere Schriften, FUNDUS Bd. 137, Philo Fine Arts; ISBN-13: 978-3865724151, 3. Auflage, April 2010
1894 77 % noch vorhanden
Tektonik
Kreativquartier — Erster Teil
Verhältnis* ursprüngliche Bausubstanz 1894 zu noch vorhandenem Bestand 2013
1917
23 % abgerissen 5 Werkstätte
4
Werkstätte
3 4
Halle VI
3
Halle VI
2
2
Königliche Lokomotivstation a. d. Prag
Wagen-Werkstätte
Halle II
Halle II
Halle I
Halle I
Schiebebühne
Verhältnis* noch bestehende Bausubstanz 1894 zu Anbau und Umbau bis 2003
1925 81% Ursprung
1936
19 % Anund Einbau 5 Werkstätte
4
Werkstätte
3 4
Halle VI
3
Halle VI
2
2 Ausbesserungswerk
Halle II
Halle II
Ga
en rag
Bahnbetriebs-Wagenwerk
Halle I
om str er ark ag St offl st
Halle I
Überdachte Lackierfläche
Verhältnis* vorgefundene Bausubstanz 2003 zu Einbau und Umbau durch Kreative 2012
1963 65 % vorgefundene Bausubstanz
2012
35 % Ein- und Umbau
Werkstätte
4
3
3
Halle VI
2 Kraftwagenhalle
2 Wagenhallen
Halle II
om str er ark ag St offl st
Halle I
Hinweis: eine genaue Analyse der Gebäudesubstanz der Wagenhallen finden Sie in der Broschüre Tektonik.
Überdachte Lackierfläche
Einbauten/Umbauten der Kreativen Überdachte Freifläche
p.85
p.84
* Grundlage dieser Untersuchung sind die laufenden Meter Wand aus vorliegendem Planmaterial der entsprechenden Jahre. Damit sind auch die einzelnen Stellwände und Änderungen der Kreativen messbar.
Tektonik
Kreativquartier — Erster Teil Anbauen I Ende der 1920er Jahre wird das Bahnbetriebs-Wagenwerk verkleinert. Schienen fallen der Umstrukturierung zum Opfer, zusätzliche Werkstattbauten werde angebaut. Anbauen II Hinter dem Anbau ist die ursprüngliche Hallenzufahrt noch zu erkennen.
Anbauen IV Eingänge und Zufahren werden oft „temporär“ von den kreativen Nutzern mit kleinen Anbauten erweitert.
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p.86
Anbauen III Der hintere Teil wird mehrmals umgebaut. Nach einem Kantinenanbau in den 1960er Jahren, erfolgt bald darauf der Umbau zum Verwaltungstrakt.
Tektonik
Kreativquartier — Erster Teil Einbauen I Ein Hochregal teilt die Halle zwischen Werkstattbau und der Freifläche. Einbauen II Kreative bauen sich Wände aus unterschiedlichen Materialien und Objekten.
Einbauen IV Feste Einbauten als Büroräumlichkeiten ergänzen das Nutzerprofil.
p.89
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Einbauen III Feste Einbauten grenzen spezifische Nutzungen voneinander ab.
Tektonik
Kreativquartier — Erster Teil
Umwidmen I Die Freifläche wird mehrmals im Jahr umgewidmet. Sommer: primär kreative Freifläche Winter: Stellplatz für Wohnwägen, Marktstände, etc. Umwidmen II Die ehemalige Rangierfläche vor den Hallen ist heute ein Biergarten des Veranstaltungsbereiches.
Umwidmen IV Die Waggons auf dem Nordbahnhofgelände wurden zum Wohnen, Arbeiten und zur Freizeitgestaltung umgewidmet.
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Umwidmen III Der nach den 1920er Jahren als Werkstatterweiterung genutzte Fläche ist heute der Veranstaltungsbereich.
Tektonik
Kreativquartier — Erster Teil
Modernisieren I In den 1960er Jahren wird das Bahnbetriebs-Wagenwerk zum Kraftwagenwerk umgebaut. Die kleinen Einfahrtstore müssen elektrischen Rolltoren weichen, damit ein Bus hindurchpasst. Modernisieren II Ein längerer Aufenthalt mit unterschiedlichen Tätigkeiten erfordern einen erhöhten Komfort.
Modernisieren IV Im hinteren Teil des Gebäudes wurden mehrere Fassadenöffnungen durch zeitgenˆssische Fenster modernisiert.
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Modernisieren III Zum Lärm- und Wärmeschutz wurden im Veranstaltungsbereich innenliegende Isolierglas-Fenster angebracht.
Tektonik
Kreativquartier — Erster Teil Ergänzen I An mehreren Stellen in der Halle ist eine funktionelle Ergänzung zu finden. Ergänzen II Je nach Sicherheitsanforderung werden die alten Holztore ersetzt und die Fläche davor zum Aufenthaltsbereich umgewandelt.
Ergänzen IV Eine funktionelle Ergänzung findet sich an unterschiedlichsten Stellen.
p.95
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Ergänzen III Räume und Zugänge werden je nach Nutzung funktionell ergänzt.
Tektonik
Kreativquartier — Erster Teil
Reparieren I Bauschäden werden mehr oder weniger notdürftig von den Nutzern repariert. Reparieren II Ursprüngliche Öffnungen für den Rauchabzug haben keine Funktion mehr und werden zugemauert.
Modifizieren II Neue technische Anforderungen an Veranstaltungsbereiche erfodern kostengünstige Modifizierungen.
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Modifizieren I Überflüssige Wandöffnungen werden kostengünstig von den Nutzern modifiziert.
Tektonik
Kreativquartier — Erster Teil Umfunktionieren I Fundstücke aus der Umgebung werden für neue Zwecke kostengünstig umfunktioniert. Umfunktionieren II Ein alter Waggonrahmen der KöniglichWürttembergischen Staatseisenbahn (mit Herstellerkennzeichnung) wurde Anfang des 20 Jhd. als verstärkendes Element in der Wand verbaut.
Umfunktionieren IV Übrig gebliebenes Baumaterial wurde als verstärkendes Element in der Wand verbaut.
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Umfunktionieren III Ein alte Pufferbohle von den wegfallenden Gleisabschnitten wurde als verstärkendes Element in der Wand verbaut.
Binz | Kreativquartier in Zürich Einführung p. 100 – 109 | Urbaner Kontext p. 110 – 121 | Geschichte p. 122 – 125 | Gebäude p. 126 – 129 | Organisation p. 130 – 131 | Gebäudenutzung p. 132 – 139 |Akteure p. 140 – 143 | Ende p. 144 – 147 |
Binz – Zürich
Einführung
p.104
p.105
Binz – Zürich
Einführung
p.106
p.107
fertiges Projekt, geschweige denn, eine Baubewilligung.
nur geduldet.“ In der Binz lebt die Familie Schoch. So
Bis ein endgültiger Termin feststeht, wird die Besetzung
nennen sich die derzeit etwa 55 Bewohner, die das ehe-
unter bestimmten Auflagen vom Kanton geduldet und
malige Fabrikareal an der Uetlibergstrasse 111/111a in
bis dahin wollen die Bewohner um ihre Räume kämpfen
Zürich seit 2006 besetzen. Sie sind eine selbstverwaltete
und nicht zuletzt zeigen, dass die Stadt solche Freiräu-
Gemeinschaft, mit der Intention, „vielen Menschen eine
me braucht.
Einführung
Binz – Zürich
Einführung — Binz | „Sie sind nicht legal, auch nicht illegal,
Existenz und Raum für die Verwirklichung ihrer Ideen“ zu bieten. Das Projekt kann als alternatives Wohn- und Kulturkollektiv verstanden werden. Die beiden alten Fabrikhal-
„Ein einzigartig leidenschaftlich chaotisch subkulturell selbstbestimmtes Universum.“ 1
len auf dem ca. 5000 qm großen Gelände beherbergen neben den Wohn- und Gemeinschaftsräumen viele verschiedenen Werkstätten, Proberäume oder Veranstaltungsräume. Die Hallen sollen Möglichkeitsraum für unterschiedlichste Menschen bieten und ihre Nutzer haben nicht das Ziel, sich zu vermarkten oder zu einer Institution zu werden. Die Gebäude befinden sich seit 1983 im Besitz des Kantons Zürich. Seit diesem Zeitpunkt wurde bereits mehrfach versucht, Umbau- und Neubauprojekte auf dem Grundstück zu realisieren. Abbruchtermine für das mäßig verschoben. Zum jetzigen Zeitpunkt besteht kein
1
Schwerpunkt megaton Nr.371, Sept.2012
p.109
p.108
aktuellste Neubauprojekt werden schon seit 2009 regel-
Urbaner Kontext Uetlibergstrasse 111/111a 8045 Zürich Schweiz
1 : 10 000
Infrastruktur
Bus
S-Bahn/Zug
Tram
Haltestelle
p.111
Binz – Zürich p.110
Binz
Urbaner Kontext
Binz – Zürich
Industriezone Erholungszone
Wohnzone Wohnzone Wohnzone Wohnzone
(2G) (3G) (4G) (5G)
Zentrumszone (5G) Zentrumszone (6G) Zentrumszone (7G)
Quartiererhaltungszone Zone für öffentl. Bauten
Natur
Wald
Wiese
Wasser
p.113
p.112
Zonenplan
sonstige Nichtwohngebäude 11 % 7%
Goldbrunnenplatz
Gotthelfstrasse
Höfliweg
Nutzbauten 24 % 22 %
Urbaner Kontext
Binz – Zürich
Gebäudestand
Manesseplatz
Stadt Zürich Quartier Alt-Wiedikon
Binz-Areal Bahnhof Giesshübel
Saalsporthalle
Mehrfamilienhäuser und übriges Wohnen 47 % 62 %
Einfamilienhäuser 18 % 9%
Grafik Quelle: Statistik Stadt Zürich (Stand 2010)
Kultur- und Kreativwirtschaft
15,9 % 27,1 %
p.114
Quartier Alt-Wiedikon
im Kreis 3 8669 Einwohner pro km2 71 % Wohngebäude
Alt-Wiedikon befindet sich mitten in einem Transformationsprozess und ist in einem dynamischen Wandel. Viele Altbauten aus dem frühen 20.Jahrhundert müssen Neubauten weichen. Besonders um das Binz-Areal, den Bahnhof Giesshübel und im Manesseraum sind einige Neu- und Ersatzbauten geplant bzw. befindensich bereits im Bau.
Stadt Zürich Kanton Zürich Schweiz
Betriebe in der Kultur- und Kreativwirtschaft 12,2 % 24,6 %
Stadt Zürich Kanton Zürich Schweiz
3-Jahresveränderung
3-Jahresveränderung
18,0 % 13,0% 08,0%
18,0 % 13,0% 08,0%
Stadt Zürich Kanton Schweiz Schweiz
Stadt Zürich Kanton Schweiz Schweiz
Grafik Quelle: BZ 2008 BfS; Research Unit Creative Industries(RUCI), ZHdK; eigene Berechnung (Cluster-Bericht 2009/2010 Kanton Zürich)
p.115
Beschäftigte in der Kultur- und Kreativwirtschaft
Urbaner Kontext
Binz – Zürich
1
2 3 4
5
Binz Areal
Giesshübel Areal
Eines der letzten zentral gelegenen Industriegebiete. Kreative Nutzung vor allem in der Räffelstrasse, Binzstrasse und Grubenstrasse.
Unterliegt seit 2006 einem enormen Aufwertungsprozess. Kreative Nutzung vor allem in der Staffelstrasse und Edenstrasse.
1
„Basislager“ (2009 — 2012) temporäre Ateliersiedlung
4
Staffelstrasse - diverse Ateliers ehemaliges Verlagshaus
2
„Supertanker“ Kreativbüros und Ateliers
5
„Lagerhaus 62“ Umnutzung zu Wohn- und Atelierlofts
3
„Schule für Kunst und Design“ 6
„Sihlcity“ Urban Entertainment Center ehemaliges Fabrikareal
p.117
p.116
6
Zürich Binz Bahnhof (Bahn)
Zürich Giesshübel Bahnhof (Bahn) 5min — Hbf
Urbaner Kontext
Binz – Zürich
Zürich Binz Haltestelle (Bus)
Zürich Laubegg Haltestelle (Bus & Tram) Zürich Sihlcity Haltestelle (Bus)
m 250
Zürich Saalsporthalle Haltestelle (Bus & Tram)
Zürich Saalsporthalle Bahnhof (Bahn)
m 150 0 15 m
Erreichbarkeit 250 m Binz Bahnhof & Haltestelle (ca. 3 min Fußweg)
1 : 5 000 150 m Laubegg Haltestelle (ca. 4 min Fußweg)
200m Giesshübel Bahnhof (ca. 10 min Fussweg)
Umgebungsaxonometrie
p.119
p.118
ÖPNV
A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z AA BB CC DD EE FF GG HH II
coop Supermarkt NIYA Supermarkt Saravanabavan Asian Restaurant Ristorante Bar Pizzeria Paestum Teehaus Ch‘a Menara Reisen Pizzeria Verona ploy thai restaurant hongbin Massagen Praxis Boon Miki Coiffeur Pizza Kurier 10‘ Haltestelle Binz Mezzo Pizzeria Bäckerei Buchmann Vietnam Restaurant Coiffeur Denner Shop AVIA Tankstelle Restaurant Utoburg Binz Restaurant Take-Away Elektra Zürich Apotheke Kiosk Uniteti Kebab Restaurantt Musikhaus Kubli Kantonale Verwaltung Die Post Kiosk Multi-Kulti Die Post HAUG Stickerei Bettwäschefabrik Restaurant Swaad Haltestelle Laubegg WOX Hairdresser Städt. Kindergarten Laubegg iGuzzini Illuminazione Bürokomplex Uetlihof
A D F
B C
Urbaner Kontext
Binz – Zürich
Nutzung
E
H J
I K
L M
O P
Q R S V X Z
T
W Y
AA
CC BB
DD GG
FF
EE
HH
p.121
p.120
II
Geschichte
Binz – Zürich
Stadt Zürich in Gebrauchsleihe* Geschichte der Binz 1894 – 2006
Besitzer:
Color Metal AG
Zwischennutzung
1894 Bau der Fabrikationshallen der Color Metal AG (Metallwarenfabrik)
Besitzer: Geschichte der Binz 2007 – 2009
Kanton Zürich
1983 Der Kanton Zürich erwirbt die Hallen und plant ein Mehrzweckgebäude für die Datenverarbeitung des Kantons (EDV), die Kantonale Drucksachen- und Materialzentrale (KDMZ) und das Bezirksgefängnis (BGZ). Diese scheitern an baurechtlichen Regelungen.
Keine Angaben verschiedene Mieter
Leerstand
Besetzung
2006 Kündigung aller Mieter Pläne der Stadt für einen provisorischen Freestylepark.
Mai 2006
* aus der Systematische Sammlung des Bundesrechts: Kündigung aller Mieter SR 220 - Bundesgesetz betreffend die Ergänzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fünfter Teil: Obligationenrecht) vom 30. März 1911 (Stand am 1. März 2012) — Zweite Abteilung - Die einzelnen Vertragsverhältnisse Neunter Titel - Die Leihe Erster Abschnitt - Die Gebrauchsleihe — A. Begriff Art. 305 Durch den Gebrauchsleihevertrag verpflichten sich der Verleiher, dem Entlehner eine Sache zu unentgeltlichem Gebrauche zu überlassen, und der Entlehner, dieselbe Sache nach gemachtem Gebrauche dem Verleiher zurückzugeben.
Kanton Zürich
2007 Pläne für den Freestylepark werden aufgrund von Verzögerungen durch Einsprachen eines benachbarten Hausbesitzers aufgegeben.
April 2009 Der Kanton Zürich leitet ein Submissionsverfahren* zum Abbruch der Gebäude ein.
Juni 2009 Der Gebrauchsleihvertrag mit der Stadt Zürich endet. Zuständigkeit und Verwaltung wechseln wieder zum Kanton.
1. Juli 2009 Planmäßiger Abbruchbeginn laut Submissionsverfahren. Allerdings macht der Kanton eine mündliche Zusage gegenüber den Besetzern zum frühesten Abbruchtermin Ende September.
1. November 2009 Geplanter Abbruchbeginn für Sondierungsarbeiten. Aussicht auf Baurechtsvergabe in 2010 und möglicher Baubeginn 2012.
Das Immobilienamt plant eine Altlasten-Sondierung vor Verkauf der Gebäude. Geologen erachteten den Abbruch der Gebäude dafür als zwingend.
p.123
p.122
*Def.: Submissionsverfahren Ein Verfahren der Preisgestaltung, bei dem die Anbieter ein Angebot zur Lieferung eines bestimmten Produkts gemäß bestimmter Spezifikationen vorlegen können. Das Angebot beinhaltet den Preis und weitere Lieferbedingungen.
Geschichte
Binz – Zürich
*Das Immobilienamt duldet die Besetzung unter folgenden Voraussetzungen: Keine Behinderung der Sondierarbeiten; die Räumung des Areals per 1. August 2010; die Bereitstellung einer Sicherheitsleistung über CHF 20.000 für die allfällige Entsorgung von Sperrmüll aus der Zeit der Besetzung. rechts: Binz-Besetzer bei der Bezahlung der Kaution mit 400.000 Fünfräpplern. „Ihr bekommt die Fünfer, wir behalten das Weggli.“
Aus dem Tagesanzeiger vom 20.08.2010
Stellungname der Binz vom 16.02.2013
„Die Leute werden im Moment noch geduldet“ sagt Thomas Maag, Sprecher der Baudirektion. Weil kein neuer Abbruchtermin für die Fabrikhallen feststehe, gebe es auch noch kein neues Ultimatum. (...) Wollte der Kanton ursprünglich das Land im Baurecht abgeben, steht jetzt der Eigenbedarf des Kantons im Vordergrund. Die Abgabe im Baurecht sei „nicht mehr prioritär“. (...) Auch auf politischer Ebene ist das Areal in der Binz wieder aktuell: Die SP-Gemeinderätinnen Jacqueline Badran und Rebekka Wyler haben ein Postulat eingereicht mit der Forderung, die Stadt solle das Areal kaufen und einer „nicht gewinnorientierten Gewerbe- und Wohnnutzung“ zuführen. Bezahlbarer Raum für das Kreativgewerbe und für Kulturschaffende sei in der Stadt ebenso Mangelware wie günstiger Wohnraum für den Mittelstand.
„Insgesamt ein absurder Prozess: Die jetzt bestehenden Studentenwohnungen im Hotel Atlantis (in Zürich) sollen einem Luxushotel für die wenigen SuperverdienerInnen der Welt weichen. (...) Das Grundstück beim Atlantis ist gross genug, dass darauf auch noch eine Lego-Container Siedlung, wie sie in der BINZ geplant ist, Platz findet und die Spitalpersonal-Studios ebenfalls dort untergebracht werden können. Es ist nicht nachvollziehbar, dass dafür ein lebendiger Freiraum in Zürich überhaupt abgerissen werden soll. (...) Das Argument, dass nach dem Abriss des jetzigen Industrieareals in der BINZ auf dem Areal mehr Menschen wohnen als jetzt, ist entsprechend der Bauvorhaben im Hotel Atlantis und anderswo in der Stadt total irreführend. Verwunderlich ist auch, dass die Stadt Zürich und insbesondere das Amt für Städtebau nicht in die Planung des Projekts miteinbezogen wurden. (...)“
Geschichte der Binz 2010 –
Quelle http://www.binzbleibtbinz.ch/binz2013.pdf
August 2010 Geplanter Räumungsbeginn. Stattdessen renovieren und sanieren die Besetzer die Gebäude in Eigenregie.
Februar 2012 Die Liegenschaftsverwaltung Kanton AG gibt der Pensionskasse Stiftung Abendrot den Zuschlag für das Baurecht auf dem Areal.
p.124
Der Kanton plant in Zusammenarbeit mit Werner Hoffmann 180 Studios für Universitätsspital-Personal, sowie 150 „studentboxes“
31. Mai 2013 von der Verwaltung gesetzter Auszugstermin. Das geplante Projekt befindet sich in der Planungsphase.
Juni 2013 Geplanter Abriss und AltlastenSanierung durch den Kanton.
Oktober 2014 Geplanter Baubeginn, gemäß Studienauftrag.
März 2013 Geplanter Bauabschluss gemäß Studienauftrag.
31. Mai 2013 Die Nutzer der BINZ verlassen das Gelände ruhig in der Nacht auf den 31.Mai 2013 und ziehen weiter.
p.125
Die Besetzer der Binz äußern ihre Zweifel gegenüber dem Kanton, woraufhin dieser eine weitere Meinung zur Notwendigkeit der Abbrucharbeiten einholt. Ein weiterer Geologe bestätigt die Sondierung ohne Abbruch. Mit Auflagen* wird die Besetzung der Binz weiterhin geduldet.
Ab
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Gebäude
Binz – Zürich
Die Haupterschliessung des Geländes erfolgt über die Uetlibergstrasse. Von der Strasse aus sind die Hallen kaum sichtbar.
Aussenraum & Zugänge
bel Hauptsächlich im Bereich zwischen den beiden Hallen halten sich die Nutzer auf. Von hier führen diverse Türen und Tore in die Hallen und deren Nebenräume.
Ansicht von den Abstellgleisen des Bahnhof Giesshübel, im hinteren Teil des Grundstücks.
tlib
erg str ass e
p.129
p.128
Ue
Organisation
Binz – Zürich
Hard Facts
Organisation Die Binz funktioniert selbstorganisiert und basisdemokra-
Grundstücksfläche: ca. 6 000qm Grundstücksfläche große Halle: ca. 3 200 qm Grundstücksfläche kleine Halle: ca. 800 qm Eigentümer: Kanton Zürich Eigentümer: Color Metall AG (Bau 1984)tr Besetzung & Zwischennutzung: Kultur- und Kreativnutzung Binz Zeitraum: 2006 – 2013 Mietkosten: 5.000 SFR /Monat (Der Betrag wird von den ca. 50 Bewohnern der BINZ an die Stadt Zürich bezahlt – das entspricht in etwa den Nebenkosten.)
tisch. Zweimal im Monat findet eine Versammlung aller Bewohner und Nutzer statt. Hier wird diskutiert und es werden gemeinsam Entscheidungen getroffen. Organisatorische Strukturen sind lediglich in Form von wenigen Gruppierungen innerhalb der Bewohner zu finden. Die Gruppen formieren sich um gemeinsame Küchen, die wiederum Aufenthalts- und Gemeinschaftsraum für die Bewohner sind. Die Küchen Die Gemeinschaftsküchen können als räumliche Organisation betrachtet werden. Sie bilden zentrale Räume und haben darüberhinaus eigene Namen: 1.
Juppi-Küche — „’Juppi’, weil sie immer ein bisschen mehr Geld haben als die anderen.” (Zitat David) Oft Dachstuhl Wohn- u. Aufenthaltsräume Lager
sind das Studenten oder junge Leute aus der Punkszene. 2.
Benzino-Küche — Die älteste Küche. Und „Benzino“, weil ein Italiener namens Benzino hier früher einen kleinen Imbiss betrieben hat.
3.
Gemeinschaftsküche — Die größte Küche. Durch ihre
2. Obergeschoos Wohn- u. Aufenthaltsräume Dachterrasse
zentrale Lage auch oft soziale Auffangstation für Gäste. 4.
Ikea-Front — Weil sie hier alles selbst bauen, und das
5.
Ostblock — Weil die Küche eben im Osten liegt.
sogar ziemlich professionell.
1. Obergeschoss Wohn- u. Aufenthaltsräume Bibliothek Gästezimmer Siebdruck-Werkstatt
In regelmäßigen Versammlungen der Bewohner und Nutzer wird basisdemokratisch entschieden. Untergruppen im Gesamtgefüge sind die Küchen.
p.130
Spannung zwischen Besitzer und Besetzer: Der Besitzer will sein Grundstück (gemeinhin) vermarkten. Die Besetzer wollen den (noch) freien Raum nutzen. Ein möglicher Lösungsansatz liegt in der Moderation und Förderung von (geplanter) Zwischennutzung. (s. auch Abschnitt Zwischennutzung)
Erdgeschoss Gemeinschafts- u. Veranstaltungsräume versch. Werkstätten Lager, Ateliers, etc.
Große Halle – ca. 3200 qm
Kleine Halle – ca. 800 qm
p.131
monatlich 5 000 SFR (entspricht den Nebenkosten)
Besitzer Kanton Zürich
Besetzer/Zwischennutzer Nutzer und Bewohner der Binz
Stadt Zürich
Organisationsstruktur
Gebäude
Binz – Zürich
Gebäudenutzung Alles in den Hallen befindet sich in ständiger Transformation. Individuell, provisorisch, kreativ und informell wird der Bestand kontinuierlich verändert. Viele Räume ändern in diesem Prozess auch ihre Nutzung. Zum Zeitpunkt der Untersuchung befinden sich in der Binz folgende Nutzungen: Velowerkstatt, Metallwerkstatt, Schreinerei, Autoschraubplätze, Siebdruckerei, Fotolabor, Offset-Druckerei, Bar, Bandraum, Tonstudio, Bibliothek, Gratisladen, Freecycle-Shop, Trainingsraum, Kostümverleih, wenige Ateliers, Miniramp, Kletterwand, Dachgarten und viele verschiedene Aufenthaltsräume zwischen unzähligen Kunst- und Spaßobjekten.
Kleine Halle
Große Halle
Schnitt A
Schnitt B
1:5 000
10 Meter
p.133
p.132
Schnitt C
C
Gebäude
C
C
B
A
C
B
A
Binz – Zürich
23
24
28
29
22 30
A
A
B
B
25 26
C
B
C
A
A
Dachgeschoss B
1. Obergeschoss
6 3
8
7
5
9 C
3
C
2
10
16
11
4 12
13
14 B
18
17
15 B
1
21
20
p.134
Erdgeschoss
1 Frauensyndikat 2 Miniramp 3 Metall-Werkstatt & Auto-Schrauberplatz 4 Töff (Motorrad-Werkstatt) 5 Fotolabor 6 Waschküche und WCs 7 Autoabstell und -werkstatt 8 Trainings- & Bewegungsraum 9 Konzertraum 10 (früher) Metallwerkstatt
1:5 000
11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21
Lagerpark Gemeinschaftsküche „Freecycle-Market“ Gratis-Laden Atelier (privat) „Ikea-Küche“ Velo-Werkstatt Atelier & Aufenthalt Lukas Zimmer „Benzino-Küche“ Davids Wohnwagen
2. Obergeschoss
22 23 24 25 26 27 28 29 30
Bibliothek „Juppieküche“ Kostümverleih Gästezimmer Siebdruck-Werkstatt „Ostblock-Küche“ Dachstuhl Wohnzimmer Dachterrasse
10 Meter
Hinweis: Nicht bezeichnetet Räume sind mit großer Wahrscheinlichkeit Wohn- und Schlafräume, sowie Atelier- und Aufenthaltsräume.
Stand 06.2012 Erstellt nach Gesprächen und Besichtung mit Bewohnern der Binz. Zeichnungen ohne Gewähr auf Richtigkeit.)
p.135
A
A
19
Gebäude
Binz – Zürich — Große Halle
— „Benzino“-Küche
— „Ikea“-Küche
— Autoschraubplatz
— Miniramp
— Freecycle-Market
— Aufgang zu Lukas Zimmer
p.137
p.136
— Gratis-Laden
Gebäude
Binz – Zürich — Gästezimmer
— Dachstuhl
— verschiedene Behausungsarten in und um die Hallen
— Siebdruck-Werkstatt
— Bibliothek
p.139
p.138
— Dachterrasse
David (Binz–Mitbegründer)
In den Vergleich der Erwerbstätigen im Kultur- und Kreativ-
Die Bewohner der Binz sind Hausbesetzer, die Hallen sind im
wirtschaftssektor (s. Kultur- und Kreativwirtschaft) können
Besitz des Kanton Zürich. Dennoch habe ich den Eindruck,
die Nutzer der Binz nur schwer, bzw. gar nicht eingeordnet wer-
ich bin hier nicht wirklich erwünscht. Dann treffe ich auf David,
den. Der Idealismus der Nutzer und Bewohner der Binz lebt von
der hier seit 6 Jahren lebt, also seit Beginn der Besetzung 2006.
der Vorstellung, ihren Raum und ihre Kreativität nicht zu ver-
Kaum einer der Gründermitglieder der Binz lebt noch hier
markten. Sämtliche Veranstaltungen, die in der Binz stattfinden,
und auch David wird langsam müde und stellt sich manchmal die
tragen sich lediglich selbst. Arbeiten in den Werkstätten und
Frage, wohin sein Weg führt. Oft sind wir nicht mehr selber Mei-
Atliers zählen eher zu privater Freizeitaktivität, zur Kategorie
nung in der Binz, meint er. Viele fallen wieder in das gewöhnliche
‚Sonstige‘ der Auflistung kreativ Erwerbstätiger oder zum dem
Schema, dass „von aussen“ bekannt ist. Konventionell meint er
Teil der Kreativen, die nicht erfasst sind.
damit. Die Binz zu vermarkten, das kommt für David auf keinen
Akteure
Binz – Zürich
Akteure
Fall in Frage. Er lebt in einem großen Transporter, der im Hof der Binz steht. Hier hat er alles was er braucht bei sich, ist flexibel und kann jederzeit die Stadt verlassen. Seinen Lebensunterhalt verdient er in der Stadt beim Getränkemarkt. Ganz konventionell? Auf die Frage, warum er sich für das Leben in der Binz entschieden hat, erzählt er mir, dass er schon in der Schule aufgefallen ist, weil er irgendwie anders war und sich nicht an Regeln halten wollte. Das zieht sich schon durch sein ganzes Leben. Irgendwann hat er Menschen gefunden, die genauso denken wie er. Menschen, die nach Alternativen suchen. ‚Es ist toll, mit so vielen Menschen zusammen zu leben‘, sagt David, ‚das hast du sonst nirgends so intensiv.‘ Weil die Menschen, die in der Binz leben oder leben wollen, sehr individuell und auch oft speziell sind, kommt es mitunter zu Konflikten und um die Harmonie zu wahren wird dann viel diskutiert und manchmal auch entschieden, dass jemand die Binz verlassen muss. Habt ihr Ärger mit dem nahen Umfeld? Nein, meint David, im Gegenteil sind wir recht gut vernetzt mit dem Umfeld. Das Verhältnis zum Eigentümer – dem Kanton –˘ist dagegen eher frostig. Man hört nichts und irgendwann flattert ein Brief ins Haus, auf dem steht, dass sie Ende des Jahres aus den Hallen müssen. Das war’s, viel Kommunikation findet da nicht statt. (Stand Juni 2012) Immer öfter veranstalten die Bewohner in der Binz Konzerte und Feste. Für Gäste gibts sogar ein Gästezimmer. Gewinn machen Sie mit den Veranstaltungen nicht. „Aber darum gehts hier ja auch nicht – um Kommerz und solche Dinge.“ Es geht darum, eine gute Zeit zu haben. So jedenfalls habe ich das verstanden. Als wir über den Begriff Kreativquartier reden, erklärt tistik aufstellen. Jeder ist hier auf seine Art und Weise kreativ, ob man das Kunst nennen kann weiß David nicht. Alles hat begon-
p.141
p.140
David, dass hier jeder irgendwas macht, man könnte keine Sta-
Auch sonst sieht es keiner gern, wenn man in der Binz fotografiert. Auf die Frage, was ihm hier nicht gefällt, antwortet er mir
jeder, der die Werkstätten nutzt, wohnt auch in der Binz. Trotz-
direkt: „Touristen! Die stapfen einfach in die Binz, als wäre es
dem erscheinen die meisten Nutzer zu den Versammlungen und
selbstverständlich, machen Fotos ohne zu fragen, das nervt.“
haben Teil am Projekt. Durch die Aufträge und das wachsende
Sein Zimmer unter dem Dach in der kleinen Halle hat er
Netzwerk wurden die Arbeiten immer kreativer. Die Metallwerk-
selbst gebaut. Über eine große Holztreppe, die nach oben hin
statt hat sich erweitert und nimmt in den Hallen den größten Teil
schmäler wird, gelangt man in den Raum. Er entschuldigt sich
ein. Abgesehen von der Metallwerkstatt finden sich mittlerweile
für die Unordnung. „Sorry, bisschen ghetto heute.“
noch eine ganze Reihe anderer Werkstätten und Veranstaltungs-
Stolz erklärt er mit, dass alle Materialien recycled sind.
flächen im Quartier. Die Räume hier wurden schon als Start-up
Für sein Bett hat er ein Podest gebaut. Das Holz, aus dem das
location für kleine Modelabels verwendet. Grafik, Design, Tanz,
Podest gebaut ist, stammt von einer Veranstaltungsbühne, das
Theater, Mode, Fotografie, Film, Kunst, Architektur, Freizeit,
hätte eigentlich entsorgt werden sollen.
Sport oder Club – alles ist vertreten, es kommt nur darauf an,
Im Winter wird es schweinekalt in den Hallen. Die Dämmung
wer im Moment in der Binz arbeitet. — Aufgenommen im Juni 2012
Akteure
Binz – Zürich
nen mit einer Metallwerkstatt, die wurde ziemlich professionell eingerichtet, hier wurden externe Aufträge angenommen. Nicht
hat ihm ein Unternehmen überlassen. Ein kleiner Ofen aus dem Sperrmüll tut sein Übriges dazu. Seinen Transporter, mit dem er bereits mehrere Monate
Lukas
durch Marokko gefahren ist, war letzte Woche noch kaputt. Den
Lukas ist 24 Jahre alt und lebt seit 4 Jahren in der Binz, zu-
konnte er aber zusammen mit einem anderen Bewohner in der
sammen mit etwa 50 anderen Hausbesetzern. Für ihn bedeu-
Binz reparieren. Eine herkömmliche Werkstatt hätte ihm wohl
tet der Ort eine alternative Wohn- und Lebensform. Die Binz ist
geraten, das Fahrzeug verschrotten zu lassen. Aber in der Binz
seine Familie. Erst etwas skeptisch, doch dann sehr aufgeschlos-
hilft man sich – jeder hat andere Fähigkeiten – und es gibt genü-
sen und stolz, erzählt er mir von sich und dem Leben in der Binz.
gend Platz und Werkzeuge in der Binz.
Warum er sich für die Binz entschieden hat? Hier fühlt er
Jetzt fährt er wieder und Lukas plant schon den nächsten
sich wohl, kann sich ausleben und hat viele nette Menschen um
Wochenendtrip. Er wird mit seinen Freunden in die Südschweiz
sich. Alleine leben wäre nicht sein Ding. Er bevorzugt das Leben
fahren, dort seinen Geburtstag feiern und das Leben geniessen.
in einer größeren Gemeinschaft, in der man sich gegenseitig
Was danach ist? „Keine Ahnung. Es gibt immer viel zu tun...“
hilft. Zwei mal monatlich treffen sich alle Bewohner der Binz zur
— Aufgenommen im Juni 2012
Versammlung. Hier werden wichtige Dinge besprochen, die alle betreffen. Hier kommt jeder zu Wort, der etwas zu sagen hat und es wird so lange diskutiert, bis eine Lösung gefunden wird. Basisdemokratisch sozusagen. Die Binz ist nicht Eigentum der Stadt Zürich, sondern des Kantons. Also schert sich die Stadt auch nicht so sehr um die Binz. Alles hier ist also selbstorganisiert und passiert aus eigenem Interesse und Antrieb. Die Polizei kommt ab und zu vorbei und beschwert sich über zu laute Musik. Aber sie tun das in der Regel auf freundliche Art und Weise und verschwinden gleich wieder, erzählt er mir. Seit einiger Zeit zahlen die Bewohner der Binz einen Pauschalbetrag an die Stadt, für Wasser und Strom. Die Kosten werden unter den Bewohnern gerecht aufgeteilt. Jeder Bewohner zahlt gleich viel, etwa 100 Schweizer Franken, da Lukas führt mich auf dem Gelände herum und zeigt mir einige der Räume. Die Bewohner dürfen nicht auf‘s Bild, sagt er.
p.143
p.142
werden keine Unterschiede gemacht.
Die Show fällt aus. Wir sind gegangen.
Während unserer Recherche und Arbeit am Buch, beobach-
„Für alle, die schon beim Helikoptertraining waren, Titelseiten
ten wir das Ende der Binz. Auf der Nacht zum 31.Mai 2013
reserviert haben, sich seit Tagen und Wochen die Zungen
verlassen die Bewohner das Gelände der Binz, nachdem der Kan-
wetzen, für die nächste baugenossenschaftliche Sitzung oder
ton Zürich den Auszug zum 31.Mai fordert. (s. Geschichte der
den Stammtisch, hier ein paar Stichworte:
Binz)
Ende
Binz – Zürich
Ende
- An diejenigen, die uns an die Wand stellen und abknallen
Das Projekt Binz macht deutlich aufmerksam darauf, wie akut
oder mit Gülle bewerfen wollen: Es freut uns zu wissen wer un-
die Themen Zwischennutzung, bezahlbarer Raum in der Stadt
sere Feinde sind. Nein, wir wollen es nicht allen recht machen.
und Freiraum in der Stadt immer noch und immer wieder sind.
Wir besetzen Häuser und schaffen selbstbestimmte Freiräume
Die Fragen stehen weiterhin im Raum: Wie gehen wir zukünf-
genauso für alle, die das gut finden, wie für alle, die das nicht
tig mit Situationen wie der der Binz um? Wie müssen sich die Me-
gut finden.
thoden der Architekten und Stadtplanern ändern im Bezug auf
- In einer Stadt, die zunehmend von Profitdenken, Sicherheits-
leerstehenden Raum in der Stadt? Wie kann Kommunikation und
und Sauberkeitswahn dominiert wird, haben wir sieben Jahre
Moderation verbessert werden, um dem Zwischennutzer nicht
lang ein Areal belebt, das Tag und Nacht ohne Schloss und Riegel
das Gefühl des ‚Lückenbüßers‘ zu geben? Und welche Werkzeu-
offen stand.
ge stehen dafür zur Verfügung?
- Die linke parlamentarische Politik und Institutionen, die aus früheren aktivistischen Bewegungen hervorgegangen sind, hegen zwar gewisse Sympathien für unsere Anliegen, nichtsdestotrotz hat die meisten der Mumm verlassen, sich für autonome Freiräume auszusprechen. Stattdessen streben viele wohlmeinend an, den Wildwuchs durch Zwischennutzungen und legale Kulturprojekte zu befrieden. Gleichzeitig lassen sie sich Teile ihrer Agenden von Kapitalinteressen oder rechtspopulistischer Propaganda aufbrummen, wie sich an Aufwertungsstrategien oder der Flüchtlingsfrage zeigt. - Die Repression und der Ausschluss von allen und allem, was
Die Binz-Besetzer sind abgezogen
nicht einem makellosen Marketing orientierten Image der Stadt
Die kantonale Baudirektion stellt wegen der Verbarrikadierung des Areals und der Zufahrt einen Strafantrag
entspricht, wird immer vehementer und gewaltsamer. Was uns
Die letzten Binz-Besetzer haben das Fabrikareal an der Üetlibergstrasse offenbar fristgemäss geräumt. Weil sie aber das Gelände verbarrikadiert hinterliessen, hat die kantonale Baudirektion am Freitag trotzdem einen Strafantrag gestellt.
ser Tun als Lifestyle verkauft werden kann.
Alois Feusi
ben gern ein schönes Leben. Wir verstehen darunter ein gemein-
betrifft, so werden wir immer mal wieder geduldet, solange un- Nicht, dass wir hier falsch verstanden werden: Auch wir ha-
Die letzten rund 50 Besetzer des BinzAreals in Wiedikon sind in der Nacht auf den Freitag ausgezogen und haben damit das Ultimatum des Kantons eingehalten. Bei einem Besuch vor Ort am Freitagmittag wirkte das ehemalige Fabrikgelände verlassen. Allerdings war der Zugang zu den seit 2006 besetzten Gebäuden mit Schrottautos, Eisenstangen, vollen Abfallcontainern, Einkaufswagen, Absperrgittern und allerlei Abfall versperrt. Da und dort war sogar Stacheldraht montiert worden.
schaftliches Leben an einem Ort, den wir in allen Belangen selbst gestalten und bestimmen können. Und das in einer Stadt, in der das Leben nicht verreguliert und vermeintlich zu unserem Wohl dauerüberwacht und -kontrolliert wird. - Zurück zur Binz: Sobald die Stiftung Abendrot, zusammen
Auch die Zufahrt zum Zeughausareal hatte die «Familie Schoch», wie sich die Besetzer nannten, nach einem letzten Fest mit Feuerwerk in der Nacht mit Unmengen von Schrott und Abfall unpassierbar gemacht. Am Mittag war sie aber bereits wieder geräumt. Ein Angestellter der kantonalen Baudirektion, der Besitzerin des Areals, konnte am Freitagmorgen die Gebäude wegen der Barrikaden nicht betreten. Die Baudirektion reichte deshalb nach Auskunft ihres Sprechers Thomas Maag einen Strafantrag ein. Das Areal wirke zwar verlassen, aber man habe keine Gewähr, ob sich nicht doch noch jemand dort aufhalte, sagte Maag. Das müsse nun die Polizei feststellen. Zudem liefere der Strafantrag der Polizei auch die Handhabe, bei einer allfälligen Rückkehr der Besetzer einzugreifen.
mit externen Beratern, mit dem Kanton anbändelt, finden es beiDer verbarrikadierte Zugang zum verlassenen Binz-Areal am Freitagnachmittag.
Ob die 20 000 Franken Kaution, welche die «Familie Schoch» beim Kanton hinterlegt hatte, für die Aufräumarbeiten und den Abtransport von Schrott und Müll reichen werden, konnte Maag am Freitag nicht abschätzen. «Wir wissen nicht, was wir dort noch alles finden.» Eine ansehnliche Summe Geld dürfte allerdings nur schon der Einsatz einer Equipe von Entsorgung und Recycling Zürich gekostet haben, die am Morgen mit schwerem Gerät anrücken musste, um die zugemüllte Zufahrt zum Zeughaus zu säubern.
Marco Cortesi, Chef Mediendienst der Stadtpolizei, bestätigte den Eingang des Strafantrags. Bis zum Nachmittag sei die Polizei aber noch nicht in die Gebäude gegangen, und er wisse auch nicht, wann dies der Fall sein werde.
Umzug nach Altstetten Ein grosser Teil der «Familie Schoch» dürfte in das seit Anfang Mai von über 100 Angehörigen verschiedener Gruppierungen besetzte Koch-Areal in Altstetten umgezogen sein. Laut Medien-
nahe alle in Ordnung, dass die Binz mindestens ein halbes Jahr
ADRIAN BAER / NZZ
berichten war den ganzen Donnerstag über in der Binz Material verladen und nach Altstetten transportiert worden. Ob die «Schochs» tatsächlich bei den auf dem ehemaligen Industrieareal lebenden Familien «Wucher» und «Zauber» eingezogen sind, konnte Cortesi nicht sagen. Die Grossbank UBS jedenfalls, die dort als Grundstückbesitzerin Wohnungen und Büros bauen will, hegt laut einem Bericht des Regionaljournals Zürich von Radio SRF entsprechende Befürchtungen und wandte sich auch bereits an die Stadtbehörden.
zu früh abgerissen wird. Und wenn wir im Gegenzug, auf der Notwendigkeit der Existenz von selbstbestimmten Freiräumen Grafik Quelle: Die Neuen Zürcher Zeitung Nr.124 vom 1. Juni 2013 berichtet vom Umund Auszug der Binz-Bewohner.
beharren, heisst es schlicht: mit diesen Leuten kann man nicht Reden. (...) Wie auch immer. Wir sind weg und trotzdem bleiben wir. Und wenn in ein paar Monaten das Binz-Areal Platteneben
p.145
p.144
Räumung mit schwerem Gerät
entwickler Werner Hofmann den Zuschlag erhalten. Wir haben
irgendwie zwischengenutzt oder teuer bewacht werden muss,
ein Projekt eingereicht, um dringend benötigten Wohnraum
dann ist das nicht unser Problem.
Ende
Binz – Zürich
abgerissen ist und daraufhin mindestens ein halbes Jahr lang
insbesondere für Studierende und Mitarbeitende des Universi-
So das wars. Wir haben viel zu tun.“ 1
tätsspitals Zürich zu schaffen. Vertragspartner ist der Kanton Zürich, welcher das Gelände in der Zürcher Binz altlastensaniert zur Bebauung zur Verfügung stellt. Heute besteht auf dem Ge-
Neuanlagen der Stiftung Abendrot
lände eine Zwischennutzung, welche zwischen dem Kanton Zü-
Schwerpunkt Immobilien
rich und der „Familie Schoch“ vereinbart wurde. Die Zwischen-
„In Zürich plant die Stiftung den Bau von Studenten- und
nutzung soll bis zum Rückbau der bestehenden Industriebauten
Pflegepersonalstudios auf dem Binz-Areal. Das Areal wird im
und der Altlastensanierung dauern.
Baurecht vom Kanton Zürich abgegeben. Die Stiftung Abendrot
Die Stiftung Abendrot erachtet die Bereitstellung von günsti-
hat in einem Projektwettbewerb obenaus geschwungen und den
gem Wohnraum für Auszubildende als sinnvolles soziales Enga-
Zuschlag des Kantons erhalten. Zurzeit findet ein offener Wett-
gement. Als Pensionskasse ist sie der Sicherheit der ihr anver-
bewerb mit sechs teilnehmenden Architekturbüros statt. Ende
trauten Ablagen verpflichtet. Die Stiftung Abendrot verfolgt eine
Mai wird entschieden, welches Projekt realisiert wird.
nachhaltige Anlagepolitik. Dies hat nichts mit „Geschäften mit
Die Bebauung des Binz-Areals findet in einem politisch heik-
Rechten“ zu tun, die helfen „radikale linke Bemühungen anzu-
len Umfeld statt: Das Areal ist seit Jahren besetzt und die Be-
greifen“, wie uns anonym vorgeworfen wird.
setzer weigern sich, das Areal zu verlassen. Aktivitäten der
Aufgrund der Transparenz der Stiftung Abendrot, nament-
Besetzer arten immer wieder in Sachbeschädigungen aus. So
lich durch die Links auf der Homepage oder der Liste der Neu-
wurde beispielsweise das Lagerplatzareal in Winterthur, wel-
anschlüsse, welche regelmässig im Abendrot-Info veröffentlich
ches der Stiftung Abendrot gehört, flächendeckend verschmiert
wird, hat die „Familie Schoch“ die Empfänger ihrer Schreiben
und auch die Geschäftsräumlichkeiten der Stiftung Abendrot
zusammengestellt.
in Basel wurden «besucht». Eine aus dem Ruder gelaufene De-
Bilden Sie sich Ihre Meinung, die Mitglieder des Stiftungsra-
monstration führte in Zürich Ende Februar zu Sachschäden von
tes oder der Geschäftsleitung stehen gerne für weitere Auskünf-
mehreren hunderttausend Franken. Die Stiftung Abendrot hat
te bereit.
schon früh versucht, den Kontakt zu den Besetzern herzustel-
— 10.9.2012
len, eine Zusammenarbeit wurde jedoch abgelehnt. Wir haben kommuniziert, dass die Stiftung Abendrot auf die Umsetzung ihres Projektes verzichten würde, wenn sich die Besetzer mit dem Kanton Zürich über einen weiteren Verbleib auf dem Areal Konflikt und Ende
einigen können. Nach einer Einigung mit dem Kanton sieht es
Während unserer Recherche und Arbeit am Buch, beobach-
jedoch derzeit nicht aus.“
ten wir das Ende der Binz. Auf der Nacht zum 31.Mai 2013 verlassen die Bewohner das Gelände der Binz, nachdem der KanStellungnahme der Stiftung Abendrot
ton Zürich den Auszug zum 31.Mai fordert. (s. Geschichte der
Anonyme Vorwürfe gegen Liegenschaftsprojekt
Binz) Das Projekt Binz macht deutlich aufmerksam darauf, wie
für studentisches Wohnen in der Binz, Zürich
akut die Themen Zwischennutzung, bezahlbarer Raum in der
Mehrere der Stiftung Abendrot angeschlossene Firmen ha-
Stadt und Freiraum in der Stadt immer noch und immer wie-
ben im Vorfeld der diesjährigen Delegiertenversammlung
der sind. Aber die Fragen stehen weiterhin im Raum: Wie gehen
ein Schreiben erhalten. Eine „Familie Schoch“ kritisiert das En-
wir zukünftig mit Situationen wie der der Binz um? Wie können 1 Juni 2013, http://www.binzbleitbinz.ch
p.146
Profitgründen ein Freiraum zerstört würde. Abendrot hat aus einem Bewerbungsverfahren, welches der Kanton Zürich ausgeschrieben hat, zusammen mit dem Projekt-
sich die Methoden der Architekten und Stadtplanern ändern im Bezug auf leerstehenden Raum in der Stadt? Wie kann Kommu-
2 http://www.abendrot.ch/ downloads/abrot_info51.pdf S.18/19
nikation und Moderation dabei verbessert werden und welche Werkzeuge stehen dafür zur Verfügung?
p.147
gagement der Stiftung Abendrot und macht geltend, dass aus
Wagenhallen | Kreativquartier in Stuttgart Einführung p. 148 – 157 | Urbaner Kontext p. 158 – 166 | Städtebaulicher Wandlungsprozess p. 167 – 169 | Geschichte p. 170 – 175 | Gebäude p. 176 – 181 | Organisation/Akteure p. 182 – 191 | Interview p. 192 – 205
Wagenhallen — Stuttgart
Einführung
p.152
p.153
Wagenhallen — Stuttgart
Einführung
p.154
p.155
tionsflächen gibt es diverse Veranstaltungsräume. Die
fes befindet sich das Künstler-Areal der Wagenhallen
Künstler öffnen ihre Ateliers und Werkstätten alljähr-
und der Waggons. Im Jahr 1894 als Lokomotiv-Remise
lich zu kulturellen Gelegenheiten, wie der „Museums-
erbaut, in den 1950er Jahren als Instandsetzungs- und
nacht“, der „Stuttgartnacht“ und dem „Tag der offenen Ateliers“
als Depot-Halle der regionalen Busgesellschaft genutzt,
Ein aktuelles Gutachten zeigt Statikprobleme an der
wird das Gelände heute kreativ Schaffenden zur Verfü-
alten Dachkonstruktion auf. Die Stadt Stuttgart muss
gung gestellt. Bereits seit 1999 sind 17 ehemalige Eisen-
sich zeitnah damit beschäftigen, welchen Wert der Er-
bahnwaggons von Künstlern umgenutzt.
halt des Kulturbetriebs für die Stadt hat 2 . Der Kultur-
Durch das Projekt Stuttgart 21, hier das Teilgebiet C1, wurde das Gelände einschließlich der Halle 2003 an
Einführung
Wagenhallen — Stuttgart
Einleitung | Auf dem Gelände des Inneren Nordbahnho-
ausschuss des Gemeinderats hat sich bereits durch öffentliches Engagement für den Erhalt ausgesprochen.
die Stadt Stuttgart verkauft. Diese stellt daraufhin die ehemalige Lokomotiv-Remise inklusive An- und Wohnbauten weiteren Künstlern als Atelierraum und Intrimsresidenz zur Verfügung. Seitdem hat sich das Gelände zu einem einzigartigen Areal für Kunst und Kultur entwickelt. Es ist ein Ort der künstlerischen Begegnung geworden, ein Ort für Experiment und Forschung, der sich in ständigem Wandel befindet. 1 Auf dem gesamten Areal arbeiten ca. 80 Künstler, die hier eine zweite Heimat finden und durch ihre ArStadt Stuttgart bereichern. Neben den Künstlerproduk-
1 2
www.ateliers-nordbahnhof.de Stuttgarter Nachrichten, 18.10.2012
p.157
p.156
beit und ihr Engagement das kulturelle Leben der
Innerer Nordbahnhof 1 70191 Stuttgart Deutschland
1 : 10 000
Bezirkslage
Stadtbezirk STUTTGART - NORD 681,5 ha 24.755 Einwohner
Stadtteil NORDBAHNHOF 49,3 ha 1.850 Einwohner
p.159
Urbaner Kontext
Wagenhallen â&#x20AC;&#x201D; Stuttgart p.158
Wagenhallen
Bus
S-Bahn/Zug
U-Bahn
Haltestelle
Flächennutzung
Gründfläche Wohnen & Gründfläche Wohnbaufläche Gemeinbedarf & Grünfläche
Gemeinbedarf Gemischte Baufläche Gemischte Baufläche (Verwaltung) Gewerbliche Baufläche
p.161
Urbaner Kontext
Wagenhallen — Stuttgart p.160
Infrastruktur
Wald
Wiese
Wasser
Umgebungsaxonometrie
U-Bahn
Bahntrasse (DB)
Haltestelle
Strasse
p.163
Urbaner Kontext
Wagenhallen â&#x20AC;&#x201D; Stuttgart p.162
Natur
Urbaner Kontext
Wagenhallen — Stuttgart
0 40
m
300 m p.164
Erreichbarkeit
250m Eckardtshaldenweg
1 : 5 000
Gebäudealter
< 1943
> 2000
300m Nordbahnhof
1943 – 1985
keine Angabe
400m Löwentorbr
1985 – 2000
p.165
250 m
ÖPNV
20
21
Urbaner Kontext/ Städtebaulicher Wadnlungsprozess
Wagenhallen — Stuttgart
Städtebaulicher Wandlungsprozess
22
18 21 9 2
10 8
1
3
1894
7
5 6 23
19 2013 11
17 21
14
13 12 16
4
2030*
1 2 3 4 5 6 7 8 9
Wagenhallen Waggons Atelier Unsichtbar Galerie Eigenart Berufliches Schulzentrum Werner-Siemens-Schule Steinbeisschule Rosensteinschule DDA
1: 10 000 10 Kaufmännische Schule Nord 11 Fußgängerzone Nordbahnhofstrasse 12 Apotheke 13 Supermarkt 14 Pragfriedhof 15 Gedenkstätte „Zeichen der Erinnerung“ 16 Martinskirche
17 Kirche St.Georg 18 Güterbahnhof / Umschlagplatz S21 19 Kleintierzüchterverein 20 Büroflächen 21 Wohnen 22 Haltestelle Nordbahnhof 23 Haltestelle Eckardshaldenweg
* Plan von 2013 auf den Bebauungsplan von Stuttgart 21 angepasst (pesch partner arch.)
p.167
p.166
Nutzung
Wagenhallen â&#x20AC;&#x201D; Stuttgart
Wagenhallen Gelände
p.168
p.169
Geschichte
Wagenhallen — Stuttgart
Königlich Württembergische Staatseisenbahn
Deutsche Reichsbahn Gesellschaft, ab 1. April 1920
Deutsche Bundesbahn ab 1949
1919 Inbetriebnahme des Bw-StuttgartRosenstein. Ab 1920 übernehmenumliegende BWs die Aufgaben des BW Stuttgart-Nord. Umbau zum Bahnbetriebs-Wagenwerk (Güterausbesserungwerk) mit Zufahrt über den 1918 errichteten GBf Nord.
1945-49 ab 1945 Vorübergehend Ausbesserungswerk für Lokomotiven aufgrund von Kriegsschäden Strukturwandel im deutschen Eisenbahnwesen: Die Besatzungsmächte übernehmen den Betrieb. Mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949 erfolgte die Umbenennung mit Wirkung vom 7. September 1949 in „Deutsche Bundesbahn“.
Geschichte der Wagenhallen 1893 – 1949
Besitzer:
1893-1894 Bau der Königlichen Lokomotivstation StuttgartNord (auch Betrienbswerkstätte an der Prag) bis April 1894 mit insgesamt 59 Lokomotivständen und einer Schiebebühne. — Am 1. November 1895 wurde am Prag-Güterbahnhof der Betrieb aufgenommen — Das Gelände auf der Prag entwickelte sich zu einer Vorstadt mit neuen Wohnungen
1911-1928 Der Bau des Stuttgarter Hauptbahnhof, Bonatzbau verzögert sich durch die Kriegsjahre erheblich.
p.171
p.170
WK II 1941-1945 Über 2.200 Juden wurden vom Inneren Nordbahnhofs deportiert. Seit 2006 erinnert eine Gedenkstätte. 1944 Zerstörung der Hallenstände durch Bombentreffer
Deutsche Bahn AG ab 1. Januar 1994
Geschichte der Wagenhallen 1851 – 2003
Besitzer:
November 1995: Bahn, Bund, Land und Stadt unterzeichnen eine Rahmenvereinbarung. Oktober 2001: Das Planfeststellungsverfahren beginnt. 2. April 2009: Unterzeichnung der Finanzierungsvereinbarung 2. Februar 2010: Die Bauarbeiten beginnen mit einem Festakt 30. September 2010: Der Konflikt um Stuttgart 21 eskaliert im sog. „schwarzen Donnerstag“ 9. Oktober 2010: An einer Demonstration gegen Stuttgart 21 und den Polizeieinsatz nehmen laut Polizei 65 000, laut Veranstaltern bis zu 100 000 Menschen teil. 22. Oktober - 27. November 2010: Schlichtungsgespräche, Schlichter Heiner Geißler gibt grünes Licht für S21. Die Bahn wird unter anderem zu einem „Stresstest“ verpflichtet. 21. Juli 2011: Ein Gutachten bestätigt, dass der geplante Tiefbahnhof den Stresstest bestanden hat und die geforderte Leistung erbringt. 27. November 2011: S21-Gegner erleiden eine Niederlage bei der Volksabstimmung: 58,8 Prozent der Teilnehmer stimmen gegen einen Ausstieg des Landes aus der Finanzierung des Bahnprojekts – und damit für Stuttgart 21. 15. Februar 2012: Die Polizei räumt das Protest-Camp der S21-Gegner im Schlossgarten. 04. März 2013: Beschluss des Aufsichtsrats der Bahn zum Weiterbau von Stuttgart 21
Stadt Stuttgart, ab 1. Juli 2003
Beginn der Zwischenmiete und Duldung einzelner Akteure
2003
bis 30. Juni im Betrieb unter der Regional-Bus-Stuttgart GmbH (RBS)
bis 1954 Umbau zum Bus-Depot und Bus-Wartungszentrum, Gleisabbau
1964 großzügige Renovierungsmaßnahmen, Rolltore, Verwaltungsbau, etc. ab 1988 übernimmt das SSB-Busdepot Gaisburg als Hauptwerkstatt
1995* Bahn, Bund, Land und Stadt unterzeichnen eine Rahmenvereinbarung zum Bau des neuen Bahnhofes Stuttgart 21. Ein Architektenwettbewerb wird ausgeschrieben.
1999 Die Waggons am Übergang zur Nordbahnhofstraße werden besiedelt.
ab 1.Juli Die Nutzung geht an die Stadt Stuttgart über.
zieht in das neu errichtete Wartungszentrum auf dem ehemaligen ContainerTerminal in Ludwigsburg
p.173
1951 endgültige Schließung des Bahnbetriebes zum 31. 12. 51
p.172
Geschichte
Wagenhallen — Stuttgart
Chronik S21
Interimslösung in 5 Jahres-Verträgen bis 2015 2025 Auf dem Weg zur Institution?
2003 Gründung des Kunstvereins Wagenhallen e.V. *
ab 2005 regelmäßige Veranstaltungen des Kunstvereins: Ausstellungen,Konzerte, Tanzabende. Die Künstler öffnen ihre Ateliers und Werkstätten alljährlich zur kulturellen Gelegenheiten, wie der „Museumsnacht“, der „Stuttgartnacht“ und einem Tag der offenen Ateliers.
p.174
Geschichte
Stadt Stuttgart, ab 1. Juli 2003
Geschichte der Wagenhallen 2003 –
Besitzer:
* Zweck ist es, die bildenden Künste in Stuttgart zu fördern und die Liebe zur Kunst zu wecken. Dieser Zweck wird verwirklicht durch Veranstaltung von Kunstausstellungen, Vorträgen, Führungen, der Förderung der Kunst mit Schwerpunkt Gegenwartskunst, die Produktion und Veröffentlichung von Druckerzeugnissen und durch Publikationen in elektronischen Netzwerken.
2010 Offizieller Baubeginn Stuttgart 21 am 2. Feb. Beginn der Proteste um S21 im August 2010. 14.12.2010 Gemeinderat der Landeshauptstadt Stuttgart beschließt einstimmig: Die Wagenhallen sollen als integraler kultureller Bestandteil des künftigen Nutzungskonzeptes der frei werdenden Fläche von S21 erhalen bleiben.
Juli 2012 Mit dem internationalen Festival „72H Urban Action“ wird die Wagenhalle auch über die Stadtgrenzen hinaus bekannt .
2013 Fertigstellung Schulzentrum neben der Wagenhalle. Vom ehemaligen OB Wolfgang Schuster ist auf diesem Gebiet ein Schul- und Bildungsstandort gewünscht.
2015 Ende des Mietvertrages zwischen der Stadt Stuttgart und der Karle Recycling GmbH als Verwalter im Namen der Wagenhallen.
18.01.2011 Gemeinderat der Landeshauptstadt Stuttgart Die Satzung der Landeshauptstadt Stuttgart über die förmliche Festlegung des Sanierungsgebietes Stuttgart 21 - Teilgebiet C1, Innerer Nordbahnhof und Randgebiete vom 15.03.2001 wird aufgehoben. Es wird als richtig erachtet, die Wagenhallen für die garantierten fünf Jahre zu halten. Wenn der Erhalt auf Dauer gewünscht werden, müssten die Bedingungen hierfür geprüft werden.
p.175
Wagenhallen — Stuttgart
Die Zukunft der Wagenhallen, aus der Stuttgarter Zeitung, ijs, 12.12.2012 Die Betreiber der Wagenhallen haben einen Bauantrag gestellt, der darauf abzielt den Veranstaltungsbetrieb auszudehnen. Das daraufhin in Auftrag gegebene Statikgutachten hat Probleme an der 150 Jahre alten Dachkonstruktion aus Metall und Glas ergeben. Vermieterin der Wagenhallen ist die Stadt, der Mietvertrag läuft noch bis 2015. Um diesen zu erfüllen und eventuell sogar einen dauerhaften Erhalt des Kulturbetriebs, für den sich der Kulturausschuss des Gemeinderats ausgesprochen hat, zu gewährleisten, muss mit hohen Reparaturkosten gerechnet werden. Die Gemeinderatsfraktion der Freien Wähler hat einen Antrag gestellt, der die Thematik Wagenhallen und deren dauerhafte Nutzung betrifft. In Zusammenarbeit mit den Betreibern, den Nutzern, der Kulturverwaltung und mit Bürgerbeteiligung sollen Nutzungskonzepte entwickelt werden. Darin sollen die finanziellen Auswirkungen im Hinblick auf eine dauerhafte städtische Förderung dargestellt werden. Weiter heißt es im Antrag, soll von der Verwaltung geprüft werden, welche Investitionen für die Nutzungskonzepte nötig sind und was sie kosten werden, zugleich, was mit den derzeit ansässigen Künstlern geschieht.
Hard Facts
18 × große Rolltore davon 1 × Hauptzugang (Kunstverein, Tor 4 + 5)
Eigentümer: Stadt Stuttgart Kreative Nutzung: ab 2003
Hauptzugang-Süd = Veranstaltungsbereich Zugang Anbau Nord = Bürotrakt div. Neben- und Hinterzugänge
Gebäude
Wagenhallen — Stuttgart
Infrastruktur
Vertragspartner: JKS Karle Recycling GmbH Vertragspartner: Kunstverein Wagenhallen e.V. Länge: 150 m | Breite: 83 m | Grundfläche: ca 12 000 qm Kosten der Einbauten: tragen die Kreative Baukosten je qm: ca. 240 € vorauss. Struktur-Baukosten: 3 000 000 €
2
2
2
2
2
2
2 2 3
1 2 2 2
5
2 2
2
2
2 4
2
2
2
2
Querschnitt Richtung Nord-Westen (ohne Anbau)
2
Längsschnitt Richtung Nord-Westen
2
2
p.179
p.178
2
Gebäude
Wagenhallen — Stuttgart
Gebäudenutzung Das Innere der Wagenhallen wird sehr unterschiedlich genutzt. Im hinteren, westlichen Teil befinden sich überwiegend Werkstätten mit angelagerten Ateliers. Der Veranstaltungsbereich im vorderen Teil und die Fläche des Kunstvereins in der Mitte können zeitweise als Ausstellungsfläche verwendet werden. Die vermieteten Flächen an der Seite der Rolltore werden von diversen Künstlern genutzt. Im hinteren östlichen Teil liegt der ehemalige Verwaltungsbau. Darin sind unter anderem Büros, eine Tanzschule und wenige Wohnungen angesiedelt. Angrenzend an die Wagenhallen
Dachhaut Fachwerk mit Oberlicht Konstruktion unter Decke
befinden sich die beiden Wohnbauten, die auch heute noch als solche Verwendung finden. Freiflächen in den Wagenhallen Alle Akteure teilen sich die freie Fläche unter einem gemeinsamen Dach. In den Wintermonaten werden durch Vermie-
Dachkonstruktioin Fachwerk, sanierungsbedürftig durch Kranateneinschüsse
tung von Stellplätzen, zum Beispiel für Marktstände, Wohnwagen, etc., zusätzlich Einnahmen erzielt. Zeitweise wird die freie Fläche für Performances, Installationen (Monumenta) oder Theaterstücke (Hermannsschlachten) verwendet. Wenn ein Künstler eine größere überdachte Fläche benötigt, genügt eine Absprache mit den zuständigen Personen.
Kreative Fläche Ateliers Werkstätten
Das Innere der Wagenhallen wird von seinen Akteuren kontinuierlich verändert, neu inszeniert oder anders genutzt.
Veranstaltung und Büro Veranstaltung Büro Ausstellung
frei zugewiesene Fläche Lagerfläche, Küche, etc.
p.181
p.180
konstruktives Raster Stützenraster Hauptgebäude Wände Nebengebäude Freifläche (Aktion, Lager, etc.)
Organisationsstruktur
Durch die Gefahr des städtischen Wandlungsprozesses auf dem Inneren Nordbahnhof haben sich die Akteure der Wagenhallen in den vergangenen Jahren zusammengeschlossen um eine strukturelle Organisation zu bilden. Damit soll das Geschehen auf dem Wagenhallen-Gelände auch politisch steuerbar sein und die Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit ausgeweitet
Kunstverein Wagenhallen e.V.
KBW GmbH & Co.KG
Gutbrot & Mellmann GBR
+ Ausstellungen + Theater + Kunst, Künstler + Öffentlichkeitsund Lobbyarbeit
+ GF Stephan Karle + Verwaltung und Vermietung + Anteilig: 75% Karle Holding 25% Kunstverein
+ Kulturbetrieb + Konzerte + Firmenevents + Öffentlichkeitsarbeit
Beirat der KBW
Hauspaten
Akteure
+ 5 Stimmen insgesamt + Stimmverteilung: 2 × Karle 2 × Kunstverein 1 × Neutral
+ interne Selbstverwaltung + Mieterangelegenheiten
+ Mieter+ Konzerte + Künstler + Veranstalter + Sonstige
Gemeinderat
Eigentümer
+ Stuttgart-Nord
+ Stadt Stuttgart
werden. Die Wagenhallen befinden sich unserer Ansicht nach
Organisation/ Akteure
Wagenhallen — Stuttgart
Organisation
auf dem Weg zur Institutionalisierung. In mehreren Zeitungsartikeln, Off-Space-Reiseführern, Gemeinderatsprotokollen und auch intern werden die Wagenhallen schon als Institution bezeichnet. Es scheint, als ob sich die organisatorische Struktur auf dem Gelände der Wagenhallen immer weiter ausdehnt. Aufgrund der statischen Probleme mit der Dachkonstruktion wird nun auch der Baubürgermeister der Stadt Stuttgart bei Gemeinderatssitzungen und bei Gesprächen, die das Gebäude betreffen, mit einbezogen. Akteure
Erwerbsstätige Kreativwirtschaft
Seitdem die Stadt Stuttgart das Gelände, die Wagenhallen, Wohnbauten und die Waggons für kreative Nutzung zur Verfügung gestellt hat, entwickelt sich das Gelände zu einem fantastischen Areal für Kunst und Kultur. Auf dem gesamten Areal arbeiten ca. 80 Künstler. Die Vielfalt der Akteure in den Wagenhallen und Waggons kennt keine
Pressemarkt 06%
Grenzen. Künstler, Architekten, Designer, Musiker und Freidenker haben hier eine zweite Heimat gefunden. Neben den Künst-
Architekturmarkt 16%
Werbemarkt 04%
lerproduktionsflächen gibt es diverse Veranstaltungsräume, in denen regelmäßig Ausstellungen, Konzerte oder Tanzabende
Sonstiges 02% Designwirtschaft 04%
stattfinden. Es ist ein Ort der künstlerischen Begegnung geworden, ein Ort für Experiment und Forschung, der sich in ständigem Wandel befindet 1 .
Musikwirtschaft 20%
Genau dieser Wandel macht es schwierig, eine genaue Zählung und Zuordnung der Kreativen vorzunehmen. Anhand ihres primären Tätigkeitsbereichs wird versucht, die Akteure unter zur Hilfenahme der Definition Kultur- und Kreativwirtschaft (siehe Abschnitt Typus) einzuordnen. Kreative, die mehrere Tä-
Darstellende Künste
24%
tigkeitsfelder bedienen, werden auch prozentual mehrfach zugeordnet.
Kunstmarkt 14% Rundfunkwirtschaft 02%
Das Ergebnis entspricht einer subjektiven Quantifizierung
Filmwirtschaft 08% 5
ateliers-nordbahnhof.de
p.183
p.182
anhand genannter Definitionen, um eine Vergleichbarkeit der Quartiere zu ermöglichen.
Akteure
Wagenhallen — Stuttgart
Abb. vorangegangen Mellmann & Gutbrod GbR Stefan Mellmann und Thorsten Gutbrod Veranstaltungen, Vermietungen, Veranstaltungsräume, Parties
Abb. rechts Fahrräder für Afrika Technik und Solidarität e.V. Clemens Rudolf Fahrräder, Nähmaschinen, Werkzeuge, Schulmaterialien, Literatur, Rollstühle, Gehstützen
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p.186
Abb. links Thomas Putze Skulptur, Bildhauerei, Zeichnung, Installation, Performance, Musik Quelle: Grodotzky
Akteure
Wagenhallen — Stuttgart Abb. vorangegangen café brigade Sebastian Harréus kleine Röstung im Flur ca. 60 Kg pro Monat
Abb. links niessnerdesign Markus Niessner und Team Kommunikationsdesign, performative Installation, Theater
p.191
p.190
Abb. links umschichten DipI.-Ing. Peter Weigand und Dipl.-Ing. Lukasz Lendzinski art, performative installation, public space, intervention, building, exhebition, furniture
alles in den Wagenhallen entstanden ist. Viel-
Ich wollte euch mal fragen, wie das hier
Theater, wobei die einzelnen Vorgänge für
SB
leicht unter dem Stichpunkt der Partizipation.
eine Theaterproduktion wieder in der Kreativ-
Lukas Lendzinski, Peter Weigand, David Bauer
Ihr zwei seid ja schon länger dabei. Das Gebäu-
wirtschaft aufgehen. Nach Richard Floridas
im Gespräch mit Sascha Bauer
de war ja ab 1894 erst eine Lokomotivremise,
Begriff der „kreativen Klasse“ macht diese in
Auf den folgenden Seiten ist ein Gespräch zu lesen, dass
dann eine Wageninstandsetzungshalle und nach
den USA allein schon 30% der Beschäfti-
Sascha Bauer gemeinsam mit den Vorständen des Kunstver-
dem zweiten Weltkrieg eine Reparaturwerkstatt
gungsverhältnisse aus. Das, würde ich sagen,
eins Wagenhallen Lukas Lendzinski, David Bauer und einem
für Omnibusse bis 1999 und ging dann 2003
ist zu weit gegriffen. Im niederländischen
Nutzer, Peter Weigand, geführt hat.
von der Bahn an die Stadt über. Es sind wohl
Raum ist die Definition nach Richard Florida
immer mehr Leute gekommen. War das am An-
aber noch größtenteils anerkannt. Die gro-
fang eher ein informelles Gefüge?
ßen Unterschiede zwischen den Ländern macht
Es wurde versucht, das Gespräch so authentisch wie möglich wiederzugeben. Redewendungen, Dialekte und gelegentliche vulgäre Aussagen wurden zur besseren Lesbarkeit
PW Ich glaube, 2002 oder 2003 oder so
es zudem schwierig, die Kreativquartiere
umformuliert. Örtliche Bezüge auf dem Gelände wurden für den
kamen hier die ersten Initiativen um irgend-
miteinander zu vergleichen.
Leser ergänzt, um einen räumlichen Überblick zu ermöglichen.
was zu machen, die Walli Heinisch, diese
SB
Architektin, zusammen mit noch ein paar
zu den Wagenhallen eher auf einer kulturellen
schreibt mir eine Entschuldigung via SMS, dass er leider nicht
Künstlern. Sie war glaube ich die Initiatorin.
Ebene?
teilnehmen kann, da seine Kinder krank sind. Im Grafikbüro fra-
LL
ge ich nach Markus Niessen. Dieser scheint krank zu sein.
PW Ja genau, so ein Mix aus Musikern usw.
Vereinbarter Termin, 9.30 Uhr, keiner da. Peter Weigand
Auch Karisium, Volker Gebhard, …
Daher die Frage: Entstand die Idee
LL
Das waren 5-10 Leute, die sich formiert
haben. Die sind auf die Stadt zugegangen
Sebastian Harréus versucht Lukas telefonisch zu erreichen. Der
und die Tango-Schule – das war damals aber
und haben versucht, gemeinsam etwas zu
war gestern auf einer Party und hat verschlafen. Sebastian
ein anderer Betreiber. Es war einfach so ‘ne
entwickeln. Die ersten hier haben den Pa-
bringt mich in die Küche, hier soll das Interview stattfinden. Er
Mischung aus Architekten, Studenten, Künst-
pierkram erledigt und dann wurde das
macht mir einen Kaffee und im Gespräch stellt sich heraus,
lern, Musikern, Grafikern usw.
Gelände geöffnet. Nach den Initiatoren füllte
dass er im Obergeschoss der Wagenhallen Kaffee röstet. Ein interessantes Gespräch entwickelt sich. 40 Minuten später
sich das Gelände allmählich. So könnte Entstehung der Wagenhallen
man das grob beschreiben.
kommt Lukas, bemerkt, dass noch kein anderer da ist und ruft
PW Dann kam langsam der Lorinser auf die
David an, kann ihn aber nicht erreichen. Wir starten das Ge-
SB
spräch zu zweit. Nach etwa einer halben Stunde kommt Peter
aus der Kulturwirtschaft. Es gibt ja den Be-
Das klingt eher nach einem Querschnitt
Der war so ein Verwalter bzw. Pächter des
nun doch noch zum Gespräch, da er die Kinder bereits versorgt
griff der Kultur- und Kreativwirtschaft. Der ist
Geländes und der Halle, der das Ganze ir-
hat. Lukas erzählt von seiner aufregenden Partynacht im Scho-
zur Zeit ziemlich angesagt und führt aktuell
gendwie regeln sollte zwischen den verschie-
cken.
zu Kreativwirtschaftsberichten in verschiedenen
denen Nutzern. Diese Aufgaben macht
Bildfläche. Der heißt glaube ich Gerhard.
Städten Europas und dient als Brücke zwischen
heute der Karle (JKS Karle Entsorgung und
Politik, Kultur und Ökonomie. Die Definition,
Recycling GmbH).
die sich im mittleren Europa entwickelte, grenzt
SB
das Ganze noch weiter ein: Das Wirtschafts-
von Anfang an formiert? Oder entstand dieser
Und dieser Kunstverein, war der schon
feld Kultur- und Kreativwirtschaft umfasst fol-
erst später? Die Homepage ist, glaube ich, noch
gende elf Kernbranchen oder Teilmärkte:
von 2004. Seither ist online nix mehr passiert.
Musikwirtschaft, Buchmarkt, Kunstmarkt, Film-
PW Den Kunstverein gab’s eigentlich schon
wirtschaft, Rundfunkwirtschaft, Markt für
immer. Dann hat Volker als Vorstand irgend-
darstellende Künste, Designwirtschaft, Architek-
wann gesagt, dass er raus will.
turmarkt, Pressemarkt, Werbemarkt sowie
Der Kunstverein war eher nur ein „auf-dem-
Software/Games-Industrie. Der übergeordnete p.192
Das ist in diesem Fall wohl eher das
Interview
SB
Demokratie auf dem Prüfstand
Papier“-Verein, kein wirklich aktiver Verein.
Gedanke einer solchen Untergliederung ist die
SB
Bewertung des schöpferischen Aktes.
mehrere parallel vereint oder angesammelt
PW Was ist eigentlich Kultur?
Es macht so den Eindruck, dass hier p.193
Wagenhallen — Stuttgart
Interview Wagenhallen Stuttgart
lichen Duldungen vielleicht etwas Länger-
Reibungen geben muss. Man lässt zwei unter-
Und der Beirat besteht aus dem Karle, dem
fristiges machen kann. Das hat aber nicht
schiedliche Interessengruppen aufeinander
SB
PW Genau kann ich mich leider nicht mehr
Kunstverein (als Sprachrohr oder Organ für
funktioniert, weil die Besitzverhältnisse noch
los und schaut, ob ein anständiges Ergebnis
erinnern, wie der Verein gegründet wurde
den ganzen losen Haufen) und dem Kultur-
unklar waren.
dabei rauskommt.
bzw. mit welchem Hintergedanken. Aber es
betrieb (Veranstaltungsbereich) und jemand
PW Über den Verein wurden dann Verans-
gab schon den Gedanken, dass man sich
von den Hauspaten (die für bestimmte Berei-
taltungen organisiert mit Leuten, die
de ich bestätigen. Es gab z.B. mal den
über den Verein besser organisieren kann
che hier in der Halle zuständig sind, wenn
irgendwie Bock hatten etwas zu machen:
Versuch, den Vorstand des Kunstvereins zu
und letztendlich die Wagenhallen etablieren
jemand neu kommt – funktioniert zwar nicht,
Theaterveranstaltungen, Skulpturenausstel-
vergrößern …
gibt’s aber offiziell). Die Haus-paten wurden
lungen oder die „Hermannsschlachten“
LL
Kunstverein wurde mit der Idee gegründet,
auch im Zuge das Bauantrags wieder akti-
(Theaterstück). Auch die Kulturnächte in
wieder rausgemobbt.
dass alle, die hier auf dem Gelände sind,
viert, um den Mieterwechsel zu organisieren.
Stuttgart wurden über den Verein organi-
SB
im Verein sind und man so eine institution-
Es ist schon so, dass wir mit der Stadt
siert. Es wirkte so, als wäre der Verein die
etablierten Kern und wenn jemand versucht,
… aber die Leute wurden ganz schnell Es gibt in Kreativquartieren oft einen
elle Basis hat. Der Kunstverein hat ein
sprechen. Dieser Beirat besteht aus drei bzw.
Institution für die Leute, die Initiative
dort mitzumischen, hat er es erst mal sehr
Schattendasein geführt und wurde dann im-
vier Säulen, aber die wichtigsten sind der
ergriffen haben. Einerseits als Name nach
schwer. Seine Meinung ist nicht gleichwertig,
mer öfter für Projekte rausgeholt.
Kulturbetrieb, der Kunstverein und der Ver-
außen und andererseits, um Gelder zu
es dauert eine Weile bis er akzeptiert wird.
Über den aktuellen Bauantrag zur Ertüchti-
walter Karle. Die spannende Frage ist, was
beantragen bei verschiedenen Stiftungen.
Auch Markus Miessen schreibt in seinem Buch,
gung der Halle, hat er wieder zu seiner
passiert, wenn der Verwalter Karle in naher
Es ist so: Du kannst nicht kommen und
dass der Außenseiter eigentlich immer neue
ursprünglichen Aufgabe gefunden. Mit Aus-
Zukunft weg geht, da das Gelände zur Stutt-
sagen, wir sind ein loser Haufen aber wir
Ideen mit in eine Gruppe bringen kann, da er
nahme vom Veranstaltungsbereich. Alle
gart 21 Logistikfläche wird. Dann ist nicht
machen gute Sachen. Da wissen die bei der
das ganze Konstrukt noch nicht durchschaut
losen Individuen mit ihren unterschiedlichen
nur die Materialquelle für uns Künstler weg,
Stadt nicht, was sie in ihr Formular schrei-
hat. Demokratie kann nicht echt sein, wenn
Zielen sind nun in diesem Kunstverein als
sondern auch die Person, die quasi von der
ben sollen.
Leute von vorn herein ausgeschlossen werden.
gemeinsam formulierte Stimme versammelt.
Stadt als Vertrauensperson oder Vermitt-
SB
Gemeinsam hat man die Planung in Angriff
lungsperson und Organisationsorgan ange-
Stadt gut, wenn ihr dem Projekt Stuttgart 21
anderen Sich-Einbringen und Vielfalt sind
genommen, wie wir eigentlich unseren Ort
sehen wird. Die Mietverträge laufen ja
eher kritisch gegenübersteht?
ja in diesem Fall nicht das Gleiche. Wichtig
Ja, aber ob das gute Verhältnis wirklich
DB Partizipation und Demokratie und zum
hier haben wollen. Ganz konkret, hier die
über seine Verwaltung. Es ist schon so, dass
LL
Halle, dort die Klos. Das ist aber jetzt schon
der Kunst- verein als Organ dient. Nur war
am Kunstverein liegt bezweifle ich.
es vielfältig wird. Auf der anderen Seite:
wieder am Sterben, weil der Bauantrag
das bis zu diesem Bauantrag nicht wirklich
PW Es ist eher die persönliche Initiative von
Demokratie in dem Kontext ist immer scheisse. Demokratie im kuratorischen oder orga-
ist immer, dass man Ideen einbringt, damit
auf Eis gelegt ist. Und die Aktivität im Kunst-
der Fall und auch nicht notwendig. Bis jetzt
einzelnen Leuten die machen dann Pro-
verein ist auch wieder weg. Für Projekte
gab es immer diese jährlichen Duldungen
jekte im Namen des Kunstverein und alle an-
nisatorischen Umfeld ist der Tod.
wie den Workshop, den wir kommendes Jahr
und dann ist das alles so vor sich hingelau-
deren die im Kunstverein sind, die machen
LL
machen, wird der Kunstverein dann wieder
fen. Aber im Zuge dieses Umnutzungsan-
nichts. Es gibt also keine inhaltlich festge-
kommst nicht zum Machen... DB Es ist schon so, dass der, der neu dazu
Du kommst einfach nicht zum Punkt, du
rausgeholt. Es geht ja nicht nur um den
trags bei dem die Fläche und die Gebäude
setzten Vereinssitzungen und alle helfen
Kunstverein, aber es stellt sich die Frage,
von der Bahn an die Stadt übergeben wer-
dann ehrenamtlich mit. Die offizielle Satzung
kommt, keine wirkliche Hilfe ist. Wenn man
welche Rolle der hier spielt. Denn er ist ei-
den, ist dieser Beirat entstanden. Offiziell
ist sehr sehr offen formuliert.
ein Projekt macht, dann kommt man irgend-
gentlich ein sehr ambivalentes Konstrukt hier.
arbeiten hier ja keine Leute, weil alles noch
SB
Bahngelände mit Wageninstandsetzungs-
wo jeder was dazu beisteuert und dann auch
laufen. Wenn dann wieder jemand Neues da-
halle ist.
wieder profitiert. Nach 1999 waren bereits Leu-
zukommt, dann musst du nochmal alles
te da, oder? Und das Ganze hat dann 2003 so
überarbeiten. Man muss irgendwann aufhö-
Bei der NDSM in Amsterdam ist der
Kunstverein (Stichting Kinetisch Noord) das ei-
p.194
DB Das mit deinem Friktionsgedanken wür-
oder sogar institutionalisieren kann. Der
Funktioniert eine Kooperation mit der
gentliche Sprachrohr zur Stadt. Bei der man
SB
immer einen Ansprechpartner hat. Da gibt es
Stadt und sollte von der Bahn als freie Fläche
Aber es gehört schon seit 2003 der
z.B. jemanden, der durch die Halle läuft und
übergeben werden.
Es ist also eher ein informelles Gewebe,
richtig angefangen. DB Ja, das waren mehrere federführende
wann an den Punkt, wo die meisten Dinge
ren und vielleicht sogar Leute zu einem gewissen Zeitpunkt des Projekts ausschlie-
schaut, dass keine brennbaren Sofas im Flucht-
PW 2003 ging das Gelände an die Stadt
Personen. Später gab es dann Differenzen,
ßen, sonst kommt einfach nur Schrott raus.
bereich stehen etc.
über, die vermutlich erst mit dem Bau von
aber die sind nicht fürs Protokoll.
LL
PW Das ist auch hier mittlerweile so. Wenn
Stuttgart 21 rechtlicher Eigentümer wird.
SB
Für mich ist das ein wichtiger Aspekt,
der Karle mit der Stadt über die Wagenhallen
Der Gedanke war, dass man aus den jähr-
dass es in einer solchen Konstellation immer
Interview
redet, dann sitzt immer der Beirat mit dabei.
fen und gemeinsam vor der Stadt auftreten.
Also als Partizipation würde ich das hier
nicht beschreiben. Es ist eher so, dass sich ein paar Leute finden, die etwas gemeinsam
p.195
Wagenhallen — Stuttgart
sind, die aber trotzdem gemeinsam was schaf-
hat das ja erst mal geklappt und ihre Duldung
SB
werk ist mit der Künstlerszene auch nicht
wurde wieder mal auf unbestimmte Zeit ver-
in der Halle und da war sie schön leer. Eine freie
längert. Wenn also das Interesse entsteht, Din-
Aktionsfläche. Heute ist die Halle wieder voll
SB
Das ist doch das Potenzial hier, dass SB
eigener Initiative, immer mit dem Kunstverein
aus einem informellen Gefüge entstehen.
Es ist ja oft so, dass Kreativquartiere
im Rücken. Eine ganz andere Vorgehensweise
So wie z.B. die Binz in Zürich, dort gibt es kei-
ge zu erhalten oder zu etablieren, dann muss
mit Autos, Wohnwagen, Weihnachtsmarktstän-
man einen Konsens finden. Und dieser Konsens
den, Baumaterial, etc.
könnte vielleicht sogar schon der Stillstand
LL
findet im MuseumsQuartier Wien statt. Da wer- ne Fluchtwege, die Treppen sind viel zu schmal
sein. Der Fokus liegt dann sozusagen nur noch
tet. Das war jetzt jedes Jahr so im Herbst.
den Leute mit Hilfe von Stipendien ausgesucht,
und Sachen sind wild übereinander gebaut.
auf der Selbsterhaltung.
DB Man muss dazu sagen, dass man mal
die dort für einen Zeitraum arbeiten dürfen.
Die NDSM in Amsterdam hat einen ähnlichen An-
Der Schwerpunkt – würde ich sagen – liegt also
fang, allerdings wurde die Kunststad im Inne-
SB
eher auf einer ökonomischen Verwertung des
ren gemeinsam mit den Nutzern, der Stadt und
Beispiel – die Leute wirklich machen was sie
vorne an der Straße weitet sich immer mehr
Künstlers, der ein gewisses Qualitätslevel vor-
Architekten geplant. Jetzt gibt es natürlich
wollen und unerwünschte Leute rauswerfen,
aus. Hier in und um die Hallen herrscht
weisen muss, zumindest bei seiner Bewerbung.
Leute, die davor schon dort waren und das Gan-
dann herrscht doch dort ein ganz anderes kre-
eher so ein stilles Abkommen. Man beschliesst
DB Ein Qualitätslevel gibt es hier nicht,
ze nicht wollten. Und die anderen wollen voran
atives Potenzial als in der Amsterdamer NDSM
etwas gemeinsam und dann macht jeder,
hier kann jeder kommen und machen was er
kommen, ein Café und andere Attraktionen in
oder sogar im MuseumsQuartier Wien.
will. Manchmal mieten sich auch Leute ein,
den Hallen unterbringen, damit mehr Touristen
DB Ich glaub, dass die Binz als solche nicht
die nichts machen und nur die Räume be-
kommen. Es ist natürlich ein Potenzial, wenn
sehr lange bestehen kann. Ohne die Touris-
was Sascha bereits angesprochen hat.
setzen. Das ist natürlich das Schlechteste
die gezeigte Kunst ein breiteres Publikum findet.
ten haben die Hallen keinen Rückhalt durch
Aber wenn das zu publik wird, dann wird es
für den Ort.
Aber auch eine Gefahr. Nun gibt es also differ-
die Stadt. Christiania in Dänemark z.B. funk-
eben offiziell, wie z.B. beim Bauantrag, da
LL
enzierte Meinungen und der Konflikt ist so-
tioniert ja nur, weil dort Touristen kommen
kommen irgendwelche komischen Sanierungs-
zahlen ja ihre Mieten. Aber wenn du sie
zusagen schon vorprogrammiert. Wie bei den
und es im Reiseführer steht.
loswerden willst, kannst du nichts machen,
Waggons, die ich eher als rein autonomes
SB
weil es dafür keine Instrumente gibt.
Gebilde sehe, kann man erkennen, dass sie
tionelle an den Wagenhallen ist also schon ge-
wohl ohne Regeln von der Stadt schon längst
wollt und wird auch gefördert, um den Erhalt zu
nehmen für Nebenkosten usw. Andererseits
geschlossen worden wären. Man sieht also,
sichern? Denn wenn das nicht so wäre, dann
will man das eben auch nicht haben, dass
dass die Leute in den Waggons daraus etwas
wären die Hallen vielleicht abgerissen?
die tolle Aktionsfläche vollgestellt ist; aber
SB
DIe Leute, die die Räume besetzen, be-
Wollt ihr solche Instrumente haben?
Auf dem Weg zur Institutionalisierung LL
Es gab immer wieder Ansätze, Versuche
und Ideen, wie man solche Instrumente
p.196
wirklich vereinbar.
jeder sein eigenes Projekt machen kann mit
Ich war vor fünf Wochen das letzte mal
PW Das kann schon sein...
Die Fläche wird als Lagerfläche vermie-
beschlossen hat, das nicht mehr zu machen.
Wenn jetzt in der Binz – als autonomem
Die Baustelle des beruflichen Schulzentrums
was er will. PW Es gibt hier ja schon eine Öffentlichkeit,
maßnahmen die teilweise völlig absurd sind.
Die Öffentlichkeitsarbeit und das Institu-
Auf der anderen Seite gibt es die Vermietungen, die ja auch dazu da sind, um Geld einzu-
anderes machen wollen, als das, was es an-
PW Ja, ich glaub schon. Als einer der Verant-
der Karle als Vermieter sagt eben, wir müs-
fangs einmal war. Sie wollen oder müssen sich
wortlichen nicht mehr da war, war hier
sen wirtschaften. Keiner hat so wirklich den
etablieren, um den Erhalt zu sichern.
auch so ein bisschen Anarchie bei der Raum-
Überblick.
oder Regeln entwickeln kann, aber das ist
DB Es ist eine Form von Gentrifizierung.
verteilung. Dieses Jahr kam der Schritt mit
immer nach hinten losgegangen.
Da kommt einer an einen Ort, nistet sich ein
dem Bauantrag, das Ganze zu institutionali- manent in einer Art Schwebezustand befindet.
DB Ein Beispiel sind die Waggons auf der
und strickt irgendwelche Tangas. Später
sieren und auch zu organisieren. Unter-
anderen Seite des Geländes, deren Nutzer
kommt dann noch die Freundin dazu und
schiedliche Leute müssen auf einmal an ei-
rung und dem ökonomischen Verwalten der Ak-
aus der Not heraus nun einen Konsens
der Freund vom Freund und irgendwann
nem Strang ziehen und müssen sagen, wie
tionsfläche?
gefunden haben. Die haben ihre Waggons
kommt einer der verkauft Drogen. Das ist für
sie das gerne hätten mit Wänden und
jetzt also „institutionalisiert“ aufgrund
mich so das normale Prozedere in einem
Brandabschnitten. Man muss also ein Kon-
als Verwalter muss natürlich für die Stadt das
ihrer Erfahrung mit Trittbrettfahrern oder
Kreativquartier. Dann hast du jede Menge Är-
zept entwickeln. Das hat auch geklappt
Geld einbringen, will aber auch nicht investie-
irgendwelchen Leuten, die Drogen verkau-
ger. Es ist eine andere Form von Gentrifizie-
auf eine Art und Weise, aber dann wurde der
ren. Ist ja auch verständlich, wenn noch nicht
fen usw. Das ganze war irgendwann so
rung.
ja von der Stadt wieder gekappt wegen zu
mal sicher ist, in welcher Form und ob das Ge-
SB
Würdet ihr sagen, dass man sich per-
Also in dem Sinne zwischen Bauantrag/Sanie-
DB Kann man schon so sagen. Der Karle
wirr, das sie sich selbst Regeln auferlegt
SB
hoher Kosten und dem einsturzgefährdeten
bäude überhaupt bestehen bleibt.
haben, um die Chance zu nutzen, dort
Wagenhallen standen ja auch schon auf dem
Gebäude. Im Moment gibt es also einen
SB
bleiben zu können. Dann mussten sie sich
Abrissplan der Stadt. Dann haben sich aber
Baustopp und es herrscht fast wieder
walter des Geländes mit seinem Schrottplatz,
natürlich gefallen lassen, dass die anderen
Leute zusammengefunden, die sich für den Er-
Anarchie. Viele fangen wieder an, einfach
dem Gelände vor den Wagenhallen und den Hal-
sie als Nazis beschimpfen. Aber das ist
halt eingesetzt haben. Im Falle der Waggons
irgendetwas zu bauen.
len selbst und Vermittler gegenüber der Stadt?
Vielleicht eine Gegenläufige? Die
Interview
halt anders nicht vereinbar. Und ein Regel-
projektbezogen.
Der Karle ist sozusagen der obere Verp.197
Wagenhallen — Stuttgart
machen wollen. Und das läuft dann eben
PW Aber eigentlich gibt es kein Geld von
Gelände zu bringen.
der Stadt. Nur für Projekte über den Verein,
ganzen anderen Haufen von Individuen. Der
der nächste Skulpturen und der übernächs-
PW ... so ‘ne Veranstaltung, wo die Leute
wie 72 HUA oder die Hermannsschlachten.
Kunstverein ist eine Art Partei in dem
te röstet Kaffee. Es gibt viele Interessen
hinschlappen können oder ein Showroom
Dafür gab es Geld, aber keine institutionelle
Ganzen. Es gibt je einen Beirat bestehend
und dann entstehen eben auch mal Konflikte.
oder Museums-Shop. Das MuseumsQuartier
Förderung an sich.
aus dem Kunstverein, Karle, Gutbrot-Mell-
LL
Ich denke das ist nicht sonderbar,
Wien besteht ja aus Museen. Die Binz oder
man (Veranstaltungsbereich), den Hauspa-
wenn 60 Leute zusammenkommen. Es gibt
die Wagenhallen sind auch Produktionsstät-
ten und einem Vertreter aus dem Gemein-
verschiedene Meinungen und die müssen
ten. Aber ihr macht ja schon immer mit bei
Die Frage nach dem Kreativquartier
derat. Der Kunstverein ist eine Art
ausgetauscht werden.
SB
Zusammenschluss von den Leuten, die hier
PW Du findest immer Leute, die dagegen
der Stuttgart-Nacht und der Museums-Nacht.
planbar ist. Wie sieht für euch ein Kreativquar-
SB
Die Frage ist, ob ein Kreativquartier
tier aus?
wohnen und/oder arbeiten. Vor kurzem war
sind und andere sind dafür. Manchen ist es
Also eine gewisse öffentliche Wirkung haben
schon der zweite Bauantrag. Der erste
egal und dann ist die Frage, wer entschei-
die Wagenhallen mittlerweile schon. Das
Vorschlag kam vom Veranstaltungsbereich,
det und was passiert.
Binz-Areal hat logischerweise keinen Muse-
es schon sehr lange. Kreativquartier in dem
die Halle mit einer fetten Mauer zu teilen.
DB Manchmal gibt es Projekte wo Leute
ums-Shop, die NDSM und die Wagenhallen
Sinne verstehe ich als etwas, das schon von
PW Ich würde sagen, Kreativquartiere gibt
Das war natürlich ein klares Zeichen. Der
das Maul aufreißen, was für ein wundervol-
auch nicht. Aber das MuseumsQuartier Wien
Institutionalisierung ausgeht, weil es
eine Teil wäre der, der primär wirtschaftet.
les Projekt sie vorhaben und meistens wird
hat einen, ist also zu was ganz anderem
eigentlich ja schon etwas Fassbares dar-
Wir wirtschaften ja auch, aber halt anders.
dann doch nichts draus. In den meisten
geworden.
stellt. Im Gegensatz zu Zwischennutzungen
Aber der Veranstaltungsort produziert
Fällen ist das auch gut so.
SB
oder besetzten Häusern, in denen sich
natürlich die größte Öffentlichkeit.
SB
DB Du musst das so sehen: Hier gibt es
Nochmal zum Zwiespalt zwischen dem
Wenn sich die Wagenhallen so weit
institutionalisieren wie das MuseumsQuartier
etwas entwickelt.
Autonomen und dem Institutionellen. Es kommt
Wien, dann sind diese nicht mehr von der
DB Ich sehe es als so etwas wie ein Überbegriff: Stell dir mal vor, eine Person
immer den Kreativschaffenden und den
dann die Frage auf, ob die Wagenhallen sich
Stadt weg zu denken und werden zur Kultur-
Geschäftsmann. Das ist nur in einem
immer mehr institutionalisieren um das
stätte. Dann gibt es öffentliche Gelder für
hier zieht aus und macht etwas mit acht
gewissen Maße vereinbar, zumindest nicht
Gebäude letztendlich zu erhalten. Es gibt
Sanierung, Veranstaltungen und Projekte.
Parzellen. Mit Leuten, die wie sie denken,
Gespräche mit der Stadt, den umliegenden
PW Das haben wir ja mit der 72 HUA (72
die nerven nicht, die hören keine laute
leicht fünf bis sechs Leute ein, die hier
Anwohnern etc. und ihr müsst ein einheitliches
Hour Urban Action) über den Gemeinderat
Musik, die wollen nur arbeiten, sonst nichts.
professionell künstlerisch arbeiten.
Meinungsbild formulieren und dann sind
versucht. Es gab 150.000 Euro für das
Die Infrastruktur passt, dann hat sie ihr
plötzlich diese individuellen Wünsche wieder
Festival und die Unterstützung war gebun-
Kreativquartier, aber völlig ohne Institutio-
heißt für dich, so viel Kunst zu produzieren,
eingeschränkt. Man formuliert also einen
den an die Ertüchtigung der Halle. Es gibt
nalisierung. Das sind dann acht Leute und
dass man davon leben kann?
Konsens. Wir wollen herausfinden, welche
also Geld, aber nicht allein für Kulturpro-
jeder arbeitet vor sich hin an seinem
DB Nicht nur. Aber die fünf Leute hier, die
Wirkung ein Kreativquartier auf die Stadt hat
duktion, sondern eigentlich für die Be-
davon leben können, schon. Dazu kommen
und natürlich auch anders herum. Die Frage
standssicherung der Halle. Die Stadt selbst
SB
natürlich die Architekten, Grafiker usw. Das
der Institutionalisierung kommt in diesem
hat nur 7.100 Euro dazu beigesteuert.
quartier wenn jemand ein Bürogebäude
Professionell künstlerisch Arbeiten
eigenen Arbeitsplatz. Aber ist das dann wirklich ein Kreativ-
ruft natürlich Konflikte mit den Leuten
Zusammenhang immer wieder auf und noch
Andere Gelder kamen von Stiftungen etc.
anmietet und nur an Architekten und Grafiker
hervor, die nur Dollars im Kopf haben. Wenn
mehr die Frage, wie wichtig diese ist, z.B. beim
Daraus entstand der Bauantrag und die
untervermietet?
man das will, braucht man mehr Frequen-
Erhalt des Gebäudes.
Umnutzungsgeschichte und keiner wusste
DB Das wäre ja auch ein Kreativquartier.
tierung, Parkplätze usw. Da liegt es nahe,
DB Ich würde sagen es gibt unterschiedli-
wo die 150.000 Euro investiert werden
LL
einfach eine Mauer hochzuziehen, dann hat
che Formen von Rückhalt und Institutionali-
sollen. Das Festival hat jetzt stattgefunden,
dann, wenn der gesamtstädtische Kontext
man das ganze Durcheinander mit den
sierung.
aber wir durften das Geld dafür letztendlich
stimmt.
anderen nicht. Natürlich etwas schade, weil
LL
nicht benutzen, weil es keine baurechtli-
PW Ja, das glaube ich auch.
Das wurde uns ja auch schon vorge-
Interview
Thema: jährlich Öffentlichkeit auf das
Veranstaltungen, der andere macht Bilder,
Nee. Ein Kreativquartier wird es erst
es von der Ideologie der freien, kreativen
worfen, dass wir als solches Konstrukt nicht
chen Möglichkeiten gab, das Geld zu
DB Dann reden wir aber über eine Rele-
Spaßgesellschaft abkommt. Die funktioniert
sichtbar werden.
verwenden. Es gibt jetzt ein paar Hilfsstüt-
vanz. Sozusagen eine „Hallo-hier-bin-ich-
halt irgendwann nicht mehr, wenn man
DB Ja genau, dass wir uns nach außen hin
zen in der Halle – vielleicht wurden die
Relevanz“ und das wird dann wichtiger als
jeden Euro zweimal umdreht.
ganz schlecht vertreten. Angefangen von
damit bezahlt – sozusagen als Kulturstüt-
die Mikromanufaktur. Wichtig ist doch die
PW Es geht ja eher um bezahlbaren Raum
der fehlenden Beschilderung bis hin zum
zen.
Produktion, das ist das A und O.
p.199
Wagenhallen — Stuttgart
für das eigene Schaffen. Der eine macht
Veranstaltungsbereich vorne und dem
in der selben Person. Also mir fallen viel-
SB
p.198
PW Und er ist Vermittler zwischen dem
Je nachdem für wen was wichtig ist.
SB
hat. Solche Orte entstehen überall in der Stadt.
lich verbunden sind und sich des öfteren über
Da stellt sich die Frage, was genau das ist. Für
DB Ja klar, ohne deine Produktion kannst
den Weg laufen?
du das doch in der Pfeife rauchen.
LL
Also wenn ich jemanden nicht leiden
mich ist es primär Leerstand. Dann hat jemand die Idee, an Künstler mit geringerem Anspruch
PW Das wäre dann die Mischung von Pro-
kann, dann wäre ich froh, wenn der endlich
zu vergeben. Es werden niedrige Mieten ge-
duktion und Rezeption vielleicht. Vielleicht
von meiner Bildfläche verschwindet.
währt und man nennt es Kreativquartier. Das
einfach nur ein Museum. Konsum, Museums-
DB Wenn man es nicht besser wüsste, könn-
ist ein anderer Ansatz, als in den Wagenhallen.
Shop...
te man sagen, hier ist totale Harmonie und
Hier war das Ganze eine Entwicklung. Bei den
Händchenhalten.
anderen Beispielen springt man auf das Phä-
SB
Vielleicht kann man das unter dem Be-
griff der Öffentlichkeitsarbeit zusammenfassen. PW Ihr meint ja Produktion, Rezeption und
PW Wenn hier eine Produktion ist, ist es na-
nomen Kreativquartier einfach auf und ver-
türlich naheliegend, dass jemand von hier
sucht Gebäude zu belegen.
irgendwelche Begleiterscheinungen wie
mitmacht und seine Profession dafür einsetzt.
DB In den Wagenhallen gab es am Anfang
Café, Restaurants, Veranstaltungen, also so
Da ist schon auch etwas dran, an dieser
auch billige Mietflächen und jetzt hat es
eine Mischung.
Idee von einem Pool auf den man zugreifen
sich mit dem Kunstverein zu den heutigen
DB Dann ist aber die Frage, aus welcher
kann aufgrund der örtlichen Begebenheit.
Wagenhallen entwickelt. Das braucht
Sicht man das betrachtet. Wenn da z.B. ein
Aber das ist nicht so selbstverständlich oder
einfach seine Zeit. Wenn du nur zwei oder
Gebäude ist, das abgerissen werden soll,
alltäglich.
aber der Bildhauer Häberle arbeitet dort und
LL
hat zweimal im Jahr Museumsnacht und
schen Ausformulierung statt.
entwickelt sich über die Zeit und kann nicht von vorn herein geplant werden?
Das findet nicht in einer so romanti-
drei Jahre Zeit hast, dann passiert nichts. SB
Kulturnacht. Dafür öffnet er sein Atelier und
PW Auch wenn der Kunstverein intern nicht wirklich aktiv ist, hat er mittlerweile so eine
DB Doch, auch. Wenn man die richtigen
hin. Kurz: Zweimal im Jahr ist es offen und
Art Name oder Standing. Aber das hat sich
Leute findet, dann kann das schnell gehen.
alle finden es geil. Dann kannst du das
eher über Einzelproduktionen ergeben.
Gebäude nicht abreißen, weil Feedback oder
DB Das ist kein Kunstverein, in dem man
Rückhalt in der Gesellschaft da ist. Dann
sich einmal die Woche trifft. Aber der
hast du ein Kreativquartier.
Kunstverein ist in erste Linie ein Instrument.
Nehmen wir mal an, da ist ein Gebäude
Image und Außenwirkung der Wagenhallen SB
Im Vergleich mit anderen Kreativquar-
tieren oder sagen wir besser „kreativen An-
in dem nur Grafiker sitzen. Die haben alle
Entstehung & Definition
sammlungen“ – wie seht ihr das Image der
eine ähnliche Ansicht und Arbeitsweise. Im Fall
eines Kreativquartiers
Wagenhallen von außen?
der Wagenhallen wäre das ein ganz anderes
LL
Potenzial. Sagen wir du machst jetzt ein Gemäl- SB
Es gibt seit April ein Leerstands- und
SB
Das würde ich auch gern mal wissen. Was auffällt ist, dass mittlerweile auch
de und anschließend eine Vernissage. Dann
Zwischennutzungsmanagement der Stadt
in der U-Bahn Plakate hängen für Veranstal-
gehst du zum hauseigenen Grafiker und lässt
Stuttgart. Die Stadt hat eine Broschüre heraus-
tungen in den Wagenhallen. Sie sind aus der
von ihm einen Flyer machen. Es ist also eine
gebracht, in der 35 Kreativquartiere in Stutt-
Stuttgarter Kulturszene nicht mehr weg zu den-
Art Kooperation untereinander da.
gart gelistet und näher beschrieben sind.
ken. Und es steigert sich weiter.
LL
p.200
Du würdest eher sagen, so etwas
das übrige Jahr arbeitet er nur vor sich
SB
Es ist gar nicht so sehr das Miteinander.
PW Welches zum Beispiel? Zum Beispiel das L22 im Stuttgarter
DB Ja, das ist der Kulturbetrieb hinten, die
Ich würde das nicht überbewerten.
SB
DB
Westen mit dem Begleittitel „Kreativareal“.
chen sie natürlich auch für ihre Konzerte. Aber es ist immer das große Missverständnis.
Was du vielleicht meinst ist die Option,
Interview
LL
haben natürlich eine gute Publicity – brau-
dass man das könnte.
Das wäre für mich so ein Beispiel für eine Büro-
PW Wenn bei dem Festival z.B. Künstler, Ar-
gemeinschaft. Keine öffentlichen Veranstaltun-
Wenn die Leute an die Wagenhallen denken,
chitekt und Grafiker zusammenarbeiten,
gen, geringer kultureller Beitrag, lediglich
dann denken sie gleich an DJ Schanke. Im
dann liegt das ja daran, dass sie befreundet
angemietete Büroräume.
sind.
PW Das ist halt ein Haus. SB
Genau, in dem jeder seinen Arbeitsplatz
Grunde fährt man da gegenseitig auf dem Trittbrett und profitiert gegenseitig.
p.201
Wagenhallen — Stuttgart
Aber sind sie befreundet, weil sie ört-
Also für dich wäre die Produktion wichtig.
keinen Sinn, das hier einfach aus Spaß zu
Könnte man den Post 21 Workshop und
machen...
DB Es gibt sicher ein paar Leute hier, die
SB
denken, das ist der Mittelpunkt des Univer-
ativquartier programmatisch steuern, planen
lichkeitsarbeit sehen, um den Bekanntheitsgrad
sums und der Harmonie.
und gewisse Rahmenbedingung schaffen, dann
der Wagenhallen zu erhöhen?
PW Das Problem, an einen anderen Ort zu
wird das allmählich zu einem typologischen
PW Es war eigentlich schon gedacht, mit
gehen hat schon auch mit den Möglichkeiten
Ansatz. Die Frage ist: Kann das dann zu einer ei-
die Begleitveranstaltungen als eine Art Öffent-
Wenn du behauptest, man kann ein Kre-
diesen Veranstaltungen ein paar räumliche
zu tun. Die Potenziale des Ortes sind wich-
genen Typologie werden? Also Bahnhof, Flug-
Setzungen zu machen. Für die nächsten
tig. Es ist nicht völlig egal, wo man ist.
hafen, Kreativquartier?
10 - 20 Jahre ist hier hinten die Logistikfläche
Es gibt Rahmenbedingungen, die hier bes-
PW Aber die Räume sind ja schon getrennt
für Stuttgart 21 geplant. Es gibt keine In-
ser sind als irgendwo anders.
in bedachte, unbeheizte Räume, bedachte,
vestoren für das Gelände, die Stadt macht
Dann entwickelt sich etwas, das möglicher-
beheizte Räume, kleinteilige Räume, großtei-
auch erst mal nichts – hat vielleicht auch
weise zum Kreativquartier wird. Vielleicht
lige Räume, beheizt oder unbeheizt usw....
Angst. Dann haben wir gesagt, dann machen
kann man das sogar steuern, wenn man be-
Ja klar kann man das dann planen...
wir einfach was. Das hatte eine Außenwir-
stimmte Leute dort hin holt.
SB
kung und die Halle hat sich etabliert. Jetzt ist
DB Scheiß auf Kreativquartier.
logiebegriff überhaupt noch Sinn macht, weil
es mehr oder weniger ein gefestigter Hau-
LL
eh alles anders aussieht und letztendlich nur die
fen. Es war auch mal gedacht, den Städtebau
matisch planen aber man... SB
Ich glaub du kannst das nicht program...kann Rahmenbedingungen vorgeben.
Mittlerweile bezweifeln wir, ob der Typo-
programmatische Definition übrig bleibt. Man könnte vielleicht besser von einer Methode
den Leuten und den Bedürfnissen, die schon
DB Ich würde behaupten, du könntest so
da sind. Ein städtebaulicher Plan ist ja im-
ein Format entwickeln. Da ist eine Stadt, die
mer spekulativ für irgendwelche zukünftigen
sagt, wir haben etwas Geld und wir bauen
Du hast die Marktlücke Kreativquartier
Nutzer. Wir sind schon da. Dann machen
innerhalb von einem Jahr ein Kreativquartier,
entdeckt. In Rottenburg am Neckar gibt es
wir halt das, was wir brauchen. Eine Art An-
mit Räumen, Showroom, Public-Viewing, mit
eine Kulturnacht. Wofür? Gibt’s halt ein-
knüpfungspunkt, Ausgangspunkt oder
einer Kombination. Die dann ein ähnliches
fach... Wenn man sagt, du bist eine abge-
Impulsgeber.
Programm fahren, wie wir. Ähnlich wie das
fuckte Stadt, was brauchst du alles? Ein
Format der Museumsnacht. Das wird bei
Rotlichtviertel, Kreativquartier oder Flug-
SB
Was passiert, wenn die Wagenhallen
sprechen. DB Sehen wir das mal rein kaufmännisch:
abgerissen werden? Ist es für euch ein Problem,
jeder Stadt jetzt aufgesetzt. Genauso kön-
hafen? Wie beim Spiel SimCity, da gibt es
woanders hin zu gehen?
ntest du so ein Kreativquartier-Konzept
dann auch das Kreativquartier zum Einsetzen.
PW Das ist ja die allgemeine Praxis, dass
erstellen. Vielleicht kommt es darauf an, der
Dann hat die Stadt halt erst ‘ne halbe Mil-
man davon ausgeht, dass die Leute wieder
Stadt ein Format Kreativquartier zu verkau-
lionen Einwohner, später dann zwei. Gerade
woanders hingehen.
fen. All inclusive.
mit Stipendien kannst du ja Leute ziehen,
SB
Das sehe ich auch als Potenzial. Dann
LL
Pass mal auf: Kein Mensch macht ein
die du dort haben willst.
gibt es eben wieder eine neue Mischung von
Kreativquartier, um ein Kreativquartier zu
SB
Leuten aus der Kultur- und Kreativwirtschaft.
machen. Sondern diese Orte entstehen und
Hamburg, Stuttgart,... Jede Stadt versucht, die
Es entstehen neue Beziehungen, neue Konflikte
heißen dann so. Aber was wir doch alle wol-
Kreativen an sich zu binden.
und neue Konflikte sind wiederum neues Po-
len ist doch, unseren Job zu machen und un-
tenzial.
sere Existenz aufzubauen. Wir brauchen
ist nur nach der Qualität der Kreativen. Ein
Räume, in denen wir anfangen können. Und
Kreativquartier muss ja auch nicht an sich
Ort neu entwickelt hast, du irgendwann
solche Räume bilden die Möglichkeit dazu.
qualitativ hochwertig sein um zu funktionie-
einfach kein Bock mehr hast. Vielleicht schon
Sie sind günstig, sie sind experimentierfähig
ren. Es gibt wohl genug Potenzial oder
nach dem ersten mal nicht.
und keine Ahnung was weiß ich noch was.
sagen wir Menschen-Material für solche Kre-
DB Der jugendliche Enthusiasmus spielt da
Es geht nicht darum, ein Kreativquartier zu
ativquartiere.
sicherlich eine Rolle. Sich auszuprobieren,
machen, das ist der Punkt. Das macht doch
PW Es ist so, dass wenn du fünf mal einen
Interview
SB
nach diesem Bedarf zu planen. Also mit
p.202
um später zu entscheiden, was man kann und eigentlich will.
Das macht aber mittlerweile jede Stadt.
DB Also Kreative gibt es genug. Die Frage
p.203
Wagenhallen — Stuttgart
Das Gelände auf dem Weg zu S21 ?
In Karlsruhe hat man versucht, ein Kre-
LL
Die Illusion einer Partizipation oder was?
ativquartier am alten Schlachthof zu planen.
DB Nein, eher aktiv. Tillmann Eberwein,
SB
Das wäre dann auch der Ausblick. Die
dringende Frage nach dem Verbleib der Hallen
Das ist aus meiner Sicht voll in die Hose gegan-
ein Künstler hier in den Wagenhallen, hat das
und was mit ihnen passiert. Auch mit der
gen. Denn durch den planerischen Charakter
mal ganz passend gesagt, dass wir uns
Schule dort hinten und der Logistikfläche für
ist die Stadt von Anfang an mit eingebunden.
selbst „von innen heraus gentrifizieren“
Stuttgart 21.
Wenn die Stadt dabei ist, müssen sanitären An-
müssen.
PW Die haben ja schon Ideen dort hinten
lagen auf einem gewissen Stand sein, Brand-
SB
schutzmaßnahmen, Fluchtwege etc. erfüllt
hier in der Küche statt, was ja in gewisser
vorne mit der Schule so gut geklappt hat.
werden. Dann erreicht man schnell einen Qua-
Weise auch für das Geschehen hier in den Wa-
LL
dratmeterpreis von 10 Euro pro Monat und
genhallen spricht.
ße Phase hier. Irgendwas Komisches wird
es ist für eine gewisse Schicht von Künstlern
Wie unser Gespräch gerade, das findet
PW War alles etwas improvisiert.
einfach nicht mehr bezahlbar. Dann kommt
SB
nicht mehr der autonome Künstler und macht
stellt.
seine Sachen...
Aber genau so hatte ich mir das vorge-
auch Hochschulen hinzustellen, weil es dort Ich glaube, das ist gerade ‘ne ganz hei-
hier passieren... PW Ja. Sporthalle für die Berufsschule zum Beispiel.
PW Das spiegelt wieder, dass wir uns über
SB
Ich danke Euch für das Gespräch.
DB Das ist die Frage, ob es nicht ein Pro-
das Eigentliche mehr Gedanken machen
blem ist, wenn Toiletten fehlen. Ist natürlich
als über unser Auftreten. Es entsteht alles
Das Gespräch wurde am 29.11.2012 in Stutt-
auch die Frage, ob das freie Unternehmer-
aus einem Tun heraus. Wer macht mit, wer
gart geführt.
tum damit umgehen kann. Sanitäre Anlagen
hat Bock. Nicht nach irgendwelchen Ver-
sind gleich Kosten, die sich auf den Miet-
einssitzungen und so. Es wird nix evaluiert
preis schlagen. Dann ist das zu teuer für
oder geplant in dem Sinne, außer jemand
Künstler. Das ist ein Teufelskreis. SB
Interview
Wagenhallen — Stuttgart
SB
hat ein Projekt und holt dazu Leute von hier
Der Prozess ist beim MuseumsQuartier
oder außerhalb.
Wien schon abgeschlossen. Es gibt Fluchtwege,
SB
ausreichend Toiletten, der Brandschutz ist er-
Anzug sitzen würden...
Wäre jetzt komisch, wenn hier jeder im
füllt etc. Wenn die Wagenhallen auch in Rich-
LL
tung der Institutionalisierung gehen, dann gibt
Anzug an, z.B. wenn wir zur Stadt müssen.
Aber wir haben schon manchmal einen
es vielleicht bald ein neues Dach, mehr Toilet-
SB
ten, Fluchtwege usw. und der Mietpreis steigt
on. Wenn du was willst, kommst du persönlich
ebenfalls. Dann werden hier bestimmt andere
selbst als Institution dort hin.
Menschen arbeiten.
Das ist aber dann der Weg zur Instituti-
LL
DB Aber das ist einfach so. Das ist die Gen-
Ja das stimmt, als graue Eminenz. Hat-
ten wir ja vorher schon.
trifizierung. That’s life. Es wird immer als ein Unwort dargestellt, aber das ist ganz nor-
Ausblick
mal. Die böse Natur. So, wie sich alle Städte ständig verän-
SB
Die Duldungen wurden die letzten Jah-
dern. Es gibt Zustände, die kann man nicht
re immer jährlich vergeben. Ich habe gehört,
halten.
dass die bevorstehende Duldung für die kom-
DB Schwierig ist, wenn man den Zustand
menden fünf Jahre gültig sein soll, wenn das
als Gottgegeben annimmt.
Gebäude ertüchtigt ist.
PW Man kann gewisse Situationen und Zu-
PW Ja weil das jetzt nicht mehr offiziell so
stände schon steuern.
geduldet werden kann. Dazu haben die
DB Genau. Die Frage ist, ob das wirklich al-
Wagenhallen mittlerweile ein zu großes Me-
les so ist oder ob man da noch einen Einfluss
dieninteresse.
hat.
p.205
p.204
LL
Universitäten und Institutionen in der Nähe,
Strategien werden langfristige und temporäre
menkommen müssen, die kreativ sind. Was
die noch eine gewisse Neugier und vielleicht
Aktionen gesteuert.
chen Planung der Stadt Stuttgart, im Gespräch
auch immer das zunächst zu bedeuten hat.
sogar auch Erwartungshaltung an solche
mit Daniel Springer
Ein Bekannter von mir, der verschiedenste
Orte mitbringen. Es gibt also viele Faktoren,
Innovation gezähmt wird? Schon im Zu-
Patente angemeldet hat, sagte einmal: „Ich
die so ein Quartier begünstigen und somit
stand des Planens verliert das Neue an
auch ermöglichen können.
Schrecken. Das Neue ist oft überraschend.
DS
p.206
suche mir eine Idee aus und setze sie um.
Einführung In unserem Research geht es um die
US Aber merken sie, dass hier diese
Wenn ich es institutionalisiere, dann führe
Erst dann erweist sich, was Kreativität ist.“
DS
Da kommt nämlich die Kehrseite der Krea-
wurden ursprünglich für andere Nutzungen
ich eine Verstetigung ein. Ich komponiere
Diese vier genannten Gebäudekomplexe
Fragestellung, welches innerstädtische Poten-
tivität zum Vorschein. Wenn man eine neue
geplant. D.h. es handelt sich bei allen vier Kre-
eine soziale Plastik 2, die einen bestimm-
tial Kreativquartiere haben. Genauer unter-
Idee hat, wird man die Neuigkeit dieser Idee
ativquartieren um Transformationen.
ten Wechsel hat. Ich entwerfe eine Villa
sucht haben wir dabei das MuseumsQuartier
am Widerstand der anderen Menschen mes-
US Dabei darf man nicht vergessen: Es
Wien (MQ), die Wagenhallen in Stuttgart, die
sen können. Ich muss dann mit allen Mitteln
gibt in solchen Quartieren eine Pionier-
kommen und dadurch immer wieder neue
NDSM-Werft in Amsterdam und die Binz in Zü-
des Bazars, also der Ellenbogen, dieser
phase. Und wenn diese erfolgreich ist, weil
Orte entstehen.
rich. Diese vier Quartiere stellen eine gewisse
Idee einen Freiraum verschaffen. Denn das
ein Potential vorhanden ist, dann geht das
DS
Bandbreite dessen dar, was wir unter einem
wirklich Neue ist immer fremd. Für einige
Gerangel der Kräfte los. Und es ist ganz
daher auch weltweit bekannt. Deshalb müssen
Massimo 3, so dass jedes Jahr neue Leute
Das MQ ist touristisch ausgerichtet und
Kreativquartier verstehen. Während wir auf
ist es zunächst unbedeutend. Aber viele
schwierig diese Phase lange auszudehnen,
Künstler, die dort arbeiten, einen bestimmten
der einen Seite das MQ als institutionalisiertes
andere sehen ihre Existenz dadurch eventu-
denn die Etablierung setzt irgendwann ein.
Bekanntheitsgrad mitbringen, oder zumindest
Kreativquartier bezeichnen, lässt sich auf der
ell bedroht. Das bedeutet, dass zum Krea-
Die Nutzer erheben Geltungsansprüche. Sie
ökonomisch verwertbar sein.
anderen Seite die Binz in Zürich als autonom
tivquartier eben auch der Kontext gehört.
sagen dann nicht, ich bin jetzt älter, jetzt
besetztes Quartier beschreiben. Die Mitte bil-
Eine Mentalität, die den kreativen Prozess
muss ich wieder raus. Sondern sie sagen,
ich diese Anforderungen erfülle, dann wird
den die Wagenhallen und die NDSM. Was halten
anregt. Einen Prozess des Fortschritts und
es ist jetzt gerade schön, ich bleibe hier.
etwas von mir erwartet. Das ist dann aber
sie von dieser Aufteilung?
US Angenommen ich gehe in das MQ, weil
der Erneuerung. Eine Aufmerksamkeit, die
Und das macht die Sache uninteressant.
nicht das, worauf man käme, wenn man
US Man sieht hier vier verschiedene Orte,
nicht gleichgültig ist, sondern gefährlich
Denn die Quartiere leben von den Pionieren,
sich nicht beobachtet fühlt, wenn man
an denen sich Leute treffen. Was ich sehr
oder interessant sein kann. Dieser sehr ag-
bzw. von dem inneren Zittern, klappt es
sich selbst überlassen ist. Das sind zwei
interessant finde, sind die Funktionsbedin-
gressive Prozess sollte unterstützt werden.
oder klappt es nicht. Es ist diese Not, die
verschiedene Prozesse, denke ich. „Ich
gungen eines solchen Ortes. Ich verfolge
Zudem stellt sich die Frage, ob der Ort die
das Neue stark macht. In dem Augenblick,
bin eingeladen und bekomme Raum und
eine ähnliche Fragestellung bei Plätzen.
nötigen Potentiale bietet, die einen Anstoß
indem die Nutzer wissen, wir haben jetzt
Geld dafür“ ist ein äußerlicher Prozess.
Wann ist ein Platz ein urbaner Platz? Viele
hervorrufen können? In Wien, Amsterdam,
10 Jahre Zeit, uns zu etablieren, ist das
Der innerliche Prozess hingegen findet
Architekten und Stadtplaner denken, wenn
Stuttgart und Zürich gibt es solche Potenti-
zwar schön, aber es geht so ein bisschen in
unbeeinflusst von so etwas statt. Ich hörte
ich schöne Häuser und bestimmte Propor-
ale, solche Umbruch- und Erneuerungspo-
Richtung „Cappuccino“. Den Mechanismus,
neulich ein Interview mit Günther Wand
tionen vor Ort habe, dann ist das ein guter
tentiale.
der einen konstanten Erneuerungsprozess
4. Da sagte er über die Symphonien von
urbaner Platz. Und ich war ganz überrascht
DS
als ich in Marrakesch auf dem Djemaa el
vität zu einer gewissen Infrastruktur geworden.
Gerade in den letzten Jahren ist Kreati-
Fnaa 1 war. Der Platz ist so groß, dass man
Sie bedingt Räume mit einer bestimmten Grö-
die Ränder nur ganz begrenzt wahrnimmt.
ße oder auch mit bestimmter Veränderlichkeit,
Er lebt durch sich selbst und zwar durch
in denen man etwas schaffen kann.
die Menschen. Und seit der Zeit ist mir be-
US Das ist richtig. Es sind auch manchmal
Uwe Stuckenbrock
stellt man fest, dass Menschen zusam-
ner, war bis vor kurzem Leiter der städtebauli-
hervorruft, den sehe ich im Augenblick
Bruckner, dass man die erste Symphonie
noch nicht.
vergessen könne und er bei seiner 7. oder 8. Symphonie versucht habe, an den Erfolg
Das MuseumsQuartier Wien
seiner 5. Symphonie anzuknüpfen, er aber
DS
Singularitäten. Vielleicht ist ein fluktuieren-
nicht geschafft hat. Solche Erfolge sind Es war das Erfolgsmodell des MQ, viele
wusst, dass die Menschen der bestimmende
ganz materielle Dinge. Strom- und Internet-
kulturelle Institutionen an einen Ort zu bringen,
Faktor sind. Die Menschen sollten eine Hülle
anschluss zum Beispiel, ein Kopiergerät und
die durch eine Hierarchiestruktur gesteuert
Meistens ist es immer nur rückblickend
vorfinden, die sie erstens nicht behindert
eine Kaffeemaschine und letztendlich Raum,
werden. D.h. es gibt einen Vorsitzenden und
ein besonderer Ort. Irgendwo haben sich
des Potential in einer Stadt das geeignetste.
und zweitens in ihren Aktionen noch be-
in den es nicht hineinregnet. Bedingungen,
diverse Zuständige auf unterschiedlichen Ebe-
Potentiale aufgetan und es ereignete sich
günstigt. Das heißt, ich muss mir die sozia-
die das Leben leichter machen und durch
nen. Es gibt einen öffentlichen Raum im Innen-
etwas. Oftmals müssen nur zwei oder drei
len Aktionen vorstellen. Was sind notwendi-
die man selbst nicht mit Daseinsvorsorge
und Außenbereich, der als Kulisse dient und
Leute zufällig aufeinandertreffen und eine
ge Voraussetzungen für Kreativität? Dabei
abgelenkt ist. Dann gibt es vielleicht auch
dauerhaft bespielt wird. Durch planerische
Möglichkeit vorhanden sein. Und wenn Po
p.207
Exkurs — Interview
UWE STUCKENBROCK, Architekt und Stadtpla-
Städtewettbewerb sehr aktuell ist und dadurch
Kreativ- oder Kulturinstitutionen. Die Binz ging
wechselnden Bewegungen in der Stadt und
das kreative Potential einer Stadt an oberster
aus einer Hausbesetzung hervor und seitdem
die Möglichkeiten der Zwischennutzung in-
Stelle steht. Ich persönlich finde an Stuttgart
kämpfen die autonomen Besetzer und Nutzer
Leerstellen und Potential
formiert. Damit sind aber auch viele recht-
interessant, dass sie zu den Städten zählt, die
gegen die Auflösung einerseits und gegen
liche Fragen verbunden. Die Bauverwaltung
unter der Abwanderung der Kreativen leidet,
die Etablierung andererseits. Hier spürt man
DS
ist nicht darauf eingestellt, so flexibel auf
aber dennoch ein gewisses Potential aufweist,
ganz andere kreative Kräfte, die schon eher im
solche Fälle zu reagieren. Sie ist super
nämlich durch ihre Größe und auch die Nähe
Rebellischen verankert sind.
eingestellt auf Investorenprojekte, also zum
zu anderen Städten in Europa.
Leerstellen gibt es ja immer mal wieder
in Städten. US Etwa 3-5 % im Durchschnitt.
Beispiel ECE-Projekte 5 mit 500 Millionen
US Was verstehen sie unter Stuttgart? Wie
Leerstellen zwischenzeitlich nutzen könnte?
Investitionssumme. Diese Prozesse sind in-
groß ist Stuttgart für sie?
Eine Plattform für solch eine Organisation gibt
stitutionalisiert. Man müsste Zwischennut-
es noch nicht?
DS
Gibt es Pläne dafür, wie man solche
US Aber das Rebellische, ich würde es auch als das Irreguläre bezeichnen, ist ein Merkmal an dem man die kreativen Kräf-
Gefühlt ist das der „Stuttgarter Kessel“
te spürt. Das Institutionalisierte bzw. das
zungspotentiale so frei institutionalisieren,
mit ca 200.000 Einwohnern. Jedoch weiß ich,
Reguläre ist bezüglich dessen schon fast
US Für meine Begriffe ist das noch nicht
dass man spezielle Befreiungen akzeptiert,
dass der Verwaltungsbereich ca. 750.000 Ein-
ein Widerspruch in sich. Wenn die Züricher
gut organisiert. Es ist immer wieder ein
zum Beispiel im Falle von Stellplätzen oder
wohner hat und die Metropolregion, also der
solch ein Wachstum geschehen lassen,
hinterhereilendes Bemühen, wenn jemand
den Brandschutzanforderungen.
Einzugsbereich, auf ca 2,5 Millionen kommt.
in Not gerät. So wie ich es beobachtet habe, ist es nicht wirklich institutionell oder pro-
DS
So dass es zum Beispiel für den Typ
obwohl sie es aus Gründen der öffentlichen
US Diese drei Ebenen Stuttgart wahrzu-
„Zwischennutzung“ mehrere Auflagen gibt, je
Sicherheit stoppen müssten, dann wäre das
nehmen, gehören eigentlich alle zusammen,
Unterlassen von scharfen Kontrollen eine
denn die Grenzen verschwimmen. Insofern
Bedingung für das Wachstum von kreativen
der Vorgang einen rechtlichen Rahmen be-
bin ich ein bisschen zuversichtlich, was
Situationen. Ob das so geht weiß ich nicht,
kommt.
das Gesamtpotential der Stadt betrifft. Man
aber es könnte sein, dass eben der Zustand der ständigen Unsicherheit diese Situatio-
fessionell. Ein Problem ist es, das Vertrauen
nach Grad und Nutzung? In diesem Fall würde
der Vermieter herzustellen, in diesem Fall das der Zwischennutzer, wenn diese nach 3 Monaten, nach 6 Monaten oder nach einem
US Ja. Man müsste ein Verfahren dafür
muss die wesentlichen Faktoren betrachten.
Jahr schon wieder weiterziehen. Daher stel-
schaffen. Denn wenn ein Gebäude ein
Zum Beispiel die Erreichbarkeit. Ausbil-
nen noch weiter begünstigt – kommen sie,
le ich mir vor, dass dafür zum Beispiel die
Jahr zur Verfügung steht, dann darf es
dungspendler, die oft kurz vor den Toren
oder kommen sie nicht; prüfen sie, oder
Stadt bürgen könnte. Sie müsste die Kom-
dafür nicht ein dreimonatiges Baurechts-
der Stadt wohnen und täglich zu den Schu-
prüfen sie nicht; machen sie dicht, oder
munikation mit den Mietern übernehmen.
verfahren benötigen. Diese Bedingungen
len in die Stadt pendeln, nehmen folglich
machen sie es nicht. Jedoch ist das mehr
Hinzu könnten auch gewisse Bürgschaften
könnte man sicher verbessern. Wenn man
auch am öffentlichen Leben Stuttgarts teil.
eine gelebte Praxis. Das bedeutet in dem
kommen, um Misstrauen zu umgehen. Ein
verallgemeinernd spricht, handelt es sich
Alles ist relativ schnell erreichbar. Die Frage
Augenblick, indem man sie formulieren wür-
anderes Thema wären da noch Kredite.
ja um transitorische Orte, bzw. Interims-
ist, wie man den Prozess der Nutzung von
de, wäre sie unrechtmäßig. Aber das Irre-
Manchmal muss zum Beispiel die Elekt-
nutzungen. Dabei stellt sich die Frage, wie
Leerständen organisieren kann und dafür
guläre gehört meines Erachtens in diesem
rizität im Gebäude vor Einzug überprüft
man den normalen Wandel einer Stadt, der
gleichzeitig eine Vertrauensbasis findet.
Prozess auch dazu. Alles andere wird sehr
werden. Neben der blanken Information des
immer Leerstellen beinhaltet, garantieren
Wahrscheinlich müsste man zu erst einmal
schnell langweilig.
freigewordenen Ortes und solcher Kredite,
kann, um die Stadt weiterhin intelligent nut-
Begriffe dafür finden. Und sobald ein Stan-
DS
wären Zwischennutzungen eine unendliche
zen zu können. Gebäude werden abgerissen
dardbegriff für Interimsprojekte definiert
das zukünftig vorstellen? Könnte man eine Perspektive einräumen, oder muss alles letztend-
Was denken sie, wie könnte man sich
Hilfe, kreatives Potential an eine Stadt wie
und dann heißt es: In zwei oder drei Jahren
ist, läuft ein Programm ab. So etwas wäre
zum Beispiel Stuttgart zu binden. Und es
wird etwas Neues gebaut. Das würde dann
eine günstige Bedingung für das Kreativpo-
lich immer in gesteuerte und geregelte Bahnen
wären dann auch Bedingungen für wirkli-
bedeuten, Freiflächen interimsweise zu
tential zum Beispiel in Stuttgart.
geleitet werden?
che Kreativität gegeben, so dass ein Pro-
nutzen, zum Beispiel als Kleingartenanlage
jekt fluktuieren kann und den natürlichen
oder dergleichen. Andere Räume sollten
Wechsel nutzt, den es in jeder Stadt gibt.
modernisiert werden. In der Summe dessen
Es ist etwas anderes, wenn man Kernzellen schafft. Die haben das Problem, dass sie p.208
DS
US In Kopenhagen gibt es zum Beispiel die Die Binz und das Rebellische
Christiania 6. Die Leute dort haben gesagt:
ergibt das Potentiale, die in ihrer Dynamik
DS
geln gelten. Das ist meines Erachtens doch
eine Gruppe am Leben erhalten können.
als ein Gegenprojekt zum MuseumsQuartier
ein bisschen die Idee der Kreativen. Ein Ort,
Wien. Die Binz liegt etwas außerhalb des Stadt-
an dem andere Regeln gelten als in der Ge-
Wir machen einen Staat, in dem eigene ReDen Fall Binz, in Zürich, betrachten wir
nicht mehr sterben können. Und was nicht
DS
richtig sterben kann, lebt auch nicht. Eine
beinhaltet das, was wir uns heute unter Stadt
zentrums, ist öffentlich zugänglich, aber ohne
sellschaft. Und die Gesellschaft ist dadurch
Idee wäre es, eine Förderung zu installieren,
vorstellen. Auch aufgrund dessen, weil der
touristische Ausrichtung, d.h. ohne klassische
charakterisiert, dass
Diese intelligente und kreative Nutzung
Uwe Stuckenbrock
die durch ein Informationssystem über die
wo es sich entfalten kann.
p.209
Exkurs — Interview
tential da ist, dann findet sich meistens ein Ort,
sozialen Bewegungsprozess zu gestalten,
man das auch als Teil dieses Prozesses
achtet, bestimmte Dinge zu unterlassen,
dessen Lebendigkeit davon abhängt, dass
sehen. Ein Kreativquartier ist ein Ort, der
die Menschen aktiv mitwirken.
diese Anfangsphase besitzt, in der es rich-
nicht Teil dieser Gesellschaft sind. Und dieser
die man in einem normal Planungsprozess
Punkt ist schwierig, weil wir einen Grundsatz
machen würde. Das würde einen negativen
DS
haben, der besagt, dass es überall gleiche
Planungsprozess bedingen, der sagt: Halte
enwettbewerbe, die versuchen Lösungsansätze
Etablierungsphase, in der es auch andere
Lebensbedingungen geben muss. Das ist
dich zurück, lass es geschehen, entwerfe
hervorzubringen. Zum Beispiel im Fall des
Gruppen anspricht und nach zehn Jahren
zunächst einmal positiv, aber es bedeutet
vielleicht eine kleine goldene Pforte, so
Oberhafen Quartiers in Hamburg oder einem
stirbt es.
eben auch, dass rechtsfreie Räume schwer zu
dass man weiß wo man reingeht. Wir spre-
neuen Wettbewerb für ein Kreativareal in Mün-
etablieren sind. Die einzige Möglichkeit ist die
chen hier von einer ganz anderen Planungs-
chen.
Hausbesetzung, das möglicherweise legitime
logik. Das heißt man muss wissen, wie man
US Nach dem Motto: Gib mir eine alte Ei-
aber illegale Mittel. Das kann man natürlich
Anreize schafft. Daraufhin müsste man
senbahnfabrik, Hauptsache alt. Das garan-
DS
nicht propagieren. Das ist auch extrem schwie-
es geschehen lassen. Wenn man so denkt,
tiert schon 90 % des Erfolgs. Dann macht
Kreativquartieren sind meistens sehr interes-
rig. Alles andere ist schon wieder viel weniger
tig lebendig ist. Dann geht es über in eine
Treffpunkt Kreativquartier Die Architektur und die Menschen in
man etwas formal Schönes rein – aber
sant, gerade wenn man an die Verknüpfung
es darf nicht zu neu sein, sonst sind die
von künstlerischer Arbeit und Kunstkonsum
klassische Art und Weise einen Funktionskata-
Anderen irritiert – das ist ja nicht kreativ.
denkt. Daher besuche ich gerne Kreativquar-
log abzuhandeln.
Kreativ ist eine Chiffre für das, was viele
tiere wenn ich andere Städte bereise. Mit dem
Abenteuer und erfordert viel weniger Not.
DS
Und dadurch wird dieser Erfindungsreichtum schon wieder gezähmt. Die Kreativen werden
Das würde also bedeuten, nicht auf
auch in eine Paradoxie verwickelt. Stellen
US Nein, dann hätte man ein Standard-
schon erwarten. Meine Auffassung ist eher
Wissen, dass es nun diese Architektur – oder
sie sich mal vor, die Stadt würde sagen: So
quartier eines schicken Architekten. Aber
die, wenn etwas Neues entsteht, irritiert es
besser – diese Bewegung auch in anderen
alle wären gleich auf der Welt.
oftmals erst. Gerd Binnig 7 hat in seinem
Städten gibt, fühlt man sich empfangen, weil
Buch „Aus dem Nichts“ versucht zu erklä-
es vielleicht einfacher erscheint, Leute zu treffen, die ähnliche Interessen haben.
jetzt seid doch mal kreativ! Das würde ihnen jegliche Kraft nehmen. Es funktioniert nicht
DS
auf Befehl. Das heißt es ist eine richtige Kunst.
pologie“ verstehen würde, dann könnte man es
ren, wie es zu der Erfindung des Raster-
Wahrscheinlich bekommt man für jeden Ort
auch mit einem Flughafen oder Fußballstadion
tunnelmikroskops gekommen ist. In einem
US Das finde ich ja interessant. Ich hatte
eine etwas andere praktische Lösung. Insofern
vergleichen. Man könnte einen Katalog entwer-
Forschungslabor von IBM hatten die For-
vorher angesprochen, dass es um die Men-
ist es interessant zu sehen, wo und wie sich
fen, der besagt, wie viel Verkehrsfläche man
scher totale Freiheit. Binnig hat analysiert,
schen geht. Wenn ich nun einen Standort
diese Kreativbiotope in Wien, Amsterdam und
benötigt oder welche Funktionen hinzukom-
dass die Voraussetzung zur Emergenz von
betrachte, der natürlich auch Teil eines dy-
anderen Städten entwickelt haben.
men. Wenn man berücksichtigt, dass Richard
Neuem ein Kommunikationsprozess ist, der
namischen Systems ist, dann bedeutet das,
Florida vielleicht Recht hatte mit seinem Buch
fraktal gestaltet ist. Das heißt, Informatio-
dass dieser Standort davon lebt, dass die
Planung eines Kreativquartiers DS
p.210
könnte das eine Form der Planung sein.
Im Moment sind es hauptsächlich Ide-
Wenn man ein Kreativquartier als „Ty-
nen werden eingesammelt und gebündelt,
Milieus sich wechselseitig austauschen und
man vielleicht von nun an beginnen, für Krea-
danach wieder neu eingesammelt und neu
voneinander lernen. Dann sind das interna-
„The Rise of the Creative Class“, dann müsste
Uwe Stuckenbrock
wahrscheinlich viel mehr, dass man darauf
Identität gerade dadurch gewinnen, dass sie
Im Studium waren wir kürzlich mit der
tive zu planen und diese „Typologie“ zu ent-
gebündelt, usw. In jedem Schritt entstehen
tionale Stützpunkte oder kosmopolitische
Aufgabe befasst, ein Kreativquartier für Ham-
werfen? Wie könnte ein Architekt mit diesem
dann wieder neue Assoziationen. Wenn
Stützpunkte in einer Stadt, von denen ich
burg zu planen. Das bedeutet, dass unsere
angesprochenen Paradox umgehen? Klassi-
einem solchen Prozess keine Widerstände
weiß, dass ich nicht erst mühsam alle Kräf-
junge Architektengeneration nun damit auf-
sche Bürogebäude sind vielleicht nicht ideal,
entgegenstehen, dann ist die Möglichkeit
te zusammensammeln muss, um Kontakte
wächst, solche „Typologien“ als etwas Gegebe-
um diesem Typus gerecht zu werden.
groß, dass Neues entsteht. Für meine
für mein Interesse zu finden. In diesem Fall
nes bzw. Notwendiges wahrzunehmen. Dabei
US Ich glaube, eine Bedingung ist, dass
Begriffe ist die Frage interessant, ob man
würde eine Institutionalisierung auch ihren
wurden wir dazu aufgefordert, grundlegend
der Architekt nicht als Außenstehender
notwendige innerliche Bedingungen herbei-
Sinn haben, nämlich wenn der internationa-
darüber nachzudenken, ob derartige Quartiere
plant, sondern selbst Teil des Prozesses ist
führen kann, damit solche Prozesse be-
le Austausch dadurch begünstigt wird. Und
überhaupt planbar sind?
und auf die anderen angewiesen ist. Das
günstigt werden. Und welchen äußerlichen
das rekombiniert sich in diesen Zentren
US Ein netter Gedanke zunächst einmal,
wäre ein Selbstorganisationsprojekt. Parti-
Rahmen man schaffen kann, der dem nicht
ständig. Das finde ich eine interessante
aber dennoch eine Paradoxie, ein Krea-
zipation ist letztendlich obrigkeitsstaatlich
entgegensteht.
Idee. An dem Beispiel würde das natürlich
tivquartier planen zu können. Es müsste
gedacht. Jemand mit einem staatlichen Auf-
DS
eher heissen: Schaffe günstige Voraus-
trag beteiligt die Leute. Für meine Begriffe
ren könnte man deuten, dass es auf Dauer an
setzung für die Möglichkeit der Entfal-
kommt der Ausdruck der sozialen Plastik
Attraktivität verliert?
tung von Potentialen. Und das bedeutet
dem am nächsten. Die Vorstellung, einen
Im Zusammenhang mit Kreativquartie-
US Ja, das kann sein. Aber vielleicht muss
bedeuten, dass man für diesen Wechsel Einheiten plant, welche nicht zu groß sind. p.211
Exkurs — Interview
sie ihre Regeln hat. Die Kreativen wollen ihre
genauso tickt wie er. Und dann vielleicht
falsche oder schlampige Kopierung von Ge-
früher ganz primär bedeutet hat. Der Ort
noch einen. Dann fängt es an, für ihn inter-
nen etwas anderes, das sich dann prüft und
könnte man durchaus planen.
mit den meisten Möglichkeiten. Auf dem
essant zu werden. Die kreativen Menschen
merkt, ob es zurecht kommt oder stirbt.
DS
Land, zwischen zwei oder drei Bauernhö-
sind ja nicht die typischen „Citizens“, also
Das sind quasi diese Events. Sie blühen auf, obwohl eigentlich ein ständiges Angebot an
Das Spannende ist, dass man bei jedem
Besuch etwas Neues entdeckt. Das heißt der
fen, hat man eben nur eine begrenzte Wahl.
nicht die Menschen mit einem gewissen
Ort unterliegt einer ständigen Veränderung
Stattdessen wird heute durch die moderne
Maß für Recht und Ordnung, mit Lebens-
Dingen vorhanden ist, und plötzlich bleibt
oder Anpassung durch die Leute, die das
Telekommunikation und schnelle Infrastruk-
versicherung und Lebensplanung. Es sind
dann etwas Neues. Aber dadurch, dass
Gebäude im Moment nutzen. Muss das Kreativ-
tur auch eine Existenzform eröffnet, die
die Menschen, die eben dieses Nomadi-
ständig Alternativen produziert werden,
quartier einer ständigen Veränderung unterlie-
Kombinationen in einem größeren Netzwerk
sche denken und leben können Es sind die
wird im Prinzip ein morphologischer Raum
gen um interessant zu sein?
zulassen.
Seefahrer oder Weltraumfahrer, sprich es
aufgespannt, der bei einer bestimmten Zahl
US Es gehört allerdings auch dazu, dass
DS
ist eine andere Lebensform, die mit wech-
von Elementen, kontinuierlich Millionen von
etwas gleich bleibt. Ich hatte mich vorher
hallen in Stuttgart nicht existieren würden,
selnden Bedingungen umgehen kann. Im
Kombinationen durchspielt. Am Beispiel des
auf diese Idee des Fluktuierenden in der
dann könnte die Stadt für einen jungen Kreati-
Bild des Seefahrers sind sie eigentlich sehr
Projekts 72HUA 8 in den Wagenhallen haben
Stadt bezogen. Wenn ich es jetzt einmal
ven unattraktiv wirken.
gut aufgehoben. Leute, die mit vielen ver-
die Teilnehmer begonnen zu kombinieren
Gerade zum Beispiel wenn die Wagen-
allgemein aus einem Stadtgedanken he-
US Ja gerade wenn man das Muster schon
schiedenen Situationen navigieren können
und schließlich kam etwas dabei heraus,
raus betrachte, dann ist es gut, wenn es
einmal in anderen Städten wahrgenommen
und damit zurechtkommen. Dazu gehören
das überrascht hat. Es ist also ein ständiger
irgendwo einen Ort gibt, der auch stabil ist.
hat. Wenn eine Stadt nicht wach genug ist
eben auch Häfen, wenn man diese Metapher
Rekombinationsprozess durch Menschen,
Dann kann das andere wandern und sich
und solche Zusammenhänge nicht ganz
nun weiterverwendet. Diese Häfen, das
die sich zusammenfinden und Gedanken
verändern. Da ist wieder dieser fraktale
einordnen kann, dann nimmt sie an einem
sind Strukturelemente oder vielleicht auch
austauschen. „Pop-Up“ oder das Event ist
Gedanke: Ein Netz von kreativ wandelnden
bestimmten Spiel nicht teil. Stattdessen
Kreativhäfen, an denen Gefahr lauert, in
im Prinzip das äußere Geschehen, das sich
Stützpunkte, aber auch etwas, das sich in
wundert sie sich, warum sie nicht attraktiv
der Form des Neuen und Unkonventionellen.
während dieses Prozesses abspielt.
wenigen Dingen als konstant erweist. Ich
wirkt.
spreche von Orten, in denen starke Rekombinationen möglich sind. Das könnte dann
DS
Aktionen ist der, öffentliche Reaktionen zu
Der Reiz bei solchen temporären
produzieren bzw. auch zu provozieren. Man-
Städtewettbewerb und Kreativität Reiz des Improvisierten
auch eine Bedingung an den Ort sein. Dass
che Leute sind verärgert, andere unterstützen das. Die Meinungen sind gespalten. Aber eben
er wandelbar ist, dass er mit Muskelkraft
DS
veränderbar ist, aber auch dass er sich
quantitativ zu messen. Sie nehmen nur am
DS
intellektuell wechselnden Bedingungen
Rande am ökonomisch verwertbaren Prozess
sehr aktuell. Dinge entstehen kurzfristig und
Aufmerksamkeit hervorgerufen wird, die die
anpassen kann. Dann wäre das nämlich ein
teil. Aber dennoch ist das Bewusstsein gestie-
verschwinden dann wieder. Der Reiz des Un-
Diversität in der Stadt unterstützt.
ganzes System weltweit, in dem es immer
gen, diese Menschen mit ihrer ganzen Umwelt
vorbereiteten, des Improvisierten und letzt-
US Das setzt meines Erachtens parallel
irgendwelche Kristallisationspunkte gibt,
an eine Stadt zu binden, weil sie einerseits
endlich auch des Events, das heißt des öffentli-
dazu voraus, dass man öffentlich für eine
die kommunikativ zusammenhängen.
global verknüpft sind und andererseits eine
chen Machens. Auch wenn dies nur kurzfristig
gewisse Liberalität wirbt. Nämlich dass
Unsere Generation ist stark geprägt
gewisse Szene und somit Potential mit sich
stattfindet, kann es dennoch bedeuten, dass
sich nicht an jeder Ecke ein Klu-Klux-Klan
von Kurzanstellungen, gerade bei den Krea-
bringen. Daher könnte es in naher Zukunft
durch dieses kurze Aufleben ein gewisser Geist
gründet, der so etwas aktiv bekämpft, son-
tivschaffenden. Das beeinflusst unser ganzes
möglich sein, das gewisse Städte in diesem
bestehen bleibt, der im Zuge dessen neue Din-
dern dass vor dieser alten Kulisse unseres
Leben. Der konkrete Arbeitsplatz hat sich
Wettbewerb um die kreativen Köpfe verlieren,
ge entstehen lässt.
aufgelöst und wir arbeiten auf dem Weg oder
weil die Anreize fehlen.
DS
p.212
Diese Häfen ziehen an. Das ist Parsifal, von dort kommen die Ritter her. (lacht)
Es ist relativ schwer, kreative Berufe Derzeit ist der Begriff des „Pop-Up“
das finde ich interessant. Dass eine gewisse
Denkens und unseren Handelns sich etwas
US Man könnte das mit der Natur verglei-
ereignet, das immer wieder punktuell etwas
in unterschiedlichen Städten. Kreativquartiere
US Vermutlich ja. Wenn ich überlege, was
chen. Die Natur ist ja enorm verschwende-
Neues ist. „Sei neugierig“ könnte es als
sind dabei Zentren, die in regem Austausch
mich an eine Stadt bindet, dann sind das
risch, wenn man betrachtet, wie biologisch
öffentliche Aufforderung heißen.
untereinander sind und ein Netzwerk bilden, in
die Menschen. Von Häusern allein kann ich
Neues in die Welt kommt. Sie produziert
dem man immer wieder Leute aus demselben
nicht leben. Für einen kreativen Menschen,
ständig Menschen, Pflanzen und Tiere, die
Milieu trifft, die aus verschiedenen Städten
der ständig nur auf taube Ohren stößt, wird
dann in einem Umfeld entstehen, folglich
kommen.
es in dem Augenblick interessant, in dem
beginnen zu wachsen und schließlich über-
DS
er einen einzigen Menschen findet, der
leben oder sterben. Dabei entsteht durch
tion von Stadt. Diese Tatsache drängt sich
US Es ist auch ein soziales Netzwerk, das
Uwe Stuckenbrock
Chancen bietet. Eigentlich das, was Stadt
che und Zufallsbegegnungen entstehen. Das
Wer produziert Stadt? Das heißt, wir sind alle Teil der Produk-
p.213
Exkurs — Interview
Sie müssten offen sein, so dass Kontaktberei-
werden können, oder ständig einer inneren Umdeutung unterliegen. Wir haben festge-
diese auch verändern, egal ob er am Fließband
stellt, das z.B. die Gründerzeitquartiere da-
oder im Kreativbüro arbeitet.
für sehr gut geeignet sind. Sie bieten zum
US Gerade dieser Rollenwechsel vom
einen dieses Konstante und schöne Gebäu-
Zuschauer zum Selbermachen ist wichtig.
de, aber im Inneren lassen sie ganz viele
Wahrscheinlich würde zu so einem Konzept
Umdeutungen zu. Das bedeutet, es sind
auch dazugehören, dass die Städte ver-
ganz viele Zukünfte möglich ohne haltlos zu
suchen, sich weltoffen zu zeigen. Meines
sein. Womöglich ist das beste Kreativquar-
Erachtens ist die Relation von Konstantem
tier nicht eine große Halle, sondern einfach
und Veränderbarem eine wichtige Bedin-
eine Mischung aus Konstantem und Ver-
gung. Eine Klagemauer, die 5000 Jahre
änderbarem. Also ich neige nicht mehr so
lang steht, ist ein heiliger Ort oder garan-
sehr zu dem Begriff der Typologie, sondern
tiert unverändert, obwohl sich die Umge-
beeinflusst durch Christopher Alexander 10
bung ständig verändert und die Menschen
zu dem Begriff des „Pattern“. Ich glaube,
immer neue Dinge hervorbringen. So
vom Ansatz her sind es Funktionspatterns,
entsteht eine Dialektik, bei der immer etwas
die sich verräumlichen. Es sind Logiken des
Neues entsteht, aber das Wesentliche im-
Verhaltens, die stark an die Ontologie des
mer gleich bleibt, nämlich der Mensch mit
Menschen bzw. an seine Eigenart gebun-
seiner Kreativität vor dieser archaischen
den sind. Und wenn man das etwas näher
Kulisse. Beim Entwurf eines solchen Zent-
beleuchtet, wäre es interessant herauszu-
rums könnte ich mir vorstellen, dass man
finden, ob es solche Patterns, also solche
zeitlose Elemente integriert, in denen sich
Kreativpatterns, gibt.
das Leben entfalten kann. Spielräume zum
DS
Leben eröffnen, wie das Ulrich Conrads 9
Gespräch!
Herr Stuckenbrock, vielen Dank für das
1 Djemaa el Fnaa, Zentraler Marktplatz in Marrakesch, Marokko.
Uwe Stuckenbrock
Exkurs — Interview
immer mehr in das Bewusstsein der Menschen. Jeder Mensch ist Nutzer der Stadt und kann
2 Soziale Plastik, Dies ist ein Begriff der von Joseph Beuys geprägt wurde. Dabei vertritt er die Vorstellung einer gesellschaftsverändernden Kunst, nämlich dass jeder Mensch durch kreatives Handeln die Gesellschaft verändern kann. 3 Villa Massimo, ist eine Deutsche Akademie in Rom, die einjährige Stipendienaufenthalte an herausragende deutsche Künstler vergibt. 4 Günther Wand, 1912-2002, deutscher Dirigent. Bekannt für die Einspielung der 5. Symphonie von Anton Bruckner mit dem WDR Sinfonieorchester Köln 1974. 5 ECE, steht für EinkaufsCenter-Entwicklungsgesellschaft. Diese Firma ist europäischer Marktführer auf dem Gebiet von innerstädtischen ShoppingCentern.
mal genannt hat: „Städte sind Spielräume Das Gespräch wurde am 26.08.2012 in Stuttgart geführt. Ist der Begriff der „Typologie“ obsolet? DS
Wir haben festgestellt, dass sich der
Begriff der „Typologie“ nach seiner klassischen Definition durch den Gebäudetyp des Kreativquartiers auflöst bzw. nicht mehr aktuell ist. Das heißt Ort, Substanz und Nutzung vollziehen vollständige Transformationen und bedingen keinen Neubau. Die Hülle ist vorhanden, die Nutzung wurde zeitgenössisch angepasst und transformiert und der Ort oder die Wirkung des Ortes hat sich durch die Nutzung verändert. Bedeutet das, dass wir den Begriff p.214
der Typologie vielleicht erweitern müssen? US Ich denke wir sprechen hier eher von Metatypologien. Orte, die umgedeutet
6 Christiania, die Freistadt Christiania liegt in Kopenhagen und besteht seit 1971 als eine staatlich geduldete autonome Kommune. Sie ist heute ein bekanntes und auch touristisches Ziel in Kopenhagen. 7 Gerd Binnig, *1947, deutscher Physiker und Nobelpreisträger. 8 72HUA, 72 Hour Urban Action; Architektur-Wettbewerb, bei dem 10 internationale Teams in 3 Tagen und 3 Nächten Projekte im Stadtraum planen und gleichzeitig realisieren. 9 Ulrich Conrads, *1923, deutscher Architekturkritiker und Autor. 10 Christopher Alexander, *1936, US-amerikanischer Architekt, Architekturtheoretiker, Systemtheoretiker und Philosoph. Autor des Buches „A Pattern Language: Towns, Buildings, Construction“.
p.215
für Leben.”
NDSM | Kreativquariter in Amsterdam Einführung p. 216 – 225 | Urbaner Kontext p. 226 – 235 | Städtebaulicher Wandlungsprozess p. 236 – 241 | Geschichte p. 242 – 247 | Gebäude p. 248 – 257 | Organisation p. 258 – 259 | Interview mit Rob Post p. 260 – 261 | Interview mit Eva de Klerk p. 262 – 263 | Akteure p. 264 – 273 |
NDSM — Amsterdam
Einführung
p.220
p.221
NDSM — Amsterdam
Einführung
p.222
p.223
und setzt sich aus den ehemaligen Besetzerszenen Ams-
mittelbarer Nähe zur Amsterdamer Innenstadt. Gegen-
terdams, Künstlern, Theaterschaffenden, Skatern und
über des Hauptbahnhofes befindet sich die NDSM
Architekten zusammen. 1 Zur Füllung der Kunststad-
auf der nördlichen Uferseite des Flusses Ij. Das gesamte
Struktur (siehe Grundrisse im Abschnitt Gebäude) kann
Areal der 1984 in Konkurs gegangenen Nederlandsche
jeder Mieter selbst über Kosten, Design und Qualität
Dok en Scheepsbouw Maatschappij umfasst rund
seines eigenen Raumes mitbestimmen. 2
86.000 qm. Die NDSM-Werft – Im Laufe einer autonomen Haus-
Projektergebnis – Heute präsentiert sich die NDSM mit der Kunststad als kultureller und kreativer Anziehungs-
besetzung Ende der 1980er Jahre wird die Kommune
punkt. Weit über 100 Akteure, die primär der Kultur-
Amsterdam-Noord auf die Akteure aufmerksam.
und Kreativwirtschaft zugeschrieben werden können
Die Stichting Kinetisch Noord, verschiedene Hausbe-
Einführung
NDSM — Amsterdam
Einleitung NDSM | Das Gelände befindet sich in un-
befinden sich heute in den Hallen. Sie organisieren sich
setzer der ersten Stunde und Vertreter der Stadtverwal-
im Bottom-Up-Prinzip. Mit regelmäßigen Veranstal-
tung kommen zusammen, um einen Wettbewerb für die
tungen (Partys, Lesungen, Ausstellungen, Theater, Floh-
Halle zu formulieren. Das Konzept sieht die temporäre
markt) und Kunstprojekten auf der Außenanlage des
Ansiedlung kultur- und kreativwirtschaftlicher Nutzer
Areals ist die Hafenbrache als neuer öffentlicher Raum
vor. Dynamo Architekten aus Utrecht gewinnen mit
eine belebte Ergänzung zum Stadtraum.
ihrem Beitrag den Wettbewerb und das Projekt wird kurz darauf mit allen Beteiligten realisiert. Die große Produktionshalle wird instandgesetzt und im Zuge eines Nutzungsvertrages der Initiative übergeben. 1 ative „Kinetisch Noord“ operiert als Trägerorganisation
1 2
vgl. Overmeyer 2004, 49 vgl. Webseite NDSM www.ndsm.nl Bezirk Noord
p.225
p.224
Administration – Die zu diesem Zweck gegründete Initi-
Urbaner Kontext NDSM-werf kinetisch noord tt Neveritaweg 15 1033 WB Amsterdam Amsterdam-Noord
1 : 10 000
NDSM-Werft Gelände
in Amsterdam-Noord Fläche ca. 86 000 m2
p.227
NDSM — Amsterdam p.226
NDSM
Urbaner Kontext Houthavenveer
NDSM — Amsterdam
er gve
we
p.228
Infrastruktur
Bus
Citybike Station Haltestelle
Besonderheit: Hauptstraßennetz Auto 41%, gemischt 59% Fahrradstraßennetz Fahrrad 37%, gemischt 63%
Flächennutzung
Gründfläche Wohnen & Gründfläche Wohnbaufläche Gemeinbedarf & Grünfläche
Gemeinbedarf Gemischte Baufläche Gemischte Baufläche (Verwaltung) Gewerbliche Baufläche
p.229
NDS
eer erfv M-W
tel Dis
Urbaner Kontext Wiese
Wasser
Umgebungsaxonometrie
U-Bahn
Fähre
Haltestelle
Strasse
p.231
NDSM â&#x20AC;&#x201D; Amsterdam p.230
Natur
Urbaner Kontext
NDSM — Amsterdam
250 m 32 0
veer Werf Erreichbarkeit
320 m NDSM-Werft (Fähre) 250 m Klaprozenweg (Bus)
1 : 5 000
Gebäudealter
< 1943
> 2000
1943 – 1985
keine Angabe
1985 – 2000
p.233
p.232
MNDS
Houthavenveer
m
ÖPNV
Urbaner Kontext
NDSM â&#x20AC;&#x201D; Amsterdam
12 12 15
12 16 13 12
12
14 12 2
8 5 10
7 12
12
17
1
6
3 9
11
12
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
NDSM Scheepsbouwloods (Kunststad) IJ-Hallen, NDSM Maschinenhalle (leer) CafĂŠ Restaurant Noorderlicht Huisvesting Studenten (Studentenwohnheim) MTV Networks Headquarter Niederlande Red Bull Headquarter Niederlande Greenpeace Headquarter (ab 2014) IJ-kantine Pllek Strand-Bar & -Restaurant Amstel Botel Amsterdam Stichting Beheer NDSM-werf Oost
12 13 14 15 16 17
Kleingewerbe Hulshoff&Verhuizingen Logistikunternehmen Spinhex & Industrie Drukkerij (Druckerei) KaderLyceum Schule Pantar Amsterdam Schiffsbau- und -reparaturbetrieb
p.235
p.234
Nutzung
Städtebaulicher Wandlungsprozess
NDSM — Amsterdam
Städtebaulicher Wandlungsprozess
Bebauung*
Der städtebauliche Wandlungsprozess vollzieht sich in der Stadt Amsterdam hauptsächlich an zwei Orten: der Innenstadt und entlang des Flusses Ij. Im Bereich der Innenstadt kann man beobachten, dass viele alte Gebäude renoviert und teilweise in Museen umgewandelt werden. Der Anteil von Museen im Innenstadtbereich ist prozentual sehr hoch und das Gebiet wandelt sich zu einem interkulturellen und internationalen Museumsvorplatz für Touristen. Der städtebauliche Wandlungsprozess entlang des Flusses Ij hat schon vor vielen Jahren begonnen. Als nach dem Zweiten Weltkrieg die Werften reihenweise ihren Betrieb einstellten oder
1925
auf ein günstigeres Gelände nord-westlich der Innenstadt verlegt wurden, entstanden nach und nach neue Siedlungen. Borneo Sporenburg, als eine der bekanntesten Wohn- und Arbeitsstätten entlang des Ij und weitere Großprojekte wie die Zeeburgereiland, KNSM-eiland, Westerdokseiland, Silodam folgen auf der südlichen Seite des Flusses. Nördlich des Flusses entstehen heute zahlreiche Prestigebauten. Direkt gegenüber dem neu gestalteten Bahnhofsdach wurde 2012 das EYE Film Institute von Delugan Meissl Associated Architects auf der nördlichen Seite eröffnet. Weitere Investorenprojekte folgen entlang des Ij in nord-westlicher Richtung: Sixhaven, Tolhuistuin oder Buiksloterham werden in den nächsten Jahren zu Wohn-
2013
und Arbeitsstätten umgewandelt. Nach der Ansiedlung von Kreativen auf dem Gelände der NDSM-Werft ist hier ein großangelegtes Projekt namens Mediawharf geplant. Die Kreativwirtschaft auf dem Werft-Gelände wird hier als Instrumentarium für die kommunale Stadtentwicklung von ganz Amsterdam-Noord gesehen. Schon heute befinden sich die Headquarter von MTV Networks BV und Red Bull Nederland auf dem Gelände der NDSM. Greenpeace soll 2014 in die Hallen neben Red Bull einziehen. Im hinteren Teil Amsterdam-Noord befinden sich heute hauptsächlich Wohnhäuser, die aus der Zeit des Schiffbaus stammen und teilweise noch von ehemaligen Arbeitern bewohnt werden. Aufgrund der günstigen Wohnvoraussetzungen haben sich dort
2030
auch viele Bürger unterschiedlicher kultureller Herkunft angesiedelt. Wie sich dieses Gebiet nach den großen Investorenpro-
* Investeringsbesluit NDSM-werf, Concept 26 September 2011, Gemeente Amsterdam Noordswaarts, Self-Made-City und Media-Werf
1 : 10 000
p.237
p.236
jekten am Nordufer des Ij entwickelt, ist fraglich.
NDSM-werf Kultur Media-werf + Self-Made-City
Cornelis Douwes Arbeiten
NDSM-Werft Kultur Media-werf + Self-Made-City
Zeeburgereiland gemischtes Wohnen & Arbeiten
Buiksloterham gehobenes Wohnen & Arbeiten
Städtebaulicher Wandlungsprozess
NDSM — Amsterdam
Nieuwendammerham Arbeiten Hamerstraat gemischtes Wohnen & Arbeiten
Das zentrale IJ-Ufer und die Internationalisierung der Nord- und Südflanke
Sixhaven/ Tolhuistuin Park & Kultur
Borneo/ Sporenburg peninsula gehobenes Wohnen & Arbeiten
Silodam Wohnen & Hotel
Westerdokseiland Wohnen & Hotel
Hauptbahnhof & Station Island
p.238
De Ruijterkade Arbeiten
Quelle: Investeringsbesluit NDSM-werf, Concept 26 September 2011, Gemeente Amsterdam Noordswaarts
Oosterdokseiland gemischtes Wohnen & Arbeiten
NDSM-Werft Kultur Media-werf + Self-Made-City
p.239
Houthavens (Timber Docks) Wohnen
Passenger Terminal Amsterdam
NDSM — Amsterdam
NDSM Gelände
p.240
p.241
Geschichte
NDSM — Amsterdam
* Insgesamt verfügte die Werft seit 1919 über drei betonierte Ablaufplätze. Zwei davon sind heute noch erhalten. 1920 erweiterte sich der Baubestand um zwei Lagerhallen sowie einen Maschinenraum unter dem oberen Ende der Schiffsschlitten. Zudem wurde eine große Werfthalle errichtet, die aufgrund ihrer großzügig angelegten Dachfenster sehr hell war und eine Empore für Schiffsmodelle besaß. 1928 konnte die NSM den bekannten Amsterdamer Bauingenieur G.J. Langhout gewinnen, der fortan alle notwendigen Baumaßnahmen beaufsichtigte. Die Größenverhältnisse der erhaltenen Anlagen sind bis heute beeindruckend. Allein die Werfthalle bedeckt eine Fläche von 20.000 Quadratmetern. Dazu kommen die Docklandhal mit nahezu 6.000 Quadratmetern und die beiden Ablaufplätze mit gut 2.000 bzw. 10.000 Quadratmetern.
NSM-Werft Amsterdam-Noord
1894 Am 25. August gründet sich die NSM im Osten Amsterdams aus einem im Jahr 1891 konkurs gegangenen Schiffsbaubetrieb für dampfbetriebene Schiffe. Im Zuge der beginnenden Industrialisierung konnte im Jahr 1876 die Kanalverbindung zwischen der Nordsee, Amsterdam und dem Hinterland fertiggestellt werden und ermöglichte den Gütertransport zu weit entfernten Kolonien.
NDSM-Werft
1919 – 1920*1 Bau der Werft unter dem Architekt G. J. Langhout, die Stahlkonstruktion lieferten die Dortmunder Union-Werke. Die ursprünglich Werft im Osten ist zu klein geworden.
Bis 1928 werden alle noch brauchbaren Hallen und Lager der umliegenden aufgegeneben Werften demontiert und auf dem NSM-Gelände Noord wieder aufgebaut.
1946 Im Februar schließen sich die beiden konkurierenden Betriebe NDM + NSM*1 zur NDSM (Nederlandsche Dok en Scheepsbouw Maatschappij) zusammen. Sie konzentriert sich ab den 1960er Jahren aus den Bau von Supertankern wie die Melania (1969).
*1 Im Jahr 1937 war der ältere der beiden Betriebe (NSM) zeitweise der größte Schiffsbauer der Welt. (Tankerschiffe und Passagierschiffe)
teilweise Leerstand
27. Sept. 1978 Das Ausbleiben von Aufträgen, die asiatische Konkurenz und Arbeiterstreiks zwingen die NDSM in den Konkurs.
Die Ölkrise von 1973 und 1979 ließ den Tankermarkt zusammenbrechen und führt in den 80er Jahren zur Werftenkrise und Schließung unzähliger Werften der westlichen Welt.
p.243
p.242
Geschichte der NDSM 1895 –1978
Besitzer:
Geschichte der NDSM 1880 –2001
Besitzer:
Wiederrechtlicher gemeinschaftlicher Einzug in ein leer stehendes und/oder zum Abbruch bestimmtes Gebäude. (Duden) Oft erfolgt dies gegen oder ohne Berücksichtigung des Willens des Eigentümers. Die Hausbesetzer-Bewegung (kraakbeweging) begann im Amsterdam der 60er Jahre. Vor dem 1. Oktober 2010 war es unter bestimmten Voraussetzungen geduldet, ein Haus in den Niederlande zu besetzen und war bis dorthing kein Hausfriedensbruch, wenn weder Schlösser aufgebrochen wurden, noch das Haus durch eine andere Person in Gebrauch war. 1980 gab es allein in Amsterdam 20.000 Hausbesetzer, heute sind es nach Schätzungen noch etwa 300.
Broedplaats Initiative Broedplaatsen (Brutplatz) wurde 1999 von der Stadt Amsterdam als speziell auf die Kreativwirtschaft ausgerichtetes Programm gestartet. Es soll das Raumangebot für Künstler, die kulturellen Szenen der Stadt und kreative Startups verbessern. Das Programm Broedplaatsen ist auf Druck der Künstler und der kulturellen Szenen initiiert worden. Anfänglich wurden dabei leer stehende Gebäude an angehende Künstler günstig vermietet. Das Programm wurde als Public-PrivatePartnership mit einem Maßnahmenetat von 4 Mio. Euro unterstützt. Diese Initiative wurde 2007 in das Büro Boedplaatsen (PMB) umgewandelt und aggiert gemeinsam mit kreativen Unternehmern, Gemeinden, Makler, Bauträger und Banken und untersteht der Stadt Amsterdam. Zahlreiche weitere regionale und überregionale Programme und Initiativen (z.B. Creative Cities Amsterdam Area (CCAA), Innovation Platform, Amsterdam Innovation Motor,...) folgten.
Quelle: Doris Rothauer, 23.11.2009 und Wikipedia
Quelle: Kreativwirtschaftsbericht 2012 für Hamburg
Zwischennutzung + Leerstand + Besetzung
1980 Im Mai öffnen die Tore für das Festival of the Fools* in den verlassenen ADM-Hallen im Osten. Die Organisatoren des Theater „Noordwesterwals“ haben die Hallen von der Stadt Amsterdam gemietet.
1984/1985 Trotz Neugründung der NSM und ADM (Reparatur), geht diese bereits im Mai 1984 wieder konkurs und markiert das Ende der Niederländischen Schiffsbauera. 1985 beendet auch die ADM ihre 100 jährige Geschichte.
1987 Der Reparaturbetrieb Shipdock Amsterdam kauf den westlichen Teil des Geländes. Nach einer Umformung 2005, besteht sie heute noch.*
*Der größte Teil des Geländes wird zum „squatter‘s heaven (Hausbesetzer) aus der sich eine unabhängige Künstler Gemeinschaft entwickelt, die noch heute besteht.
1. Offizielle Zwischennutzung
Kinetisch Noord
2. Zwischennutzung
1992-1998 Industriefirmen und die Stadt Amsterdam-Noord unterzeichnen einen Vertrag zur Anmietung der NDSM unter EU-Subventionen. Als Teile der Halle zum Nährboden krimineller Aktivitäten wurde, wurde der Vertrag 1998 wieder aufgelöst. Professionell organisierte squatter Gruppen kamen mehr und mehr auf das Gelände.
1999 Gründung Kinetisch Noord 1999 als Teil des squatter networks zur Neustrukturierung der Werft.
2001 Kinetisch Noord und Dynamo Architecten präsentieren Pläne zur gemischten Nutzung des Areals .
Geschichte
NDSM — Amsterdam
Hausbesetzer (Kraaker)
Wettbewerbsausschreibung der Stadtverwaltung gemeinsam mit Kinetisch Noord. Ein Konzept zur temporären kulturellen Nutzung soll das Gebiet aufwerten und ihm ein neues Image verpassen.
p.245
p.244
*Das jährlich stattfindende internationale Festival of Fools fand zwischen 1975 und 1984 in Amsterdam statt und war ein illustres Treffen unabhängiger Theater-Künstler.
Geschichte
NDSM — Amsterdam
Getrifizierung auf dem Rücken der Kreativen? Im Jahr 1999 wurde von der Stadtverwaltung ein Wettbewerb ausgeschrieben, mit dem Ziel ein Konzept für eine temporäre kulturelle Nutzung des Geländes der ehemaligen Werft zu finden und das Gebiet so schrittweise aufzuwerten und mit einem neuen Image zu versehen. Das Gebiet wurde neu entwickelt und es entstanden Wohn- und Bürogebäude für Kreative unter der Erhaltung des alten architektonischen Charakters. Durch die bewusste Förderung einer solchen Zwischennutzung soll sich letztendlich in den folgenden Jahren ein zwei Quadratkilometer großer Stadtteil mit über drei Millionen Quadratmeter Geschossfläche entwickeln. Die Kreativwirtschaft auf dem Werft-Gelände wird hier als Instrumentarium für die kommunale Stadtentwicklung von ganz Amsterdam Nord gesehen.
Kinetisch Noord
Geschichte der NDSM 1880 –2001
Beginn der Gentrifizierung ?
2001 – 2005 Bau Kunststad, Einweihung der Struktur im Dezember 2004. Eigene Fertigstellung der Nutzer bis ca. 2007
p.246
seit 2005 Stichting SkatePark Amsterdam eröffnet auf einer 7m hohen Plattform in der alten NDSM-Halle seinen 1750 m2 großen Skateparkt.
2007 Over het Ij Festival. 25 Theater-Shows werden in 11 Tagen im Sommer gezeigt. Weitere Festivals folgen wie z.B. das Voltt Loves Summer Festival u.A.
seit 2007 Media Warft MTV, IdTV, Discovery Channel, HEMA, u.A.
2011: Ende des Mietvertrages mit Option auf Verlängerung um weitere 10 Jahre.
2008 NDSM wird zum National bzw. Industrie Monument erklärt.
2011 Red Bull Headquarter Niederlande zieht auf das NDSM-Gelände.
MTV Networks Headquarter Niederlande. Die „Mediawharf“ beheimatet auch die Niederländische Film- und TV-Produktionsfirma IDTV, die in den spektakulären Neubau „Kraanspoor“ eingezogen sind. Weitere international aggierende Firmen folgen.
2011 Red Bull Headquarter Niederlande zieht auf das NDSM-Gelände.
Auf dem Gelände der NDSM, vor allem zwischen den Docks und in den IJ-Hallen, findet regelmäßig ein Flohmarkt statt, der viele Menschen auch aus dem Umland anzieht.
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Besitzer:
0 5 10
Gebäude
NDSM — Amsterdam
Zugänge
25m
3 × große Rolltore davon 1 × Hauptzugang im Süd-Westen div. Nebenzugänge
Querschnitt Richtung Westen
Längsschnitt Richtung Westen
21
4
4
6
Hard Facts Dynamo Architecten,
7
6
Edo Keijzer, Charlotte Ernst, Peter de Bruin Projekt Architekt
Peter de Bruin
Stadtplaner
Dynamo Architecten, Utrecht I.S.M. Huurders/with Tenants en/and Filip Bosscher
Fertigstellung
2004 – 2007
Bauherr
Stichting Kinetisch Noord
Vertragspartner
Volf Kunststad (Amstelviet en/and MVB-Bouw), Amster dam
Statiker
Buro Boerkoel, Utrecht
Struktur-Baukosten
€ 1 650 000
Baukosten je Quadratmeter
€ 220
1
6
6
6
6
6
6
6
6 5
7
6
5
6
6
6 3 2
4
p.250
6
2
4
6
1 Kranspur; 2 Straße; 3 diagonale Straße; 4 Freifläche/Aktionsfläche; 5 Brücke; 6 Ateliers; 7 SkatePark
p.251
Architekt Utrecht:
p.252
Verhältnis* vorgefundene Bausubstanz 1999 zu Einbau und Umbau durch Kreative 2012
* Grundlage dieser Untersuchung sind die laufenden Meter Wand aus vorliegendem Planmaterial der entsprechenden Jahre. Damit sind auch die einzelnen Stellwände und Änderungen der Kreativen messbar.
65 % vorgefundene Bausubstanz
3 % abgerissen
Gebäude
97% noch vorhanden
32% Ein- und Umbau
p.253
NDSM — Amsterdam
Verhältnis* ursprüngliche Bausubstanz 1920 zu noch vorhandenem Bestand 2013
Gebäude
NDSM — Amsterdam
Gebäudenutzung Das Innere der NDSM-Halle (auch Scheepsbouwloods genannt) wird sehr unterschiedlich genutzt. Besonders charakteristisch für die NDSM als Kreativquartier sind ihre Einbauten: die Kunststad und der Skatepark auf der zweiten Etage. Die Kunststad Der Kern des Gebäudes wurde mit containerartigen Raumzellen gefüllt, ohne die konstruktiven Elemente der Halle sowie das Führerhaus der Kranspur usw. anzutasten. In dieser
Dachhaut Fachwerk mit Oberlicht Konstruktion unter Decke
eingebauten Struktur arbeiten kreativ Schaffende, die der Kreativ- und Kulturwirtschaft zugeschrieben werden können. Die Kunststad ist aus zwei Ebenen aufgebaut. Die Erdgeschossebene besteht hauptsächlich aus Lagerflächen und Werkstätten. Auf der zweiten Ebene befinden sich Büros und Künstlerateliers, die mit einem Erschließungs- und Wegesystem verbunden sind. Eine dritte Ebene ist zwar eingeplant, wird aber bis heute nur teilweise genutzt. Die Erschließung der dritten Ebene erfolgt
Dachkonstruktioin (2. Obergeschoss) potenzielle Erweiterung Skatepark (bis 2014)
ausschließlich über die Räume der zweiten Ebene. Freiflächen in den Scheepsbouwloods Alle Akteure teilen sich die freie Fläche unter einem gemeinsamen Dach. Zeitweise wird die freie Fläche für Performances, Installationen oder Theaterstücke verwendet. Besonders
Erschließung OG Treppen- und Wegesystem mit zentralem Aufzugskern
der hintere Teil der Halle mit dem hohen Dach inspiriert die Akteure. Wenn ein Künstler zeitweise eine größere überdachte Fläche benötigt, genügt eine Absprache mit den zuständigen Personen. Das Innere der Scheepsbouwloods wird von seinen Akteuren kontinuierlich verändert, neu inszeniert oder anders
1. Obergeschoss hauptsächlich Büroflächen, Ateliers, div. Medien
genutzt.
konstruktives Raster Einbauraster Kunststad freie Atelier-/Aktionsfläche
p.255
p.254
Erdgeschoss hauptsächlich Werkstätten und Lagerfläche, auch Ateliers
Gebäude
NDSM — Amsterdam ca. 51 ca. 46 ca. 18 ca.10
Büros Werkstätten Lagerstätten Andere
p.257
p.256
NDSM-Kunststad bei ca. 124 doppelte Raumzellen (Stand Jan. 2013)
Organisation
NDSM — Amsterdam
Organisation Durch den städtischen Wandlungsprozess fühlen sich die kreativ Schaffenden der ersten Stunde bedroht, weswegen sich mehrere Organisationen auf dem Gelände der NDSM gebildet haben. Allen voran geht die „Stichting Kinetisch Noord“, die sich bereits zum Zeitpunkt des Wettbewerbs (1999) der Kunststad gebildet hat. Gemeinsam mit der Stadt Amsterdam und dem Stadtteil Amsterdam-Noord wird ein Wettbewerb ausgeschrieben. Auch die „Broedplaats“ Initiative ist damals schon mit von der Partie. Aufgrund sehr unterschiedlicher Interessenvertreter, die auf das ehemalige Gelände der NDSM einwirken, gibt es heute zahlreiche solcher Organisationen. Im Schaubild rechts sind nur die offiziellen und wichtigsten OrgaStadt Amsterdam
nisationen genannt und in ihrem Zusammenspiel sehr vereinfacht dargestellt. Ihre Mitglieder nehmen oft mehrere Funktio-
Broedplaats Initiative
nen ein, so ist der Vorsitzende der „Vereniging De Toekomst NSM“ auch im Beirat der „Stichting Kinetisch Noord“ vertreten. (SDAN) Stadteil Amsterdam-Noord
Die allgemeine Koordination des Geländes untersteht der „Stichting Beheer NDSM-werf Oost“, welche die Freiflächen im Außenbereich verwaltet und z. B. Konzerte oder Flohmärkte organisiert. Das gesamte Areal untersteht wiederum der „BV Durf“. Sie
BV DURF (gesamtes NDSM Areal)
ist direkter Vermittler zwischen dem Gelände und der Stadtverwaltung. Der Stadtteil Amsterdam-Noord und die Stadt Amsterdam entscheiden gemeinsam über eine Vielzahl von Initiativen, die dem Gebiet zugute kommen, wie der „Broedplaats“ Initiati-
Kunststad
Skatepark
Freiflächen
Kreativwirtschaft ist aber sicherlich auch von MTV Networks
Noorderlicht
ren Mitspracherecht ist teilweise noch ungeklärt. Der Erhalt der interkulturellen und internationalen Szene um die Kultur- und
Oostvleugel
zahlreiche internationale Firmen auf dem Areal ansiedeln. De-
Hochkreative
ve und vielen mehr. Gerüchten zufolge werden sich zukünftig
Stichting Beheer NDSM-werf Oost
Vereningen De Toekomst NSM
Stichting Kinetisch Noord
Flohmarkt Flächenvermietung Veranstaltungen etc.
Verwaltung Entwicklung Technik Hauhaltsführung
Finanzierung Geb.-Instandhaltung Kreativ-Programm Büro/Verwaltung
Physische Verwaltung des Gebietes(Reinigung, Landschaftsbau, Beleuchtung, Sicherheit)
Stellt Vereinsvorstand, der die Interessen gegenber der BV Durf u. Stadt A‘ dam vertritt.
Sie verwaltet die Vermietung der Flächen an Kreative und Start-ups für niedrige Mietpreise.
p.259
p.258
und Red Bull Nederland gewünscht.
Organization and process
If we regard the creative industry as an
urban economy, how does a creative space influence reurbanisation? Are there any standard planning strategies?
November-Dezember 2012 geführt. The City SB
What was the response to the NDSM
creative space in 2012?
SB
RP Creative industry is indeed a major de-
rent fallow land or abandoned buildings and
velopment force of the urban economy.
would it be possible for the city to assist develo-
That is true especially for our post-industrial
pers? Or do you see it as a risk in case of ur-
Amsterdam Noord. Creative spaces at NDSM
ban development?
might in the future lead to reurbanisation
RP Slowly but surely, all key partners (pro-
when NDSM can partly become a residential
ject developers, housing corporations,
RP The response was positive despite the
area. General reurbanisation along the north
the city and the Stadsdeel) have realised that
bank of the river IJ is already taking place,
temporary use is one of the keys for con-
on NDSM. There are new perspectives for
influenced by the establishment of arts spa-
tinuing redevelopment in times of crisis. In
three of the most “problematic” buildings in
ces, such as the EYE Film Institute.
fact, most of the developments at NDSM
terms of redevelopment. The monumental
Strategic plans are part of a number of “be-
have a temporary character. Unused areas
stemmingsplannen” (zoning schemes) and
can be made available for short projects
Crane (urban hotel), The Lasloods (welding shopping mall), The Smederij (headquarters
from the City of Amsterdam as well as from
The Stadsdeel does not see much risk. On
of Greenpeace International). In 2011 and
the Stadsdeel.
the contrary: temporary projects and con-
The Building of NDSM
and public space at NDSM.
tracts prevent deterioration of buildings
came to the Wharf, including a well-known Amsterdam Gallery, the HISWA Yachting Fair, and the headquarters of retail chain HEMA. Obviously, all this growth is not without
SB For a creative quarter to exist in the long
SB
What would you think of reducing the
rights of ownership in the case of vacancies? „Creative industry is indeed a
term, the applicants need to come together
RP This has already happened for a number
risk. Success implies popularity which implies
and form an organization. As a result, it may
of the NDSM buildings in order to stimulate
major development force of
urban revitalization. How do you judge the ur-
lose its appeal for some subcultures and crea-
building restoration and development. The
urban economy. That goes
ban revitalization process in Amsterdam-
tive artists. Is the institutionalisation of cre-
Stadsdeel believes it is a useful instrument.
Noord as a result of the NDSM?
ative spaces mandatory to prevent them dissol-
RP Stadsdeel Amsterdam Noord sees urban revitalization as something hardly avoi-
p.260
— Site of „The monumental Crane“ (urban hotel) in front of the NDSM
such as events, festivals, and marketplaces.
“structural visions” (general spatial plans)
2012, new companies, both large and small,
SB
How do you handle temporary usage in
a judicial way, for example, make available or
financial crisis which clearly has an impact
hall) (boxpark contemporary high-end
Interview mit Rob Post
Dieses Interview wurde in mehreren Schritten via E-Mail von Sascha Bauer im Zeitraum
SB
ving?
Today and future
RP This is easier in some areas in Noord
dable and only for a small part under the in-
than in others. Since the collapse of the
SB
fluence of the Stadsdeel. Revitalization at
shipbuilding industry in the eighties, the
and the temporary users today?
NDSM itself does indeed take place. But the
NDSM has developed as a jig saw puzzle of
Stadsdeel protects the raw and original
organisations and stakeholders in the com-
character of NDSM by supporting cultural in-
mercial and cultural fields. The Stadsdeel
itiatives, protecting the artists’ studios
sees this puzzle as one of the strong points
complex in the shipbuilding hall, and suppor-
of NDSM but recognizes and supports the
ting the NDSM Foundation that looks after
need for promoting cooperation between
public space and organises festivals and cul-
them. The goal is to create a network of
tural programmes. Revitalization of the
organisations that know and respect each
residential areas north of the NDSM is not
other’s role and will work on a number of
an issue. The Stadsdeel sees the arrival of
common objectives.
new and young inhabitants in these areas as positive: it creates a better mix.
especially for our post-industrial Amsterdam Noord.“
How is the relationship between the city RP Generally speaking, very good.
Quelle Foto
http://www.dsm.nl Tim Stet
p.261
NDSM — Amsterdam
Interview mit Rob Post in der Funktion als „Stadsdeelvoorzitter van Amsterdam-Noord“
successful. I first thought about squatting
government for it; it is also up to the people
that have hardly anything to do with a
but decided to enter a competition for
to fight for their rights and make a state-
Sascha Bauer
creative quarter.
reusing the NDSM because I believe that go-
ment and hold out. Subculture is everywhere,
vernment should allow and provide self-
even in the most unexpected of places. It
initiated and self-managed space to the peo-
should not be too organised :-)
The NDSM
Dieses Interview wurde im Zeitraum November-Dezember 2012 in mehreren Schritten via E-Mail geführt.
ple in stead of a total sell-out to developers. SB
We heard of riots in Amsterdam in the
And we were ready for the next stage and
late 90s. Many artists took to the streets to Intro
protest about the lack of alternative and affordable workspaces. Were there earlier ideas
SB
The City
Our research deals with the questions re- for a conglomeration of creative people in Am-
garding potential urban creative spaces. Spe-
sterdam? And how did you eventually come
SB
cifically, we examined the Museumsquartier in
across the NDSM site?
you refer to interactions with real estate deve-
In several publications and reports,
Vienna, the Wagenhallen in Stuttgart, the ‘NDSM-
EK I have worked for many art initiatives
lopers and municipals and the changing poli-
Warf’ in Amsterdam, and the Binz in Zurich.
and theatre companies and we started our bu-
tical climate. During our on-site research, we
These four creative spaces represent a certain
sinesses in the squats along the river IJ.
picked up on a typical problem of Amsterdam:
range of what can be understood as types of
When we were threatened with eviction as a
the ‘erfpacht’. Can you explain briefly what ‘erf-
creative quarter. While we refer to the Museums-
result of urban development plans, we set
pacht’ is and explain to what extent it was a
quartier in Vienna as an institutive creative
up a think tank and prepared a manifesto out-
problem for the NDSM and Kunststad to the ‘In-
quarter, the Binz in Zurich can be described as
lining our participation in city development,
dustrial Monument’?
an autonomous occupied quarter. The Wagen-
but from the bottom up and by ‘doing it toge-
EK The city of Amsterdam owns all land and
hallen and the ‘NDSM’ are in between. What do
ther’ (DIT). We believed that urban deve-
‘leases’ it (erfpacht) for a certain period,
lopment is at its best when it is done both
say 50 to 100 years. In this way, Amsterdam
you think of this classification?
p.262
Eva, thank you for this conversation!
more certainty in our business careers.
Interview mit Eva de Klerk
company, Greenpeace, HISWA, garages, etc.
EK I don’t know much about Wagenhallen
ways – from the top down (like in the mu-
is always in control of what is happening in
and Binz, so it is hard to say. It seems like
seum quarter or any other area) and from
the city. I do not see it as a problem, other
you are comparing apples with pears. We
the bottom up (like the NDSM Shipbuilding
than that Amsterdam’s economic model de-
also have a Museumquartier in Amsterdam,
Warehouse, Het Veem, Ot301, Pakhuis Wilhel-
pends on generating high income by selling most land to the highest bidder. As a result,
which you cannot compare with NDSM, and
mina, etc.). I think we were initially accep-
there is no direct link other than that some
ted and internationally recognised as essen-
land is preferably sold to developers and it
artists are exhibited in the museums. A mu-
tial for the cultural, social, and economic
is hard to get a slice of the cake when you
seum is about consuming art. It is governed
climate of the city when we moved into the
are a group of people who, in some cases,
by a city council and is important for the
Guild of Industrial Buildings along the river IJ.
can actually pay the same price. It’s about
city’s cultural profile. NDSM is about the pro-
Obviously, there were agglomerations be-
trust. But now, due to crisis, we have to re-
duction space. It is initiated by the people
fore but they focussed more on social hou-
and represents a plea for affordable space
sing. From social housing came affordable
SB
to accommodate all sorts of low threshold
workspaces and job creation. Amsterdam
singly becoming the focus of attention. In
disciplines, including skateboarding, arts,
was so focussed on selling land and maxi-
the case of Amsterdam, the whole city has been
crafts, boat workers, hip-hoppers, cultural
mising profit that important groups were
transforming into a museum forecourt but the
entrepreneurs, social and educational
excluded. I came across NDSM when I was
creative people are increasingly displaced to the periphery. Do you think this makes sense?
— „Street“ between the southern free space and the Kunststad
think city economics. The creative potential of a city is increa-
projects, sustainable energy groups, local
working for a site-specific theatre group,
initiatives, and so on. It is also important
while campaigning for space to develop our-
EK This is a normal cycle and has been hap-
for the city’s dynamics and cultural climate.
selves at the same time. They are user
pening everywhere in the world for over
NDSM, however, is also home to a dock,
generated, assimilate naturally into the neigh-
hundreds of years. There are some places in
yachts, a steel company, the Hema retailing
bourhood/environment and often more
the centre too. And I would not blame the
Quelle https://helanonline. cn/article/1438
p.263
NDSM — Amsterdam
Eva De Klerk, Stichting Kinetisch Noord und Initiatorin der Kunststad, im Gespräch mit
Akteure
NDSM — Amsterdam
Akteure Seitdem die Stadt Amsterdam gemeinsam mit ehemaligen Mitgliedern der Besetzerszene Amsterdams, Künstlern, Theaterschaffenden, Skatern und Architekten mit Hilfe eines Wettbewerbs das Gelände, die Hallen und die Wasserbecken den Kreativen zur Verfügung gestellt hat, entwickelt sich das Gelände zu einem fantastischen Areal für Kunst und Kultur. Auf dem gesamten Areal arbeiten mehrere Verbände, Vereine und andere Gruppierungen. Aber auch internationale Firmen, die die kreative und hippe Szene zu schätzen gelernt haben, sind mittlerweile anzutreffen. Die Vielfalt kennt keine Grenzen. Künstler, Architekten, Theatergruppen, Designer, Musiker und Freidenker haben hier eine zweite Heimat gefunden. Neben den Künstlerproduktionsflächen gibt es diverse Veranstaltungsräume, Veranstaltungen unter freiem Himmel, Cafés und Räumlichkeiten, in denen regelmäßig Ausstellungen, Konzerte oder Tanzabende stattfinden. Veranstaltungen auf dem Außengelände, wie Flohmärkte, Konzerte, Theateraufführungen usw. locken weitere Besucher an. Es ist ein Ort der künstlerischen Begegnung geworden, ein Ort für Experiment und Forschung, der sich in ständigem Wandel befindet. Genau dieser Wandel macht es schwierig, eine genaue Zählung und Zuordnung der Kreativen vorzunehmen. Anhand ihres primären Tätigkeitsbereichs wird versucht, die Akteure unter Zuhilfenahme der Definition Kultur- und Kreativwirtschaft (siehe Abschnitt Typus) einzuordnen. Kreative, die mehrere Tä-
Pressemarkt 06%
tigkeitsfelder bedienen, werden auch prozentual mehrfach zugeordnet.
Architekturmarkt 16%
Werbemarkt 04%
Das Ergebnis entspricht einer subjektiven Quantifizierung anhand genannter Definitionen, um eine Vergleichbarkeit der Quartiere zu ermöglichen.
Sonstiges 02% Designwirtschaft 04%
Musikwirtschaft 20%
Darstellende Künste
24%
Kunstmarkt 14%
Filmwirtschaft 08%
p.265
p.264
Rundfunkwirtschaft 02%
Akteure
NDSM â&#x20AC;&#x201D; Amsterdam Abb. vorangegangen Stichting Skatepark Amsterdam Michael Groenewegen Vorsitzender fĂźr Skateboards, Inline-Skater, Bikes and more Schnupperkurse, Skate-Kurse, Privatstunden Veranstaltungen, Wettbewerbe
Abb. rechts Stichting Klean Peter Smith and others Direktor und Botschafter, Fotografie, Kunst, Installation Entwicklung kreativer Konzepte Public Space, Intervention
p.269
p.268
Abb. links Draisma Industrial Design Eibert Draisma industrial design, products art, performative installation public space, events
Akteure
NDSM — Amsterdam
Abb. vorangegangen Studio Anton Surink Dipl.-Ing. Anton Surink Hausboote, Office, Apartments interiors and exteriors teilt das Atelier mit Elvira Vroomen Leder- und Textildesign
Abb. rechts Interieur architectuur Conny Deerenberg Innenarchitektur Möbeldesign, Küchendesign Inneneinrichtungen
p.273
p.272
Abb. links Mark Knoester Meubelmaker Mark Knoester Schreiner und Designer, Möbelbau, Küchen, Inneneinrichtungen, Treppenbau, Gestaltung
bauen kann. Es hat sehr viel mit Stadtaneig-
im Juni 2013 an.Die Kooperation mit der Stadt
nung, Stadtgebrauch und Teilhabe an Pro-
projektes Urban Catalyst (2001-2003), Büro-
wäre wahrscheinlich eine Möglichkeit, den
jekten mit unterschiedlichen Formen von
SB
gründung Studio UC/ Klaus Overmeyer 2004,
Erhalt der Binz zu sichern. Bei dem Gedanken
Öffentlichkeit zu tun. Insofern passt dieses
Bottom-Up oder Top-Down? Wir sehen den Be-
kömmlichen Verwertungslogiken. Entwicklung von Kreativquartieren –
Professur für Landschaftsarchitektur an der
hat sich die Idee entwickelt, dass ein solcher
Label „Kreativquartier“ eigentlich nicht so
ginn der Entwicklung solcher kreativen Räume
Bergischen Universität Wuppertal, im Gespräch
Ort vielleicht zu einer eigenen Typologie wer-
gut, weil dieses eben sehr instrumentalisiert
in einer autonomen Grundhaltung. Erst später
mit Sascha Bauer
den kann. Als Phänomen würde ich es bereits
wird. Im Endeffekt geht es nur um den Ver-
kommt in manchen Fällen das Interesse der
jetzt schon bezeichnen. Würdest du es auch
kauf. Ich glaube, darin besteht eine große
Stadt hinzu. Bei der NDSM in Amsterdam wurde
Gefahr.
ein Wettbewerb ausgeschrieben. Dann wird
Einführung SB
Vor etwa anderthalb Jahren haben wir
einen Entwurf bearbeitet, dessen Aufgaben-
p.274
kreativen Räumen. Eine Alternative zu her-
in dem Kontext Kreativquartier so sehen, dass die leerstehende Architektur eine Ressource
SB
Das ist schon passiert, hier in Stuttgart.
für Kreative ist? Begriffsfrage Kreativquartier –
Es gibt seit April 2012 ein Leerstands- und
nur ein Label?
Zwischennutzungsmanagement der Stadt Stutt- vielleicht doch nicht mehr so zufrieden und
gemeinsam mit einem Architekten geplant. Anschließend sind die bisherigen Zwischennutzer
stellung die Planung eines Kreativquartiers am
KO Das sind jetzt verschiedene Dinge, die
gart. In einer Broschüre, die die Stadt heraus-
Hamburger Oberhafen, direkt neben der Ha-
hier zusammen kommen. Vielleicht fangen
gebracht hat, sind 35 Kreativquartiere auf-
KO In Amsterdam hat die Stadt als Eigen-
fenCity umfasste. Während des Entwurfs kam
wir mit dem Begriff „Kreativquartier“ an.
gelistet, unter anderem auch Bürogebäude, in
tümer diese Werft an einen Verein vergeben,
die Frage auf, ob ein Kreativquartier überhaupt
Das ist ein Term, den es noch gar nicht so
denen nur Grafiker und Architekten sitzen. Für
Kinetisch Noord. Der Verein hat sich
planbar ist. Was ist überhaupt ein Kreativquar-
lange gibt, der erst in den Debatten der
uns war dann die Frage: Ist das ein Kreativ-
in der Ursprungsphase gegründet und sich
tier? Die Aktualität des Themas veranlasste
letzten 3-4 Jahren aufgekommen ist. Ich
quartier oder ist es einfach eine Bürogemein-
dann auch eingehend Gedanken über die
wollen vermutlich wieder etwas anderes.
uns dazu, das Projekt weiter auszudehnen und
glaube, der Begriff wird sehr weit benutzt,
schaft, in der alle Nutzer ähnliche Interessen
Nutzungsstruktur gemacht. Zusammen mit
mehrere Leute dazu zu befragen. Begonnen
von Städten, Immobilienentwickler und
verfolgen? Daraufhin haben wir begonnen,
einem Architekten haben sie ein Briefing und ein Raumprogramm entwickelt. Dieses
hat alles mit der Frage, ob ein Kreativquartier
anderen. Ich kann mir vorstellen, dass der
eine Programmatik zu entwickeln. Einerseits
in den nächsten Jahren zu einer Typologie
Begriff Kreativquartier eine ähnliche Karri-
auf der Basis der mitteleuropäische Definition
wurde dann auch gestalterisch umgesetzt.
werden kann. Eine wichtige Frage ist auch hier
ere wie der Begriff der Gartenstadt macht
der Kultur- und Kreativwirtschaft und wer zu
Der Architekt hatte hier eine sehr wichtige
die Zwischennutzung und deren etwas unkon-
und irgendwann zu einem Allerweltsbegriff
dieser Gruppe zählt. Andererseits auf Basis
Rolle, er hat mit den Nutzern zusammen
ventionelle Variante der Hausbesetzung und
wird, den die Leute für ihre Absichten ins-
der möglichen Öffentlichkeit im Gebäude.
gearbeitet. Es war nicht so, dass die Stadt
Aneignung. Damit ein Kreativquartier erhalten
trumentalisieren. Zunächst einmal hat der
KO Also von meiner Seite gesehen hätte ich
werden kann, muss für mich ein gewisser
Begriff Kreativquartier unterschiedliche
einen anderen Zugang dazu. Der wesentli-
Grad an Öffentlichkeit entstehen. Also eine
Wurzeln und mittlerweile auch starken
che Unterschied in der Stadtentwicklung ist
SB
Aufmerksamkeit von verschiedenen Seiten, wie
Einfluss auf die Stadtentwicklung, aber auch
für mich, dass diese eher konsumentenba-
Willen bzw. das Wohlwollen der Stadt passiert.
den Touristen oder der Stadt. Mit dem Privileg
auf die Immobilienentwicklung. Dort wollen
siert ist. Man überlegt sich einen Endnutzer
In Karlsruhe ist etwas ähnliches passiert,
der Aufmerksamkeit ändert sich die Besucher-
sie Urbanität; alles muss dicht geplant und
oder Endverbraucher und dafür baut man
allerdings mit einem anderen Ausgang. Da hat
gesagt hat: „Hier hast du 20.000 qm Halle, bau’ da mal was Schickes rein.“ In Amsterdam ist das also durch den
struktur und das Gebiet wird mit immer mehr
vernetzt sein. Für die Entwicklung heißt es
ein Quartier. Für mich ist eigentlich die Ini-
die Stadt gemeinsam mit Architekten einen
Auflagen belegt, sowohl aus den eigenen Rei-
dann primär, dass es interessante Nutzun-
tialzündung für solche Kreativräume nicht
Schlachthof zu einem Kreativquartier umgebaut.
hen als auch von Außen. Das Kreativquartier
gen mit Kunst und Kultur, aber natürlich
der Nutzer, der am Ende steht, sondern
Jetzt sind die Mietpreise so hoch, dass sich
wird also zu einer Art Institution. Man könnte
auch Kommerz und Versorgung gibt.
der am Anfang des Prozesses steht. Eine
das wahrscheinlich nicht mehr jeder Künstler
vom Nutzer getragene Entwicklung, bei der
leisten kann. Das wäre für mich mit dem MQ
nem Kreativquartier zählen? Ich nenne jetzt
die Nutzer selbst auch zu Raumproduzen-
vergleichbar: Atelierräume nur für Stipendiaten.
eines solchen Prozesses ist mit überproporti-
mal bewusst und überspitzt den Flagship-Store
ten werden. Da geht es meines Erachtens
Ergo nur, wenn der Künstler für die Stadt oder
onaler Ausstellungsfläche, Museen, Cafés usw.
im Kreativquartier.
nicht um die Vermarktung von kreativen
das Konstrukt MQ ökonomisch verwertbar ist und einen Mehrwert bieten kann.
nun sagen, dass das MQ (MuseumsQuartier
SB
Wien) in unserem Vergleich das Endstadium
Würden für dich solche Nutzungen zu ei-
Klaus Overmeyer
gewünscht. Der neue Abrisstermin steht jetzt
Wenn ein Kreativquartier zu einer Institution
KO Nicht unbedingt. Aber ich würde schon
Produkten, sondern darum, dass die Nutzer
geworden ist, hat auch die Stadt ein Interesse
sagen, dass die ökonomische Wertschöp-
eine eigene Idee von Raum und Raumge-
Was passiert also, wenn die Stadt und der
daran und der Erhalt ist gesichert. In der be-
fung eine Rolle spielt, damit Geld erwirt-
brauch entwickeln und selbst zu einer Art
Architekt eingegriffen haben? Man könnte das
setzten Binz in Zürich ist das Gegenteil der Fall.
schaftet wird. Ich bin skeptisch, dass man
Eine Öffentlichkeit wird von den Nutzern nicht
als Immobilienentwickler wertorientiert
„Projekt-Akteur“ werden. Das finde ich, ist
mit einem Gentrifizierungs-Prozess verglei-
das Interessante an der Entwicklung von
chen, dabei werden die Nutzer zwangsläufig
p.275
Exkurs — Interview
KLAUS OVERMEYER, Prof. Dipl.-Ing. Landschaftsarchitekt, Co-Initiator des Forschungs-
Sie wissen nur: Nutzer spielen eine Rolle. Al-
lung dieser Quartiere. Eine solche organische
vergangenen Jahren sind so eine Reihe von
ternative Ökonomie- und Verwertungsstra-
Entwicklung braucht eine zeitliche, aber auch
schon alles da ist. Das Konstrukt fällt schnell
innovativen Projekten, Ideen und Immobi-
tegien, der Umgang mit Bestand und auch
eine ökonomische Perspektive die wiederum
in einen Erhaltungsdrang und kommt der Idee
lienprojekte entstanden. Ich glaube, was
andere Raumstrategien spielen eine Rolle. All
Teilhabe an Gemeinschaftsräumen oder Grund-
einer Institution sehr nahe.
jetzt noch aus der alten Stadtentwicklung
das hat nicht unbedingt etwas mit städte-
besitz ermöglicht. So dass die Nutzer, die sich
kommt, ist der Umgang mit Transforma-
baulichem oder architektonischen Entwerfen
engagieren, auch eine Möglichkeit der Teilhabe habe. Gleichzeitig denke ich aber auch, dass
KO
SB
Wien kann das MQ international ver-
markten und dadurch viele Touristen, Inves-
tionsarealen. Da gibt es in der Stadtent-
zu tun. Das finde ich eine sehr interessante
toren usw. anziehen. Das ist – ganz klar –
wicklung unzählige Beispiele, bei denen die
Entwicklung und Tendenz. Ich glaube, auf die- es für solche Quartiere wichtig ist, eine Art
ein Top-Down gesteuerter Prozess. Das hat
Zwischennutzer oder Besetzer sich Gebiete
sem Feld gibt es enormen Forschungsbe-
Durchlauferhitzer zu haben. Zonen, die per de-
aber meines Erachtens noch viel mit den
spontan angeeignet haben und es dabei
darf.
finitionem immer nur temporär sind. Wo Leute
permanent zum Konflikt mit der herkömmlichen Stadt- und Projektentwicklung kam.
Die Frage der Zwischennutzung – Start-Up
bestimmten Zeitraum wieder etwas anderes
zu vermarkten. Daraus entstand, glaube
Ganz unterschiedliche Entwicklungspfade
mit begrenzter Dauer?
passieren wird. Ich denke, dass man das in
ich, auch die Idee, dass jede Stadt ein MQ
gibt es da hinsichtlich Immobiliendruck und
braucht.
lokalen Akteuren. In den seltensten Fällen
SB
haben die Besetzter das Gebiet übernommen
modell behaupten, neue Gebäude können keine
Form von Spielregeln ganz gut in den Entwurf Ich möchte in einem kurzen Gedanken-
integrieren kann. Um auf deine Frage zurück zu kommen: Für mich ist der Neubau mit dem
dass auch das MQ eine Vorgeschichte mit halb-
und ihr eigenes Biotop daraus gemacht.
Kreativquartiere sein. Die Mieten für kreativ
Potenzial der Transformation nicht ausgeschlos-
legalen Zwischennutzungen hat. Da das Gebäu-
In den meisten Fällen wurden sie instrumen-
Schaffende wären zu hoch. Zwischennutzungen
sen. Ich bin natürlich auch ein Verfechter von
de stadtzentral ist, war die Stadt schon immer
talisiert oder verdrängt. Relativ neu in der
von Brachen oder leer stehende Gebäuden sind
Muck Petzet und Lacaton et Vassal, deren Liebe
daran interessiert, es verwertbar zu machen. An
Stadtentwicklungsdebatte ist, dass diese
eine echte Alternative. Der Begriff „Zwischen-
dem Bestand gilt. Davor habe ich sehr hohen
diesem Beispiel hat die Stadt sehr stark in das
Kreativquartiere eben nicht von oben ge-
nutzung“ deutet ja im Wort selbst schon darauf
Respekt und versuche, zuerst die Energie, die im
Gebilde eingegriffen, es wurde zur städtischen
plant werden können, sondern dass man
hin, dass sie lediglich für eine begrenzte Dau-
Bestand liegt, zu wecken oder zu transformieren.
Institution. Bei der NDSM in Amsterdam lief
versucht, gerade in Städten mit sehr hohem
er existiert. Aber gibt es für Zwischennutzun-
das sanfter ab, bei den Wagenhallen Stuttgart
immobilienwirtschaftlichen Druck, zu einer
gen letztendlich nur die Möglichkeit, sich zu
Nutzerwechsel. Sagen wir mal, ein Kreativ-
institutionalisieren oder sich aufzulösen?
quartier wird für die begrenzte Dauer von
SB Das bedingt aber auf jeden Fall einen
noch mehr. Die Stadt als Eigentümer lässt die
anderen und neuen Form von Stadtent-
Künstler agieren, da es wohl eh irgendwann
wicklung zu kommen. Es geht nicht darum,
im Zuge der Gebietsentwicklung abgerissen wer-
dass die Nutzer aus Kreativbranchen kom-
solchen Kreativquartieren spielen die Erneu-
untereinander haben in dieser Zeit auch zu
den soll. In der Binz in Zürich versucht die
men, sondern es geht eher um Fragen der
erung und der Jungbrunnen eine sehr große
Freundschaften und Kooperationen geführt.
Stadt, die autonomen Besetzer los zu werden.
Teilhabe der organischen Entwicklung und
Rolle. Die herkömmliche Stadtentwicklung
Es hat sich also ein Netzwerk gebildet, das
Der Abriss ist erneut angekündigt, diesmal für
der Integration von Bestand in eine ergeb-
denkt ja stark in diesen Polen, temporär oder
nicht unbedingt ortsgebunden sein muss.
Juni 2013. Es stellt sich also die Frage, was
nisoffene Entwicklung. Die lokalen Akteure,
dauerhaft, und kommt am Ende vielleicht zum
Das Netzwerk wird durch eine Auflösung des
KO Ich glaube bei der Entwicklung von
drei Jahren entwickelt. Die Bekanntschaften
passiert, wenn ein Investor oder die Stadt das
also nicht nur Bürgerbewegte, sondern
Dauerhaften. Was man bei vielen Zwischen-
Kreativquartiers und die örtliche Verteilung
Potenzial eines Ortes erkannt hat und in wie weit
auch Unternehmen, Initiativen und Genossen-
nutzungsprojekten sieht ist, dass die Leute äl-
der Kreativen – evtl. auch in entferntere Orte –
der Architekt in deren Auftrag dann eingreift.
schaften, werden in einer solchen Entwick-
ter werden und irgendwann auch mal „Ruhe“
permanent größer. Erst weiten sich die Ma-
lung stärker mit einbezogen.
haben wollen. Gleichzeitig kann man bei vielen
schen und anschließend werden die Lücken mit
KO Die ganze Diskussion um Creative Cities
p.276
landen können, aber klar ist, dass nach einem
90er Jahren zu tun, als man versucht hat, Städte über Events oder Ikonen-Architektur
Im Dezember 2012 haben wir ein erzählt,
Du sprichst also vom Wandel der klassi-
Klaus Overmeyer
Mehrwert für alle Beteiligten bieten. In den
kann nicht mehr wirklich partizipieren, da ja
ist ja schon relativ alt, angestoßen durch
SB
Zwischennutzungsprojekten erkennen, dass
neuen Kontakten gefüllt. Genau da sehen wir
Richard Florida und Charles Landry. Ich
schen Planungsstrategie als Stadtplaner, in
eine Erstarrung eintritt. Man merkt, dass aus
ein Potenzial. Ist das Temporäre eine große
glaube diese Diskussion hat in verschiedene
der eine Gebietsentwicklung quasi offen bleibt
den Zwischennutzern und Aktivisten Immobili-
Chance für die Branchen der Kultur- und Kre-
Bereiche der Stadt- und Projektentwicklung
und gemeinsam mit dem späteren Nutzer ge-
enbesitzer geworden sind, die sich ihr eigenes
ativwirtschaft?
ausgestrahlt. Vor allem Immobilienentwick-
plant werden kann. Also eine neue Entwick-
Königreich geschaffen haben und damit in die
KO Grundsätzlich glaube ich, dass man
ler sind darauf aufmerksam geworden. Sie
lungsstrategie?
Rente segeln wollen. Für mich wäre es eine gro-
Stadt nicht einfrieren kann. Stadt ist eher ein Komposthaufen, der ständig in Wand-
vertreten die Ansicht, dass sich Räume
KO Genau. Der Entwickler überlässt den
ße Herausforderung, erst einmal eine dauer-
von Co-Working-Spaces mit kombiniertem
Nutzern ein gewisses Feld. Wie sie das Feld
hafte Perspektive zu schaffen. Die ist meines
lungsprozessen steht. Jedes einzelne Pro-
Wohnen gut vermarkten lassen und einen
bespielen, wissen beide Seiten noch nicht.
Erachtens sehr wichtig, gerade in der Entwick-
jekt, das einmal temporär gestartet ist – ob
p.277
Exkurs — Interview
ausgetauscht. Jemand der neu dazukommt,
von Anfang an da waren, hat es wenig inter-
private Eigentümer, einen Bezug zum Ge-
m2 vermietet werden können. Sie haben es
essiert was dort sonst so passiert, sie wollten
biet aufbauen, ist man schon einen Schritt
nur arbeiten.
weiter. Optimal wäre natürlich, wenn diese
Die Kunst dabei ist es, je nach Projekt her-
so gut entwickelt, dass heute alle Räumlich-
auszufinden, wie wichtig es ist, den richtigen
keiten belegt sind und auch die Eigentums-
KO Klar. Der Konflikt ist ein Katalysator,
noch erkennen, dass das Kreativquartier
Zeitpunkt des Absprungs zu finden. Also die
rechte etc. geklärt sind. Von Außen kann
der oft zu einer Umbildung oder Formalisie-
zu ihrem Projekt wird und sie damit etwas
Auflösung des Projektes nach einer gewissen
ihnen eigentlich nichts mehr getan werden.
rung führt.
verändern können. Dann steigt plötzlich
Zeit. Oder hat das Projekt das Ziel, als Noma-
Sie haben sich so eine „Burg“ gebaut.Der
de ganz unterschiedliche Orte zu besetzen?
Raum ist zu diesem Zeitpunkt durch die
Ausdehnung des Kreativquartiers im städti-
eine Schule zum Beispiel spielen interne
Das kann auch ein Prinzip sein. Oder ist das
Wagenhallen definiert. Da gibt es Mauern,
schen Kontext – die vernetzte Stadt
Dinge eine Rolle. Was im Umkreis passiert,
Projekt eher als ein Rhizom an-
eine Art Schutzraum. Aber in der Keimzelle
gelegt, das an einem Ort Keimwurzeln schlägt,
brodelt es noch ziemlich. Es ist nicht so,
sich ausbreitet und dabei Kraft entfaltet. Unterschiedlichste Konzepte sind mög-
ist dabei weniger wichtig. Angenommen, die Schule würde auf die Idee kommen,
dass Nutzung, Finanzierungsform oder
Idealzustand eines Kreativquartiers denkt,
30 Prozent ihrer Klassenräume in die WH
Nutzungsart zwischen Akteur und Bauherr
dann wäre es für mich super, wenn es nicht
auszulagern, dann verändert sich die Situ-
lich und man muss sich in dem Prozess sehr
übereinstimmt und sich eine Burg daraus
nur um eine Immobilie geht. Eine Halle
ation. Dann entsteht eine vernetzte Stadt,
stark Reflektionen unterwerfen. Immer wieder
entwickeln kann. Sehr spezifisch für diese
oder ein Gebäude, in dem ein paar Kreative
eine andere Idee von Lernen, Bildung und
schauen: Wo stehen wir eigentlich und wo
organischen Kreativquartiere ist, dass sie
arbeiten. Anders wäre das, wenn das Ganze
Wissenschaften. Dann denkt man Schu-
wollen wir hin? Was macht unser Pro-
sehr stark mit Oszillationen zu tun haben.
nun eine große, kritische Masse erreicht,
le zusammen mit beruflichen Biografien.
jekt eigentlich aus? In welche Richtung wollen
Es gibt ein starkes Ausloten und
wie z.B. in München. Bei diesem Wettbewerb
Genauso könnte auch eine Kulturinstitution
wir uns entwickeln?
Austarieren zwischen den Nutzungen in der
in München wurde nicht über einzelne Ge-
handeln oder ein Investor, der Wohnungen
näheren Umgebung. In vielen Gebieten es
bäude gesprochen, sondern über eine Art
entwickeln will.
Der städtebauliche Kontext – Segen oder
geht knallhart um die Raumfrage: Wer
Labor-Quartier und zwei Hallen auf einem
SB
Fluch?
hat die Hoheit über den Raum? Wer kann
Gebiet von 3-5 ha. Dieses Gebiet wird zu ei-
Funktion von Gebäude.
den Raum gebrauchen? Es geht dabei um
ner Schutzzone erklärt, in der man zwar
KO Stadtplaner und auch Immobilienent-
Finanzierung und um Geld. In vielen Fäl-
politisch verankert, dass es Wohnungen
wickler haben einen gemeinsamen Nenner,
in dem Gebiet, werden immer mehr zugebaut.
len kommt es dann auch zu einer Phase, in
gibt, aber der man auch einräumt, dass sie
was als Quartier bezeichnet wird. Es wer-
Gleich nebenan entsteht die Duale Hochschule
der das Ganze zu einem Krieg führt. Dann
sich langsamer entwickeln darf als andere
den Nutzflächen geschaffen. Diese werden
Gebiete.
verkauft und die Stadt macht „ein bisschen
Die Wagenhallen in Stuttgart, als Solitär
Baden-Württemberg, nach deren Fertigstellung
versuchen alle, Bauträger, Immobilienbe-
sich täglich 1500 Schüler auf dem Gelände
sitzer, Stadtverwaltung oder kreative Nutzer,
SB
bewegen werden. Die Aktionsfläche vor den Hal-
irgendwie die Oberhand zu gewinnen und
lichen Maßstab gedacht?
Also den Quartiersbegriff im städtebau-
Also die Auflösung der klassischen
öffentlichen Raum“ als Gegenleistung. Insofern alles veräußert werden kann, funk-
len und der Raum vor den Ateliers könnte eine
haben jeweils ihre eigene Strategie. Entweder
KO Genau. Damit spannt man ein Feld auf,
tioniert das auch. Der Begriff Quartier ist
enorme Einschränkung erfahren, da die Flächen
durch rechtliche Festsetzungen, durch Kauf
in dem es andere Rahmenbedingungen gibt,
ein ökonomisches Rechenmodell, das sich
als Erweiterung des Schulhofes herangezogen
des Geländes oder auch durch Festivals,
ohne herkömmliche Verwertungslogik, quasi
für die Stadt rechnet, weil Steuerzahler
werden könnten. Welche rechtlichen Konsequen-
Besetzung und öffentliche Aufmerksamkeit.
ergebnisoffen. Es gibt zwar einen städte-
einziehen und sich das natürlich auch für
zen das haben würde, kann man sich ausmalen.
Es gibt oft Phasen, in denen diese Interes-
baulichen Entwurf, verschiedene Ökonomien
den Eigentümer oder Immobilienentwick-
sen sehr stark miteinander konkurrieren.
und es werden Organisationsmodelle ent-
ler rentiert. Aber dieser Quartiersbegriff
wickelt. Dafür nehmen wir uns Zeit, fünf Jah-
hat nichts zu tun mit den gesellschaftli-
KO Bei den Orten, die wir in unserem Ge-
p.278
das Engagement von allen Seiten. Für
KO Wenn man jetzt an den möglichen
SB
spräch untersucht haben, gibt es fast
SB
Dieser Konfliktaspekt ist bei fast allen
Klaus Overmeyer
entwickelt, mit der die restlichen 13.000
sich in einem solchen Umwandlungsprozess.
immer einen Kristallisationskern, der seine
Kreativquartieren vorhanden und zumindest
re beispielsweise, ein Spielfeld, das wir uns
chen Herausforderungen, denen wir uns
Zeit zur Entwicklung benötigt. Wir nehmen
in den Wagenhallen braucht es diesen auch,
selbst erschaffen haben. Grundsätzlich
in Zukunft stellen müssen. Fragen wie: Wie
als weiteres Beispiel das Gelände der Exro-
denn nur durch diesen Konflikt ist das Ganze
macht es auch sehr viel aus, wenn sich in der
wollen wir leben? Wie ist unser Zusammen-
taprint in Berlin, eine aufgegebene Fabrik.
entstanden. Es gibt dort jetzt den Kunstverein,
Stadt und unter allen Beteiligten die Hal-
leben? Was macht eigentlich Spiritualität
Zwei Schlüsselakteure ziehen als Mieter ein
eine Kooperationen mit der Stadt, Veranstal-
tung entwickelt, dass alle davon profitieren
aus? Wie bewegen wir uns fort? Wie lernen
und haben 2.000 m2 von den gesamten
tungsreihen und den Veranstaltungsbereich. Das
können. Wenn man an den Punkt kommt, an
unsere Kinder? Wie ernähren wir uns? In
15.000 m2. Sie haben ein Geflecht, eine
alles hat sich meines Erachtens nur durch
dem auch die angrenzenden Akteure, ob
dem herkömmlichen Quartiersbegriff wird
Organisationsform und Finanzierungsform
diesen Konflikt ergeben. Denn die Leute, die
Bauträger, Schulen, Kulturinstitution oder
das alles nur reduziert auf eine quantifi
p.279
Exkurs — Interview
die Akteure das wollen oder nicht – befindet
jeder seine eigene Hütte mit den zur Verfügung
SB
Berechnung mit Goal-Standards, Energieef-
stehenden finanziellen und materiellen Mitteln?
logie. Könnte das Kreativquartier also nicht
fizienz-Zertifikaten und Menschen, die mit
KO Dafür bin ich zu wenig Architekt. Ich
im Sinne eines städtebaulichen Gefüges, son-
Erdgasbussen fahren. Das ist alles top, aber
will das auch nicht „brandmarken“. Es gibt
dern als Gebäude oder vielleicht Gebäudean-
an den wesentlichen Fragestellungen geht das
da ganz hervorragende Sachen. Es geht
sammlung zu einer eigenständigen Typologie
eigentlich vorbei.
nicht darum, sich aus den Sachzwängen zu
werden?
SB
verabschieden und zu sagen, „wir machen
Die Charta von Athen im stadtplaneri-
Abschließend noch eine Frage zur Typo-
Klaus Overmeyer
Exkurs — Interview
zierbare und technologisch wirtschaftliche
KO Ich denke hier nicht in baulichen Typo-
schen Sinne, wie auch die einzelnen Gebäude-
hier neue Ökonomien“. Es gibt ganz klar
logien, sonder eher in Methoden. Wenn man
typologien, scheinen sich also immer weiter
eine wirtschaftliche Seite und die muss sich
dieses Quartier als einen bestimmten Prozess
aufzulösen. Da stellt sich für mich die Fragen
auch rechnen. Dann müssen sich die Leute
oder Methode sieht, dann ist das für mich viel
ob der herkömmliche Typologiebegriff über-
damit auseinander setzen. Mir geht es
mehr Wert. Wenn man sich dem annähert und
haupt noch Bestand hat?
eigentlich nur darum, dass Architektur und
ergebnisoffen agiert.
KO Ich glaube, dass der Architekt immer
Städtebau in einem anderen Kontext disku-
SB
einen Hang zur Autonomie hat. Architek-
tiert werden und nicht nur in irgendwelchen
Ich bedanke mich für das Gespräch.
Das Gespräch wurde am 12.02.2013 in
ten wollen sich mit den gesellschaftlichen
Fachjurys, in denen auch nur Architekten
Transformationsprozessen oft nicht aus-
sitzen. Wir müssen davon wegkommen,
im Bistro 21 des Bahnhofsturms Stuttgart
einandersetzen. Sie ziehen sich auf eine
dass das die einzige Ebene der Diskussion
geführt.
autonome Position zurück und behaupten,
ist.
sie bauen Stadt und definieren Räume, in denen Stadt entsteht. Dem fügen sie die
Regelwerk und geistige Freiheit
Begriffe Nutzungsmischung, europäische Stadt und Urbanität hinzu, und das Kapitel
SB
ist für sie zu Ende. Ich hasse diesen Begriff
und irgendwie scheitern die Pläne immer an
p.280
SB
irgendwelchen öffentlichen Stellen. Die letzt-
oder sogar missbraucht wird. Was für mich
endliche Umsetzung eines Projektes ist nur
den Reiz ausmacht ist die offene Situation
ein ganz kleiner Teil des Gesamtprozesses.
und dass über Stadtentwicklung neu ver-
KO
handelt und neu debattiert wird. Dass
Aber für diese Diskussion haben sie Raum
diese Situation auch damit zu tun hat,
geschaffen. In München in Form eines
Das ist überall so. Auch in München.
dass nicht nur über feste Bilder und Rende-
Wettbewerbs. Der Wettbewerb war Auslöser
rings diskutiert wird. Wichtiger ist eher, wie
dafür, dass diese offenen Parameter nun in
man mit Bestand umgeht, wie man sich
der Stadtverwaltung, in der Politik und bei
zusammen organisiert, welche Vorstellung
den Parlamentarien festgesetzt sind. Ein
man als Individuum hat, aber auch welche
Labor – drei Hektar groß – das Ganze nennt
Vorstellungen wir von Gemeinschaft haben.
sich Kreativquartier. So haben sie sich ei-
Man merkt, dass der Raum eine viel stärker
nen Freiraum und einen Spielraum geschaf-
formbare Masse ist und wie diese Masse
fen. Ein erster Schritt wäre, zu sagen: „Wir
geformt wird, bestimmt nicht allein der
nehmen uns Zeit. Über den Raum reden wir
Architekt. Das Thema wird in eine größere
später. Wir denken Stadt einmal anders.
Debatte einbezogen, aus der letztendlich
Wie genau, das wissen wir noch nicht. Wir
die Form entsteht.
stellen erst einmal Fragen.“ Das ist ein
Und dann entstehen Gebäude oder
Städte, die diesen Randbedingungen gerecht werden? Überspitzt gesagt: Baut dann wieder
großer Schritt. Ich glaube dann können wir Städte in den Griff bekommen.
p.281
„Kreativquartier“, weil er so oft gebraucht
Man sieht oft, dass es viele Ideen gibt
Museumsquartier | Kreativquartier in Wien Einführung p. 282 – 289 | Urbaner Kontext p. 290 – 301 | Geschichte p. 302 – 305 | Gebäude p. 306 – 319 | Institutionen als Akteure p. 320 – 325 |
Museumsquartier — Wien
Einführung
p.286
p.287
ben werden, sowie etliche weitere Räume, die das Pro-
benslust – das MuseumsQuartier Wien ist mit rund 70 kultur-
duzieren und das Ausstellen als einheitliches Konzept
ellen Einrichtungen nicht nur eines der weltweit gesehen größten
behandeln.
Kunst- und Kulturareale sondern mit seinen Innenhöfen, Cafés
Als touristische Einrichtung ist das MQ aus Wien nicht
und Shops auch eine Oase der Ruhe und Erholung inmitten der
mehr wegzudenken. Über 300 Jahre sind vergangen
Stadt.“
seit dem Bau der ursprünglich kaiserlichen Hofstallun-
Auf dem etwa 90.000 qm großen Gelände des MQ sind
gen. Eine informelle Vorgeschichte mit anschließender
nahezu alle Bereiche der Kultur- und Kreativwirtschaft,
langer Planungsphase haben den Komplex MQ zu dem
von bildender und darstellender Kunst, Architektur, Mu-
gemacht, was es heute ist. Ein – in planerischer Hin-
sik, Mode, Theater, Tanz, Literatur, Kinderkultur, bis
sicht – abgeschlossenes Projekt, das sich zwar weiterent-
hin zu Game Culture, Street Art, Design oder Fotografie
wickelt und verändert, aber sein Ziel einer etablierten
vertreten.
Einrichtung erreicht hat. Als „fertiges Projekt“ stellt das
Kunst und Kultur wird hier nicht nur produziert, son-
Einführung
Museumsquartier — Wien
Einleitung — Museumsquartier | „Kunstgenuss und Le-
MQ ein mögliches Entwicklungsszenario eines Kreativ-
dern auf professionelle Art und Weise auch vermarktet.
quartiers dar. Im Gegensatz dazu sind die anderen drei
Der Gedanke der parallelen Produktion und Konsump-
Quartiere auf dem Weg, zur Institution zu werden oder
tion war immer Teil der Planung des Quartiers und
gar sich aufzulösen.
somit Kriterium dafür, mit in unsere Untersuchung aufgenommen zu werden. Diese Tatsache macht das MQ einzigartig und zum Kreativquartier, welches sich somit von dem ähnlichen Komplex der Museumsinsel bergt u. a. Künstlerateliers, die über Stipendien verge-
p.289
p.288
abgrenzt. Das im Areal angesiedelte Quartier 21 beher-
Urbaner Kontext
Museumsquartier — Wien
1. 7.
6. 4. 5. Museumsplatz 1 1070 Wien Österreich
1 : 10 000
Bezirke
1. Bezirk (Zentrum) 3,01 m2 16 854 Einwohner
6. Bezirk 2
1,48 m 29 623 Einwohner
7. Bezirk 1,61 m2 30 392 Einwohner
p.291
p.290
Museumsquartier
Urbaner Kontext
Museumsquartier — Wien
Bus
Citybike Station
Tram
U-Bahn
Flächennutzung
Sondergebiet Wohngebiet Wohngebiet/Geschäftsviertel Baugebiet/Geschäftsviertel
Gemischtes Baugebiet Nicht definiert
p.293
p.292
Infrastruktur
Urbaner Kontext
Museumsquartier — Wien
Parkflächen
Städtebauliche Axonometrie
Bus Tram
Citybike
p.295
p.294
Natur
Urbaner Kontext
Museumsquartier — Wien
1:5 000
Flächennutzung
Kernzone
Außenzone
p.297
p.296
Museumsquartier
Urbaner Kontext
Museumsquartier — Wien
40
m
m 50
p.298
1:5 000
Gebäudealter
< 1943
> 2000
1943 – 1985
keine Angabe
1985 – 2000
p.299
110 m
Schwarzplan / Entfernungsringe
1
2 3 2
3
5
Urbaner Kontext
Museumsquartier — Wien
1
4
4
6
Politik & Justiz
Kultur
1 2 3 4
1 2 3 4 5 6
Parlament Justizpalast Bundesministerium für Justiz Stiftskaserne
Volksgarten Volkstheater Naturhistorisches Museum Kunsthistorisches Museum Hofburg Semperdepot
4
3 Konsum
1 Österreichische Geographische Gesellschaft 2 Akademie der Bildenden Künste 3 Technische Universität Wien
1 Maria-Hilfer Straße ist eine der größten Einkaufsstraßen in Wien 2 Gumpendorfer Straße: Cafés und kleine Geschäfte 3 Siebensterngasse: Cafés und Geschäfte 4 Burggasse: Cafés und Geschäfte
p.300
Nutzung
1 1 3 2
2
1:5 000
p.301
Erziehung
Geschichte des MQ 1719 –1918
Geschichte
Museumsquartier — Wien
Phase I: Hofstalllung
1719 Beginn der Bauarbeiten. Der Idealplan - als Vorbild dient Fischer von Erlachs Rekonstruktion der „Domus Aurea Neronis“ - sieht u.a. Stallungen für 600 Pferde, einen „Wagenschupfen“ für 200 Karossen- und Galawagen, ein Amphitheater für die ZuschauerInnen von „Carousel´s“ im großen Hof und eine Pferdeschwemme vor.
1725 Fertigstellung der Hauptfront. Die Hofstallungen erweisen sich schon bald als zu klein.
1850 – 1854 Kaiser Franz Joseph I. lässt die Hofstallungen von Leopold Mayer umgestalten und erweitern. Die Winterreitschule im klassizistischen Stil und eine Sommerreitbahn kommen hinzu.
1918 Nach dem Ende der österreichisch-ungarischen Monarchie wird ein Großteil der Bestände versteigert. Die Hofstallungen hatten bereits durch die Erfindung des Automobils ihren Verwendungszweck als Stall- und Wagenburg verloren.
Geschichte des MQ 1921 –1982
Phase II: Messepalast
1921 Die Wiener Messe nutzt die Hofstallungen als Ausstellungsgelände. Hinter der Winterreithalle wird eine große Halle errichtet. 1922 entsteht die Bezeichnung „Messepalast“.
1940 – 1945 Im Messepalast finden Propagandaveranstaltungen statt.
1946 Die Wiener Messe nimmt ihre Tätigkeit wieder auf, es kommt zu weiteren Um- und Zubauten, die zum Teil provisorischen Charakter haben. Im Haupthof werden in der Folge zwei große Hallen errichtet.
1982 Diskussionen um die Nutzung des Messepalastes als Shopping-City (Bautenminister Karl Sekanina, SPÖ), Hotel (Finanzstadtrat Hans Mayr, SPÖ) oder Kulturforum (Wissenschaftsminister Heinz Fischer, SPÖ).
1986 – 1987 Ausschreibung der ersten Stufe eines Architekturwettbewerbs. Zwingend unterzubringen waren unter anderem eine Ausstellungshalle und das Museum Moderner Kunst. Unter 88 eingereichten Projekten ermittelt die Jury sieben PreisträgerInnen, darunter die Brüder Laurids und Manfred Ortner.
1989 Busek bezeichnet das Areal erstmals als „MuseumsQuartier. Der Schwerpunkt des neuen „enthistorisierten“ Konzepts liegt nunmehr auf zeitgenössischer Kunst und Kultur.
1990 April: Die Jury empfiehlt einstimmig den OrtnerEntwurf zur Ausführung. Er sieht unter anderem zwei Türme (einen schlanken mit elliptischem Grundriss für die Bibliothek und einen zylindrischen für Büros) vor.
1983 Fischer gibt das Konzept für ein Kulturforum in Auftrag.
p.303
p.302
Geschichte des MQ 1983 –1990
Phase II: Messepalast
Geschichte
Museumsquartier — Wien
1995 Dritte Redimensionierung: Die Kubatur ist gegenüber dem Wettbewerbsprojekt um die Hälfte verkleinert, der Turm gekappt, die maximale Höhe beträgt 24 Meter. Das MUMOK verliert ein Stockwerk, die Grundfläche ist um 25% kleiner. Die Neuplanung beginnt. Nach langen Auseinandersetzungen fällt die Entscheidung gegen den alsarchitektonisches Zeichen geplanten Leseturm. Es starten Pilotprojekte zur kulturellen Nutzung (Architekturzentrum Wien, Kunstraum, Depot, Kindermuseum, Public Netbase u. a.).
2008 3,6 Mio. BesucherInnen jährlich, 1,3 Mio. BesucherInnen in den kulturellen Einrichtungen.
1997 Baubewilligung und positiver Bescheid des Denkmalamts. Im Dezember erfolgt der Spatenstich. 1998 Baubeginn
2001 Abschluss der Bauphase I. Offizielle Eröffnung des MQ durch Bundespräsident Thomas Klestil, Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, Bildungs- und Kulturministerin Elisabeth Gehrer, Bürgermeister Michael Häupl.
2011 Das MuseumsQuartier feiert Ende Juni das 10-jährige Jubiläum seiner Eröffnung.
2002 Abschluss der Bauphase II d.h. Renovierung des historischen Fischervon-Erlach-Trakts und Errichtung des quartier21 (Eröffnung am 13. September).
Juni 2004 Aufgrund von Frequenzzählungen werden bereits 2,5 Millionen MQ-BesucherInnen pro Jahr errechnet. 95% der BesucherInnen sehen das MQ als Bereicherung für die Stadt. Fertigstellung MQ West, Breite Gasse. DSCHUNGEL WIEN Theaterhaus und Glacis Beisl feiern Eröffnung. Abschluss der Bauphase III. Der 100. Künstler des Artist-in-Residence Programms des quartier21 zieht ein.
2006 Nach 5-jährigen Bestehen startet das Museumsquartier einen Ideenwettbewerb mit der Frage, wie das Areal 2020 aussehen könnte.
2011 Erweiterungsentwurf von Ortner & Ortner. Das Projekt mit dem sogenannten Titel „Libelle“ sieht einen Anbau am Leopold Musuem vor.
p.305
p.304
Geschichte des MQ 2008 –2011
Geschichte des MQ 1995 –2006
Museumsquartier Bauphase
Gebäude
Museumsquartier — Wien
Nutzungsfläche Gesamt Hof 6 Vorplatz ca. 13.000 m2
Hof 7 Hof 4
Hof 5
Hof 8 Innenhöfe ca. 4.800 m2
Haupthof 1
Vorplatz ca. 13.000 m2
Haupthof ca. 10.000 m2 Hof 3
Hof 2
Vorplatz
Nutzungsfläche Innenräume
Architekturmuseum
Museum Moderner Kunst Wien
Halle E+G Zoom Kindermuseum
Quartier 21 7.000 m2
Gemischte Nutzung
WienXtra Kinderinfo 251 m2
Gemischte Nutzung
Tanzquartier Wien 985 m2
Performance
Theaterhaus Dschungel Wien 1.198 m2
Theater/ Performance
Zoom Kindermuseum 1.786 m2
Museum
Architekturmuseum Wien 1.914 m2
Museum
Halle E+G 2.862 m2
Theater/ Performance
Kunsthalle Wien 4.654 m2
Museum
Museum Moderner Kunst Wien 13.156 m2
Museum
Leopold Museum 11.298 m2
Museum
Kunsthalle Wien
Leopold Museum
Tanzquartier
Quartier 21
Quartier 21
p.308
Theaterhaus Dschungel Wien
p.309
wienXtra Kinderinfo
Gebäude
Museumsquartier — Wien
Zugänglichkeit
Gebäudeeingriff
Gebäudeeingriff
p.311
p.310
Gebäudeeingriff
Grundriss Hautpeingang
Grundriss Hautpeingang
Schnitt
Schnitt
Ansicht
Eingangsbereich Ausstellungsflächen
Ansicht
Eingangsbereich Ausstellungsflächen
p.313
p.312
2
1
1
2
Kunsthalle Wien
Gebäude
Museumsquartier — Wien
Leopold Museum
Quartier 21
Gebäude
Museumsquartier — Wien
MUMOK Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien
Grundriss und Schnitt Gebäudebestand & Transformation Visuelle Geschichtsbezüge 1
2
2
Skulpturen als Referenz 1
Grundriss Hautpeingang
Säulen und Gewölbe
Schnitt
Ansicht
Eingangsbereich Ausstellungsflächen
Fassaden und Öffnungen
p.315
p.314
Decken und Beleuchtung
Gebäude
Museumsquartier — Wien
Kunstproduktion Artists in Residence
Öffentlicher Raum
Studio 501
Studio 01 Studio 802
Studio 513
Studio 02
Studio Black Sea Stizmöbel „Enzi“ Studio 513
Studio 513
Methoden der Organisation
Studio 501
Studio 01 2
43 m2
77 m
Studio 513
Studio 02 53 m2
Studio 613
43 m2
Studio 802 43 m2
Studio Black Sea 67 m
2
54 m2
p.317
p.316
Studio 713
74 m2
Gebäude
Museumsquartier — Wien
Cafe Leopold Glacis Beisl Kunstgenuss Halle
Gastronomie
Corbaci
Kantine
MQ Daily
MQ Daily
p.319
p.318
Überwachung
nen mit wechselnden Gesichtern. Bei den unterschiedlichen Institutionen handelt es sich um Museen und andere kulturelle Einrichtungen. Sie haben eine eigene feste Hierarchiestruktur, die unter dem Begriff Museumsquartier als eigenständige Einrichtungen agieren.
— Marketing/Werbung im Museumsquartier
Institutionen als Akteure
Im Falle des Museumsquartiers sind die Akteure Institutio-
p.321
Museumsquartier — Wien p.320
Institutionen als Akteure
Museumsquartier — Wien
Museumsquartier Gelände
p.322
p.323
Museumsquartier — Wien
Museumsquartier Gelände
p.324
p.325
pold-Museum. Die ursprüngliche Idee war,
neue Architektur zu wenig offensiv. Doch
dass das MQ eine Art Work in Progress ist
gruppe für die Neustrukturierung der Bundes-
das MQ war eines der ersten Projekte, wo die
und verschiedenste Dinge dazukommen, wie
alle werden mit Einladungen überschwemmt.
museen eingesetzt. Deren Empfehlung: den
Vermischung zwischen Alt und Neu konkre-
Anlagerungen.
Gegen diese Inflation muss man strategisch
MO Natürlich besteht diese Gefahr. Aber wir
Messepalast in eine Museumsinsel zu verwan-
te Formen bekam. Das war eine Herausfor-
deln. Doch es dauerte. Zuerst galt es ja noch zu
derung im innerstädtischen Bereich und
MO Nein. Bisher nicht. Wolfgang Waldner
hänge herstellen - auch international. Das
klären, ob nicht vielleicht doch ein Shopping-
betrifft alle europäischen Metropolen. Und
war als MQ-Geschäftsführer eher ein Major-
könnte wie bei Biennalen sein, dass es ein
center ins Areal der Hofstallungen einziehen
von der Figuration her ist das MQ von der
domus, der dafür sorgte, dass das Areal in
großes Leitthema gibt.
sollte. Oder gar ein Hotel? 1986 wurde die er-
ersten Minute an so gewesen, wie es jetzt
Ordnung gehalten wird, Schanigärten hinein- AS
ste Wettbewerbsstufe ausgeschrieben, aus 88
dasteht. Man kann ruhig stolz darauf sein,
kommen und die Besucher gut verköstigt
Projekten kamen für die Jury sieben in die en-
dass das architektonische Konzept gehalten
werden. Das ist ja auch alles geglückt. Aber
umsinsel immer überraschend gut ab. Woran,
gere Wahl. 1990 gewannen Laurids und Manfred
hat.
was von allem Anfang an verabsäumt wur-
glauben Sie, liegt das?
Ortner den Bewerb. Doch es dauerte wieder:
AS
AS
Jeder neue Mumok-Direktor baut erst
vorgehen und wieder größere Zusammen-
Passiert das?
AS
litische Kontroversen später wurde einer der
Karola Kraus tut es wieder. Ein Zeichen von Pla-
nicht vorbehaltlos zufrieden, wie sich das Mu-
größten Kulturkomplexe weltweit eröffnet.
nungsmängeln?
seumsquartier entwickelt hat?
Das MQ schneidet im Vergleich zu ähn-
lichen Kulturbezirken wie der Berliner Muse-
de, ist ein übergeordnetes Programm.
Erst elf Jahre, etliche Adaptionen und heftige po- einmal um. Edelbert Köb hat das gemacht,
MO Die Berliner Museumsinsel und David
Täuscht der Eindruck, oder sind Sie
Chipperfields Neues Museum sind wie eine Erfolgswelle um die Welt gegangen, während wir uns mit dem MQ zuerst einmal ge-
Aber ohne Leseturm, der mit 66 Metern das
MO Wenn jemand ein Haus übernimmt, wird
MO Da gibt es schon einige Vorbehalte. Es
genseitig die Köpfe eingeschlagen haben. Es ist das mit Abstand am besten ins städt-
Wahrzeichen des MQ werden sollte.
er ein paar Korrekturen anbringen wollen.
war ja als ein großes kulturelles Zentrum
(Andrea Schurian, DER STANDARD - Printausga-
Das erachte ich als selbstverständlich. Vor
konzipiert. Doch es hat sich zu einem großen
ische Geflecht integrierte Areal. Eines der
be, 28. Juni 2011)
zehn Jahren war es gang und gäbe, gläser-
populären und populistischen Zentrum ent-
großen Vorurteile war ja, dass sich das Neue
ne Museen zu machen, busweise die Landbe-
wickelt, wo Kultur nachrangig ist. Da müsste
gegen das Alte durchsetzen muss. Aber das
AS
völkerung herbeizukarren. Dem Mumok hat
man wieder nachjustieren und zurückre-
ist völlig anachronistisch. Es gibt ein intelli-
MO Natürlich fehlt er als architektonisches
man vorgeworfen, ein monolithischer Block
klamieren, was ursprünglich gedacht war.
gentes Miteinander.
Signet, als Stachel im Fleisch, den das Stadt-
zu sein. Ja! Wir sind bewusst den umgekehr-
Da hängt viel davon ab, was der neue Direk- AS
bild schon vertragen hätte. Ich bin erstaunt,
ten Weg gegangen, das halte ich für richtig
tor oder Leiter des MQ können soll.
dass er bis jetzt nicht von außen, von der Po-
und wichtig. So, wie wir es damals geplant
AS
litik oder den Medien, reklamiert wird. Man
haben, fängt man heute, zehn Jahre später,
denn können?
könnte sagen: Nach zehn Jahren sei man klü-
an, sich der Kunst zu nähern: ein wenig
MO Sicher ist erfreulich, dass das Areal fast
ger geworden, weil man sieht, was in ande-
vorsichtiger, konzentrierter, demütiger viel-
Wiens gute Stube geworden ist. Doch jetzt
man größere Aufhänger schaffen, um dem
ren Metropolen möglich ist. Und weil man
leicht sogar. Man stellt Orte der Konzen-
wäre notwendig, dass man die Kultur wieder
Ganzen den Pep zu geben, den es verdient.
erkennt, wie wichtig das Kulturprofil für Stä-
tration her, die unabhängig von Quoten das
zurückholt. Das MQ ist ja nicht als hetero-
dte ist.
leisten, was von Museen verlangt wird:
gener Haufen diverser Kulturinstitutionen an-
ein Ort der intensiven Auseinandersetzung
getreten. Sie alle sollten wie ein Ensemble
mussten Sie in den elf Jahren eigentlich um-
mit Kunst zu sein. Ich glaube, das ist uns
gemeinsam denken, agieren, gemeinsam ge-
planen?
besser geglückt als diesen gläsernen Kisten.
führt werden. Das Wichtigste ist, dass die
AS
Tut es Ihnen um den Leseturm noch leid?
Unumstritten war das MQ nie. Wie oft
Und was sollte der Ihrer Ansicht nach
MO Das wird immer ein bisschen infam hin-
Die Rätselhaftigkeit, die ein Kunstbau wie
neue Leitung ein Programm entwickelt, das
gestellt. Es gab weniger Umplanungen als
dieser auch braucht, ist im Mumok vorhan-
die vorhandenen Institutionen zu einem
den.
großen Ganzen macht und nicht jeder für
für ein so großes Projekt üblich sind. Aber es stimmt, wir mussten die Gebäude um
AS
25 Prozent reduzieren, auch wegen der Kro-
miteinbezogen?
nen Zeitung, die vom „Museumsmonster“ p.326
Hut bringen kann, ohne beliebig zu werden?
Sind Sie in die Jubiläumsfeierlichkeiten
Interviewe mit Manfred Ortner
der Reduktion der Gebäude. Einigen war die
Vielleicht also doch kein gemeinsames
Thema? Gerade die Vielfältigkeit wird in allen Studien als Besonderheit des MQ betont. MO Das eine schließt das andere nicht aus. Der Pluralismus bleibt ja. Trotzdem müsste
sich sein Süppchen kocht. AS
Aber es sind doch sehr unterschiedliche
MO Ja, es gibt kleinere Einladungen. Ich ha-
Institutionen - Leopold-Museum, Mumok, Tanz-
schrieb. Diejenigen, die das MQ von Anfang
be Dietmar Steiner vorgeschlagen, eine
quartier, Ovalhalle, Architekturzentrum etc. -
an vehement verteidigten, fühlten sich dann
Präsentation all dessen zu machen, was an
mit sehr unterschiedlichen Interessen. Glauben
verraten vom Wegfall des Leseturms, von
baulichen Ergänzungen vorgesehen war:
Sie wirklich, dass man die inhaltlich unter einen
p.327
Zeitungsauszug von Andrea Schurian
Wien - 1981 wurde von der damaligen Wissenschaftsministerin Herta Firnberg eine Arbeits-
(Binz), welches kurz vor der Auflösung steht.
„Institution-geworden“ beschrieben. Diese In-
Den Gegenpol könnte man in einer ökonomische
stitution ist nun bekannt unter der Marke MQ
Verankerung der Nutzer in der Kultur- und Kre-
bildenden Künste Wien und hat 2012 die Aus-
EK Auch das MQ hat eine informelle Nut-
und somit auch weltweit touristisch attraktiv.
ativwirtschaft sehen. Nutzer, die sozusagen Teil
stellung „Hands-On Urbanism 1850 - 2012“ im
zungsgeschichte. Sogar eine sehr lange,
Dabei wird es auch finanziell von verschiedenen
eines verwertbaren Prozesses sind. Die folg-
Architekturzentrum Wien kuratiert,
bevor es das wurde, was ihr heute als Insti-
Interessenten unterstützt.
tution bezeichnet. Im Gespräch mit Sascha Bauer und Daniel
DS
Springer
tivquartier eine Typologie ist, welche anhand
Wir möchten herausfinden, ob ein Krea-
finden sich die beiden gewählten Quartiere,
sengruppen unterstützt. Vom Staat (Öster-
NDSM und Wagenhallen.
reich) und vom Bund (Wien).
EK Ich glaube, es ist viel komplizierter. Auto-
DS
Einführung
dingungen entworfen und geplant werden
Kulturinstitutionen vor Ort, Museen wie das Leo-
kann. Wenn dem so ist, dann könnten wir als
pold, mumok, Kunsthalle, usw.
DS
Architekten und Architektinnen – ganz klas-
EK
das Museumsquartier in Wien, die Wagenhal-
sisch – mit Hilfe von gebauten Beispielen die-
stützte Institutionen, die teilweise hinter-
und Binz bilden die Bandbreite (Autonomie,
len in Stuttgart, die NDSM in Amsterdam und
ser Typologie arbeiten, ähnlich wie man es
gründig eine private Schenkungsgeschichte
Institution). Dazwischen gibt es die anderen
das Binz in Zürich. Wir beschäftigen uns unter
bei Flughäfen, Bürogebäuden oder Schulen
haben. Ein Besitz sozusagen, der in die
Kreativquartiere. Der gesuchte Begriff da-
anderem mit der Frage nach der Vergleichbar-
machen würde.
Republik übergegangen ist. Was ich viel in-
für müsste selbsterklärend sein. Das heißt,
keit solcher Quartiere.
SB
teressanter finde ist, dass hier (Museums-
es geht primär um eine Einteilung und Gra-
EK Das sind alles Umnutzungen. SB
Aber alle mit einem unterschiedlichen
Die Binz soll zeitnahn aufgelöst werden
Ich denke da an die verschiedenen
nomie und Institution funktionieren als selbsterklärende Begriffe. Man müsste einen Begriff dafür finden, was ihr durch die
Das sind eigentlich alles staatlich unter-
Schwelle zum Ausdruck bringen wollt. MQ
und Platz machen für ein Neubauprojekt. Bei
quartier) irrsinnig viele Leute wohnen und
der NDSM war das anfänglich auch der Fall. Da
einfache Mieter sind. Ich würde behaupten,
DS
dass es also eine sehr hybride Einrichtung
spiele, die durch Bottom-Up-Strategien oder
Ansatz. Auf der einen Seite haben wir ein Quar- das Gebäude unter Denkmalschutz steht, wur-
dierung dieser Strukturen. In ihren Untersuchungsbereich fallen Bei-
tier, das wir mit dem Begriff der Institution
de die Zwischennutzung jedoch geduldet.
ist. Und das wird für mich aus diesem Be-
auch durch partizipative Strukturen geprägt
beschreiben, zwei Quartiere befinden sich an
Daraufhin wurde aus der Zwischennutzung ein
griff der Institution nicht klar. Das MQ ist
sind. Ein Kreativ- oder Kunstquartier lebt oft
der Schwelle und ein weiteres bezeichnen wir
festgeschriebenes Konzept. Die Wagenhallen
ja nicht nur ein Kulturquartier, sondern es
durch diesen Hang zur Partizipation. Viele Men-
als autonom. Bei der NDSM kann man den
entstanden aus einer ähnlichen Situation, wäh-
gibt dort auch Kindergärten, Restaurants,
schen, die verschiedenste Ideen haben, sich
Weg der Institutionswerdung bereits feststellen.
rend der Diskussion um Stuttgart 21. Wobei
Bewohner und Bewohner mit so alten Miet-
austauschen und verwirklichen wollen. Wenn
Gemeinsam mit Architekten hat die Stadt eine
sie sich durch Öffentlichkeitsarbeit und auf-
verträgen, die man gar nicht mehr kün-
man das Wort „Kreativität“ übersetzt, bedeutet
grund von engagierter Kulturarbeit als fester
digen könnte. Der Begriff „Hybrid” würde für
es: Etwas zu machen und/oder zu erschaffen.
„Kunststadt“ im Inneren der alten Hallen geplant und umgesetzt. Die Binz ist ein autonomes
Bestandteil in der Kulturlandschaft Stuttgarts
mich sehr viel besser passen, als der Be-
EK Ich bin mir nicht sicher, ob man diese
Gelände in Zürich, das sich eher introvertiert
verankern konnten. Anhand mehrerer Aktionen
griff „Typologie”. Aber ich würde trotzdem
Quartiere als Kreativquartiere bezeichnen
und auf unverschiedlichen Ebenen diamet-
ist es nun fast unmöglich, diese Kulturinsel zu
nochmal gerne zu den anderen Begriffen
kann. Es sind alles sehr hybride Einrichtun-
ral zum MQ verhält. Da stellt sich die Frage:
entfernen oder wegzudenken.
zurückkommen. Das MQ wird als „Institu-
gen mit unterschiedlichen Nutzungen.
tion” gefasst. Aber was bedeutet die
Noch etwas zur Geschichte des MQ: Das MQ
Können diese Gebäudekomplexe eine architektonische Typologie sein? Was haben sie ge-
Eine Begriffsklärung
„Schwelle”, unter der ihr die NDSM und die
meinsam und worin unterscheiden sie sich?
hat mit temporären Nutzungen angefangen.
Wagenhallen eingeordnet habt? Eine Schwel-
Man kann sagen, dass es dort selbstorgani-
le zwischen was?
sierte oder informelle Clubs, Künstlerate-
Wenn sie eine Typologie sind, muss dann der
DS
Begriff der Typologie neu gedacht werden, um
diese Gebäudekomplexe eine Typologie sind,
SB
die Anforderungen an diesen Gebäudetyp zu
dann ist interessant, in welchen politischen oder
len. In diesem Fall Organsiationsstrukturen,
auf legaler und illegaler Ebene gegeben hat.
verstehen?
diskursiven Umständen sie verankert sind
zwischen autonom selbstorganisierten Struktu-
In der Zeit sind erste Anker-Kultureinrich-
DS
und letztendlich auch, welchen Status sie in der
ren (Bottom-Up-Modell) und institutionellen
tungen wie das Depot oder das Architektur-
aktuellen Städtediskussion haben. Dabei kann
Strukturen (Top-Down-Modell). In autonom orga-
zentrum eingezogen, noch bevor der Umbau
Da stellt sich auch die Frage, inwieweit
diese Gebäude überhaupt miteinander ver-
p.328
lich Geld verdienen. Innerhalb dieser Spanne be-
EK Es wird eigentlich nur von zwei Interes-
von spezifischen Anforderungen und Randbe-
Sie sehen hier vier Kreativquartiere:
Angenommen wir gehen davon aus, dass
Es meint den Bereich zwischen zwei Po-
Elke Krasny
wurden, bis hin zu einem Bottom-Up-Modell
forscherin, unterrichtet an der Akademie der
liers, Bildhauerwerkstätten und dergleichen
gleichbar sind? Für uns stellen diese vier Quar-
man feststellen, dass sie sehr unterschiedlich
nisierten Quartieren können Nutzer, dem An-
überhaupt begonnen hat. Zum Beispiel hat
tiere eine Bandbreite dar: Vom Top-Down-Modell
wahrgenommen werden. Das MQ ist ein Top-
schein nach, völlig frei agieren. Der ökonomi-
sich das Architekturzentrum Wien (Az W) mit
(MQ) über zwei „Schwellenquartiere“ (NDSM,
Down-Modell mit Finanzierung, Architekturwett-
sche Druck ist geringer, denn die Räume sind
Containern in den Hof gesetzt. Gabriele
Wagenhallen), die durch Besetzung initiiert
bewerb, usw. Diesen Prozess haben wir als
besetzt, d.h. die Nutzer zahlen keine Mieten.
Kaiser hat sich in ihrem Buch „unsichtbare
p.329
Exkurs — Interview
ELKE KRASNY, Kulturtheoretikerin und Stadt-
diese unterschiedlichen Typologien, aber
achtet, dass keine brennbaren Dinge in den
wenn ich das Foyer betrete, dann weiß ich
die dort stattgefunden hat. Die politischen Dis-
Gängen stehen. Während des regelmäßigen Floh-
nicht mehr, worin ich mich befinde. Das
EK Diese Quartiere haben für mich viel mit
kussionen darüber hat der Journalist Thomas
marktes auf dem Gelände wird die Halle ab-
Hotel, die Universität, das Parlament und das
Produktion zu tun. Es geht also nicht nur
Tränker genauer verfolgt. Was heute so gefes-
geschlossen. Bei den Wagenhallen ist das noch
Spital empfangen mich alle in einem Foyer,
um das Ausstellen, sondern auch um das
tigt und institutionell aussieht, hing damals an
nicht der Fall. Aber direkt neben den WH ent-
das identisch aussieht. Damit will ich sagen,
Produzieren von Kunst und Kultur. Im MQ
einer Stimme im Gemeinde-
stehen zwei große Schulen. Ich denke, dass sich
dass der Fokus auf die Unterscheidung im
trifft das nur sehr bedingt zu. Die ansässi-
rat. Genau eine Stimme mehr hat dafür ge-
diese Situation ändert, sobald diese Schulen
Inneren gelegt werden muss. Ist das Kreativ-
gen Ateliers sind absolut dysfunktional. Man
stimmt, dass es dort überhaupt eine per-
fertig gestellt sind. Dann wird es nicht mehr den
quartier öffentlich oder nicht öffentlich?
kann sie für die Produktion nur bedingt ver-
manente kulturelle Nutzung gibt. Und das fin-
Bildhauer geben, der Schrottgegenstände
Gibt es typologische Verfahren, die mir mit
wenden. Was ich in der Debatte wesentlich
de ich sehr bemerkenswert. Für viele
und andere Dinge vor der Tür liegen lassen kann.
den Mitteln der Architektur verständlich
interessanter finde ist, dass auch das auto-
lokale und nicht-lokale Nutzer ist es heute
Die WH befinden sich im Wandel zu einer, wie
machen, dass es ein Kulturquartier ist und
nome Kulturareal eine Institution ist – eine
schwer vorstellbar, dass das MQ nicht exis-
wir es nennen würden, Institution. Mit Schließ-
welche Flächen öffentlich und nicht öffent-
autonome Institution. Und in diesem Sinne
tiert. Letztendlich war es politische Wil-lensbil-
zeiten, Hausmeister und weiteren Regulierungen
lich zugänglich sind? Das würde ich mich
sind auch Inklusion und Exklusion Untersu-
dung. Dennoch finde ich, dass Top-
wird das Quartier immer weiter institutionali-
sehr genau fragen.
chungsparameter. Man müsste hier also die
Down-Prozesse immer hybrider werden.
siert. Die andere Möglichkeit ist nur die Auflö-
DS
Bestehende Hierarchien und Institutionen sind
sung und folglich der Abriss, der von den Nut-
quartiere auf eine Art und Weise vergleichbar
chen. Die meisten besetzten Kulturzentren
geschlossen auf das Gelände des
zern natürlich nicht gewollt ist.
sind?
sind Institutionen geworden, sofern sie sich
MQ übergesiedelt. In diesem Zusammenhang
DS
gibt es dort ganz viele Spektren
diesem Weg verloren? EK Ich glaube, dass das die entscheidende
Prozesse der Institutionswerdung untersu-
Denken Sie, dass unsere vier Kreativ-
EK Ja. Weil sie in sich viele kleinere Einhei-
Wir fragen uns dabei: Was geht auf
von Ordnungsverhältnissen, Nutzungen, Aneig-
erhalten konnten. Sie haben ihre eigenen
ten bergen. Das herrschende Paradigma
Regeln und Verwaltungsstrukturen produ-
ist dabei die Robustheit des öffentlichen
ziert. Was ich nochmal nachfragen wollte:
nungen und Debatten. Zum Beispiel
Frage ist. Was geht verloren oder was kann
Raums. Ich glaube auch, dass Richard Flori-
was die Hofzone anbelangt. Oder welche Ein-
ich wieder gewinnen? Das Quartier ist also
das Theorie in dieser Hinsicht überholt ist.
DS
und Ausschlüsse das Konstrukt produziert.
nicht eindeutig eine Typologie, sondern
Jeder beginnt damit, sich solche Gebilde mit
Aufgabe, ein Kreativquartier zu entwerfen.
Warum ist der Typologiebegriff so wichtig? Wir hatte im vergangenen Semester die
beherbergt in sich die Möglichkeit zu unter-
Hilfe von Florida anzuschauen. Er hat da-
EK
MQ zu privatisieren. Weil man verbieten wollte,
schiedlichen Typologien. Ich finde, genau
mals aber etwas anderes untersucht: Zum
sich...
mitgebrachte Speisen und Getränke dort zu kon-
das zeichnet diese Quartiere aus. Die zeitge-
einen hat er versucht, den Klassenbegriff
DS
sumieren. Infolgedessen gab es Proteste und
nössische künstlerische Produktion beispiels-
wieder einzuführen und zum anderen beob-
tekturdenken verankert. Es gibt immer Refe-
weise, zeichnet sich dadurch aus, dass sie
achtet, was in der Stadt überhaupt notwen-
renzen oder bestimmte Gebäudetypen, an de-
unterschiedliche Räume benötigt. Ich würde
dig ist, damit sich eine kreative Klasse dort
nen man sich beim Entwurf orientieren kann,
DS
2008 wurde versucht, den Innenhof des
Demonstrationen im Hof. EK Rechtlich ist der Hof schon immer pri-
p.330
Planung eines Kreativquartiers
SB
Verstehe. Also woran orientiert man Genau. Der Typologiebegriff ist im Archi-
vat. Die MQ-Betreibergesellschaft hat die
nun vielmehr recherchieren, wo diese Sub-
ansiedelt. Ihr betrachtet jedoch nicht die
bei den Fragen, wie etwas funktioniert oder wie
rechtliche Hoheit. Aber es waren nicht die
typologien zu finden sind. Wo finde ich kleine
Gesamtstadt an sich, sondern schaut auf ein
es zu funktionieren hat. Man kann sich davon
Lokal- und Restaurantbetreiber, sondern
oder große Räume? Wo finden sich öffentliche
die Betreibergesellschaft selbst, die das Ver-
Räume? Und wo entstehen Platzsituationen?
ganz bestimmtes Kulturareal. SB
Wir haben Florida herangezogen, weil er
natürlich auch wieder abgrenzen, aber dennoch fungieren sie als Ansatzpunkt. Wir konnten
bot wollte. Das Thema ist eine interessante
Mit Hilfe dessen würde ich anschließend ver-
in der Diskussion der Kultur- und Kreativwirt-
Debatte für all diese Quartiere, die wir uns
suchen, Kategorien und Vergleichbarkeiten
schaft sehr häufig auftritt. Die Niederlande ha- tung finden, an dem wir uns orientieren hät-
damals nichts in der architektonischen Aufarbei-
hier anschauen: Öffentlich - nicht öffentlich,
zu schaffen. Quasi eine Gegenüberstellung
ben sich in dieser Hinsicht, bis vor kurzem,
ten können. Es gibt zwar einige Beispiele, aber
zugänglich - nicht zugänglich, usw. Auch
der Subtypologien im Inneren und nicht et-
sehr stark an Florida angelehnt. Nun haben sich
die sind nicht untersucht. Im Bereich der The-
autonome Kunstareale haben ihre Inklusio-
wa der Gesamterscheinung des Quartiers.
die Begriffe zur Beschreibung eines kreativen
orie wurde viel darüber geforscht, aber im Be-
nen und Exklusionen. Was kann man dort
Wenn man sich bestimmte Typologien an-
Umfeldes stark geändert. Wir haben die elf Bran- reich des architektonischen Modells gibt es nur
machen und was nicht? Das finde ich eine
schaut, wie etwa Spitale, Hotels, Universi-
chen der Kultur- und Kreativwirtschaft in un-
wenige bis gar keine Untersuchungen. Aus die-
interessante Frage.
täten, Parlamente, usw. dann würde ich
serer Untersuchung berücksichtigt, um eine
ser Problematik entstand unsere Fragestellung.
sagen, dass man in den letzten 10 Jahren
Ebene der Vergleichbarkeit zu schaffen.
Was Sie für das MQ ansprechen, ist auch
im Falle der NDSM ähnlich. Seit kurzem gibt es
eine Tendenz feststellen kann: Es gibt zwar
Elke Krasny
dort einen Sicherheitsbeauftragten, der darauf
Bespielungsgeschichte auseinandergesetzt,
EK
Die Schwierigkeit ist die, dass diese
Areale nicht als solche entworfen wurden.
p.331
Exkurs — Interview
Architekturen“ sehr ausführlich mit dieser
diese unterschiedlichen Typologien, aber
achtet, dass keine brennbaren Dinge in den
wenn ich das Foyer betrete, dann weiß ich
die dort stattgefunden hat. Die politischen Dis-
Gängen stehen. Während des regelmäßigen Floh-
nicht mehr, worin ich mich befinde. Das
EK Diese Quartiere haben für mich viel mit
kussionen darüber hat der Journalist Thomas
marktes auf dem Gelände wird die Halle ab-
Hotel, die Universität, das Parlament und das
Produktion zu tun. Es geht also nicht nur
Tränker genauer verfolgt. Was heute so gefes-
geschlossen. Bei den Wagenhallen ist das noch
Spital empfangen mich alle in einem Foyer,
um das Ausstellen, sondern auch um das
tigt und institutionell aussieht, hing damals an
nicht der Fall. Aber direkt neben den WH ent-
das identisch aussieht. Damit will ich sagen,
Produzieren von Kunst und Kultur. Im MQ
einer Stimme im Gemeinde-
stehen zwei große Schulen. Ich denke, dass sich
dass der Fokus auf die Unterscheidung im
trifft das nur sehr bedingt zu. Die ansässi-
rat. Genau eine Stimme mehr hat dafür ge-
diese Situation ändert, sobald diese Schulen
Inneren gelegt werden muss. Ist das Kreativ-
gen Ateliers sind absolut dysfunktional. Man
stimmt, dass es dort überhaupt eine per-
fertig gestellt sind. Dann wird es nicht mehr den
quartier öffentlich oder nicht öffentlich?
kann sie für die Produktion nur bedingt ver-
manente kulturelle Nutzung gibt. Und das fin-
Bildhauer geben, der Schrottgegenstände
Gibt es typologische Verfahren, die mir mit
wenden. Was ich in der Debatte wesentlich
de ich sehr bemerkenswert. Für viele
und andere Dinge vor der Tür liegen lassen kann.
den Mitteln der Architektur verständlich
interessanter finde ist, dass auch das auto-
lokale und nicht-lokale Nutzer ist es heute
Die WH befinden sich im Wandel zu einer, wie
machen, dass es ein Kulturquartier ist und
nome Kulturareal eine Institution ist – eine
schwer vorstellbar, dass das MQ nicht exis-
wir es nennen würden, Institution. Mit Schließ-
welche Flächen öffentlich und nicht öffent-
autonome Institution. Und in diesem Sinne
tiert. Letztendlich war es politische Wil-lensbil-
zeiten, Hausmeister und weiteren Regulierungen
lich zugänglich sind? Das würde ich mich
sind auch Inklusion und Exklusion Untersu-
dung. Dennoch finde ich, dass Top-
wird das Quartier immer weiter institutionali-
sehr genau fragen.
chungsparameter. Man müsste hier also die
Down-Prozesse immer hybrider werden.
siert. Die andere Möglichkeit ist nur die Auflö-
DS
Bestehende Hierarchien und Institutionen sind
sung und folglich der Abriss, der von den Nut-
quartiere auf eine Art und Weise vergleichbar
chen. Die meisten besetzten Kulturzentren
geschlossen auf das Gelände des
zern natürlich nicht gewollt ist.
sind?
sind Institutionen geworden, sofern sie sich
MQ übergesiedelt. In diesem Zusammenhang
DS
gibt es dort ganz viele Spektren
diesem Weg verloren? EK Ich glaube, dass das die entscheidende
Prozesse der Institutionswerdung untersu-
Denken Sie, dass unsere vier Kreativ-
EK Ja. Weil sie in sich viele kleinere Einhei-
Wir fragen uns dabei: Was geht auf
von Ordnungsverhältnissen, Nutzungen, Aneig-
erhalten konnten. Sie haben ihre eigenen
ten bergen. Das herrschende Paradigma
Regeln und Verwaltungsstrukturen produ-
ist dabei die Robustheit des öffentlichen
ziert. Was ich nochmal nachfragen wollte:
nungen und Debatten. Zum Beispiel
Frage ist. Was geht verloren oder was kann
Raums. Ich glaube auch, dass Richard Flori-
was die Hofzone anbelangt. Oder welche Ein-
ich wieder gewinnen? Das Quartier ist also
das Theorie in dieser Hinsicht überholt ist.
DS
und Ausschlüsse das Konstrukt produziert.
nicht eindeutig eine Typologie, sondern
Jeder beginnt damit, sich solche Gebilde mit
Aufgabe, ein Kreativquartier zu entwerfen.
Warum ist der Typologiebegriff so wichtig? Wir hatte im vergangenen Semester die
beherbergt in sich die Möglichkeit zu unter-
Hilfe von Florida anzuschauen. Er hat da-
EK
MQ zu privatisieren. Weil man verbieten wollte,
schiedlichen Typologien. Ich finde, genau
mals aber etwas anderes untersucht: Zum
sich...
mitgebrachte Speisen und Getränke dort zu kon-
das zeichnet diese Quartiere aus. Die zeitge-
einen hat er versucht, den Klassenbegriff
DS
sumieren. Infolgedessen gab es Proteste und
nössische künstlerische Produktion beispiels-
wieder einzuführen und zum anderen beob-
tekturdenken verankert. Es gibt immer Refe-
weise, zeichnet sich dadurch aus, dass sie
achtet, was in der Stadt überhaupt notwen-
renzen oder bestimmte Gebäudetypen, an de-
unterschiedliche Räume benötigt. Ich würde
dig ist, damit sich eine kreative Klasse dort
nen man sich beim Entwurf orientieren kann,
DS
2008 wurde versucht, den Innenhof des
Demonstrationen im Hof. EK Rechtlich ist der Hof schon immer pri-
p.332
Planung eines Kreativquartiers
SB
Verstehe. Also woran orientiert man Genau. Der Typologiebegriff ist im Archi-
vat. Die MQ-Betreibergesellschaft hat die
nun vielmehr recherchieren, wo diese Sub-
ansiedelt. Ihr betrachtet jedoch nicht die
bei den Fragen, wie etwas funktioniert oder wie
rechtliche Hoheit. Aber es waren nicht die
typologien zu finden sind. Wo finde ich kleine
Gesamtstadt an sich, sondern schaut auf ein
es zu funktionieren hat. Man kann sich davon
Lokal- und Restaurantbetreiber, sondern
oder große Räume? Wo finden sich öffentliche
die Betreibergesellschaft selbst, die das Ver-
Räume? Und wo entstehen Platzsituationen?
ganz bestimmtes Kulturareal. SB
Wir haben Florida herangezogen, weil er
natürlich auch wieder abgrenzen, aber dennoch fungieren sie als Ansatzpunkt. Wir konnten
bot wollte. Das Thema ist eine interessante
Mit Hilfe dessen würde ich anschließend ver-
in der Diskussion der Kultur- und Kreativwirt-
Debatte für all diese Quartiere, die wir uns
suchen, Kategorien und Vergleichbarkeiten
schaft sehr häufig auftritt. Die Niederlande ha- tung finden, an dem wir uns orientieren hät-
damals nichts in der architektonischen Aufarbei-
hier anschauen: Öffentlich - nicht öffentlich,
zu schaffen. Quasi eine Gegenüberstellung
ben sich in dieser Hinsicht, bis vor kurzem,
ten können. Es gibt zwar einige Beispiele, aber
zugänglich - nicht zugänglich, usw. Auch
der Subtypologien im Inneren und nicht et-
sehr stark an Florida angelehnt. Nun haben sich
die sind nicht untersucht. Im Bereich der The-
autonome Kunstareale haben ihre Inklusio-
wa der Gesamterscheinung des Quartiers.
die Begriffe zur Beschreibung eines kreativen
orie wurde viel darüber geforscht, aber im Be-
nen und Exklusionen. Was kann man dort
Wenn man sich bestimmte Typologien an-
Umfeldes stark geändert. Wir haben die elf Bran- reich des architektonischen Modells gibt es nur
machen und was nicht? Das finde ich eine
schaut, wie etwa Spitale, Hotels, Universi-
chen der Kultur- und Kreativwirtschaft in un-
wenige bis gar keine Untersuchungen. Aus die-
interessante Frage.
täten, Parlamente, usw. dann würde ich
serer Untersuchung berücksichtigt, um eine
ser Problematik entstand unsere Fragestellung.
sagen, dass man in den letzten 10 Jahren
Ebene der Vergleichbarkeit zu schaffen.
Was Sie für das MQ ansprechen, ist auch
im Falle der NDSM ähnlich. Seit kurzem gibt es
eine Tendenz feststellen kann: Es gibt zwar
Elke Krasny
dort einen Sicherheitsbeauftragten, der darauf
Bespielungsgeschichte auseinandergesetzt,
EK
Die Schwierigkeit ist die, dass diese
Areale nicht als solche entworfen wurden.
p.333
Exkurs — Interview
Architekturen“ sehr ausführlich mit dieser
viel mehr „Kreativquartier“ ist als das MQ,
quartier steht. Zieht man diesen Kaugummi
ist das WUK.
auseinander, so erhält man dabei eine lange
Untersuchung aus mehreren Richtungen.
Das WUK, eine ehemalige Lokomotivfabrik in
Dehnung, die exemplarisch für die Bandbreite
Darin enthalten ist auch die Frage nach dem
Wien, ist Kultur, Werkstätte und Lebensraum
der Typologie des Kreativquartiers steht. An jedem Ende gibt es ein Extrem. Diese beiden Ex-
programmatischen Inhalt. Was passiert im
auf 12.000m². In einem der größten unabhän-
Quartier? Wer gehört zu den Akteuren? Welche
gigen Kulturzentren Europas trifft im WUK
treme haben wir versucht, mit der Binz auf
Flächen sind öffentlich, welche privat? Und
künstlerische Praxis, Labor und politisches En-
der einen Seite und dem MQ auf der anderen,
wie sehen sie aus? In erster Linie also eine Rück- gagement aufeinander. Das WUK versteht sich als offener Kulturraum und bietet Platz
schnell daraufhin ab, in wieweit ein Kreativquar-
zum Verweilen, Diskutieren und Erproben.
EK
tier überhaupt planbar ist. Oder ob es zwangs-
(Quelle: Homepage www.wuk.at).
stitutionalisierung in jedem Fall angestrebt
gibt es unterschiedliche Ausschläge. Es ist allerdings nicht so, dass eine In-
läufig aus dem informellen Milieu entsteht und
Eine ehemalige Lokomotivfabrik, in der wirk-
wird. So darf dieses „Endprodukt“ nicht ver-
sich lediglich aus einem Bottom-Up-Prozess
lich wahnsinnig viel produziert wird. Das
standen werde.
heraus entwickeln kann? Sozusagen im partizi-
WuK ist in einem Partizipationsprozess ent-
DS
pativen Verfahren. Das hat sich immer weiter
standen, der über 10 Jahre gedauert hat.
ches widerfahren könnte wie dem MQ. Ange-
Ich glaube schon, dass der Binz ähnli-
hochgeschaukelt, bis wir uns irgendwann die
Wenn ich mir eure vier Kreativquartiere an-
nommen die Stadt Zürich würde auf die Binz
Frage nach der Aktualität des Typologiebegriffs
schaue, dann würde ich sagen, dass man
zugehen und ihnen die Möglichkeit des Erhalts
gestellt haben. Vor allem im Bezug auf Kreativ-
bei diesem Projekt auf viel interessantere Art
anbieten, mit der Auflage, ein städtisches
quartiere war schon im Gespräch, den Begriff
und Weise ableiten kann, wie eine solche
oder staatliches Museum dort zu verankern.
der Typologie mit dem des Phänomens oder
Typologie funktioniert. Im MQ kann man ei-
Die Binz würde sich dadurch komplett än-
der Methode zu ersetzen.
gentlich nur gut lernen, was alles nicht
dern. Was ich damit sagen will ist, dass diese
funktioniert.
Aber dann stellt sich für mich die Frage,
Wir haben das MQ aus dem Grund mit in
Entwicklung von den Impulsen und dem Dialog
ob wir heutzutage überhaupt noch in Typolo-
DS
gien denken können, wenn die Grenzen begin-
die Untersuchung aufgenommen, weil es ähn-
mit unterschiedlichen Akteuren zusammen-
nen zu verwischen bzw. sich aufzulösen? Vor
liche Nutzungen und eine ähnliche Geschichte
gesetzt und gemeinsam etwas verändert. Das
allem, wenn man sich solche hybriden Struktu-
aufweist, wie die anderen Quartiere. Mit einem
Areal liegt direkt im Stadtzentrum, wurde
ren anschaut, die sich selbst entwickelt haben
starken Bezug auf das Event wird Kunst ausge-
restauriert und eine Kulturlandschaft mit
oder durch Bottom-Up-Prozesse entstanden
stellt und produziert.
unterschiedlichen Interessenten geplant. Bei
abhängt. Im Falle des MQ hat sich die Stadt
EK Dort sind aber riesige Museen mit Samm-
der Binz besteht diese Logik nicht. Hier ist die
EK Ich glaube, ihr beantwortet die Frage ge-
lungen angesiedelt. Das ist etwas total
geographische Lage eine andere. Das Grund-
rade selbst. Man müsste sich radikal fragen:
anderes.
stück liegt nicht im Zentrum und ist daher
sind.
p.334
zu platzieren. Zwischen den beiden Extremen
betrachtung. Die Frage zielte im Folgenden
DS
Was eignet sich überhaupt für eine Um- bzw.
DS
Nachnutzung? Was bringen diese Gebäude
wenn man den vollen Weg der Institutionali-
Wir sehen es dennoch als Endprodukt,
auch weniger interessant für die Stadt.
mit? Und warum eignen sich andere Gebäude
sierung geht, in dem die Stadt das KQ für ihre
nicht so gut? Daraus würde ich ableiten,
Zwecke verwertbar macht.
was eine solche Typologie benötigt. Vermut-
SB
lich wird das Ergebnis das sein, dass diese
mer mehr mit Regeln und Sicherheiten belegt,
ehemaligen Manufakturen oder industriell
dann wird es irgendwann zur „Institution“.
temporär. Sie kann den Weg hin zur Institution
genutzten Gebäude das größte Flexibilitäts-
Während die Binz, die wir als autonom bezeich-
oder eben zur Auflösung gehen. Jetzt mal etwas sehr schwarz-weiß gedacht.
Anders formuliert: Wenn man ein KQ im-
Leerstellen & Potential SB
Das Hauptmerkmal aller vier Quartiere
ist die Zwischennutzung und die ist per se
raster aufweisen. Das Seltsame ist immer,
nen, noch Freiheiten in Entscheidungsprozessen
dass das was ehemals die meisten Normen
hat, ist das MQ hingegen schon sehr in seinem
erfüllt hat, im nachhinein die größte Flexi-
eigenen Selbsterhaltungsdrang gefangen.
nutzung. Es war als temporäres Projekt
bilität an Nutzungen ermöglicht. Ein Projekt,
DS
vorgesehen, das nun mittlerweile schon über
das sehr lokal und meines Erachtens nach
einen Kaugummi vorstellen, auf dem Kreativ-
Vielleicht kann man sich als Metapher
Elke Krasny
Es stellt sich natürlich die Frage nach
dem Topos, dem Typus und der Tektonik. Eine
EK Die Sezession in Wien ist eine Zwischen-
100 Jahre steht. Was ich damit sagen
p.335
Exkurs — Interview
SB
Interessant fand ich den Vergleich in ih-
Amt für Stadtplanung Stuttgart ein Interview
Wie kann ich verhindern, dass die Kreativen an
geführt. Ihm ist der Prozess der Wagenhallen
die Peripherie gedrängt werden?
rem Vortrag über Cedric Price, bezüglich Det-
nicht unbekannt und er hat sich mitunter auch
roit und „the Pottery Thinkbelt“. „The Pottery
für das Projekt eingesetzt. Das Bewusstsein,
EK Und wie man über die unerwünschten Nebeneffekte nachdenken kann. Stichwort
Thinkbelt“ war ein Vorschlag von Price, für
dass diese Kreativanker in der Stadt heute eine
Gentrifizierungsprozess. Da gibt es so vie-
eine industrielle Brachfläche in Staffordshire
wichtige Rolle spielen, scheint also vorhanden
le Fragen, die sich dort anlagern. Und die mei-
in England, in den Sechzigern. Aber in Detroit
zu sein. Genauso wie ein Flughafen in den 70er
nes Erachtens nach viel interessanter sind,
gab es zur gleichen Zeit ähnliche Probleme.
Jahren wichtig für jede Großstadt war. Mann
als die Typologiefrage.
EK Cedric Price hat auch schon in den
könnte also behaupten, dass jetzt Kreativquar-
Sechzigern einen Vorschlag für Detroit ge-
tiere für Großstädte notwendig sind. Es sind
macht. Das sogenannte „Thinkgrid“.
Orte, an denen gewisse Szenen eine Bündelung
DS
Das ist interessant, weil man von die-
sem Projekt nicht besonders viel mitbekommen
Das Gespräch wurde am 13.12.2012 in Stutt-
internationale Netzwerke bilden.
gart an der Staatlichen Akademie der Bilden-
hat, im Vergleich zum „Thinkbelt“. Worauf
EK Ja. Und es ist wichtig, sich ihre Wirkungsweisen anzuschauen. Doris Rothauer,
Stadt durch gewisse Unachtsamkeit zum
ehemalige Direktorin des Künstlerhauses
Experimentierfeld avanciert ist. Das heißt, die
Wien, hat relativ viel über die Kreativquartie-
ganze Stadt ist durch ihre Leerstellen zur Brut-
re in Amsterdam geforscht. Sie hat sich
stätte für Leute mit dem Interesse zur Verän-
sehr pragmatisch angeschaut, welche Wir-
derung geworden. Politisch wurde das extrem problema-
tisch. Aber wenn man die Metapher Detroit
Frau Krasny, vielen Dank für das Gespräch!
finden. Szenen, die immer größer werden und
ich hinaus will ist, dass bei diesem Projekt die
EK
Elke Krasny
Exkurs — Interview
möchte ist, „temporär’ ist also relativ. DS
den Künste geführt.
kungen sie haben. SB
Ich glaube eben das Interessante dabei
ist unsere Rolle im Entwurfs-Prozess. DS Wir haben uns bereits damit beschäftigt,
auf das Kreativquartier anwendet, dann würde sich herausstellen, was eine Stadt
wie man Prozesse planen kann. Diesen
verliert, wenn sie kein Kreativquartier hat
Versuch kann man auch bei Cedric Price ab-
oder dessen Potential nicht erkennt.
lesen. Zum Beispiel bei der Zeichnung von
Detroit könnte für wenig Geld ein optimales
Zeitplänen.
Experimentierfeld für viele Architekten sein. Allerdings wäre es die Verantwortung
Städtewettbewerb & Kreativität
zu experimentieren, im Sinne von neuen
SB
Hausbehübschungen. Viel interessanter ist
wenn man heute als Architekt noch so plant,
Ich glaube auch, dass es schwierig ist,
die Frage, in was man hier investieren kann,
als könnte man die Entwicklung der nächsten
das wieder einen „content“ hervorbringen
100 Jahre voraussehen, wie es zum Beispiel
kann. Wie kann Architektur aus ihrer Pro-
bei der Planstadt Brasilia mit ihrer in Beton ge-
fession heraus einen Beitrag zu der Proble-
gossenen Programmatik der Fall ist. Die Ge-
matik leisten. Anhand eurer Recherche
bäude der Kreativquartiere sind fast immer
wäre es dann wichtig zu ermittlen, was
umgenutzte Industriegebäude. In Amsterdam –
diese Strategien sind. Das Gebäude an sich
und auch in anderen Städten – wird die kreative
ist nämlich nicht sonderlich interessant.
Szene durch hohe Mietpreise im Stadtzentrum
Interessant ist der „content“, also die Leute
an die Peripherie gedrängt. Was diesen Städten
die durch ihren Gebrauch und ihre Energie
dabei verloren geht, ist der Benefit dieser kre-
einen Inhalt hervorrufen.
ativen Leuten. Man muss diesen Prozess aller-
DS Wir haben mit Uwe Stuckenbrock vom
dings umgedreht denken.
p.337
p.336
des Architekten, an dieser Stelle nicht
DS
ist mir ein Rätsel, da eigentlich alles über
bäude solche Planungen dann von der Stadt
zu sehen was ausgestellt und was produziert
Daniel Springer
das Militär geht. Aber man hat dort plötzlich
oder von der Regierung aus? Oder läuft alles
wird?
ein Geschäft gewittert. Und das Geschäft
selbstfinanziert?
DS
Wann haben sie ihre Galerie in Peking
MK Alles läuft selbstfinanziert. Mittlerweile
dass man ihn erlebt – oder besser – erleben
interessant, dass es sich rasend schnell
ist die Regierung soweit, dass sie es duldet.
darf. Also zu sehen, was sich hier wirklich
auch zu einem abartigen Tourismusmagnet
Weil sie verstanden hat, dass es sich als
abspielt. Es ist nämlich eine sehr starke Ge-
entwickelt hat – eben das, was es heute
ein ähnlicher Puplikumsmagnet entwickelt
fühlssache. Für uns Galeristen ist es wich-
ist. Jiuxianqiao (Name des Straßenviertels in
wie SoHo in New York. Es ist also nicht zu
tig, zu erkunden, welche Richtungen es gibt.
MK Ja. Ich bin 2007 nach Peking gekommen,
dem 798 liegt) ist heute ein Gebiet mit be-
vergleichen mit einer Shopping-Mall, in der
Wir befinden uns in einem wuchernden
kurz vor der Olympiade. Damals wurde wahn-
stimmt 20-30 exzellenten Galerien, dazu kom-
unheimlich viel drin ist. Es ist vielmehr zu
Konglomerat von produzierenden Künstlern.
MK Vor ca. drei Jahren. DS
Kannten sie den Kunstbezirk 798 davor
schon?
sinnig viel umgebaut. Die Galerie wurde im
men bestimmt noch 200-300 weitere kleine
sehen wie ein Konglomerat, das sich durch
DS
Oktober 2009 eröffnet.
Galerien. Nebenbei gibt es sehr viele Bars,
Zufall zusammengefunden hat. Das viel-
biete hinsichtlich Kunst produzieren und da-
Restaurants und auch sehr viele Shops. Es
leicht zur Shopping-Mall werden könnte, es
durch gewisse Attraktivität ausstrahlen, die über
ist ein Publikumsmagnet, in dem am Wo-
aber nicht unbedingt möchte.
die Stadtgrenzen hinaus geht. Zum Beispiel
War 798 damals auch ein Anstoß für Sie,
dort hin zu gehen?
chenende kaum ein Durchkommen ist. Dort
DS
Zum ersten Mal war ich dort im Jahr 2007.
lassen Chinesen, die sich mit Kunst brüsten
tionsstruktur im Bezirk vorstellen? Gibt es
durch die Inkubation von Künstlern, Kreativen
Ich fand ein Gelände vor, das noch relativ
wollen, ihre Hochzeitsaufnahmen machen.
eine Hierarchieform unter den Gründern? Oder
oder Aktivisten zu einem Magnet entwickelt
leer war. Es fing gerade langsam an. Ge-
Kunst ist in China ein sehr teures Studium
passiert alles ohne Kontrolle?
haben.
startet hat es, meines Wissens, so in etwa
(zeigt Aufnahmen). Das sind Aufnahmen
MK Dazu kann ich keine konkrete Aussage
MK Das 798 ist dann mit Sicherheit eines der
2002. Einer der Mitbegründer ist der Künst-
von chinesischen Bräuten. Sie lassen sich in
machen. Wenn Kontrolle da ist, dann läuft
besten Beispiele. Wobei es bei weitem
ler Huang Rui, der in China und vor allem in
der verbotenen Stadt fotografieren, auf
die im Normalfall über Erfolg und Nicht-Erfolg.
nicht das einzige Gebiet dieser Art in Peking
Peking sehr bekannt ist. Das war eine Gruppe
der Mauer und nun auch im Kunstdistrikt 798,
Das heißt, auch wer es bezahlen kann. Es
ist. Es gibt noch 4-5 weitere. Das Gebiet
von zehn bis zwölf Leuten, der wohl auch
weil das für sie wirklich wichtig ist – hip,
gibt keine Steuerung in diesem Sinne, wenn
Caochangdi in dem ich bin, ist in seiner Ein-
modern und high-class.
ich das richtig weiß – und man weiß vieles
heit kleiner mit etwa 40 Galerien. Dort
sprünglich war das Gelände eine Waffen- und
DS
Munitionsfabrik, also ein hochgeheimes Ge-
Kann man also sagen, dass der gesamte
Wie kann man sich also die Organisa-
Uns geht es um den Inhalt, den diese Ge-
MK Selbstverständlich. 798 ist grandios.
Ai Weiwei angehört oder angehört hat. Ur-
handelt es sich oft um Leerstände, die sich aber
in China definitiv nicht. Ich kann mir vorstel-
haben sich noch keine Shops oder derarti-
Kunstbezirk die Funktion eines öffentlichen
len, dass eine Kontrolle bestimmt über die
ges angesiedelt. Man findet noch keinen Tourismus vor. Es kommen nur Leute, die wirk-
lände der Chinesen in Peking. Gebaut wurde
Gebäudes einnimmt, in dem Kunst produziert
Vermieter erfolgt. Mit den Gründern gibt es
das Gebäude von der DDR im Bauhausstil.
wie auch konsumiert werden kann? Indem
möglicherweise auf einer intellektuellen Ba-
lich interessiert sind. Etwas weiter entfernt
Als die Fabrik nicht mehr produzierte, haben
Kunstkäufer und Galeristen dem Künstler direkt
sis „im Untergrund“ eine Übereinkunft.
kommt das Gebiet Song Juan, welches noch
sich dort langsam Künstler in kleinen und
gegenüberstehen? Kann man es auf eine Art
Sie sind einigermaßen einflussreich, aber
um ein vielfaches größer ist als das 798,
großen Ateliers angesiedelt – kalt und unbe-
und Weise als Shopping-Mall für Kunst begrei-
nicht zu vergleichen mit dem, was das Geld
allerdings aber nicht die gleiche Qualität hat.
heizt. Eigentlich sollte das Gelände von der
fen? Oder ist das zu weit gegriffen?
bewirken kann. Insofern ist es ein offenes
Dann gibt es noch I Hao Di, das etwas klei-
Regierung geräumt und schließlich platt ge-
MK Das ist zu weit gegriffen. Zum einen ist
Konglomerat, das voranwuchert, aber das
ner ist und das Black Bridge, das ist noch
macht werden. Das war der eigentliche Plan
es – Gott sei Dank – noch nicht so weit.
auch zum Teil begrenzt wird. Die „Creative
etwas kleiner. In Peking bedeutet klein 200-
für das Gebiet. Die Chinesen sind dafür
Und zum anderen ist alles, was dort passiert,
Brain Factory“ von VW ist jetzt zum Beispiel
300 qm, während große Ateliers dagegen
bekannt, dass die Dinge nicht lange halten.
noch im Entstehen und sehr experimentell.
im 798, weil sie wollen, dass ihre Designer,
2.000 - 3.000 qm haben. Von all denen ist
Was ich manchmal besser finde, als dieses
Da macht heute eine Galerie auf und in fünf
Entwickler und Künstler dort sind. Sie haben
das 798 das stadtnächstgelegendste Gebiet.
Wochen ist sie wieder weg, weil sie sich
ein sehr großes Areal mit ca. 200 Leuten,
Es befindet sich im Chaoyang District, im
schmackssache. Auf jeden Fall hat sich dann
verspekuliert hat. Es werden manchmal
glaube ich.
Osten der Stadt.
alles sehr rasant entwickelt. Es kamen im-
einfach Bauten hingestellt, von denen man
DS
mer mehr Künstler, da es sozusagen freies
sagt, die kann man vielleicht irgendwann
bezirk und diese Ansammlung an vielen kre-
bar? Da das oft ein wichtiges Merkmal ist, ob
Gelände war. Und plötzlich haben sich erste
an jemanden vermieten, jedoch stehen die
ativen Menschen und Künstlern? Ist dieser Aus-
ein Quartier gut funktioniert oder nicht.
Galerien angesiedelt, auch internationale
dann oft sehr lange leer.
tausch, der dort entsteht, wichtig? Auch aus
„super Alte“ zu bewahren – aber das ist Ge-
p.338
MK Klar. Der Zustand ist total wichtig und
wurde innerhalb kürzester Zeit so groß und
eröffnet?
DS
Gehen in einem ehemals so wichtigen Ge- ihrer Sicht als Galerist? Das heißt, gleichzeitig
Wie betrachten Sie einen solchen Kunst-
Matthias Küper
Galerien. Wie sie dort rein gekommen sind,
Kenner des Kunstareals 798, im Gespräch mit
DS
Also ist das Quartier sehr gut erreichp.339
Exkurs — Interview
MATTHIAS KÜPER, Galerist in Peking und
MK 798 ist sicherlich in erster Linie aus der
MK Das ist richtig, es funktioniert sehr gut.
lem. Das weiß dort auch jeder. Das Gebiet
Not heraus entstanden. Die Leute brauchten
Gerade wenn ich mir das 798 anschaue.
heißt Dashanzi und es ist wirklich bekannt.
Räume. Das ist eine ähnliche Herangehens-
Wenn ich irgendwo eine Ansammlung von Ga- Deutschland mit Berlin.
Womöglich hat die Transformation in ein
natürlich, wie auch hier, gerne an die Orte, die vielversprechend sind. DS
Vielleicht dieselbe Situation wie in
weise. Aber die Chinesen sind dabei sehr
lerien habe, könnte man das durchaus
Kunstareal auch dazu beigetragen, dass der
schnell merkantil, das heißt viel schneller als
auch als Marktplatz sehen. Aber auf einem
DS
ganze Bezirk immer mehr aufgewertet wurde?
irgendwo anders. Das ist kein 68er-Idea-
Marktplatz stehen eben Gemüsestände.
gleich mit New York. Bezüglich des Kunstaktio-
Zurück zu dem angesprochenen Ver-
lismus; Gott sei Dank nicht. 798 ist zielgerich-
Wenn man den Marktplatz etwas übergeord-
nismus und der Prozesse der 70er und 80er
ganz abgeschlossen. Dazu bedarf es noch ein
tet. Die machen das natürlich, um damit
neter als ein Zusammenkommen von Busi-
Jahre in SoHo. Könnte man sich das verglei-
bisschen mehr Presse. Im Moment sind Di-
Geld zu verdienen. Und zwar relativ schnell.
ness zu Business sieht, dann ist es sicher
chend vorstellen?
mension und Anspruch etwa vergleichbar mit
Das ist kein „Spaß“. Das ist es in China nie.
richtig, aber auch falsch.
dem New York Status. Wobei New York ja
Dieser Gesellschaftsteil fehlt noch, also der,
eine Art Gesamtkunstwerk ist. Das 798 wird
den wir uns in den letzten 25 Jahren ge-
an dem Menschen zusammenkommen, um
ich darüber weiß, könnte ich mir das so vor-
ein bisschen zu touristisch. Man sieht dort
leistet haben, nämlich etwas just-for-fun zu
Austausch zu betreiben, quasi ein offener Ort.
stellen. Eine andere Metapher: Immer wenn
länder, Franzosen, Russen und Japaner –
DS
MK Nur Berlin ist arm und bietet „Gedöns“.
MK Selbstverständlich. Das ist noch nicht
sehr viele Italiener, Spanier, Deutsche, Eng-
DS
machen. Das gibt’s dort nicht. DS
Oder den Drang aus einer theoretischen
MK Also ich war zwar in den 70er und 80er
Ich denke da an einen öffentlichen Ort,
Jahren nicht in SoHo. Aber von dem was
MK Dann ist es wirklich als offener Ort zu
ich in Europa ankomme, habe ich das Ge-
verstehen, an dem ständig „Connections“
fühl ich steige aus dem Flugzeug und stehe im Pattex. Jedoch wenn ich in China an-
also hochgradig international, aber noch
Basis heraus etwas zu verändern? So in dem
gestrickt werden – sehr schnell und sehr ge-
nicht super-professionell. Dafür gibt es
Sinne „wir zweckentfremden dieses Gebäude für
waltig. Aber sie werden auch schnell wieder
komme, habe ich immer das Gefühl die Gulli-
noch keinen Dachverband, der das steuert.
unsere Ideale“ oder derartiges?
fallen gelassen.
deckel springen in die Luft vor lauter Ener-
Es wuchert noch. Das betrifft die gesamte
MK Nein. In China ist fast alles pragmatisch,
DS
Kunstszene in China.
mehr als irgendwo anders. Also wenn sie
ten festgestellt. Sie alle vermitteln den Ein-
mit einem Chinesen über Theorie reden,
druck eines offenen Gebäudes. Das heißt, es
wahrnehmen. Jeden Tag etwas Neues sehen.
dann macht der das ganz gut, aber irgend-
gibt Marktplatz-ähnliche Strukturen entweder
Danach muss man hier ewig suchen.
Wie betrachten sie das Wuchern für die
Kunstproduktion an sich? Speziell wenn man
Das haben wir an allen untersuchten Or-
gie. Es passiert dauernd und jeden Tag etwas Neues. Du kannst jeden Tag etwas Neues
die Räume betrachtet. Bedingt es informelle
wann wird er fragen „was bringt uns das?“,
im Inneren des Gebäudes oder im Äußeren.
DS
Räume, das heißt Räume in denen man Freihei-
und das finde ich richtig so. Die Chinesen
Die Inklusionen oder Exklusionen sind entweder
Bauhaus-Stil gestalteten Gebäudekomplex des
ten hat, etwas zu verändern?
sind hungrig. Sie wollen viel erreichen und
groß oder klein, je nach Hierarchie und Kont-
798. Gibt es dort auch eine ähnliche Wahrneh-
bringen dadurch viel mehr vorwärts.
rolle des Ortes. Wir betrachten das Ganze also
mung zum Thema Denkmalschutz und Erhal-
auch aus solchen verschiedenen architektoni-
tung wie hier?
MK Das kann ich schwer beurteilen, aber im
DS
großen und ganzen sieht es so aus – wenn
DS
ich an das 798 denke – dass es so wäre.
der Idealismus oder das Experiment mit.
Die Frage zielt darauf ab, dass die Ten-
Hier in Europa schwingt doch oftmals
schen Situationen heraus.
Noch eine andere Frage zu dem im
MK Das weiß ich nicht. Aber es sieht im Mo-
MK In China geht es ganz klar darum Ziele
MK Das Quartier 798 ist in diesem Sinne viel
ment so aus, dass dort niemand auf die
zu erreichen. Das ist wichtig und vielleicht
zu groß um es zu kontrollieren. Es geht den
Idee kommen würde, das Gebäude abzurei-
entweder ankommen oder eingehen. Also dass
auch viel besser. Es wirkt befriedigender.
Leuten dort um ein Ziel, nämlich um Erfolg zu
ßen. Im Gegenteil, man wird es eher aktiv
es Zeitspannen sind, die entweder kurz oder
Sie haben dort auch angefangen zu experi-
haben und nicht, um irgendetwas auszu-
vermarkten. Man wird es dann vermutlich
denz dieser Quartiere dahin geht, dass sie
p.340
eines Marktplatzes in den Sinn.
lang sind, aber eigentlich transitorisch. Wenn
mentieren, aber nicht mit dem Hintergedan-
probieren. Und sie gehen ganz speziell dort
unter dem Gesichtspunkt des Denkmal-
man an das MQ in Wien denkt, hat sich dieser
ken „wir machen das aus experimentellen
hin, weil dieser Ort einen gewissen Erfolg
schutzes vermarkten, ziemlich sicher sogar,
Zustand nun verfestigt oder verankert. Aber
Gründen“, sondern weil Räume frei sind
verspricht. Das hat natürlich auch wieder mit
weil das öffentliche Ansehen des Gebäudes
viele andere sind in einem Schwebezustand.
und Räume gebraucht wurden.
der gesellschaftlichen Einstellung zu tun,
sehr gut ist. Und das öffentliche Ansehen ist
Gerade wenn man bedenkt, dass diese Quar-
DS
tiere oftmals als Hausbesetzungen anfingen,
ich ihn mir vorstelle, sehr gut funktionieren.
In dem Fall würde ein Komplex, so wie
das heißt, mit Medizin, Feng Shui, etc. DS
Paritizipation
der Fassade als Gesamtkunstwerke betrachten.
bar, aber mit dem Taxi überhaupt kein Prob-
im Allgemeinen sehr wichtig für die Chine-
In dem Buch „Arrival City“ von Doug
sen.
bei denen die Nutzer programmatisch damit an- Sie haben die merkantile Eigenschaft der Chi-
Saunders wird dieses Modell auch beschrieben:
DS
gefangen haben, Räume zu benutzen, die
nesen erwähnt – somit wäre es ideal, wenn die
An einen Ort zu gehen, der Erfolg verspricht.
Sie das Gefühl, dass viele internationale Ga-
Aus ihrer Perspektive als Galerist, haben
leerstanden. Mit „Benutzen“ meine ich die Pro-
enge Verbindung von Kunstproduktion parallel
MK Das Hingehen alleine verspricht noch
lerien auch gerade durch vorher beschrieben
duktion. Wenn man so will, könnte man diese
zum Konsum von Kunst bzw. dem Verkauf an
nicht den Erfolg. Die Chinesen sind nämlich
Phänomene auf Peking aufmerksam geworden
Gebäude mit ihren Skulpuren und Slogans an
einem Ort stattfindet? Mir kommt die Metapher
zudem sehr einsatzbereit. Aber man geht
sind?
p.341
Paritizipation
DS
MK Mit der U-Bahn ist es schlecht erreich-
DS
Dort spielt das Umfeld auch eine wichtige
immer hybrider wird. Produktion und Konsum.
anderen Seite übernimmt Peking momentan
China geplant. Natürlich wieder aus Gründen
Rolle. Das heißt, Produzieren will man dort,
Das, was man produziert auch gleichzeitig
aber auch nicht sehr viel Verantwortung
des Prestiges. Im Moment ist es noch der
wo man auch die optimalen Möglichkeiten
auszustellen. Das merkt man zum Beispiel an
dafür. Das heißt, dass die Stadt nicht viel
Trend, sie mit chinesischer Kunst zu füllen,
hat. Bezüglich des Präsentierens kann das
all den erdgeschossigen Ladenzonen, die als
Geld dafür in die Hand nimmt, lediglich für
aber die ersten großen Sammler beginnen
wiederum irgendetwas Gewachsenes sein,
Ateliers oder Architekturbüros genutzt werden.
wirklich große Events. Die kleineren Provin-
damit, amerikanische und europäische Kunst
z.B. 798, oder aber auch etwas ganz neu
Es bedingt eben dieses Sehen und Gesehen-
zenhauptstädte machen mehr als Peking,
zu kaufen und das für sehr viel Geld. DS
Welche Künstler vertritt ihre Galerie
hauptsächlich?
DS
mit Kunst zu tun hat, als Shanghai. Auf der
und extra dafür Gebautes. In Peking gibt es
Werden. Man könnte sage: Kleine Typologien,
weil Peking überhaupt nicht die Zeit hat, all
das „Inside-out Art Museum“ ein privates
die mit wenig Geld aus einer Theorie und ei-
das zu initialisieren. Das ist natürlich auch
Unternehmen, welches leider sehr schlecht
nem gewissen Erfolgsdrang heraus entstehen.
politisch bedingt. Peking selbst ist mo-
MK Wir arbeiten vorwiegend mit Chinesen,
gelegen ist. Dafür besitzt es aber riesen-
aber auch mit internationalen Künstlern,
große Präsentationsflächen und ist mit Ate-
DS
das heißt Amerikanern, Jamaikanern und
liers und Shopping-Malls ausgestattet. Ein
nicht, denke ich. Auch wenn nicht jeder Erfolg
heisst nicht, dass die Stadt viel dafür tut, son-
Deutschen – unter anderem auch aus prag-
privater Investor, der das sozusagen aus
hat, vielleicht ist es der Vierte der kommt und
dern dass die Szene einfach da ist. Ähnlich
matischen und logistischen Gründen.
Spass macht. Auch das 798 hat mittlerweile
durch den Geist der Vorherigen Erfolg hat.
wie in Berlin, nur wesentlich größer und we-
sehr große Räume und Präsentationsflä-
Stichwort Kommerzialisierung: Lassen sich da
sentlich erfolgreicher. Aber für sie ist der
Tendenzen ablesen?
Uns geht es darum, solche Prozesse zu
MK Sind die erfolgreich?
mentan mit Sicherheit in China für Kunst die
Manche werden erfolgreich, manche
absolut interessanteste Stadt. Aber das
verstehen. Prozesse die stark mit unserer
chen. Aber dazwischen sind immer noch die
Arbeit als Architekten zusammenhängen. In der
Ateliers, in denen produziert wird. Und die
MK Man findet im 798 mittlerweile alles.
DS
Architektur sprechen wir von Typologien, der
Ateliers sind normalerweise nur für Leute
Shops mit Kleidung, Arts and Crafts und an-
Architekten in der Hinsicht. Wir planen immer
Art und dem Nutzen eines Gebäudes. Wir lernen
da, die auch etwas zeigen – für Galeristen
derem Schnickschnack. Es gibt junge
mehr für den wachsenden Kunstsektor. Daher
gerade damit umzugehen, für den Markt den
und auch für Kunden. Es geht hauptsäch-
Modedesigner, etc. Jeder der Geschäfte wit-
sind andere Anforderungen nötig, die wir aber
sie beschrieben haben und der immer umfang-
lich darum, dass man überall an den großen
tert, geht dort hin und bezahlt auch die
noch besser herausfinden müssen. Zum Beispiel
reicher wird. Ganz einfach gefragt: Wie bringt
Adressen auch große Shows bekommt. Und
Mieten. Und ich denke, dass es sich sogar
flexibel zu planen, temporär anpassbar. Wie
wirklich lohnt.
gehen wir mit Hüllen um? Welche sind fix und
man Kunstproduktion und -konsum zusammen,
die sind entweder vor Ort vorhanden und
rein architektonisch betrachtet? Zum Beispiel,
von jemandem betrieben bzw. bezahlt, oder
DS
wenn wir neue Gebäude planen, wie sollen
es wird extra für diese Personen etwas zur
abwandern, die weniger Mittel haben, gerade
sie aussehen und funktionieren? Welche Rolle
Verfügung gestellt, wie im „Inside-out Art
weil das Quartier zu attraktiv wird?
spielen sie dabei? Oder braucht es dafür eine
Museum“ “. Ansonsten gibt es noch das
alte Substanz? Spielt der Leerstand dabei
Gibt es auch Tendenzen, dass Künstler
MK Natürlich. Wer kann, der versucht dort
„Today Art Museum“, welches man für etwa
planerische Sektor interessant? Ja, auch die Aufgabenverschiebung des
welche wandelbar? MK Und das ist nicht planbar! DS
Genau. Letztendlich ist das die Frage:
Kann man das als Architekt steuern?
zu bleiben. Aber wer nicht kann, der geht
MK Man kann sich einklinken, aber es ist
eine übergeordnete Rolle? Ist Leerstand der
30 000 Euro im Monat anmieten kann. Das
in die anderen noch nicht so attraktiven
nicht planbar. Man müsste dafür einen
Zustand der von den Künstlern gesucht wird?
sich aber auch nicht jeder leisten kann.
Kunstquartiere, die etwas weiter außerhalb
enorm freien Geist haben, um die Dinge lau-
Oder funktioniert das auch, wenn alles bereit
DS
sind. In Caochangdi zum Beispiel, gibt es
fen zu lassen. Dann kann man den Prozess
gestellt wird, zum Beispiel in einem Neubau,
sierte Orte, die einen Leerstand thematisieren
alte Gewächshäuser, in denen sich Künstler
im Untergrund ganz zart beeinflussen. Aber
das heißt klimatisierte Räume, ordentliche
bzw. ausnützen, wie etwa „Pop-Up-Galerien“?
einquartieren. Da kriecht man eigentlich
im Prinzip ist das nicht planbar. Vergleich-
Erschließung, etc?
Die sich mit ganz wenigen Mitteln darstellen
durchs Fenster hinein.
bar mit einer Krake. Was in den Wagenhallen
MK Es funktioniert beides. DS
p.342
Ich glaube, dass hier einfach alles
Also sie meinen es bedingt gar nicht die-
Gibt es denn auch viele selbstorgani-
und daraus auch ein Event machen? MK So etwas gibt es auf jeden Fall. Aber
DS
Ist Peking generell eine Stadt in China,
passiert ist o.k., aber das macht man eher
die sehr viel mit Kunst zu tun hat?
zum „Spass“ und zum Überleben, aber
sen Akt des selber Suchens oder Machens aus
nicht auf dieser Low-Budget-Ebene, wie hier.
MK Also wenn sie das mit einer Menge an-
der Perspektive eines Künstlers? Das heißt ent-
Dort wird richtig hart dafür gearbeitet. Hier
derer Städte dieser Welt vergleichen, dann
macht man um Erfolg zu haben. Und das ist
weder ihr gebt uns einen Raum, egal welchen,
wird das so gemacht, weil vielen, die sich
hat Peking wahnsinnig viel mit Kunst zu
ein sehr großer Unterschied.
oder wir suchen uns den einfach.
nicht für den Erfolg. Anders beim 798 – das
verwirklichen wollen, das nötige Geld fehlt.
tun. Weil sie alles dafür tut und auch vieles
DS
MK Es geht hauptsächlich um die Frage wo
Man findet es hip, aber meistens kommt
duldet, so dass dort eine Szene entste-
angesprochen haben. Die Frage nach dem Ziel?
man seine Kunst präsentieren kann und wo
nicht viel dabei heraus.
man sie produzieren kann. Produzieren
Paritizipation
kann man sie in Gebieten wie dem 798.
Zweifel. Es sind hunderte von Museen in
Ein sehr interessanter Punkt, den sie nun
hen kann. Es wird für Peking in Anspruch
MK Ja. Die Künstler müssen ja von etwas
genommen, dass die Stadt wesentlich mehr
leben.
p.343
Paritizipation
MK Klar, das ist der kommende Markt. Ohne
In den Wagenhallen arbeitet derzeit ei-
wirklich guten Künstler sind motiviert und
ne Logik, die sehr viel mit dem von ihnen
die muss man fördern. Dabei handelt es
hen kann und dort die Chance hat, auch Erfolg
Partizipation im Entwurfsprozess mitlebt. Das
Erwähnten zu tun hat. Nämlich, wie kann man
sich um wenige Prozente, aber es geht eben
zu haben?
heißt, man ist als Architekt Teil des Prozesses
das eigene Gebilde intelligent nutzen. In China
darum, diese kleine Anzahl herauszufil-
und kann diesen quasi mitsteuern.
ist das sicherlich ähnlich?
tern. Dieser Prozess passiert in China von
Es dauert noch eine Weile, bis es so richtig auf der Höhe ist. Noch maximal 5-10 Jahre.
MK Ja, nur geht es dort um privaten Profit,
ganz alleine. Ich bin da gerade knallhart
dass Künstler nicht so ohne weiteres zu
der in die Regierungskreise versinkt. Es
chinesisch. Wenn es für die Stadt wirklich
beeinflussen sind. Zum Teil sind sie des-
geht nicht um das Interesse an dem einzel-
nützlich sein soll, dann darf es niemals
DS
halb Künstler, weil sie frei sein wollen. Viele
nen Ding, es sei denn es ist sehr hoch an-
nur ein soziales Projekt sein, es muss ein
Entwurf eines solchen Quartiers. Wir selbst
gesehen.
qualitatives Projekt sein. Und dann wird es
haben festgestellt, dass wir dabei Probleme
auch zur Kunstmetropole. Ein Projekt mit
haben.
Nun zum Schluss nochmal zurück zum
DS
frei aber eben auch erfolgreich zu sein.
testens seit Mitte der 2000er erkannt, dass
durchdachtem Konzept. Nur dann kann es
MK Sie werden ein solches Quartier nie
Bei der Architektur im Allgemeinen geht es
sie aus den Kreativen/Künstlern Profit ziehen
auch Erfolg haben.
entwerfen können. Ich muss sie dabei leider
um Strukturen und Klarheit. Die Künstler
können. Das entspricht einem unsichtbaren
DS
und Galeristen sind hochgradige Individua-
Erfolgsmodell, weil dieser Erfolg eben nicht
dem Titel als Kunstmetropole.
Berlin brüstet sich ja auch selbst mit
enttäuschen (lacht). Man kann das 798 als Vorbild nehmen, oder es versuchen nach-
listen. Dafür müsste man eine selbstwach-
messbar ist. Ein aktueller Punkt in der Stadt-
MK Nein. Berlin zählt zur Zeit als eine hip-
zumachen, aber es wird sich nicht dasselbe
sende Struktur beaufsichtigen. Schon allein
planung ist es, darüber nachzudenken, wie
pe Metropole. Es fehlt einfach das Geld für
ereignen. Und das war die Frage nach den
der Verdacht, dass etwas beaufsichtigt
man das Potential der kreativen Menschen
eine wirkliche Kunstmetropole. DS
facher, weil die Leute eh wissen, dass sie
nicht abwandern. Was bedingt das also? Was
Stadt ein Experimentierfeld für Erfolg gewor-
ches Projekt muss wachsen. Kennen sie die
beaufsichtigt werden. Und ich weiß nicht, ob
macht einen Bezirk attraktiv und zum Anzie-
den. Damit meine ich, dass Leute es innerhalb
Struktur von 798?
die Idee gut ist, sich einzumischen. Ich
hungspunkt? Wer wird dadurch vertrieben?
einer bestimmten Zeit – z.B. 6 Monate – versu-
denke, diese Idee ist vor allem „hip“.
Die Stadtplaner haben nun das Interesse, aus
chen. Gerade internationale Künstler. Und wenn
Prozessen, wie dem des 798 zu lernen. Aber
es nicht funktioniert, dann sind sie wieder weg.
Sie betrachten das sehr stark aus einem
„Nachmachen“ geht nicht, es ist eben ein Selbstorganisationsprozess.
Mir kommt es dabei so vor, als wäre die
bereitgestellten und den entstandenen
wird, ist schwierig. Das ist in China etwas ein- an die eigene Stadt binden kann, so dass sie
MK Ich muss das so sehen, weil ich es mir
p.344
Hierzulande haben die Städteplaner spä-
Das kann aber auch schneller gehen.
viel Geld verdienen. Andere machen es, um
Erfolgsprinzip heraus.
DS
MK Klar. Das ist eine Frage des Einstiegs.
MK Man muss sich darüber im Klaren sein,
nehmen dafür auch in Kauf, dass sie nicht
DS
nationaler Künstler momentan nach Peking ge-
Räumen. Das schafft man nicht. Ein sol-
DS
Nein.
MK 798 ist einfach nur eine Hausnummer. Im Gebiet findet man aneinandergereihte
MK So ungefähr. Es werden gerade jetzt
Straßenzüge. Im Endeffekt vergleichbar mit
viele Menschen von Berlin angezogen, eben
dem New-York-Raster. Dort sind auch heute
nicht leisten kann, zu spielen. Ich habe
MK Das geht nicht. Erstens auf Grund
weil es Erfolg verspricht. Doch viele haben
noch Fabriken, also produzierende Unter-
Lust, genau das zu machen und damit auch
der Gebäudestruktur und zweitens – und
nicht das Durchhaltevermögen. Das ist
nehmen dazwischen. Es gibt auch größere
Erfolg zu haben. Erfolg heisst für mich
noch viel wichtiger – auf Grund der Men-
völlig normal. Und Berlin erholt sich jetzt
und offizielle Werke in diesem Areal.
aber nicht, im Geld zu schwimmen, sondern
schenstruktur. In Deutschland ist alles sehr
schon, das sieht man an den Immobilien-
auch viel zu erfahren und erlebt zu haben.
dekadent. In China muss man für den Erfolg
preisen.
DS
Kann man dort noch günstig essen?
MK Oh ja. Im 798 gibt es am Eingang die
Aber ich bewundere es, wenn es in eine
wirklich hart arbeiten. Wenn man nun aus
DS
strukturierte Richtung geht, und das sehe
der Perspektive der Stadtplanung ein sol-
andere Rolle. Das sieht man an der Investoren-
ligen. Bei mir um die Ecke kann ich nachts
ich vor allem bei vielen Leuten in China.
ches Quartier erhalten möchte, dann sollte
architektur und der Diskussionen um die Medi-
um vier Uhr eine Suppe für 60 Cent essen.
Die gehen klar in eine Richtung. Und sie er-
man die Mieten möglichst minimalistisch
aspree, etc. Das kann dann auch ganz schnell
warten das auch von den Leuten, mit denen
niedrig halten oder sie sogar ganz wegfallen
wieder an Attraktivität verlieren.
sie zusammen arbeiten.
lassen. Es werden Verträge für Künstler
MK Oder gewinnen. Je nachdem. Es verliert
Dieses Erfolgsprinzip einmal gesehen
Dabei spielt die Architektur wieder eine
teuren Lokale und im Hintergrund die Bil-
Ein Bier dazu für 40 Cent. DS
Herr Küper, vielen Dank für das Ge-
spräch!
auf eineinhalb bis zwei Jahre vergeben. Am
an Attraktivität für die große Anzahl von
aus der Sicht der Stadt: Sie hat gemerkt, dass
Ende gibt es Ausstellungen, die einem Aus-
Kreativen und Pseudo-Kreativen, sowie an
Das Gespräch wurde am 29.01.2013 im Café
Leerstellen auch ein Potential haben, eben für
wahlverfahren entsprechen. Wenn nicht or-
hippen Events. Die sollte es immer geben,
des Kunstmuseums Stuttgarts geführt.
Künstler und andere Leute, die kreativ arbei-
dentlich gearbeitet wird, ist man raus oder
das finde ich auch gut. Aber es müsste
ten. Um dieses Potential nicht zu vernach-
man muss das und das nachweisen. Ohne
dann kräftiger und qualitativ hochwertiger
lässigen, hat sie angefangen, sich Gedanken
Druck passiert nichts. Und das hat nichts
zu machen, wie man erfolgreich mit dieser
mit Freiheit und Kreativität zu tun. Die
werden. DS
Würden sie sagen, dass man als inter-
Paritizipation
Situation umgehen kann. Die Stadt verfolgt ei-
ne Architektengruppe, die das Prinzip der
p.345
Paritizipation
DS
Kreativquartier | Exkurse Exkurs Partizipation p. 348 – 367 | Exkurs Zwischennutzung p. 370 – 377 | Exkurs Typologie p. 378 – 391 | Schlussanmerkungen p. 392 – 397 |
Exkurs â&#x20AC;&#x201D; Partizipation
2006 entstehen weltweit Piratenparteien, die direkte
gesellschaftlichen Wandel in der Zeit nach dem Zweiten
Demokratie und „Open Access“ propagieren, Ende 2010
Weltkrieg als den Wandel von der Disziplinargesellschaft
beginnt der „Arabische Frühling“ und nicht zuletzt er-
zur Kontrollgesellschaft 1 . Mit dem Begriff Empire 2
nennt die TIMES „The Protester“ zur „Person of the Year
erklären Hardt und Negri eine neue Weltordnung, die
2011“. Wenn die Multitude also fähig ist, sich Raum an-
alles umfasst, in der Grenzen sich auflösen und in der
zueignen und wenn Metropolen weltweit jenseits von
keine klare Macht identifizierbar ist. Arbeit ist in dieser
Planbarkeit und Kontrolle entstehen, dann wird die Ef-
Ordnung immateriell und beruht auf Kommunikation
fektivität herkömmlicher Planungsinstrumente und da-
und Netzwerken. Ein Zustand „autonomer Entfremdung“
mit auch die klassische Rolle des Architekten * radikal
(d.h. eine selbst gewählte, nicht von außen aufgezwunge-
in Frage gestellt. Seit der Postmoderne versuchen Archi-
ne Entfremdung), deren Erschaffer die Multitude 3 ist.
tekten auf diesen Wandel zu reagieren. Ein Instrument,
Diese ist die Masse innerhalb des Empire – „Singularitä-
welches adäquate Lösungsansätze im Planungsverfahren
ten, die gemeinsam handeln“ 4 – und deren Ziel es ist, eine
hervorrufen kann, ist die Partizipation.
globale Demokratie herzustellen. Kommunen und Netzwerke sind Beispiele dieser Gemeinschaften, sie handeln und entscheiden gemeinsam
Exkurs Partizipation
Kreativquartier — Vertiefung
Exkurs — Partizipation | Gilles Deleuze beschreibt den
Der folgende Essay beleuchtet Partizipation im architektonischen Planungsprozess anhand ihrer Entstehung genauer und analysiert deren Potenziale und Grenzen.
und bevorzugen kooperative Beziehungen an Stelle von und Bewegungen, welche Macht von kollektiven Systemen ausgehen kann. In den 1990er Jahren kommt die p.350
„Reclaim the Streets“ Bewegung auf, die erste „Critical Mass“ Aktion findet 1992 in San Francisco statt, seit
1 Gilles Deleuze: Postskriptum über die Kontrollgesellschaft (l‘autre journal, Nr.1, Mai 1990) 2 Michael Hardt, Antonio Negri: Empire. Die neue Weltordnung (Campus, Frankfurt am Main 2002) Vorwort 3,4 Michael Hardt, Antonio Negri: Multitude. Krieg und Demokratie im Empire (Campus 2004) S. 123 * *In der vorliegenden Arbeit wird zur Erleichterung des Leseflusses bei Personenangaben die männliche Form.ese schließt die weibliche Form ein.
p.351
Autoritäten. Aktuell zeigen zahllose Protestaktionen
liberty to access urban resources …“
Partzizipation in der Architektur 1968 erhob Henri Lefebvre im Zuge der Unzufriedenheiten in der Bevölkerung das Recht auf Stadt in seinem gleichnamigen Buch „Le droit à la ville“ 1 , welches David Harvey später mit der Aussage ergänzt „The right to the city is far more than the individual liberty to access urban resources: it is a right to change ourselves by changing the city. It is, moreover, a common rather than an individual right since this transforma-
1 Henri Lefebvre: Le droit à la ville (Anthropos, Paris 2009) (Quelle: http://de.wikipedia. org/wiki/Recht_auf_Stadt) 2 David Harvey: The right to the city (New Left Review 53, Sept.Oct. 2008) 23 3 Jesko Fezer, Mathias Heyden (Hg.): Hier Entsteht (metroZones3, b_books, Berlin 2004) 18 ff
der informellen Hüttensiedlungen. Die Architekten versuchen die erzwungene Individualisierung der Flachbausiedlungen und das historische Erbe zu bäude zusammen 2.1 . Candilis und Woods beschreiben und konzipieren die Gebäude in geradezu paternalistischer Weise.
gelten als signifikant für den Beginn einer partizipativen Archi-
Doch der mitteleuropäische Kanon der Nachkriegsmoderne
tektur. Wohnen für die Massen durch Standardisierung und Ty-
war ein anderer. Der Perspektivwechsel der Nachkriegszeit
pisierung steht im Widerspruch zum Wunsch der uneinge-
stellt die universalistisch-technokratischen Planungsmethoden
schränkten Entfaltung des Individuums. Die Transformation des
des Modernismus in Frage, die bisher der Nutzung und Aneig-
„homo faber“ (des arbeitenden Menschen) zum „homo ludens“
nung durch die Bewohnerinnen und Bewohner kaum Rechnung
(dem spielenden Mensch) verdeutlicht den aufkommenden
getragen haben 3.1 . Erst die spätere Entwicklung der in Nord-
Lebenshunger und das Streben nach Selbstverwirklichung einer neuen Generation deutlicher denn je. In den Studentenbewegungen der 1960er Jahre bringt eine neue Architektengene-
rung und Selbstbestimmung beherrschen die Diskussionen um eine Architektur „mit“ dem Nutzer und nicht „für“ ihn. In Zukunft sollte das Individuum im Mittelpunkt stehen und ergo der Nutzer zum Bestandteil des Planungsprozesses werden. Jesko Fezer und Mathias Heyden unterscheiden in ihrem
afrika entstandenen Gebäude führt zu ihrer Transformation Von der Moderne zur kritischen Auseinandersetzung in der Nachkriegszeit – Umformulierter, zusammengefasster Auszug aus: CIAM-Urbanismus der Nachkriegszeit und die Re-Konfiguration städtischer Gewebe, Sandra Meireis, Diplom 2009/10, erschienen im Studentenkatalog AK10, 2011 1.1 vgl. Cohen: The Maroccan Group and the Theme of Habitat, 1992, S. 62
Buch „Hier Entsteht“ zwischen drei Konzepten partizipativer Architektur, die sich in der Nachkriegszeit bis tief in die 1980er der durch Reflexion traditioneller Bauweisen die wirklichen
der „offene Raum“. Das Gebäude und darin Enthaltenes beeinflussen sich hier reziprok. Der Plan ist ad hoc unfertig und lässt auf diese Weise individuelle Raumkonzepte zu Abb.3 . Von der Moderne zur kritischen
steht die Architekten-Gruppe ATBAT-Afrique. Georges Candilis,
nungsprojekten thematisiert wird. 5.1 Die gebauten Projekte in Nordafrika zeigen: Das Ziel, die Menschen durch die Architektur einer modernen Lebensweise näher zu bringen, scheitert; im Gegenteil, die Menschen okkupieren und transformieren die Architektur.
3.1 vgl. AnArchitektur, GAMMA Grid 2008, S. 96f
vereinbart werden; unter Ablehnung physiologischer Bedürfnis-
zies und die Realität verschiedener Kulturen festgestellt und se kultureller Prägung. 6.1 4.1 vgl. Jesko Fezer, Mathias Heyden, Hier entsteht (metroZones3), b_books, Berlin 2004, S. 66 5.1 vgl. Eleb: An Alternative to Functionalist Universalism, 2000, S 67 6.1 vgl. Eleb: An Alternative to Functionalist Universalism, 2000, S 68
Die kulturspezifischen Impulse und die universalistische Denkweise der Architekten geraten zwar bisweilen in Widerspruch, die kulturellen Unterschiede werden aber in der Folgezeit relativiert und als Ungleichzeitigkeiten der Entwicklung verschiedener Gesellschaften gedeutet, was wiederum als Rechtfertigungsargument des internationalen Charakters der Architektur dient. 7.1 Candilis, Josic, und Woods kommentieren diesen Sachverhalt folgendermaßen:
7.1 vgl. Cohen, Eleb: Casablanca, 2002, S. 379
Jahre 1949 in Casablanca zum Thema „Moderne Konstruktionsmethoden und Stadtplanung und das moderne Leben“ ent-
nen verschiedener Bevölkerungsgruppen in sozialen Woh-
Nach Ansicht von Candilis und Woods, müssen demnach die
Auseinandersetzung in der Nachkriegszeit Nach Vorträgen von Vladimir Bodiansky und Marcel Lods im
Die modernisierten Kasbahs der ATBAT entfachen eine Debatte in ganz Europa, in deren Rahmen das angemessene Woh-
gemeinsamen archaischen Bedürfnisse der menschlichen Spe-
Bedürfnisse der Nutzer erkannt werden sollen Abb.1 . Das „Flebarkeit durch Modulbauweise Abb.2,3 . Das dritte Konzept ist
und Anpassung an lokale Gewohnheiten, Sitten und Bräuche. 4.1
2.1 vgl. AnArchitektur, GAMMA Grid 2008, S. 72
Jahre hinein entwickelt haben 3 . „Vernakuläre Architektur“, bei
xible System“ verfolgt die Strategie der spontanen Veränder-
p.352
Centrales und den Strukturen der traditionellen Altstädte und
überwinden und fassen mehrere Wohneinheiten zu einem Ge-
klassischen Moderne zum Ausdruck. Begriffe wie Demokratisie-
Abb. 3 Moshe Safdie, Habitat 67 Montreal, 1967 – Eine Großstruktur, die Flexibilität und Erweiterbarkeit propagiert und letztendlich auf die Ausstaffierung der individuellen Wohneinheit verweist.
Vergleich zwischen ihrer eigenen Architektur in den Carrières
er to reshape the process of urbanization.“ 2
ration ihre Kritik an den autoritären Planungsmethoden der
Abb. 2 Gerrit Rietveld entwirft 1924 ein Wohnhaus in Utrecht, welches durch Einsatz von Falt- und Schiebemodulen im Inneren verschiedene Raumsituationen ermöglicht.
jekten in den Folgejahren findet man stets einen umfassenden
tion inevitably depends upon the exercise of a collective powDie gesellschaftlichen Veränderungen in der Nachkriegszeit
Abb. 1 ATBAT-Afrique , Cité Verticale Casablanca, 1953 — Die Architektengruppe untersucht traditionelle Hofhaustypen in Marokko.
Shadrach Woods und der Ingenieur Henri Piot stoßen zwei Jahre später hinzu 1.1 . In einer beachtlichen Anzahl von Pro-
Exkurs Partizipation
more than the individual
„The younger members of CIAM demand as a ‚première proposition de l’Habitat‘ the voluntary effacement of architec-
8.1 vgl. Cohen: The Maroccan Group and the Theme of Habitat, 1992, S. 64
ture. We must prepare the ‚Habitat‘ only to the point at which man can take over. We aim to provide a framework in which
p.353
Kreativquartier — Vertiefung
„The right to the city is far
zu Beginn des Prozesses aber oft nicht im Klaren darüber sind, „(...) Information und Wünsche
made a principle of habitat that man shall have the liberty to
Utopian about the present.
was genau sie wollen, sei es die Aufgabe des Architekten, aus
adapt for himself. “ 8.1
Thus their aim is not to
seinen eigenen Analysen, sowie den Wünschen der Nutzer, gen an den gebauten Raum
theorize but to build, for only
Spektren an Möglichkeiten zu entwickeln.
TEAM 10
through construction can a
„Team 10“ ist eine Gruppe junger Architekten, die aus den
Utopia of the present be
„CIAM“ 2 hervorgeht. Die „Familie“, wie sie sich selbst be- realized.“ 1 zeichnen, trifft sich in den Jahren etwa zwischen 1953 und
— Alison Smithson 1962
1981 regelmäßig Abb.4 . Sie verurteilten insbesondere die dogdon erarbeiteten Vorschläge zum „Wohnen für das Existenzmi- become too important to be
schläge zu erwarten. Dennoch soll dieser aber beim gesamten
left to architects.“
De Carlo versteht die Partizipation im architektonischen Prozess als kontinuierlichen Kreislauf von „Ermittlung der Bedürfnisse“, „Formulierung der Hypothesen“ und „Verwalten und
Verfechter einer partizipativen Architektur hinterfragen sie
Obsoleszenz des Objekts abbricht. Die Interaktion zwischen Ar-
beständig die soziale Funktion des Architekten im gesellschaft-
chitekt und Nutzer verlagert sich nach Fertigstellung des Ge-
lichen Kontext und versuchen Lösungsansätze für alternative
bäudes auf Nutzer und gebauten Raum 7 .
Planungsmethoden zu erarbeiten, in denen der Fokus auf dem
Giancarlo de Carlo sieht Partizipation trotz weit verbreiteter
Nutzer liegt.
Skepsis als enorme Bereicherung, nicht nur für den Erhalt le-
Die Mitglieder entwickeln autonome Projekte, in denen Sie
bendiger Gebäudestrukturen, sondern auch für die Sprache
mit neuen Raumsystemen experimentieren und dabei auf basis-
haben, mit zu bestimmen. „In reality, architecture has become too important to be left to architects. A real metamorphosis is necessary to develop
vielleicht nicht einfielen.“
Prozess dabei sein und die Möglichkeit haben, von einer vor-
Benutzen“, der erst mit der physikalischen und technischen
zipant soll im Prozess gleichberechtigt sein und die Möglichkeit
inaktivsten Architekten auf
Verfügung stellen. Es sei eine Illusion, vom Nutzer genaue Vor- Ideen bringen, die ihm vorher
härteste Kritiker der klassischen Moderne und zugleich größte
demokratische Arbeitsgemeinschaften Wert legen. Jeder Parti-
offenbaren (...) selbst den
handenen Auswahl an Möglichkeiten auszuwählen.
matischen Vertreter der von der CIAM in Frankfurt und Hoddes- „In reality, architecture has nimum“ 3 und der „Funktion des Stadtzentrums“ 4 . Als wohl
Der Architekt müsse hier seine technischen Fähigkeiten zur
der Leute, die ihre Erwartun-
Exkurs Partizipation
Kreativquartier — Vertiefung
man can again be master of his house. In Marocco they have „Team 10 is Utopian, but
der Architektur im Allgemeinen. Weil, so de Carlo, „(...) InforAbb. 4 Team 10 in Holland (Jaap Bakema, Georges Candilis, Aldo van Eyck, Alison und Peter Smithson, Giancarlo de Carlo,…)
mation und Wünsche der Leute, die ihre Erwartungen an den gebauten Raum offenbaren (...) selbst den inaktivsten Architekten auf Ideen bringen, die ihm vorher vielleicht nicht einfielen.“ 8 Abb.5 & 6
Abb. 5 Giancarlo de Carlo, Arbeitersiedlung Matteotti 1969-75 Bedingung des Architekten an die Auftraggeber der Siedlung war die Einbeziehung der späteren Bewohner von Beginn an des Planungsprozesses. Anhand von Diskussionen und Beratungen ermittelte de Carlo die Wünsche und Vorstellungen der Beteiligten, mittels derer er innerhalb eines Grundrasters 45 Varianten entwarf, aus denen die Bewohner wählen konnten.
1 http://www.team10online. org/team10/introduction.html
new characteristics in the practice of architecture and new behavious patterns in its authors: therefore all barriers between builders and users must be abolished, so that building and using become two different parts of the same planning
2 CIAM steht für Congrés Internationaux d‘Architecture Moderne; internationale Kongresse für moderne Architektur (1928 und 1959)
process.“ 5
schärfsten Kritiker der Moderne. Architektur und Politik waren
3 CIAM 2 Frankfurt Kongress 1929 - Die Wohnung für das Existenzminimum. Folge/Kritik: Verlust der Wohn- und Lebensqualität ärmerer Klassen
für ihn immer untrennbar und so galt sein großes Interesse der Gemeinschaft und den sozialen Beziehungen als den konkreten Dingen des Lebens. 6 In der Partizipation sieht Giancarlo de Carlo die Lösung für
4 CIAM 8 Hoddesdon Kongress 1951 - „Das Herz der Stadt“ (Funktion des Stadtzentrums) Folge/Kritik: Luxusstadtzentren - räumliche Klassentrennung
die Entwicklung nachhaltigerer Gebäudestrukturen. Durch genaue Ermittlung der Bedürfnisse der Betroffenen und deren Beteiligung am Entwurfsprozess von Beginn an, so glaubt de Carlo, nehmen diese das Gebäude besser an und können sich p.354
damit besser identifizieren. Standardisierung und Planungen für einen „Otto Normalverbraucher“ würden unterdrückend und keinesfalls gerechtfertigt sein. Da die späteren Nutzer sich
5 Giancarlo De Carlo: Architecture‘s Public, in Architecture and Participation, ed. by Peter Blundell Jones, Doina Petrescu and Jeremy Till (Abingdon: Spon Press, 2007), 13 6 http://www.spatialagency. net/database/giancarlo.de.carlo
Abb. 6 Grundrissvarianten Giancarlo de Carlo, Arbeitersiedlung Matteotti 1969-75 7 Giancarlo de Carlo im Interview mit Mario Broggi; Arbeiterwohnungen in Terni, (WERK 3/ 1972) 142 und Giancarlo De Carlo: Architecture‘s Public, in Architecture and Participation, ed. by Peter Blundell Jones, Doina Petrescu and Jeremy Till (Abingdon: Spon Press, 2007) 8 Giancarlo de Carlo im Gespräch mit Lore Ditzen (ARCH+ 57/58, Aachen 1981) 55
p.355
Giancarlo de Carlo (1919 – 2005), italienischer Architekt und Schlüsselfigur der Partizipationsbewegung war einer der
Kriterien, die städtebaulichen oder raumordnenden Regelun- die städtebaulichen oder
oberung des Raumes in der dritten Dimension nun auch
gen trifft, wer die Verteilung von Nutz-, Wohn- und öffentlichen
würdigen Vorstellung der an
technisch uneingeschränkt möglich und eröffnet neue Perspek- den Boden gebundenen tiven. Physikalische Grenzen werden zur Herausforderung und
Architektur“
zumindest im Planungsprozess nicht mehr als unumgänglich
raumordnenden Regelungen
Flächen, d.h. die ‚Sekundärstruktur’ innerhalb der festinstal- trifft, wer die Verteilung von lierten Primärstruktur organisiert, und wie sie organisiert wird,
Nutz-, Wohn- und öffentlichen
bleibt unklar.“ 4
Flächen, d.h. die ‘Sekundär-
klassifiziert. Die Eroberung des Planeten in der Vertikalen hat
New Babylon ist Constant Nieuwenhuys’ Vision einer „world
begonnen. Eine ganze Generation junger Architekten feiert den
wide city for the future“ Abb.8 , in der Landflächen der
festinstallierten Primärstruk-
„psychologischen und ästhetischen Bruch mit der altehrwürdi-
Gemeinschaft gehören, Arbeit voll automatisiert ist und die
tur organisiert, und wie sie
gen Vorstellung der an den Boden gebundenen Architektur“ 1 .
Notwendigkeit für den Lebensunterhalt zu arbeiten durch eine
organisiert wird, bleibt
Diverse urbanistische Konzepte eines Yona Friedman – und
nomadisch, spielerische Lebensgestaltung ersetzt wird. New
unklar.“
anderer – propagieren die „Kolonialisierung des Raumes“.
Babylon wird vom „homo ludens“ bewohnt, der nichts muss,
Szenario der zu erwartenden Bevölkerungsexplosion aufgrund
Auch Cedric Price beschäftigt sich mit dem Partizipativen in
des Kriegsendes, der wirtschaftlich guten Situation in den
der Architektur. Eines seiner bekanntesten Projekte ist der Fun
1950er Jahren und der damit einhergehenden Erkenntnis, dass
Palace (1961), den er gemeinsam mit der Theater-Regisseurin
unser Erdball zu klein für diese Menschenmassen sein wird.
Joan Littlewood entwickelt. Obwohl dieses Projekt nie verwirk-
Der Glaube der Menschheit an die eigene Fähigkeit, ständiges
licht wird, beeinflusst seine flexible Raumgestaltung andere Ar-
Wachstum und immerwährenden Wandel, lassen in der Nach-
chitekten, wie Richard Rogers und Renzo Piano, beim Entwurf
kriegszeit megalomane Metaphern und städtebauliche Utopien
Abb. 5
des Centre Georges Pompidou in Paris. Price selbst wendet sein
aufkommen. Der Maßstab solcher Entwürfe reicht von der Grö-
Konzept in bescheidenerem Maßstab beim Inter-Action Centre
ßenordnung eines Dorfes mit 6000 Einwohnern (Trichter-
in Kentish Town in London (1971) an.
hausprojekt „Intrapolis“ von Walter Jonas 1960 Abb.7 ) bis hin
einzuführen, erfolgt bei Price durch das Ausklammern von
wohner bei Yona Friedman und Paolo Soleri. Diese Größenord-
bewohnbarem Raum und anderen städtischen Funktionen. „Das
nung lässt vor allem die Frage aufkommen, welche Rolle das
Lösen spezieller Aufgaben hat isolierenden Charakter: Jeder
Individuum und seine gewohnten Gruppierungen noch spielen. 2
Bau erfüllt seine Aufgabe, indem er alle denkbaren Nebenaufgaben ausklammert.“ 6 Die Utopien der Nachkriegszeit können
Der nun imaginäre unbegrenzte Bauraum, so die Vorstellung, könnte sich von allen bekannten städtebaulichen Problemen zu einer neuen Gesellschaftsform entwickeln. Um dies einzulei-
als eine Kritik an der Funktionstrennung der Moderne (Charta 1 Rey ner Banham, Clip-on Architektur. In: Bauen und Wohnen, 5/1967, Seite 167
ten, werden die Begriffe Wachstum, Wandel, Dynamik und Flexibilität auf die Fahnen geschrieben und wenige Zeit später als ungeschriebene Gesetze der Visionäre akzeptiert. Dem Bewohner wird in vielen Entwürfen eine Raumstruktur zur Verfügung gestellt, welche dem Allgemeinwohl dient und eher quantitativ ausgelegt ist. Der qualitative Aspekt wird in die Hände des Individuums gelegt, dem in einer Art Raum-Zelle freie Hand gelassen wird. Die Bewältigung der Massen scheint ein neues Problem zu sein, das gelöst werden will. Der partizipatorische Ansatz Yona Friedmans scheint hier seinen Anfang zu finden. Die „Massenorganisation“ 3 wird zum Kredo und die rasche Reproduzierbarkeit der einzelnen Zelle zum wesentlichen Prinzip. Doch ein wichtiger Aspekt des Zusammenlebens bleibt bei den
Abb. 5
Die Funktionstrennung, wie sie die Moderne versucht hat
zu großstädtischen Dimensionen für 200.000 und mehr Be-
und Besitzverhältnissen lösen und die Idee des Gemeinsamen
struktur’ innerhalb der
außer seiner Kreativität im Alltag freien Lauf zu lassen. 5
Ein weiterer Umstand versetzt die Planer in Tatendrang: Ein
p.356
städtebaulichen Utopien meist ungewiss. „Wer, nach welchen „Wer, nach welchen Kriterien,
Exkurs Partizipation
„psychologischen und ästheti-
Mit dem Beginn der Luft- und Raumfahrt erscheint die Er- schen Bruch mit der altehr-
von Athen) gelesen werden, verfolgen jedoch selbst eine systematische Trennung von Funktion und Bedingung und können sich so von ihren Vorbildern nur bedingt lösen.
2 Andrea Gleininger-Neumann, Technologische Phantasien und urbanistische Utopien, In: Vision der Moderne. Das Prinzip Konstruktion, Heinrich Klotz, Prestel 1986, Seite 56-57, ISBN 9783791307558 2 Walter Jonas: Das Intrahaus, Zürich 1962, Seite 32 4 Andrea Gleininger-Neumann, Technologische Phantasien und urbanistische Utopien, In: Vision der Moderne. Das Prinzip Konstruktion, Heinrich Klotz, Prestel 1986, S.59, ISBN 978-3791307558
Yona Friedman unternimmt den Versuch, ein Konzept der
5 Drawing Papers 3, Another City for Another Life: Constant‘s New Babylon. An Hommage to Constant by Catherine de Zegher, The Drawing Center, New York, 1999, p.3 6 Lucius Burckhardt, Wert und Sinn städtebaulicher Utopien, In: Wer plant die Planung?, Architektur, Politik und Mensch, MSV 1957, S.148 ISBN 3-927795-39-9
kreativen „Stadtplanung“ und des partizipativen Bauens zu entwickeln. Hierzu zählen diverse Schriftstücke und Vorträge wie „städtebauliche Anleitung für Jedermann“ 7 , „Technische Hilfeleistung für maximale Freiheit – Selbstplanung und Eigen-
7 Yona Friedmann: Meine Fibel,. Wie die Stadtbewohner ihre Häuser und ihre Städte selbst planen können. Düsseldorf, 1974, S.17-19
bau“ 8 und noch einige mehr. Das Konzept der „Architecture Mobile“ findet bei Friedmann’s Projekt der „Ville Spatial“ Ende der 1950er Jahre seinen ersten Ansatz. Drei Bedingungen soll die Architektur erfüllen: 1. Den Erdboden nur auf minimaler Grundfläche berühren 2. demontabel und umsetzbar sein und 3. von individuellen BenutzerInnen beliebig verändern werden können. 9
8 Yona Friedman, In: Jesko Fezer und Mathias Heyden, Hier entsteht, Strategien partizipativer Architektur und räumlicher Aneignung, metroZones 3, b_books, ISBN 3-933557-53-4, S.141 9
ebenda
p.357
Kreativquartier — Vertiefung
Utopien und Partizipation
Bedürfnisse des Individuums
Paolo Soleri, Constant Nieuwenhuys, Wolfgang Döring,
räumlich optimiert und
R. Dietrich, Moshe Safdie, Buckminster Fuller, Walter Jonas,
systematisch verpackt wer-
Grenzen der Partizipation „Er (ein partizipativer Planungsprozess) dauert viel länger,
„Er dauert viel länger, er kostet viel mehr und er wird
er kostet viel mehr und er wird von allen scheel angesehen. von allen scheel angesehen. Von den Architekten, weil sie fürchten, dadurch eingeengt zu
Von den Architekten, weil sie
Cedric Price, Richard Rochers, Walter Schwangenscheidt, den, ist der Behältnischarak-
werden. Von Bürokraten und Verwaltungen, weil sie die Kosten
fürchten, dadurch eingeengt
Simon Webb, Archigram, Yona Friedman und viele weitere. Eine
ter nicht nur dem Wortsinn
scheuen, von Politikern, weil die Partizipation so etwas ist, wie
zu werden. Von Bürokraten
solche Fülle unter den visionären Utopien bringt eine immer
nach auf erschreckende
ein ins Wasser geworfener Stein. Sie schlägt weiter Wellen, sie
und Verwaltungen, weil sie die
schwierigere Differenzierung mit sich. Die Primärstruktur ver- Weise präsent. Das Missver-
dehnt sich aus. Wer einmal ‘partizipiert‘ hat, unmittelbar an
Kosten scheuen, von Politi-
fällt immer mehr in eine Art symbolische Erscheinungsform
Entscheidungen beteiligt worden ist, der will weiter partizipie- kern, weil die Partizipation so
ständnis ‚Wohnmaschine‘ ist
und es geht letztendlich nur noch um die aufgeregte Form der
hier in all seiner Konsequenz
ren. Und die Politiker schätzen das nicht sehr, dass die Leute
etwas ist, wie ein ins Wasser
einzelnen Projekte. Je mehr also der Großform an Beachtung
zu Ende gedacht.“
partizipieren, weil die gesamte politische Struktur auf dem
geworfener Stein. Sie schlägt
System der Delegierung beruht.“ 1
geschenkt wird, umso unflexibler werden die Zell- und Kapselelemente. „Wo nahezu alle messbaren Bedürfnisse des Individuums räumlich optimiert und systematisch verpackt werden, ist der
„Die Stadt Yona Friedmanns
Unökonomisch, aus politischer Sicht problematisch und bei
offeriert eine Flexibilität, die
Desinteresse der Beteiligten gar nicht erst praktizierbar, gerät
niemals ausgenutzt werden
Partizipation auch in technologischer Hinsicht in die Kritik. A
Behältnischarakter nicht nur dem Wortsinn nach auf erschre- wird, so wenig wie sich Wagen
priori wollen alle Ansätze partizipativer Architektur dem An-
ckende Weise präsent. Das Missverständnis ‚Wohnmaschine‘ auf einem Parkplatz oder die
spruch gerecht werden, flexibel, erweiterbar und anpassungs-
(nach Le Corbusier) ist hier in all seiner Konsequenz zu Ende
beweglichen Stände auf
fähig zu sein. Dieses Versprechen wird jedoch in dem Moment
gedacht.“ 10
einem Markt frei über das
zur Farce, in dem man es in Beton gießt. Am Beispiel der Arbei-
Gelände verteilen können.“
tersiedlung Matteotti von Giancarlo de Carlo wird dem Partizi-
Die Großform selbst wird, entgegen ihrem Leitmotiv, immer unflexibler, zu einer durchrationalisierten und totalitären Orga-
pierenden im Moment der Planung größtmögliche Freiheit in
nisation mit nicht unverkanntem ökonomischen Hintergrund.
der Wahl seines zukünftigen Wohnraums ermöglicht, der Nutzer
So orientiert sich der Spielraum für Wandel, Wachstum und
ist zufrieden, die Gesamtstruktur funktioniert. Doch was pas-
Veränderbarkeit nicht an dem Individuellen, sondern an ökono-
siert, wenn sich die Bedürfnisse mit wechselnder Bewohner-
mischen und allgemein gesellschaftlichen Notwendigkeiten zur
schaft verändern? Endet der „Kreislauf der Partizipation“, den
Rationalisierung.
de Carlo theoretisiert, nicht schon mit dem Auszug der ersten
„Die Stadt Yona Friedmanns offeriert eine Flexibilität, die
Exkurs Partizipation
Kreativquartier — Vertiefung
In den 1960er Jahren trägt nahezu jeder Planer einen „Wo nahezu alle messbaren Entwurf zur Diskussion bei: Iannis Xenakis, Kiyonori Kikutake,
weiter Wellen, sie dehnt sich aus.“
Bewohnerschaft?
niemals ausgenutzt werden wird, so wenig wie sich Wagen auf einem Parkplatz oder die beweglichen Stände auf einem Markt frei über das Gelände verteilen können.“ 11
11 Lucius Burckhardt, Wert und Sinn städtebaulicher Utopien, In: Wer plant die Planung?, Architektur, Politik und Mensch, MSV 1957, S.153 ISBN 3-927795-39-9,
2 Giancarlo de Carlo im Gespräch mit Lore Ditzen (ARCH+ 57/58, Aachen 1981) 55
p.359
p.358
10 Andrea Gleininger-Neumann, Technologische Phantasien und urbanistische Utopien, In: Vision der Moderne. Das Prinzip Konstruktion, Heinrich Klotz, Prestel 1986, S. 62 ISBN 978-3791307558
Demokratie auf dem Prüfstand
„Die ‚Liquid Democracy‘ soll die repräsentative
Der Nutzer wird nun lediglich gebeten, Fragen direkt an die „Partizipation ist deshalb Verantwortlichen des Datenschutzes zu stellen. Somit kann ein
weder ein moralischer
Im Zuge der inflationäre Verwendung des Begriffes „Partizi- Demokratie ablösen – in den
konkreter Vorschlag vom Nutzer kommentiert werden. Über- Wert an sich, noch liefert
pation“ in den Medien und anderswo, drängt sich die Frage
steigt die Beteiligung erneut die Marke von 7000 Kommentaren,
Augen der Piraten ein halb-
auf, ob jeder überall mitmachen darf und bei jeder Entschei- demokratischer Kompromiss, dung beteiligt werden soll.
bei dem jeder in Echtzeit wie
Die Heilslehre Partizipation wird besonders von den Piraten- im Parlament abstimmen parteien auf dem Silbertablett präsentiert. Das Wahl-Programm
kann.“
namens „Adhocracy“ macht Anfang 2012 seinem Name alle Ehre und skizziert das vor wenigen Jahren noch unmöglich
mung über die Abschaffung der Abstimmung? Nehmen an einer Abstimmung weniger als 30 Prozent der Mitglieder teil, setzt Facebook nach der bisherigen Regelung die Änderungen einfach in Kraft. Eine 30-prozentige Beteiligung bei über einer
Die Auswirkungen unserer
Gedachte. „Die ‚Liquid Democracy‘ soll die repräsentative „demokratischen“ Entschei-
Milliarde Nutzern scheint ohnehin utopisch. Sind wir schon zu müde, bei allem unsere Meinung zu
Demokratie ablösen – in den Augen der Piraten ein halb- dungen sind uns längst nicht
sagen? Hier könnte sich die Frage stellen: Was sind denn die
demokratischer Kompromiss, bei dem jeder in Echtzeit wie im
wichtigen Themen?
Parlament abstimmen kann.“ 1 Aber wer generiert den Inhalt der Abstimmungs-Buttons, die dem Bürger als einziges Mittel zur Abstimmung übrig bleiben?
sie eine Gewinnstrategie.“
wird automatisch eine Abstimmung ausgelöst. Eine Abstim-
Exkurs Partizipation
Kreativquartier — Vertiefung
Partizipationsromantik
mehr bewusst“, sagt Rezai. „Es wird permanent im Namen der Demokratie, des Friedens und der Menschenrechte
Auch die Wissensplattform Wikipedia schränkte neuerdings die Bearbeitungsrechte wieder ein. Der partizipative Ansatz machte die Plattform immer nutzloser: Endlose Beiträge, für
Wird die Sachkenntnis durch einen einfachen Klick des Ah- die eigene sowie die Freiheit
die Wissenschaft unbrauchbar, unverständliche Fachsprache
nungslosen ersetzt? Die All-inclusive Demokratie der Piraten
und mit einhergehend wachsendem Verwaltungsaufwand.
anderer beschnitten.“
liebäugelt mit dem Wunschtraum eines Dabeiseins ohne Stress
Und es gibt noch weitere Beispiele: Occupy Wallstreet
und Verantwortung.
versinkt in Diskussionsrunden und avanciert zur Party-Veran-
Wie weit man den gesellschaftlichen Drang zur Partizipation
staltung; die Piraten sind gefangen im Dauerstreit um interne
treiben kann, zeigen zwei Künstler aus Berlin. Imam Rezai und
Organisationsfragen. „Partizipation ist deshalb weder ein mo-
Rouven Materne starteten ihre Aktion „Das Experiment“, bei
ralischer Wert an sich, noch liefert sie eine Gewinnstrategie.“ 2
der online abgestimmt werden konnte, ob das Lamm „Norbert“
Wo führt das hin, wenn man immer und überall abstimmen
mit einer bunten Guillotine hingerichtet werden soll. Am
soll und nach seiner Meinung gefragt wird? Der Bürger als
18.05.2012 verkündete der Spiegel Online das Ende der Aktion.
Abstimmungswerkzeug? Fast auf jeder Internet-Seite ist margi-
Bis zum Ende zählte die Internet-Abstimmung mehr als 2,5
nal ein Feld zu finden, woran sich der Besucher der Seite an
Millionen Stimmen gegen die Tötung und weitere 1,7 Millionen
irgendeiner mehr oder weniger belanglosen Abstimmung betei-
votierten dafür – einschließlich unzähliger Kommentare zur
ligen kann. Wenn jeder mitstimmen kann, zählt irgendwann nur
ethischen Dimension der Aktion. Mit ihrem Experiment wollen
noch das populistische Meinungsbild? Bürgerbeteiligung oder
die Künstler die Demokratie auf die Probe stellen. „Die Auswir-
Volksabstimmung wird zum verschwommenen Meinungsbild der
kungen unserer „demokratischen“ Entscheidungen sind uns
ohnehin schon medial übersättigten Gesellschaft.
längst nicht mehr bewusst“, sagt Rezai. „Es wird permanent im Namen der Demokratie, des Friedens und der Menschen-
Verabschiedung der partizipativen Illusionen
Partiziation als Werkzeug zur Lösungsverhinderung 1 Markus Miessen und Hannes Grassegger, Albtraum Partizipation, Zeit online, Artikel vom Juni 2012)
Wenige Monate nach dem Lamm-Experiment verkündet das soziale Netzwerk „facebook“ eine Abstimmung der Nutzer zur Regeländerungen, vornehmlich des Datenschutzes. Eine Beteiligung von 350.000 Nutzern klingt viel, sind aber nur 0,04 p.360
Prozent der erforderlichen 30 Prozent aller Mitglieder, einer selbst auferlegten Hürde. Daraufhin stellt facebook das Experiment am 21.11.2012 wieder ein. 1.1
Bis wohin wollen wir die Basisdemokratie verstanden haben? Markus Miessen kommt zu dem Schluss: „Partizipation? Ein Albtraum.“ 1 Ein konfliktorientiertes Verständnis von Partizipation scheint nach Markus Miessen und Chantal Mouffe ein
2 Die Welt online, 15.05.12 , Muss Schaf Norbert unter der Guillotine sterben?, dpa/bas 1.1 Die Welt online, Artikel vom 21.11.12, Facebook schafft das Mitspracherecht wieder ab, dpa/fp, http://www.welt. de/111376917)
Lösungsansatz zu sein. Die Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe pocht dabei auf die Einigung, dass wir uns nicht einig sind. So zeichnet sich ein altbekanntes Bild ab: Man muss die Aktivitäten, Interessen und Ziele seines Gegenübers kennen, um diesen nachhaltig beeinflussen zu können. Man muss die Polaritäten des Systems kennen, um Konflikte auszutragen. Um
2 Die Welt online, Artikel vom 21.11.12, Facebook schafft das Mitspracherecht wieder ab, dpa/fp, http://www.welt. de/111376917) 1 vgl. Markus Miessen und Hannes Grassegger, Albtraum Partizipation, Zeit online, Juni 2012
p.361
rechte die eigene sowie die Freiheit anderer beschnitten.“ 2
grund ihrer ‘critical mass’ den Willen des Individuums vernach- Verantwortung auf Votings
mindest zu verändern, entstehen neue Verantwortlichkeiten,
sammenhängt, man verliert
lässigt um eine kollektive Intelligenz zu erreichen.
die es ebenfalls zu gestalten gilt.
seine Integrität als Individuum
An diesem Punkt zeigt sich die eher negative Dimension be-
und verzichtet auf seine
Die Kurzerklärung von Hardt und Negri zur Multitude „Singularitäten, die gemeinsam handeln“ 7 wirft die Frage nach
einer anonymen Crowd abschieben können und wir so hinter der Mitmach-
kannter Partizipationsstrukturen. Sie kann leicht zu einer Tak- Freiheit. Aber man gewinnt
der Richtung der Partizipation innerhalb der Multitude auf.
Fassade in einer pseudo-
tik dafür verwendet werden, sich Verantwortungen zu entzie- dafür eine neue Sicherheit
Top-down oder Bottom-up? Oder reicht es wirklich, aus Kanälen
partizipativen Scheindemo-
hen und diese den Beteiligten zu übertragen, während man
der Selbstorganisation ein gemeinsames Miteinander zu gestal- kratie enden.“
und einen neuen Stolz durch
ves Gesamtsystem zu erhalten, muss es zumindest teilweise
man aufgeht.“
autoritäre Strukturen geben. 2
ten? 8,9 Die Multitude sollte keinerlei Form von Zugehörigkeit haben. Nur auf diese Weise, so Hardt und Negri, ist es möglich, die
In seinem Buch „Die Furcht vor der Freiheit“ beschreibt „Weil wir uns von den älteren, Erich Fromm die Rolle des Individuums und dessen Flucht in
unverhüllten Formen der
„absolute Demokratie“ zu verwirklichen. Quasi eine Demokratie abseits jeglicher Form von Institution, Machtanspruch oder in-
die Autorität aus mangelnder Selbstwertschätzung und Verant- Autorität freigemacht haben,
nerpolitischer Zwangsjacke. Doch dies würde eine Grundvor-
wortung gegenüber sich selbst. „Man liefert ihr (der Autorität)
merken wir nicht, dass wir
aussetzung der Demokratie untergraben, denn ohne Machtbe-
sein Selbst aus und verzichtet auf alles, was an Kraft und
einer neuen Art von Autorität
ziehungen und ohne Konflikt verschwindet der Pluralismus und
Stolz damit zusammenhängt, man verliert seine Integrität als
zum Opfer gefallen sind. Wir
mit ihm die Möglichkeit für Diskussionen und Konflikte. Die be-
Individuum und verzichtet auf seine Freiheit. Aber man ge- sind zu Konformisten gewor-
reits angeführte Pluralität einer Gesellschaft der Teilhabe könn-
winnt dafür eine neue Sicherheit und einen neuen Stolz durch
den, die in der Illusion leben,
te man nicht besser formulieren als Markus Miessen dies tut:
Teilhabe an der Macht, in der man aufgeht.“ 3 Diesen Ansatz
Individuen mit eigenem Willen
„Wir müssen daher verhindern, dass Politiker ihre Verantwor-
führt er in „Illusion der Individualität“ in ein demokratisches
zu sein.“
tung auf Votings einer anonymen Crowd abschieben können
Verständnis über und erkennt, dass überall auf der Welt ein
und wir so hinter der Mitmach-Fassade in einer pseudo-parti-
fruchtbarer Nährboden für den Faschismus zu finden ist: der
zipativen Scheindemokratie enden.“ 10
Bedeutungslosigkeit und Ohnmacht des Individuums 4 . Proji-
Platons Verständnis von einer theatralisierten Demokratie
zieren wir dies nun auf die Theorie der Multitude oder auf ein
schlägt sich somit nahezu direkt auf eine Partizipationsroman-
Partizipationssystem, so erkennen wir, dass das Individuum
tik nieder. 11 Das öffentliche Zusammenkommen wird zum
seine Bedeutung verliert, denn der Einzelne hat innerhalb der
Spektakel und zur Schlacht zwischen Interessenvertretern und
„absoluten Demokratie“ keinen Einfluss mehr und wird seiner Fähigkeiten nahezu beraubt, wenn er von der populistisch agierenden Menge überstimmt wird. Eine mögliche Folge könnte
2 Markus Miessen, Albtraum Partizipation, Merve Verlag Berlin 2012, S. 149–150, ISBN 978-3-88396-277-1
nach Erich Fromm diese sein: „Weil wir uns von den älteren, unverhüllten Formen der Autorität freigemacht haben, merken wir nicht, dass wir einer neuen Art von Autorität zum Opfer gefallen sind. Wir sind zu Konformisten geworden, die in der Illusion leben, Individuen mit eigenem Willen zu sein.“ 5 In einem ähnlichen Zusammenhang verweist Markus Miessen wiederum auf den Begriff der Verantwortung. Denn eine „Entscheidung gegen die Mehrheit und ohne die Beteiligung der allerletzten Schnarchnase können richtig sein – solange jemand die Verantwortung trägt.“ 6
das bestehende System teilweise autoritärer Geflechte neu zu
Individuen. Eine Einigung, so meint man, erfolgt nur durch Abstimmungen oder Befragungen. Deren Ergebnisse wiederum werden nicht zwangsläufig von allen Beteiligten akzeptiert und der par-
3 Erich Fromm, Die Furcht vor der Freiheit, dtv 11. Auflage 2003, S. 116-117 ISBN 3-423-35024-5 4 Erich Fromm, Die Furcht vor der Freiheit, dtv 11. Auflage 2003, ISBN 3-42335024-5, S.174 5 Erich Fromm, Die Furcht vor der Freiheit, dtv 11. Auflage 2003, ISBN 3-42335024-5, S. 183
Wenn es nach Erich Fromm und anderen einer Autorität bedarf, um gegen die bestehende Autorität anzukämpfen und
Exkurs Partizipation
beschreiben. Die Multitude wird selbst zur Autorität, die auf- ern, dass Politiker ihre
lierten. Durch den Willen, das System neu zu gestalten oder zu- an Kraft und Stolz damit zu-
praktisch weiterhin zuständig ist. Um ein einigermaßen positi- Teilhabe an der Macht, in der
p.362
gestalten, verändert sich die Multitude, wie sie Hardt und Negri „Wir müssen daher verhind-
liegt auch die Gefahr: Der Außenseiter kämpft gegen die Etab- und verzichtet auf alles, was
6 Markus Miessen und Hannes Grassegger, Albtraum Partizipation, Zeit online, Juni 2012)
tizipative Prozess beginnt von Neuem.
7 Michael Hardt, Antonio Negri: Multitude. Krieg und Demokratie im Empire. Campus 2004, ISBN 3593374102 8 Michael Hardt, Antonio Negri: Multitude. Krieg und Demokratie im Empire. Campus 2004, ISBN 3593374102 9 vgl. Markus Miessen, Albtraum Partizipation, Merve Verlag Berlin 2012, S.151, ISBN 978-3-88396-277-1 10 Markus Miessen und Hannes Grassegger, Albtraum Partizipation, Zeit online, Juni 2012 11 vgl. Juliane Rebentisch, Die Kunst der Freiheit – Zur Dialektik demokratischer Existenz, suhrkamp 2012, S. 271, ISBN 978-3-518-29613-4
p.363
Kreativquartier — Vertiefung
das System zu verstehen, muss man es gestalten. Aber darin „Man liefert ihr sein Selbst aus
So scheint der aktuelle Gedanke der Partizipation von einem bestehenden Machtverhältnis auszugehen, nämlich dem,
„Damit Demokratie im partizipativen Zeitalter funktioniert, muss jeder sich immer wieder
der Teilhabe von oben bewilligt. Die heutzutage überhand-
selbst ermächtigen. Das Mit-
nehmende Verantwortungsverweigerung mancher politischer
mach-Zeitalter braucht ein
Vertreter macht den Zugang zur Partizipation an gesellschaftli-
neues Selbstverständnis. Wir
chen und politischen Themen erst möglich, drängt aber das
sollten autonomer und ver-
eigentliche Potential in die Ecke. Ein partizipativer Gedanke, der
antwortlicher handeln, damit
dem des Bottom-up-Prinzips folgt, bedeutet lediglich, dass
Partizipation nicht zum Alb-
auch der „ungeladene Außenseiter“ sich Zutritt verschaffen
traum wird.“
Exkurs Partizipation
Kreativquartier — Vertiefung
Ein neuer Ansatz
kann. 1 Demnach wird Partizipation erst ohne jegliche Randbedingungen möglich. So entsteht ein weiteres Potential der Partizipation: Wenn der Außenseiter seine Botschaft unter Fremden vermitteln kann und nicht nur in den Kraftfeldern, Machtbeziehungen oder politischen Verwicklung Gleichgesinnter, so ermöglicht diese Vorgehensweise eine Art Weckruf im System, welches von Insidern nur noch bedingt in Frage gestellt werden kann. „Damit Demokratie im partizipativen Zeitalter funktioniert, muss jeder sich immer wieder selbst ermächtigen. Das Mitmach-Zeitalter braucht ein neues Selbstverständnis. Wir sollten autonomer und verantwortlicher handeln, damit Partizipation nicht zum Albtraum wird.“ 2
2 Markus Miessen und Hannes Grassegger, Albtraum Partizipation, Zeit online, Juni 2012
p.365
p.364
1 vgl. Markus Miessen, Albtraum Partizipation, Merve Verlag Berlin 2012, S.148 ISBN 978-3-88396-277-1
können sich hier ein loses und informelles Netzwerk mit Gleich- ist auf dem Gedanken der
am Beispiel der NDSM-Werft, Kunststad in Amsterdam.
gesinnten aufbauen. Und indem sich jeder seine Einheit selbst
Kooperation und Partizipation
In einer ehemaligen Schiffswerft entsteht Amsterdams
baut und darin investiert, entsteht eine starke Bindung an das
aufgebaut, eine kulturelle
Kunststad: hunderte containerartige Raumeinheiten, jede für
Gelände. Die meisten bleiben, wenn sie einmal hier sind, for- Brutstätte, die die Künstler
sich ein Unikat. Gelegen im Amsterdamer Norden, umfasst das
mieren Interessenverbände, treten gemeinsam gegenüber der
gesamte Areal der 1984 in Konkurs gegangenen Nederland-
Bezirksverwaltung und potenziellen Investoren auf“, erklärt El- Mieter können sich hier ein
schen Dok en Scheepsbouw Maatschappij rund 86.000 qm. Die
len van Baal. 3
Kunststad befindet sich in einer Halle von rund 20.000 qm.
loses und informelles Netz-
Nicht nur das Zitat lässt eine gewisses Maß an „Partizipati- werk mit Gleichgesinnten
Ein Großteil der Halle ist heute von Vertretern der sogenann-
onsromantik“ 4 erahnen. Tatsächlich mag dies in den ersten
aufbauen. Und indem sich
ten Kreativwirtschaft in Beschlag genommen. Der Verein heißt
Wochen der Kunststad gut funktioniert haben, doch schon nach
jeder seine Einheit selbst baut und darin investiert, entsteht
Kinetisch Noord, ist Hauptmieter und Gebietsentwickler und
kurzer Zeit setzt sich bei etablierten Nutzern der Kunststad, so
aus dem Zusammenschluss jener „Hausbesetzer“ entstanden,
die Vermutung, ein Erhaltungsdrang durch, der es den Nachfol- eine starke Bindung an das
die Mitte der Achtzigerjahre die brachliegenden Hallen in
genden erschwert, ihre eigenen Ideen umzusetzen. Der partizi- Gelände. Die meisten bleiben,
Beschlag nehmen. Er wird geduldet von den lokalen Behörden
pative Ansatz des Neuankömmlings wird reduziert auf das Maß,
wenn sie einmal hier sind,
und der Stadtregierung. Der Verein hat mit dem derzeitigen Be-
welches der Erhaltungsdrang der Etablierten und bereits nach
formieren Interessenverbän-
sitzer des Areals, dem Bezirk Amsterdam-Noord, einen Mietver-
kurze Zeit entstehenden Verordnungen von Seiten der Stadt- de, treten gemeinsam gegen-
trag, der vorläufig bis 2027 befristet ist. Die Stiftung Stichting
verwaltung (Brandschutz, Fluchtwege,...) zulässt. Partizipation
Kinetisch Noord, verschiedene Hausbesetzer der ersten Stunde
wird in enormem Umfang beschnitten, wenn der Neuankömm- und potenziellen Investoren
über der Bezirksverwaltung
und Vertreter der Stadtverwaltung treten zusammen, um einen
ling teilnehmen möchte, aber zunehmend wegen fehlenden In- auf“
Wettbewerb für die Halle zu formulieren. Der Wettbewerbsbei-
formationen über Beschlüsse, die die etablierten Nutzer schon
trag zur Kunststad, gewonnen von Dynamo Architecten aus
ausdiskutiert haben, scheitert. Dieser Konsens unter den Etab-
Utrecht, wird mit allen Beteiligten 2004 – 2007 für knapp 1,7
lierten verhindert den Gedankenfluss zwischen dem Außensei-
Mio. Euro realisiert. 1
ter und den Etablierten und beschwichtigt den Konflikt unter
Auf der angemieteten Fläche in der Kunststad kann sich
den Etablierten. Dem Neuankömmling als Außenseiter wird der
jeder Nutzer seine Einheit selbst bauen und gestalten. In den
Zugang indirekt verwehrt. Das Gebilde avanciert zur Pseudo-
Zwischenräumen entsteht Freiraum für soziale Begegnungen,
partizipation und minimiert die individuelle Beteiligung durch
Ausstellungsflächen, Performances, Partys. Im Freien erinnern
vorgegebene Muster.
die verrosteten Rampen, Kräne und Docks an den ehemaligen
Die inflationäre Verwendung des Begriffes „Partizipation“,
Schiffsbau. 2
lässt sie als Allheilmittel zur Vermittlung kontroverser Meinun-
Heute präsentiert sich die Kunststad als kultureller und
gen und Möglichkeit zur übergeordneten Lösungsfindung
kreativer Anziehungspunkt. Jedoch erschweren gelegentlich
erscheinen. Spätestens nach einer Überhäufung solcher Pro-
auftretende
geschlossenes
zesse, teilweise unter Ausschluss diverser Gruppierungen,
Meinungsbild gegenüber der Stadtverwaltung. Der partizipative
kann man hier von Nostalgie sprechen. Um Strategien für eine
Meinungsverschiedenheiten
ein
Charakter der Kunststad wird ständig auf die Probe gestellt. So
post-nostalgische Praxis zu entwickeln, muss in einem vollkom-
werden partizipative Möglichkeiten bei Neuvermietung kaum
men demokratischen Prozess jeder beteiligt werden. 5
genutzt und Räumlichkeiten werden übernommen, ohne bauli-
Der Neuankömmling befindet sich in einem persönlichen
che Veränderungen daran vorzunehmen. So stellt sich die Frage, ob Partizipation nur in einer Entstehungsphase voll zur Geltung kommt und schon nach kürzester Zeit durch ein selbst auferlegtes Regelwerk erhebliche Einschränkungen erfährt? p.366
und Kreativen fördert. Unsere
Exkurs Partizipation
stätte, die die Künstler und Kreativen fördert. Unsere Mieter „Das Konzept der Kunststad
„Das Konzept der Kunststad ist auf dem Gedanken der Kooperation und Partizipation aufgebaut, eine kulturelle Brut-
Interessenkonflikt. Die Möglichkeit der partizipativen Rauman1 Bauwelt 22/2008, NDSM Atelierstad Amsterdam, Ulrich Brinkmann 2 Quelle: teil Umformulierte Auszüge aus dem Bericht von Doris Rothauer /DER STANDARD / Printausgabe / 28.11.2009
eignung als Teil des Ganzen, wird durch die ansässigen Nutzer eingeschränkt. Der Neuankömmling zieht sich in seine vorgefundene Räumlichkeiten zurück, um Konflikten zu entgehen. Er
3 Quelle: Doris Rothauer / DER STANDARD / Printausgabe / 28.11.2009 4 vgl. Markus Miessen, Albtraum Partizipation, 2012, S. 43
lässt den kooperativen und kommunikativen Zwischenraum zum größten Teil außer Acht und verkriecht sich ins Innere. Das lose und informelle Netzwerk der Kunststad verliert vorerst
5 vgl. Markus Miessen, Albtraum Partizipation, 2012, S. 43
p.367
Kreativquartier — Vertiefung
NDSM Grenzen der Partizipation aufgezeigt
auch Defizite, die wie ein unsichtbares Geflecht über jeder
gente Kollektiv zur repräsentativen und einheitlichen Meinungs- höchste Kunst. Und zweitau-
räumlichen Situation liegen. Wir impfen dieses gesammelte
vertretung gegenüber der Stadtverwaltung erneut zu wecken.
send Jahre später steht in
Wissen über die Situation mit einer Portion Imagination.“ 2.1
Gelingt dies nicht, entwickelt sich keine Bindung zum Gelände
der Charta von Athen ge-
oder zu den übrigen Nutzern.
schrieben, dass „(...) der
Durch die Ansiedlung weiterer etablierter Unternehmen wie z.B. MTV Networks BV, Red Bull Nederland, welche die Vorteile
Partizipation ist eine Lösung und doch nur ein Kompromiss,
ne Kenntnis vom Menschen
denn wie Fezer in seinem Buch den Begriff Partizipation
des positiven Schattens der Kultur- und Kreativwirtschaft nut- besitzt“
treffend definiert ist „Partizipation (...) (ist) Beteiligung oder
zen möchten, ergeben sich weitere Nutzeransprüche. Der Gen-
Mitbestimmung an etwas bereits Vorgegebenem“. 1 Wenn Par-
trifizierungsprozess ist im vollen Gange. Das vermeintlich parti- „Erfinder und Gestalter von zipative
Kollektiv
wird
stetig
erweitert
und
zunehmend
handlungsunfähig. Die Rolle des Architekten „,Summum templum architecturae‘, Vitruv nennt sie die höchste Kunst. Und zweitausend Jahre später steht in der Charta von Athen geschrieben, dass „(...) der Architekt, (…)
dann bedeutet sie Selbstorganisation, frei von architektoni-
dem Individuum ermöglicht
schem Zutun.
die vollkommene Kenntnis vom Menschen besitzt“ 1 . Was jedoch ist aus der Profession des Architekten geworden, in Zeiten partizipativer Planungsmethoden? Keine Generation hat die klassischen Planungsmethoden des Architekten je so sehr in Frage gestellt, wie die der Nachkriegszeit. Sowohl realistische Ansätze der Mitglieder des Team 10, wie auch utopische Visionen von Architektengruppen wie Archigram verfolgen die selben Gedanken: Das Bauen für den Nutzer, für das Individuum. In realisierten Gebilden, wie auch in utopischen Gedankenmodellen, wird der Architekt immer wieder zum „Erfinder und Gestalter von Strukturen“, innerhalb derer dem Individuum ermöglicht wird, sich frei zu entfalten und zu verwirklichen. Er wird außerdem zum „Ermöglicher“, indem er dem unwissenden Bauherrn Varianten aufzeigt, die dieser eventuell selbst nicht in der Lage wäre, zu formulieren. In jeder Hinsicht kann bei der Partizipation eine Machtver-
pation hat sich der Architekt bis heute nicht seine schöpferi-
außerdem zum „Ermöglicher“
sche Tätigkeit nehmen lassen. Partizipation besteht noch immer
ebenso Spezialisten, denn keiner kennt sich so gut mit der jeweiligen Situation aus wie diejenigen, die tagaus tagein mit diesen Orten umgehen müssen. So können wir wertvolle Informationen gewinnen über Geschichten, Ängste, Wünsche, existentielle Bedürfnisse oder auch Defizite, die wie ein unsichtbares Geflecht über jeder räumlichen Situation liegen. Wir impfen dieses gesammelte Wissen über die Situation mit einer Portion Imagination.“
aus strukturierten Hierarchien. Mario Carpo erläutert dies kritisch im aktuellsten Diskurs über digitale Raumproduktion. Die rasch vorangeschrittene Entwicklung partizipatorischer Werkzeuge im Computer Aided Design wird von den Architekten nicht sehr enthusiastisch angenommen, so Carpo. Gestalter sind nicht bereit, Kontrolle über die Form abzugeben. Aber da die Verfahren der Partizipation in der digitalen Produktion durchaus sehr ökonomisch sind, befürchtet Carpo, dass wenn der Architekt sie nicht annimmt, es an seiner Stelle die Bauindustrie tut. 2 Doch ist die alleinige Erfüllung vorgegebenen Parameter die Lösung für die Produktion qualitativ hochwertigen Raums? Die Zweifel bleiben, ob bei all der Fokussierung auf die Wünsche des Individuums und der Selbstverwirklichung des Einzelnen die immateriellen Werte, sozusagen der Gemeinschaftsgedanke vernachlässigt werden. Wenn es „den Architekt“ in der Multitude gibt, so produziert dieser keine Machtsymbole mehr. Sein Fokus liegt auf dem interstitiellen Raum, in dem Kommunikati-
schiebung festgestellt werden. Hierarchische Strukturen im
on, Kreativität und Erfolg generiert werden. Dieser „Architekt“
Planungsprozess ändern sich. Der Architekt verlässt seine au-
produziert Konzepte.
sem Maße Gestaltungsfreiraum zu und nimmt als „Spezialist“ Funktionen wie Beratung, Vermittlung, Unterstützung, Moderation und Forschung ein. Die Planung wird zum Dialog. „Stadtbewohner sind für uns ebenso Spezialisten, denn kei-
Abb. 1 Rietveld-Schröder-Haus (Quelle: http://www.tageswoche. ch/de/2012_20/kultur/424073/ eigenwilliger-pionier.htm) Abb. 2 Habitat 67 (http:// en.wikipedia.org/wiki/ File:Habitat_panorama.jpg) Abb. 3 Plan Obus für Algier von Le Corbusier (Quelle: http://architecturewrassi3ali. blogspot.se/2011/09/le-corbusier-en-algerie.html) Abb. 4 Team 10 (Jaap Bakema, Georges Candilis, Giancarlo de Carlo, Aldo van Eyck, Alison und Peter Smithson, Shadrach Woods, u.a. (Quelle: http://www. team10online.org/) Abb. 5 Arbeitersiedlung Matteotti in Terni, Italien (Giancarlo de Carlo) (Quelle: http://www. lombardiabeniculturali.it/ fotografie/schede/IMM3g010-0026537/)
Abb. 7 Intrapolis, Trichterhausprojekt von Walter Jonas
ner kennt sich so gut mit der jeweiligen Situation aus wie dieSo können wir wertvolle Informationen gewinnen über Ge-
Abbildungsverzeichnis:
Abb. 6 Varianten für die Arbeitersiedlung Matteotti in Terni, Italien (Giancarlo de Carlo) (Quelle: http://architettura.it/books/2005/ 200509022/index.htm)
toritäre Position des „Allwissenden Gestalters“, lässt zu gewis-
jenigen, die tagaus tagein mit diesen Orten umgehen müssen.
3 Architektur-Automat von KAISERSROT (Forschungsgruppe aus Zürich) Vortrag von Steffen Lemmerzahl an der ABK Stuttgart (12.Juni 2012)
Trotz aller sozialen und politischen Absichten in der Partizi-
und zu verwirklichen. Er wird
„Stadtbewohner sind für uns
1 Jesko Fezer, Mathias Heyden (Hg.): Hier Entsteht. Strategien partizipativer Architektur und räumlicher Aneignung (metroZones3, b_books, Berlin 2004) S.14
tizipation aber zur extrasystemischen Angelegenheit wird,
Strukturen“, innerhalb derer wird, sich frei zu entfalten
p.368
Schlussanmerkung
Architekt, (…) die vollkomme-
2.1 http://www.raumlabor. net/?page_id=2
Exkurs Partizipation
schichten, Ängste, Wünsche, existentielle Bedürfnisse oder
das Interesse des vermeintlichen Außenseiters für das intelli- turae“, Vitruv nennt sie die
1 aus der Charta von Athen 1933, CIAM 4 über “die Funktionale Stadt”
Abb. 8 New Babylon von Constant Nieuwenhuys (1959-74)
p.369
Kreativquartier — Vertiefung
einen Mitstreiter und die Protagonisten müssen sich bemühen, „Summum templum architec-
Exkurs â&#x20AC;&#x201D; Zwischennutzung
Der Begriff der Zwischennutzung in der Stadtentwick-
sich Kreativquartiere aus einer Zwischennutzung, die
lung hat sich etabliert, kämpft hier jedoch nach wie vor
dem Individualisten - ob Konsument oder Produ-
um Aufmerksamkeit, Akzeptanz und Unterstützung.
zent – eine Plattform im bereits angesprochenen Mög-
Exkurs Zwischennutzung
Kreativquartier — Vertiefung
Exkurs — Zwischennutzung | Nicht selten entwickeln
lichkeitsraum bietet. Als Prinzip der Raumaneignung wollen wir das Thema der Zwischennutzung im Folgenden näher beleuchten. „Als Ort des sinnlich wahrnehmbaren Verfalls ist die Brache eine Leerstelle im Funktionsdickicht der Stadt. Als physisches Zeichen eines Nicht-mehr und Noch-nicht erzeugt sie momentane Ratlosigkeit und situative Offenheit.“ 1 In Folge des ökonomischen Strukturwandels werden Städte mehr und mehr zu fraktalen Gebilden. Großflächige Industrieareale verlagern sich heute in die Peripherie und Dienstleistungsunternehmen in den Städten bedürfen deutlich weniger Fläche. Am Beispiel Deutschlands können wir zudem die Auswirkungen des demografischen Wandels auf die Zergliederung der Städte deutlich verfolgen. Diese Faktoren führen dazu, dass in den letzten Jahrzehnten ein Umdenken in der Verwerlichkeiten in der Stadt passiert.
1 Jürgen Hasse (Zitat aus dem Dokumentarfilmessay ‘NICHT MEHR / NOCH NICHT’ von Daniel Kunle und Holger Lauinger; D 2004; 82 min.)
p.373
p.372
tung und Nutzung von städtischem Raum und Räum-
Mehrwert Zwischennutzung? Auch über die Dauer eines Zwischennutzungsprojekts hin- „Zwischennutzung entwickelt
le Ökonomie und Urbanität. Zwischennutzung passiert auf
Brachen mit einem Minimum
aus profitieren Kunst- und Kulturschaffende von diesen
sich nicht isoliert (...)“, „Ver-
brachliegenden Nutzflächen. Zwischennutzung ist Möglich- an monetärem Kapital.“
Netzwerken. Durch die begrenzte Dauer der Projekte, knüpfen
fügbarer Raum, experimen-
keitsraum für soziokulturelle Nutzung und individuelle Selbst-
die Nutzer immer wieder neue Kontakte und bauen auf diese
telle Milieus mit hoher Anzie-
verwirklichung. Zwischennutzung ist ephemer, jedoch selten
Weise ihr Netzwerk kontinuierlich aus. Diese Vernetzung trägt
hungskraft und niedrigen
ohne bleibende Bedeutung. Zwischennutzung ist eine Zeitlücke
letztendlich auch zur Aufwertung der Umgebung bei. Eine be- Hemmschwellen für Neulinge,
im Stadtentwicklungsprozess. Zwischennutzung ist bezahlbar.
lebte Zwischennutzung kann im Idealfall so stark auf ihre Um- aber auch die permanente
Zwischennutzung bedient die akute Nachfrage nach Raum in
gebung abstrahlen, dass ein ganzer Stadtteil in vielerlei Hin- Unsicherheit, sowie der
der Stadt. Zwischennutzung ist im ersten Moment nicht offen-
sicht davon profitiert. Wir sprechen hier also nicht von
sichtlich lukrativ für die Eigentümer. Zwischennutzung ist nicht
baulichen Interventionen, sondern von wiederbelebten Struktu- über den Interessen des
gleich
absolute
Gewinnmaximierung
für
den
Eigentümer.
Zwischennutzung lebt von Netzwerken und strategieorientierten Prozessen. „Zwischennutzung revitalisiert Brachen mit ei-
kollektive Druck sich gegen-
ren mit Hilfe neuer Entwicklungs- und Organsiationsmodelle im
Eigentümers durchzusetzen,
urbanen Raum.
führen nach kurzer Zeit zur
Anders als bei der klassischen Planung unter zielorientierter
Bildung stark vernetzter
nem Minimum an monetärem Kapital.“ 2 Zwischennutzung ist
Projektsteuerung, agieren diese Modelle in einem Nutzer-enga- Mikrogemeinschaften.“ 3
nachhaltig, vorhandene Ressourcen werden neuen Nutzungen
gierten Entwicklungsprozess ohne fixiertes Endprodukt quasi
zugeführt. Zwischennutzung schafft weite Netzwerke mit un-
ergebnisoffen. Ziel ist es vielmehr, Rahmenbedingungen für
funktioniert
eine sich entwickelnde Eigendynamik zu schaffen. Je mehr Nut-
meist an Orten mit einem Minimum an vorhandener Infrastruk-
zer und Betroffene in die Planung integriert werden, desto um-
terschiedlichsten
Akteuren.
Zwischennutzung
tur. Zwischennutzung ist Katalysator für Stadt- und Standort-
fassender wird das Bild und gleichfalls der Erfolg des Projekts,
entwicklung. Zwischennutzung ist …
denn Urbanität entsteht, wenn unterschiedliche Akteure Netz-
Exkurs Zwischennutzung
Kreativquartier — Vertiefung
Was ist Zwischennutzung? Zwischennutzung ist kreativ. Zwischennutzung fördert loka- „Zwischennutzung revitalisiert
werke bilden, Interessen sich überlagern und sich daraus etwas entwickelt.
Wer oder was ist Zwischennutzer?
Architekten Konzerte
Kunst- und Musikszene
Clubs Dienstleistungen
Gewerbe Handwerker Flohmärkte Industrie
soziale Initiativen
Migrantenökonomien
Gemüseanbau Tierhaltung Sportler
p.374
Erfinder
Alternativ-, Jugend-, Pokultur
Start-Up-Unternehmen
2 Klaus Overmeyer, „Hier Entsteht. Strategien partizipativer Architektur und räumlicher Aneignung“; Jesko Fezer, Mathias Heydn (Hg.); 08.2004; b_books Berlin; S. 46
3 Philipp Misselwitz, Philipp Oswalt, Klaus Overmeyer iin ihrem Artikel „Brutkasten Stadt“ (im Magazin berliner 2/2003 veröffentlicht)
p.375
Werkstätten
Exkurs Zwischennutzung
Kreativquartier — Vertiefung
Konflikt und Potenzial Konflikt und Potenzial
Primäres Interesse des Nutzers ist es, kostengünstigen Raum in der Stadt zu beleben. Gute Erreichbarkeit und ein Minimum an gebauter Infrastruktur spielen dabei mitunter eine wichtige Rolle. Der Eigentümer hat das Interesse, seine Immobilie kostengünstig aufzuwerten. Es besteht also eine AngebotNachfrage-Situation, die es zu moderieren gilt. In vielen Fällen blockieren „kulturelle Differenzen“ zwischen Nutzer und Eigentümer das soziale und ökonomische Potenzial der Zwischennutzung im Stadtgefüge. Das alte Bild des Hausbesetzers, des unangepassten Überlebenskünstlers, der wenig kooperativ aber dafür umso leidenschaftlicher um Raum kämpft, hemmt den Ei-
Raum-Nachfrage
Raum-Angebot Leerstand
gentümer, seine Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen. Das alte Bild des Hausbesetzers, des unangepassten Überlebenskünstlers und der wenig kooperativen Handlungsweise, ist noch immer in den Köpfen der Gruppe Eigentümer verankert, welche primär aus älteren Generationen bestehen. Die staatliche Verwaltung steht dabei zwischen beiden Interessengruppen und könnte zukünftig vermehrt als Moderator fungieren. Da
Zwischennutzer (die unangepasste Szene)
Konflikt kulturelle Differenz
Eigentümer (erfolgs- und ververwertungsorientiert)
Vertreter öffentlicher Interessen
Staatliche Verwaltung unterstützt und moderiert
Vertreter öffentlicher Interessen
Brachen und leerstehende Gebäude in der Stadt nicht nur Vandalismus provozieren und die Stadt kein Geld für eigene Projekte und Investitionen zur Problemlösung hat, stellt die Unterstützung von Zwischennutzungsprojekten eine große Chance für alle Beteiligten dar. Im Gegenteil zu den Häuserbesetzungen der 68er-Jahre entstehen die heutigen Zwischennutzungen viel weniger aus einem politischen Interesse heraus. Im Vordergrund stehen Ideale und Visionen von Individuen oder gemeinnützige Ziele im Kollektiv. Die Projekte suchen geradezu nach Öffentlichkeit und schaffen dadurch neue Potenziale für urbane Räume.
Der Architekt in der Zwischennutzung Wie auch im partizipativen Planungsverfahren werfen Zwi- „Der Architekt wird zum Erschennutzungen die Frage auf, welche Rolle der Architekt in
möglicher. Der Entwerfer
diesen Projekten einnimmt. Studio Urban Catalyst aus Berlin
wird zum Kurator.
bezeichnen diese Rolle als „Key-Agent“.
Der Planer wird zum Dienst-
Der „Key-Agent“ übernimmt die Funktion des Organisators,
leister. Die Nutzer wer-
Moderators, Beraters, Koordinators, Unterstützers, Agenten, den zu Autoren. Die Frage Mediators oder des Mittlers. Er stellt die Plattform zwischen
nach der Form wird zur
Nutzer, Eigentümer und Kommune, er verbessert minimale Inf- Frage nach dem Programm.“
die Verkehrssicherheit, etc.
p.377
p.376
rastrukturen oder kümmert sich um genehmigungsrechtliche Fragen und bauliche Minimalinterventionen, wie zum Beispiel
Exkurs â&#x20AC;&#x201D; Typologie
einen historischen Abriss des Diskurses über die Typologie aufzuzeigen. Es geht dabei nicht um eine theoreti-
Exkurs Typologie
Kreativquartier — Vertiefung
Exkurs — Typologie | Der vorliegende Text versucht,
sche Aufarbeitung des Begriffs „Typus“ oder „Typologie“, sondern um einen Überblick. Der Vergleich der Verwendung des Begriffs „Typus“ wird zeigen, dass dieser über die Jahrhunderte sehr unterschiedlich verwendet wurde und im Zuge der vorliegenden Untersuchung der Kreativquartiere in seiner Verwendung erst definiert werden muss. In einer Rückbetrachtung vergangener Stilepochen beginnt diese Auflistung in der Zeit nach der Renaissance und streckt sich über den Klassizismus, den
p.381
p.380
Historismus und die Moderne bis in die Gegenwart.
Wer möchte nicht davon träumen!“ schreibt Werner Oechslin zu Beginn seines Aufsatzes „Theorie der Praxis – Eine weitere Begründung“. Im Zuge der Geschwindigkeit und Effizienz beim Bauen träumt man heimlich gerne von Kausalitäten, die das Handeln auf verlässliche Weise „berechenbar“ erscheinen lassen. 1 Mit der Gründung der Architekturakademien am Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts wurde bereits ein möglichst verbindliches Regelwerk zur Architektur-Lehre eingefordert. Der französische König wollte seine Akademie mit Hilfe eines Regelwerkes in der Vorreiterrolle der französischen Architektur sehen. 2 Hätte man „die“ Regel, könnte man das ganze Universum auf einfachste Weise darstellen, so Abbé Batteux in seinem Werk „Les Beaux Arts réduits à un même principe“ von 1746. Sucht man nach weiteren Modellen dieser Art, stößt man
dacht. war seit der Antike üblich. Mitte des 18. Jahrhunderts stellte der französische Architekturtheoretiker und -Lehrer JacquesFrançois Blondel (1705 – 1774) in „Cours d’Architecture“ von 1771 vierundsechzig Gebäudevarianten zusammen. Er nannte diese Klassifizierung aber nicht „Typen“ sondern „Genres“. Sein Hauptanliegen war lediglich die Aufzählung der Gebäudevarianten. Diese Art der typologischen Klassifikation bestätigt sich in Nikolaus Pevsner’s „A History of Building Types“ von 1976 in der die „Types“ anhand ihres Gebrauchs aufgelistet werden. 6 Niklaus Pevsner Werk ist also eine geschichtliche Abhandlung von siebzehn Baugattungen vom Nationaldenkmal bis zur Fabrikhalle. Eine solche Auflistung bietet jedoch keine theoretische Definition des Typus-Begriffes. Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts kann man zwei Tendenzen zur Legitimierung des Architekturentwurfes erkennen: Zum
Zeichen alles darstellen. Dieser knappe und stringente Zugriff
einen die Rückführung auf einen natürlichen Ursprung, der
auf die Welt sei immer wieder Traum des Architekten, so
sich in der Diskussion um die Urhütte konzentriert und ver-
man auch von Codes sprechen. Die Überführung in die digitale Welt mit dem kleinsten Zeichen-Spektrum von 0 und 1 zeigt die Möglichkeit eines beschreibenden Systems. Zugleich wird seine Lesbarkeit komplexer und betritt somit eine Ebene der Interpretationen und Missverständnisse.
Historischer Überblick Erste Versuche einer Typologiedefinition Legitimation von Architektur anhand der Typologie
sucht, in der Zeit der Aufklärung im 19. Jahrhundert prinzipiel1 Vgl. Werner Oechslin, Vignola „L’Abbicci degli architetti“, in: Christoph Luitpold Frommel / Maurizio Ricci / Richard J. Tuttle, Hg. Vignola e i Farnese, Atti del convegno internazionale Piacenza 18-20 aprile 2002, Milano, 2003, S. 375 ff. 2 Vgl. François Blondel, Cours d’Architecture enseigné dans l’Académie Royale d’Architecture, Première Parties, Paris, 1675, Préface, o.S.; aus: Oechslin, Theorie der Praxis, 2009
Bereits sehr früh beginnt das konfliktträchtige Thema der Typologisierung. Die Unterscheidung von Wirklichkeit und Abstraktion sowie methodenorientierter Fragestellung sind zwei beispielhafte Hilfsmittel zum Versuch der Einordnung, die sowohl bei Vignolas Proportionsordnungen in seiner Regola von 1562 3 als auch bei
Pestalozzis (1746-1827) „Anschauungs-
Lehre der Maßverhältnisse“ 4 und vielen anderen Anwendung findet. Die zwei gebräuchlichsten Schemen einer typologischen Klassifikation ist die Einordnung nach Gebrauch (Wohnung, Bürogebäude, Stallung,...) oder nach der Morphologie (lange Halle,
verwandelt ihn zur Kunst.“
Eine grundsätzliche Klassifizierung anhand des Gebrauchs
schnell auf das Alphabet. Hiermit lässt sich mit nur weniger
Oechslin. Projiziert man diese Ansätze in die heutige Zeit, kann
p.382
symmetrische geplante Gebäude, ...) 5 , aber auch funktionelle „Die Natur stellt den Typus zur Aspekte werden zu einem späteren Zeitpunkt zunehmend be- Verfügung, der Mensch
Exkurs Typologie
„Der architektonische Entwurf, ein stringentes Verfahren!
Eine sehr übersichtliche Abhandlung über den Begriff des Typus und der Typology formuliert Anthony Vidler 1977 in „The Third Typology“, welcher im forliegenden Text mit eingebaut ist und gemeinsam mit Adrian Forty’s Buch „Words and Buildings – A Vocabulary of Modern Architecture“ aus dem Jahr 2000 einen Überblick des Typologiebegriffes bereitstellen soll. Weiterhin bilden die Texte „Architektur als objektives System – A.-C. Quatremère de Quincy und J.-N.-L. Durand“ von Sokrates Georgiadis (1989), der Text „Theorie der Praxis – eine weitere Begründung“ von Werner Oechslin (2009) und die Dissertation „Gebäudetypologie als Basis für Qualifizierungssysteme“ von Matthias Castorph (1999) die Grundlage dieser Abhandlung.
le Richtlinien auf wissenschaftlicher Ebene zu erlangen. Architektur also durch natürlich auftretende und erfahrbare Ergebnisse zurückzuführen. In der darauffolgenden Industriellen Revolution wurde zum anderen versucht, die Architektur in die Welt der Massenproduktion einzugliedern, also der Produktionstechnik zu unterwerfen. Anthony Vidler spricht hier von der „first typology“ und der „second typology“ deren Beginn er in Laugier’s Urhütte und Bentham’s Panopticon als Paradigma dieser beiden „Typologien“ sieht. Vidler zeigt, dass beide Typologien dem gleichen Grundsatz folgen: der rationellen Wissenschaft und später der rationellen technologischen Produktion. Beide suchen stets nach einer Le-
3 Vgl. Die Zitate aus der den meisten Ausgaben der “Regola” (1562) vorausgesetzten Vorrede “Al Lettori” (tav. II); aus: Oechslin, Theorie der Praxis, 2009 ad 4 Vgl. (J.H. Pestalozzi), ABC der Anschauung, oder Anschauungs-Lehre der Maßverhältnisse, Erstes Heft, Zürich und Bern / Tübingen, 1803, Vorrede, S. (iii) ff.; aus: Oechslin, Theorie der Praxis, 2009
gitimation außerhalb ihrer Praxis. 7 Erstens: Architektur als Naturimitation In Ribart de Chamousts Werk „L’Ordre français trouvé dans la Nature“ von 1783 zieht der Begriff des Typus als symbolische Figur und ästhetisches Ideal in die Architekturtheorie ein. Eine Rückkehr zur Natur selbst wäre die Lösung und nicht die bloße Nachahmung der griechischen Vorbilder. Die Nachahmung der schönen Natur vollzieht sich ohne schöpferische Einbildungskraft, denn „die Natur stellt den Typus zur Verfügung,
5 Adrian Forty, Words and Buildings - A Vocabulary of Modern Architecture, Thames and Hudson, London 2000, ISBN 0-500-34172-9, Abschnitt: Type, S. 304 6
Ebd., S. 304
7 Anthony Vidler, The Third Typology, Oppositions 7 (Winter 1977); expanded in: Rational Architecture: The Reconstruction of the European City; Brussels: Edition des Archives d’architecture moderne, 1978, S. 288
p.383
Kreativquartier — Vertiefung
Der Traum eines Architekten
einer zu kopierenden oder
der Mensch verwandelt ihn zur Kunst.“ Jede Veränderung zeigt
Wirklichkeit bildet das Ganze und darauf ist das Handeln be-
dennoch die ursprüngliche Idee. 8
zogen. Die Regel reicht nicht aus, beschreibt im besten Fall
Hierbei müssen die Begriffe „Typus“ und „Modell“ unterschieden werden. Eine meisterhafte Definition gibt der Archi-
ner umfassenden, gesellschaftlichen Verbindlichkeit vorerst
Sache, als auf die Idee, die
tekturtheoretiker Quatremère de Quincy bereits Ende des 18
außen vor.“ 12
dem Modell als Regel dient.
Jahrhunderts: „Das Wort Typus bezieht sich nicht so sehr auf
Das künstlerische Modell
das Bild einer zu kopierenden oder vollständig nachzuahmen-
dagegen ist ein Objekt, das
den Sache, als auf die Idee, die dem Modell als Regel dient.
so, wie es ist, wiedergegeben
Das künstlerische Modell dagegen ist ein Objekt, das so, wie
werden muss. Im Gegensatz
es ist, wiedergegeben werden muss. Im Gegensatz dazu ist der
dazu ist der Typus etwas,
Typus etwas, aufgrund dessen Werke konzipiert werden kön-
aufgrund dessen Werke konzi-
nen, die einander überhaupt nicht ähnlich sehen. Beim Modell
piert werden können, die
ist alles präzise und vorgegeben, beim Typus bleibt alles mehr
einander überhaupt nicht
oder weniger unbestimmt.“ 9 Quatremère de Quincy beginnt
ähnlich sehen. Beim Modell ist
seinen Objektivierungsversuch unter der Annahme, dass alle
alles präzise und vorgegeben,
notwendigen künstlerischen Mittel auf das Niveau von invariab-
beim Typus bleibt alles mehr
len Regeln gebracht werden könnten. seine Absicht war es, die
oder weniger unbestimmt.“
Architektur in feste Begriffe und Kategorien zu bringen und eine systematische Erfassung mit Hilfe eines Beschreibungssystem vorzunehmen. Damit soll ein normativ als auch wissenschaftlich nachvollziehbares in sich geschlossenes System dargestellt werden.
7 Anthony Vidler. The Third Typology, Oppositions 7 (Winter 1977); expanded in: Rational Architecture: The Reconstruction of the European City; Brussels: Edition des Archives d’architecture moderne, 1978, Seite 288
Damit einher gingen die Probleme der Übermittlung. Die Sprache war das Hilfsmittel der Beschreibung und die genau analysierte und beschriebene Sache somit das wesentliche Kriterium, an dem sich ihr Wert, beziehungsweise ihre Korrektheit, messen ließe. 10 Zur Beschreibung mit Hilfe von Sprache und anderen Hilfsmitteln bedürfen Bauwerke und andere imitative
9 Aldo Rossi, Das Konzept des Typus, in: Focus: Zur Rolle der Typologie in der Architektur, Positionen der italienischen Architekturdiskussion zum Typusbegriff, Arch+ 37 10 Architektur als objektives System - A.-C. Quatremère de Quincy und J.-N.-L. Durand, Sokrates Georgiadis, an der ETH-Zürich, Abteilung für Architektur Kunst- und Architekturgeschichte, Prof. Dr. Werner Oechslin, 2. Jahreskurs WS 1989/90
p.384
Vorgehen und Methode, aber lässt das Handeln und Tun in sei-
vollständig nachzuahmenden
11 Quatremère de Quincy: Dictionnaire historique d’architecture, Paris 1832; aus: Architektur als objektives System, Sokrates Georgiadis, ETH-Zürich, 2. Jahreskurs WS 1989/90
Kunstwerke also einer Reduktion. Es erfolgt eine Ausweitung des Imitationsbegriffes, der die sichtbare Natur zu überbieten hätte: „Unsere Theorie erkennt in den Werken der Nachahmung zwei hinsichtlich der Qualität unterschiedliche Arten und unterteilt diese demgemäß in zwei Klassen. Die Werke der ers-
Es sind also Aufgaben an der Gesellschaft, die den Architekten leiten und leiten müssen, formuliert David Gilly in seinem 12 Theorie der Praxis – eine weitere Begründung, Werner Oechslin, aus: Bringing The World Into Culture. Comperative Methodologies in Architecture, Art, Design and Science. Liber Amicorum offered to Richard Foqué. Hg. von Piet Lombaerde. University Press Antwerp, Antwerpen 2009, S.133-143. 13 Vgl. David Gilly , Handbuch der Land-Bau-Kunst vorzüglich in Rücksicht auf die Construction der Wohn- und WirtschaftsGebäude für angehende CameralBaumeister und Oeconomen …, I, Berlin, 1797; aus: Oechslin, Theorie der Praxis, 2009 14 Vgl. Werner Oechslin, Eine ‚praktische Wissenschaft’ der Architektur als Antwort auf die veränderte, ‚selbstdenkende’ Welt in Preussen (um 1800), in: Michael Bollé / Thomas Föhl (Hg.), Von Berlin nach Weimar, Beiträge zu Ehren von Rolf Bothe, Berlin, 2003, S. 22 ff. 15 Jean-Nicolas-Louis Durand und die Anfänge einer funktionalistischen Architektutheorie, Antonio Hernandez, aus: O.M. Ungers (Hrsg.) Architekturtheorie - Internationaler Kongress an der TU Berlin. o.J. (1968), S. 133-139Bothe, Berlin, 2003, S. 22 ff.
ten Klasse, [...] haben als Vorbild das individuelle Werk der Natur. [...] Das ist die Nachahmung der realen Welt. Die Werke der zweiten Klasse sind das besondere Produkt der geistigen Fähigkeiten. [...] Das ist die Nachahmung in der Welt der Ideen. Das ist die ideale Nachahmung.“ 11 Spätestens hier beginnt man, daran zu zweifeln, dass die reine Methode eines architektonischen Regelwerks anhand geometrischer Formen und deren Vermittler in Zeichnung und Bild ausreichen. Womöglich ist die Realität die wirkliche Herausforderung: „Was der Methode zuträglich erscheint, lässt uns hinsichtlich der Anwendung auf die Wirklichkeit perplex. Allein die
Exkurs Typologie
nicht so sehr auf das Bild
Handbuch der Land-Bau-Kunst 1797 13 , dessen Zielsetzung von Schinkel fortgeführt wird. Schinkel geht davon aus, dass die „Zweckmäßigkeit das Grundprinzip allen Bauens“ 14 ist und formuliert seine Grundsätze zum „Ideal der Zweckmäßigkeit“. Wir befinden uns nun am Beginn der morphologischen Klassifikation: Jean-Nicolas-Louis Durand (1760 – 1834) kann als erster Rationalist seiner Zeit beschrieben werden. Sein Hauptwerk ist das Lehrbuch „Précis des lecons d’architecture données à l’Ecole Polytechnique“ von 1802/05 in dem er unter anderem neuartige Grundrisse einfachster geometrischer Formen aufzeigt. 15 Für Durand steht die Befriedigung (materieller) Notdurft im Vordergrund. Die „Précis“ bietet einen Katalog elementarer Baulehre, eine Grammatik der architektonischen Elemente, ohne den Gebrauch in Betracht zu ziehen. 16 Das ist nicht mehr, als ein Baukatalog, der den Weg zu einer ersten Baurationalisierung bereitet und die Leitbegriffe der Zweckmäßigkeit und der Wirtschaftlichkeit einführt. Er zeigt erst im zweiten Band, wie man diesen Baukatalog mit der Programmatik verbindet. Obwohl es sein Ziel war, dass Architekten sich von starren Konventionen antiker Vorbilder entfernen sollten, erreichte er genau das Gegenteil. Seine Ansätze haben bereits früh im schematischen und rasch gebauten Messegebäude der ersten Weltausstellung Anwendung gefunden und können als Grundlage der Moderne gesehen werden. Quatremère de Quincy’s architektonische Naturimitation war für Gottfried Semper nur teilweise korrekt: Er erkennt, dass Ar-
16 Adrian Forty, Words and Buildings - A Vocabulary of Modern Architecture, Thames and Hudson, London 2000, ISBN 0-500-34172-9, Abschnitt: Type, Seite 304 17 Adrian Forty, Words and Buildings - A Vocabulary of Modern Architecture, Thames and Hudson, London 2000, ISBN 0-500-34172-9, Abschnitt: Type, Seite 306 18
(18-22) Ebd., Seite 307
chitektur zwar von der Natur inspiriert sein kann, aber dennoch unabhängig von der Natur ist. Sempers Theorie der architektonischen „Typen“ basiert auf der wissenschaftlichen Erkenntnis der Tier und Pflanzen-Morphologie. Semper wollte diese wissenschaftliche Erkenntnis für die Architektur nachvollziehbar darstellen. 17 „Works of industrial art are like those of nature, connected together by some few fundamental ideas, which have their simplest expression in types.“ 18
p.385
Kreativquartier — Vertiefung
„Das Wort Typus bezieht sich
understood as the result of
„Standardisierung“ viele Teile des alltäglichen Lebens. a beneficial concentration, Durch die industrielle Produktion von Massengütern im Sinne
will alone make possible the
Henry Fords, werden alle Bereiche der Produktion vereinheit- development of a universally licht und zur Standardisierung gezwungen.
valid, unfailing good taste.“
Auch die Architektur bleibt von dieser Bewegung nicht ver-
zwischen Gebäude und Stadt. Eine Stadt kann demnach mit Hil- „Der Typus entwickelt sich fe eines einzigen Gebäudes beschrieben werden, da das Gebäu- also gemäß den Bedürfnissen de den historischen, gesellschaftlichen und städtebaulichen
und entsprechend dem Stre-
Werdegang seines Ortes repräsentiert. Dieser Diskurs um den
ben nach Schönheit; einzig-
Begriff des „Typus“ wird von Anthony Vidler als „the third ty- artig, jedoch sehr variiert in pologie“ bezeichnet. In der weiteren Diskussion bildeten sich
unterschiedlichen Gesell-
zwei Lager heraus:
schaften ist der Typus an die
schont: Die Standardisierung im architektonischen Bereich
Form und an die Lebensweise
wird durch den Begriff der „Typisierung“ geprägt, der vom „The remarkable new machi-
1. Typologie als einfache Methode der Stadtanalyse;
Deutschen Werkbund 1911 in einer Debatte über den stilisti- nes subject to the laws of
2. Typologie als eine generelle Theorie für die Architektur,
functional precision were
zu deren Vertreter auch Aldo Rossi gehört. Beide waren sich
wird. 19
thus paradigms of efficiency.“
jedoch einig, dass der Wert der Typologie in seiner Bezie- „Kein Typus ist identisch mit hung zwischen der Architektur und der Stadt liegt. 26
„Types (Typisierung), to be understood as the result of a beneficial concentration, will alone make possible the develop-
Aldo Rossis Position in der Diskussion um den Begriff des
Die „Typisierung“ ist ein Versuch, die chaotische Welt des
Typus in der Mitte des 20. Jahrhunderts findet sich in „der
Massenkonsums, welcher durch Mode, Individualismus und An-
Idee der Architektur an sich“ wieder. 27 Der Typus entwickelt
omie geprägt ist, zu ordnen und die Unordnung und fehlende
sich anhand der Situation und der Umgebung, also dem Kon-
Disziplin aus der Architektur zu verbannen. 21
text. Seit jeher hat der Mensch sich sein Umfeld zu Eigen ge-
Die von Le Corbusier entwickelten architektonischen „Typen“
macht, es kultiviert und transformiert. „Der Typus entwickelt
verfolgen denselben Zweck: die chaotische Unordnung der bür-
sich also gemäß den Bedürfnissen und entsprechend dem
gerlichen Individualismus in eine rationelle und geordnete Exis-
Streben nach Schönheit; einzigartig, jedoch sehr variiert in
tenz zu überführen. In diesem Kontext wird der „Typus“ als
unterschiedlichen Gesellschaften ist der Typus an die Form
Schutz der Zivilisation vor dem Zerfall kultureller Werte durch
und an die Lebensweise gebunden.“ 28
Mode, verstanden. 22 Diese Art der Architekturproduktion kann der simplen Frage
wird die Typologie zum „analytischen Moment“ der Architektur. „Kein Typus ist identisch mit der Form, auch wenn alle archi-
chines subject to the laws of functional precision were thus
19-22 Ebd., Seite 307
tektonischen Formen auf Typen zurückgeführt werden kön-
paradigms of efficiency.“ 23
23 Anthony Vidler, The Third Typology, Oppositions 7 (Winter 1977); expanded in: Rational Architecture: The Reconstruction of the European City; Brussels: Edition des Archives d’architecture moderne, 1978, Seite 290
nen.“ (Aldo Rossi, Das Konzept des Typus) 29
griff des „Typus“ fortgesetzt. Der Diskurs startet in Italien mit Debatten über die „continuita“ und erweitert sich später im englisch sprachigen Raum unter dem Begriff „meaning“. 24 Die Inhalte der beiden Begriffe werden im folgenden getrennt erläutert. Alle drei Begriffe aus der Diskussion um die „continu-
24 Adrian Forty, Words and Buildings - A Vocabulary of Modern Architecture, Thames and Hudson, London 2000, ISBN 0-500-34172-9, Abschnitt: Type, Seite 307
ita“ – Geschichte, Kontext und Typus – werden zu Schlüsselbegriffen der Architekturdebatten in den 1970er und 1980er Jahren. Der „Typus“ wird in diesem Zusammenhang von Vidler als „the city as the site for urban typology“ 25 verstanden. Die Typologie ist also ein Mittel zur Beschreibung einer Beziehung
können.“
Veränderungen immer das Grundprinzip zu erkennen ist, so
nach der Technik unterstellt werden. „The remarkable new ma-
Nach dem Zweiten Weltkrieg wird die Diskussion um den Be-
Typen zurückgeführt werden
Wenn also bei allen menschlichen Erfindungen selbst nach
den neu eingebrachten Kapitalismus und seinem Vermittler
zur Erlangung der Kontinuität
der Form, auch wenn alle architektonischen Formen auf
ment of a universally valid, unfailing good taste.“ 20
p.386
gebunden.“
schen Individualismus zu Zeiten des Jugendstils eingeführt
Drittens: Architektur als Mittel
Exkurs Typologie
„Types (Typisierung), to be
„Schließlich können wir sagen, dass der Typus die Idee der Architektur an sich ist; das, was ihrem Wesen am nächsten kommt.“ (Aldo Rossi, Das Konzept des Typus) 29 Im Streben nach „meaning“ in den 1960er Jahren wurde die Architektur der Moderne angezweifelt. Die Abkehr der Architektur von den Insignien der gesellschaftlichen Klasse führte zu bedeutungslosen und einheitlichen Räumen und wurde im Diskurs als „the crisis of meaning“ bekannt. Aldo Rossi arbeitet zwar auf ähnliche Weise, unterstellt seine Werke aber nicht direkt dem „meaning“-Begriff. So war es Vittorio Gregotti mit
25 Adrian Forty, Words and Buildings - A Vocabulary of Modern Architecture, Thames and Hudson, London 2000, ISBN 0-500-34172-9, Abschnitt: Type, Seite 308
seinem Buch „Il Territorio dell’Architettura“ aus dem Jahr
26
Ebd., Seite 308
27 Aldo Rossi, Das Konzept des Typus, in: Focus: Zur Rolle der Typologie in der Architektur, Positionen der italienischen Architekturdiskussion zum Typusbegriff, Arch+ 37, Aachen 1978
1966, der direkt auf die Bedeutung und den Sinn in der Architektur anspielt. Gregotti vermutet, dass die semantische Krise
28
Ebd.
der Modernen Architektur zumindest teilweise an der Typologie
29
Ebd.
p.387
Kreativquartier — Vertiefung
Zweitens: Architektur als Mittel gegen die Massenkultur In Zeiten der industriellen Revolution prägt der Begriff
„Heute ist man mehr denn je
der Architektur, sieht er die Aufwertung des „Typus“ und der
mit einer Situation konfron-
Gottfried Semper, architects
Rekonfiguration des „Kontext“. Diese Sichtweise auf die „Typo-
tiert, in der es nicht genügt,
have found remarkably
logie“ bildet die Grundlage für die Debatte in den 1960er Jah-
die ideologischen Vitruv’schen
Klassifizieren, Ordnen und Gliedern in der Architektur
difficult to put to any practi-
ren unter dem Begriff „meaning“.
Architekturtheorien – Zweck-
Die Architektur kann im Bezug auf Kreativquartiere auf zwei
cal use; on the other hand,
Nach den Tumulten des zweiten Weltkrieges entfernten sich
mäßigkeit (utilitas), Schönheit
bung. 35
Ebenen untersucht werden. Zum einen anhand eines hierarchiebildenden und ästhetischen Urteils ihrer Qualität („besser
Künstler, Architekten und andere Berufsgruppen zunehmend
(venustas) und Stabilität
nalism, mass consumption,
weiter vom klassischen und modernen Typologiemodellen und
(firmitas) – als Grundlage
als“,„’schöner als“) oder anhand von Fakten und ihrer objekti-
functionalism, or loss of
versuchten dieses im Zeitgeist des Post-Modernismus in Frage
des eigenen Handels zu
ven Beschaffenheit. Im ersteren Fall ist jedoch die Messbarkeit
verstehen.“
set against structural ratio-
meaning, ‘type’ and ‘typolo-
zu stellen. „The only ‚pure’ theory of types, that developed by
gy’ become, as Micha Bandini
Gottfried Semper, architects have found remarkably difficult
says, ‘almost magical words
to put to any practical use; on the other hand, set against
Die im vorhergehenden Abschnitt beschriebenen Typologie-An-
which by their mere utteran-
structural rationalism, mass consumption, functionalism, or
sätze beschränken sich oft nur auf wenige Strukturmerkmale.
loss of meaning, ‘type’ and ‘typology’ become, as Micha Ban-
Selbst die Reduktion auf eine Beschreibung kann hinderlich
dini says, ‘almost magical words which by their mere utteran-
sein, da die Auswahl bereits subjektiv vorgenommen wird und
ce yield hidden meanings’.“ „Die Erscheinungsfähigkeit der Zwecke ist verlorengegangen.
mit ihrem subjektiven Hintergrund fragwürdig und driftet in eine willkürliche Wertung ab. 36
ce yield hidden meanings’.“ 31
das Gesamtsystem einer hierarchischen Gliederung unterliegt.
Darunter zählen auch zahlreiche Bewegungen wie z.B. parti-
(z.B. Quatremère de Quincy nimmt die griechische Antike als
Die Zwecke sind so über-
zipative Ansätze von Giancarlo di Carlo (Team 10), das Projekt
Ausgangspunkt, Durand begibt sich auf eine rein morphologi-
mächtig, dass sie die Hilfe
Fun Palace von Cedric Price und Andere. Wenige Jahre später
sche Klassifikation, usw.)
der Erscheinung nicht mehr
kann man von einer totalen Abkehr der alt hergebrachten Typo-
brauchen!“
logiedefinitionen sprechen, die sich in der Herangehensweise
der Gebäudetypen und stell nur eine Zusammenstellung unter-
des Dekonstruktivismus wiederspiegelt.
schiedlicher Baugattungen im Spannungsfeld zwischen Stilge-
Weiterhin gibt Nikolaus Pevsner einen Einblick in das Wesen
Ein Zitat von Hoffmann-Axthelm aus seinem Beitrag „Der
30 Adrian Forty, Words and Buildings - A Vocabulary of Modern Architecture, Thames and Hudson, London 2000, ISBN 0-500-34172-9, Abschnitt: Type, Seite 309 31
Ebd., Seite 311
33 Markus Miessen, Alptraum Partizipation, Merve Verlag Berlin, 2012, S. 66 34
Ebd., S. 65
schichte und Sozialgeschichte vor. Er strukturiert diese nach
Tod der Architektur“ im Arch+ Heft 37 aus dem Jahr 1978 im
funktionalen Gesichtspunkten auf drei Ebene: Der Funktion,
Bezug auf die Nachkriegsmoderne bringt es auf den Punkt:
dem Stil und dem Material.
„Die Erscheinungsfähigkeit der Zwecke ist verlorengegangen.
Man könnte behaupten, dass Architekten Gebautes in mor-
Die Zwecke sind so übermächtig, dass sie die Hilfe der Er-
phologische Kriterien gliedern und Bauingenieure in konstrukti-
scheinung nicht mehr brauchen!“ 32
ve und ökonomische Kriterien (Konstruktion, Material, Kosten).
Nach Markus Miessen ist der Wandel des Architekten, der
Das Vergleichen und Urteilen in der Architektur wird durch
sich mit dem Image (z.B. der Gesamterscheinung, der Reprä-
derartige Unterschiede zusätzlich schwierig, wenn nicht sogar
sentative Architektur, der Säulenordnung,...) beschäftigt, hin
unmöglich. „Die Beschreibung ist mit dem Gegenstand der Be-
zum Architekten, der sich mit einer spezifischen Praxis (z.B.
schreibung nicht identisch“ 37 und zeigt sich beispielhaft in
Methode der Partizipation, Selbstorganisation) beschäftigt,
den Paaren Zeichen und Bezeichnetem oder Plan und Ausfüh-
grob in die Zeit der Eröffnung von Frank Gehrys Guggenheim
rung, auf die in der Architektur zurückgegriffen wird. Man
Museum in Bilbao einzuordnen 33 und definiert den Endpunkt
stellt sich hier die Frage, wie das Phänomen der ästhetischen
ursprünglicher Typologie-Ansätze. Er kommt zu der Erkenntnis, dass das stark romantisierte Ideal des Architekten infolge aktueller Gegebenheiten nicht mehr gültig ist. „Heute ist man mehr
32 Hoffmann-Axthelm, Der Tod der Architektur, in: Arch+ 37, Aachen 1978
p.388
kulturellen Gegebenheit und dem Kontext der gebauten Umge-
denn je mit einer Situation konfrontiert, in der es nicht genügt, die ideologischen Vitruv’schen Architekturtheorien – Zweckmäßigkeit (utilitas), Schönheit (venustas) und Stabilität (firmitas) – als Grundlage des eigenen Handels zu verstehen.“ 34 So lehnen auch seine Zeitgenossen die Typologie der Selbstreferenz ab, denn diese Vorgehensweise entzieht sich der
Exkurs Typologie
liegt. 30 Als Hilfsmittel zur Rückgewinnung der Bedeutung in
types, that developed by
35 Markus Miessen, Alptraum Partizipation, Merve Verlag Berlin, 2012, S. 66 36 Matthias Castorph, Gebäudetypologie als Basis für Qualifizierungssysteme, Diss. D386, Fachbereich Architektur/ Raum- und Umweltplanung/ Bauingenieurwesen der Universität Kaiserslautern, 1999, S.47-51 36
Ebd., S. 40-46
Differenz in der Qualifizierung von Gebäuden kontrolliert und damit eine allgemeine Methode entwickelt werden kann, mit der sich Gebäude grundsätzlich einordnen lassen? Erkenntnis Eine Einordnung anhand der Gebäude selbst scheint praktisch unmöglich. „Gebäude, die einer Veränderung unterliegen oder unterlagen, können nur zum jeweiligen Untersuchungszeitpunkt ausgewertet und systematisiert werden, was
p.389
Kreativquartier — Vertiefung
„The only ‚pure’ theory of
„Gebäude, die einer Verände-
da ihr Vorhandensein zum Untersuchungszeitpunkt nicht gesi-
rung unterliegen oder unter-
chert ist.“ 38 Die grundsätzliche Unterscheidung, wie man ein
lagen, können nur zum
Gebäude klassifiziert oder über es urteilt, kann verbal, schrift-
jeweiligen Untersuchungszeit-
lich, grafisch usw. übermittelt werden. Eine Vermengung der
punkt ausgewertet und
Aggregatzustände (Objekt, Plan, Beschreibung) eines Gebäudes
systematisiert werden, was
kann vermieden werden, wenn nur eines der Aggregatzustände
der Suche nach verallgemein-
die Grundlage eines Klassifizierungssystems ist. Die Grenze der
erbarer Einordnung wider-
Aggregatzustände zeigt die Differenz. „Diese Grenze ver-
spricht, da ihr Vorhandensein
schwindet niemals, auch wenn z.B. ein Plan die perfekte Be-
zum Untersuchungszeitpunkt
schreibung des Gebäudes ist. Mit diesem Plan kann zwar im
nicht gesichert ist.“
Exkurs Typologie
Kreativquartier — Vertiefung
der Suche nach verallgemeinerbarer Einordnung widerspricht,
Idealfall wieder ein Objekt entstehen, das der Beschreibung exakt entspricht, aber das Objekt, dessen Eigenschaften beschrieben wurden, verdoppelt sich nicht selbst, sondern es
„Diese Grenze verschwind-
entsteht nur ein Objekt als gleiche Beschreibung.“ 39 Um nun
et niemals, auch wenn z.B.
eine einheitliche Klassifizierung vorzunehmen, müssen alle Ob-
ein Plan die perfekte Be-
jekte vor der Untersuchung in gleichartiger verbaler, schriftli-
schreibung des Gebäudes
cher, grafischer, etc. Form vorliegen. Dies scheint hinsichtlich
ist. Mit diesem Plan kann
der Fülle an Information kaum möglich zu sein. Aufgrund des-
zwar im Idealfall wieder
sen kann eine Klassifizierung nie den Gesamtumfang abdecken
ein Objekt entstehen, das
und nur von relativ kurzer Dauer sein.
der Beschreibung exakt entspricht, aber das Objekt, dessen Eigenschaften beschrieben wurden, verdoppelt sich nicht selbst, sondern es entsteht nur ein Objekt als gleiche Beschrei-
38 Matthias Castorph, Gebäudetypologie als Basis für Qualifizierungssysteme, Diss. D386, Fachbereich Architektur/ Raum- und Umweltplanung/ Bauingenieurwesen der Universität Kaiserslautern, 1999, S.47-51 39
Ebd., S. 36-40
p.391
p.390
bung.“
Schlussanmerkung â&#x20AC;&#x201D; Verfolgt man den aktuellen Diskurs zum Thema Kreativquartier, so stellt man eine Unklarheit bei der Verwendung des Begriffs fest.
Untersuchung lassen sich bereits spezifische Anforderungen und Randbedingungen für das Entstehen von Kreativquartieren
so kann man dem Wortsinn entnehmen, dass dieser bereits
zuordnen. Die Infrastruktur als wichtiger Faktor ist stark mit
eine statistisch erfassbare Entwicklung aufweist. Besonders
der Platzierung im Stadtraum verankert, ob ein Kreativquartier
nach Veröffentlichung der Texte von Charles Landry und Ri-
funktioniert oder nicht. Vom Phänomen Kreativquartier kann
chard Florida’s gesellschaftlich eingefassten Beschreibung der
man also sprechen, sofern dieses sich selbstständig und ohne
„Kreativen Klasse“, kann dieser Trend beobachtet werden. Wie wir festgestellt haben, finden sich bereits im 18. Jahrhundert Ansammlungen von kreativen Vereinigungen, aber die
Schlussanmerkungen
Kreativquartier — Vertiefung
Weiche/fluktuierende Begriffe Spricht man in Bezug auf Kreativquartiere von einem Trend,
Einfluss von außen entwickelt hat. Mit dem Begriff Kreativquartier wird seit einiger Zeit sehr inflationär umgegangen. Jede kleinste Ansammlung krea-
Einordnung in die „Kreative Klasse“ geschieht erst deutlich in
tiv Schaffender wird als Kreativquartier bezeichnet. Das Wort
den letzten 10 – 20 Jahren. Zu beobachten ist außerdem, dass
„kreativ“ ist eine art Chiffre geworden und bestimmt die
dieser „Trend“ nicht ephemer zu sein scheint, sondern viel-
Immobilienwirtschaft wie nie zuvor. Leerstehende Gebäude
mehr im Zeitraum der Untersuchung immer stärker vorange-
erfahren mitunter eine enorme Wertsteigerung, wenn sie von
trieben wird. Man könnte es dem aktuellen Zeitgeist zuspre-
Kreativen zwischengenutzt werden. Und auch ganze Neubauge-
chen, städtischen Leerstand unter ökonomischen, politischen,
biete lassen sich unter dem Überbegriff „Kreativquartier“
touristischen oder soziologischen Gesichtspunkten aufzuwer-
deutlich lukrativer vermarkten. Aufgrund seiner vermehrt positiven Resonanz in der Ent-
ten. Wenn wir von einer „modischen Erscheinung“ sprechen, ist diese primär dem Geschmack der Zeit zuzuordnen. Zwar lässt
wicklung von städtischem Mehrwert und kulturellen Vorzügen ist der Begriff zum Label mutiert.
sich ein Kreativquartier unter bestimmten Randbedingungen im
Bei dieser Entwicklung können wir von der Methode Kreativ-
städtischen Kontext als Mode klassifizieren, allerdings werden
quartier sprechen. Als zielgerichtete Vorgehensweise zeichnet
wichtige Teilaspekte wie die städtebauliche, programmatische
sie ein Regelsystem auf, in dem Gebäude und Kontext bestimm-
und gebäudestrukturelle Einbindung dann aber nebensächlich.
te Voraussetzungen erfüllen müssen. Die Methode wirkt von
Eine Mode entspricht dem Interesse, dem Gefallen oder Verhal-
außen ein und instrumentalisiert im schlechtesten Fall den Nut-
ten subjektiver Werterscheinungen. Wichtig hierbei ist, dass
zer mit seinem Image und seinen Fähigkeiten. Er avanciert zum
der Begriff der „Mode“ ein zeitlich begrenztes Phänomen ist.
Lückenbüßer und Gentrifizierungs-Ermöglicher. Als externe Ein-
Wenn sich der Zeitgeschmack ändert, würde das Kreativquar-
wirkung auf ein Gefüge kann auch der Begriff der Praktik
tier seinen Bezug verlieren und in die Wertlosigkeit einer alten
Verwendung finden. Wie man unschwer erkennen kann, ist
Klamotte abdriften.
dies eine zielgerichtete Vorgehensweise von Seiten der Investo-
Eine Tendenz wäre eine Art Oberbegriff für eine bestimmte
ren, Immobilienentwickler und Stadtplaner. Die Methode oder
Richtung oder Strömung innerhalb einer gesellschaftlichen und
Praktik wird zum Produkt und letztendlich durch ein Label in
politischen Entwicklung. Vom Kreativquartier als Tendenz kön-
Form eines großen Eingangsschildes oder eines imposanten
nen wir jedoch zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht spre-
Internetauftrittes angepriesen (siehe Beispiele).
chen, da keine festgesetzte Zielrichtung in der Entwicklung von Kreativquartieren zu finden ist.
Entwicklung Kreativquartiere erfahren zunehmendes Interesse seitens
In den Medien und in aktueller Literatur wird oft vom Phäno-
ökonomischen und politischen Zielvorstellungen einbinden. In
men Kreativquartier gesprochen. Einem Phänomen liegt kei-
Deutschland haben nicht nur Berlin und Hamburg das Potenzial
ne geplante Struktur zu Grunde, also kein faktisch messbarer
p.394
der Städte, die sie systematisch in ihre touristischen,
der Kreativen erkannt. In den letzten Jahren beginnen die Städ-
Prozess. Es handelt sich eher um beobachtbare Entwicklungen
te regelrecht damit, sich gegenseitig junges Kreativpotential
oder Erscheinungen, deren Motivation von innen heraus ent-
abzuwerben. Jede größere städtische Agglomeration hat
steht. Wie wir feststellen konnten, sind wir in dieser Entwick-
bereits damit begonnen, Kreativ- und/oder Kulturwirtschafts-
lung bereits sehr weit fortgeschritten. Zum Zeitpunkt unserer
berichte zu erstellen.
p.395
Konkrete Begriffe
genes Kleidungsstück seinen Besitzer wechselt.” 1
„Kleidungsstücke sind ebenso
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in dieser Publika- wie Immobilien von einer
Wirtschaftsförderung der Stadt Stuttgart in der Abteilung Leer-
tion die maskuline Schreibform verwendet. Wir schließen darin
bestimmten Ästhetik, dem
stands- und Zwischennutzungsmanagement eine Broschüre,
jedoch ausdrücklich alle Geschlechter ein und möchten damit
Zeitgeist und ihrer Funktion
die 35 Kreativquartiere im Raum Stuttgart lokalisiert. Sie ist
niemanden diskriminieren.
geprägt. Architektur und
lediglich als quantitative Erfassung zu lesen. Eine Definition,
Mode sind Ausdrucks-
um was es sich bei einem Kreativquartier handelt, gibt es
und Kommunikationsmittel,
jedoch nicht.
sie schaffen und vermitteln
Bei einer stark-offensichtlichen Instrumentalisierung, so die
Schlussanmerkungen
Kreativquartier — Vertiefung
Weitere Untersuchungen bemühen sich, die Kreativen aufzuspüren und einzuordnen. So entstand beispielsweise unter der
Identität und haben einen
Vermutung, hat die Methode Kreativquartier ihr eigentliches
Gebrauchs- und Tauschwert.
Anliegen zur Veränderung der post-industriellen Gesellschaft
Oder unterliegt einem beson-
verloren und wird schon bald als Instrumentarium – im Sinne
ders kurzweiligen Zyklus:
des Top-Down-Prinzips – beispielsweise von Stadtämtern und
Ihre Akzeptanz ist in der
Konzernen angesehen. Sie verliert ihr Alleinstellungsmerkmal
ersten Phase TREND noch
und nicht zuletzt die Akzeptanz der Kreativen.
gering, in der zweiten Phase MODE erreicht sie ihren Höhe-
Fazit
punkt, in der dritten Phase
Ein Kreativquartier kann (noch) unterschiedlich aufgefasst
OBSOLESZENZ sinkt die
werden, geprägt durch seine Entwicklung und den Grad der
Nachfrage und gleichzeitig
Institutionalisierung. Keines der Kreativquartiere bleibt ver-
steigt die Chance, dass ein
schont davon, zwischen den Aggregatzuständen des Phäno-
getragenes Kleidungsstück
mens und der Methode zu wechseln, wenn das Potenzial einmal
seinen Besitzer wechselt.”
entdeckt wurde. Daher möchten wir in unserer Untersuchung eher von einem Prinzip Kreativquartier sprechen, da es zum einen eine selbstorganisierte Entwicklung (Phänomen), als auch eine (voraus-) geplante Entwicklung beinhalten kann (Praktik, Methode). Eine Grundregel, wie ein Kreativquartier sein kann, beinhaltet also eine programmatische Definition (siehe Abschnitt Typus) und eine analytische Erfassung des Kontextes (siehe Abschnitt Topos). Diese beiden Grundregeln dienen zugleich als Analysewerkzeug, wie ein KQ einzuordnen ist. Wir bewegen uns also auf der Ebene der Idee oder des Schemas und weniger auf dem Gebiet einer konkreten Baumaßnahme bzw. einer gebauten Typologie. „Kleidungsstücke sind ebenso wie Immobilien von einer bestimmten Ästhetik, dem Zeitgeist und ihrer Funktion geprägt. mittel, sie schaffen und vermitteln Identität und haben einen Gebrauchs- und Tauschwert. Oder unterliegt einem besonders kurzweiligen Zyklus: Ihre Akzeptanz ist in der ersten Phase p.396
TREND noch gering, in der zweiten Phase MODE erreicht sie ihren Höhepunkt, in der dritten Phase OBSOLESZENZ sinkt die Nachfrage und gleichzeitig steigt die Chance, dass ein getra-
Quellen der einzelnen Begriffe ist immer: www.duden.de 1 aus: Second Hand Spaces - über das Recyceln von Orten im städtischen Wandel, Michael Ziehl, Sarah Oßwald, Oliver Hasemann, Daniel Schnier; Jovis Verlag 2012, S. 13/14 ISBN 978-3868591552
p.397
Architektur und Mode sind Ausdrucks- und Kommunikations-
Danksagungen — Von ganzem Herzen
Partizipation | Eine zeitgenössische Methode im Diskurs Einführung, p. 018 – 020 | Partizipation in der Architektur, p. 021 – 029 | Team 10, p. 030 – 038 | Utopie und Partizipation, p. 039 – 045 | Grenzen der Partizipation, p. 045 – 078 | Partizipationsromantik, p. 079 – 091 | Stadtplanung und Demokratie, p. 092 – 095 | Beispiel – NDSM Werft, p. 096 – 100 | Die Rolle des Architekten, p. 101 – 113 | Schlussanmerkung, p. 114 – 127 |
Wir danken dem Stadtarchiv Stuttgart in Bad Cannstatt. Weiterhin dem Staatsarchiv Ludwigsburg, hier insbesondere Corin-
Viele Personen haben dabei geholfen, dieses Buch zu reali-
na Knobloch für den übersichtlichen Einblick in das umfassen-
sieren. Im speziellen wollen wir den nachfolgenden Personen
de Archiv.
für ihre Unterstützung, ihre konstruktive Kritik sowie die inspirierenden Diskussionen danken. Die Erstellung dieses Buches
NDSM
war nur durch die Zusammenarbeit vieler, auf ganz unter-
Wir danken den Architekten der Kunststad, aus Utrecht den
schiedliche Art und Weise beteiligter, Akteure möglich.
dynamo architecten, insbesondere Peter de Bruin für die
Besonderer Dank gilt der Klasse für Entwerfen Architektur/ Öffentliche Bauten und Räume. Prof. Andreas Quednau und AM Kai Beck haben unser Projekt über 4 Semester begleitet und uns in jeder Phase unterstützt. Weiterhin möchten wir Prof. Dr. Sokratis Georgiadis, Professor für Architektur- und Designgeschichte, Architekturtheorie,
Bereitstellung von Planunterlagen und den inhaltlichen Austausch. Für einen ersten Eindruck in die Welt der NDSM in Amsterdam möchten wir Doris Rothauer danken und weiterhin dem NDSM Werftmuseum, insbesondere Ruud van der Sluis, für eine gelungene historische Aufarbeitung des NDSM Geländes.
und seinen Assistentinnen für die Unterstützung mit Literatur,
Weiterhin möchten wir den Akteuren für kurze Gespräche
für wichtige Hinweise, sowie die inhaltliche Beratung und Un-
während der Feldforschung danken. Besonderer Dank gilt hier
terstützung im theoretischen Textteil danken. Weiterhin möchten wir den studentischen Mitarbeitern der
Eibert Draisma (Design+Kunst) für ein fast einstündiges Gespräch über die Struktur der NDSM damals und heute und den
Bibliothek der ABK Stuttgart danken, insbesondere der Leiterin
inhaltlichen Austausch über die Kultur- und Kreativwirtschaft
Mayumi Pfundtner, für die Möglichkeit einen projektbezogenen
und deren Vermarktungsmöglichkeiten im Amsterdamer Umfeld.
Handapparat über mehrere Semester einzurichten und die Er-
Paritizipation
Paritizipation
Danksagungen
Weiterhin Eva de Klerk, die im Bereich der Kreativquartiere
gänzung von Literatur im Bibliotheksbestand zu ermöglichen.
ein solch herrliches Konstrukt wie die NDSM von Anfang an be-
Außerdem danken wir der Bibliothek der Universität Stuttgart
gleitet und sich trotz eingeschränktem Zeitfenster ebenfalls für
für die Bereitstellung älterer Texte und Karin Schulte für die
ein E-Mail-Interview zur Verfügung gestellt hat.
Korrektur unserer Schriftstücke. Nicht zuletzt möchten wir anmerken, dass vor allem die fa-
Museumsquartier
miliäre Atmosphäre und die Möglichkeit interdisziplinären Ar-
Wir bedanken uns bei sämtlichen Nutzern des Museums-
beitens an der ABK Stuttgart sehr zum Ergebnis beigetragen
quartiers, die uns über die Arbeit vor Ort erzählt haben.
haben.
Auch Julia Rehberger vom quartier 21 und Irene Preißler, die für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit im MQ zuständig ist,
Wagenhallen
gilt unser Dank. Weiterhin danken wir dem Architekturbüro Ort-
Wir danken allen Akteuren der Wagenhallen, die immer für
ner & Ortner für die Bereitstellung von Planunterlagen und den
konstruktive Gespräche bereit standen, uns bei diesem Vor-
Verantwortlichen der Webseite des MQ für die stets aktuellen
haben zu unterstützen. Insbesondere Lukas Lendzinski, Peter
Inhalte.
Weigand, David Bauer und Markus Niessen soll hier gedankt Wir danken den Binz-Bewohnern David und Lukas, die uns
unterstützt und gefördert.
detailliert über das Leben in der Binz vor Ort berichtet ha-
Weiterhin danken wir dem Arbeitskreis Eisenbahnhistorie Württemberg – Archiv Schorndorf für die Aufnahme in ihre historische Diskussionsrunde. Besonders Herrn Werner Willhaus p.400
Binz
landschaft der ABK Stuttgart mit unzähligen Ganggesprächen
ben und uns einen Einblick in ihren Wohn- und Lebensraum gewährt haben. Überdies danken wir Robert Schmid von der Baudirektion
und Thomas Wild für seinen persönlichen Einsatz und die Mög-
Kanton Zürich, der uns die Bestandspläne der Hallen zur Re-
lichkeit, die Originalpläne der Wagenhallen einzusehen und teil-
cherche bereitgestellt hat.
weise Kopien davon anzufertigen.
p.401
werden. Peter Weigand hat uns zudem auch in der Hochschul-
Die Erstellung von Interviews war eine besondere Erfahrung. Die in diesem Buch befindlichen Interviews sind inhaltlich stark gekürzt und konzeptuelle Anmerkungen sind ausgegliedert. Gespräche mit den folgenden Personen umfassen einen
Paritizipation
Paritizipation
Interviewpartner
weitaus breiteren Umfang, als hier abgebildet. Eva de Klerk, Klaus Overmeyer, Rob Post, Uwe Stuckenbrock, Elke Krasny, Matthias Küper, Peter Weigand, Lukasz Lendzinski und David Bauer. Wir danken unseren Interviewpartnern für den inhaltlichen und konstruktiven Austausch. Berechtigungen Einige Personen und Organisationen haben den Autoren die Erlaubnis erteilt, Materialien in diesem Buch zu reproduzieren. Falls Verwendungen von urheberrechtlich geschütztem Material vorgekommen sein sollten, kontaktieren Sie bitte die Autoren, da mit großem Einsatz versucht wurde, jegliches Copyright-Material zu dessen Urheber zurück verfolgbar zu
p.403
p.402
machen.
Impressum
Autoren
Sascha Bauer Franziska Glöckler Daniel Springer
Betreuer
Prof. Andreas Quednau und AM Kai Beck
Transkription
Sascha Bauer
der Gespräche Franziska Glöckler Daniel Springer Gestaltung
Steffen Knöll und Sven Tillack aka Scientists of Visual Happiness www.scientistsofvisualhappiness.org
Auflage Druck
/5 Muellerprints Rotenbergstraße 39 70190 Stuttgart
Verarbeitung
Buchbinderei Mende Klingenstraße 123 70188 Stuttgart
Schriften
Maison Regular, Bold, Italic Genath Regular, Italic Typewriter Elite MT Std Regular — (mit freundlicher Unterstützung von MilieuGrotesque, Optimo Type Foundry und Monotype)
Papier
Metapaper Rough White 115 g/m2 Metapaper Rough White 300 g/m2
© 2013
Alle Rechte vorbehalten. Die Rechte liegen bei den jeweiligen Autoren. — Entstanden an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart