Urban Research - Kreativquartier

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Urban Research Kreativ Quartier — Sascha Bauer Franziska Glöckler Daniel Springer

Urban Research Kreativ Quartier — Sascha Bauer Franziska Glöckler Daniel Springer — Enstanden an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart — 2013


Inhaltsverzeichnis

Kreativquartier | Erster Teil Urban Research Kreativquartier Geschichte Was ist ein Kreativquartier? Typologie Topos Typus Tektonik Binz | Kreativquartier in Zürich Einführung Urbaner Kontext Geschichte Gebäude Organisation Gebäudenutzung Akteure Ende Wagenhallen | Kreativquartier in Stuttgart Einführung Urbaner Kontext Städtebaulicher Wandlungsprozess Geschichte Gebäude Organisation/Akteure Interview — Interview mit Uwe Stuckenbrock

p. 012 – 019 p. 020 – 027 p. 028 – 035 p. 036 – 043 p. 044 – 055 p. 056 – 075 p. 076 – 099

p. 100 – 109 p. 110 – 121 p. 122 – 125 p. 126 – 129 p. 130 – 131 p. 132 – 139 p. 140 – 143 p. 144 – 147

p. 148 – 157 p. 158 – 166 p. 167 – 169 p. 170 – 175 p. 176 – 181

NDSM | Kreativquariter in Amsterdam Einführung Urbaner Kontext Städtebaulicher Wandlungsprozess Geschichte Gebäude Organisation Interview mit Rob Post Interview mit Eva de Klerk Akteure — Interview mit Klaus Overmeyer Museumsquartier | Kreativquartier in Wien Einführung Urbaner Kontext Geschichte Gebäude Institutionen als Akteure — Interview mit Manfred Ortner Interview mit Elke Krasny Interview mit Matthias Küper Kreativquartier | Exkurse Exkurs Partizipation Exkurs Zwischennutzung Exkurs Typologie Schlussanmerkungen

p. 216 – 225 p. 226 – 235 p. 236 – 241 p. 242 – 247 p. 248 – 257 p. 258 – 259 p. 260 – 261 p. 262 – 263 p. 264 – 273

p. 274 – 281

p. 282 – 289 p. 290 – 301 p. 302 – 305 p. 306 – 319 p. 320 – 325

p. 326 – 327 p. 328 – 337 p. 338 – 345

p. 348 – 367 p. 370 – 377 p. 378 – 391 p. 392 – 397

p. 182 – 191 p. 192 – 205

p. 206 – 215

Sonstiges | Zum Schluss Danksagungen Impressum

p. 398 – 403 p. 404 – 405


Kreativquartier | Erster Teil Urban Research Kreativquartier p. 012 – 019 | Geschichte p. 020 – 027 | Was ist ein Kreativquartier? p. 028 – 035 | Typologie p. 036 – 043 | Topos p. 044 – 055 | Typus p. 056 – 075 | Tektonik p. 076 – 099 |


Wandel von der Industrie- zur Wissengesellschaft.

Begriffs Kreativquartier, ist die Erstellung dieses Buches

„Selbstverantwortung und Eigeninitiative sind das Mantra der

mehr als eine Herausforderung. Nicht nur informelle

individualisierten Leistungsgesellschaft. (…) weil wir aufgrund

Ansammlungen werden salopp als Kreativquartier be-

gesellschaftlicher Fragmentierung, beruflicher Flexibilisierung und

zeichnet, sondern auch zahlreiche neuentstehende

privater Individualisierung einzelgängerisch werden, blüht Ge-

Areale werden mit der Etikette versehen; Werbeplakate,

meinschaft als hoffnungsvolle Verheißung und Sehnsucht neu auf.“ 1

Bauschilder oder Internetauftritte verweisen darauf.

Um diesem Wandel gerecht zu werden, ist eine neue

Das Potenzial der „Kreativen Klasse“ wurde längst von

Orientierung in der räumlich-baulichen Konzeption

Städten und Immobilienentwicklern entdeckt.

und in der Organisation vorgefundener Gebäude erfor-

Die Vielzahl von Kreativ- und Kulturwirtschaftsberich-

derlich. Ausgeübte Tätigkeiten und die damit verbunde-

ten, Untersuchungen an Hochschulen, von Investoren,

nen Anforderungen treten in den Vordergrund, während

Architekten, Stadtplanern, Landschaftsplanern, Desig-

die Architektur in den Hintergrund rückt. Bei der

nern und selbsternannten Ermöglichern / Entwicklern

Untersuchung dieser Anforderungen, können wir – als

wurde versucht unter einen Hut zu bringen, um die

planende Instanz – neue Rahmenbedingungen für zu-

aktuellen Tendenzen zu verdeutlichen.

künftige Projekte generieren. Faszinierend an Kreativquartieren ist neben der äuße-

p.14

Aktuell in Zeiten einer inflationären Verwendung des

Urban Research Kreativquartier

Jahrzehnten erfahren wir nicht nur in Deutschland den

tiere ihren Ursprung in den Zeiten des Post-Fordismus.

Bedingt durch die immer deutlicher werdenden Auswirkungen der Globalisierung, beginnen wir unsere

ren Mannigfaltigkeit eine innere Vielfalt. Zum einen

Gewohnheiten und Denkweisen zu ändern. Das Berufs-

finden sich hier Überlegungen unterschiedlichster Fach-

bild des Architekten gewinnt im Gegensatz zu seiner

und Studienrichtungen. Zum anderen haben bestehende

klassischen Position als oberste Planungsinstanz zuneh-

theoretische Untersuchungen und gebaute Kreativquar-

mend an Bedeutung auf dem Feld der Moderation und

p.15

Kreativquartier — Erster Teil

Urban Research Kreativquartier | In den letzten


das in den Städten und deren Auseinandersetzung mit

herauszufiltern. Mit Hilfe von vier bestehenden Kreativ-

ihrem industriellen Erbe. Entscheidend hierbei ist die

quartieren (Wagenhallen, Stuttgart; NDSM Werft,

Verwertung der bestehenden gebauten Substanz als

Amsterdam; Binz, Zürich und Museumsquartier, Wien)

Herausforderung für die Architekten und Designer von

versuchen wir eine mögliche Bandbreite dessen aufzu-

heute. Brachflächen, leerstehende Gebäude und ge-

zeigen, was zeitgenössisch ein „Kreativquartier“ sein

schlossene Geschäfte galten einst als das Versagen einer

kann. Die vier Beispiele ermöglichen auch die Untersu-

Gesellschaft im politischen und ökonomischen Wachs-

chung anhand ihres Institutionalisierungsgrades.

tumssinne. Heute bieten diese sogenannten Möglich-

Ergänzt wird die Untersuchung durch spezifische Texte

keitsräume großes Potenzial vor allem für die „Kreative

und Interviews, die zur Thematik beitragen und aktuelle

Klasse“, die es gut versteht, sich vorhandenen Raum

Tendenzen aufzeigen.

anzueignen und für ihre Bedürfnisse umzugestalten.

p.16

Nicht das fertige Raum- und Grundrissmuster als ko-

„Kreativquartiere“ können solche Möglichkeitsräume sein.

pierbare Typologie sind Zielsetzung dieser Analyse.

Vor über einem Jahr begannen wir die städtebaulich-

Vielmehr wollen wir erforschen, inwiefern unterschied-

architektonische Untersuchung mit dem Arbeitstitel

liche Rahmenbedingungen in einer neuen Raumkonfi-

„Kann ein Kreativquartier eine architektonische Typologie sein?“

guration angeordnet werden können und welche Rah-

Wir wollten prüfen, ob und inwiefern das Kreativquartier

menbedingungen im städtischen Umfeld gegeben sein

ein planbares Konstrukt ist bzw. sein kann, oder ob es

müssen, so dass ein Kreativquartier entstehen kann.

lediglich eine gesellschaftliche und bauliche Erscheinung

Urban Research Kreativquartier

gewisse Gemeinsamkeiten und Differenzierungen

Die zunehmende Vermischung von Freizeit und Arbeit

ist. Dabei haben wir uns der typologischen Untersu-

erfordert neue Nutzungszyklen. Diese gesellschaftliche

chungsstrategie bedient, um architektonisch relevante

Veränderung gilt es zu fokusieren und grundlegende

Themen zu berücksichtigen und anhand des Vergleiches

Anforderungen herauszufinden, die sich aus den unter-

p.17

Kreativquartier — Erster Teil

Organisation kreativer Cluster. Besonders spürbar ist


matische Struktur von Kreativquartieren. Im Abschnitt

ergeben. Für eine bessere Positionierung der „Kreativen

Tektonik gehen wir auf das vorgefundene Gebaute ein.

Klasse“ innerhalb des sozialen und ökonomischen Gefü-

Anhand von Transformationsprozessen wird aufgezeigt,

ges, konzentrieren wir uns in der Untersuchung zudem

wie post-industrielle Bausubstanz neuen Anforderungen

auf die wesentlichen Aufgaben des „neuen“ Planens.

angepasst wird.

Die vorliegende Arbeit gliedert sich in vier Teile: Im

Im dritten Teil werden anhand dieser drei Parameter,

ersten Teil unserer Arbeit gehen wir auf die Thematik

„Topos“ (urbaner Kontext in kleinerem Maßstab), „Typus“

„Kreativquartier“ im Allgemeinen ein, geben einen Ein-

(Nutzer und Akteure der Quartiere) und „Tektonik“

blick in die Geschichte kreativer Ansammlungen und

(architektonische Untersuchung gebauter Struktur), die

versuchen eine erste Definition zu formulieren.

vier ausgewählten Kreativquartiere im Detail untersucht.

Wir erläutern Kriterien für die Auswahl der vier zu ver-

Urban Research Kreativquartier

Kreativquartier — Erster Teil

schiedlichen Tätigkeiten innerhalb der Kreativquartiere

Im letzten Teil klären wir rückblickend Begriffe, wie

gleichenden Kreativquartiere und die dafür gewählte

Trend, Mode, Phänomen, Methode oder Prinzip, die der

Vorgehensweise der typologischen Untersuchungsstrate-

Beschreibung des Kreativquartiers gerecht werden.

gie und erläutern, wie wir die Begriffe Topos, Typus und

Außerdem soll eine weltweite Verortung momentan akti-

Tektonik in dieser Untersuchung verwenden: Topos

ver Kreativquartiere einen Überblick bieten. Exkurse

zeigt dabei im Städtevergleich messbare Parameter, die

zum Thema Partizipation und Zwischennutzung, sowie

relevant sind für die Verortung von Kreativquartieren.

Interviews und Gespräche mit international tätigen Per-

Im Abschnitt Typus wird die Spanne des theoretischen

sonen aus diesem Feld ergänzen die Arbeit.

Diskurses um die „Kreative Klasse“ der letzten 20 Jahre

p.18

Kreativwirtschaft vorerst endet. Diese Definition bildet unter anderem eine entscheidende Basis für die program-

1 „Gemeinsam aufbrechen statt in Gemeinschaften erstarren“; Bathen , Dirk / Jelden, Jörg; S. 26; in: Revue – Magazine for the Next Society; Heft 12; Frühjahr 2013

p.19

aufgezeigt, welcher in der Definition der Kultur- und


Geschichte — Ein geschichtlich orientiertes Glossar an wichtigen Einflüssen zur Entstehung von Kreativquartieren


Um den Informations- und Ideenaustausch sowie auch die Präsentation von Gedichten, Musikstücken und Experimenten zu fördern, wurden Treffen von Künstlern, Intellektuellen und Literaten in Salons abgehalten, die von Mäzenen, Vereinen oder meistens auch von wohlhabenden, gebildeten adligen Frauen ausgetragen wurden. Philosophen wie Voltaire oder Diderot verkehrten in den Pariser Salons und bereiteten dort den Boden für die Französische Revolution.

Der Salon von Gertrude Stein, der in der gemeinsamen Wohnung mit ihrem Mann Leo Stein in der Rue de Fleurus 27 in Paris lag, wurde zu einem Zentrum der schriftstellerischen und malerischen Avantgarde. Das Haus lag in unmittelbarer Nähe zum Jardin du Luxembourg . Es war ein eingeschossiger Pavillon in einem Innenhof. Nach Norden hin ausgerichtetem Winkel ein Studio anschloss.

1. Ökobewegung

1889

1899

1911

Künstlerkolonie Darmstadt

Taliesin Schule Der amerikanische Architekt Frank Lloyd Wright gründete 1911 mehrere „Ateliers“ mitten in der amerikanischen Prärie. Er betrachtete Talisien als eine Schule, wobei ihm u. a. die Künstlerkolonie Darmstadt als Vorbild diente. Talisien wurde ein Anziehungspunkt von jungen Architekten aus der ganzen Welt.

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Kaffehaus Das Kaffehaus gilt Anfang des 20. Jahrhunderts als intellektueller Treffpunkt von Literaten, Dichtern und Künstlern. Es ist vergleichbar mit den Salons zur Zeit des 18. Jahrhunderts, nur das diese Treffen zum Teil in öffentlichen Kaffehäusern stattfinden.

Manifeste Ein wichtiges Mittel des intellektuellen und künstlerischen Zusammenschlusses Anfang des 20. Jahrunderts war das Manifest. Die bedeteutenden Bewegungen wie Futuristen, Dadaisten und Surrealisten hatten ihre Manifeste und dadaurch auch Aufmerksamkeit auf Gleichgesinnte.

1919

Derive

1953

Team X Die Architektengruppe Team X hat sich ursprünglich aus einem Congrès International d’Architecture Moderne (CIAM) entwickelt und wirkte bis in die 80er Jahre. Die Vertreter des Team 10 kritisierten die klassischen Ideen der Moderne, speziell von Le Corbusier. Anstatt einer Funktionstrennung von Wohnen, Arbeiten, Freizeit und Verkehr setzten sie die Hierarchisierung in Haus, Straße, Stadtviertel und Stadt entgegen.

Das Dérive ist „eine Technik des eiligen Durchgangs durch abwechlungsreiche Umgebungen“(15). Anhand dieser Technik sollen bekannte Bewegungs- und Handlungsabläufe gezielt umgangen werden um so neue unentdeckte Wege oder Plätze anzueignen und neue Situationen des Begegnens zu schaffen.

Detournement

Surrealisten Die Experimentierkünstler der Surrealisten gingen zum Teil aus der dadaistischen Bewegung hervor. Die Treffen wurde auch oftmals in Kaffehäusern und Clubräumen organisiert, bei denen zugleich auch experimentiert wurde. Automatisiertes Schreiben und zeichnen, sowie auch unter Schlafmangel und Rauschzuständen wurde ein beliebtes Stilmittel der Surrealisten.

Künstlerkolonie Worpswede

Mit dem Ziel der Schaffung von zukunftsweisenden Bau- und Wohnformen veranlaßte der Großherzog Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein die Gründung der Künstlerkolonie in Darmstadt. Die Kolonie bestand bis 1914, also bis zum Ausbruch des 1. Weltkrieges. Bekannte Vertreter sind unter anderem die Architekten Peter Behrends und Josef Maria Ohlbrich.

Die entstanden Kolonien werden durch neu geschaffene Siedlungen repräsentiert, oftmals im Ideal der vorherschenden Architekturauffassungen des Architekten, der Stilrichtung oder des Ortes. Jedoch haben die Künstlerkolonien die Nähe zu der Natur gemeinsam. Und gerade die Schaffung einer neuen Kolonie in der Prärie erfordert auch eine Auseinandersetzung mit der neu zu definierenden Architektur.

Dadaisten Die Künstlergruppe der Dadaisten wurde 1916 in Zürich gegründet. Als Gründungsort galten die Räume eines Clubs oder Kaffeehauses namens „Cabaret Voltaire“ in dem unregelmäßig Treffen abgehalten wurden. Von dort aus wurde die Künstlerbewegung weltweit bekannt und durch Splittergruppen auf der ganzen Welt repräsentiert.

Die Kolonie in Worpswede, welche in der Nähe von Bremen liegt, ist eine Gemeinschaft von Künstlern, die dort sowohl arbeiten und zugleich leben. Einige bdeutende Künstler und Künstlerinnen des deutschen Impressionismus und Expressionismus haben waren Teil der Bewegung.

Ende des 19. Jahrhundert wird die erste Ökobewegung durch die wiederaufkommende Romantik und Heimatschutzbewegung eingeläutet. Gerade Künstler und Intellektuelle idealisieren diese Idee. Daraufhin enstehen viele Künstlerkolonien gerade in Mitteleuropa, die die Verbundenheit zu der Natur suchen.

Entworfene Gebäude

1916

Geschichte

Gertrude Stein

1957

Situationisten Die situationistische Internationale ging 1957 aus mehreren intellektuellen Splitterparteien hervor. Oftmals waren ihre Projekte an der Schnittsstelle zwischen Architektur, Kunst und Performance angesiedelt und beeinflußten dadurch die Wahrnehmung der damaligen Stadt. Die damals entstandenen Konzepte des Derive und des Détournements sind noch heute bedeutend.

Das Détournement ist eine weitere Technik der Situationisten, die sich als Zweckentfremdung übersetzen läßt. Im Mittelpunkt steht die kreative Aneignung von vorgefundenem. Das Detournement bezieht sich auf viele Facetten des Lebens. Im Sinne des Städtebaus lassen sich vorgefundene und verlassene Gebäude als Objekte der Begierde für eine Zweckentfremdung heranziehen. Durch die Verbindung des Vorgefundenen und der Zweckentfremdung sollen neue Situationen, Ideen und Identitäten entwickelt werden. 1958

L‘architecture mobile Der Architekt und Denker Yona Friedman veröffentlichte im Jahr 1958 das Manifest „L‘architecture mobile“. Dabei prägte er die Ideen der Raumstadtkonzepte. Seine Stadtentwürfe sind gleichzeitig soziale Utopien, die die Bewohner als Selbstgestalter ihrer Lebensumwelt antizipieren.

p.23

Kreativquartier — Erster Teil

Die Salonkultur


Der Brutalismus bedeutet in der Architektur die Hinwendung zu der rohen Bausubstanz. Reyner Banham definiert es anhand der Projekte von Peter und Alison Smithsons wie folgt: „1. formale Lesbarkeit des Grundrisses; 2. klare Zurschaustellung der Konstruktion; und 3. Wertschätzung der Materialien „as found“ [als gegebene].“

Die Hippiebewegung oder auch Flower-Power Bewegung, welche in den 60er Jahren in San Francisco hervorging, prägte die 1970er Jahre. Aus dieser Bewegung gingen nicht nur viele politische und soziale Ideen hervor sondern auch Experimente. Es enstanden soziale Wohnexperimente, die in Kommunen ihresgleichen fanden. Es wurde mit Drogen wie LSD experimentiert, die noch teilweise als Medizin in der Psychiatrie eingesetzt wurde. Und es gab meist friedliche Proteste für eine humanere, klassengleiche und anti-konsumorientierte Gesellschaft.

1959-74

In den Jahren 1959-1974 entwarf der Künstler Constant Nieuwenhuis eine Serie aus Malereien, Skulpturen und Modellen zu seiner Idee des New Babylons. Das Projekt basiert darauf, das der neue kreative Mensch oder auch Homo Ludens, Teil der Produktion von Stadt ist, immer auf der Suche nach neuen Sensationen und Situationen

Gesellschaft des Spektakels Der von dem Situationisten Guy Debord verwendete Begriff „Gesellschaft des Spektaktels“ war eine heftige Kritik auf die Lebenswelt der 50erund 60er Jahre. Das gleichnamige Buch wurde 1968 publiziert und inspierirte die Protestbewegungen, sowie die in den 80er Jahren aufkommende Subkultur.

1964

1961

Fun Palace Das visionäre Projekt Fun Palace des Architekten Cedric Price in Kooperation mit der Theaterregisseurin Joan Littlewood nahm inhaltlich das Kreativquartier vorweg. Das Projekt beruht darauf ein Labor für die Künste entwerfen, also ein Ort, an dem ständig Aktivitäten stattfinden an denen man aktiv teilhat oder passiv betrachtet.

1964

Diese Form des Protests hat ihre Wurzeln ebenfalls in den 1970er Jahren. Durch die Abwanderung der Mittelschicht an den Speckgürtel der Stadt sowie durch die Auflösung von ehemals florierenden Industrien, entstanden ungenutzte Leerflächen in den zentrumsnahen Gebieten. Hausbesetzungen können politisch motiviert oder auch einfach aus einem pragmatischen Ansatz entstehen. Noch heute werden sie in dieser Form häufig verwendet, um auf den teuren Wohnraum in den Städten aufmerksam zu machen.

Walking City 1960 bis 1974 wurden von der britischen Architektengruppe „Archigram“ unterschiedliche soziale Utopien imaginiert, die noch immer großen Einfluß ausüben. Ihre Entwürfe waren geprägt von einem Zukunftsoptimismus, der von Wohnkapsel bis hin zu mobilen Städten wie die „Walking City“ reichte.

Stillegung alter Fabriken

Studentenrevolte

1968

2. Ökobewegung

p.24

The Death and Life of Great American Cities In dem wichtigsten Buch von Jane Jacobs kritisiert sie die modernistische Stadtplanung, die durch ihre Strenge und funktionale Trennung das öffentliche Leben der Städte beinträchtigt. Sie plädiert für Mischnutzungen und gewachsenen Strukturen, die nach den Bedürfnissen der Menschen ausgerichtet sind.

Zeitgleich mit dem Aufkommen der großen Protestaktionen entstand in den 1970er Jahren die zweite große Umweltbewegung, die noch stark bis in die 1980er Jahre wirkte und ihren Ausdruck durch den Anti-Atomkraftprotest fand. Geprägt ist dieser Protest durch eine allgemeine Hinwendung zu einem alternativen Lebensstil.

1968 Recht auf Stadt 1968 prägte der französische Soziologe und Denker Henri Lefevbre in seinem Buch „la droit à la ville“ den Begriff der Recht auf Stadt. Darin setzt sich Lefevbre für eine Re-urbanisierung der Gesellschaft ein, die durch das Einschließen in „Schachteln, Käfigen oder ‚Wohnmaschinen‘„ das Bewußtsein für Urbanität verloren hat.

In den Jahren 1967 und 1968 kam es in Deutschland, Frankreich, Italien, USA und vielen weiteren Ländern zu politisch motivierten Studentenproteste. Die Straße und die Besetzung von Universitäten war der Ausdruck dieser Bewegung.

Die zunehmende Deindustrialisierung der Post-industriellen Gesellschaft ist geprägt von der Auflösung oder Abwanderung unterschiedlicher Industriezweige. Die eigens dafür gebauten und genutzten Komplexe werden mehr und mehr obsolet. Daraus resultieren leerstehende Industriebrachen die ohne direkte Nachnutzung das Zeitalter der Industrieruinen einläuten. 1964

Silver Factory Die von dem Künstler in Manhatten gegründete Factory war ein Treffpunkt der internationalen in New York angesiedelten Künstler und homosexuellen Szene. Der Name Factory stammte von der in leeren Industrielofts angesiedelten Atelierflächen. In den Räumlichkeiten wurden die Grenzen zwischen künstlerischer Arbeit und Vergnügen verwischt und meistens gleichzeitig verrichtet.

Hausbesetzungen

Partizipation Zu der Zeit der 70er Jahre kam durch die Abwendung von den modernistischen Idealen und der aufkommenden Stadtutopien die Idee der Beteiligung der Stadtbewohner auf.

New Babylon

Geschichte

Hippie

1967

1967 Soziale Plastik Der Künstler Joseph Beuys förderte mit seinen Kunstaktionen und theoretischen Auseinandersetzungen den Begriff der sozialen Plastik. Gemeint ist dabei ein erweiterter Kunstbegriff, und zwar die Vorstellung einer „umfassenden schöpferischen Umgestaltung des Lebens“[70] Weiter formulierte er seine Vorstellung, die „Gesellschaftsordnung wie eine Plastik formen, das ist meine und die Aufgabe der Kunst.“[71]

p.25

Kreativquartier — Erster Teil

New Brutalismus


1970

In den 70er Jahren entwickelte sich durch die Beliebtheit des Protests und auch in Zusammenhang mit der Musik der Punk. Darin ist die Anti-haltung gegenüber gesellschaftlich relevanten Themen besonders entscheidend. Daraus entstand eine Bewegung die sich durch Haltung, Mode und Benehmen prägend identifizierte.

1970 Arcosanti

Co-working Spaces

Das Projekt „Arcosanti“ von Paolo Soleri wurde in der Wüste von Arizona gegründet. Es handelt sich um eine Stadtutopie für deren Durchführung bzw. ständige und noch heute andauernde Durchführung der Partizipationsgedanke eine wichtige Rolle spielt.

Darunter versteht man Räumlickeiten in denen Arbeitsplätze für unterschiedlich arbeitende Menschen zur Verfügung stehen. Gerade Menschen aus dem Kreativsektor nutzen diese Räume, da sie durch einen Schreibtisch und die digitale Infrastruktur (Internet, Drucker, Beamer, usw) die Grundversorgung für die digitale Arbeit abdecken.

Pop-Up

2002

Rise of the Creative Class Spätestens dieses Buch des amerikanischen Ökonoms Richard Florida Anfang der Nullerjahre war eine Ansage für eine Kehrtwende in den verstaubten Stadtplanungsämter vieler Länder. Darin prophezeit Florida den Aufstieg der kreativen Klasse und den damit auch einhergehenden ökonomisches Auswirkungen für die Städte.

2006

Geschichte

Kreativquartier — Erster Teil

Punk

Digitale Boheme

Techno/Clubszene

1989

1989 Mauerfall Der Mauerfall in Berlin war nicht nur ein wichtiges politisches Zeichen zu der Zeit des Kalten Krieges, sondern es ließ auch im weiteren Verlauf der Geschichte neue Möglichkeitsräume und städtische Experimentierfelder in der ehemals zweigeteilten Stadt entstehen.

p.26

Internetboom Durch die Verbreitung des Internets in den 90er Jahren wurde die Welt der Arbeit und der sozialen Kommunikation stark verändert. Von Email über Peer-to-Peer bis hin zu sozialen Netzwerken. Durch diese Auswirkungen sind wir noch heute stark geprägt und bestimmen in großem Maße die Interaktion mit unserem Lebensumfeld.

Die Autoren Holm Friebe & Sascha Lobo beschreiben den Typus des digital- und kreativarbeitenden Menschen, der durch seine Arbeitswerkzeuge wie Laptop und Handy an keinen Arbeitsplatz gebunden ist. Die neuen Arbeitsformen, die das Internet hervorgebracht hat, begünstigt diesen Typus und schafft daher raumungebunde Möglichkeiten. Beliebte Aufenthaltorte sind Cafés, Co-working Spaces und Krativquartiere.

Raumrohlinge Räume die wie Baustellen wirken sind die hier thematisierten Attraktivitätsräume. Die Ästhetik des vorgefundenen und möglichst unbehandelten ist dabei im Vordergrund. Diese Architekturen ermöglichen viel Ideen der Umdeutung, da sie nicht als fertig betrachtet werden können.

Reclaim the Streets Dieser Slogan ist auch als Protestform zu verstehen. Es handelt sich um die (Wieder-) Aneignung des öffentlichen Raumes. Durch Konsum und motorisierten Individualverkehr hat die Straße in ihrem ursprünglichen Sinne ihre Öffentlichkeit verloren. Durch Aktionen wie durch Critical Mass, Street Art oder Adbusting wird versucht darauf aufmerksam zu machen. Die Ursprünge sind bei den Situationisten und dem politisch motivierten Protest zu finden.

Die Nutzung von gewöhnlich bedeutungslosen Stadträumen und Gebäuden steht hier im Vordergrund. Dadurch, das sie vernachlässigt sind, bieten sie ein Potential, einerseits weil sie niemand benutzt und andererseits sich niemand darum kümmert. Bei diesen Aktionen steht auch die begrenzte Zeit im Vordergrund. Beides, der Ort und die Zeit, steht dabei im Zusammenhang mit relativ geringen Kosten für die Präsentation der Idee.

1992

Critical Mass Bei dieser Massenveranstaltung handelt es sich um einen Protest der auf dem Fahrrad stattfindet, um auf die unterdrückten Rechte der Fahrradfahrer gegenüber dem Automobil aufmerksam zu machen. Die erste Critical Mass wurde 1992 in San Francisco abgehalten. Heutzutage finden diese Demonstration noch in vielen Städten auf der ganzen Welt Stadt.

p.27

Die in den späten 80er Jahre aufkommende Clubszene hing stark mit der elektronischen Musik zusammen. Der in Chicago großgewordene Techno wanderte um die ganze Welt und hatte auch auf Berlin großen Einfluß. Gerne wurde alte Industriehallen oder stillgelegte Fabriken für die Veranstaltungen benutzt. In den 90er Jahren avancierte das Phänomen auch zu einem Massenphänomen das die Straße als ihren Austragungsort ansah, wie am Beispiel der Berliner Love Parade.


Was ist ein Kreativquartier? — Das Kreativquartier in seiner Urform ist eine Organisationsstruktur im gebauten Raum und innerhalb einer Gemeinschaft kreativer und kulturschaffender Menschen.


Das Kreativquartier bewegt sich organisatorisch zwischen einem ungesicherten, losen Gemenge von Akteuren und einer straff organisierten Institution: Das ungesicherte, lose Gemenge von Akteuren organisiert sich in einem nicht festgesetzten Möglichkeitsraum, der maximale Freiheit zur Entfaltung für die Nutzer bereitstellt. Interne selbstorganisierte Vorgehensweisen ermöglichen einen schnell fluktuierenden Wandel aufgrund aktueller Bedürfnisse und Wünsche.

Was ist ein Kreativquartier?

Kreativquartier — Erster Teil

Organisationsstruktur

Die straff organisierte Institution konzentriert sich an einem Ort größtmöglicher Kontrolle und finanzieller Sicherheit mit Hilfe einer hierarchisch strukturierten Organisation unter Einbindung der Öffentlichkeit: in Form von Öffentlichkeitsarbeit, Veranstaltungen und der öffentlichen Zugänglichkeit. Ein partizipativer Gedanke mag noch vorhanden sein, führt aber auch zu Ausschlussprinzipien. Gebäude/Räume Das Kreativquartier in seiner ursprünglichen Form ist umgenutzter oder zwischengenutzter Raum für Kunst-/Kulturproduktion, der sich je nach Institutionalisierungsgrad prozentual zu einem Raum für Kunst-/Kulturkonsumption wandeln kann. Seine räumliche Ausdehnung reicht angefangen bei Gebäudeetagen bis hin zu großflächigen Gebäudekomplexen und bietet kostengünstigen Arbeitsraum unter Ausschluss von primären Komfortwünschen. Möglichkeitsräume in Form von Ateliers, Werkstätten, Freizeitraum oder einfach nur freiem Raum, befinden sich in einem ausgeglichenen Verhältnis und sind nicht nur eine Ansammlung eines Bereiches in Form einer angemieteten Bürogemeinschaft. Ein reiner Co-Working-Space oder Büroturm ist eben kein Kreativquartier! Akteure Agens und Nutzer des Kreativquartiers ist der kreative Mensch in der Gemeinschaft, der auf der Suche ist nach kostengünstigem Raum für die Verwirklichung seiner Ideen. Der Hauptkern bildet sich aus Akteuren, die der Kultur- und Kreativwirtschaft zugeschrieben werden können. Jeder Nutzer und Besucher kann in diesen Quartieren seinem eigenen Streben und Vergnügen nachgehen, wobei es in erster Linie keine Rolle chem Tätigkeitsfeld er tatsächlich arbeitet.

p.31

p.30

spielt, wie viel Bildung der Einzelne mitbringt, sondern in wel-


Institutionalisierung

Für die Untersuchung des Themas „Kreativquartier“ haben

Die Gebäude stehen über kurz oder lang zum Verkauf oder

wir vier Quartiere ausgewählt, die exemplarisch eine gute

werden bereits einer anderen Nutzung zugeschrieben (z. B.

Bandbreite möglicher Modelle von Kreativquartieren aufzeigen

Stuttgart 21). Wenn die Nutzer ihr Quartier erhalten wollen,

sollen.

müssen sie damit rechnen, ihre autonome Position einzubüßen. Sie müssen sich Aufmerksamkeit verschaffen, was oft mit im-

Ursprung

menser Öffentlichkeitsarbeit einhergeht, um dem Eigentümer

Die Bandbreite reicht von der besetzten Binz in Zürich, als

(meist der Stadt) einen Mehrwert bieten zu können. Eine Unter-

autonomem Gebilde, bis zum Museumsquartier Wien, einem

stützung seitens der Stadt für den Erhalt eines Quartiers ist

straff organisierten Konstrukt, einer Institution. Dazwischen

also nur zu erwarten, wenn sie dabei ihren selbstauferlegten

bewegen sich die NDSM Werft in Amsterdam sowie die Wagen-

touristischen, ökonomischen und teilweise auch sozialen und

hallen in Stuttgart. Sie können einem Zustand zwischen Auto-

kulturellen Zielvorgaben mit diesem Projekt näher kommen

nomie und Insititutionalisierung zugeordnet werden.

kann.

Allen gemein ist ihr Ursprung als autonome Gemeinschaft

Verstärkte Kooperation mit dem Eigentümer (in vielen Fällen

kreativer Menschen, nicht selten sind das Gruppen aus der Be-

der Stadt) kann also zum Erhalt des Quartiers beitragen. Je

setzerszene. In Eigenmotivation eignen sie sich leerstehende

größer das Interesse des Eigentümers ist, umso größer sind

oder temporär ungenutzte Räume an. Dies geschieht in allen

die Fördermöglichkeiten (z.B. Gelder für Gebäudeinstandhal-

Fällen völlig selbstorganisiert und ohne jegliches Zutun offiziel-

tung oder kulturelle Fördermittel). Bei diesem Prozess erhöht

ler Stellen. (Siehe mehr zur Geschichte der Kreativquartiere in

sich der Insititutionalisierungsgrad und mit ihm die Kontrolle

den jeweiligen Untersuchungen.)

von Kreativität. Zudem verändert sich das Verhältnis von

Man kann hier von Zwischennutzungen sprechen (siehe

Was ist ein Kreativquartier?

Kreativquartier — Erster Teil

4 Kreativquartiere — Eine Auswahl

Kunst-/Kulturproduktion und -konsumption.

auch Exkurs Zwischennutzung).

Der Verlust von Freiheit und Diversität schränkt die Eigen-

Schon seit längerem stellt dieses Modell ein ernst zu neh-

ständigkeit der Nutzer und somit des Quartiers mitunter ein.

mendes Potenzial für Stadtentwicklung dar. Jedoch schon der

Auf den ersten Blick nicht sichtbar, entsteht dann ein völlig

Begriff „Zwischennutzung“ lässt erkennen, dass ein Kreativ-

neues Gebilde. Mit seinem interkulturellen, sozialen und kreati-

quartier nur eine temporäre Erscheinung sein kann. Hinsicht-

ven Image kann es sein Umfeld und die lokale Stadtplanung

lich einem dauerhaften Bestehen und einer Etablierung, bleibt

erheblich positiv beeinflussen. Der Weg zur Instituationalisie-

ein solches Konstrukt in der Regel vorerst ergebnisoffen. Für

rung ist also differenziert zu betrachten und darf nicht voreilig

den langfristigen Erhalt eines Quartiers aus einer Zwischennut-

als Negation kreativen Raums abgetan werden.

zung beobachten wir nur wenige Möglichkeiten. BINZ Zürich

WH Stuttgart

NDSM Amsterdam

MQ Wien

Gefahr der Auflösung

BINZ Zürich

WH Stuttgart

NDSM Amsterdam

Autonomie

Institution

p.33

p.32

MQ Wien


Was ist ein Kreativquartier?

Kreativquartier — Erster Teil

Vergleichbarkeit

Ausstellungsflächen im Verhältnis (Schätzwerte)

In unserer Untersuchung und Gegenüberstellung der vier Kreativquartiere wollen wir uns primär auf den mitteleuropäischen Raum konzentrieren. Dies erscheint sinnvoll, weil hier-

Permanent Temporär

bei auch städtebauliche und politische Strukturen nicht zu sehr voneinander abweichen. Zudem kann eine programmatische Untersuchung stattfinden, die das Konzept der Kultur- und Kreativwirtschaft vom angloamerikanischen Ansatz der Kreativen Klasse nach Richard Florida abgrenzt (siehe Abschnitt Typus) und eine gemeinsame Grundlage anhand ihrer Definition im deutschsprachigen Raum bildet, die auch mit der EU-Definition deckungsgleich ist. Somit ist der Ansatz der Kunst- und Kulturproduktion innerhalb der Kreativquartiere in vier unterschiedlichen Ländern vergleichund quantifizierbar Raum Auch die Gebäude der vier Kreativquartiere sind ein Ent-

BINZ

WAGENHALLEN

scheidungsfaktor. Im Zeitalter des Post-Fordismus und den

Zürich

Stuttgart

Nachwehen der Suburbanisierung kann man feststellen, dass immer mehr produzierende Betriebe im innerstädtischen Bereich Europas ihre Tore schließen. Die Betriebe wandern auf günstigere Flächen außerhalb der Stadt oder verlagern ihre

O% O%

1O % 4O %

Produktion ins Ausland. So können die Gebäude der vier Kreativquartiere ebenfalls ein Spektrum abdecken, welches die gegenwärtige europäische Situation um den Leerstand von Gebäuden repräsentativ widerspiegelt. Das Museumsquartier in Wien war ehemals eine Hofstallung, die Anfang des 20. Jahrhunderts zum Messebetrieb umgebaut wurde. Die Wagenhallen in Stuttgart, eine frühere Lokomotivremise der Königlich Württembergischen Staatseisenbahn, wurde bereits kurz nach 1945 zum Busbetriebshof umgewandelt. Die NDSM-Werft war das renommierteste Schiffsbauwerk Amsterdams. Aufgrund internationaler Konkurrenz musste sie den Betrieb in den 1980er Jahren einstellen. Auch die ehemaligen Betreiber der Fabrikhallen der Binz in Zürich, stellten ihren Betrieb Ende der 1980er Jahre ein (siehe Geschichte der jewei-

NDSM

MQ

Amsterdam

Wien

2O % 5O %

8O % 8O %

auch die Transformation zum Kreativquartier ist nahezu zeit-

p.34

gleich (MQ 2001, NDSM 2003, Wagenhallen 2003, Binz 2003). Anmerkung Zum Zeitpunkt der Untersuchung befinden sich alle vier Quartiere in unterschiedlichen Zuständen der Entwicklung, worauf wir in den folgenden Untersuchungen näher eingehen werden.

p.35

ligen Quartiere). Fast alle vier Gebäude entstanden zu Zeiten der Industrialisierung (Ausnahme Museumsquartier Wien) und


Typologie — Typologien haben eine lange Tradition in der Architektur. Sie dienen zur Einordnung von Gebäudetypen nach unterschiedlichen Parametern. Es wird unterschieden nach ihrer Funktion (z.B. Bürogebäude, Sportgebäude), nach ihrer Konstruktion oder des Materials (z.B. Skelettbauwerke, Holzbauwerke) oder nach ihren formalen Eigenschaften (z.B. Rundbauten, Turmhäuser). Damit können wir Gebäude besser einordnen um sie dann vergleichen und wieder voneinander abgrenzen können. In der Architekturgeschichte wurde unterschiedlich typisiert. Jedoch entspricht die Einordnung in eine Typologie immer auch einer Verallgemeinerung, das bedeutet jede Individualität wird dadurch im Herzen zerstört.


Kreativquartier — Erster Teil

Typologie

p.38

p.39


In heutiger Zeit, in der leer stehende Gebäude teilweise das

bekannter Vordenker, ist die Typologie einer der zentralen

Stadtbild prägen, rückt die Wiederbelebung und Revital- genetischen Informationssatz

veränderlichen, individuell

Untersuchungsgegenstände der Architekturtheorie. Mit den

isierung in das Aufgabenfeld des Architekten. Aufgrund

eines Organismus bezeichnet,

neu entstehenden naturwissenschaftlichen Methoden glaubt

unterschiedlicher Randbedingungen scheint es sinnvoll, eine

ist der Phänotyp die sich in

man, unter dem Begriff des Typus ein sicheres Fundament der

Möglichkeit zur Klassifizierung und Einordnung unseres The- Wechselwirkung mit der Umwelt

Gestaltung finden zu können. Die historisch legitimierten

mas Kreativquartier zu finden, die den neuen Anforderungen

herausbildende, veränderliche

Gestaltungsprinzipien werden über Bord geworfen und mit Hilfe

gerecht wird.

Gestalt. Das Maß an Abwei-

der Typologie sollte zwischen dem sklavischen Kopieren und

Es stellt sich also die Frage, in wie fern mit gesammel- chung zwischen dieser Gestalt

der individuellen gestalterischen Willkür ein akzeptabler Weg

ten Informationen ein vergleichbares Ordnungssystem bereit

gefunden werden. Immer wieder wird die Disziplin Architektur

gestellt werden kann, um eine sinnvolle Vergleichbarkeit beste- mung bezeichnet man als phä-

neu definiert. Als Gestaltungstätigkeit befindet sich die Archi-

hender Kreativquartiere zu ermöglichen.

tektur zwischen Kunst, Technik und gesellschaftlicher Verpflichtung und wird in einem vielfältig verschlungenen Diskurs

gungen, Abhängigkeiten und Bildungsregeln in einem Datensatz

kontrovers diskutiert. 1

erfasst werden: dem Genotyp in seiner formalen Ausprägung. notyp führt 1909 der dänische Genetikpionier Wilhelm Ludvig

logie. Anfang des 20 Jahrhunderts wird diese Diskussion unter

Johannsen in die Entwicklungsbiologie ein. 4

den Begriff der „Typisierung“ gestellt und in der Typologiedis-

„Während der Genotyp den unveränderlichen, individuell

kussion der 1960er Jahre bis hin zu deren aktuellen Ausläufern

genetischen Informationssatz eines Organismus bezeichnet,

weiter vertieft. Als Methode der Darstellung und Benutzung

ist der Phänotyp die sich in Wechselwirkung mit der Umwelt

Vorbilder

wird

die

Typologie

ziemlich

herausbildende, veränderliche Gestalt. Das Maß an Abwei-

unterschiedlichen Definitionsansätzen unterzogen und reicht

chung zwischen dieser Gestalt und der genotypischen Bestim-

von der kreativen Form der Natur-Nachahmung (Chamoust,

mung bezeichnet man als phänotypische Plastizität.“ 5 Untersuchen wir Kreativquartiere anhand ihrer ähnlichen

Laugier, Quatremère de Quincy, Gottfried Semper) über die

Erscheinungen, stellen wir fest, dass dennoch alle unterschied-

Methode der industriellen Fertigung (Walter Gropius, LeCorbusier, Hannes Meyer) bis hin zur Philosophie der Architektur

lich sind. Die augenscheinliche Ähnlichkeit der Kreativquartie-

(Aldo Rossi, Vittorio Gregotti, Anthony Vidler), um nur einige zu

re liegt wohl in ihrer programmatischen Struktur und ihrer

nennen. 2 Ende der 1980er Jahre kommt noch ein Schwerpunkt

städtischen Verortung, also auf der phänotypischen Seite.

hinzu: die rational vollkommen beherrschbare „künstliche Intel-

Jedoch sind die post-industriellen Gebäude von Kreativquartie-

ligenz“ in Form der computerbasierten Vorgehensweise, die es seither erlaubt, Gestaltung durch Auswahl, Adaptierung und Kombination auf rein faktischer Basis anhand definierter Parameter und Zahlenwerte zu ermöglichen. Wissenschaftliches Arbeiten im Bereich der Architektur gestaltet sich dennoch schwierig und zeigt eine teils unpräzise bzw. kaum nachvollziehbare Vorgehensweise. Vervollständigt wird dieses Szenario, wenn man beobachtet, dass sich die praktische Handlungsweise schneller entwickelt und im Gegenzug sich die theoretischen Werkzeuge für Architekten heute kaum weiterentwickeln. Oft werden Bezugssysteme beliebig gewechselt und man bedient sich lediglich Aufzählungen, um das Feld grob abzustecken. Die Typologie als Werkzeug des Architekten bleibt wissenschaftlich unstrukturiert und unexakt. 3

notypische Plastizität.“

Eine grundlegende Unterscheidung zwischen Genotyp und Phä-

ten und Theoretiker an einer einheitlichen Definition der Typo-

architektonischer

und der genotypischen Bestim-

Hierzu müssen für alle Kreativquartiere gleiche Grundbedin-

Bereits im 17. und 18. Jahrhundert versuchen sich Architek-

p.40

„Während der Genotyp den un-

Typologie

Ein Ordnungssystem zur Vergleichbarkeit

Seit den Zeiten der Aufklärung, unter Berücksichtigung

ren in ihrer formalen Ausprägung des Genotyps sehr unter1 Christian Kühn, Der Begriff der Architekturtypologie und seine Bedeutung für die Theorie des CAAD, Diss. ETH Nr. 11323, 1995

schiedlich. Die aufgezeigte Unterscheidung zwischen Genotyp

2 Christian Kühn, Der Begriff der Architekturtypologie und seine Bedeutung für die Theorie des CAAD, Diss. ETH Nr. 11323, 1995; und eigene Ergänzungen

ten und wird angepasst. Die beiden Begriffe stehen in Wechsel-

3 Matthias Castorph, Gebäudetypologie als Basis für Qualifizierungssysteme, Diss. D386, Fachbereich Architektur/ Raum- und Umweltplanung/ Bauingenieurwesen der Universität Kaiserslautern, 1999,S.47-51

und Phänotyp verhält sich im Bezug auf Kreativquartiere also umgekehrt: Mit der phänotypischen Plastizität, die durch die Nutzer eingebracht wird, ändert sich der Genotyp des Gebauwirkung zueinander. Die Verwendung des Werkzeugs Typologie scheint hierfür gut geeignet, sollte aber durch vorhandene subjektive Wertungen (z.B. Phänomen der ästhetischen Differenz) befreit werden um somit als geschärftes Werkzeug eine Verwendung zu finden. Der Exkurs Typologie versucht einen historischen Abriss des Diskurses um den Begriff des „Typus“ und der „Typologie“ aufzuzeigen. Anhand unterschiedlicher Ansätze wollen wir auf-

4 Ernst Mayer; Die Entwicklung der biologischen Gedankenwelten, Springer 2002, S. 172; aus dem Beitrag: Michael Hensel und Achim Menges, Form- und Materialwerdung - Das Konzept der Materialsysteme; Arch+ 188, 2008, S.20 5

Ebd., Seite 20

p.41

Kreativquartier — Erster Teil

Typologie als Untersuchungsstrategie


„Was der Methode zuträglich erscheint, lässt uns hinsichtlich

wieder aus dem sich stets ent-

chungsstrategie und als guter Ausgangspunkt für die Erfor-

der Anwendung auf die Wirk-

wickelnden wechselseitigen

schung eines Entwurfsproblems dienen kann.

lichkeit perplex. Allein die

anhand ihrer programmatischen Erscheinung untersucht wer-

Wirklichkeit bildet das Ganze

den. Dies beinhaltet sowohl die strukturelle Organisation inner-

Spiel dreier konvergierender

keiten in Bezug auf ihren urbanen Kontext haben. Im zweiten Schritt soll die Architektur der Kreativquartiere

Vektoren, dem Topos, dem

Grafische Untersuchung

und darauf ist das Handeln

halb des Kreativquartiers als auch die allgemeine Einordnung

Typus und der Tektonik. Wenn

Im Zuge der Untersuchung von Kreativquartieren wollen wir

bezogen. Die Regel reicht nicht

seiner Akteure (phänotypische Plastizität). Diese Untersuchung

aus, beschreibt im besten Fall

findet sich im Abschnitt „Typus“ und zeigt, dass die auf den

also die Tektonik keinen be-

die vier Kreativquartiere anhand von Fakten und grafischen

sonderen Stil fördern muss,

Darstellungen zum Zeitpunkt unserer Untersuchung analysie-

Vorgehen und Methode, aber

ersten Blick sehr unterschiedlichen Kreativquartiere auch hier

wirkt sie in Verbindung mit

ren und einen Ansatz zur Klassifizierung versuchen. Damit ein-

lässt das Handeln und Tun in

Gemeinsamkeiten aufweisen, die sich unter anderem in der Kul-

dem Ort und dem Typus der

her geht selbstverständlich die Veränderung an den Gebäuden

seiner umfassenden, gesell-

tur- und Kreativwirtschaft und auch in selbstorganisierten Vor-

Neigung der Architektur ent-

und der näheren Umgebung, was im Umfeld der Kreativquartie-

schaftlichen Verbindlichkeit

gehensweisen wiederspiegelt. Der Begriff „Typus“ erfährt in

gegen, ihre Legitimität in

re ein wichtiger Aspekt ist.

vorerst außen vor.“

der architekturtheoretischen Diskussion eine mehrfache Be-

einer anderen Disziplin zu

Typus

Typologie als Untersuchungsstrategie

Topos

suchen.“

Eine grafische Untersuchung bietet Vorteile: Sie kann mit

— Piet Lombaerde

mantische Auslegung eine übergeordnete Rolle und somit wird

Wirklichkeit, wodurch wesentliche Unterschiede der gebauten

der Typus-Begriff im Folgenden nach seiner ursprünglichen

Substanz von Kreativquartieren aufgezeigt werden können. Die

Wortbedeutung týpos = Gestalt oder Gepräge verwendet. Denn

Materialität des Gebauten wird dabei vernachlässigt. Sie ist oft

die spezielle Programmatik in Kreativquartieren macht die

ausschlaggebendes Kriterium für ein ästhetisches Urteil. Durch

Erscheinung eines Kreativquartiers aus.

die Reduktion auf grafischer Ebene kann unsere Untersuchung

Im dritten Schritt soll das Gebaute der Kreativquartiere an-

wertungsfrei dargestellt werden und begibt sich auf die Ebene

hand seiner wertneutralen, fremdreferenziellen und somit

der Beschreibung von Gebäuden, ohne das Gebäude selbst zu

quantifizier- und klassifizierbaren Elemente untersucht werden und beinhaltet alle Veränderung am Gebäude zum Untersu-

beschreiben.

chungszeitpunkt. Exemplarisch werden Prozesse der TransforVorgehensweise

mation anhand der Wagenhallen in Stuttgart untersucht. Diese

Im Exkurs Typologie zeigen wir verschiedene Ansätze einer

findet sich im Abschnitt „Tektonik“. Der Begriff der „Tektonik“

typologischen Definition der Architektur auf. Primär sind da-

beinhaltet in dieser Untersuchung auch die bauliche Umgebung

bei die Leitgedanken einer Architektur als Raum, Funktion,

und kann somit als „Gefüge“ im weitesten Sinne verstanden

Form, Konstruktion oder Ereignis. Dies bildet den Ausgangs-

werden. Die Untersuchung zeigt einen baulichen Überblick, der

punkt unserer Untersuchung:

trotz unzähliger Transformationen das ursprüngliche Gebäude

„Tatsächlich scheint es, als erwachse das Gebaute immer

erkennen lässt und somit – in Bezug auf die Untersuchung

wieder aus dem sich stets entwickelnden wechselseitigen Spiel

„Topos“ und „Typus“ – eine eher untergeordnete Rolle einnimmt. „Was der Methode zuträglich erscheint, lässt uns hinsicht-

Tektonik

der Tektonik. Wenn also die Tektonik keinen besonderen Stil

lich der Anwendung auf die Wirklichkeit perplex. Allein die

fördern muss, wirkt sie in Verbindung mit dem Ort und dem Ty-

Wirklichkeit bildet das Ganze und darauf ist das Handeln

pus der Neigung der Architektur entgegen, ihre Legitimität in

bezogen. Die Regel reicht nicht aus, beschreibt im besten Fall

einer anderen Disziplin zu suchen.“ 6

Vorgehen und Methode, aber lässt das Handeln und Tun in sei-

Im ersten Schritt soll der Gesamtkomplex der Kreativquartiere anhand seiner Positionierung im städtischen Gefüge untersucht werden. Es sollen primär die quantifizierbaren städtischen Randbedingungen aufgezeigt werden, unter denen sich 6 aus Kenneth Frampton „ Grundlagen der Architektur: Studien zur Kultur des Tektonischen“, München-Stuttgart, 1993

deutungsverschiebung. In unserer Untersuchung spielt die se-

wenigen Strichen eine Idee skizzieren und abstrahiert eine

dreier konvergierender Vektoren, dem Topos, dem Typus und

p.42

Blick sehr unterschiedlichen Kreativquartiere viele Gemeinsam-

vorliegenden Untersuchung von Kreativquartieren als Untersu-

Typologie

zeigen, dass das strukturelle Prinzip der Typologie in der

erwachse das Gebaute immer

Kreativquartiere vorzugsweise ansiedeln und die ihre Wechselwirkung mit der Stadt beeinflussen. Diese Untersuchung findet sich im Abschnitt „Topos“ und zeigt, dass die auf den ersten

7 Theorie der Praxis – eine weitere Begründung, Werner Oechslin, aus: Bringing The World Into Culture. Comperative Methodologies in Architecture, Art, Design and Science. Liber Amicorum offered to Richard Foqué. Hg. von Piet Lombaerde. University Press Antwerp, Antwerpen 2009, S.133-143.

ner umfassenden, gesellschaftlichen Verbindlichkeit vorerst außen vor.“ 7

p.43

Kreativquartier — Erster Teil

„Tatsächlich scheint es, als


Topos — Der Ort mit seinen vorhandenen Strukturen ist immens wichtig für die Untersuchung von Kreativquartieren und kann mögliche Erkenntnisse zur Planbarkeit oder Moderation aufzeigen. Spezifische Merkmale eines funktionierenden Gefüges im Stadtraum werden anhand den Kategorien Fläche, Bevölkerung, Qualität und Lage untersucht.


spielen für kreative Menschen bei deren Arbeits- und

tiere zu untersuchen, die durch ihre Öffentlichkeit

Wohnortentscheidung nicht nur attraktive Jobangebote

einen mehr oder weniger erheblichen Einfluss auf den

eine große Rolle. Im Besonderen wird Wert gelegt auf

Ort und die städtebauliche Infrastruktur haben oder

Faktoren wie Toleranz, Offenheit, kulturelles Angebot,

für manche Nutzer besonders prägnant in der Stadt-

sowie die allgemeine Lebensqualität einer Region oder

wahrnehmung sind, muss man auch einen Blick auf die

einer Stadt. 1

Topos

Kreativquartier — Erster Teil

Topos | griechisch: τόπος – tópos – Ort. Um Kreativquar-

Stadt selbst und auf ihre Strukturen werfen. Dazu zählen sowohl objektiv messbare, wie auch subjektiv wahrnehmbare Faktoren. Beim Vergleich der Städte Amsterdam (NDSM), Stuttgart (Wagenhallen), Wien (Museumsquartier) und Zürich (Binz) steht primär die Frage im Vordergrund, welche Faktoren diese Städte mit sich bringen, die sie für das Milieu der Kreativen so attraktiv machen. Sind diese Faktoren beeinflussbar? Und wie kann Stadt in Zukunft reagieren, um kreative Milieus anzuziehen, bzw. um Kultur- und Kreativwirtschaft zu fördern. Der Gesellschaftswandel, der sich in den letzten Jahren abzeichnet, erfordert ein neues Verständnis für die persönliche Wahl des Arbeits- und Wohnorts. Insbesondere in der Gruppe der Kreativen bleibt eine mend aus. Und wie Richard Florida bereits argumentiert,

1 Michael Fritsch und Michael Stützer: Die Geografie der Kreativen Klasse in Deutschland, Raumforschung und Raumordnung, S.65 (2007)

p.47

p.46

klare Abgrenzung zwischen Arbeit und Freizeit zuneh-


Bevölkerung

Im Vergleich der Makrolage der vier Kreativquartiere stellen

Toleranz und Offenheit als subjektiv wahrnehmbare Faktoren

Topos

Kreativquartier — Erster Teil

Fläche wir die klassisch gemessenen Größen der Städte einander

in der Bevölkerung, machen es neu Zugezogenen leichter,

gegenüber. Sie zeigen deren objektive Vergleichbarkeit anhand

sich in ein vorhandenes Gefüge zu integrieren. Wir können davon

ihrer Größe, Struktur und Bevölkerung.

ausgehen, dass Akzeptanz in der Gesellschaft kreatives Arbei-

Alle vier Städte wurden von der GaWC (Globalization and

ten in hohem Maße begünstigt.

World Cities Research Network) in die Liste der Weltstädte

Je offener ein Umfeld ist, desto diverser sind auch seine

(oder „Global Cities“) aufgenommen. 2 Wien ist die Bundes-

Akteuere und folglich inspirierender und stimulierender ist das

hauptstadt und bevölkerungsreichste Großstadt Österreichs.

Arbeitsumfeld für die Kreativen.

Sie ist außerdem die sechstgrößte Stadt der Europäischen Union. Stuttgart ist die Hauptstadt von Baden-Württemberg und sechstgrößte Stadt Deutschlands. Amsterdam ist die Hauptstadt und die Stadt mit der größten Bevölkerung in der Niederlande. Zürich ist die größte Stadt der Schweiz. Ausserdem deren wichtigstes wirtschaftliches, wissenschaftliches und gesellschaftliches Zentrum. 3

Wien

Stuttgart

2 http://www.lboro.ac.uk/ gawc/world2010t.html (Global cities)

Wien

Stuttgart

Amsterdam

Zürich

Einwohnerzahl 3 Wikipedia (zu den Themen Amsterdam, Stuttgart, Wien, Zürich und Weltstädte)

Amsterdam

Zürich

1 731 537

573 054

790 044

393 599 (2011)

22,3 % Ausländer 10,1 % Studierende (2012)

21,8 % Ausländer 8,4 % Studierende (2011/2012)

13, % Ausländer 7,2 % Studierende (2012)

31,3 % Ausländer 11,2 % Studierende (2012)

Gesamtfläche

Metropolitan Area

414,9 km2

207,4 km2

219,3 km2

91,9 km2

23 Gemeindebezirke 89 Katastralgemeinden

23 Stadtbezirke 152 Stadtteile

7 (+1) Stadtbezirke 97 Ortsteile

12 Stadtkreise 34 Quartiere

Gemeinde-Bezirke

2.58 Mio.

2.29 Mio.

2.49 Mio.

1.62 Mio.

Demografie

2

4 223 EW ⁄ km

2 958 EW ⁄ km

2

4 791 EW ⁄ km

2

2

4 046 EW ⁄ km

Bevölkerung nach Alter und ethnischer Gruppe Ethnische Gruppen restliche Bevölkerung

100

100

100

100

90

90

90

90

80

80

80

80

70

70

70

70

60

60

60

60

50

50

50

50

40

40

40

40

30

30

30

30

20

20

20

10

10

10

0

0

0

12

8

x1000

4

0

4

8

12

x1000

12

8

x1000

4

0

4

8

12

x1000

20 10 0 12

8

x1000

4

0

4

8

12

x1000

12

8

x1000

4

0

4

8

12

x1000

p.49

p.48

Einwohner ⁄ km 2


Stuttgart

Amsterdam

Zürich

Die Lebensqualität im allgemeinen führt zu individuellem

Topos

Kreativquartier — Erster Teil

Wien

Qualität Topographie

Wohlbefinden. Sie „ist die subjektive Wahrnehmung einer Person über ihre Stellung im Leben in Relation zur Kultur und den Wertsystemen in denen sie lebt und in Bezug auf ihre Ziele, Erwartungen, Standards und Anliegen.“ 4 Dazu zählen auch äußere Faktoren wie materieller Wohlstand, Bildung, Berufschancen, sozialer Status, Gesundheit,

Höchster Punkt Tiefster Punkt

Natur und anderen. 5 Diese sind beeinflussbar, was wiederum dazu führt, dass die Lebensqualität einer Stadt durchaus auch

543 m ü. A. 151 m ü. A.

549 m ü. NN 207 m ü. NN

-2 m ü. NN -6 m ü. NN

871 m ü. M 392 m ü. M

bestimmbar und steuerbar sein kann. Natur

Lage Ein Merkmal für erfolgreiche Kreativquartiere (vor allem in Anbetracht des Konsumierens von Kunst und Kultur) ist das Vorhandensein einer guten bis sehr guten infrastrukturellen Anbindung sowie zentrumsnaher Lage. Nicht nur für die Tourismuswirtschaft, sondern häufig auch für die Nutzer der Quartiere ist die Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln unabdingbar. Am Beispiel des Museumsquartiers in Wien kann man deutlich beobachten, dass die Faktoren Lage, Erreichbarkeit und Tourismuswirtschaft mitunter eine große Rolle im Erfolg des Quartiers spielen. Aber auch Quartiere die ferner des Zentrums gelegen sind, erfahren große Beliebtheit bei Kreativschaf-

kultivierte Fläche Verkehrsfläche Grünfläche Wasseranteil

fenden. Oft sind es Industriebrachen, die Künstler und Kreative sich zu Eigen machen. Am Beispiel der NDSM Werft profitieren die Akteuere von der exponierten Lage der alten Schiffsbau-

35.4 % 14.4 % 45.6 % 4.5 %

35.5 % 14.7 % 46.9 % 2.9 %

42.8 % 7.2 % 25.2 % 24.8 %

47.6 % 13.5 % 33.3 % 5.6 %

Halle. Während im Zentrum Amsterdams der Gebäudebestand Lage

sehr kleinteilig und dazu nur teuer zu mieten ist, bieten die großen Flächen des Werftgeländes ein hohes Potenzial an Möglichkeitsraum für Experimente und Veranstaltungen aller Art.

*

5 Wikipedia (zum Thema Lebensqualität)

*

*

1,18 km (Stephansplatz)

2,28 km (Schlossplatz)

3,2 km (Dam Place)

2,17 km (Lindenhof)

1,69 km (West Bahnhof)

1,7 km (Hbf)

2,46 km (Hbf)

2,58 km (Hbf)

11.4 Mio. (Stand 2011)

3.1 Mio. (Stand 2012)

9.8 Mio. (Stand 2011)

Übernachtungen/ Jahr

2.2 Mio. (Stand 2013)

p.51

p.50

4 Definition der WHO (Weltgesundheitsorganisation, 1993) http://www.drnawrocki.de/ empfehlung/lebensqualitaet%20. html

*


Wien

Stuttgart

22,2 69 % 31 %

9,6 99,6 % 0,4 %

Amsterdam

Zürich

Sämtliche Faktoren haben an verschiedenen Orten unter-

Topos

Kreativquartier — Erster Teil

Fazit Tourismus Stand 2012

schiedliche Wichtigkeiten, je nach Ausgangssituation und Zielvorstellung des Projekts Kreativquartier. Als spezifisches Merkmal eines funktionierenden Gefüges im Stadtraum ist also der Ort mit seinen vorhandenen Strukturen immens wichtig für die Untersuchung und kann mögliche Erkenntnisse zur Planbarkeit oder Moderation eines Kreativquartiers aufzeigen.

Total (in Mio.) Transferpassagiere Lokalpassagiere

Deutschland (Exempel) „Besonders niedrige Anteile freiberuflicher Kreativer finden sich vor allem dort, wo große Städte relativ weit entfernt liegen.“ 6 Am Beispiel Deutschland soll aufgezeigt werden, wie Kunst- und Kultur-Produktion vermehrt und/oder ausschließlich in größeren Städten oder stadtnah anzutreffen ist. Bei der Verteilung der freiberuflichen Künstlern erkennt man darüber hinaus eine hohe Akkumulation in München, Düsseldorf und Frankfurt (in den top10 des „quality of living“rankings von Mercer)7 sowie in Berlin und Hamburg, die in Deutschland zu den beiden Bundesländern mit dem höchsten Anteil ausländischer Bevölkerung gehören.8

51,0 59 % 41 %

24,8 66 % 34 %

6 Michael Fritsch und Michael Stützer: Die Geografie der Kreativen Klasse in Deutschland, Raumforschung und Raumordnung, 65 (2007) 7 http://www.mercer.com/ qualityoflivingpr# city-rankings

ÖPNV

8 http://de.statista.com/ statistik/daten/studie/254889/ umfrage/auslaenderanteilin-deutschland-nachbundeslaendern/ (Stand 2011)

Name der Gesellschaft Linienlänge in km Haltestellen

Wiener Linien

VVS Verbundnetz

937,4 km 4 452

6 003 km 3 833

GVB städtischer Verkehrsbetrieb 280 km k.A.

VBZ Stadtnetz

Berlin

3 509 872

3 927

Hamburg

1 798 836

2 382

München

1 378 176

4 436

Köln

1 017 155

2 510

691 518

2 785

Stuttgart

613 392

2 958

Düsseldorf

592 393

2 725

Dortmund

580 956

2 070

Essen

573 468

2 726

Bremen

548 319

1 685

p.52

Frankfurt am Main

278 km 443

p.53

Die größten Städte Deutschlands mit jeweiligen Einwohnern


Topos

Kreativquartier — Erster Teil

Freiberufliche Künstler (Anteil insgesamt im Jahr 2004 in Deutschland)

Quellen Wien http://www.wien.gv.at/ http://www.wien.gv.at/statistik/pdf/wieninzahlen.pdf Statistik Austria, Statistik des Bevölkerungsstandes, Bevölkerungspyramide 1.1.2012 http://www.viennaairport.com/jart/prj3/va/main. jart?rel=de&content-id=1249344074274&reserve-mode=active

0,08 % 0,11 % 0,14 % 0,21 %

<= 0,08 % <= 0,11 % <= 0,14 % <= 0,21 % <=

(Angabe in Prozent der Bevölkerung)

Kreative Klasse (Anteil insgesamt im Jahr 2004 in Deutschland)

Stuttgart http://www.stuttgart.de/ http://service.stuttgart.de/lhs-services/komunis/ documents/6432_1.PDF http://www.vvs.de/download/ZahlenDatenFaktenVB2012.pdf Landeshauptstadt Stuttgart Statistisches Amt; Einwohner am 31.12.2011 https://www.destatis.de/DE/Startseite.html http://www.flughafen-stuttgart.de/media/402724/Statistischer_ Jahresbericht_2012.pdf http://www.statistik.baden-wuerttemberg.de Amsterdam http://www.os.amsterdam.nl/ http://en.gvb.nl/overgvb/bedrijfsprofiel/Pages/Bedrijfsprofiel. aspx http://www.iamsterdam.com/en-GB/business/meetings/products/ amsterdam-pocket-atlas http://trafficreview2012.schipholmagazines.nl/passengers.html#tr ansporttransferodtransitoloadfactora Zürich http://www.stadt-zuerich.ch http://www.statistik.zh.ch http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/10/03/blank/ key/02/04.html http://www.flughafen-zuerich.ch/Portaldata/2/Resources/documents_ unternehmen/investorrelations/Broschuere_Zahlen_und_Fakten_2012_ de.pdf

7,4 % 8,5 % 9,7 % 14,3 %

<= 7,4 % <= 8,5 % <= 9,7 % <= 14,3 % <=

(Angabe in Prozent der Bevölkerung)

„Die Kreative Klasse in Deutschland; Geografie, Effekte und wirtschaftspolitische Schlussfolgerungen“ von Michael Fritsch und Michael Stützer (http://www.wiwi.uni-jena.de/uiw/publications/ pub_since_2004/2007/Fritsch&Stuetzer_KreativeKlasse_Thinktank_2007.pdf) http://www.mercer.com/qualityofliving http://www.wikipedia.com Suchbegriff: Bevölkerungsdichte https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/LaenderRegionen/Regionales/ Gemeindeverzeichnis/Administrativ/Aktuell/05Staedte.html;jsessio nid=F043DB487C095A6B0554C8B86B156ED9.cae2

p.55

p.54

Sonstiges: European Spatial Planning Observation Network, Study on Urban Functions (Project 1.4.3), Final Report, Chapter 3, (ESPON, 2007)


Typus — Die Eingrenzung des Typus auf den Teilaspekt der Programmatik dient zur Bildung eines Systems der vergleichbaren QuantiďŹ zierung von Akteuren in Kreativquartieren.


Nutzer des Kreativquartiers auf dem Feld der Architek-

Industrien – Eine Analyse von Schlüsselindustrien am Beispiel

tur, der Kunst und des Design zu bewegen. In vielen

Berlins“ von Dieter Puchta, Friedrich Schneider, Stefan

Studien wird er dem Milieu der Kultur- und Kreativ-

Haigner, Florian Wakolbinger und Stefan Jenewein 3 .

wirtschaft zugeschrieben. In diesen Studien findet man

Diese Publikation enthält einen Überblick über die

auch diverse andere Branchen, deren Zuordnung schwie-

Wandlungsfähigkeit und den Werdegang der Definition

rig erscheint. Es gibt dabei unterschiedliche Ansätze

von Kultur- und Kreativwirtschaft und soll Grundlage

sowie Unterteilungen, die von Land zu Land, in den

des ersten Teils dieses Abschnitts sein.

p.58

Anfängen sogar von Stadt zu Stadt, verschieden sind.

Typus

für eine weiterführende Lektüre ist die Studie „Kreative

Richard Florida geht davon aus, dass durch den Wegfall

Unzählige Berichte, Artikel und Untersuchungen sind

der traditionellen Industriezweige zahlreiche qualifzierte

in den vergangenen Jahren entstanden. Die Studie der

Arbeitskräfte auf dem Arbeitsmarkt vorhanden sind,

britischen Labour Partei „Creative Industries Mapping

die mit Hilfe von Umschulungen und Weiterbildungen

Document“ 1 aus dem Jahr 1998, stellt gebräuchliche Be-

nach und nach in die „Creative Economy“ überführt wer-

griffe wie „Kulturwirtschaft“ und „Kulturgüter“ in Frage

den können. Er schreibt seiner „Creative Class“ einen

und inspiriert zahlreiche Wissenschaftler, sich mit die-

sehr breit angelegten Berufsmix zu, der nach seiner Ein-

sem Thema zu beschäftigen 2 . Charles Landry gibt

schätzung bereits 30% der Erwerbstätigen ausmacht 4 .

Denkanstöße in seinem Buch „The Creative City: A Toolkit

Manche seiner Argumente werden in diversen Studien

for Urban Innovators“ von 2000. Auslöser einer breiter

bestätigt 5 , so z. B. auch die These, wonach es im Zuge

angelegten Definitionsfrage ist unter anderem Richard

des Wirtschaftswachstums weniger darauf ankommt,

Florida mit seinem Bestseller „The rise of the creative class

„welche oder wie viel Bildung Menschen mitbringen, sondern

and how it’s transforming work, leisure, community, and every-

wo sie tatsächlich arbeiten“. Richard Florida vernachlässigt

day life“ aus dem Jahr 2002. Besonders erwähnenswert

aber einen wichtigen Punkt, der zur Bildung der

p.59

Kreativquartier — Erster Teil

Typus | Auf den ersten Blick scheint sich der typische


„Die zunehmende Ökonomisierung der Kultur und das Auftau-

der von den holländischen Vertretern nochmals aufge-

chen von symbolischen Ökonomien, in denen das Image bzw. der

griffen wurde. Denn er schreibt über die arbeitende

Zeichenwert eines Produktes (z. B. Marke) gegenüber der Nütz-

Klasse unter dem Aspekt der Kreativität, vernachlässigt

lichkeit und Zweckmäßigkeit immer mehr in den Vordergrund

aber, dass diese durch ihre Anwesenheit signifikante

tritt, haben sich in den letzten Jahren zahlreiche Berufsfelder her-

Auswirkungen auf eine Stadt haben.

ausgebildet, die der Kreativwirtschaft zuzurechnen sind. Diese

Diese gegenseitige Beeinflussung möchten wir im fol-

haben verstärkt zu freiberuflichen Formen der kulturellen und

genden als „urbane Vorzüge“ umschreiben, die schon in

kreativen Erwerbsarbeit geführt. Diese sind an der Schnittstelle

den frühen Theorien über das Humankapital zu finden

zwischen Ökonomie und Kultur zu situieren.“ 7

sind. Es geht primär um urbane Vorzüge wie Kulturan-

Typus

Kreativquartier — Erster Teil

Creative Class und der Creative Economy wichtig ist und

– Janet Merkel

gebote, kulturelle Infrastrukturen, städtebauliche und soziale Umgebungen und die historische Bausubstanz, die der Kreativen Klasse Entfaltungsmöglichkeiten bietet. Allen aktuelleren Diskussionen gemein ist die Erkenntnis, dass die Kreative Klasse nicht nur aus Künstlern oder kulturnahen Beschäftigungen bestehen kann 6 . So weitet sich die Kreative Klasse in unterschiedliche Richtungen aus und wird unter sehr unterschiedlichen

p.61

p.60

Begriffen subsumiert.


Typus

Kreativquartier — Erster Teil

„Die Bedeutung der Kreativwirtschaft ist seit einiger Zeit bei der gezielten Entwicklung von Städten und deren Wirtschaftskraft in den Fokus gerückt. [...] Viele, die mit der Förderung und der Entwicklung von Städten und Regionen betraut sind, ‚stolpern‘ jedoch bei der näheren Beschäftigung mit dem Thema immer wieder darüber, […] dass bereits der Begriff der ‚kreativen Industrien‘ ganz unterschiedlich definiert ist. Dies stiftet eine mit dem Thema verbundene potenzielle Verwirrung.“ 8 – Dieter Puchtai

1 Vgl. Department for Culture, Media and Sport, Creative Industries Mapping Document, London 1998 2 APuZ; Aus Politik und Zeitgeschichte; 34-35/2006 - 21. August 2006; Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament: Herausgegeben von der Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn; Redaktion: Dr. Katharina Belwe u.A.; Thema: Kulturwirtschaft, daraus: Kultur- oder „Kreativwirtschaft“: Was ist das eigentlich?, Andreas Joh. Wiesand, S. 8 3 „Kreative Industrien – Eine Analyse von Schlüsselindustrien am Beispiel Berlins“ von von Dieter Puchta, Friedrich Schneider, Stefan Haigner, Florian Wakolbinger und Stefan Jenewein; ISBN 978-3-8349-1581-8; Gabler Fachverlag, Wiesbaden 2009 4 APuZ; Aus Politik und Zeitgeschichte; 34-35/2006 - 21. August 2006; Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament: hg. v. der Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn; Redaktion: Dr. Katharina Belwe u.A.; Thema: Kulturwirtschaft, daraus: Kultur- oder „Kreativwirtschaft“: Was ist das eigentlich?, Andreas Joh. Wiesand, S.9 5 vgl. Gerard Marlet/Clemens van Woerkens, Skills and Creativity in a Cross-section of Dutch Cities, Stichting Atlas voor gemeenten, Utrecht School of Economics, Universität Utrecht, Discussion Paper Series 04-29, 2004 6 u.a. vgl. Kevin Stolarick/Richard Florida/ Louis Musante, Montreal’s Capacity for Creative Connectivity,: Outlook & Opportunities, Montreal 2005, vgl. http://www.creativeclass.org

6 „Kreative Industrien – Eine Analyse von Schlüsselindustrien am Beispiel Berlins“ von Dieter Puchta, Friedrich Schneider, Stefan Haigner, Florian Wakolbinger und Stefan Jenewein; ISBN 978-3-8349-1581-8; Gabler Fachverlag, Wiesbaden 2009; aus: Vorwort, S. 5

p.63

p.62

6 „Kreativquartiere – Urbane Milieus zwischen Inspiration und Prekarität”, Janet Merkel; hg. v. Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung; ISBN 978-3-89404-252-3; edition sigma, 2008; S. 11-24


Die Geographie der Kreativen Klasse in Deutschland, Fritsch, M., Stützer, M.; Jena, 2007

„Kreativquartiere – Urbane Milieus zwischen Inspiration und Prekarität“, Janet Merkel; 2008

The Art of City Making, Charles Landry, 2006

The Creative City: A Toolkit for Urban Innovators, Charles Landry, 2000

Potenzialanalyse Kreativwirtschaft im Großraum Graz. Traxler, J., Grossgasteiner, S., Kurzmann, R., Ploder, M.; Graz, 2006

1. Kulturwirtschaftsbericht Mecklenburg-Vorpommern, 1997

Kulturwirtschaft in Niedersachsen. Quantitativer Befund und Schlussfolgerungen für die wirtschaftspolitische Diskussion, 2002

Definition Kultur- und Kreativwirtschaft

1. Hessischer Kulturwirtschaftsbericht, Wiesbaden 2003

Deutscher Bundestag, Kulturwirtschaft in Deutschland – Grundlagen, Probleme, Perspektiven; Enquete-Kommission, 2006

1. Kulturwirtschaftsbericht für den Freistaat Sachsen 2008

1. Kulturwirtschaftsbericht Schweiz, 2003

Bundesregierung, Kulturberufe. Statistisches Kurzportrait im Kulturberufemarkt in Deutschland 1995-2003, Bonn 2004

Skills and Creativity in a Cross-section of Dutch Cities, Gerard Marlet/Clemens van Woerkens, 2004

Endbericht: Untersuchung des ökonomischen Potenzials der „Creative Industries“ in Wien; Ratzenböck, V. u.a.; 2004 * Aufgrund der Fülle an Forschungsberichten und Publikationen, zeigen wir hier eine Auswahl, die im nachfolgenden Teil eingearbeitet sind.

„Kreative Industrien – Eine Analyse von Schlüsselindustrien am Beispiel Berlins“ von Dieter Puchta, Friedrich Schneider, Stefan Haigner, Florian Wakolbinger und Stefan Jenewein; 2009

From Cultural to Creative Industries; Theory, Industry, and Policy Implications. Cunningham, St.; 2002

Creative Class

1. Kulturwirtschaftsbericht Sachsen-Anhalt, 2001

Talente, Technologien und Toleranz - wo Deutschland Zukunft hat; Kröhnert, S., Morgenstern, A., Klingholz, R.; Berlin, 2007

Land Hamburg, Kulturwirtschaftsbericht für Hamburg. Die wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung von künstlerisch-kreativen Leistungen in der Freien und Hansestadt Hamburg, 2006

1. Kulturwirtschaftsbericht für Berlin, Juni 2005

Montreal’s Capacity for Creative Connectivity,: Outlook & Opportunities, Kevin Stolarick/Richard Florida/Louis Musante, 2005

Kulturwirtschaft und Kreative Industrien 2007; Söndermann, M.; 2007

Bundesregierung, Monitoring zu ausgewählten wirtschaftlichen Eckdaten der Kulturund Kreativwirtschaft 2009

Deutscher Bundestag, Kulturund Kreativwirtschaft, Enquete-Kommission, 2007

Forschungsgutachten Kultur- und Kreativwirtschaft im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie (2009)

p.65

Forschungsberichte und Publikationen*

Creative Industries Mapping Document, London 1998

p.64

Typus

Kreativquartier — Erster Teil

„The rise of the creative class and how it’s transforming work, leisure, community, and everyday life“, Richard Florida, Juni 2002


Volkswirtschaftlich

Soziologisch

Der nachfolgende Abschnitt soll die Bandbreite der unterschiedlichen Ansätze zur Beschreibung der Kreativen Klasse aufzeigen und den Begriff der Kultur- und Kreativwirtschaft eingrenzen. Die Verwendung des Begriffes „Kreative Industrien“ in der Literatur ist sehr unterschiedlich. Zahlreiche Definitionsansätze, machen einen Vergleich der

+ Kreative Industrien · Musik, darstellende Kunst, Film, Radio, TV · Werbung, PR, bildende Kunst, Kunsthandwerk, · Design, Architektur, kulturelles Erbe, Printmedien · Software, Internet, Telekommunikation

+ Creative Class · Wissenschaftler (z.B. Physiker) · Kreative Professionals (z.B. Anwälte, Unternehmensberater)

- Branchen- bzw. Sektorbezogen

- Berufe, Tätigkeiten

Typus

Kreativquartier — Erster Teil

Eine Begriffsvielfalt

Studien sehr schwierig. Eine allgemein anerkannte Definition sucht man vergeblich. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von ähnlichen Begriffen,

die

schneiden. Folgende Begriffe werden in der Literatur in diesem Zusammenhang am häufigsten genannt. 9,10 Nach kontinental9 APuZ; Aus Politik und Zeitgeschichte; 34-35/2006 - 21. August 2006; Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament: hg. v. der Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn; Redaktion: Dr. Katharina Belwe u.A.; Thema: Kulturwirtschaft, daraus: Kultur- oder „Kreativwirtschaft“: Was ist das eigentlich?, Andreas Joh. Wiesand, S. 8-16 und eigene Ergänzungen 10 „Kreative Industrien – Eine Analyse von Schlüsselindustrien am Beispiel Berlins“ von Dieter Puchta, Friedrich Schneider, Stefan Haigner, Florian Wakolbinger und Stefan Jenewein; ISBN 978-3-8349-15818; Gabler Fachverlag, Wiesbaden 2009; Seite 21 und eigene Ergänzungen 11

europäischem Verständnis werden Kreative Industrien bran-

Verwertungsrechtebezogen

· Informations- und Kommunikationstechnologie · Content-, Medien- und Kulturwirtschaft

· Copyright, Patent, Marken, Design

- Im Wesentlichen Inhalt vs. Technologie

- Erfindungen und Entwicklungen die sich schützen/ verwerten lassen

chen- bzw. sektorenbezogen abgegrenzt. In angloamerikanischen Studien wird primär eine Auswahl von Berufen bzw. Tätigkeiten zur Untersuchung herangezogen. Insofern kann daher auch von einem volkswirtschaftlichen (kontinentaleuropäischen) bzw. soziologischen (angloamerikanischen) Ansatz ge-

Angloamerikanischer Ansatz

sprochen werden. Durch unterschiedliche Gewichtungen ist der

Die Art der ausgeübten Tätigkeit ist wesentliches Kriterium für die Einordnung zur Kreativen Klasse nach Richard Florida.

Anteil kreativ Beschäftigter am Arbeitskräftepotenzial typischerweise in angloamerikanischen Studien höher 11.

„Mitglieder der Kreativen Klasse arbeiten innovativ, sie können Probleme identifizieren, Lösungen entwickeln und dabei Wissen auf neue Art und Weise einsetzen und neu kombinieren.“

Kulturwirtschaft

Im Gegensatz hierzu, werden Berufe die hauptsächlich

Cultural Industries

durch Routinetätigkeiten gekennzeichnet sind, nicht zur Kreati-

Cultural Industries Cluster Kulturgüter

Cultural Goods

Kulturökonomie

Cultural Economy

Kreativsektor

Creative Sector

Ebd. Seite 22

12 ebd. Seite 22 (Zitat aus „The rise of the creative class and how it’s transforming work, leisure, community, and everyday life”, Richard Florida; ISBN 9781864032567; Basic Books Reprint, 2003)

Produktionsorientiert

sich zwangsläufig inhaltlich über-

Kreative Industrien

Creative Industries

Grafik Kreativwirtschaft in Matrixform (Quelle: Puchta 2009)

ven Klasse dazugezählt. 12 Nach Florida werden die Kreativen in drei Untergruppen gegliedert 13,14 . Neben den „Bohemiens“ (künstlerisch tätiger

Grafik Unterteilung der Kreativen Klasse nach Richard Florida (Quelle: Fritsch/Stützer)

Teil der Kreativen Klasse) unterscheidet Florida zwischen den „Hochkreativen“ (innovative Menschen) und den „Kreativen Professionals“ (wissensintensive Bereiche).

Creative Economy Kreative Klasse

Creative Class Medien-Wirtschaft Kreative Klasse

12 „Kreativquartiere – Urbane Milieus zwischen Inspiration und Prekarität“, Janet Merkel; hg. v. Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung; ISBN 978-389404-252-3; edition sigma, 2008

Creative Capital Theory Copyright Industries

Bohemiens

Hochkreative

Kreative Professionals

Knowledge Economy künstlerisch

innovativ

wissensintensiv

Schriftsteller bildende/darstellende Künstler Publizisten Fotografen … u.a.

Wissenschaftler Physiker Chemiker Mathematiker Informatiker u.a

Unternehmensbertungs- und Organisationsfachkräfte Finanz- und Verkaufsfachkräfte Anwälte Verwaltungsfachkräfte u.a.

IKT-Wirtschaft Content-Wirtschaft Medien-Wirtschaft

p.67

p.66

12 Fritsch, M., Stützer, M.; Die Geographie der Kreativen Klasse in Deutschland. Raumforschung und Raumordnung, #65 (1), S. 15-29. Jena, 2007


Typus

„Im Modell der Kulturwirtschaft

Unterstützende Dienstleistungen

In Kontinentaleuropa spricht man grundsätzlich von der Kul- bildet der Faktor ‚Kultur im

‚Kreativität‘ im Mittelpunkt.“ 15

‘Kreativität’ im Mittelpunkt.“

1

2

3

4

5

Kulturgüter und Dienstleistungen

tivwirtschaft steht der Faktor

Vertrieb

Merkmal. Im Modell der Krea-

Merkmal. Im Modell der Kreativwirtschaft steht der Faktor

Weiterverarbeitung

weiten Sinne‘ das gemeinsame

Produktion

tur- und Kreativwirtschaft. „Im Modell der Kulturwirtschaft bildet der Faktor ‚Kultur im weiten Sinne‘ das gemeinsame

Schöpferischer Akt

Kreativquartier — Erster Teil

Kontinentaleuropäischer Ansatz

Darüber hinaus werden in der Literatur weitere Ansätze kontrovers diskutiert. So sprechen einige von dem horizontalen Ansatz (Subsumierung bestimmter Branchen unter der Kategorie „kreativ“) 16 und dem vertikalen Ansatz (wertschöpfungskettenbezogener Anteil an Kreativität für alle Branchen). Eine eindeutige Messung scheint auch hier schwierig, auch wenn der vertikale Ansatz zusätzlich in die Subsektoren „Erbringung der Vorleistung“, „Produktion“, „Vervielfältigung“ und „Verteilung“ gegliedert ist 17,18. Weiterhin kommt auch die Einordnung von geistigem Eigentum in Form von Patenten, Copyright und ähnlichen Indikatoren zur Diskussion und damit auch die Frage nach der Erfassung von Kreativität aus den Technologieindustrien. Die weiter gefassten Begriffe werden u. a. mit anderen Branchen ergänzt, z. B. mit der Informations- und Kommunikationstechnologie (die so genannte HCT-Wirtschaft) zur „Copyright-Industrie“ 19 ; oder das Research & Development zur John Howkins versteht unter „Creative Industries“ bzw. „Creative Economy“ die Summe aus den vier Wirtschaftsbereichen „Copyright-Industrie“, „Patent-Industrie“, „Marken-In-

Kreativbranchen Kulturwirtschaft

p.68

Kreativwirtschaft

dustrie“ und „Design-Industrie“ 21.

Verlagsgewerbe, Film- & Rundfunkwirtschaft Künstlerische und sonstige Gruppen Journalisten- / Nachrichtenbüros Museen/Kunstausstellungen Handel mit Kulturgütern Architekturmarkt

Werbemarkt Software- / Computerspieleindustrie

15 vgl. Söndermann, M.; Kulturwirtschaft und Creative Industrien 2007. Aktuelle Trends unter besonderer Berücksichtigung der Mikrounternehmen. Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. Berlin, 2007 16 vgl. Kröhnert, S., Morgenstern, A., Klingholz, R.; Talente, Technologien und Toleranz - wo Deutschland Zukunft hat. Berlin Institut für Bevölkerung und Entwicklung. Berlin, 2007 17 Ratzenböck, V., Demel, K., Harauer, R., Landsteiner, G., Falk, R., Leo, H., Schwarz, G.; Endbericht: Untersuchung des ökonomischen Potenzials der „Creative Industries“ in Wien; Wien, 2004 aus [Puchta, 2009, S. 25] 18 Traxler, J., S., Kurzmann, Grossgasteiner, R., Ploder, M.; Potenzialanalyse Kreativwirtschaft im Großraum Graz. Joanneum Research; Graz, 2006 aus [Puchta, 2009, S. 25]

19 Söndermann, M.; Kulturwirtschaftsberichte der Bundesländer: Viele Sprachen - ein Ziel? In: Däubler, Ch., Fesel, B.; Kulturwirtschaft 2005; Friedrich-Naumann-Stiftung; Büro für Kulturpolitik und Kulturwirtschaft; Berlin, 2006

Zwischenfazit Wie wir erkennen können, bietet die Begriffsvielfalt eine breite Diskussionsgrundlage für die Definition der Kulturund Kreativwirtschaft. In den letzten Jahren sind im mitteleuropäischen

Raum

zahlreiche

länderspezifische

Kreativwirt-

schaftsberichte entstanden, die sich diesen Begriffsgrundlagen bedienen und parallel eine eigene Definition versuchen zu formulieren. Unter solch unterschiedlichen Begriffen und den sich darunter verbergenden Konzepten, scheint es überraschend, dass sich dennoch langsam ein Konsens zur Kultur- und Kreativwirtschaft im europäischen Raum abzeichnet.

20 ICG culturplan Unternehmensberatung GmbH, STADTart Planungs- und Beratungsbüro; Gutachten zum Thema: „Kulturwirtschaft in Deutschland - Grundlagen, Probleme, Perspektiven“; Berlin, Graz, Dortmund, 2007 20 Cunningham, St.; From Cultural to Creative Industries; Theory, Industry, and Policy Implications. Media International Australia, Incorporating Culture & Policy #102. 54-65, University of Queensland, 2002 aus [Puchta, 2009, S. 25]

p.69

„Creative Economy“ 20.


Musikwirtschaft

Markt für darstellende Künste

· Selbstständige Musiker/innen, Komponist/innen · Musik- und Tanzensembles · Verlag von bespielten Tonträgern und Musikverlage · Theater- und Konzertveranstalter · Betrieb von Theatern, Opern, Schauspielhäuser · Sonstige Hilfsdienste des Kultur- & Unterhaltungswesens · Einzelhandel mit Musikinstrumenten und Musikalien

· Selbstständige Bühnenkünstler/ innen · Selbstständige Artist/innen · Theaterensemble · Theater- / Konzertveranstelter · Betrieb von Theater, Opern, Schauspielhäusern, usw. · Varietes und Kleinkunstbühnen · Sonstige Hilfsdienste des Kultur- und Unterhaltungswesens · Tanzschulen · Weitere Kultur- / Unterhaltungseinrichtungen (Zirkus, Akrobat, Puppentheater)

Rundfunkwirtschaft

Typus

Kreativquartier — Erster Teil

Kultur- und Kreativwirtschaft Abgrenzung Die Vielzahl von Begriffen und die enorme Bandbreite einzelner Definitionsansätze macht es schwierig, unsere Untersuch-

ung hinsichtlich der Programmatik in Kreativquartieren

einzugrenzen. Fortdauernde Diskussionen um Begriffe wie Kreative Klasse oder Kultur- und Kreativwirtschaft haben zu einer Eingrenzung geführt, die mit den vorliegend untersuchten Kreativquartieren und deren Akteuren sowie unserem derzeitigen Verständnis von kreativer Arbeit die größte Übereinstimmung hat. Mit Hilfe dieser Eingrenzung ist es uns möglich, eine vergleichbare Quantifizierung vorzunehmen. Definition Kultur- und Kreativwirtschaft Nachfolgend wird die aktuell gültige Definition der Kultur- und

· Rundfunk, Herstellung von Hörfunk und Fernsehprogrammen

Pressemarkt

· · · ·

Selbständige Journalist/innen Nachrichtenbüros Verlegen von Adressbüchern Zeitungs- & Zeitschriftenverlag

Buchmarkt

Kreativwirtschaft im Forschungsgutachten Kultur- und Kreativwirtschaft im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie (2009) für Deutschland aufgezeigt, welche

Schöpferischer

sowohl mit der europäischen Kernabgrenzung der EU-Kommis-

· Selbständige Schriftsteller/innen · Buchverlag · Einzelhandel mit Büchern

sion als auch mit dem britischen Creative-Industries-Konzept kompatibel ist.

Akt

Unter Kultur- und Kreativwirtschaft werden diejenigen Kul-

Werbemarkt

· Werbegestaltung & -vermittlung

tur- und Kreativunternehmen erfasst, welche überwiegend erwerbswirtschaftlich orientiert sind und sich mit der Schaf-

Architekturmarkt

fung, Produktion, Verteilung und/oder medialen Verbreitung

Kunstmarkt

von kulturellen/kreativen Gütern und Dienstleistungen befassen. Das Wirtschaftsfeld Kultur- und Kreativwirtschaft umfasst

Software- / Gamesindustrie

folgende elf Kernbranchen oder Teilmärkte: Musikwirtschaft,

· Selbständige bildende Künstler/ innen · Kunsthandel, Museumsshops & Kunstausstellungen

Buchmarkt, Kunstmarkt, Filmwirtschaft, Rundfunkwirtschaft, Markt für darstellende Künste, Designwirtschaft, Architekturmarkt, Pressemarkt, Werbemarkt sowie Software/Games-Indus-

Architekturbüros für: · Hochbau und Innenarchitektur · Orts-, Regional- und Landesplanung · Garten- und Landschaftsgestaltung

· Verlegen von Software · Softwareberatung & Entwicklung

trie. Der wirtschaftlich verbindende Kern jeder kultur- und kreativwirtschaftlichen Aktivität ist der sogenannte schöpferische Akt. Damit sind alle künstlerischen, literarischen, kulturellen, musischen, architektonischen oder kreativen Inhalte,

Filmwirtschaft Designwirtschaft

Werke, Produkte, Produktionen oder Dienstleistungen gemeint,

Sonstiges

p.70

ten zugrunde liegen. Grafik Statistische Teilgruppen nach Teilmärkten (WZ 2003) (Quelle: Bundesministerium für Wirtschaft u. Technologie) * Schätzungen

· Selbständige Bühnenkünstler/ innen · Film- / TV- & Videofilmherstellung · Filmverleih und Videoprogrammanbieter Kinos

· Produkt- und Industriedesign · Modedesign · Grafikdesign · Kommunikationsdesign und Werbegestaltung

· Restaurator/innen, Denkmalstätten · Bibliotheken / Archive · Bot. Gärten, Zoos, Naturparks · Schaustellergewerbe und Vergnügungsparks

p.71

die als wirtschaftlich relevanter Ausgangskern den elf Teilmärk-


Typus

Kreativquartier — Erster Teil

Gesamtwirtschaftliche Perspektive Ohne die Werke und Leistungen der Schriftsteller, Komponisten,

Musiker,

Bühnenkünstler,

Filmemacher,

bildenden

Künstler gäbe es keine Kultur- und Kreativwirtschaft. Sie sind Urheber, Originärproduzenten oder Dienstleister, ohne die keine Filmfirma, kein Musikkonzern, kein Buchverlag und auch kein Galerist etwas zu verwerten und zu verbreiten hätte. Nicht zuletzt bewegen sich die selbständigen Künstler selbst in einer Künstler-, Kultur- oder Kreativszene, die durch Vielfaltsproduktion gekennzeichnet ist. Diese Vielfalt unterschiedlichster Produktionsformen wird von Professionellen, Semiprofessionellen oder Autodidakten geprägt, die in hartem, zum Teil ruinösem Wettbewerb zueinander stehen. Die Vielfaltsproduktion wird außerdem durch die Nutzung neuer Technologien, durch Digitalisierung und durch das Internet ständig weiter entfacht. Die selbständigen Künstlerberufe stehen somit in einem komplizierten Wirtschaftsumfeld, die zukünftig eine erweiterte wirtschaftspolitische und kulturpolitische Beachtung benötigen.

2,6 % Kultur- und Kreativwirtschaft

Chemische Industrie

Energieversorgung

74 Mrd.

71 Mrd.

61 Mrd.

49 Mrd.

43 Mrd.

p.73

Automobilindustrie

Grafik Bruttowertschöpfung, Forschungsgutachten Kultur- und Kreativwirtschaft der Bundesregierung 2009

Maschinenbauindustrie

p.72

des deutschen BIP


Kreativwirtschaft Erwerbstätige

Im Jahr 2008 existierten in der Kultur- und Kreativwirt-

Typus

Kreativquartier — Erster Teil

Zusammenfassung der empirischen Befunde

Sonstiges Musikwirtschaft

schaft rund 238 300 Unternehmen und Selbständige. Sie erzielten zusammen ein Umsatzvolumen von insgesamt 132

Buchmarkt

Milliarden Euro und konnten rund 763 400 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten einen Voll- oder Teilzeitarbeitsplatz

Kunstmarkt Filmwirtschaft

bieten. Zusammen mit den Selbständigen arbeiten in der Kulturund

Kreativwirtschaft

in

Deutschland

rund

eine

Rundfunkwirtschaft

Million

Erwerbstätige.

Darstellende Künste

Insgesamt konnte die Kultur- und Kreativwirtschaft damit im

Software & Games

3,3 %*

Jahr 2008 schätzungsweise einen Beitrag in Höhe von rund 63 Milliarden Euro zur Bruttowertschöpfung leisten. Zu den Teilmärkten mit starker wirtschaftlicher Stellung der

Designwirtschaft

Großunternehmen zählen die Rundfunkwirtschaft sowie der

Werbemarkt

Buch- und der Pressemarkt. Zugleich ist im Pressemarkt und in der Rundfunkwirtschaft die relative Bedeutungslosigkeit von

Architekturmarkt

Kleinstunternehmen zu beobachten.

Pressemarkt

Die wichtigsten Märkte für Kleinstunternehmen sind der Kunstmarkt, der Markt für darstellende Künste, die Designwirtschaft, sowie der Architekturmarkt. Hier erwächst ein hoher Marktanteil des Umsatzes durch die große Zahl der Kleinstunternehmen, die als Einpersonenunternehmen oder Freiberufler im Markt tätig sind und im Schnitt zwischen 100 000 und

Kreativwirtschaft Umsätze

200 000 Euro Jahresumsatz erzielen. Zu den ausgeglichenen

Sonstiges Musikwirtschaft

Teilmärkten, die in allen Unternehmensgrößenklassen mehr oder weniger gleiche Umsatzanteile aufweisen, zählen die Soft-

Buchmarkt

ware-/Games-Industrie sowie die Filmwirtschaft. Die im Hinblick auf die Wachstumsdynamik wichtigsten Teilmärkte der

Kunstmarkt Filmwirtschaft

letzten Jahre sind die Software- /Games-Industrie, die Designwirtschaft, der Markt für darstellende Künste und der KunstRundfunkwirtschaft

markt 22 . Software & Games

2,5 %*

Darstellende Künste

Designwirtschaft

Werbemarkt

Architekturmarkt

Grafik Umsätze in der Kultur- und Kreativirtschaft, (Quelle: Umsatzsteuerstatistik; eigene Berechnungen Michael Söndermann/AG Kultur- und Kreativwirtschaft 2008) * Anteil Gesamtwirtschaft

Kreativwirtschaft

Kreativbranche

Kulturwirtschaft

Sonstiges

p.75

p.74 p.74

Pressemarkt


Tektonik — Bei der Untersuchung von Kreativquartieren können wir feststellen, dass die Beschaffenheit der Architektur im klassisch typologischen Verständnis keine ausschlaggebende Rolle spielt. Dabei genügt dem Nutzer, um ein Projekt zu verwirklichen, ein Minimum an gebauter Infrastruktur. Die Individualisierung und Aneignung, bzw. Veränderung seitens der Künstler und Kreativen wollen wir am Beispiel der Wagenhallen und deren Transformationsprozesse analysieren.


bäudestruktur untersucht, redet man in erster Linie

des als unfertige Ästhetik von immenser Wichtigkeit für

über das Erscheinungsbild oder die Konstruktionsweise

die Nutzer des Kreativquartiers zu sein scheint.

des Gebauten. Wenn man eine ganze Reihe von Gebäu-

p.78

So finden wir in Kreativquartieren oft Möglichkeits-

den mit derselben Programmatik analysiert, versucht

räume vor, deren Nutzung wenige bis keine Regeln

man Merkmale und Parallelen zu finden, welche die Ge-

auferlegt werden. Das Vorgefundene wird wiederum stets

meinsamkeit dieser Gebäude ausmachen. Diese werden

einer Individualisierung und Aneignung, bzw. Verände-

mit Hilfe von Sprache und/oder einer Form von Abbil-

rung seitens der Künstler und Kreativen unterzogen.

dung beschrieben. Das größte Problem der Beschrei-

Diese Tatsache weist nicht zuletzt auf eine Parallele zur

bung ist die offensichtliche Reduktion auf das Wesentli-

gegenwärtigen Veränderungen unserer Gesellschaft

che und es kommt zwangsläufig nur noch zu einer Teil-

hin, in der immaterielle Werte zunehmend im Vorder-

beschreibung des Ganzen. Das Gebäude wird durch die

grund stehen. Wir beobachten einen Verlust an traditio-

Be-schreibung in seiner Eigenschaft beschränkt, was

neller Sicherheit innerhalb institutionalisierter Struktu-

aber wiederum für eine Klassifizierung und/oder Ein-

renInteressant ist immer mehr die Selbstverwirklich-

ordnung notwendig ist. (siehe Abschnitt Typologie als Untersu-

ung des Individuums im großen Netzwerk, in dem Kom-

chungsstrategie)

munikation und Beziehungen oberste Priorität haben.

Bei der Untersuchung von Kreativquartieren können

Tektonik

spuren eines bereits vorhandenen und genutzten Gebäu-

Auserdem kann man in den letzten Jahren von der

wir jedoch feststellen, dass die Beschaffenheit der Archi-

zunehmenden gesellschaftlichen Bindungslosigkeit

tektur im klassisch typologischen Verständnis keine aus-

im kirchlichen oder politischen Sinne sprechen (Michel

schlaggebende Rolle spielt. Ein Minimum an gebauter

Serres) was unsere Mitbürger lediglich noch zur Kulti-

Infrastruktur genügt dem Nutzer, um ein Projekt zu ver-

vierung ihrer Privatsphäre drängt und der Triumph des

wirklichen. Vielmehr beobachten wir, dass Gebrauchs-

Individualismus im soziologischen Sinne im „Cocooning“

p.79

Kreativquartier — Erster Teil

Tektonik | Wenn man Architektur hinsichtlich ihrer Ge-


anderem im Konsum und mit einhergehend gibt es

Tektonik

Kreativquartier — Erster Teil

endet. Der Individualismus findet seinen Ausdruck unter genügend Produzenten, die auf individuelle Bedürfnisse eingehen. Man könnte sogar noch einen Schritt weiter gehen und behaupten, das Netzwerk diene der immate-

p.81

p.80

riellen Selbstdarstellung des Individuums.


kenden Schiff befinden, das alle Rettungsboote schon losgelassen hat, dann ist ein

Tektonik

Kreativquartier — Erster Teil

„Wenn Sie sich auf einem sin-

Einführung Transformation „Wenn Sie sich auf einem sinkenden Schiff befinden, das

Wohngebäude 2+3

alle Rettungsboote schon losgelassen hat, dann ist ein vorbeitreibender Klavierdeckel, mit dem Sie sich über Wasser hal-

Werkstattanbau

vorbeitreibender Klavierdeckel, ten können, ein willkommener Lebensretter. Das heißt aber mit dem Sie sich über Wasser

nicht, dass die Formgebung von Klavierdeckeln das beste De-

halten können, ein willkomme-

sign für Rettungsringe wäre.“ 1

ner Lebensretter. Das heißt

Am Beispiel der Wagenhallen wollen wir Transformationspro-

aber nicht, dass die Formge-

zesse aufzeigen. Meist sind die Veränderungen am Gebäude

bung von Klavierdeckeln das

nur anhand von spezifischen Nachforschungen herauszufinden

beste Design für Rettungsringe

und entwickeln sich regelrecht zu einer Schatzsuche.

wäre.“

Die Wagenhallen wurden im Laufe ihres Bestehens mehrmals umgenutzt (vgl. Geschichte Wagenhallen). Nicht nur bei einer Nutzungsänderung, sondern auch während der Nutzung wur-

Verwaltungsanbau

Hallen-Freifläche

Kunstverein Wagenhallen e.V.

Veranstaltungsbereich

Künstlergemeinschaft Stgt.-Nord

den Transformationen, Ergänzungen und Reparaturen am Gebäude vorgenommen. Anhand des nachfolgenden Bildmaterials soll der Transformationsprozess aufgezeigt werden. Dieser gibt einen Überblick über die Veränderung der vergangenen 100 Jahre und einen

Transformation Wagenhallen

ersten Hinweis auf die Anpassung zum Kreativquartier der ehe-

Bereits wenige Jahre nach der Eröffnung der Wagenhallen

maligen Typologie „Lokomotivremise“.

im Jahr 1894 kann man Veränderungen am Gebäude erkennen. In der Zeit des ersten Weltkrieges und der Materialverknappung ist im hinteren Teil der Wagenhallen eine Pufferbohle und ein alter Waggonrahmen der KWStE (mit Herstellerkennzeichnung) als verstärkendes Element in der Wand verbaut. Auch die ursprünglichen Gleisnummerierungen über den gemauerten Einfahrtstoren behielten nur kurze Gültigkeit. Nach dem Zweiten Weltkrieg wird die Lokotivremise zum Busdepot und Buswartungszentrum umgebaut, weswegen die Gleise und die Schiebebühne im Hallenquerflügel III entfernt wurden.

Waggons

Im Jahr 1964 wird der Bau umfassend renoviert. Der neue Verwaltungsbau im hinteren Teil entsteht und die alten Tore werden durch größere Rolltore ersetzt. Im Zuge des Umbau muss die alte Lüftungstechnik mit den beweglichen und festen

Wagenhallen

Rauchfängern von dampfbetriebenen Lokomitven weichen. Bis zum 1. Juli 2003 wird der Bau von der Regional-Bus-Stuttgart genutzt und geht anschließend an die Stadt Stuttgart über, welche die Hallen für kreativ Schaffende öffnet. gen am Gebäude vorgenommen. Die zeitlich neuesten Veränderung sind in den ausgeschäumten Lüftungsschlitzen, den zugemauerten Fensteröffnungen, den angebauten Gebäudeteilen und vielen kleinen Transformationen sichtbar und werden auf den nachfolgenden Seiten gezeigt.

p.83

p.82

Seither werden von den Nutzern der Wagenhalle Anpassun1 R. Buckminster Fuller, Einleitung: Bedienungsanleitung für das Raumschiff Erde und andere Schriften, FUNDUS Bd. 137, Philo Fine Arts; ISBN-13: 978-3865724151, 3. Auflage, April 2010


1894 77 % noch vorhanden

Tektonik

Kreativquartier — Erster Teil

Verhältnis* ursprüngliche Bausubstanz 1894 zu noch vorhandenem Bestand 2013

1917

23 % abgerissen 5 Werkstätte

4

Werkstätte

3 4

Halle VI

3

Halle VI

2

2

Königliche Lokomotivstation a. d. Prag

Wagen-Werkstätte

Halle II

Halle II

Halle I

Halle I

Schiebebühne

Verhältnis* noch bestehende Bausubstanz 1894 zu Anbau und Umbau bis 2003

1925 81% Ursprung

1936

19 % Anund Einbau 5 Werkstätte

4

Werkstätte

3 4

Halle VI

3

Halle VI

2

2 Ausbesserungswerk

Halle II

Halle II

Ga

en rag

Bahnbetriebs-Wagenwerk

Halle I

om str er ark ag St offl st

Halle I

Überdachte Lackierfläche

Verhältnis* vorgefundene Bausubstanz 2003 zu Einbau und Umbau durch Kreative 2012

1963 65 % vorgefundene Bausubstanz

2012

35 % Ein- und Umbau

Werkstätte

4

3

3

Halle VI

2 Kraftwagenhalle

2 Wagenhallen

Halle II

om str er ark ag St offl st

Halle I

Hinweis: eine genaue Analyse der Gebäudesubstanz der Wagenhallen finden Sie in der Broschüre Tektonik.

Überdachte Lackierfläche

Einbauten/Umbauten der Kreativen Überdachte Freifläche

p.85

p.84

* Grundlage dieser Untersuchung sind die laufenden Meter Wand aus vorliegendem Planmaterial der entsprechenden Jahre. Damit sind auch die einzelnen Stellwände und Änderungen der Kreativen messbar.


Tektonik

Kreativquartier — Erster Teil Anbauen I Ende der 1920er Jahre wird das Bahnbetriebs-Wagenwerk verkleinert. Schienen fallen der Umstrukturierung zum Opfer, zusätzliche Werkstattbauten werde angebaut. Anbauen II Hinter dem Anbau ist die ursprüngliche Hallenzufahrt noch zu erkennen.

Anbauen IV Eingänge und Zufahren werden oft „temporär“ von den kreativen Nutzern mit kleinen Anbauten erweitert.

p.87

p.86

Anbauen III Der hintere Teil wird mehrmals umgebaut. Nach einem Kantinenanbau in den 1960er Jahren, erfolgt bald darauf der Umbau zum Verwaltungstrakt.


Tektonik

Kreativquartier — Erster Teil Einbauen I Ein Hochregal teilt die Halle zwischen Werkstattbau und der Freifläche. Einbauen II Kreative bauen sich Wände aus unterschiedlichen Materialien und Objekten.

Einbauen IV Feste Einbauten als Büroräumlichkeiten ergänzen das Nutzerprofil.

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p.88

Einbauen III Feste Einbauten grenzen spezifische Nutzungen voneinander ab.


Tektonik

Kreativquartier — Erster Teil

Umwidmen I Die Freifläche wird mehrmals im Jahr umgewidmet. Sommer: primär kreative Freifläche Winter: Stellplatz für Wohnwägen, Marktstände, etc. Umwidmen II Die ehemalige Rangierfläche vor den Hallen ist heute ein Biergarten des Veranstaltungsbereiches.

Umwidmen IV Die Waggons auf dem Nordbahnhofgelände wurden zum Wohnen, Arbeiten und zur Freizeitgestaltung umgewidmet.

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Umwidmen III Der nach den 1920er Jahren als Werkstatterweiterung genutzte Fläche ist heute der Veranstaltungsbereich.


Tektonik

Kreativquartier — Erster Teil

Modernisieren I In den 1960er Jahren wird das Bahnbetriebs-Wagenwerk zum Kraftwagenwerk umgebaut. Die kleinen Einfahrtstore müssen elektrischen Rolltoren weichen, damit ein Bus hindurchpasst. Modernisieren II Ein längerer Aufenthalt mit unterschiedlichen Tätigkeiten erfordern einen erhöhten Komfort.

Modernisieren IV Im hinteren Teil des Gebäudes wurden mehrere Fassadenöffnungen durch zeitgenˆssische Fenster modernisiert.

p.93

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Modernisieren III Zum Lärm- und Wärmeschutz wurden im Veranstaltungsbereich innenliegende Isolierglas-Fenster angebracht.


Tektonik

Kreativquartier — Erster Teil Ergänzen I An mehreren Stellen in der Halle ist eine funktionelle Ergänzung zu finden. Ergänzen II Je nach Sicherheitsanforderung werden die alten Holztore ersetzt und die Fläche davor zum Aufenthaltsbereich umgewandelt.

Ergänzen IV Eine funktionelle Ergänzung findet sich an unterschiedlichsten Stellen.

p.95

p.94

Ergänzen III Räume und Zugänge werden je nach Nutzung funktionell ergänzt.


Tektonik

Kreativquartier — Erster Teil

Reparieren I Bauschäden werden mehr oder weniger notdürftig von den Nutzern repariert. Reparieren II Ursprüngliche Öffnungen für den Rauchabzug haben keine Funktion mehr und werden zugemauert.

Modifizieren II Neue technische Anforderungen an Veranstaltungsbereiche erfodern kostengünstige Modifizierungen.

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Modifizieren I Überflüssige Wandöffnungen werden kostengünstig von den Nutzern modifiziert.


Tektonik

Kreativquartier — Erster Teil Umfunktionieren I Fundstücke aus der Umgebung werden für neue Zwecke kostengünstig umfunktioniert. Umfunktionieren II Ein alter Waggonrahmen der KöniglichWürttembergischen Staatseisenbahn (mit Herstellerkennzeichnung) wurde Anfang des 20 Jhd. als verstärkendes Element in der Wand verbaut.

Umfunktionieren IV Übrig gebliebenes Baumaterial wurde als verstärkendes Element in der Wand verbaut.

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Umfunktionieren III Ein alte Pufferbohle von den wegfallenden Gleisabschnitten wurde als verstärkendes Element in der Wand verbaut.


Binz | Kreativquartier in Zürich Einführung p. 100 – 109 | Urbaner Kontext p. 110 – 121 | Geschichte p. 122 – 125 | Gebäude p. 126 – 129 | Organisation p. 130 – 131 | Gebäudenutzung p. 132 – 139 |Akteure p. 140 – 143 | Ende p. 144 – 147 |



Binz – Zürich

Einführung

p.104

p.105


Binz – Zürich

Einführung

p.106

p.107


fertiges Projekt, geschweige denn, eine Baubewilligung.

nur geduldet.“ In der Binz lebt die Familie Schoch. So

Bis ein endgültiger Termin feststeht, wird die Besetzung

nennen sich die derzeit etwa 55 Bewohner, die das ehe-

unter bestimmten Auflagen vom Kanton geduldet und

malige Fabrikareal an der Uetlibergstrasse 111/111a in

bis dahin wollen die Bewohner um ihre Räume kämpfen

Zürich seit 2006 besetzen. Sie sind eine selbstverwaltete

und nicht zuletzt zeigen, dass die Stadt solche Freiräu-

Gemeinschaft, mit der Intention, „vielen Menschen eine

me braucht.

Einführung

Binz – Zürich

Einführung — Binz | „Sie sind nicht legal, auch nicht illegal,

Existenz und Raum für die Verwirklichung ihrer Ideen“ zu bieten. Das Projekt kann als alternatives Wohn- und Kulturkollektiv verstanden werden. Die beiden alten Fabrikhal-

„Ein einzigartig leidenschaftlich chaotisch subkulturell selbstbestimmtes Universum.“ 1

len auf dem ca. 5000 qm großen Gelände beherbergen neben den Wohn- und Gemeinschaftsräumen viele verschiedenen Werkstätten, Proberäume oder Veranstaltungsräume. Die Hallen sollen Möglichkeitsraum für unterschiedlichste Menschen bieten und ihre Nutzer haben nicht das Ziel, sich zu vermarkten oder zu einer Institution zu werden. Die Gebäude befinden sich seit 1983 im Besitz des Kantons Zürich. Seit diesem Zeitpunkt wurde bereits mehrfach versucht, Umbau- und Neubauprojekte auf dem Grundstück zu realisieren. Abbruchtermine für das mäßig verschoben. Zum jetzigen Zeitpunkt besteht kein

1

Schwerpunkt megaton Nr.371, Sept.2012

p.109

p.108

aktuellste Neubauprojekt werden schon seit 2009 regel-


Urbaner Kontext Uetlibergstrasse 111/111a 8045 Zürich Schweiz

1 : 10 000

Infrastruktur

Bus

S-Bahn/Zug

Tram

Haltestelle

p.111

Binz – Zürich p.110

Binz


Urbaner Kontext

Binz – Zürich

Industriezone Erholungszone

Wohnzone Wohnzone Wohnzone Wohnzone

(2G) (3G) (4G) (5G)

Zentrumszone (5G) Zentrumszone (6G) Zentrumszone (7G)

Quartiererhaltungszone Zone für öffentl. Bauten

Natur

Wald

Wiese

Wasser

p.113

p.112

Zonenplan


sonstige Nichtwohngebäude 11 % 7%

Goldbrunnenplatz

Gotthelfstrasse

Höfliweg

Nutzbauten 24 % 22 %

Urbaner Kontext

Binz – Zürich

Gebäudestand

Manesseplatz

Stadt Zürich Quartier Alt-Wiedikon

Binz-Areal Bahnhof Giesshübel

Saalsporthalle

Mehrfamilienhäuser und übriges Wohnen 47 % 62 %

Einfamilienhäuser 18 % 9%

Grafik Quelle: Statistik Stadt Zürich (Stand 2010)

Kultur- und Kreativwirtschaft

15,9 % 27,1 %

p.114

Quartier Alt-Wiedikon

im Kreis 3 8669 Einwohner pro km2 71 % Wohngebäude

Alt-Wiedikon befindet sich mitten in einem Transformationsprozess und ist in einem dynamischen Wandel. Viele Altbauten aus dem frühen 20.Jahrhundert müssen Neubauten weichen. Besonders um das Binz-Areal, den Bahnhof Giesshübel und im Manesseraum sind einige Neu- und Ersatzbauten geplant bzw. befindensich bereits im Bau.

Stadt Zürich Kanton Zürich Schweiz

Betriebe in der Kultur- und Kreativwirtschaft 12,2 % 24,6 %

Stadt Zürich Kanton Zürich Schweiz

3-Jahresveränderung

3-Jahresveränderung

18,0 % 13,0% 08,0%

18,0 % 13,0% 08,0%

Stadt Zürich Kanton Schweiz Schweiz

Stadt Zürich Kanton Schweiz Schweiz

Grafik Quelle: BZ 2008 BfS; Research Unit Creative Industries(RUCI), ZHdK; eigene Berechnung (Cluster-Bericht 2009/2010 Kanton Zürich)

p.115

Beschäftigte in der Kultur- und Kreativwirtschaft


Urbaner Kontext

Binz – Zürich

1

2 3 4

5

Binz Areal

Giesshübel Areal

Eines der letzten zentral gelegenen Industriegebiete. Kreative Nutzung vor allem in der Räffelstrasse, Binzstrasse und Grubenstrasse.

Unterliegt seit 2006 einem enormen Aufwertungsprozess. Kreative Nutzung vor allem in der Staffelstrasse und Edenstrasse.

1

„Basislager“ (2009 — 2012) temporäre Ateliersiedlung

4

Staffelstrasse - diverse Ateliers ehemaliges Verlagshaus

2

„Supertanker“ Kreativbüros und Ateliers

5

„Lagerhaus 62“ Umnutzung zu Wohn- und Atelierlofts

3

„Schule für Kunst und Design“ 6

„Sihlcity“ Urban Entertainment Center ehemaliges Fabrikareal

p.117

p.116

6


Zürich Binz Bahnhof (Bahn)

Zürich Giesshübel Bahnhof (Bahn) 5min — Hbf

Urbaner Kontext

Binz – Zürich

Zürich Binz Haltestelle (Bus)

Zürich Laubegg Haltestelle (Bus & Tram) Zürich Sihlcity Haltestelle (Bus)

m 250

Zürich Saalsporthalle Haltestelle (Bus & Tram)

Zürich Saalsporthalle Bahnhof (Bahn)

m 150 0 15 m

Erreichbarkeit 250 m Binz Bahnhof & Haltestelle (ca. 3 min Fußweg)

1 : 5 000 150 m Laubegg Haltestelle (ca. 4 min Fußweg)

200m Giesshübel Bahnhof (ca. 10 min Fussweg)

Umgebungsaxonometrie

p.119

p.118

ÖPNV


A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z AA BB CC DD EE FF GG HH II

coop Supermarkt NIYA Supermarkt Saravanabavan Asian Restaurant Ristorante Bar Pizzeria Paestum Teehaus Ch‘a Menara Reisen Pizzeria Verona ploy thai restaurant hongbin Massagen Praxis Boon Miki Coiffeur Pizza Kurier 10‘ Haltestelle Binz Mezzo Pizzeria Bäckerei Buchmann Vietnam Restaurant Coiffeur Denner Shop AVIA Tankstelle Restaurant Utoburg Binz Restaurant Take-Away Elektra Zürich Apotheke Kiosk Uniteti Kebab Restaurantt Musikhaus Kubli Kantonale Verwaltung Die Post Kiosk Multi-Kulti Die Post HAUG Stickerei Bettwäschefabrik Restaurant Swaad Haltestelle Laubegg WOX Hairdresser Städt. Kindergarten Laubegg iGuzzini Illuminazione Bürokomplex Uetlihof

A D F

B C

Urbaner Kontext

Binz – Zürich

Nutzung

E

H J

I K

L M

O P

Q R S V X Z

T

W Y

AA

CC BB

DD GG

FF

EE

HH

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p.120

II


Geschichte

Binz – Zürich

Stadt Zürich in Gebrauchsleihe* Geschichte der Binz 1894 – 2006

Besitzer:

Color Metal AG

Zwischennutzung

1894 Bau der Fabrikationshallen der Color Metal AG (Metallwarenfabrik)

Besitzer: Geschichte der Binz 2007 – 2009

Kanton Zürich

1983 Der Kanton Zürich erwirbt die Hallen und plant ein Mehrzweckgebäude für die Datenverarbeitung des Kantons (EDV), die Kantonale Drucksachen- und Materialzentrale (KDMZ) und das Bezirksgefängnis (BGZ). Diese scheitern an baurechtlichen Regelungen.

Keine Angaben verschiedene Mieter

Leerstand

Besetzung

2006 Kündigung aller Mieter Pläne der Stadt für einen provisorischen Freestylepark.

Mai 2006

* aus der Systematische Sammlung des Bundesrechts: Kündigung aller Mieter SR 220 - Bundesgesetz betreffend die Ergänzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fünfter Teil: Obligationenrecht) vom 30. März 1911 (Stand am 1. März 2012) — Zweite Abteilung - Die einzelnen Vertragsverhältnisse Neunter Titel - Die Leihe Erster Abschnitt - Die Gebrauchsleihe — A. Begriff Art. 305 Durch den Gebrauchsleihevertrag verpflichten sich der Verleiher, dem Entlehner eine Sache zu unentgeltlichem Gebrauche zu überlassen, und der Entlehner, dieselbe Sache nach gemachtem Gebrauche dem Verleiher zurückzugeben.

Kanton Zürich

2007 Pläne für den Freestylepark werden aufgrund von Verzögerungen durch Einsprachen eines benachbarten Hausbesitzers aufgegeben.

April 2009 Der Kanton Zürich leitet ein Submissionsverfahren* zum Abbruch der Gebäude ein.

Juni 2009 Der Gebrauchsleihvertrag mit der Stadt Zürich endet. Zuständigkeit und Verwaltung wechseln wieder zum Kanton.

1. Juli 2009 Planmäßiger Abbruchbeginn laut Submissionsverfahren. Allerdings macht der Kanton eine mündliche Zusage gegenüber den Besetzern zum frühesten Abbruchtermin Ende September.

1. November 2009 Geplanter Abbruchbeginn für Sondierungsarbeiten. Aussicht auf Baurechtsvergabe in 2010 und möglicher Baubeginn 2012.

Das Immobilienamt plant eine Altlasten-Sondierung vor Verkauf der Gebäude. Geologen erachteten den Abbruch der Gebäude dafür als zwingend.

p.123

p.122

*Def.: Submissionsverfahren Ein Verfahren der Preisgestaltung, bei dem die Anbieter ein Angebot zur Lieferung eines bestimmten Produkts gemäß bestimmter Spezifikationen vorlegen können. Das Angebot beinhaltet den Preis und weitere Lieferbedingungen.


Geschichte

Binz – Zürich

*Das Immobilienamt duldet die Besetzung unter folgenden Voraussetzungen: Keine Behinderung der Sondierarbeiten; die Räumung des Areals per 1. August 2010; die Bereitstellung einer Sicherheitsleistung über CHF 20.000 für die allfällige Entsorgung von Sperrmüll aus der Zeit der Besetzung. rechts: Binz-Besetzer bei der Bezahlung der Kaution mit 400.000 Fünfräpplern. „Ihr bekommt die Fünfer, wir behalten das Weggli.“

Aus dem Tagesanzeiger vom 20.08.2010

Stellungname der Binz vom 16.02.2013

„Die Leute werden im Moment noch geduldet“ sagt Thomas Maag, Sprecher der Baudirektion. Weil kein neuer Abbruchtermin für die Fabrikhallen feststehe, gebe es auch noch kein neues Ultimatum. (...) Wollte der Kanton ursprünglich das Land im Baurecht abgeben, steht jetzt der Eigenbedarf des Kantons im Vordergrund. Die Abgabe im Baurecht sei „nicht mehr prioritär“. (...) Auch auf politischer Ebene ist das Areal in der Binz wieder aktuell: Die SP-Gemeinderätinnen Jacqueline Badran und Rebekka Wyler haben ein Postulat eingereicht mit der Forderung, die Stadt solle das Areal kaufen und einer „nicht gewinnorientierten Gewerbe- und Wohnnutzung“ zuführen. Bezahlbarer Raum für das Kreativgewerbe und für Kulturschaffende sei in der Stadt ebenso Mangelware wie günstiger Wohnraum für den Mittelstand.

„Insgesamt ein absurder Prozess: Die jetzt bestehenden Studentenwohnungen im Hotel Atlantis (in Zürich) sollen einem Luxushotel für die wenigen SuperverdienerInnen der Welt weichen. (...) Das Grundstück beim Atlantis ist gross genug, dass darauf auch noch eine Lego-Container Siedlung, wie sie in der BINZ geplant ist, Platz findet und die Spitalpersonal-Studios ebenfalls dort untergebracht werden können. Es ist nicht nachvollziehbar, dass dafür ein lebendiger Freiraum in Zürich überhaupt abgerissen werden soll. (...) Das Argument, dass nach dem Abriss des jetzigen Industrieareals in der BINZ auf dem Areal mehr Menschen wohnen als jetzt, ist entsprechend der Bauvorhaben im Hotel Atlantis und anderswo in der Stadt total irreführend. Verwunderlich ist auch, dass die Stadt Zürich und insbesondere das Amt für Städtebau nicht in die Planung des Projekts miteinbezogen wurden. (...)“

Geschichte der Binz 2010 –

Quelle http://www.binzbleibtbinz.ch/binz2013.pdf

August 2010 Geplanter Räumungsbeginn. Stattdessen renovieren und sanieren die Besetzer die Gebäude in Eigenregie.

Februar 2012 Die Liegenschaftsverwaltung Kanton AG gibt der Pensionskasse Stiftung Abendrot den Zuschlag für das Baurecht auf dem Areal.

p.124

Der Kanton plant in Zusammenarbeit mit Werner Hoffmann 180 Studios für Universitätsspital-Personal, sowie 150 „studentboxes“

31. Mai 2013 von der Verwaltung gesetzter Auszugstermin. Das geplante Projekt befindet sich in der Planungsphase.

Juni 2013 Geplanter Abriss und AltlastenSanierung durch den Kanton.

Oktober 2014 Geplanter Baubeginn, gemäß Studienauftrag.

März 2013 Geplanter Bauabschluss gemäß Studienauftrag.

31. Mai 2013 Die Nutzer der BINZ verlassen das Gelände ruhig in der Nacht auf den 31.Mai 2013 und ziehen weiter.

p.125

Die Besetzer der Binz äußern ihre Zweifel gegenüber dem Kanton, woraufhin dieser eine weitere Meinung zur Notwendigkeit der Abbrucharbeiten einholt. Ein weiterer Geologe bestätigt die Sondierung ohne Abbruch. Mit Auflagen* wird die Besetzung der Binz weiterhin geduldet.



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Gebäude

Binz – Zürich

Die Haupterschliessung des Geländes erfolgt über die Uetlibergstrasse. Von der Strasse aus sind die Hallen kaum sichtbar.

Aussenraum & Zugänge

bel Hauptsächlich im Bereich zwischen den beiden Hallen halten sich die Nutzer auf. Von hier führen diverse Türen und Tore in die Hallen und deren Nebenräume.

Ansicht von den Abstellgleisen des Bahnhof Giesshübel, im hinteren Teil des Grundstücks.

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erg str ass e

p.129

p.128

Ue


Organisation

Binz – Zürich

Hard Facts

Organisation Die Binz funktioniert selbstorganisiert und basisdemokra-

Grundstücksfläche: ca. 6 000qm Grundstücksfläche große Halle: ca. 3 200 qm Grundstücksfläche kleine Halle: ca. 800 qm Eigentümer: Kanton Zürich Eigentümer: Color Metall AG (Bau 1984)tr Besetzung & Zwischennutzung: Kultur- und Kreativnutzung Binz Zeitraum: 2006 – 2013 Mietkosten: 5.000 SFR /Monat (Der Betrag wird von den ca. 50 Bewohnern der BINZ an die Stadt Zürich bezahlt – das entspricht in etwa den Nebenkosten.)

tisch. Zweimal im Monat findet eine Versammlung aller Bewohner und Nutzer statt. Hier wird diskutiert und es werden gemeinsam Entscheidungen getroffen. Organisatorische Strukturen sind lediglich in Form von wenigen Gruppierungen innerhalb der Bewohner zu finden. Die Gruppen formieren sich um gemeinsame Küchen, die wiederum Aufenthalts- und Gemeinschaftsraum für die Bewohner sind. Die Küchen Die Gemeinschaftsküchen können als räumliche Organisation betrachtet werden. Sie bilden zentrale Räume und haben darüberhinaus eigene Namen: 1.

Juppi-Küche — „’Juppi’, weil sie immer ein bisschen mehr Geld haben als die anderen.” (Zitat David) Oft Dachstuhl Wohn- u. Aufenthaltsräume Lager

sind das Studenten oder junge Leute aus der Punkszene. 2.

Benzino-Küche — Die älteste Küche. Und „Benzino“, weil ein Italiener namens Benzino hier früher einen kleinen Imbiss betrieben hat.

3.

Gemeinschaftsküche — Die größte Küche. Durch ihre

2. Obergeschoos Wohn- u. Aufenthaltsräume Dachterrasse

zentrale Lage auch oft soziale Auffangstation für Gäste. 4.

Ikea-Front — Weil sie hier alles selbst bauen, und das

5.

Ostblock — Weil die Küche eben im Osten liegt.

sogar ziemlich professionell.

1. Obergeschoss Wohn- u. Aufenthaltsräume Bibliothek Gästezimmer Siebdruck-Werkstatt

In regelmäßigen Versammlungen der Bewohner und Nutzer wird basisdemokratisch entschieden. Untergruppen im Gesamtgefüge sind die Küchen.

p.130

Spannung zwischen Besitzer und Besetzer: Der Besitzer will sein Grundstück (gemeinhin) vermarkten. Die Besetzer wollen den (noch) freien Raum nutzen. Ein möglicher Lösungsansatz liegt in der Moderation und Förderung von (geplanter) Zwischennutzung. (s. auch Abschnitt Zwischennutzung)

Erdgeschoss Gemeinschafts- u. Veranstaltungsräume versch. Werkstätten Lager, Ateliers, etc.

Große Halle – ca. 3200 qm

Kleine Halle – ca. 800 qm

p.131

monatlich 5 000 SFR (entspricht den Nebenkosten)

Besitzer Kanton Zürich

Besetzer/Zwischennutzer Nutzer und Bewohner der Binz

Stadt Zürich

Organisationsstruktur


Gebäude

Binz – Zürich

Gebäudenutzung Alles in den Hallen befindet sich in ständiger Transformation. Individuell, provisorisch, kreativ und informell wird der Bestand kontinuierlich verändert. Viele Räume ändern in diesem Prozess auch ihre Nutzung. Zum Zeitpunkt der Untersuchung befinden sich in der Binz folgende Nutzungen: Velowerkstatt, Metallwerkstatt, Schreinerei, Autoschraubplätze, Siebdruckerei, Fotolabor, Offset-Druckerei, Bar, Bandraum, Tonstudio, Bibliothek, Gratisladen, Freecycle-Shop, Trainingsraum, Kostümverleih, wenige Ateliers, Miniramp, Kletterwand, Dachgarten und viele verschiedene Aufenthaltsräume zwischen unzähligen Kunst- und Spaßobjekten.

Kleine Halle

Große Halle

Schnitt A

Schnitt B

1:5 000

10 Meter

p.133

p.132

Schnitt C


C

Gebäude

C

C

B

A

C

B

A

Binz – Zürich

23

24

28

29

22 30

A

A

B

B

25 26

C

B

C

A

A

Dachgeschoss B

1. Obergeschoss

6 3

8

7

5

9 C

3

C

2

10

16

11

4 12

13

14 B

18

17

15 B

1

21

20

p.134

Erdgeschoss

1 Frauensyndikat 2 Miniramp 3 Metall-Werkstatt & Auto-Schrauberplatz 4 Töff (Motorrad-Werkstatt) 5 Fotolabor 6 Waschküche und WCs 7 Autoabstell und -werkstatt 8 Trainings- & Bewegungsraum 9 Konzertraum 10 (früher) Metallwerkstatt

1:5 000

11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21

Lagerpark Gemeinschaftsküche „Freecycle-Market“ Gratis-Laden Atelier (privat) „Ikea-Küche“ Velo-Werkstatt Atelier & Aufenthalt Lukas Zimmer „Benzino-Küche“ Davids Wohnwagen

2. Obergeschoss

22 23 24 25 26 27 28 29 30

Bibliothek „Juppieküche“ Kostümverleih Gästezimmer Siebdruck-Werkstatt „Ostblock-Küche“ Dachstuhl Wohnzimmer Dachterrasse

10 Meter

Hinweis: Nicht bezeichnetet Räume sind mit großer Wahrscheinlichkeit Wohn- und Schlafräume, sowie Atelier- und Aufenthaltsräume.

Stand 06.2012 Erstellt nach Gesprächen und Besichtung mit Bewohnern der Binz. Zeichnungen ohne Gewähr auf Richtigkeit.)

p.135

A

A

19


Gebäude

Binz – Zürich — Große Halle

— „Benzino“-Küche

— „Ikea“-Küche

— Autoschraubplatz

— Miniramp

— Freecycle-Market

— Aufgang zu Lukas Zimmer

p.137

p.136

— Gratis-Laden


Gebäude

Binz – Zürich — Gästezimmer

— Dachstuhl

— verschiedene Behausungsarten in und um die Hallen

— Siebdruck-Werkstatt

— Bibliothek

p.139

p.138

— Dachterrasse


David (Binz–Mitbegründer)

In den Vergleich der Erwerbstätigen im Kultur- und Kreativ-

Die Bewohner der Binz sind Hausbesetzer, die Hallen sind im

wirtschaftssektor (s. Kultur- und Kreativwirtschaft) können

Besitz des Kanton Zürich. Dennoch habe ich den Eindruck,

die Nutzer der Binz nur schwer, bzw. gar nicht eingeordnet wer-

ich bin hier nicht wirklich erwünscht. Dann treffe ich auf David,

den. Der Idealismus der Nutzer und Bewohner der Binz lebt von

der hier seit 6 Jahren lebt, also seit Beginn der Besetzung 2006.

der Vorstellung, ihren Raum und ihre Kreativität nicht zu ver-

Kaum einer der Gründermitglieder der Binz lebt noch hier

markten. Sämtliche Veranstaltungen, die in der Binz stattfinden,

und auch David wird langsam müde und stellt sich manchmal die

tragen sich lediglich selbst. Arbeiten in den Werkstätten und

Frage, wohin sein Weg führt. Oft sind wir nicht mehr selber Mei-

Atliers zählen eher zu privater Freizeitaktivität, zur Kategorie

nung in der Binz, meint er. Viele fallen wieder in das gewöhnliche

‚Sonstige‘ der Auflistung kreativ Erwerbstätiger oder zum dem

Schema, dass „von aussen“ bekannt ist. Konventionell meint er

Teil der Kreativen, die nicht erfasst sind.

damit. Die Binz zu vermarkten, das kommt für David auf keinen

Akteure

Binz – Zürich

Akteure

Fall in Frage. Er lebt in einem großen Transporter, der im Hof der Binz steht. Hier hat er alles was er braucht bei sich, ist flexibel und kann jederzeit die Stadt verlassen. Seinen Lebensunterhalt verdient er in der Stadt beim Getränkemarkt. Ganz konventionell? Auf die Frage, warum er sich für das Leben in der Binz entschieden hat, erzählt er mir, dass er schon in der Schule aufgefallen ist, weil er irgendwie anders war und sich nicht an Regeln halten wollte. Das zieht sich schon durch sein ganzes Leben. Irgendwann hat er Menschen gefunden, die genauso denken wie er. Menschen, die nach Alternativen suchen. ‚Es ist toll, mit so vielen Menschen zusammen zu leben‘, sagt David, ‚das hast du sonst nirgends so intensiv.‘ Weil die Menschen, die in der Binz leben oder leben wollen, sehr individuell und auch oft speziell sind, kommt es mitunter zu Konflikten und um die Harmonie zu wahren wird dann viel diskutiert und manchmal auch entschieden, dass jemand die Binz verlassen muss. Habt ihr Ärger mit dem nahen Umfeld? Nein, meint David, im Gegenteil sind wir recht gut vernetzt mit dem Umfeld. Das Verhältnis zum Eigentümer – dem Kanton –˘ist dagegen eher frostig. Man hört nichts und irgendwann flattert ein Brief ins Haus, auf dem steht, dass sie Ende des Jahres aus den Hallen müssen. Das war’s, viel Kommunikation findet da nicht statt. (Stand Juni 2012) Immer öfter veranstalten die Bewohner in der Binz Konzerte und Feste. Für Gäste gibts sogar ein Gästezimmer. Gewinn machen Sie mit den Veranstaltungen nicht. „Aber darum gehts hier ja auch nicht – um Kommerz und solche Dinge.“ Es geht darum, eine gute Zeit zu haben. So jedenfalls habe ich das verstanden. Als wir über den Begriff Kreativquartier reden, erklärt tistik aufstellen. Jeder ist hier auf seine Art und Weise kreativ, ob man das Kunst nennen kann weiß David nicht. Alles hat begon-

p.141

p.140

David, dass hier jeder irgendwas macht, man könnte keine Sta-


Auch sonst sieht es keiner gern, wenn man in der Binz fotografiert. Auf die Frage, was ihm hier nicht gefällt, antwortet er mir

jeder, der die Werkstätten nutzt, wohnt auch in der Binz. Trotz-

direkt: „Touristen! Die stapfen einfach in die Binz, als wäre es

dem erscheinen die meisten Nutzer zu den Versammlungen und

selbstverständlich, machen Fotos ohne zu fragen, das nervt.“

haben Teil am Projekt. Durch die Aufträge und das wachsende

Sein Zimmer unter dem Dach in der kleinen Halle hat er

Netzwerk wurden die Arbeiten immer kreativer. Die Metallwerk-

selbst gebaut. Über eine große Holztreppe, die nach oben hin

statt hat sich erweitert und nimmt in den Hallen den größten Teil

schmäler wird, gelangt man in den Raum. Er entschuldigt sich

ein. Abgesehen von der Metallwerkstatt finden sich mittlerweile

für die Unordnung. „Sorry, bisschen ghetto heute.“

noch eine ganze Reihe anderer Werkstätten und Veranstaltungs-

Stolz erklärt er mit, dass alle Materialien recycled sind.

flächen im Quartier. Die Räume hier wurden schon als Start-up

Für sein Bett hat er ein Podest gebaut. Das Holz, aus dem das

location für kleine Modelabels verwendet. Grafik, Design, Tanz,

Podest gebaut ist, stammt von einer Veranstaltungsbühne, das

Theater, Mode, Fotografie, Film, Kunst, Architektur, Freizeit,

hätte eigentlich entsorgt werden sollen.

Sport oder Club – alles ist vertreten, es kommt nur darauf an,

Im Winter wird es schweinekalt in den Hallen. Die Dämmung

wer im Moment in der Binz arbeitet. — Aufgenommen im Juni 2012

Akteure

Binz – Zürich

nen mit einer Metallwerkstatt, die wurde ziemlich professionell eingerichtet, hier wurden externe Aufträge angenommen. Nicht

hat ihm ein Unternehmen überlassen. Ein kleiner Ofen aus dem Sperrmüll tut sein Übriges dazu. Seinen Transporter, mit dem er bereits mehrere Monate

Lukas

durch Marokko gefahren ist, war letzte Woche noch kaputt. Den

Lukas ist 24 Jahre alt und lebt seit 4 Jahren in der Binz, zu-

konnte er aber zusammen mit einem anderen Bewohner in der

sammen mit etwa 50 anderen Hausbesetzern. Für ihn bedeu-

Binz reparieren. Eine herkömmliche Werkstatt hätte ihm wohl

tet der Ort eine alternative Wohn- und Lebensform. Die Binz ist

geraten, das Fahrzeug verschrotten zu lassen. Aber in der Binz

seine Familie. Erst etwas skeptisch, doch dann sehr aufgeschlos-

hilft man sich – jeder hat andere Fähigkeiten – und es gibt genü-

sen und stolz, erzählt er mir von sich und dem Leben in der Binz.

gend Platz und Werkzeuge in der Binz.

Warum er sich für die Binz entschieden hat? Hier fühlt er

Jetzt fährt er wieder und Lukas plant schon den nächsten

sich wohl, kann sich ausleben und hat viele nette Menschen um

Wochenendtrip. Er wird mit seinen Freunden in die Südschweiz

sich. Alleine leben wäre nicht sein Ding. Er bevorzugt das Leben

fahren, dort seinen Geburtstag feiern und das Leben geniessen.

in einer größeren Gemeinschaft, in der man sich gegenseitig

Was danach ist? „Keine Ahnung. Es gibt immer viel zu tun...“

hilft. Zwei mal monatlich treffen sich alle Bewohner der Binz zur

— Aufgenommen im Juni 2012

Versammlung. Hier werden wichtige Dinge besprochen, die alle betreffen. Hier kommt jeder zu Wort, der etwas zu sagen hat und es wird so lange diskutiert, bis eine Lösung gefunden wird. Basisdemokratisch sozusagen. Die Binz ist nicht Eigentum der Stadt Zürich, sondern des Kantons. Also schert sich die Stadt auch nicht so sehr um die Binz. Alles hier ist also selbstorganisiert und passiert aus eigenem Interesse und Antrieb. Die Polizei kommt ab und zu vorbei und beschwert sich über zu laute Musik. Aber sie tun das in der Regel auf freundliche Art und Weise und verschwinden gleich wieder, erzählt er mir. Seit einiger Zeit zahlen die Bewohner der Binz einen Pauschalbetrag an die Stadt, für Wasser und Strom. Die Kosten werden unter den Bewohnern gerecht aufgeteilt. Jeder Bewohner zahlt gleich viel, etwa 100 Schweizer Franken, da Lukas führt mich auf dem Gelände herum und zeigt mir einige der Räume. Die Bewohner dürfen nicht auf‘s Bild, sagt er.

p.143

p.142

werden keine Unterschiede gemacht.


Die Show fällt aus. Wir sind gegangen.

Während unserer Recherche und Arbeit am Buch, beobach-

„Für alle, die schon beim Helikoptertraining waren, Titelseiten

ten wir das Ende der Binz. Auf der Nacht zum 31.Mai 2013

reserviert haben, sich seit Tagen und Wochen die Zungen

verlassen die Bewohner das Gelände der Binz, nachdem der Kan-

wetzen, für die nächste baugenossenschaftliche Sitzung oder

ton Zürich den Auszug zum 31.Mai fordert. (s. Geschichte der

den Stammtisch, hier ein paar Stichworte:

Binz)

Ende

Binz – Zürich

Ende

- An diejenigen, die uns an die Wand stellen und abknallen

Das Projekt Binz macht deutlich aufmerksam darauf, wie akut

oder mit Gülle bewerfen wollen: Es freut uns zu wissen wer un-

die Themen Zwischennutzung, bezahlbarer Raum in der Stadt

sere Feinde sind. Nein, wir wollen es nicht allen recht machen.

und Freiraum in der Stadt immer noch und immer wieder sind.

Wir besetzen Häuser und schaffen selbstbestimmte Freiräume

Die Fragen stehen weiterhin im Raum: Wie gehen wir zukünf-

genauso für alle, die das gut finden, wie für alle, die das nicht

tig mit Situationen wie der der Binz um? Wie müssen sich die Me-

gut finden.

thoden der Architekten und Stadtplanern ändern im Bezug auf

- In einer Stadt, die zunehmend von Profitdenken, Sicherheits-

leerstehenden Raum in der Stadt? Wie kann Kommunikation und

und Sauberkeitswahn dominiert wird, haben wir sieben Jahre

Moderation verbessert werden, um dem Zwischennutzer nicht

lang ein Areal belebt, das Tag und Nacht ohne Schloss und Riegel

das Gefühl des ‚Lückenbüßers‘ zu geben? Und welche Werkzeu-

offen stand.

ge stehen dafür zur Verfügung?

- Die linke parlamentarische Politik und Institutionen, die aus früheren aktivistischen Bewegungen hervorgegangen sind, hegen zwar gewisse Sympathien für unsere Anliegen, nichtsdestotrotz hat die meisten der Mumm verlassen, sich für autonome Freiräume auszusprechen. Stattdessen streben viele wohlmeinend an, den Wildwuchs durch Zwischennutzungen und legale Kulturprojekte zu befrieden. Gleichzeitig lassen sie sich Teile ihrer Agenden von Kapitalinteressen oder rechtspopulistischer Propaganda aufbrummen, wie sich an Aufwertungsstrategien oder der Flüchtlingsfrage zeigt. - Die Repression und der Ausschluss von allen und allem, was

Die Binz-Besetzer sind abgezogen

nicht einem makellosen Marketing orientierten Image der Stadt

Die kantonale Baudirektion stellt wegen der Verbarrikadierung des Areals und der Zufahrt einen Strafantrag

entspricht, wird immer vehementer und gewaltsamer. Was uns

Die letzten Binz-Besetzer haben das Fabrikareal an der Üetlibergstrasse offenbar fristgemäss geräumt. Weil sie aber das Gelände verbarrikadiert hinterliessen, hat die kantonale Baudirektion am Freitag trotzdem einen Strafantrag gestellt.

ser Tun als Lifestyle verkauft werden kann.

Alois Feusi

ben gern ein schönes Leben. Wir verstehen darunter ein gemein-

betrifft, so werden wir immer mal wieder geduldet, solange un- Nicht, dass wir hier falsch verstanden werden: Auch wir ha-

Die letzten rund 50 Besetzer des BinzAreals in Wiedikon sind in der Nacht auf den Freitag ausgezogen und haben damit das Ultimatum des Kantons eingehalten. Bei einem Besuch vor Ort am Freitagmittag wirkte das ehemalige Fabrikgelände verlassen. Allerdings war der Zugang zu den seit 2006 besetzten Gebäuden mit Schrottautos, Eisenstangen, vollen Abfallcontainern, Einkaufswagen, Absperrgittern und allerlei Abfall versperrt. Da und dort war sogar Stacheldraht montiert worden.

schaftliches Leben an einem Ort, den wir in allen Belangen selbst gestalten und bestimmen können. Und das in einer Stadt, in der das Leben nicht verreguliert und vermeintlich zu unserem Wohl dauerüberwacht und -kontrolliert wird. - Zurück zur Binz: Sobald die Stiftung Abendrot, zusammen

Auch die Zufahrt zum Zeughausareal hatte die «Familie Schoch», wie sich die Besetzer nannten, nach einem letzten Fest mit Feuerwerk in der Nacht mit Unmengen von Schrott und Abfall unpassierbar gemacht. Am Mittag war sie aber bereits wieder geräumt. Ein Angestellter der kantonalen Baudirektion, der Besitzerin des Areals, konnte am Freitagmorgen die Gebäude wegen der Barrikaden nicht betreten. Die Baudirektion reichte deshalb nach Auskunft ihres Sprechers Thomas Maag einen Strafantrag ein. Das Areal wirke zwar verlassen, aber man habe keine Gewähr, ob sich nicht doch noch jemand dort aufhalte, sagte Maag. Das müsse nun die Polizei feststellen. Zudem liefere der Strafantrag der Polizei auch die Handhabe, bei einer allfälligen Rückkehr der Besetzer einzugreifen.

mit externen Beratern, mit dem Kanton anbändelt, finden es beiDer verbarrikadierte Zugang zum verlassenen Binz-Areal am Freitagnachmittag.

Ob die 20 000 Franken Kaution, welche die «Familie Schoch» beim Kanton hinterlegt hatte, für die Aufräumarbeiten und den Abtransport von Schrott und Müll reichen werden, konnte Maag am Freitag nicht abschätzen. «Wir wissen nicht, was wir dort noch alles finden.» Eine ansehnliche Summe Geld dürfte allerdings nur schon der Einsatz einer Equipe von Entsorgung und Recycling Zürich gekostet haben, die am Morgen mit schwerem Gerät anrücken musste, um die zugemüllte Zufahrt zum Zeughaus zu säubern.

Marco Cortesi, Chef Mediendienst der Stadtpolizei, bestätigte den Eingang des Strafantrags. Bis zum Nachmittag sei die Polizei aber noch nicht in die Gebäude gegangen, und er wisse auch nicht, wann dies der Fall sein werde.

Umzug nach Altstetten Ein grosser Teil der «Familie Schoch» dürfte in das seit Anfang Mai von über 100 Angehörigen verschiedener Gruppierungen besetzte Koch-Areal in Altstetten umgezogen sein. Laut Medien-

nahe alle in Ordnung, dass die Binz mindestens ein halbes Jahr

ADRIAN BAER / NZZ

berichten war den ganzen Donnerstag über in der Binz Material verladen und nach Altstetten transportiert worden. Ob die «Schochs» tatsächlich bei den auf dem ehemaligen Industrieareal lebenden Familien «Wucher» und «Zauber» eingezogen sind, konnte Cortesi nicht sagen. Die Grossbank UBS jedenfalls, die dort als Grundstückbesitzerin Wohnungen und Büros bauen will, hegt laut einem Bericht des Regionaljournals Zürich von Radio SRF entsprechende Befürchtungen und wandte sich auch bereits an die Stadtbehörden.

zu früh abgerissen wird. Und wenn wir im Gegenzug, auf der Notwendigkeit der Existenz von selbstbestimmten Freiräumen Grafik Quelle: Die Neuen Zürcher Zeitung Nr.124 vom 1. Juni 2013 berichtet vom Umund Auszug der Binz-Bewohner.

beharren, heisst es schlicht: mit diesen Leuten kann man nicht Reden. (...) Wie auch immer. Wir sind weg und trotzdem bleiben wir. Und wenn in ein paar Monaten das Binz-Areal Platteneben

p.145

p.144

Räumung mit schwerem Gerät


entwickler Werner Hofmann den Zuschlag erhalten. Wir haben

irgendwie zwischengenutzt oder teuer bewacht werden muss,

ein Projekt eingereicht, um dringend benötigten Wohnraum

dann ist das nicht unser Problem.

Ende

Binz – Zürich

abgerissen ist und daraufhin mindestens ein halbes Jahr lang

insbesondere für Studierende und Mitarbeitende des Universi-

So das wars. Wir haben viel zu tun.“ 1

tätsspitals Zürich zu schaffen. Vertragspartner ist der Kanton Zürich, welcher das Gelände in der Zürcher Binz altlastensaniert zur Bebauung zur Verfügung stellt. Heute besteht auf dem Ge-

Neuanlagen der Stiftung Abendrot

lände eine Zwischennutzung, welche zwischen dem Kanton Zü-

Schwerpunkt Immobilien

rich und der „Familie Schoch“ vereinbart wurde. Die Zwischen-

„In Zürich plant die Stiftung den Bau von Studenten- und

nutzung soll bis zum Rückbau der bestehenden Industriebauten

Pflegepersonalstudios auf dem Binz-Areal. Das Areal wird im

und der Altlastensanierung dauern.

Baurecht vom Kanton Zürich abgegeben. Die Stiftung Abendrot

Die Stiftung Abendrot erachtet die Bereitstellung von günsti-

hat in einem Projektwettbewerb obenaus geschwungen und den

gem Wohnraum für Auszubildende als sinnvolles soziales Enga-

Zuschlag des Kantons erhalten. Zurzeit findet ein offener Wett-

gement. Als Pensionskasse ist sie der Sicherheit der ihr anver-

bewerb mit sechs teilnehmenden Architekturbüros statt. Ende

trauten Ablagen verpflichtet. Die Stiftung Abendrot verfolgt eine

Mai wird entschieden, welches Projekt realisiert wird.

nachhaltige Anlagepolitik. Dies hat nichts mit „Geschäften mit

Die Bebauung des Binz-Areals findet in einem politisch heik-

Rechten“ zu tun, die helfen „radikale linke Bemühungen anzu-

len Umfeld statt: Das Areal ist seit Jahren besetzt und die Be-

greifen“, wie uns anonym vorgeworfen wird.

setzer weigern sich, das Areal zu verlassen. Aktivitäten der

Aufgrund der Transparenz der Stiftung Abendrot, nament-

Besetzer arten immer wieder in Sachbeschädigungen aus. So

lich durch die Links auf der Homepage oder der Liste der Neu-

wurde beispielsweise das Lagerplatzareal in Winterthur, wel-

anschlüsse, welche regelmässig im Abendrot-Info veröffentlich

ches der Stiftung Abendrot gehört, flächendeckend verschmiert

wird, hat die „Familie Schoch“ die Empfänger ihrer Schreiben

und auch die Geschäftsräumlichkeiten der Stiftung Abendrot

zusammengestellt.

in Basel wurden «besucht». Eine aus dem Ruder gelaufene De-

Bilden Sie sich Ihre Meinung, die Mitglieder des Stiftungsra-

monstration führte in Zürich Ende Februar zu Sachschäden von

tes oder der Geschäftsleitung stehen gerne für weitere Auskünf-

mehreren hunderttausend Franken. Die Stiftung Abendrot hat

te bereit.

schon früh versucht, den Kontakt zu den Besetzern herzustel-

— 10.9.2012

len, eine Zusammenarbeit wurde jedoch abgelehnt. Wir haben kommuniziert, dass die Stiftung Abendrot auf die Umsetzung ihres Projektes verzichten würde, wenn sich die Besetzer mit dem Kanton Zürich über einen weiteren Verbleib auf dem Areal Konflikt und Ende

einigen können. Nach einer Einigung mit dem Kanton sieht es

Während unserer Recherche und Arbeit am Buch, beobach-

jedoch derzeit nicht aus.“

ten wir das Ende der Binz. Auf der Nacht zum 31.Mai 2013 verlassen die Bewohner das Gelände der Binz, nachdem der KanStellungnahme der Stiftung Abendrot

ton Zürich den Auszug zum 31.Mai fordert. (s. Geschichte der

Anonyme Vorwürfe gegen Liegenschaftsprojekt

Binz) Das Projekt Binz macht deutlich aufmerksam darauf, wie

für studentisches Wohnen in der Binz, Zürich

akut die Themen Zwischennutzung, bezahlbarer Raum in der

Mehrere der Stiftung Abendrot angeschlossene Firmen ha-

Stadt und Freiraum in der Stadt immer noch und immer wie-

ben im Vorfeld der diesjährigen Delegiertenversammlung

der sind. Aber die Fragen stehen weiterhin im Raum: Wie gehen

ein Schreiben erhalten. Eine „Familie Schoch“ kritisiert das En-

wir zukünftig mit Situationen wie der der Binz um? Wie können 1 Juni 2013, http://www.binzbleitbinz.ch

p.146

Profitgründen ein Freiraum zerstört würde. Abendrot hat aus einem Bewerbungsverfahren, welches der Kanton Zürich ausgeschrieben hat, zusammen mit dem Projekt-

sich die Methoden der Architekten und Stadtplanern ändern im Bezug auf leerstehenden Raum in der Stadt? Wie kann Kommu-

2 http://www.abendrot.ch/ downloads/abrot_info51.pdf S.18/19

nikation und Moderation dabei verbessert werden und welche Werkzeuge stehen dafür zur Verfügung?

p.147

gagement der Stiftung Abendrot und macht geltend, dass aus


Wagenhallen | Kreativquartier in Stuttgart Einführung p. 148 – 157 | Urbaner Kontext p. 158 – 166 | Städtebaulicher Wandlungsprozess p. 167 – 169 | Geschichte p. 170 – 175 | Gebäude p. 176 – 181 | Organisation/Akteure p. 182 – 191 | Interview p. 192 – 205



Wagenhallen — Stuttgart

Einführung

p.152

p.153


Wagenhallen — Stuttgart

Einführung

p.154

p.155


tionsflächen gibt es diverse Veranstaltungsräume. Die

fes befindet sich das Künstler-Areal der Wagenhallen

Künstler öffnen ihre Ateliers und Werkstätten alljähr-

und der Waggons. Im Jahr 1894 als Lokomotiv-Remise

lich zu kulturellen Gelegenheiten, wie der „Museums-

erbaut, in den 1950er Jahren als Instandsetzungs- und

nacht“, der „Stuttgartnacht“ und dem „Tag der offenen Ateliers“

als Depot-Halle der regionalen Busgesellschaft genutzt,

Ein aktuelles Gutachten zeigt Statikprobleme an der

wird das Gelände heute kreativ Schaffenden zur Verfü-

alten Dachkonstruktion auf. Die Stadt Stuttgart muss

gung gestellt. Bereits seit 1999 sind 17 ehemalige Eisen-

sich zeitnah damit beschäftigen, welchen Wert der Er-

bahnwaggons von Künstlern umgenutzt.

halt des Kulturbetriebs für die Stadt hat 2 . Der Kultur-

Durch das Projekt Stuttgart 21, hier das Teilgebiet C1, wurde das Gelände einschließlich der Halle 2003 an

Einführung

Wagenhallen — Stuttgart

Einleitung | Auf dem Gelände des Inneren Nordbahnho-

ausschuss des Gemeinderats hat sich bereits durch öffentliches Engagement für den Erhalt ausgesprochen.

die Stadt Stuttgart verkauft. Diese stellt daraufhin die ehemalige Lokomotiv-Remise inklusive An- und Wohnbauten weiteren Künstlern als Atelierraum und Intrimsresidenz zur Verfügung. Seitdem hat sich das Gelände zu einem einzigartigen Areal für Kunst und Kultur entwickelt. Es ist ein Ort der künstlerischen Begegnung geworden, ein Ort für Experiment und Forschung, der sich in ständigem Wandel befindet. 1 Auf dem gesamten Areal arbeiten ca. 80 Künstler, die hier eine zweite Heimat finden und durch ihre ArStadt Stuttgart bereichern. Neben den Künstlerproduk-

1 2

www.ateliers-nordbahnhof.de Stuttgarter Nachrichten, 18.10.2012

p.157

p.156

beit und ihr Engagement das kulturelle Leben der


Innerer Nordbahnhof 1 70191 Stuttgart Deutschland

1 : 10 000

Bezirkslage

Stadtbezirk STUTTGART - NORD 681,5 ha 24.755 Einwohner

Stadtteil NORDBAHNHOF 49,3 ha 1.850 Einwohner

p.159

Urbaner Kontext

Wagenhallen — Stuttgart p.158

Wagenhallen


Bus

S-Bahn/Zug

U-Bahn

Haltestelle

Flächennutzung

Gründfläche Wohnen & Gründfläche Wohnbaufläche Gemeinbedarf & Grünfläche

Gemeinbedarf Gemischte Baufläche Gemischte Baufläche (Verwaltung) Gewerbliche Baufläche

p.161

Urbaner Kontext

Wagenhallen — Stuttgart p.160

Infrastruktur


Wald

Wiese

Wasser

Umgebungsaxonometrie

U-Bahn

Bahntrasse (DB)

Haltestelle

Strasse

p.163

Urbaner Kontext

Wagenhallen — Stuttgart p.162

Natur


Urbaner Kontext

Wagenhallen — Stuttgart

0 40

m

300 m p.164

Erreichbarkeit

250m Eckardtshaldenweg

1 : 5 000

Gebäudealter

< 1943

> 2000

300m Nordbahnhof

1943 – 1985

keine Angabe

400m Löwentorbr

1985 – 2000

p.165

250 m

ÖPNV


20

21

Urbaner Kontext/ Städtebaulicher Wadnlungsprozess

Wagenhallen — Stuttgart

Städtebaulicher Wandlungsprozess

22

18 21 9 2

10 8

1

3

1894

7

5 6 23

19 2013 11

17 21

14

13 12 16

4

2030*

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Wagenhallen Waggons Atelier Unsichtbar Galerie Eigenart Berufliches Schulzentrum Werner-Siemens-Schule Steinbeisschule Rosensteinschule DDA

1: 10 000 10 Kaufmännische Schule Nord 11 Fußgängerzone Nordbahnhofstrasse 12 Apotheke 13 Supermarkt 14 Pragfriedhof 15 Gedenkstätte „Zeichen der Erinnerung“ 16 Martinskirche

17 Kirche St.Georg 18 Güterbahnhof / Umschlagplatz S21 19 Kleintierzüchterverein 20 Büroflächen 21 Wohnen 22 Haltestelle Nordbahnhof 23 Haltestelle Eckardshaldenweg

* Plan von 2013 auf den Bebauungsplan von Stuttgart 21 angepasst (pesch partner arch.)

p.167

p.166

Nutzung


Wagenhallen — Stuttgart

Wagenhallen Gelände

p.168

p.169


Geschichte

Wagenhallen — Stuttgart

Königlich Württembergische Staatseisenbahn

Deutsche Reichsbahn Gesellschaft, ab 1. April 1920

Deutsche Bundesbahn ab 1949

1919 Inbetriebnahme des Bw-StuttgartRosenstein. Ab 1920 übernehmenumliegende BWs die Aufgaben des BW Stuttgart-Nord. Umbau zum Bahnbetriebs-Wagenwerk (Güterausbesserungwerk) mit Zufahrt über den 1918 errichteten GBf Nord.

1945-49 ab 1945 Vorübergehend Ausbesserungswerk für Lokomotiven aufgrund von Kriegsschäden Strukturwandel im deutschen Eisenbahnwesen: Die Besatzungsmächte übernehmen den Betrieb. Mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949 erfolgte die Umbenennung mit Wirkung vom 7. September 1949 in „Deutsche Bundesbahn“.

Geschichte der Wagenhallen 1893 – 1949

Besitzer:

1893-1894 Bau der Königlichen Lokomotivstation StuttgartNord (auch Betrienbswerkstätte an der Prag) bis April 1894 mit insgesamt 59 Lokomotivständen und einer Schiebebühne. — Am 1. November 1895 wurde am Prag-Güterbahnhof der Betrieb aufgenommen — Das Gelände auf der Prag entwickelte sich zu einer Vorstadt mit neuen Wohnungen

1911-1928 Der Bau des Stuttgarter Hauptbahnhof, Bonatzbau verzögert sich durch die Kriegsjahre erheblich.

p.171

p.170

WK II 1941-1945 Über 2.200 Juden wurden vom Inneren Nordbahnhofs deportiert. Seit 2006 erinnert eine Gedenkstätte. 1944 Zerstörung der Hallenstände durch Bombentreffer


Deutsche Bahn AG ab 1. Januar 1994

Geschichte der Wagenhallen 1851 – 2003

Besitzer:

November 1995: Bahn, Bund, Land und Stadt unterzeichnen eine Rahmenvereinbarung. Oktober 2001: Das Planfeststellungsverfahren beginnt. 2. April 2009: Unterzeichnung der Finanzierungsvereinbarung 2. Februar 2010: Die Bauarbeiten beginnen mit einem Festakt 30. September 2010: Der Konflikt um Stuttgart 21 eskaliert im sog. „schwarzen Donnerstag“ 9. Oktober 2010: An einer Demonstration gegen Stuttgart 21 und den Polizeieinsatz nehmen laut Polizei 65 000, laut Veranstaltern bis zu 100 000 Menschen teil. 22. Oktober - 27. November 2010: Schlichtungsgespräche, Schlichter Heiner Geißler gibt grünes Licht für S21. Die Bahn wird unter anderem zu einem „Stresstest“ verpflichtet. 21. Juli 2011: Ein Gutachten bestätigt, dass der geplante Tiefbahnhof den Stresstest bestanden hat und die geforderte Leistung erbringt. 27. November 2011: S21-Gegner erleiden eine Niederlage bei der Volksabstimmung: 58,8 Prozent der Teilnehmer stimmen gegen einen Ausstieg des Landes aus der Finanzierung des Bahnprojekts – und damit für Stuttgart 21. 15. Februar 2012: Die Polizei räumt das Protest-Camp der S21-Gegner im Schlossgarten. 04. März 2013: Beschluss des Aufsichtsrats der Bahn zum Weiterbau von Stuttgart 21

Stadt Stuttgart, ab 1. Juli 2003

Beginn der Zwischenmiete und Duldung einzelner Akteure

2003

bis 30. Juni im Betrieb unter der Regional-Bus-Stuttgart GmbH (RBS)

bis 1954 Umbau zum Bus-Depot und Bus-Wartungszentrum, Gleisabbau

1964 großzügige Renovierungsmaßnahmen, Rolltore, Verwaltungsbau, etc. ab 1988 übernimmt das SSB-Busdepot Gaisburg als Hauptwerkstatt

1995* Bahn, Bund, Land und Stadt unterzeichnen eine Rahmenvereinbarung zum Bau des neuen Bahnhofes Stuttgart 21. Ein Architektenwettbewerb wird ausgeschrieben.

1999 Die Waggons am Übergang zur Nordbahnhofstraße werden besiedelt.

ab 1.Juli Die Nutzung geht an die Stadt Stuttgart über.

zieht in das neu errichtete Wartungszentrum auf dem ehemaligen ContainerTerminal in Ludwigsburg

p.173

1951 endgültige Schließung des Bahnbetriebes zum 31. 12. 51

p.172

Geschichte

Wagenhallen — Stuttgart

Chronik S21


Interimslösung in 5 Jahres-Verträgen bis 2015 2025 Auf dem Weg zur Institution?

2003 Gründung des Kunstvereins Wagenhallen e.V. *

ab 2005 regelmäßige Veranstaltungen des Kunstvereins: Ausstellungen,Konzerte, Tanzabende. Die Künstler öffnen ihre Ateliers und Werkstätten alljährlich zur kulturellen Gelegenheiten, wie der „Museumsnacht“, der „Stuttgartnacht“ und einem Tag der offenen Ateliers.

p.174

Geschichte

Stadt Stuttgart, ab 1. Juli 2003

Geschichte der Wagenhallen 2003 –

Besitzer:

* Zweck ist es, die bildenden Künste in Stuttgart zu fördern und die Liebe zur Kunst zu wecken. Dieser Zweck wird verwirklicht durch Veranstaltung von Kunstausstellungen, Vorträgen, Führungen, der Förderung der Kunst mit Schwerpunkt Gegenwartskunst, die Produktion und Veröffentlichung von Druckerzeugnissen und durch Publikationen in elektronischen Netzwerken.

2010 Offizieller Baubeginn Stuttgart 21 am 2. Feb. Beginn der Proteste um S21 im August 2010. 14.12.2010 Gemeinderat der Landeshauptstadt Stuttgart beschließt einstimmig: Die Wagenhallen sollen als integraler kultureller Bestandteil des künftigen Nutzungskonzeptes der frei werdenden Fläche von S21 erhalen bleiben.

Juli 2012 Mit dem internationalen Festival „72H Urban Action“ wird die Wagenhalle auch über die Stadtgrenzen hinaus bekannt .

2013 Fertigstellung Schulzentrum neben der Wagenhalle. Vom ehemaligen OB Wolfgang Schuster ist auf diesem Gebiet ein Schul- und Bildungsstandort gewünscht.

2015 Ende des Mietvertrages zwischen der Stadt Stuttgart und der Karle Recycling GmbH als Verwalter im Namen der Wagenhallen.

18.01.2011 Gemeinderat der Landeshauptstadt Stuttgart Die Satzung der Landeshauptstadt Stuttgart über die förmliche Festlegung des Sanierungsgebietes Stuttgart 21 - Teilgebiet C1, Innerer Nordbahnhof und Randgebiete vom 15.03.2001 wird aufgehoben. Es wird als richtig erachtet, die Wagenhallen für die garantierten fünf Jahre zu halten. Wenn der Erhalt auf Dauer gewünscht werden, müssten die Bedingungen hierfür geprüft werden.

p.175

Wagenhallen — Stuttgart

Die Zukunft der Wagenhallen, aus der Stuttgarter Zeitung, ijs, 12.12.2012 Die Betreiber der Wagenhallen haben einen Bauantrag gestellt, der darauf abzielt den Veranstaltungsbetrieb auszudehnen. Das daraufhin in Auftrag gegebene Statikgutachten hat Probleme an der 150 Jahre alten Dachkonstruktion aus Metall und Glas ergeben. Vermieterin der Wagenhallen ist die Stadt, der Mietvertrag läuft noch bis 2015. Um diesen zu erfüllen und eventuell sogar einen dauerhaften Erhalt des Kulturbetriebs, für den sich der Kulturausschuss des Gemeinderats ausgesprochen hat, zu gewährleisten, muss mit hohen Reparaturkosten gerechnet werden. Die Gemeinderatsfraktion der Freien Wähler hat einen Antrag gestellt, der die Thematik Wagenhallen und deren dauerhafte Nutzung betrifft. In Zusammenarbeit mit den Betreibern, den Nutzern, der Kulturverwaltung und mit Bürgerbeteiligung sollen Nutzungskonzepte entwickelt werden. Darin sollen die finanziellen Auswirkungen im Hinblick auf eine dauerhafte städtische Förderung dargestellt werden. Weiter heißt es im Antrag, soll von der Verwaltung geprüft werden, welche Investitionen für die Nutzungskonzepte nötig sind und was sie kosten werden, zugleich, was mit den derzeit ansässigen Künstlern geschieht.



Hard Facts

18 × große Rolltore davon 1 × Hauptzugang (Kunstverein, Tor 4 + 5)

Eigentümer: Stadt Stuttgart Kreative Nutzung: ab 2003

Hauptzugang-Süd = Veranstaltungsbereich Zugang Anbau Nord = Bürotrakt div. Neben- und Hinterzugänge

Gebäude

Wagenhallen — Stuttgart

Infrastruktur

Vertragspartner: JKS Karle Recycling GmbH Vertragspartner: Kunstverein Wagenhallen e.V. Länge: 150 m | Breite: 83 m | Grundfläche: ca 12 000 qm Kosten der Einbauten: tragen die Kreative Baukosten je qm: ca. 240 € vorauss. Struktur-Baukosten: 3 000 000 €

2

2

2

2

2

2

2 2 3

1 2 2 2

5

2 2

2

2

2 4

2

2

2

2

Querschnitt Richtung Nord-Westen (ohne Anbau)

2

Längsschnitt Richtung Nord-Westen

2

2

p.179

p.178

2


Gebäude

Wagenhallen — Stuttgart

Gebäudenutzung Das Innere der Wagenhallen wird sehr unterschiedlich genutzt. Im hinteren, westlichen Teil befinden sich überwiegend Werkstätten mit angelagerten Ateliers. Der Veranstaltungsbereich im vorderen Teil und die Fläche des Kunstvereins in der Mitte können zeitweise als Ausstellungsfläche verwendet werden. Die vermieteten Flächen an der Seite der Rolltore werden von diversen Künstlern genutzt. Im hinteren östlichen Teil liegt der ehemalige Verwaltungsbau. Darin sind unter anderem Büros, eine Tanzschule und wenige Wohnungen angesiedelt. Angrenzend an die Wagenhallen

Dachhaut Fachwerk mit Oberlicht Konstruktion unter Decke

befinden sich die beiden Wohnbauten, die auch heute noch als solche Verwendung finden. Freiflächen in den Wagenhallen Alle Akteure teilen sich die freie Fläche unter einem gemeinsamen Dach. In den Wintermonaten werden durch Vermie-

Dachkonstruktioin Fachwerk, sanierungsbedürftig durch Kranateneinschüsse

tung von Stellplätzen, zum Beispiel für Marktstände, Wohnwagen, etc., zusätzlich Einnahmen erzielt. Zeitweise wird die freie Fläche für Performances, Installationen (Monumenta) oder Theaterstücke (Hermannsschlachten) verwendet. Wenn ein Künstler eine größere überdachte Fläche benötigt, genügt eine Absprache mit den zuständigen Personen.

Kreative Fläche Ateliers Werkstätten

Das Innere der Wagenhallen wird von seinen Akteuren kontinuierlich verändert, neu inszeniert oder anders genutzt.

Veranstaltung und Büro Veranstaltung Büro Ausstellung

frei zugewiesene Fläche Lagerfläche, Küche, etc.

p.181

p.180

konstruktives Raster Stützenraster Hauptgebäude Wände Nebengebäude Freifläche (Aktion, Lager, etc.)


Organisationsstruktur

Durch die Gefahr des städtischen Wandlungsprozesses auf dem Inneren Nordbahnhof haben sich die Akteure der Wagenhallen in den vergangenen Jahren zusammengeschlossen um eine strukturelle Organisation zu bilden. Damit soll das Geschehen auf dem Wagenhallen-Gelände auch politisch steuerbar sein und die Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit ausgeweitet

Kunstverein Wagenhallen e.V.

KBW GmbH & Co.KG

Gutbrot & Mellmann GBR

+ Ausstellungen + Theater + Kunst, Künstler + Öffentlichkeitsund Lobbyarbeit

+ GF Stephan Karle + Verwaltung und Vermietung + Anteilig: 75% Karle Holding 25% Kunstverein

+ Kulturbetrieb + Konzerte + Firmenevents + Öffentlichkeitsarbeit

Beirat der KBW

Hauspaten

Akteure

+ 5 Stimmen insgesamt + Stimmverteilung: 2 × Karle 2 × Kunstverein 1 × Neutral

+ interne Selbstverwaltung + Mieterangelegenheiten

+ Mieter+ Konzerte + Künstler + Veranstalter + Sonstige

Gemeinderat

Eigentümer

+ Stuttgart-Nord

+ Stadt Stuttgart

werden. Die Wagenhallen befinden sich unserer Ansicht nach

Organisation/ Akteure

Wagenhallen — Stuttgart

Organisation

auf dem Weg zur Institutionalisierung. In mehreren Zeitungsartikeln, Off-Space-Reiseführern, Gemeinderatsprotokollen und auch intern werden die Wagenhallen schon als Institution bezeichnet. Es scheint, als ob sich die organisatorische Struktur auf dem Gelände der Wagenhallen immer weiter ausdehnt. Aufgrund der statischen Probleme mit der Dachkonstruktion wird nun auch der Baubürgermeister der Stadt Stuttgart bei Gemeinderatssitzungen und bei Gesprächen, die das Gebäude betreffen, mit einbezogen. Akteure

Erwerbsstätige Kreativwirtschaft

Seitdem die Stadt Stuttgart das Gelände, die Wagenhallen, Wohnbauten und die Waggons für kreative Nutzung zur Verfügung gestellt hat, entwickelt sich das Gelände zu einem fantastischen Areal für Kunst und Kultur. Auf dem gesamten Areal arbeiten ca. 80 Künstler. Die Vielfalt der Akteure in den Wagenhallen und Waggons kennt keine

Pressemarkt 06%

Grenzen. Künstler, Architekten, Designer, Musiker und Freidenker haben hier eine zweite Heimat gefunden. Neben den Künst-

Architekturmarkt 16%

Werbemarkt 04%

lerproduktionsflächen gibt es diverse Veranstaltungsräume, in denen regelmäßig Ausstellungen, Konzerte oder Tanzabende

Sonstiges 02% Designwirtschaft 04%

stattfinden. Es ist ein Ort der künstlerischen Begegnung geworden, ein Ort für Experiment und Forschung, der sich in ständigem Wandel befindet 1 .

Musikwirtschaft 20%

Genau dieser Wandel macht es schwierig, eine genaue Zählung und Zuordnung der Kreativen vorzunehmen. Anhand ihres primären Tätigkeitsbereichs wird versucht, die Akteure unter zur Hilfenahme der Definition Kultur- und Kreativwirtschaft (siehe Abschnitt Typus) einzuordnen. Kreative, die mehrere Tä-

Darstellende Künste

24%

tigkeitsfelder bedienen, werden auch prozentual mehrfach zugeordnet.

Kunstmarkt 14% Rundfunkwirtschaft 02%

Das Ergebnis entspricht einer subjektiven Quantifizierung

Filmwirtschaft 08% 5

ateliers-nordbahnhof.de

p.183

p.182

anhand genannter Definitionen, um eine Vergleichbarkeit der Quartiere zu ermöglichen.



Akteure

Wagenhallen — Stuttgart

Abb. vorangegangen Mellmann & Gutbrod GbR Stefan Mellmann und Thorsten Gutbrod Veranstaltungen, Vermietungen, Veranstaltungsräume, Parties

Abb. rechts Fahrräder für Afrika Technik und Solidarität e.V. Clemens Rudolf Fahrräder, Nähmaschinen, Werkzeuge, Schulmaterialien, Literatur, Rollstühle, Gehstützen

p.187

p.186

Abb. links Thomas Putze Skulptur, Bildhauerei, Zeichnung, Installation, Performance, Musik Quelle: Grodotzky



Akteure

Wagenhallen — Stuttgart Abb. vorangegangen café brigade Sebastian Harréus kleine Röstung im Flur ca. 60 Kg pro Monat

Abb. links niessnerdesign Markus Niessner und Team Kommunikationsdesign, performative Installation, Theater

p.191

p.190

Abb. links umschichten DipI.-Ing. Peter Weigand und Dipl.-Ing. Lukasz Lendzinski art, performative installation, public space, intervention, building, exhebition, furniture


alles in den Wagenhallen entstanden ist. Viel-

Ich wollte euch mal fragen, wie das hier

Theater, wobei die einzelnen Vorgänge für

SB

leicht unter dem Stichpunkt der Partizipation.

eine Theaterproduktion wieder in der Kreativ-

Lukas Lendzinski, Peter Weigand, David Bauer

Ihr zwei seid ja schon länger dabei. Das Gebäu-

wirtschaft aufgehen. Nach Richard Floridas

im Gespräch mit Sascha Bauer

de war ja ab 1894 erst eine Lokomotivremise,

Begriff der „kreativen Klasse“ macht diese in

Auf den folgenden Seiten ist ein Gespräch zu lesen, dass

dann eine Wageninstandsetzungshalle und nach

den USA allein schon 30% der Beschäfti-

Sascha Bauer gemeinsam mit den Vorständen des Kunstver-

dem zweiten Weltkrieg eine Reparaturwerkstatt

gungsverhältnisse aus. Das, würde ich sagen,

eins Wagenhallen Lukas Lendzinski, David Bauer und einem

für Omnibusse bis 1999 und ging dann 2003

ist zu weit gegriffen. Im niederländischen

Nutzer, Peter Weigand, geführt hat.

von der Bahn an die Stadt über. Es sind wohl

Raum ist die Definition nach Richard Florida

immer mehr Leute gekommen. War das am An-

aber noch größtenteils anerkannt. Die gro-

fang eher ein informelles Gefüge?

ßen Unterschiede zwischen den Ländern macht

Es wurde versucht, das Gespräch so authentisch wie möglich wiederzugeben. Redewendungen, Dialekte und gelegentliche vulgäre Aussagen wurden zur besseren Lesbarkeit

PW Ich glaube, 2002 oder 2003 oder so

es zudem schwierig, die Kreativquartiere

umformuliert. Örtliche Bezüge auf dem Gelände wurden für den

kamen hier die ersten Initiativen um irgend-

miteinander zu vergleichen.

Leser ergänzt, um einen räumlichen Überblick zu ermöglichen.

was zu machen, die Walli Heinisch, diese

SB

Architektin, zusammen mit noch ein paar

zu den Wagenhallen eher auf einer kulturellen

schreibt mir eine Entschuldigung via SMS, dass er leider nicht

Künstlern. Sie war glaube ich die Initiatorin.

Ebene?

teilnehmen kann, da seine Kinder krank sind. Im Grafikbüro fra-

LL

ge ich nach Markus Niessen. Dieser scheint krank zu sein.

PW Ja genau, so ein Mix aus Musikern usw.

Vereinbarter Termin, 9.30 Uhr, keiner da. Peter Weigand

Auch Karisium, Volker Gebhard, …

Daher die Frage: Entstand die Idee

LL

Das waren 5-10 Leute, die sich formiert

haben. Die sind auf die Stadt zugegangen

Sebastian Harréus versucht Lukas telefonisch zu erreichen. Der

und die Tango-Schule – das war damals aber

und haben versucht, gemeinsam etwas zu

war gestern auf einer Party und hat verschlafen. Sebastian

ein anderer Betreiber. Es war einfach so ‘ne

entwickeln. Die ersten hier haben den Pa-

bringt mich in die Küche, hier soll das Interview stattfinden. Er

Mischung aus Architekten, Studenten, Künst-

pierkram erledigt und dann wurde das

macht mir einen Kaffee und im Gespräch stellt sich heraus,

lern, Musikern, Grafikern usw.

Gelände geöffnet. Nach den Initiatoren füllte

dass er im Obergeschoss der Wagenhallen Kaffee röstet. Ein interessantes Gespräch entwickelt sich. 40 Minuten später

sich das Gelände allmählich. So könnte Entstehung der Wagenhallen

man das grob beschreiben.

kommt Lukas, bemerkt, dass noch kein anderer da ist und ruft

PW Dann kam langsam der Lorinser auf die

David an, kann ihn aber nicht erreichen. Wir starten das Ge-

SB

spräch zu zweit. Nach etwa einer halben Stunde kommt Peter

aus der Kulturwirtschaft. Es gibt ja den Be-

Das klingt eher nach einem Querschnitt

Der war so ein Verwalter bzw. Pächter des

nun doch noch zum Gespräch, da er die Kinder bereits versorgt

griff der Kultur- und Kreativwirtschaft. Der ist

Geländes und der Halle, der das Ganze ir-

hat. Lukas erzählt von seiner aufregenden Partynacht im Scho-

zur Zeit ziemlich angesagt und führt aktuell

gendwie regeln sollte zwischen den verschie-

cken.

zu Kreativwirtschaftsberichten in verschiedenen

denen Nutzern. Diese Aufgaben macht

Bildfläche. Der heißt glaube ich Gerhard.

Städten Europas und dient als Brücke zwischen

heute der Karle (JKS Karle Entsorgung und

Politik, Kultur und Ökonomie. Die Definition,

Recycling GmbH).

die sich im mittleren Europa entwickelte, grenzt

SB

das Ganze noch weiter ein: Das Wirtschafts-

von Anfang an formiert? Oder entstand dieser

Und dieser Kunstverein, war der schon

feld Kultur- und Kreativwirtschaft umfasst fol-

erst später? Die Homepage ist, glaube ich, noch

gende elf Kernbranchen oder Teilmärkte:

von 2004. Seither ist online nix mehr passiert.

Musikwirtschaft, Buchmarkt, Kunstmarkt, Film-

PW Den Kunstverein gab’s eigentlich schon

wirtschaft, Rundfunkwirtschaft, Markt für

immer. Dann hat Volker als Vorstand irgend-

darstellende Künste, Designwirtschaft, Architek-

wann gesagt, dass er raus will.

turmarkt, Pressemarkt, Werbemarkt sowie

Der Kunstverein war eher nur ein „auf-dem-

Software/Games-Industrie. Der übergeordnete p.192

Das ist in diesem Fall wohl eher das

Interview

SB

Demokratie auf dem Prüfstand

Papier“-Verein, kein wirklich aktiver Verein.

Gedanke einer solchen Untergliederung ist die

SB

Bewertung des schöpferischen Aktes.

mehrere parallel vereint oder angesammelt

PW Was ist eigentlich Kultur?

Es macht so den Eindruck, dass hier p.193

Wagenhallen — Stuttgart

Interview Wagenhallen Stuttgart


lichen Duldungen vielleicht etwas Länger-

Reibungen geben muss. Man lässt zwei unter-

Und der Beirat besteht aus dem Karle, dem

fristiges machen kann. Das hat aber nicht

schiedliche Interessengruppen aufeinander

SB

PW Genau kann ich mich leider nicht mehr

Kunstverein (als Sprachrohr oder Organ für

funktioniert, weil die Besitzverhältnisse noch

los und schaut, ob ein anständiges Ergebnis

erinnern, wie der Verein gegründet wurde

den ganzen losen Haufen) und dem Kultur-

unklar waren.

dabei rauskommt.

bzw. mit welchem Hintergedanken. Aber es

betrieb (Veranstaltungsbereich) und jemand

PW Über den Verein wurden dann Verans-

gab schon den Gedanken, dass man sich

von den Hauspaten (die für bestimmte Berei-

taltungen organisiert mit Leuten, die

de ich bestätigen. Es gab z.B. mal den

über den Verein besser organisieren kann

che hier in der Halle zuständig sind, wenn

irgendwie Bock hatten etwas zu machen:

Versuch, den Vorstand des Kunstvereins zu

und letztendlich die Wagenhallen etablieren

jemand neu kommt – funktioniert zwar nicht,

Theaterveranstaltungen, Skulpturenausstel-

vergrößern …

gibt’s aber offiziell). Die Haus-paten wurden

lungen oder die „Hermannsschlachten“

LL

Kunstverein wurde mit der Idee gegründet,

auch im Zuge das Bauantrags wieder akti-

(Theaterstück). Auch die Kulturnächte in

wieder rausgemobbt.

dass alle, die hier auf dem Gelände sind,

viert, um den Mieterwechsel zu organisieren.

Stuttgart wurden über den Verein organi-

SB

im Verein sind und man so eine institution-

Es ist schon so, dass wir mit der Stadt

siert. Es wirkte so, als wäre der Verein die

etablierten Kern und wenn jemand versucht,

… aber die Leute wurden ganz schnell Es gibt in Kreativquartieren oft einen

elle Basis hat. Der Kunstverein hat ein

sprechen. Dieser Beirat besteht aus drei bzw.

Institution für die Leute, die Initiative

dort mitzumischen, hat er es erst mal sehr

Schattendasein geführt und wurde dann im-

vier Säulen, aber die wichtigsten sind der

ergriffen haben. Einerseits als Name nach

schwer. Seine Meinung ist nicht gleichwertig,

mer öfter für Projekte rausgeholt.

Kulturbetrieb, der Kunstverein und der Ver-

außen und andererseits, um Gelder zu

es dauert eine Weile bis er akzeptiert wird.

Über den aktuellen Bauantrag zur Ertüchti-

walter Karle. Die spannende Frage ist, was

beantragen bei verschiedenen Stiftungen.

Auch Markus Miessen schreibt in seinem Buch,

gung der Halle, hat er wieder zu seiner

passiert, wenn der Verwalter Karle in naher

Es ist so: Du kannst nicht kommen und

dass der Außenseiter eigentlich immer neue

ursprünglichen Aufgabe gefunden. Mit Aus-

Zukunft weg geht, da das Gelände zur Stutt-

sagen, wir sind ein loser Haufen aber wir

Ideen mit in eine Gruppe bringen kann, da er

nahme vom Veranstaltungsbereich. Alle

gart 21 Logistikfläche wird. Dann ist nicht

machen gute Sachen. Da wissen die bei der

das ganze Konstrukt noch nicht durchschaut

losen Individuen mit ihren unterschiedlichen

nur die Materialquelle für uns Künstler weg,

Stadt nicht, was sie in ihr Formular schrei-

hat. Demokratie kann nicht echt sein, wenn

Zielen sind nun in diesem Kunstverein als

sondern auch die Person, die quasi von der

ben sollen.

Leute von vorn herein ausgeschlossen werden.

gemeinsam formulierte Stimme versammelt.

Stadt als Vertrauensperson oder Vermitt-

SB

Gemeinsam hat man die Planung in Angriff

lungsperson und Organisationsorgan ange-

Stadt gut, wenn ihr dem Projekt Stuttgart 21

anderen Sich-Einbringen und Vielfalt sind

genommen, wie wir eigentlich unseren Ort

sehen wird. Die Mietverträge laufen ja

eher kritisch gegenübersteht?

ja in diesem Fall nicht das Gleiche. Wichtig

Ja, aber ob das gute Verhältnis wirklich

DB Partizipation und Demokratie und zum

hier haben wollen. Ganz konkret, hier die

über seine Verwaltung. Es ist schon so, dass

LL

Halle, dort die Klos. Das ist aber jetzt schon

der Kunst- verein als Organ dient. Nur war

am Kunstverein liegt bezweifle ich.

es vielfältig wird. Auf der anderen Seite:

wieder am Sterben, weil der Bauantrag

das bis zu diesem Bauantrag nicht wirklich

PW Es ist eher die persönliche Initiative von

Demokratie in dem Kontext ist immer scheisse. Demokratie im kuratorischen oder orga-

ist immer, dass man Ideen einbringt, damit

auf Eis gelegt ist. Und die Aktivität im Kunst-

der Fall und auch nicht notwendig. Bis jetzt

einzelnen Leuten die machen dann Pro-

verein ist auch wieder weg. Für Projekte

gab es immer diese jährlichen Duldungen

jekte im Namen des Kunstverein und alle an-

nisatorischen Umfeld ist der Tod.

wie den Workshop, den wir kommendes Jahr

und dann ist das alles so vor sich hingelau-

deren die im Kunstverein sind, die machen

LL

machen, wird der Kunstverein dann wieder

fen. Aber im Zuge dieses Umnutzungsan-

nichts. Es gibt also keine inhaltlich festge-

kommst nicht zum Machen... DB Es ist schon so, dass der, der neu dazu

Du kommst einfach nicht zum Punkt, du

rausgeholt. Es geht ja nicht nur um den

trags bei dem die Fläche und die Gebäude

setzten Vereinssitzungen und alle helfen

Kunstverein, aber es stellt sich die Frage,

von der Bahn an die Stadt übergeben wer-

dann ehrenamtlich mit. Die offizielle Satzung

kommt, keine wirkliche Hilfe ist. Wenn man

welche Rolle der hier spielt. Denn er ist ei-

den, ist dieser Beirat entstanden. Offiziell

ist sehr sehr offen formuliert.

ein Projekt macht, dann kommt man irgend-

gentlich ein sehr ambivalentes Konstrukt hier.

arbeiten hier ja keine Leute, weil alles noch

SB

Bahngelände mit Wageninstandsetzungs-

wo jeder was dazu beisteuert und dann auch

laufen. Wenn dann wieder jemand Neues da-

halle ist.

wieder profitiert. Nach 1999 waren bereits Leu-

zukommt, dann musst du nochmal alles

te da, oder? Und das Ganze hat dann 2003 so

überarbeiten. Man muss irgendwann aufhö-

Bei der NDSM in Amsterdam ist der

Kunstverein (Stichting Kinetisch Noord) das ei-

p.194

DB Das mit deinem Friktionsgedanken wür-

oder sogar institutionalisieren kann. Der

Funktioniert eine Kooperation mit der

gentliche Sprachrohr zur Stadt. Bei der man

SB

immer einen Ansprechpartner hat. Da gibt es

Stadt und sollte von der Bahn als freie Fläche

Aber es gehört schon seit 2003 der

z.B. jemanden, der durch die Halle läuft und

übergeben werden.

Es ist also eher ein informelles Gewebe,

richtig angefangen. DB Ja, das waren mehrere federführende

wann an den Punkt, wo die meisten Dinge

ren und vielleicht sogar Leute zu einem gewissen Zeitpunkt des Projekts ausschlie-

schaut, dass keine brennbaren Sofas im Flucht-

PW 2003 ging das Gelände an die Stadt

Personen. Später gab es dann Differenzen,

ßen, sonst kommt einfach nur Schrott raus.

bereich stehen etc.

über, die vermutlich erst mit dem Bau von

aber die sind nicht fürs Protokoll.

LL

PW Das ist auch hier mittlerweile so. Wenn

Stuttgart 21 rechtlicher Eigentümer wird.

SB

Für mich ist das ein wichtiger Aspekt,

der Karle mit der Stadt über die Wagenhallen

Der Gedanke war, dass man aus den jähr-

dass es in einer solchen Konstellation immer

Interview

redet, dann sitzt immer der Beirat mit dabei.

fen und gemeinsam vor der Stadt auftreten.

Also als Partizipation würde ich das hier

nicht beschreiben. Es ist eher so, dass sich ein paar Leute finden, die etwas gemeinsam

p.195

Wagenhallen — Stuttgart

sind, die aber trotzdem gemeinsam was schaf-


hat das ja erst mal geklappt und ihre Duldung

SB

werk ist mit der Künstlerszene auch nicht

wurde wieder mal auf unbestimmte Zeit ver-

in der Halle und da war sie schön leer. Eine freie

längert. Wenn also das Interesse entsteht, Din-

Aktionsfläche. Heute ist die Halle wieder voll

SB

Das ist doch das Potenzial hier, dass SB

eigener Initiative, immer mit dem Kunstverein

aus einem informellen Gefüge entstehen.

Es ist ja oft so, dass Kreativquartiere

im Rücken. Eine ganz andere Vorgehensweise

So wie z.B. die Binz in Zürich, dort gibt es kei-

ge zu erhalten oder zu etablieren, dann muss

mit Autos, Wohnwagen, Weihnachtsmarktstän-

man einen Konsens finden. Und dieser Konsens

den, Baumaterial, etc.

könnte vielleicht sogar schon der Stillstand

LL

findet im MuseumsQuartier Wien statt. Da wer- ne Fluchtwege, die Treppen sind viel zu schmal

sein. Der Fokus liegt dann sozusagen nur noch

tet. Das war jetzt jedes Jahr so im Herbst.

den Leute mit Hilfe von Stipendien ausgesucht,

und Sachen sind wild übereinander gebaut.

auf der Selbsterhaltung.

DB Man muss dazu sagen, dass man mal

die dort für einen Zeitraum arbeiten dürfen.

Die NDSM in Amsterdam hat einen ähnlichen An-

Der Schwerpunkt – würde ich sagen – liegt also

fang, allerdings wurde die Kunststad im Inne-

SB

eher auf einer ökonomischen Verwertung des

ren gemeinsam mit den Nutzern, der Stadt und

Beispiel – die Leute wirklich machen was sie

vorne an der Straße weitet sich immer mehr

Künstlers, der ein gewisses Qualitätslevel vor-

Architekten geplant. Jetzt gibt es natürlich

wollen und unerwünschte Leute rauswerfen,

aus. Hier in und um die Hallen herrscht

weisen muss, zumindest bei seiner Bewerbung.

Leute, die davor schon dort waren und das Gan-

dann herrscht doch dort ein ganz anderes kre-

eher so ein stilles Abkommen. Man beschliesst

DB Ein Qualitätslevel gibt es hier nicht,

ze nicht wollten. Und die anderen wollen voran

atives Potenzial als in der Amsterdamer NDSM

etwas gemeinsam und dann macht jeder,

hier kann jeder kommen und machen was er

kommen, ein Café und andere Attraktionen in

oder sogar im MuseumsQuartier Wien.

will. Manchmal mieten sich auch Leute ein,

den Hallen unterbringen, damit mehr Touristen

DB Ich glaub, dass die Binz als solche nicht

die nichts machen und nur die Räume be-

kommen. Es ist natürlich ein Potenzial, wenn

sehr lange bestehen kann. Ohne die Touris-

was Sascha bereits angesprochen hat.

setzen. Das ist natürlich das Schlechteste

die gezeigte Kunst ein breiteres Publikum findet.

ten haben die Hallen keinen Rückhalt durch

Aber wenn das zu publik wird, dann wird es

für den Ort.

Aber auch eine Gefahr. Nun gibt es also differ-

die Stadt. Christiania in Dänemark z.B. funk-

eben offiziell, wie z.B. beim Bauantrag, da

LL

enzierte Meinungen und der Konflikt ist so-

tioniert ja nur, weil dort Touristen kommen

kommen irgendwelche komischen Sanierungs-

zahlen ja ihre Mieten. Aber wenn du sie

zusagen schon vorprogrammiert. Wie bei den

und es im Reiseführer steht.

loswerden willst, kannst du nichts machen,

Waggons, die ich eher als rein autonomes

SB

weil es dafür keine Instrumente gibt.

Gebilde sehe, kann man erkennen, dass sie

tionelle an den Wagenhallen ist also schon ge-

wohl ohne Regeln von der Stadt schon längst

wollt und wird auch gefördert, um den Erhalt zu

nehmen für Nebenkosten usw. Andererseits

geschlossen worden wären. Man sieht also,

sichern? Denn wenn das nicht so wäre, dann

will man das eben auch nicht haben, dass

dass die Leute in den Waggons daraus etwas

wären die Hallen vielleicht abgerissen?

die tolle Aktionsfläche vollgestellt ist; aber

SB

DIe Leute, die die Räume besetzen, be-

Wollt ihr solche Instrumente haben?

Auf dem Weg zur Institutionalisierung LL

Es gab immer wieder Ansätze, Versuche

und Ideen, wie man solche Instrumente

p.196

wirklich vereinbar.

jeder sein eigenes Projekt machen kann mit

Ich war vor fünf Wochen das letzte mal

PW Das kann schon sein...

Die Fläche wird als Lagerfläche vermie-

beschlossen hat, das nicht mehr zu machen.

Wenn jetzt in der Binz – als autonomem

Die Baustelle des beruflichen Schulzentrums

was er will. PW Es gibt hier ja schon eine Öffentlichkeit,

maßnahmen die teilweise völlig absurd sind.

Die Öffentlichkeitsarbeit und das Institu-

Auf der anderen Seite gibt es die Vermietungen, die ja auch dazu da sind, um Geld einzu-

anderes machen wollen, als das, was es an-

PW Ja, ich glaub schon. Als einer der Verant-

der Karle als Vermieter sagt eben, wir müs-

fangs einmal war. Sie wollen oder müssen sich

wortlichen nicht mehr da war, war hier

sen wirtschaften. Keiner hat so wirklich den

etablieren, um den Erhalt zu sichern.

auch so ein bisschen Anarchie bei der Raum-

Überblick.

oder Regeln entwickeln kann, aber das ist

DB Es ist eine Form von Gentrifizierung.

verteilung. Dieses Jahr kam der Schritt mit

immer nach hinten losgegangen.

Da kommt einer an einen Ort, nistet sich ein

dem Bauantrag, das Ganze zu institutionali- manent in einer Art Schwebezustand befindet.

DB Ein Beispiel sind die Waggons auf der

und strickt irgendwelche Tangas. Später

sieren und auch zu organisieren. Unter-

anderen Seite des Geländes, deren Nutzer

kommt dann noch die Freundin dazu und

schiedliche Leute müssen auf einmal an ei-

rung und dem ökonomischen Verwalten der Ak-

aus der Not heraus nun einen Konsens

der Freund vom Freund und irgendwann

nem Strang ziehen und müssen sagen, wie

tionsfläche?

gefunden haben. Die haben ihre Waggons

kommt einer der verkauft Drogen. Das ist für

sie das gerne hätten mit Wänden und

jetzt also „institutionalisiert“ aufgrund

mich so das normale Prozedere in einem

Brandabschnitten. Man muss also ein Kon-

als Verwalter muss natürlich für die Stadt das

ihrer Erfahrung mit Trittbrettfahrern oder

Kreativquartier. Dann hast du jede Menge Är-

zept entwickeln. Das hat auch geklappt

Geld einbringen, will aber auch nicht investie-

irgendwelchen Leuten, die Drogen verkau-

ger. Es ist eine andere Form von Gentrifizie-

auf eine Art und Weise, aber dann wurde der

ren. Ist ja auch verständlich, wenn noch nicht

fen usw. Das ganze war irgendwann so

rung.

ja von der Stadt wieder gekappt wegen zu

mal sicher ist, in welcher Form und ob das Ge-

SB

Würdet ihr sagen, dass man sich per-

Also in dem Sinne zwischen Bauantrag/Sanie-

DB Kann man schon so sagen. Der Karle

wirr, das sie sich selbst Regeln auferlegt

SB

hoher Kosten und dem einsturzgefährdeten

bäude überhaupt bestehen bleibt.

haben, um die Chance zu nutzen, dort

Wagenhallen standen ja auch schon auf dem

Gebäude. Im Moment gibt es also einen

SB

bleiben zu können. Dann mussten sie sich

Abrissplan der Stadt. Dann haben sich aber

Baustopp und es herrscht fast wieder

walter des Geländes mit seinem Schrottplatz,

natürlich gefallen lassen, dass die anderen

Leute zusammengefunden, die sich für den Er-

Anarchie. Viele fangen wieder an, einfach

dem Gelände vor den Wagenhallen und den Hal-

sie als Nazis beschimpfen. Aber das ist

halt eingesetzt haben. Im Falle der Waggons

irgendetwas zu bauen.

len selbst und Vermittler gegenüber der Stadt?

Vielleicht eine Gegenläufige? Die

Interview

halt anders nicht vereinbar. Und ein Regel-

projektbezogen.

Der Karle ist sozusagen der obere Verp.197

Wagenhallen — Stuttgart

machen wollen. Und das läuft dann eben


PW Aber eigentlich gibt es kein Geld von

Gelände zu bringen.

der Stadt. Nur für Projekte über den Verein,

ganzen anderen Haufen von Individuen. Der

der nächste Skulpturen und der übernächs-

PW ... so ‘ne Veranstaltung, wo die Leute

wie 72 HUA oder die Hermannsschlachten.

Kunstverein ist eine Art Partei in dem

te röstet Kaffee. Es gibt viele Interessen

hinschlappen können oder ein Showroom

Dafür gab es Geld, aber keine institutionelle

Ganzen. Es gibt je einen Beirat bestehend

und dann entstehen eben auch mal Konflikte.

oder Museums-Shop. Das MuseumsQuartier

Förderung an sich.

aus dem Kunstverein, Karle, Gutbrot-Mell-

LL

Ich denke das ist nicht sonderbar,

Wien besteht ja aus Museen. Die Binz oder

man (Veranstaltungsbereich), den Hauspa-

wenn 60 Leute zusammenkommen. Es gibt

die Wagenhallen sind auch Produktionsstät-

ten und einem Vertreter aus dem Gemein-

verschiedene Meinungen und die müssen

ten. Aber ihr macht ja schon immer mit bei

Die Frage nach dem Kreativquartier

derat. Der Kunstverein ist eine Art

ausgetauscht werden.

SB

Zusammenschluss von den Leuten, die hier

PW Du findest immer Leute, die dagegen

der Stuttgart-Nacht und der Museums-Nacht.

planbar ist. Wie sieht für euch ein Kreativquar-

SB

Die Frage ist, ob ein Kreativquartier

tier aus?

wohnen und/oder arbeiten. Vor kurzem war

sind und andere sind dafür. Manchen ist es

Also eine gewisse öffentliche Wirkung haben

schon der zweite Bauantrag. Der erste

egal und dann ist die Frage, wer entschei-

die Wagenhallen mittlerweile schon. Das

Vorschlag kam vom Veranstaltungsbereich,

det und was passiert.

Binz-Areal hat logischerweise keinen Muse-

es schon sehr lange. Kreativquartier in dem

die Halle mit einer fetten Mauer zu teilen.

DB Manchmal gibt es Projekte wo Leute

ums-Shop, die NDSM und die Wagenhallen

Sinne verstehe ich als etwas, das schon von

PW Ich würde sagen, Kreativquartiere gibt

Das war natürlich ein klares Zeichen. Der

das Maul aufreißen, was für ein wundervol-

auch nicht. Aber das MuseumsQuartier Wien

Institutionalisierung ausgeht, weil es

eine Teil wäre der, der primär wirtschaftet.

les Projekt sie vorhaben und meistens wird

hat einen, ist also zu was ganz anderem

eigentlich ja schon etwas Fassbares dar-

Wir wirtschaften ja auch, aber halt anders.

dann doch nichts draus. In den meisten

geworden.

stellt. Im Gegensatz zu Zwischennutzungen

Aber der Veranstaltungsort produziert

Fällen ist das auch gut so.

SB

oder besetzten Häusern, in denen sich

natürlich die größte Öffentlichkeit.

SB

DB Du musst das so sehen: Hier gibt es

Nochmal zum Zwiespalt zwischen dem

Wenn sich die Wagenhallen so weit

institutionalisieren wie das MuseumsQuartier

etwas entwickelt.

Autonomen und dem Institutionellen. Es kommt

Wien, dann sind diese nicht mehr von der

DB Ich sehe es als so etwas wie ein Überbegriff: Stell dir mal vor, eine Person

immer den Kreativschaffenden und den

dann die Frage auf, ob die Wagenhallen sich

Stadt weg zu denken und werden zur Kultur-

Geschäftsmann. Das ist nur in einem

immer mehr institutionalisieren um das

stätte. Dann gibt es öffentliche Gelder für

hier zieht aus und macht etwas mit acht

gewissen Maße vereinbar, zumindest nicht

Gebäude letztendlich zu erhalten. Es gibt

Sanierung, Veranstaltungen und Projekte.

Parzellen. Mit Leuten, die wie sie denken,

Gespräche mit der Stadt, den umliegenden

PW Das haben wir ja mit der 72 HUA (72

die nerven nicht, die hören keine laute

leicht fünf bis sechs Leute ein, die hier

Anwohnern etc. und ihr müsst ein einheitliches

Hour Urban Action) über den Gemeinderat

Musik, die wollen nur arbeiten, sonst nichts.

professionell künstlerisch arbeiten.

Meinungsbild formulieren und dann sind

versucht. Es gab 150.000 Euro für das

Die Infrastruktur passt, dann hat sie ihr

plötzlich diese individuellen Wünsche wieder

Festival und die Unterstützung war gebun-

Kreativquartier, aber völlig ohne Institutio-

heißt für dich, so viel Kunst zu produzieren,

eingeschränkt. Man formuliert also einen

den an die Ertüchtigung der Halle. Es gibt

nalisierung. Das sind dann acht Leute und

dass man davon leben kann?

Konsens. Wir wollen herausfinden, welche

also Geld, aber nicht allein für Kulturpro-

jeder arbeitet vor sich hin an seinem

DB Nicht nur. Aber die fünf Leute hier, die

Wirkung ein Kreativquartier auf die Stadt hat

duktion, sondern eigentlich für die Be-

davon leben können, schon. Dazu kommen

und natürlich auch anders herum. Die Frage

standssicherung der Halle. Die Stadt selbst

SB

natürlich die Architekten, Grafiker usw. Das

der Institutionalisierung kommt in diesem

hat nur 7.100 Euro dazu beigesteuert.

quartier wenn jemand ein Bürogebäude

Professionell künstlerisch Arbeiten

eigenen Arbeitsplatz. Aber ist das dann wirklich ein Kreativ-

ruft natürlich Konflikte mit den Leuten

Zusammenhang immer wieder auf und noch

Andere Gelder kamen von Stiftungen etc.

anmietet und nur an Architekten und Grafiker

hervor, die nur Dollars im Kopf haben. Wenn

mehr die Frage, wie wichtig diese ist, z.B. beim

Daraus entstand der Bauantrag und die

untervermietet?

man das will, braucht man mehr Frequen-

Erhalt des Gebäudes.

Umnutzungsgeschichte und keiner wusste

DB Das wäre ja auch ein Kreativquartier.

tierung, Parkplätze usw. Da liegt es nahe,

DB Ich würde sagen es gibt unterschiedli-

wo die 150.000 Euro investiert werden

LL

einfach eine Mauer hochzuziehen, dann hat

che Formen von Rückhalt und Institutionali-

sollen. Das Festival hat jetzt stattgefunden,

dann, wenn der gesamtstädtische Kontext

man das ganze Durcheinander mit den

sierung.

aber wir durften das Geld dafür letztendlich

stimmt.

anderen nicht. Natürlich etwas schade, weil

LL

nicht benutzen, weil es keine baurechtli-

PW Ja, das glaube ich auch.

Das wurde uns ja auch schon vorge-

Interview

Thema: jährlich Öffentlichkeit auf das

Veranstaltungen, der andere macht Bilder,

Nee. Ein Kreativquartier wird es erst

es von der Ideologie der freien, kreativen

worfen, dass wir als solches Konstrukt nicht

chen Möglichkeiten gab, das Geld zu

DB Dann reden wir aber über eine Rele-

Spaßgesellschaft abkommt. Die funktioniert

sichtbar werden.

verwenden. Es gibt jetzt ein paar Hilfsstüt-

vanz. Sozusagen eine „Hallo-hier-bin-ich-

halt irgendwann nicht mehr, wenn man

DB Ja genau, dass wir uns nach außen hin

zen in der Halle – vielleicht wurden die

Relevanz“ und das wird dann wichtiger als

jeden Euro zweimal umdreht.

ganz schlecht vertreten. Angefangen von

damit bezahlt – sozusagen als Kulturstüt-

die Mikromanufaktur. Wichtig ist doch die

PW Es geht ja eher um bezahlbaren Raum

der fehlenden Beschilderung bis hin zum

zen.

Produktion, das ist das A und O.

p.199

Wagenhallen — Stuttgart

für das eigene Schaffen. Der eine macht

Veranstaltungsbereich vorne und dem

in der selben Person. Also mir fallen viel-

SB

p.198

PW Und er ist Vermittler zwischen dem


Je nachdem für wen was wichtig ist.

SB

hat. Solche Orte entstehen überall in der Stadt.

lich verbunden sind und sich des öfteren über

Da stellt sich die Frage, was genau das ist. Für

DB Ja klar, ohne deine Produktion kannst

den Weg laufen?

du das doch in der Pfeife rauchen.

LL

Also wenn ich jemanden nicht leiden

mich ist es primär Leerstand. Dann hat jemand die Idee, an Künstler mit geringerem Anspruch

PW Das wäre dann die Mischung von Pro-

kann, dann wäre ich froh, wenn der endlich

zu vergeben. Es werden niedrige Mieten ge-

duktion und Rezeption vielleicht. Vielleicht

von meiner Bildfläche verschwindet.

währt und man nennt es Kreativquartier. Das

einfach nur ein Museum. Konsum, Museums-

DB Wenn man es nicht besser wüsste, könn-

ist ein anderer Ansatz, als in den Wagenhallen.

Shop...

te man sagen, hier ist totale Harmonie und

Hier war das Ganze eine Entwicklung. Bei den

Händchenhalten.

anderen Beispielen springt man auf das Phä-

SB

Vielleicht kann man das unter dem Be-

griff der Öffentlichkeitsarbeit zusammenfassen. PW Ihr meint ja Produktion, Rezeption und

PW Wenn hier eine Produktion ist, ist es na-

nomen Kreativquartier einfach auf und ver-

türlich naheliegend, dass jemand von hier

sucht Gebäude zu belegen.

irgendwelche Begleiterscheinungen wie

mitmacht und seine Profession dafür einsetzt.

DB In den Wagenhallen gab es am Anfang

Café, Restaurants, Veranstaltungen, also so

Da ist schon auch etwas dran, an dieser

auch billige Mietflächen und jetzt hat es

eine Mischung.

Idee von einem Pool auf den man zugreifen

sich mit dem Kunstverein zu den heutigen

DB Dann ist aber die Frage, aus welcher

kann aufgrund der örtlichen Begebenheit.

Wagenhallen entwickelt. Das braucht

Sicht man das betrachtet. Wenn da z.B. ein

Aber das ist nicht so selbstverständlich oder

einfach seine Zeit. Wenn du nur zwei oder

Gebäude ist, das abgerissen werden soll,

alltäglich.

aber der Bildhauer Häberle arbeitet dort und

LL

hat zweimal im Jahr Museumsnacht und

schen Ausformulierung statt.

entwickelt sich über die Zeit und kann nicht von vorn herein geplant werden?

Das findet nicht in einer so romanti-

drei Jahre Zeit hast, dann passiert nichts. SB

Kulturnacht. Dafür öffnet er sein Atelier und

PW Auch wenn der Kunstverein intern nicht wirklich aktiv ist, hat er mittlerweile so eine

DB Doch, auch. Wenn man die richtigen

hin. Kurz: Zweimal im Jahr ist es offen und

Art Name oder Standing. Aber das hat sich

Leute findet, dann kann das schnell gehen.

alle finden es geil. Dann kannst du das

eher über Einzelproduktionen ergeben.

Gebäude nicht abreißen, weil Feedback oder

DB Das ist kein Kunstverein, in dem man

Rückhalt in der Gesellschaft da ist. Dann

sich einmal die Woche trifft. Aber der

hast du ein Kreativquartier.

Kunstverein ist in erste Linie ein Instrument.

Nehmen wir mal an, da ist ein Gebäude

Image und Außenwirkung der Wagenhallen SB

Im Vergleich mit anderen Kreativquar-

tieren oder sagen wir besser „kreativen An-

in dem nur Grafiker sitzen. Die haben alle

Entstehung & Definition

sammlungen“ – wie seht ihr das Image der

eine ähnliche Ansicht und Arbeitsweise. Im Fall

eines Kreativquartiers

Wagenhallen von außen?

der Wagenhallen wäre das ein ganz anderes

LL

Potenzial. Sagen wir du machst jetzt ein Gemäl- SB

Es gibt seit April ein Leerstands- und

SB

Das würde ich auch gern mal wissen. Was auffällt ist, dass mittlerweile auch

de und anschließend eine Vernissage. Dann

Zwischennutzungsmanagement der Stadt

in der U-Bahn Plakate hängen für Veranstal-

gehst du zum hauseigenen Grafiker und lässt

Stuttgart. Die Stadt hat eine Broschüre heraus-

tungen in den Wagenhallen. Sie sind aus der

von ihm einen Flyer machen. Es ist also eine

gebracht, in der 35 Kreativquartiere in Stutt-

Stuttgarter Kulturszene nicht mehr weg zu den-

Art Kooperation untereinander da.

gart gelistet und näher beschrieben sind.

ken. Und es steigert sich weiter.

LL

p.200

Du würdest eher sagen, so etwas

das übrige Jahr arbeitet er nur vor sich

SB

Es ist gar nicht so sehr das Miteinander.

PW Welches zum Beispiel? Zum Beispiel das L22 im Stuttgarter

DB Ja, das ist der Kulturbetrieb hinten, die

Ich würde das nicht überbewerten.

SB

DB

Westen mit dem Begleittitel „Kreativareal“.

chen sie natürlich auch für ihre Konzerte. Aber es ist immer das große Missverständnis.

Was du vielleicht meinst ist die Option,

Interview

LL

haben natürlich eine gute Publicity – brau-

dass man das könnte.

Das wäre für mich so ein Beispiel für eine Büro-

PW Wenn bei dem Festival z.B. Künstler, Ar-

gemeinschaft. Keine öffentlichen Veranstaltun-

Wenn die Leute an die Wagenhallen denken,

chitekt und Grafiker zusammenarbeiten,

gen, geringer kultureller Beitrag, lediglich

dann denken sie gleich an DJ Schanke. Im

dann liegt das ja daran, dass sie befreundet

angemietete Büroräume.

sind.

PW Das ist halt ein Haus. SB

Genau, in dem jeder seinen Arbeitsplatz

Grunde fährt man da gegenseitig auf dem Trittbrett und profitiert gegenseitig.

p.201

Wagenhallen — Stuttgart

Aber sind sie befreundet, weil sie ört-

Also für dich wäre die Produktion wichtig.


keinen Sinn, das hier einfach aus Spaß zu

Könnte man den Post 21 Workshop und

machen...

DB Es gibt sicher ein paar Leute hier, die

SB

denken, das ist der Mittelpunkt des Univer-

ativquartier programmatisch steuern, planen

lichkeitsarbeit sehen, um den Bekanntheitsgrad

sums und der Harmonie.

und gewisse Rahmenbedingung schaffen, dann

der Wagenhallen zu erhöhen?

PW Das Problem, an einen anderen Ort zu

wird das allmählich zu einem typologischen

PW Es war eigentlich schon gedacht, mit

gehen hat schon auch mit den Möglichkeiten

Ansatz. Die Frage ist: Kann das dann zu einer ei-

die Begleitveranstaltungen als eine Art Öffent-

Wenn du behauptest, man kann ein Kre-

diesen Veranstaltungen ein paar räumliche

zu tun. Die Potenziale des Ortes sind wich-

genen Typologie werden? Also Bahnhof, Flug-

Setzungen zu machen. Für die nächsten

tig. Es ist nicht völlig egal, wo man ist.

hafen, Kreativquartier?

10 - 20 Jahre ist hier hinten die Logistikfläche

Es gibt Rahmenbedingungen, die hier bes-

PW Aber die Räume sind ja schon getrennt

für Stuttgart 21 geplant. Es gibt keine In-

ser sind als irgendwo anders.

in bedachte, unbeheizte Räume, bedachte,

vestoren für das Gelände, die Stadt macht

Dann entwickelt sich etwas, das möglicher-

beheizte Räume, kleinteilige Räume, großtei-

auch erst mal nichts – hat vielleicht auch

weise zum Kreativquartier wird. Vielleicht

lige Räume, beheizt oder unbeheizt usw....

Angst. Dann haben wir gesagt, dann machen

kann man das sogar steuern, wenn man be-

Ja klar kann man das dann planen...

wir einfach was. Das hatte eine Außenwir-

stimmte Leute dort hin holt.

SB

kung und die Halle hat sich etabliert. Jetzt ist

DB Scheiß auf Kreativquartier.

logiebegriff überhaupt noch Sinn macht, weil

es mehr oder weniger ein gefestigter Hau-

LL

eh alles anders aussieht und letztendlich nur die

fen. Es war auch mal gedacht, den Städtebau

matisch planen aber man... SB

Ich glaub du kannst das nicht program...kann Rahmenbedingungen vorgeben.

Mittlerweile bezweifeln wir, ob der Typo-

programmatische Definition übrig bleibt. Man könnte vielleicht besser von einer Methode

den Leuten und den Bedürfnissen, die schon

DB Ich würde behaupten, du könntest so

da sind. Ein städtebaulicher Plan ist ja im-

ein Format entwickeln. Da ist eine Stadt, die

mer spekulativ für irgendwelche zukünftigen

sagt, wir haben etwas Geld und wir bauen

Du hast die Marktlücke Kreativquartier

Nutzer. Wir sind schon da. Dann machen

innerhalb von einem Jahr ein Kreativquartier,

entdeckt. In Rottenburg am Neckar gibt es

wir halt das, was wir brauchen. Eine Art An-

mit Räumen, Showroom, Public-Viewing, mit

eine Kulturnacht. Wofür? Gibt’s halt ein-

knüpfungspunkt, Ausgangspunkt oder

einer Kombination. Die dann ein ähnliches

fach... Wenn man sagt, du bist eine abge-

Impulsgeber.

Programm fahren, wie wir. Ähnlich wie das

fuckte Stadt, was brauchst du alles? Ein

Format der Museumsnacht. Das wird bei

Rotlichtviertel, Kreativquartier oder Flug-

SB

Was passiert, wenn die Wagenhallen

sprechen. DB Sehen wir das mal rein kaufmännisch:

abgerissen werden? Ist es für euch ein Problem,

jeder Stadt jetzt aufgesetzt. Genauso kön-

hafen? Wie beim Spiel SimCity, da gibt es

woanders hin zu gehen?

ntest du so ein Kreativquartier-Konzept

dann auch das Kreativquartier zum Einsetzen.

PW Das ist ja die allgemeine Praxis, dass

erstellen. Vielleicht kommt es darauf an, der

Dann hat die Stadt halt erst ‘ne halbe Mil-

man davon ausgeht, dass die Leute wieder

Stadt ein Format Kreativquartier zu verkau-

lionen Einwohner, später dann zwei. Gerade

woanders hingehen.

fen. All inclusive.

mit Stipendien kannst du ja Leute ziehen,

SB

Das sehe ich auch als Potenzial. Dann

LL

Pass mal auf: Kein Mensch macht ein

die du dort haben willst.

gibt es eben wieder eine neue Mischung von

Kreativquartier, um ein Kreativquartier zu

SB

Leuten aus der Kultur- und Kreativwirtschaft.

machen. Sondern diese Orte entstehen und

Hamburg, Stuttgart,... Jede Stadt versucht, die

Es entstehen neue Beziehungen, neue Konflikte

heißen dann so. Aber was wir doch alle wol-

Kreativen an sich zu binden.

und neue Konflikte sind wiederum neues Po-

len ist doch, unseren Job zu machen und un-

tenzial.

sere Existenz aufzubauen. Wir brauchen

ist nur nach der Qualität der Kreativen. Ein

Räume, in denen wir anfangen können. Und

Kreativquartier muss ja auch nicht an sich

Ort neu entwickelt hast, du irgendwann

solche Räume bilden die Möglichkeit dazu.

qualitativ hochwertig sein um zu funktionie-

einfach kein Bock mehr hast. Vielleicht schon

Sie sind günstig, sie sind experimentierfähig

ren. Es gibt wohl genug Potenzial oder

nach dem ersten mal nicht.

und keine Ahnung was weiß ich noch was.

sagen wir Menschen-Material für solche Kre-

DB Der jugendliche Enthusiasmus spielt da

Es geht nicht darum, ein Kreativquartier zu

ativquartiere.

sicherlich eine Rolle. Sich auszuprobieren,

machen, das ist der Punkt. Das macht doch

PW Es ist so, dass wenn du fünf mal einen

Interview

SB

nach diesem Bedarf zu planen. Also mit

p.202

um später zu entscheiden, was man kann und eigentlich will.

Das macht aber mittlerweile jede Stadt.

DB Also Kreative gibt es genug. Die Frage

p.203

Wagenhallen — Stuttgart

Das Gelände auf dem Weg zu S21 ?


In Karlsruhe hat man versucht, ein Kre-

LL

Die Illusion einer Partizipation oder was?

ativquartier am alten Schlachthof zu planen.

DB Nein, eher aktiv. Tillmann Eberwein,

SB

Das wäre dann auch der Ausblick. Die

dringende Frage nach dem Verbleib der Hallen

Das ist aus meiner Sicht voll in die Hose gegan-

ein Künstler hier in den Wagenhallen, hat das

und was mit ihnen passiert. Auch mit der

gen. Denn durch den planerischen Charakter

mal ganz passend gesagt, dass wir uns

Schule dort hinten und der Logistikfläche für

ist die Stadt von Anfang an mit eingebunden.

selbst „von innen heraus gentrifizieren“

Stuttgart 21.

Wenn die Stadt dabei ist, müssen sanitären An-

müssen.

PW Die haben ja schon Ideen dort hinten

lagen auf einem gewissen Stand sein, Brand-

SB

schutzmaßnahmen, Fluchtwege etc. erfüllt

hier in der Küche statt, was ja in gewisser

vorne mit der Schule so gut geklappt hat.

werden. Dann erreicht man schnell einen Qua-

Weise auch für das Geschehen hier in den Wa-

LL

dratmeterpreis von 10 Euro pro Monat und

genhallen spricht.

ße Phase hier. Irgendwas Komisches wird

es ist für eine gewisse Schicht von Künstlern

Wie unser Gespräch gerade, das findet

PW War alles etwas improvisiert.

einfach nicht mehr bezahlbar. Dann kommt

SB

nicht mehr der autonome Künstler und macht

stellt.

seine Sachen...

Aber genau so hatte ich mir das vorge-

auch Hochschulen hinzustellen, weil es dort Ich glaube, das ist gerade ‘ne ganz hei-

hier passieren... PW Ja. Sporthalle für die Berufsschule zum Beispiel.

PW Das spiegelt wieder, dass wir uns über

SB

Ich danke Euch für das Gespräch.

DB Das ist die Frage, ob es nicht ein Pro-

das Eigentliche mehr Gedanken machen

blem ist, wenn Toiletten fehlen. Ist natürlich

als über unser Auftreten. Es entsteht alles

Das Gespräch wurde am 29.11.2012 in Stutt-

auch die Frage, ob das freie Unternehmer-

aus einem Tun heraus. Wer macht mit, wer

gart geführt.

tum damit umgehen kann. Sanitäre Anlagen

hat Bock. Nicht nach irgendwelchen Ver-

sind gleich Kosten, die sich auf den Miet-

einssitzungen und so. Es wird nix evaluiert

preis schlagen. Dann ist das zu teuer für

oder geplant in dem Sinne, außer jemand

Künstler. Das ist ein Teufelskreis. SB

Interview

Wagenhallen — Stuttgart

SB

hat ein Projekt und holt dazu Leute von hier

Der Prozess ist beim MuseumsQuartier

oder außerhalb.

Wien schon abgeschlossen. Es gibt Fluchtwege,

SB

ausreichend Toiletten, der Brandschutz ist er-

Anzug sitzen würden...

Wäre jetzt komisch, wenn hier jeder im

füllt etc. Wenn die Wagenhallen auch in Rich-

LL

tung der Institutionalisierung gehen, dann gibt

Anzug an, z.B. wenn wir zur Stadt müssen.

Aber wir haben schon manchmal einen

es vielleicht bald ein neues Dach, mehr Toilet-

SB

ten, Fluchtwege usw. und der Mietpreis steigt

on. Wenn du was willst, kommst du persönlich

ebenfalls. Dann werden hier bestimmt andere

selbst als Institution dort hin.

Menschen arbeiten.

Das ist aber dann der Weg zur Instituti-

LL

DB Aber das ist einfach so. Das ist die Gen-

Ja das stimmt, als graue Eminenz. Hat-

ten wir ja vorher schon.

trifizierung. That’s life. Es wird immer als ein Unwort dargestellt, aber das ist ganz nor-

Ausblick

mal. Die böse Natur. So, wie sich alle Städte ständig verän-

SB

Die Duldungen wurden die letzten Jah-

dern. Es gibt Zustände, die kann man nicht

re immer jährlich vergeben. Ich habe gehört,

halten.

dass die bevorstehende Duldung für die kom-

DB Schwierig ist, wenn man den Zustand

menden fünf Jahre gültig sein soll, wenn das

als Gottgegeben annimmt.

Gebäude ertüchtigt ist.

PW Man kann gewisse Situationen und Zu-

PW Ja weil das jetzt nicht mehr offiziell so

stände schon steuern.

geduldet werden kann. Dazu haben die

DB Genau. Die Frage ist, ob das wirklich al-

Wagenhallen mittlerweile ein zu großes Me-

les so ist oder ob man da noch einen Einfluss

dieninteresse.

hat.

p.205

p.204

LL


Universitäten und Institutionen in der Nähe,

Strategien werden langfristige und temporäre

menkommen müssen, die kreativ sind. Was

die noch eine gewisse Neugier und vielleicht

Aktionen gesteuert.

chen Planung der Stadt Stuttgart, im Gespräch

auch immer das zunächst zu bedeuten hat.

sogar auch Erwartungshaltung an solche

mit Daniel Springer

Ein Bekannter von mir, der verschiedenste

Orte mitbringen. Es gibt also viele Faktoren,

Innovation gezähmt wird? Schon im Zu-

Patente angemeldet hat, sagte einmal: „Ich

die so ein Quartier begünstigen und somit

stand des Planens verliert das Neue an

auch ermöglichen können.

Schrecken. Das Neue ist oft überraschend.

DS

p.206

suche mir eine Idee aus und setze sie um.

Einführung In unserem Research geht es um die

US Aber merken sie, dass hier diese

Wenn ich es institutionalisiere, dann führe

Erst dann erweist sich, was Kreativität ist.“

DS

Da kommt nämlich die Kehrseite der Krea-

wurden ursprünglich für andere Nutzungen

ich eine Verstetigung ein. Ich komponiere

Diese vier genannten Gebäudekomplexe

Fragestellung, welches innerstädtische Poten-

tivität zum Vorschein. Wenn man eine neue

geplant. D.h. es handelt sich bei allen vier Kre-

eine soziale Plastik 2, die einen bestimm-

tial Kreativquartiere haben. Genauer unter-

Idee hat, wird man die Neuigkeit dieser Idee

ativquartieren um Transformationen.

ten Wechsel hat. Ich entwerfe eine Villa

sucht haben wir dabei das MuseumsQuartier

am Widerstand der anderen Menschen mes-

US Dabei darf man nicht vergessen: Es

Wien (MQ), die Wagenhallen in Stuttgart, die

sen können. Ich muss dann mit allen Mitteln

gibt in solchen Quartieren eine Pionier-

kommen und dadurch immer wieder neue

NDSM-Werft in Amsterdam und die Binz in Zü-

des Bazars, also der Ellenbogen, dieser

phase. Und wenn diese erfolgreich ist, weil

Orte entstehen.

rich. Diese vier Quartiere stellen eine gewisse

Idee einen Freiraum verschaffen. Denn das

ein Potential vorhanden ist, dann geht das

DS

Bandbreite dessen dar, was wir unter einem

wirklich Neue ist immer fremd. Für einige

Gerangel der Kräfte los. Und es ist ganz

daher auch weltweit bekannt. Deshalb müssen

Massimo 3, so dass jedes Jahr neue Leute

Das MQ ist touristisch ausgerichtet und

Kreativquartier verstehen. Während wir auf

ist es zunächst unbedeutend. Aber viele

schwierig diese Phase lange auszudehnen,

Künstler, die dort arbeiten, einen bestimmten

der einen Seite das MQ als institutionalisiertes

andere sehen ihre Existenz dadurch eventu-

denn die Etablierung setzt irgendwann ein.

Bekanntheitsgrad mitbringen, oder zumindest

Kreativquartier bezeichnen, lässt sich auf der

ell bedroht. Das bedeutet, dass zum Krea-

Die Nutzer erheben Geltungsansprüche. Sie

ökonomisch verwertbar sein.

anderen Seite die Binz in Zürich als autonom

tivquartier eben auch der Kontext gehört.

sagen dann nicht, ich bin jetzt älter, jetzt

besetztes Quartier beschreiben. Die Mitte bil-

Eine Mentalität, die den kreativen Prozess

muss ich wieder raus. Sondern sie sagen,

ich diese Anforderungen erfülle, dann wird

den die Wagenhallen und die NDSM. Was halten

anregt. Einen Prozess des Fortschritts und

es ist jetzt gerade schön, ich bleibe hier.

etwas von mir erwartet. Das ist dann aber

sie von dieser Aufteilung?

US Angenommen ich gehe in das MQ, weil

der Erneuerung. Eine Aufmerksamkeit, die

Und das macht die Sache uninteressant.

nicht das, worauf man käme, wenn man

US Man sieht hier vier verschiedene Orte,

nicht gleichgültig ist, sondern gefährlich

Denn die Quartiere leben von den Pionieren,

sich nicht beobachtet fühlt, wenn man

an denen sich Leute treffen. Was ich sehr

oder interessant sein kann. Dieser sehr ag-

bzw. von dem inneren Zittern, klappt es

sich selbst überlassen ist. Das sind zwei

interessant finde, sind die Funktionsbedin-

gressive Prozess sollte unterstützt werden.

oder klappt es nicht. Es ist diese Not, die

verschiedene Prozesse, denke ich. „Ich

gungen eines solchen Ortes. Ich verfolge

Zudem stellt sich die Frage, ob der Ort die

das Neue stark macht. In dem Augenblick,

bin eingeladen und bekomme Raum und

eine ähnliche Fragestellung bei Plätzen.

nötigen Potentiale bietet, die einen Anstoß

indem die Nutzer wissen, wir haben jetzt

Geld dafür“ ist ein äußerlicher Prozess.

Wann ist ein Platz ein urbaner Platz? Viele

hervorrufen können? In Wien, Amsterdam,

10 Jahre Zeit, uns zu etablieren, ist das

Der innerliche Prozess hingegen findet

Architekten und Stadtplaner denken, wenn

Stuttgart und Zürich gibt es solche Potenti-

zwar schön, aber es geht so ein bisschen in

unbeeinflusst von so etwas statt. Ich hörte

ich schöne Häuser und bestimmte Propor-

ale, solche Umbruch- und Erneuerungspo-

Richtung „Cappuccino“. Den Mechanismus,

neulich ein Interview mit Günther Wand

tionen vor Ort habe, dann ist das ein guter

tentiale.

der einen konstanten Erneuerungsprozess

4. Da sagte er über die Symphonien von

urbaner Platz. Und ich war ganz überrascht

DS

als ich in Marrakesch auf dem Djemaa el

vität zu einer gewissen Infrastruktur geworden.

Gerade in den letzten Jahren ist Kreati-

Fnaa 1 war. Der Platz ist so groß, dass man

Sie bedingt Räume mit einer bestimmten Grö-

die Ränder nur ganz begrenzt wahrnimmt.

ße oder auch mit bestimmter Veränderlichkeit,

Er lebt durch sich selbst und zwar durch

in denen man etwas schaffen kann.

die Menschen. Und seit der Zeit ist mir be-

US Das ist richtig. Es sind auch manchmal

Uwe Stuckenbrock

stellt man fest, dass Menschen zusam-

ner, war bis vor kurzem Leiter der städtebauli-

hervorruft, den sehe ich im Augenblick

Bruckner, dass man die erste Symphonie

noch nicht.

vergessen könne und er bei seiner 7. oder 8. Symphonie versucht habe, an den Erfolg

Das MuseumsQuartier Wien

seiner 5. Symphonie anzuknüpfen, er aber

DS

Singularitäten. Vielleicht ist ein fluktuieren-

nicht geschafft hat. Solche Erfolge sind Es war das Erfolgsmodell des MQ, viele

wusst, dass die Menschen der bestimmende

ganz materielle Dinge. Strom- und Internet-

kulturelle Institutionen an einen Ort zu bringen,

Faktor sind. Die Menschen sollten eine Hülle

anschluss zum Beispiel, ein Kopiergerät und

die durch eine Hierarchiestruktur gesteuert

Meistens ist es immer nur rückblickend

vorfinden, die sie erstens nicht behindert

eine Kaffeemaschine und letztendlich Raum,

werden. D.h. es gibt einen Vorsitzenden und

ein besonderer Ort. Irgendwo haben sich

des Potential in einer Stadt das geeignetste.

und zweitens in ihren Aktionen noch be-

in den es nicht hineinregnet. Bedingungen,

diverse Zuständige auf unterschiedlichen Ebe-

Potentiale aufgetan und es ereignete sich

günstigt. Das heißt, ich muss mir die sozia-

die das Leben leichter machen und durch

nen. Es gibt einen öffentlichen Raum im Innen-

etwas. Oftmals müssen nur zwei oder drei

len Aktionen vorstellen. Was sind notwendi-

die man selbst nicht mit Daseinsvorsorge

und Außenbereich, der als Kulisse dient und

Leute zufällig aufeinandertreffen und eine

ge Voraussetzungen für Kreativität? Dabei

abgelenkt ist. Dann gibt es vielleicht auch

dauerhaft bespielt wird. Durch planerische

Möglichkeit vorhanden sein. Und wenn Po

p.207

Exkurs — Interview

UWE STUCKENBROCK, Architekt und Stadtpla-


Städtewettbewerb sehr aktuell ist und dadurch

Kreativ- oder Kulturinstitutionen. Die Binz ging

wechselnden Bewegungen in der Stadt und

das kreative Potential einer Stadt an oberster

aus einer Hausbesetzung hervor und seitdem

die Möglichkeiten der Zwischennutzung in-

Stelle steht. Ich persönlich finde an Stuttgart

kämpfen die autonomen Besetzer und Nutzer

Leerstellen und Potential

formiert. Damit sind aber auch viele recht-

interessant, dass sie zu den Städten zählt, die

gegen die Auflösung einerseits und gegen

liche Fragen verbunden. Die Bauverwaltung

unter der Abwanderung der Kreativen leidet,

die Etablierung andererseits. Hier spürt man

DS

ist nicht darauf eingestellt, so flexibel auf

aber dennoch ein gewisses Potential aufweist,

ganz andere kreative Kräfte, die schon eher im

solche Fälle zu reagieren. Sie ist super

nämlich durch ihre Größe und auch die Nähe

Rebellischen verankert sind.

eingestellt auf Investorenprojekte, also zum

zu anderen Städten in Europa.

Leerstellen gibt es ja immer mal wieder

in Städten. US Etwa 3-5 % im Durchschnitt.

Beispiel ECE-Projekte 5 mit 500 Millionen

US Was verstehen sie unter Stuttgart? Wie

Leerstellen zwischenzeitlich nutzen könnte?

Investitionssumme. Diese Prozesse sind in-

groß ist Stuttgart für sie?

Eine Plattform für solch eine Organisation gibt

stitutionalisiert. Man müsste Zwischennut-

es noch nicht?

DS

Gibt es Pläne dafür, wie man solche

US Aber das Rebellische, ich würde es auch als das Irreguläre bezeichnen, ist ein Merkmal an dem man die kreativen Kräf-

Gefühlt ist das der „Stuttgarter Kessel“

te spürt. Das Institutionalisierte bzw. das

zungspotentiale so frei institutionalisieren,

mit ca 200.000 Einwohnern. Jedoch weiß ich,

Reguläre ist bezüglich dessen schon fast

US Für meine Begriffe ist das noch nicht

dass man spezielle Befreiungen akzeptiert,

dass der Verwaltungsbereich ca. 750.000 Ein-

ein Widerspruch in sich. Wenn die Züricher

gut organisiert. Es ist immer wieder ein

zum Beispiel im Falle von Stellplätzen oder

wohner hat und die Metropolregion, also der

solch ein Wachstum geschehen lassen,

hinterhereilendes Bemühen, wenn jemand

den Brandschutzanforderungen.

Einzugsbereich, auf ca 2,5 Millionen kommt.

in Not gerät. So wie ich es beobachtet habe, ist es nicht wirklich institutionell oder pro-

DS

So dass es zum Beispiel für den Typ

obwohl sie es aus Gründen der öffentlichen

US Diese drei Ebenen Stuttgart wahrzu-

„Zwischennutzung“ mehrere Auflagen gibt, je

Sicherheit stoppen müssten, dann wäre das

nehmen, gehören eigentlich alle zusammen,

Unterlassen von scharfen Kontrollen eine

denn die Grenzen verschwimmen. Insofern

Bedingung für das Wachstum von kreativen

der Vorgang einen rechtlichen Rahmen be-

bin ich ein bisschen zuversichtlich, was

Situationen. Ob das so geht weiß ich nicht,

kommt.

das Gesamtpotential der Stadt betrifft. Man

aber es könnte sein, dass eben der Zustand der ständigen Unsicherheit diese Situatio-

fessionell. Ein Problem ist es, das Vertrauen

nach Grad und Nutzung? In diesem Fall würde

der Vermieter herzustellen, in diesem Fall das der Zwischennutzer, wenn diese nach 3 Monaten, nach 6 Monaten oder nach einem

US Ja. Man müsste ein Verfahren dafür

muss die wesentlichen Faktoren betrachten.

Jahr schon wieder weiterziehen. Daher stel-

schaffen. Denn wenn ein Gebäude ein

Zum Beispiel die Erreichbarkeit. Ausbil-

nen noch weiter begünstigt – kommen sie,

le ich mir vor, dass dafür zum Beispiel die

Jahr zur Verfügung steht, dann darf es

dungspendler, die oft kurz vor den Toren

oder kommen sie nicht; prüfen sie, oder

Stadt bürgen könnte. Sie müsste die Kom-

dafür nicht ein dreimonatiges Baurechts-

der Stadt wohnen und täglich zu den Schu-

prüfen sie nicht; machen sie dicht, oder

munikation mit den Mietern übernehmen.

verfahren benötigen. Diese Bedingungen

len in die Stadt pendeln, nehmen folglich

machen sie es nicht. Jedoch ist das mehr

Hinzu könnten auch gewisse Bürgschaften

könnte man sicher verbessern. Wenn man

auch am öffentlichen Leben Stuttgarts teil.

eine gelebte Praxis. Das bedeutet in dem

kommen, um Misstrauen zu umgehen. Ein

verallgemeinernd spricht, handelt es sich

Alles ist relativ schnell erreichbar. Die Frage

Augenblick, indem man sie formulieren wür-

anderes Thema wären da noch Kredite.

ja um transitorische Orte, bzw. Interims-

ist, wie man den Prozess der Nutzung von

de, wäre sie unrechtmäßig. Aber das Irre-

Manchmal muss zum Beispiel die Elekt-

nutzungen. Dabei stellt sich die Frage, wie

Leerständen organisieren kann und dafür

guläre gehört meines Erachtens in diesem

rizität im Gebäude vor Einzug überprüft

man den normalen Wandel einer Stadt, der

gleichzeitig eine Vertrauensbasis findet.

Prozess auch dazu. Alles andere wird sehr

werden. Neben der blanken Information des

immer Leerstellen beinhaltet, garantieren

Wahrscheinlich müsste man zu erst einmal

schnell langweilig.

freigewordenen Ortes und solcher Kredite,

kann, um die Stadt weiterhin intelligent nut-

Begriffe dafür finden. Und sobald ein Stan-

DS

wären Zwischennutzungen eine unendliche

zen zu können. Gebäude werden abgerissen

dardbegriff für Interimsprojekte definiert

das zukünftig vorstellen? Könnte man eine Perspektive einräumen, oder muss alles letztend-

Was denken sie, wie könnte man sich

Hilfe, kreatives Potential an eine Stadt wie

und dann heißt es: In zwei oder drei Jahren

ist, läuft ein Programm ab. So etwas wäre

zum Beispiel Stuttgart zu binden. Und es

wird etwas Neues gebaut. Das würde dann

eine günstige Bedingung für das Kreativpo-

lich immer in gesteuerte und geregelte Bahnen

wären dann auch Bedingungen für wirkli-

bedeuten, Freiflächen interimsweise zu

tential zum Beispiel in Stuttgart.

geleitet werden?

che Kreativität gegeben, so dass ein Pro-

nutzen, zum Beispiel als Kleingartenanlage

jekt fluktuieren kann und den natürlichen

oder dergleichen. Andere Räume sollten

Wechsel nutzt, den es in jeder Stadt gibt.

modernisiert werden. In der Summe dessen

Es ist etwas anderes, wenn man Kernzellen schafft. Die haben das Problem, dass sie p.208

DS

US In Kopenhagen gibt es zum Beispiel die Die Binz und das Rebellische

Christiania 6. Die Leute dort haben gesagt:

ergibt das Potentiale, die in ihrer Dynamik

DS

geln gelten. Das ist meines Erachtens doch

eine Gruppe am Leben erhalten können.

als ein Gegenprojekt zum MuseumsQuartier

ein bisschen die Idee der Kreativen. Ein Ort,

Wien. Die Binz liegt etwas außerhalb des Stadt-

an dem andere Regeln gelten als in der Ge-

Wir machen einen Staat, in dem eigene ReDen Fall Binz, in Zürich, betrachten wir

nicht mehr sterben können. Und was nicht

DS

richtig sterben kann, lebt auch nicht. Eine

beinhaltet das, was wir uns heute unter Stadt

zentrums, ist öffentlich zugänglich, aber ohne

sellschaft. Und die Gesellschaft ist dadurch

Idee wäre es, eine Förderung zu installieren,

vorstellen. Auch aufgrund dessen, weil der

touristische Ausrichtung, d.h. ohne klassische

charakterisiert, dass

Diese intelligente und kreative Nutzung

Uwe Stuckenbrock

die durch ein Informationssystem über die

wo es sich entfalten kann.

p.209

Exkurs — Interview

tential da ist, dann findet sich meistens ein Ort,


sozialen Bewegungsprozess zu gestalten,

man das auch als Teil dieses Prozesses

achtet, bestimmte Dinge zu unterlassen,

dessen Lebendigkeit davon abhängt, dass

sehen. Ein Kreativquartier ist ein Ort, der

die Menschen aktiv mitwirken.

diese Anfangsphase besitzt, in der es rich-

nicht Teil dieser Gesellschaft sind. Und dieser

die man in einem normal Planungsprozess

Punkt ist schwierig, weil wir einen Grundsatz

machen würde. Das würde einen negativen

DS

haben, der besagt, dass es überall gleiche

Planungsprozess bedingen, der sagt: Halte

enwettbewerbe, die versuchen Lösungsansätze

Etablierungsphase, in der es auch andere

Lebensbedingungen geben muss. Das ist

dich zurück, lass es geschehen, entwerfe

hervorzubringen. Zum Beispiel im Fall des

Gruppen anspricht und nach zehn Jahren

zunächst einmal positiv, aber es bedeutet

vielleicht eine kleine goldene Pforte, so

Oberhafen Quartiers in Hamburg oder einem

stirbt es.

eben auch, dass rechtsfreie Räume schwer zu

dass man weiß wo man reingeht. Wir spre-

neuen Wettbewerb für ein Kreativareal in Mün-

etablieren sind. Die einzige Möglichkeit ist die

chen hier von einer ganz anderen Planungs-

chen.

Hausbesetzung, das möglicherweise legitime

logik. Das heißt man muss wissen, wie man

US Nach dem Motto: Gib mir eine alte Ei-

aber illegale Mittel. Das kann man natürlich

Anreize schafft. Daraufhin müsste man

senbahnfabrik, Hauptsache alt. Das garan-

DS

nicht propagieren. Das ist auch extrem schwie-

es geschehen lassen. Wenn man so denkt,

tiert schon 90 % des Erfolgs. Dann macht

Kreativquartieren sind meistens sehr interes-

rig. Alles andere ist schon wieder viel weniger

tig lebendig ist. Dann geht es über in eine

Treffpunkt Kreativquartier Die Architektur und die Menschen in

man etwas formal Schönes rein – aber

sant, gerade wenn man an die Verknüpfung

es darf nicht zu neu sein, sonst sind die

von künstlerischer Arbeit und Kunstkonsum

klassische Art und Weise einen Funktionskata-

Anderen irritiert – das ist ja nicht kreativ.

denkt. Daher besuche ich gerne Kreativquar-

log abzuhandeln.

Kreativ ist eine Chiffre für das, was viele

tiere wenn ich andere Städte bereise. Mit dem

Abenteuer und erfordert viel weniger Not.

DS

Und dadurch wird dieser Erfindungsreichtum schon wieder gezähmt. Die Kreativen werden

Das würde also bedeuten, nicht auf

auch in eine Paradoxie verwickelt. Stellen

US Nein, dann hätte man ein Standard-

schon erwarten. Meine Auffassung ist eher

Wissen, dass es nun diese Architektur – oder

sie sich mal vor, die Stadt würde sagen: So

quartier eines schicken Architekten. Aber

die, wenn etwas Neues entsteht, irritiert es

besser – diese Bewegung auch in anderen

alle wären gleich auf der Welt.

oftmals erst. Gerd Binnig 7 hat in seinem

Städten gibt, fühlt man sich empfangen, weil

Buch „Aus dem Nichts“ versucht zu erklä-

es vielleicht einfacher erscheint, Leute zu treffen, die ähnliche Interessen haben.

jetzt seid doch mal kreativ! Das würde ihnen jegliche Kraft nehmen. Es funktioniert nicht

DS

auf Befehl. Das heißt es ist eine richtige Kunst.

pologie“ verstehen würde, dann könnte man es

ren, wie es zu der Erfindung des Raster-

Wahrscheinlich bekommt man für jeden Ort

auch mit einem Flughafen oder Fußballstadion

tunnelmikroskops gekommen ist. In einem

US Das finde ich ja interessant. Ich hatte

eine etwas andere praktische Lösung. Insofern

vergleichen. Man könnte einen Katalog entwer-

Forschungslabor von IBM hatten die For-

vorher angesprochen, dass es um die Men-

ist es interessant zu sehen, wo und wie sich

fen, der besagt, wie viel Verkehrsfläche man

scher totale Freiheit. Binnig hat analysiert,

schen geht. Wenn ich nun einen Standort

diese Kreativbiotope in Wien, Amsterdam und

benötigt oder welche Funktionen hinzukom-

dass die Voraussetzung zur Emergenz von

betrachte, der natürlich auch Teil eines dy-

anderen Städten entwickelt haben.

men. Wenn man berücksichtigt, dass Richard

Neuem ein Kommunikationsprozess ist, der

namischen Systems ist, dann bedeutet das,

Florida vielleicht Recht hatte mit seinem Buch

fraktal gestaltet ist. Das heißt, Informatio-

dass dieser Standort davon lebt, dass die

Planung eines Kreativquartiers DS

p.210

könnte das eine Form der Planung sein.

Im Moment sind es hauptsächlich Ide-

Wenn man ein Kreativquartier als „Ty-

nen werden eingesammelt und gebündelt,

Milieus sich wechselseitig austauschen und

man vielleicht von nun an beginnen, für Krea-

danach wieder neu eingesammelt und neu

voneinander lernen. Dann sind das interna-

„The Rise of the Creative Class“, dann müsste

Uwe Stuckenbrock

wahrscheinlich viel mehr, dass man darauf

Identität gerade dadurch gewinnen, dass sie

Im Studium waren wir kürzlich mit der

tive zu planen und diese „Typologie“ zu ent-

gebündelt, usw. In jedem Schritt entstehen

tionale Stützpunkte oder kosmopolitische

Aufgabe befasst, ein Kreativquartier für Ham-

werfen? Wie könnte ein Architekt mit diesem

dann wieder neue Assoziationen. Wenn

Stützpunkte in einer Stadt, von denen ich

burg zu planen. Das bedeutet, dass unsere

angesprochenen Paradox umgehen? Klassi-

einem solchen Prozess keine Widerstände

weiß, dass ich nicht erst mühsam alle Kräf-

junge Architektengeneration nun damit auf-

sche Bürogebäude sind vielleicht nicht ideal,

entgegenstehen, dann ist die Möglichkeit

te zusammensammeln muss, um Kontakte

wächst, solche „Typologien“ als etwas Gegebe-

um diesem Typus gerecht zu werden.

groß, dass Neues entsteht. Für meine

für mein Interesse zu finden. In diesem Fall

nes bzw. Notwendiges wahrzunehmen. Dabei

US Ich glaube, eine Bedingung ist, dass

Begriffe ist die Frage interessant, ob man

würde eine Institutionalisierung auch ihren

wurden wir dazu aufgefordert, grundlegend

der Architekt nicht als Außenstehender

notwendige innerliche Bedingungen herbei-

Sinn haben, nämlich wenn der internationa-

darüber nachzudenken, ob derartige Quartiere

plant, sondern selbst Teil des Prozesses ist

führen kann, damit solche Prozesse be-

le Austausch dadurch begünstigt wird. Und

überhaupt planbar sind?

und auf die anderen angewiesen ist. Das

günstigt werden. Und welchen äußerlichen

das rekombiniert sich in diesen Zentren

US Ein netter Gedanke zunächst einmal,

wäre ein Selbstorganisationsprojekt. Parti-

Rahmen man schaffen kann, der dem nicht

ständig. Das finde ich eine interessante

aber dennoch eine Paradoxie, ein Krea-

zipation ist letztendlich obrigkeitsstaatlich

entgegensteht.

Idee. An dem Beispiel würde das natürlich

tivquartier planen zu können. Es müsste

gedacht. Jemand mit einem staatlichen Auf-

DS

eher heissen: Schaffe günstige Voraus-

trag beteiligt die Leute. Für meine Begriffe

ren könnte man deuten, dass es auf Dauer an

setzung für die Möglichkeit der Entfal-

kommt der Ausdruck der sozialen Plastik

Attraktivität verliert?

tung von Potentialen. Und das bedeutet

dem am nächsten. Die Vorstellung, einen

Im Zusammenhang mit Kreativquartie-

US Ja, das kann sein. Aber vielleicht muss

bedeuten, dass man für diesen Wechsel Einheiten plant, welche nicht zu groß sind. p.211

Exkurs — Interview

sie ihre Regeln hat. Die Kreativen wollen ihre


genauso tickt wie er. Und dann vielleicht

falsche oder schlampige Kopierung von Ge-

früher ganz primär bedeutet hat. Der Ort

noch einen. Dann fängt es an, für ihn inter-

nen etwas anderes, das sich dann prüft und

könnte man durchaus planen.

mit den meisten Möglichkeiten. Auf dem

essant zu werden. Die kreativen Menschen

merkt, ob es zurecht kommt oder stirbt.

DS

Land, zwischen zwei oder drei Bauernhö-

sind ja nicht die typischen „Citizens“, also

Das sind quasi diese Events. Sie blühen auf, obwohl eigentlich ein ständiges Angebot an

Das Spannende ist, dass man bei jedem

Besuch etwas Neues entdeckt. Das heißt der

fen, hat man eben nur eine begrenzte Wahl.

nicht die Menschen mit einem gewissen

Ort unterliegt einer ständigen Veränderung

Stattdessen wird heute durch die moderne

Maß für Recht und Ordnung, mit Lebens-

Dingen vorhanden ist, und plötzlich bleibt

oder Anpassung durch die Leute, die das

Telekommunikation und schnelle Infrastruk-

versicherung und Lebensplanung. Es sind

dann etwas Neues. Aber dadurch, dass

Gebäude im Moment nutzen. Muss das Kreativ-

tur auch eine Existenzform eröffnet, die

die Menschen, die eben dieses Nomadi-

ständig Alternativen produziert werden,

quartier einer ständigen Veränderung unterlie-

Kombinationen in einem größeren Netzwerk

sche denken und leben können Es sind die

wird im Prinzip ein morphologischer Raum

gen um interessant zu sein?

zulassen.

Seefahrer oder Weltraumfahrer, sprich es

aufgespannt, der bei einer bestimmten Zahl

US Es gehört allerdings auch dazu, dass

DS

ist eine andere Lebensform, die mit wech-

von Elementen, kontinuierlich Millionen von

etwas gleich bleibt. Ich hatte mich vorher

hallen in Stuttgart nicht existieren würden,

selnden Bedingungen umgehen kann. Im

Kombinationen durchspielt. Am Beispiel des

auf diese Idee des Fluktuierenden in der

dann könnte die Stadt für einen jungen Kreati-

Bild des Seefahrers sind sie eigentlich sehr

Projekts 72HUA 8 in den Wagenhallen haben

Stadt bezogen. Wenn ich es jetzt einmal

ven unattraktiv wirken.

gut aufgehoben. Leute, die mit vielen ver-

die Teilnehmer begonnen zu kombinieren

Gerade zum Beispiel wenn die Wagen-

allgemein aus einem Stadtgedanken he-

US Ja gerade wenn man das Muster schon

schiedenen Situationen navigieren können

und schließlich kam etwas dabei heraus,

raus betrachte, dann ist es gut, wenn es

einmal in anderen Städten wahrgenommen

und damit zurechtkommen. Dazu gehören

das überrascht hat. Es ist also ein ständiger

irgendwo einen Ort gibt, der auch stabil ist.

hat. Wenn eine Stadt nicht wach genug ist

eben auch Häfen, wenn man diese Metapher

Rekombinationsprozess durch Menschen,

Dann kann das andere wandern und sich

und solche Zusammenhänge nicht ganz

nun weiterverwendet. Diese Häfen, das

die sich zusammenfinden und Gedanken

verändern. Da ist wieder dieser fraktale

einordnen kann, dann nimmt sie an einem

sind Strukturelemente oder vielleicht auch

austauschen. „Pop-Up“ oder das Event ist

Gedanke: Ein Netz von kreativ wandelnden

bestimmten Spiel nicht teil. Stattdessen

Kreativhäfen, an denen Gefahr lauert, in

im Prinzip das äußere Geschehen, das sich

Stützpunkte, aber auch etwas, das sich in

wundert sie sich, warum sie nicht attraktiv

der Form des Neuen und Unkonventionellen.

während dieses Prozesses abspielt.

wenigen Dingen als konstant erweist. Ich

wirkt.

spreche von Orten, in denen starke Rekombinationen möglich sind. Das könnte dann

DS

Aktionen ist der, öffentliche Reaktionen zu

Der Reiz bei solchen temporären

produzieren bzw. auch zu provozieren. Man-

Städtewettbewerb und Kreativität Reiz des Improvisierten

auch eine Bedingung an den Ort sein. Dass

che Leute sind verärgert, andere unterstützen das. Die Meinungen sind gespalten. Aber eben

er wandelbar ist, dass er mit Muskelkraft

DS

veränderbar ist, aber auch dass er sich

quantitativ zu messen. Sie nehmen nur am

DS

intellektuell wechselnden Bedingungen

Rande am ökonomisch verwertbaren Prozess

sehr aktuell. Dinge entstehen kurzfristig und

Aufmerksamkeit hervorgerufen wird, die die

anpassen kann. Dann wäre das nämlich ein

teil. Aber dennoch ist das Bewusstsein gestie-

verschwinden dann wieder. Der Reiz des Un-

Diversität in der Stadt unterstützt.

ganzes System weltweit, in dem es immer

gen, diese Menschen mit ihrer ganzen Umwelt

vorbereiteten, des Improvisierten und letzt-

US Das setzt meines Erachtens parallel

irgendwelche Kristallisationspunkte gibt,

an eine Stadt zu binden, weil sie einerseits

endlich auch des Events, das heißt des öffentli-

dazu voraus, dass man öffentlich für eine

die kommunikativ zusammenhängen.

global verknüpft sind und andererseits eine

chen Machens. Auch wenn dies nur kurzfristig

gewisse Liberalität wirbt. Nämlich dass

Unsere Generation ist stark geprägt

gewisse Szene und somit Potential mit sich

stattfindet, kann es dennoch bedeuten, dass

sich nicht an jeder Ecke ein Klu-Klux-Klan

von Kurzanstellungen, gerade bei den Krea-

bringen. Daher könnte es in naher Zukunft

durch dieses kurze Aufleben ein gewisser Geist

gründet, der so etwas aktiv bekämpft, son-

tivschaffenden. Das beeinflusst unser ganzes

möglich sein, das gewisse Städte in diesem

bestehen bleibt, der im Zuge dessen neue Din-

dern dass vor dieser alten Kulisse unseres

Leben. Der konkrete Arbeitsplatz hat sich

Wettbewerb um die kreativen Köpfe verlieren,

ge entstehen lässt.

aufgelöst und wir arbeiten auf dem Weg oder

weil die Anreize fehlen.

DS

p.212

Diese Häfen ziehen an. Das ist Parsifal, von dort kommen die Ritter her. (lacht)

Es ist relativ schwer, kreative Berufe Derzeit ist der Begriff des „Pop-Up“

das finde ich interessant. Dass eine gewisse

Denkens und unseren Handelns sich etwas

US Man könnte das mit der Natur verglei-

ereignet, das immer wieder punktuell etwas

in unterschiedlichen Städten. Kreativquartiere

US Vermutlich ja. Wenn ich überlege, was

chen. Die Natur ist ja enorm verschwende-

Neues ist. „Sei neugierig“ könnte es als

sind dabei Zentren, die in regem Austausch

mich an eine Stadt bindet, dann sind das

risch, wenn man betrachtet, wie biologisch

öffentliche Aufforderung heißen.

untereinander sind und ein Netzwerk bilden, in

die Menschen. Von Häusern allein kann ich

Neues in die Welt kommt. Sie produziert

dem man immer wieder Leute aus demselben

nicht leben. Für einen kreativen Menschen,

ständig Menschen, Pflanzen und Tiere, die

Milieu trifft, die aus verschiedenen Städten

der ständig nur auf taube Ohren stößt, wird

dann in einem Umfeld entstehen, folglich

kommen.

es in dem Augenblick interessant, in dem

beginnen zu wachsen und schließlich über-

DS

er einen einzigen Menschen findet, der

leben oder sterben. Dabei entsteht durch

tion von Stadt. Diese Tatsache drängt sich

US Es ist auch ein soziales Netzwerk, das

Uwe Stuckenbrock

Chancen bietet. Eigentlich das, was Stadt

che und Zufallsbegegnungen entstehen. Das

Wer produziert Stadt? Das heißt, wir sind alle Teil der Produk-

p.213

Exkurs — Interview

Sie müssten offen sein, so dass Kontaktberei-


werden können, oder ständig einer inneren Umdeutung unterliegen. Wir haben festge-

diese auch verändern, egal ob er am Fließband

stellt, das z.B. die Gründerzeitquartiere da-

oder im Kreativbüro arbeitet.

für sehr gut geeignet sind. Sie bieten zum

US Gerade dieser Rollenwechsel vom

einen dieses Konstante und schöne Gebäu-

Zuschauer zum Selbermachen ist wichtig.

de, aber im Inneren lassen sie ganz viele

Wahrscheinlich würde zu so einem Konzept

Umdeutungen zu. Das bedeutet, es sind

auch dazugehören, dass die Städte ver-

ganz viele Zukünfte möglich ohne haltlos zu

suchen, sich weltoffen zu zeigen. Meines

sein. Womöglich ist das beste Kreativquar-

Erachtens ist die Relation von Konstantem

tier nicht eine große Halle, sondern einfach

und Veränderbarem eine wichtige Bedin-

eine Mischung aus Konstantem und Ver-

gung. Eine Klagemauer, die 5000 Jahre

änderbarem. Also ich neige nicht mehr so

lang steht, ist ein heiliger Ort oder garan-

sehr zu dem Begriff der Typologie, sondern

tiert unverändert, obwohl sich die Umge-

beeinflusst durch Christopher Alexander 10

bung ständig verändert und die Menschen

zu dem Begriff des „Pattern“. Ich glaube,

immer neue Dinge hervorbringen. So

vom Ansatz her sind es Funktionspatterns,

entsteht eine Dialektik, bei der immer etwas

die sich verräumlichen. Es sind Logiken des

Neues entsteht, aber das Wesentliche im-

Verhaltens, die stark an die Ontologie des

mer gleich bleibt, nämlich der Mensch mit

Menschen bzw. an seine Eigenart gebun-

seiner Kreativität vor dieser archaischen

den sind. Und wenn man das etwas näher

Kulisse. Beim Entwurf eines solchen Zent-

beleuchtet, wäre es interessant herauszu-

rums könnte ich mir vorstellen, dass man

finden, ob es solche Patterns, also solche

zeitlose Elemente integriert, in denen sich

Kreativpatterns, gibt.

das Leben entfalten kann. Spielräume zum

DS

Leben eröffnen, wie das Ulrich Conrads 9

Gespräch!

Herr Stuckenbrock, vielen Dank für das

1 Djemaa el Fnaa, Zentraler Marktplatz in Marrakesch, Marokko.

Uwe Stuckenbrock

Exkurs — Interview

immer mehr in das Bewusstsein der Menschen. Jeder Mensch ist Nutzer der Stadt und kann

2 Soziale Plastik, Dies ist ein Begriff der von Joseph Beuys geprägt wurde. Dabei vertritt er die Vorstellung einer gesellschaftsverändernden Kunst, nämlich dass jeder Mensch durch kreatives Handeln die Gesellschaft verändern kann. 3 Villa Massimo, ist eine Deutsche Akademie in Rom, die einjährige Stipendienaufenthalte an herausragende deutsche Künstler vergibt. 4 Günther Wand, 1912-2002, deutscher Dirigent. Bekannt für die Einspielung der 5. Symphonie von Anton Bruckner mit dem WDR Sinfonieorchester Köln 1974. 5 ECE, steht für EinkaufsCenter-Entwicklungsgesellschaft. Diese Firma ist europäischer Marktführer auf dem Gebiet von innerstädtischen ShoppingCentern.

mal genannt hat: „Städte sind Spielräume Das Gespräch wurde am 26.08.2012 in Stuttgart geführt. Ist der Begriff der „Typologie“ obsolet? DS

Wir haben festgestellt, dass sich der

Begriff der „Typologie“ nach seiner klassischen Definition durch den Gebäudetyp des Kreativquartiers auflöst bzw. nicht mehr aktuell ist. Das heißt Ort, Substanz und Nutzung vollziehen vollständige Transformationen und bedingen keinen Neubau. Die Hülle ist vorhanden, die Nutzung wurde zeitgenössisch angepasst und transformiert und der Ort oder die Wirkung des Ortes hat sich durch die Nutzung verändert. Bedeutet das, dass wir den Begriff p.214

der Typologie vielleicht erweitern müssen? US Ich denke wir sprechen hier eher von Metatypologien. Orte, die umgedeutet

6 Christiania, die Freistadt Christiania liegt in Kopenhagen und besteht seit 1971 als eine staatlich geduldete autonome Kommune. Sie ist heute ein bekanntes und auch touristisches Ziel in Kopenhagen. 7 Gerd Binnig, *1947, deutscher Physiker und Nobelpreisträger. 8 72HUA, 72 Hour Urban Action; Architektur-Wettbewerb, bei dem 10 internationale Teams in 3 Tagen und 3 Nächten Projekte im Stadtraum planen und gleichzeitig realisieren. 9 Ulrich Conrads, *1923, deutscher Architekturkritiker und Autor. 10 Christopher Alexander, *1936, US-amerikanischer Architekt, Architekturtheoretiker, Systemtheoretiker und Philosoph. Autor des Buches „A Pattern Language: Towns, Buildings, Construction“.

p.215

für Leben.”


NDSM | Kreativquariter in Amsterdam Einführung p. 216 – 225 | Urbaner Kontext p. 226 – 235 | Städtebaulicher Wandlungsprozess p. 236 – 241 | Geschichte p. 242 – 247 | Gebäude p. 248 – 257 | Organisation p. 258 – 259 | Interview mit Rob Post p. 260 – 261 | Interview mit Eva de Klerk p. 262 – 263 | Akteure p. 264 – 273 |



NDSM — Amsterdam

Einführung

p.220

p.221


NDSM — Amsterdam

Einführung

p.222

p.223


und setzt sich aus den ehemaligen Besetzerszenen Ams-

mittelbarer Nähe zur Amsterdamer Innenstadt. Gegen-

terdams, Künstlern, Theaterschaffenden, Skatern und

über des Hauptbahnhofes befindet sich die NDSM

Architekten zusammen. 1 Zur Füllung der Kunststad-

auf der nördlichen Uferseite des Flusses Ij. Das gesamte

Struktur (siehe Grundrisse im Abschnitt Gebäude) kann

Areal der 1984 in Konkurs gegangenen Nederlandsche

jeder Mieter selbst über Kosten, Design und Qualität

Dok en Scheepsbouw Maatschappij umfasst rund

seines eigenen Raumes mitbestimmen. 2

86.000 qm. Die NDSM-Werft – Im Laufe einer autonomen Haus-

Projektergebnis – Heute präsentiert sich die NDSM mit der Kunststad als kultureller und kreativer Anziehungs-

besetzung Ende der 1980er Jahre wird die Kommune

punkt. Weit über 100 Akteure, die primär der Kultur-

Amsterdam-Noord auf die Akteure aufmerksam.

und Kreativwirtschaft zugeschrieben werden können

Die Stichting Kinetisch Noord, verschiedene Hausbe-

Einführung

NDSM — Amsterdam

Einleitung NDSM | Das Gelände befindet sich in un-

befinden sich heute in den Hallen. Sie organisieren sich

setzer der ersten Stunde und Vertreter der Stadtverwal-

im Bottom-Up-Prinzip. Mit regelmäßigen Veranstal-

tung kommen zusammen, um einen Wettbewerb für die

tungen (Partys, Lesungen, Ausstellungen, Theater, Floh-

Halle zu formulieren. Das Konzept sieht die temporäre

markt) und Kunstprojekten auf der Außenanlage des

Ansiedlung kultur- und kreativwirtschaftlicher Nutzer

Areals ist die Hafenbrache als neuer öffentlicher Raum

vor. Dynamo Architekten aus Utrecht gewinnen mit

eine belebte Ergänzung zum Stadtraum.

ihrem Beitrag den Wettbewerb und das Projekt wird kurz darauf mit allen Beteiligten realisiert. Die große Produktionshalle wird instandgesetzt und im Zuge eines Nutzungsvertrages der Initiative übergeben. 1 ative „Kinetisch Noord“ operiert als Trägerorganisation

1 2

vgl. Overmeyer 2004, 49 vgl. Webseite NDSM www.ndsm.nl Bezirk Noord

p.225

p.224

Administration – Die zu diesem Zweck gegründete Initi-


Urbaner Kontext NDSM-werf kinetisch noord tt Neveritaweg 15 1033 WB Amsterdam Amsterdam-Noord

1 : 10 000

NDSM-Werft Gelände

in Amsterdam-Noord Fläche ca. 86 000 m2

p.227

NDSM — Amsterdam p.226

NDSM


Urbaner Kontext Houthavenveer

NDSM — Amsterdam

er gve

we

p.228

Infrastruktur

Bus

Citybike Station Haltestelle

Besonderheit: Hauptstraßennetz Auto 41%, gemischt 59% Fahrradstraßennetz Fahrrad 37%, gemischt 63%

Flächennutzung

Gründfläche Wohnen & Gründfläche Wohnbaufläche Gemeinbedarf & Grünfläche

Gemeinbedarf Gemischte Baufläche Gemischte Baufläche (Verwaltung) Gewerbliche Baufläche

p.229

NDS

eer erfv M-W

tel Dis


Urbaner Kontext Wiese

Wasser

Umgebungsaxonometrie

U-Bahn

Fähre

Haltestelle

Strasse

p.231

NDSM — Amsterdam p.230

Natur


Urbaner Kontext

NDSM — Amsterdam

250 m 32 0

veer Werf Erreichbarkeit

320 m NDSM-Werft (Fähre) 250 m Klaprozenweg (Bus)

1 : 5 000

Gebäudealter

< 1943

> 2000

1943 – 1985

keine Angabe

1985 – 2000

p.233

p.232

MNDS

Houthavenveer

m

ÖPNV


Urbaner Kontext

NDSM — Amsterdam

12 12 15

12 16 13 12

12

14 12 2

8 5 10

7 12

12

17

1

6

3 9

11

12

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

NDSM Scheepsbouwloods (Kunststad) IJ-Hallen, NDSM Maschinenhalle (leer) CafĂŠ Restaurant Noorderlicht Huisvesting Studenten (Studentenwohnheim) MTV Networks Headquarter Niederlande Red Bull Headquarter Niederlande Greenpeace Headquarter (ab 2014) IJ-kantine Pllek Strand-Bar & -Restaurant Amstel Botel Amsterdam Stichting Beheer NDSM-werf Oost

12 13 14 15 16 17

Kleingewerbe Hulshoff&Verhuizingen Logistikunternehmen Spinhex & Industrie Drukkerij (Druckerei) KaderLyceum Schule Pantar Amsterdam Schiffsbau- und -reparaturbetrieb

p.235

p.234

Nutzung


Städtebaulicher Wandlungsprozess

NDSM — Amsterdam

Städtebaulicher Wandlungsprozess

Bebauung*

Der städtebauliche Wandlungsprozess vollzieht sich in der Stadt Amsterdam hauptsächlich an zwei Orten: der Innenstadt und entlang des Flusses Ij. Im Bereich der Innenstadt kann man beobachten, dass viele alte Gebäude renoviert und teilweise in Museen umgewandelt werden. Der Anteil von Museen im Innenstadtbereich ist prozentual sehr hoch und das Gebiet wandelt sich zu einem interkulturellen und internationalen Museumsvorplatz für Touristen. Der städtebauliche Wandlungsprozess entlang des Flusses Ij hat schon vor vielen Jahren begonnen. Als nach dem Zweiten Weltkrieg die Werften reihenweise ihren Betrieb einstellten oder

1925

auf ein günstigeres Gelände nord-westlich der Innenstadt verlegt wurden, entstanden nach und nach neue Siedlungen. Borneo Sporenburg, als eine der bekanntesten Wohn- und Arbeitsstätten entlang des Ij und weitere Großprojekte wie die Zeeburgereiland, KNSM-eiland, Westerdokseiland, Silodam folgen auf der südlichen Seite des Flusses. Nördlich des Flusses entstehen heute zahlreiche Prestigebauten. Direkt gegenüber dem neu gestalteten Bahnhofsdach wurde 2012 das EYE Film Institute von Delugan Meissl Associated Architects auf der nördlichen Seite eröffnet. Weitere Investorenprojekte folgen entlang des Ij in nord-westlicher Richtung: Sixhaven, Tolhuistuin oder Buiksloterham werden in den nächsten Jahren zu Wohn-

2013

und Arbeitsstätten umgewandelt. Nach der Ansiedlung von Kreativen auf dem Gelände der NDSM-Werft ist hier ein großangelegtes Projekt namens Mediawharf geplant. Die Kreativwirtschaft auf dem Werft-Gelände wird hier als Instrumentarium für die kommunale Stadtentwicklung von ganz Amsterdam-Noord gesehen. Schon heute befinden sich die Headquarter von MTV Networks BV und Red Bull Nederland auf dem Gelände der NDSM. Greenpeace soll 2014 in die Hallen neben Red Bull einziehen. Im hinteren Teil Amsterdam-Noord befinden sich heute hauptsächlich Wohnhäuser, die aus der Zeit des Schiffbaus stammen und teilweise noch von ehemaligen Arbeitern bewohnt werden. Aufgrund der günstigen Wohnvoraussetzungen haben sich dort

2030

auch viele Bürger unterschiedlicher kultureller Herkunft angesiedelt. Wie sich dieses Gebiet nach den großen Investorenpro-

* Investeringsbesluit NDSM-werf, Concept 26 September 2011, Gemeente Amsterdam Noordswaarts, Self-Made-City und Media-Werf

1 : 10 000

p.237

p.236

jekten am Nordufer des Ij entwickelt, ist fraglich.


NDSM-werf Kultur Media-werf + Self-Made-City

Cornelis Douwes Arbeiten

NDSM-Werft Kultur Media-werf + Self-Made-City

Zeeburgereiland gemischtes Wohnen & Arbeiten

Buiksloterham gehobenes Wohnen & Arbeiten

Städtebaulicher Wandlungsprozess

NDSM — Amsterdam

Nieuwendammerham Arbeiten Hamerstraat gemischtes Wohnen & Arbeiten

Das zentrale IJ-Ufer und die Internationalisierung der Nord- und Südflanke

Sixhaven/ Tolhuistuin Park & Kultur

Borneo/ Sporenburg peninsula gehobenes Wohnen & Arbeiten

Silodam Wohnen & Hotel

Westerdokseiland Wohnen & Hotel

Hauptbahnhof & Station Island

p.238

De Ruijterkade Arbeiten

Quelle: Investeringsbesluit NDSM-werf, Concept 26 September 2011, Gemeente Amsterdam Noordswaarts

Oosterdokseiland gemischtes Wohnen & Arbeiten

NDSM-Werft Kultur Media-werf + Self-Made-City

p.239

Houthavens (Timber Docks) Wohnen

Passenger Terminal Amsterdam


NDSM — Amsterdam

NDSM Gelände

p.240

p.241


Geschichte

NDSM — Amsterdam

* Insgesamt verfügte die Werft seit 1919 über drei betonierte Ablaufplätze. Zwei davon sind heute noch erhalten. 1920 erweiterte sich der Baubestand um zwei Lagerhallen sowie einen Maschinenraum unter dem oberen Ende der Schiffsschlitten. Zudem wurde eine große Werfthalle errichtet, die aufgrund ihrer großzügig angelegten Dachfenster sehr hell war und eine Empore für Schiffsmodelle besaß. 1928 konnte die NSM den bekannten Amsterdamer Bauingenieur G.J. Langhout gewinnen, der fortan alle notwendigen Baumaßnahmen beaufsichtigte. Die Größenverhältnisse der erhaltenen Anlagen sind bis heute beeindruckend. Allein die Werfthalle bedeckt eine Fläche von 20.000 Quadratmetern. Dazu kommen die Docklandhal mit nahezu 6.000 Quadratmetern und die beiden Ablaufplätze mit gut 2.000 bzw. 10.000 Quadratmetern.

NSM-Werft Amsterdam-Noord

1894 Am 25. August gründet sich die NSM im Osten Amsterdams aus einem im Jahr 1891 konkurs gegangenen Schiffsbaubetrieb für dampfbetriebene Schiffe. Im Zuge der beginnenden Industrialisierung konnte im Jahr 1876 die Kanalverbindung zwischen der Nordsee, Amsterdam und dem Hinterland fertiggestellt werden und ermöglichte den Gütertransport zu weit entfernten Kolonien.

NDSM-Werft

1919 – 1920*1 Bau der Werft unter dem Architekt G. J. Langhout, die Stahlkonstruktion lieferten die Dortmunder Union-Werke. Die ursprünglich Werft im Osten ist zu klein geworden.

Bis 1928 werden alle noch brauchbaren Hallen und Lager der umliegenden aufgegeneben Werften demontiert und auf dem NSM-Gelände Noord wieder aufgebaut.

1946 Im Februar schließen sich die beiden konkurierenden Betriebe NDM + NSM*1 zur NDSM (Nederlandsche Dok en Scheepsbouw Maatschappij) zusammen. Sie konzentriert sich ab den 1960er Jahren aus den Bau von Supertankern wie die Melania (1969).

*1 Im Jahr 1937 war der ältere der beiden Betriebe (NSM) zeitweise der größte Schiffsbauer der Welt. (Tankerschiffe und Passagierschiffe)

teilweise Leerstand

27. Sept. 1978 Das Ausbleiben von Aufträgen, die asiatische Konkurenz und Arbeiterstreiks zwingen die NDSM in den Konkurs.

Die Ölkrise von 1973 und 1979 ließ den Tankermarkt zusammenbrechen und führt in den 80er Jahren zur Werftenkrise und Schließung unzähliger Werften der westlichen Welt.

p.243

p.242

Geschichte der NDSM 1895 –1978

Besitzer:


Geschichte der NDSM 1880 –2001

Besitzer:

Wiederrechtlicher gemeinschaftlicher Einzug in ein leer stehendes und/oder zum Abbruch bestimmtes Gebäude. (Duden) Oft erfolgt dies gegen oder ohne Berücksichtigung des Willens des Eigentümers. Die Hausbesetzer-Bewegung (kraakbeweging) begann im Amsterdam der 60er Jahre. Vor dem 1. Oktober 2010 war es unter bestimmten Voraussetzungen geduldet, ein Haus in den Niederlande zu besetzen und war bis dorthing kein Hausfriedensbruch, wenn weder Schlösser aufgebrochen wurden, noch das Haus durch eine andere Person in Gebrauch war. 1980 gab es allein in Amsterdam 20.000 Hausbesetzer, heute sind es nach Schätzungen noch etwa 300.

Broedplaats Initiative Broedplaatsen (Brutplatz) wurde 1999 von der Stadt Amsterdam als speziell auf die Kreativwirtschaft ausgerichtetes Programm gestartet. Es soll das Raumangebot für Künstler, die kulturellen Szenen der Stadt und kreative Startups verbessern. Das Programm Broedplaatsen ist auf Druck der Künstler und der kulturellen Szenen initiiert worden. Anfänglich wurden dabei leer stehende Gebäude an angehende Künstler günstig vermietet. Das Programm wurde als Public-PrivatePartnership mit einem Maßnahmenetat von 4 Mio. Euro unterstützt. Diese Initiative wurde 2007 in das Büro Boedplaatsen (PMB) umgewandelt und aggiert gemeinsam mit kreativen Unternehmern, Gemeinden, Makler, Bauträger und Banken und untersteht der Stadt Amsterdam. Zahlreiche weitere regionale und überregionale Programme und Initiativen (z.B. Creative Cities Amsterdam Area (CCAA), Innovation Platform, Amsterdam Innovation Motor,...) folgten.

Quelle: Doris Rothauer, 23.11.2009 und Wikipedia

Quelle: Kreativwirtschaftsbericht 2012 für Hamburg

Zwischennutzung + Leerstand + Besetzung

1980 Im Mai öffnen die Tore für das Festival of the Fools* in den verlassenen ADM-Hallen im Osten. Die Organisatoren des Theater „Noordwesterwals“ haben die Hallen von der Stadt Amsterdam gemietet.

1984/1985 Trotz Neugründung der NSM und ADM (Reparatur), geht diese bereits im Mai 1984 wieder konkurs und markiert das Ende der Niederländischen Schiffsbauera. 1985 beendet auch die ADM ihre 100 jährige Geschichte.

1987 Der Reparaturbetrieb Shipdock Amsterdam kauf den westlichen Teil des Geländes. Nach einer Umformung 2005, besteht sie heute noch.*

*Der größte Teil des Geländes wird zum „squatter‘s heaven (Hausbesetzer) aus der sich eine unabhängige Künstler Gemeinschaft entwickelt, die noch heute besteht.

1. Offizielle Zwischennutzung

Kinetisch Noord

2. Zwischennutzung

1992-1998 Industriefirmen und die Stadt Amsterdam-Noord unterzeichnen einen Vertrag zur Anmietung der NDSM unter EU-Subventionen. Als Teile der Halle zum Nährboden krimineller Aktivitäten wurde, wurde der Vertrag 1998 wieder aufgelöst. Professionell organisierte squatter Gruppen kamen mehr und mehr auf das Gelände.

1999 Gründung Kinetisch Noord 1999 als Teil des squatter networks zur Neustrukturierung der Werft.

2001 Kinetisch Noord und Dynamo Architecten präsentieren Pläne zur gemischten Nutzung des Areals .

Geschichte

NDSM — Amsterdam

Hausbesetzer (Kraaker)

Wettbewerbsausschreibung der Stadtverwaltung gemeinsam mit Kinetisch Noord. Ein Konzept zur temporären kulturellen Nutzung soll das Gebiet aufwerten und ihm ein neues Image verpassen.

p.245

p.244

*Das jährlich stattfindende internationale Festival of Fools fand zwischen 1975 und 1984 in Amsterdam statt und war ein illustres Treffen unabhängiger Theater-Künstler.


Geschichte

NDSM — Amsterdam

Getrifizierung auf dem Rücken der Kreativen? Im Jahr 1999 wurde von der Stadtverwaltung ein Wettbewerb ausgeschrieben, mit dem Ziel ein Konzept für eine temporäre kulturelle Nutzung des Geländes der ehemaligen Werft zu finden und das Gebiet so schrittweise aufzuwerten und mit einem neuen Image zu versehen. Das Gebiet wurde neu entwickelt und es entstanden Wohn- und Bürogebäude für Kreative unter der Erhaltung des alten architektonischen Charakters. Durch die bewusste Förderung einer solchen Zwischennutzung soll sich letztendlich in den folgenden Jahren ein zwei Quadratkilometer großer Stadtteil mit über drei Millionen Quadratmeter Geschossfläche entwickeln. Die Kreativwirtschaft auf dem Werft-Gelände wird hier als Instrumentarium für die kommunale Stadtentwicklung von ganz Amsterdam Nord gesehen.

Kinetisch Noord

Geschichte der NDSM 1880 –2001

Beginn der Gentrifizierung ?

2001 – 2005 Bau Kunststad, Einweihung der Struktur im Dezember 2004. Eigene Fertigstellung der Nutzer bis ca. 2007

p.246

seit 2005 Stichting SkatePark Amsterdam eröffnet auf einer 7m hohen Plattform in der alten NDSM-Halle seinen 1750 m2 großen Skateparkt.

2007 Over het Ij Festival. 25 Theater-Shows werden in 11 Tagen im Sommer gezeigt. Weitere Festivals folgen wie z.B. das Voltt Loves Summer Festival u.A.

seit 2007 Media Warft MTV, IdTV, Discovery Channel, HEMA, u.A.

2011: Ende des Mietvertrages mit Option auf Verlängerung um weitere 10 Jahre.

2008 NDSM wird zum National bzw. Industrie Monument erklärt.

2011 Red Bull Headquarter Niederlande zieht auf das NDSM-Gelände.

MTV Networks Headquarter Niederlande. Die „Mediawharf“ beheimatet auch die Niederländische Film- und TV-Produktionsfirma IDTV, die in den spektakulären Neubau „Kraanspoor“ eingezogen sind. Weitere international aggierende Firmen folgen.

2011 Red Bull Headquarter Niederlande zieht auf das NDSM-Gelände.

Auf dem Gelände der NDSM, vor allem zwischen den Docks und in den IJ-Hallen, findet regelmäßig ein Flohmarkt statt, der viele Menschen auch aus dem Umland anzieht.

p.247

Besitzer:



0 5 10

Gebäude

NDSM — Amsterdam

Zugänge

25m

3 × große Rolltore davon 1 × Hauptzugang im Süd-Westen div. Nebenzugänge

Querschnitt Richtung Westen

Längsschnitt Richtung Westen

21

4

4

6

Hard Facts Dynamo Architecten,

7

6

Edo Keijzer, Charlotte Ernst, Peter de Bruin Projekt Architekt

Peter de Bruin

Stadtplaner

Dynamo Architecten, Utrecht I.S.M. Huurders/with Tenants en/and Filip Bosscher

Fertigstellung

2004 – 2007

Bauherr

Stichting Kinetisch Noord

Vertragspartner

Volf Kunststad (Amstelviet en/and MVB-Bouw), Amster dam

Statiker

Buro Boerkoel, Utrecht

Struktur-Baukosten

€ 1 650 000

Baukosten je Quadratmeter

€ 220

1

6

6

6

6

6

6

6

6 5

7

6

5

6

6

6 3 2

4

p.250

6

2

4

6

1 Kranspur; 2 Straße; 3 diagonale Straße; 4 Freifläche/Aktionsfläche; 5 Brücke; 6 Ateliers; 7 SkatePark

p.251

Architekt Utrecht:


p.252

Verhältnis* vorgefundene Bausubstanz 1999 zu Einbau und Umbau durch Kreative 2012

* Grundlage dieser Untersuchung sind die laufenden Meter Wand aus vorliegendem Planmaterial der entsprechenden Jahre. Damit sind auch die einzelnen Stellwände und Änderungen der Kreativen messbar.

65 % vorgefundene Bausubstanz

3 % abgerissen

Gebäude

97% noch vorhanden

32% Ein- und Umbau

p.253

NDSM — Amsterdam

Verhältnis* ursprüngliche Bausubstanz 1920 zu noch vorhandenem Bestand 2013


Gebäude

NDSM — Amsterdam

Gebäudenutzung Das Innere der NDSM-Halle (auch Scheepsbouwloods genannt) wird sehr unterschiedlich genutzt. Besonders charakteristisch für die NDSM als Kreativquartier sind ihre Einbauten: die Kunststad und der Skatepark auf der zweiten Etage. Die Kunststad Der Kern des Gebäudes wurde mit containerartigen Raumzellen gefüllt, ohne die konstruktiven Elemente der Halle sowie das Führerhaus der Kranspur usw. anzutasten. In dieser

Dachhaut Fachwerk mit Oberlicht Konstruktion unter Decke

eingebauten Struktur arbeiten kreativ Schaffende, die der Kreativ- und Kulturwirtschaft zugeschrieben werden können. Die Kunststad ist aus zwei Ebenen aufgebaut. Die Erdgeschossebene besteht hauptsächlich aus Lagerflächen und Werkstätten. Auf der zweiten Ebene befinden sich Büros und Künstlerateliers, die mit einem Erschließungs- und Wegesystem verbunden sind. Eine dritte Ebene ist zwar eingeplant, wird aber bis heute nur teilweise genutzt. Die Erschließung der dritten Ebene erfolgt

Dachkonstruktioin (2. Obergeschoss) potenzielle Erweiterung Skatepark (bis 2014)

ausschließlich über die Räume der zweiten Ebene. Freiflächen in den Scheepsbouwloods Alle Akteure teilen sich die freie Fläche unter einem gemeinsamen Dach. Zeitweise wird die freie Fläche für Performances, Installationen oder Theaterstücke verwendet. Besonders

Erschließung OG Treppen- und Wegesystem mit zentralem Aufzugskern

der hintere Teil der Halle mit dem hohen Dach inspiriert die Akteure. Wenn ein Künstler zeitweise eine größere überdachte Fläche benötigt, genügt eine Absprache mit den zuständigen Personen. Das Innere der Scheepsbouwloods wird von seinen Akteuren kontinuierlich verändert, neu inszeniert oder anders

1. Obergeschoss hauptsächlich Büroflächen, Ateliers, div. Medien

genutzt.

konstruktives Raster Einbauraster Kunststad freie Atelier-/Aktionsfläche

p.255

p.254

Erdgeschoss hauptsächlich Werkstätten und Lagerfläche, auch Ateliers


Gebäude

NDSM — Amsterdam ca. 51 ca. 46 ca. 18 ca.10

Büros Werkstätten Lagerstätten Andere

p.257

p.256

NDSM-Kunststad bei ca. 124 doppelte Raumzellen (Stand Jan. 2013)


Organisation

NDSM — Amsterdam

Organisation Durch den städtischen Wandlungsprozess fühlen sich die kreativ Schaffenden der ersten Stunde bedroht, weswegen sich mehrere Organisationen auf dem Gelände der NDSM gebildet haben. Allen voran geht die „Stichting Kinetisch Noord“, die sich bereits zum Zeitpunkt des Wettbewerbs (1999) der Kunststad gebildet hat. Gemeinsam mit der Stadt Amsterdam und dem Stadtteil Amsterdam-Noord wird ein Wettbewerb ausgeschrieben. Auch die „Broedplaats“ Initiative ist damals schon mit von der Partie. Aufgrund sehr unterschiedlicher Interessenvertreter, die auf das ehemalige Gelände der NDSM einwirken, gibt es heute zahlreiche solcher Organisationen. Im Schaubild rechts sind nur die offiziellen und wichtigsten OrgaStadt Amsterdam

nisationen genannt und in ihrem Zusammenspiel sehr vereinfacht dargestellt. Ihre Mitglieder nehmen oft mehrere Funktio-

Broedplaats Initiative

nen ein, so ist der Vorsitzende der „Vereniging De Toekomst NSM“ auch im Beirat der „Stichting Kinetisch Noord“ vertreten. (SDAN) Stadteil Amsterdam-Noord

Die allgemeine Koordination des Geländes untersteht der „Stichting Beheer NDSM-werf Oost“, welche die Freiflächen im Außenbereich verwaltet und z. B. Konzerte oder Flohmärkte organisiert. Das gesamte Areal untersteht wiederum der „BV Durf“. Sie

BV DURF (gesamtes NDSM Areal)

ist direkter Vermittler zwischen dem Gelände und der Stadtverwaltung. Der Stadtteil Amsterdam-Noord und die Stadt Amsterdam entscheiden gemeinsam über eine Vielzahl von Initiativen, die dem Gebiet zugute kommen, wie der „Broedplaats“ Initiati-

Kunststad

Skatepark

Freiflächen

Kreativwirtschaft ist aber sicherlich auch von MTV Networks

Noorderlicht

ren Mitspracherecht ist teilweise noch ungeklärt. Der Erhalt der interkulturellen und internationalen Szene um die Kultur- und

Oostvleugel

zahlreiche internationale Firmen auf dem Areal ansiedeln. De-

Hochkreative

ve und vielen mehr. Gerüchten zufolge werden sich zukünftig

Stichting Beheer NDSM-werf Oost

Vereningen De Toekomst NSM

Stichting Kinetisch Noord

Flohmarkt Flächenvermietung Veranstaltungen etc.

Verwaltung Entwicklung Technik Hauhaltsführung

Finanzierung Geb.-Instandhaltung Kreativ-Programm Büro/Verwaltung

Physische Verwaltung des Gebietes(Reinigung, Landschaftsbau, Beleuchtung, Sicherheit)

Stellt Vereinsvorstand, der die Interessen gegenber der BV Durf u. Stadt A‘ dam vertritt.

Sie verwaltet die Vermietung der Flächen an Kreative und Start-ups für niedrige Mietpreise.

p.259

p.258

und Red Bull Nederland gewünscht.


Organization and process

If we regard the creative industry as an

urban economy, how does a creative space influence reurbanisation? Are there any standard planning strategies?

November-Dezember 2012 geführt. The City SB

What was the response to the NDSM

creative space in 2012?

SB

RP Creative industry is indeed a major de-

rent fallow land or abandoned buildings and

velopment force of the urban economy.

would it be possible for the city to assist develo-

That is true especially for our post-industrial

pers? Or do you see it as a risk in case of ur-

Amsterdam Noord. Creative spaces at NDSM

ban development?

might in the future lead to reurbanisation

RP Slowly but surely, all key partners (pro-

when NDSM can partly become a residential

ject developers, housing corporations,

RP The response was positive despite the

area. General reurbanisation along the north

the city and the Stadsdeel) have realised that

bank of the river IJ is already taking place,

temporary use is one of the keys for con-

on NDSM. There are new perspectives for

influenced by the establishment of arts spa-

tinuing redevelopment in times of crisis. In

three of the most “problematic” buildings in

ces, such as the EYE Film Institute.

fact, most of the developments at NDSM

terms of redevelopment. The monumental

Strategic plans are part of a number of “be-

have a temporary character. Unused areas

stemmingsplannen” (zoning schemes) and

can be made available for short projects

Crane (urban hotel), The Lasloods (welding shopping mall), The Smederij (headquarters

from the City of Amsterdam as well as from

The Stadsdeel does not see much risk. On

of Greenpeace International). In 2011 and

the Stadsdeel.

the contrary: temporary projects and con-

The Building of NDSM

and public space at NDSM.

tracts prevent deterioration of buildings

came to the Wharf, including a well-known Amsterdam Gallery, the HISWA Yachting Fair, and the headquarters of retail chain HEMA. Obviously, all this growth is not without

SB For a creative quarter to exist in the long

SB

What would you think of reducing the

rights of ownership in the case of vacancies? „Creative industry is indeed a

term, the applicants need to come together

RP This has already happened for a number

risk. Success implies popularity which implies

and form an organization. As a result, it may

of the NDSM buildings in order to stimulate

major development force of

urban revitalization. How do you judge the ur-

lose its appeal for some subcultures and crea-

building restoration and development. The

urban economy. That goes

ban revitalization process in Amsterdam-

tive artists. Is the institutionalisation of cre-

Stadsdeel believes it is a useful instrument.

Noord as a result of the NDSM?

ative spaces mandatory to prevent them dissol-

RP Stadsdeel Amsterdam Noord sees urban revitalization as something hardly avoi-

p.260

— Site of „The monumental Crane“ (urban hotel) in front of the NDSM

such as events, festivals, and marketplaces.

“structural visions” (general spatial plans)

2012, new companies, both large and small,

SB

How do you handle temporary usage in

a judicial way, for example, make available or

financial crisis which clearly has an impact

hall) (boxpark contemporary high-end

Interview mit Rob Post

Dieses Interview wurde in mehreren Schritten via E-Mail von Sascha Bauer im Zeitraum

SB

ving?

Today and future

RP This is easier in some areas in Noord

dable and only for a small part under the in-

than in others. Since the collapse of the

SB

fluence of the Stadsdeel. Revitalization at

shipbuilding industry in the eighties, the

and the temporary users today?

NDSM itself does indeed take place. But the

NDSM has developed as a jig saw puzzle of

Stadsdeel protects the raw and original

organisations and stakeholders in the com-

character of NDSM by supporting cultural in-

mercial and cultural fields. The Stadsdeel

itiatives, protecting the artists’ studios

sees this puzzle as one of the strong points

complex in the shipbuilding hall, and suppor-

of NDSM but recognizes and supports the

ting the NDSM Foundation that looks after

need for promoting cooperation between

public space and organises festivals and cul-

them. The goal is to create a network of

tural programmes. Revitalization of the

organisations that know and respect each

residential areas north of the NDSM is not

other’s role and will work on a number of

an issue. The Stadsdeel sees the arrival of

common objectives.

new and young inhabitants in these areas as positive: it creates a better mix.

especially for our post-industrial Amsterdam Noord.“

How is the relationship between the city RP Generally speaking, very good.

Quelle Foto

http://www.dsm.nl Tim Stet

p.261

NDSM — Amsterdam

Interview mit Rob Post in der Funktion als „Stadsdeelvoorzitter van Amsterdam-Noord“


successful. I first thought about squatting

government for it; it is also up to the people

that have hardly anything to do with a

but decided to enter a competition for

to fight for their rights and make a state-

Sascha Bauer

creative quarter.

reusing the NDSM because I believe that go-

ment and hold out. Subculture is everywhere,

vernment should allow and provide self-

even in the most unexpected of places. It

initiated and self-managed space to the peo-

should not be too organised :-)

The NDSM

Dieses Interview wurde im Zeitraum November-Dezember 2012 in mehreren Schritten via E-Mail geführt.

ple in stead of a total sell-out to developers. SB

We heard of riots in Amsterdam in the

And we were ready for the next stage and

late 90s. Many artists took to the streets to Intro

protest about the lack of alternative and affordable workspaces. Were there earlier ideas

SB

The City

Our research deals with the questions re- for a conglomeration of creative people in Am-

garding potential urban creative spaces. Spe-

sterdam? And how did you eventually come

SB

cifically, we examined the Museumsquartier in

across the NDSM site?

you refer to interactions with real estate deve-

In several publications and reports,

Vienna, the Wagenhallen in Stuttgart, the ‘NDSM-

EK I have worked for many art initiatives

lopers and municipals and the changing poli-

Warf’ in Amsterdam, and the Binz in Zurich.

and theatre companies and we started our bu-

tical climate. During our on-site research, we

These four creative spaces represent a certain

sinesses in the squats along the river IJ.

picked up on a typical problem of Amsterdam:

range of what can be understood as types of

When we were threatened with eviction as a

the ‘erfpacht’. Can you explain briefly what ‘erf-

creative quarter. While we refer to the Museums-

result of urban development plans, we set

pacht’ is and explain to what extent it was a

quartier in Vienna as an institutive creative

up a think tank and prepared a manifesto out-

problem for the NDSM and Kunststad to the ‘In-

quarter, the Binz in Zurich can be described as

lining our participation in city development,

dustrial Monument’?

an autonomous occupied quarter. The Wagen-

but from the bottom up and by ‘doing it toge-

EK The city of Amsterdam owns all land and

hallen and the ‘NDSM’ are in between. What do

ther’ (DIT). We believed that urban deve-

‘leases’ it (erfpacht) for a certain period,

lopment is at its best when it is done both

say 50 to 100 years. In this way, Amsterdam

you think of this classification?

p.262

Eva, thank you for this conversation!

more certainty in our business careers.

Interview mit Eva de Klerk

company, Greenpeace, HISWA, garages, etc.

EK I don’t know much about Wagenhallen

ways – from the top down (like in the mu-

is always in control of what is happening in

and Binz, so it is hard to say. It seems like

seum quarter or any other area) and from

the city. I do not see it as a problem, other

you are comparing apples with pears. We

the bottom up (like the NDSM Shipbuilding

than that Amsterdam’s economic model de-

also have a Museumquartier in Amsterdam,

Warehouse, Het Veem, Ot301, Pakhuis Wilhel-

pends on generating high income by selling most land to the highest bidder. As a result,

which you cannot compare with NDSM, and

mina, etc.). I think we were initially accep-

there is no direct link other than that some

ted and internationally recognised as essen-

land is preferably sold to developers and it

artists are exhibited in the museums. A mu-

tial for the cultural, social, and economic

is hard to get a slice of the cake when you

seum is about consuming art. It is governed

climate of the city when we moved into the

are a group of people who, in some cases,

by a city council and is important for the

Guild of Industrial Buildings along the river IJ.

can actually pay the same price. It’s about

city’s cultural profile. NDSM is about the pro-

Obviously, there were agglomerations be-

trust. But now, due to crisis, we have to re-

duction space. It is initiated by the people

fore but they focussed more on social hou-

and represents a plea for affordable space

sing. From social housing came affordable

SB

to accommodate all sorts of low threshold

workspaces and job creation. Amsterdam

singly becoming the focus of attention. In

disciplines, including skateboarding, arts,

was so focussed on selling land and maxi-

the case of Amsterdam, the whole city has been

crafts, boat workers, hip-hoppers, cultural

mising profit that important groups were

transforming into a museum forecourt but the

entrepreneurs, social and educational

excluded. I came across NDSM when I was

creative people are increasingly displaced to the periphery. Do you think this makes sense?

— „Street“ between the southern free space and the Kunststad

think city economics. The creative potential of a city is increa-

projects, sustainable energy groups, local

working for a site-specific theatre group,

initiatives, and so on. It is also important

while campaigning for space to develop our-

EK This is a normal cycle and has been hap-

for the city’s dynamics and cultural climate.

selves at the same time. They are user

pening everywhere in the world for over

NDSM, however, is also home to a dock,

generated, assimilate naturally into the neigh-

hundreds of years. There are some places in

yachts, a steel company, the Hema retailing

bourhood/environment and often more

the centre too. And I would not blame the

Quelle https://helanonline. cn/article/1438

p.263

NDSM — Amsterdam

Eva De Klerk, Stichting Kinetisch Noord und Initiatorin der Kunststad, im Gespräch mit


Akteure

NDSM — Amsterdam

Akteure Seitdem die Stadt Amsterdam gemeinsam mit ehemaligen Mitgliedern der Besetzerszene Amsterdams, Künstlern, Theaterschaffenden, Skatern und Architekten mit Hilfe eines Wettbewerbs das Gelände, die Hallen und die Wasserbecken den Kreativen zur Verfügung gestellt hat, entwickelt sich das Gelände zu einem fantastischen Areal für Kunst und Kultur. Auf dem gesamten Areal arbeiten mehrere Verbände, Vereine und andere Gruppierungen. Aber auch internationale Firmen, die die kreative und hippe Szene zu schätzen gelernt haben, sind mittlerweile anzutreffen. Die Vielfalt kennt keine Grenzen. Künstler, Architekten, Theatergruppen, Designer, Musiker und Freidenker haben hier eine zweite Heimat gefunden. Neben den Künstlerproduktionsflächen gibt es diverse Veranstaltungsräume, Veranstaltungen unter freiem Himmel, Cafés und Räumlichkeiten, in denen regelmäßig Ausstellungen, Konzerte oder Tanzabende stattfinden. Veranstaltungen auf dem Außengelände, wie Flohmärkte, Konzerte, Theateraufführungen usw. locken weitere Besucher an. Es ist ein Ort der künstlerischen Begegnung geworden, ein Ort für Experiment und Forschung, der sich in ständigem Wandel befindet. Genau dieser Wandel macht es schwierig, eine genaue Zählung und Zuordnung der Kreativen vorzunehmen. Anhand ihres primären Tätigkeitsbereichs wird versucht, die Akteure unter Zuhilfenahme der Definition Kultur- und Kreativwirtschaft (siehe Abschnitt Typus) einzuordnen. Kreative, die mehrere Tä-

Pressemarkt 06%

tigkeitsfelder bedienen, werden auch prozentual mehrfach zugeordnet.

Architekturmarkt 16%

Werbemarkt 04%

Das Ergebnis entspricht einer subjektiven Quantifizierung anhand genannter Definitionen, um eine Vergleichbarkeit der Quartiere zu ermöglichen.

Sonstiges 02% Designwirtschaft 04%

Musikwirtschaft 20%

Darstellende Künste

24%

Kunstmarkt 14%

Filmwirtschaft 08%

p.265

p.264

Rundfunkwirtschaft 02%



Akteure

NDSM — Amsterdam Abb. vorangegangen Stichting Skatepark Amsterdam Michael Groenewegen Vorsitzender fßr Skateboards, Inline-Skater, Bikes and more Schnupperkurse, Skate-Kurse, Privatstunden Veranstaltungen, Wettbewerbe

Abb. rechts Stichting Klean Peter Smith and others Direktor und Botschafter, Fotografie, Kunst, Installation Entwicklung kreativer Konzepte Public Space, Intervention

p.269

p.268

Abb. links Draisma Industrial Design Eibert Draisma industrial design, products art, performative installation public space, events



Akteure

NDSM — Amsterdam

Abb. vorangegangen Studio Anton Surink Dipl.-Ing. Anton Surink Hausboote, Office, Apartments interiors and exteriors teilt das Atelier mit Elvira Vroomen Leder- und Textildesign

Abb. rechts Interieur architectuur Conny Deerenberg Innenarchitektur Möbeldesign, Küchendesign Inneneinrichtungen

p.273

p.272

Abb. links Mark Knoester Meubelmaker Mark Knoester Schreiner und Designer, Möbelbau, Küchen, Inneneinrichtungen, Treppenbau, Gestaltung


bauen kann. Es hat sehr viel mit Stadtaneig-

im Juni 2013 an.Die Kooperation mit der Stadt

nung, Stadtgebrauch und Teilhabe an Pro-

projektes Urban Catalyst (2001-2003), Büro-

wäre wahrscheinlich eine Möglichkeit, den

jekten mit unterschiedlichen Formen von

SB

gründung Studio UC/ Klaus Overmeyer 2004,

Erhalt der Binz zu sichern. Bei dem Gedanken

Öffentlichkeit zu tun. Insofern passt dieses

Bottom-Up oder Top-Down? Wir sehen den Be-

kömmlichen Verwertungslogiken. Entwicklung von Kreativquartieren –

Professur für Landschaftsarchitektur an der

hat sich die Idee entwickelt, dass ein solcher

Label „Kreativquartier“ eigentlich nicht so

ginn der Entwicklung solcher kreativen Räume

Bergischen Universität Wuppertal, im Gespräch

Ort vielleicht zu einer eigenen Typologie wer-

gut, weil dieses eben sehr instrumentalisiert

in einer autonomen Grundhaltung. Erst später

mit Sascha Bauer

den kann. Als Phänomen würde ich es bereits

wird. Im Endeffekt geht es nur um den Ver-

kommt in manchen Fällen das Interesse der

jetzt schon bezeichnen. Würdest du es auch

kauf. Ich glaube, darin besteht eine große

Stadt hinzu. Bei der NDSM in Amsterdam wurde

Gefahr.

ein Wettbewerb ausgeschrieben. Dann wird

Einführung SB

Vor etwa anderthalb Jahren haben wir

einen Entwurf bearbeitet, dessen Aufgaben-

p.274

kreativen Räumen. Eine Alternative zu her-

in dem Kontext Kreativquartier so sehen, dass die leerstehende Architektur eine Ressource

SB

Das ist schon passiert, hier in Stuttgart.

für Kreative ist? Begriffsfrage Kreativquartier –

Es gibt seit April 2012 ein Leerstands- und

nur ein Label?

Zwischennutzungsmanagement der Stadt Stutt- vielleicht doch nicht mehr so zufrieden und

gemeinsam mit einem Architekten geplant. Anschließend sind die bisherigen Zwischennutzer

stellung die Planung eines Kreativquartiers am

KO Das sind jetzt verschiedene Dinge, die

gart. In einer Broschüre, die die Stadt heraus-

Hamburger Oberhafen, direkt neben der Ha-

hier zusammen kommen. Vielleicht fangen

gebracht hat, sind 35 Kreativquartiere auf-

KO In Amsterdam hat die Stadt als Eigen-

fenCity umfasste. Während des Entwurfs kam

wir mit dem Begriff „Kreativquartier“ an.

gelistet, unter anderem auch Bürogebäude, in

tümer diese Werft an einen Verein vergeben,

die Frage auf, ob ein Kreativquartier überhaupt

Das ist ein Term, den es noch gar nicht so

denen nur Grafiker und Architekten sitzen. Für

Kinetisch Noord. Der Verein hat sich

planbar ist. Was ist überhaupt ein Kreativquar-

lange gibt, der erst in den Debatten der

uns war dann die Frage: Ist das ein Kreativ-

in der Ursprungsphase gegründet und sich

tier? Die Aktualität des Themas veranlasste

letzten 3-4 Jahren aufgekommen ist. Ich

quartier oder ist es einfach eine Bürogemein-

dann auch eingehend Gedanken über die

wollen vermutlich wieder etwas anderes.

uns dazu, das Projekt weiter auszudehnen und

glaube, der Begriff wird sehr weit benutzt,

schaft, in der alle Nutzer ähnliche Interessen

Nutzungsstruktur gemacht. Zusammen mit

mehrere Leute dazu zu befragen. Begonnen

von Städten, Immobilienentwickler und

verfolgen? Daraufhin haben wir begonnen,

einem Architekten haben sie ein Briefing und ein Raumprogramm entwickelt. Dieses

hat alles mit der Frage, ob ein Kreativquartier

anderen. Ich kann mir vorstellen, dass der

eine Programmatik zu entwickeln. Einerseits

in den nächsten Jahren zu einer Typologie

Begriff Kreativquartier eine ähnliche Karri-

auf der Basis der mitteleuropäische Definition

wurde dann auch gestalterisch umgesetzt.

werden kann. Eine wichtige Frage ist auch hier

ere wie der Begriff der Gartenstadt macht

der Kultur- und Kreativwirtschaft und wer zu

Der Architekt hatte hier eine sehr wichtige

die Zwischennutzung und deren etwas unkon-

und irgendwann zu einem Allerweltsbegriff

dieser Gruppe zählt. Andererseits auf Basis

Rolle, er hat mit den Nutzern zusammen

ventionelle Variante der Hausbesetzung und

wird, den die Leute für ihre Absichten ins-

der möglichen Öffentlichkeit im Gebäude.

gearbeitet. Es war nicht so, dass die Stadt

Aneignung. Damit ein Kreativquartier erhalten

trumentalisieren. Zunächst einmal hat der

KO Also von meiner Seite gesehen hätte ich

werden kann, muss für mich ein gewisser

Begriff Kreativquartier unterschiedliche

einen anderen Zugang dazu. Der wesentli-

Grad an Öffentlichkeit entstehen. Also eine

Wurzeln und mittlerweile auch starken

che Unterschied in der Stadtentwicklung ist

SB

Aufmerksamkeit von verschiedenen Seiten, wie

Einfluss auf die Stadtentwicklung, aber auch

für mich, dass diese eher konsumentenba-

Willen bzw. das Wohlwollen der Stadt passiert.

den Touristen oder der Stadt. Mit dem Privileg

auf die Immobilienentwicklung. Dort wollen

siert ist. Man überlegt sich einen Endnutzer

In Karlsruhe ist etwas ähnliches passiert,

der Aufmerksamkeit ändert sich die Besucher-

sie Urbanität; alles muss dicht geplant und

oder Endverbraucher und dafür baut man

allerdings mit einem anderen Ausgang. Da hat

gesagt hat: „Hier hast du 20.000 qm Halle, bau’ da mal was Schickes rein.“ In Amsterdam ist das also durch den

struktur und das Gebiet wird mit immer mehr

vernetzt sein. Für die Entwicklung heißt es

ein Quartier. Für mich ist eigentlich die Ini-

die Stadt gemeinsam mit Architekten einen

Auflagen belegt, sowohl aus den eigenen Rei-

dann primär, dass es interessante Nutzun-

tialzündung für solche Kreativräume nicht

Schlachthof zu einem Kreativquartier umgebaut.

hen als auch von Außen. Das Kreativquartier

gen mit Kunst und Kultur, aber natürlich

der Nutzer, der am Ende steht, sondern

Jetzt sind die Mietpreise so hoch, dass sich

wird also zu einer Art Institution. Man könnte

auch Kommerz und Versorgung gibt.

der am Anfang des Prozesses steht. Eine

das wahrscheinlich nicht mehr jeder Künstler

vom Nutzer getragene Entwicklung, bei der

leisten kann. Das wäre für mich mit dem MQ

nem Kreativquartier zählen? Ich nenne jetzt

die Nutzer selbst auch zu Raumproduzen-

vergleichbar: Atelierräume nur für Stipendiaten.

eines solchen Prozesses ist mit überproporti-

mal bewusst und überspitzt den Flagship-Store

ten werden. Da geht es meines Erachtens

Ergo nur, wenn der Künstler für die Stadt oder

onaler Ausstellungsfläche, Museen, Cafés usw.

im Kreativquartier.

nicht um die Vermarktung von kreativen

das Konstrukt MQ ökonomisch verwertbar ist und einen Mehrwert bieten kann.

nun sagen, dass das MQ (MuseumsQuartier

SB

Wien) in unserem Vergleich das Endstadium

Würden für dich solche Nutzungen zu ei-

Klaus Overmeyer

gewünscht. Der neue Abrisstermin steht jetzt

Wenn ein Kreativquartier zu einer Institution

KO Nicht unbedingt. Aber ich würde schon

Produkten, sondern darum, dass die Nutzer

geworden ist, hat auch die Stadt ein Interesse

sagen, dass die ökonomische Wertschöp-

eine eigene Idee von Raum und Raumge-

Was passiert also, wenn die Stadt und der

daran und der Erhalt ist gesichert. In der be-

fung eine Rolle spielt, damit Geld erwirt-

brauch entwickeln und selbst zu einer Art

Architekt eingegriffen haben? Man könnte das

setzten Binz in Zürich ist das Gegenteil der Fall.

schaftet wird. Ich bin skeptisch, dass man

Eine Öffentlichkeit wird von den Nutzern nicht

als Immobilienentwickler wertorientiert

„Projekt-Akteur“ werden. Das finde ich, ist

mit einem Gentrifizierungs-Prozess verglei-

das Interessante an der Entwicklung von

chen, dabei werden die Nutzer zwangsläufig

p.275

Exkurs — Interview

KLAUS OVERMEYER, Prof. Dipl.-Ing. Landschaftsarchitekt, Co-Initiator des Forschungs-


Sie wissen nur: Nutzer spielen eine Rolle. Al-

lung dieser Quartiere. Eine solche organische

vergangenen Jahren sind so eine Reihe von

ternative Ökonomie- und Verwertungsstra-

Entwicklung braucht eine zeitliche, aber auch

schon alles da ist. Das Konstrukt fällt schnell

innovativen Projekten, Ideen und Immobi-

tegien, der Umgang mit Bestand und auch

eine ökonomische Perspektive die wiederum

in einen Erhaltungsdrang und kommt der Idee

lienprojekte entstanden. Ich glaube, was

andere Raumstrategien spielen eine Rolle. All

Teilhabe an Gemeinschaftsräumen oder Grund-

einer Institution sehr nahe.

jetzt noch aus der alten Stadtentwicklung

das hat nicht unbedingt etwas mit städte-

besitz ermöglicht. So dass die Nutzer, die sich

kommt, ist der Umgang mit Transforma-

baulichem oder architektonischen Entwerfen

engagieren, auch eine Möglichkeit der Teilhabe habe. Gleichzeitig denke ich aber auch, dass

KO

SB

Wien kann das MQ international ver-

markten und dadurch viele Touristen, Inves-

tionsarealen. Da gibt es in der Stadtent-

zu tun. Das finde ich eine sehr interessante

toren usw. anziehen. Das ist – ganz klar –

wicklung unzählige Beispiele, bei denen die

Entwicklung und Tendenz. Ich glaube, auf die- es für solche Quartiere wichtig ist, eine Art

ein Top-Down gesteuerter Prozess. Das hat

Zwischennutzer oder Besetzer sich Gebiete

sem Feld gibt es enormen Forschungsbe-

Durchlauferhitzer zu haben. Zonen, die per de-

aber meines Erachtens noch viel mit den

spontan angeeignet haben und es dabei

darf.

finitionem immer nur temporär sind. Wo Leute

permanent zum Konflikt mit der herkömmlichen Stadt- und Projektentwicklung kam.

Die Frage der Zwischennutzung – Start-Up

bestimmten Zeitraum wieder etwas anderes

zu vermarkten. Daraus entstand, glaube

Ganz unterschiedliche Entwicklungspfade

mit begrenzter Dauer?

passieren wird. Ich denke, dass man das in

ich, auch die Idee, dass jede Stadt ein MQ

gibt es da hinsichtlich Immobiliendruck und

braucht.

lokalen Akteuren. In den seltensten Fällen

SB

haben die Besetzter das Gebiet übernommen

modell behaupten, neue Gebäude können keine

Form von Spielregeln ganz gut in den Entwurf Ich möchte in einem kurzen Gedanken-

integrieren kann. Um auf deine Frage zurück zu kommen: Für mich ist der Neubau mit dem

dass auch das MQ eine Vorgeschichte mit halb-

und ihr eigenes Biotop daraus gemacht.

Kreativquartiere sein. Die Mieten für kreativ

Potenzial der Transformation nicht ausgeschlos-

legalen Zwischennutzungen hat. Da das Gebäu-

In den meisten Fällen wurden sie instrumen-

Schaffende wären zu hoch. Zwischennutzungen

sen. Ich bin natürlich auch ein Verfechter von

de stadtzentral ist, war die Stadt schon immer

talisiert oder verdrängt. Relativ neu in der

von Brachen oder leer stehende Gebäuden sind

Muck Petzet und Lacaton et Vassal, deren Liebe

daran interessiert, es verwertbar zu machen. An

Stadtentwicklungsdebatte ist, dass diese

eine echte Alternative. Der Begriff „Zwischen-

dem Bestand gilt. Davor habe ich sehr hohen

diesem Beispiel hat die Stadt sehr stark in das

Kreativquartiere eben nicht von oben ge-

nutzung“ deutet ja im Wort selbst schon darauf

Respekt und versuche, zuerst die Energie, die im

Gebilde eingegriffen, es wurde zur städtischen

plant werden können, sondern dass man

hin, dass sie lediglich für eine begrenzte Dau-

Bestand liegt, zu wecken oder zu transformieren.

Institution. Bei der NDSM in Amsterdam lief

versucht, gerade in Städten mit sehr hohem

er existiert. Aber gibt es für Zwischennutzun-

das sanfter ab, bei den Wagenhallen Stuttgart

immobilienwirtschaftlichen Druck, zu einer

gen letztendlich nur die Möglichkeit, sich zu

Nutzerwechsel. Sagen wir mal, ein Kreativ-

institutionalisieren oder sich aufzulösen?

quartier wird für die begrenzte Dauer von

SB Das bedingt aber auf jeden Fall einen

noch mehr. Die Stadt als Eigentümer lässt die

anderen und neuen Form von Stadtent-

Künstler agieren, da es wohl eh irgendwann

wicklung zu kommen. Es geht nicht darum,

im Zuge der Gebietsentwicklung abgerissen wer-

dass die Nutzer aus Kreativbranchen kom-

solchen Kreativquartieren spielen die Erneu-

untereinander haben in dieser Zeit auch zu

den soll. In der Binz in Zürich versucht die

men, sondern es geht eher um Fragen der

erung und der Jungbrunnen eine sehr große

Freundschaften und Kooperationen geführt.

Stadt, die autonomen Besetzer los zu werden.

Teilhabe der organischen Entwicklung und

Rolle. Die herkömmliche Stadtentwicklung

Es hat sich also ein Netzwerk gebildet, das

Der Abriss ist erneut angekündigt, diesmal für

der Integration von Bestand in eine ergeb-

denkt ja stark in diesen Polen, temporär oder

nicht unbedingt ortsgebunden sein muss.

Juni 2013. Es stellt sich also die Frage, was

nisoffene Entwicklung. Die lokalen Akteure,

dauerhaft, und kommt am Ende vielleicht zum

Das Netzwerk wird durch eine Auflösung des

KO Ich glaube bei der Entwicklung von

drei Jahren entwickelt. Die Bekanntschaften

passiert, wenn ein Investor oder die Stadt das

also nicht nur Bürgerbewegte, sondern

Dauerhaften. Was man bei vielen Zwischen-

Kreativquartiers und die örtliche Verteilung

Potenzial eines Ortes erkannt hat und in wie weit

auch Unternehmen, Initiativen und Genossen-

nutzungsprojekten sieht ist, dass die Leute äl-

der Kreativen – evtl. auch in entferntere Orte –

der Architekt in deren Auftrag dann eingreift.

schaften, werden in einer solchen Entwick-

ter werden und irgendwann auch mal „Ruhe“

permanent größer. Erst weiten sich die Ma-

lung stärker mit einbezogen.

haben wollen. Gleichzeitig kann man bei vielen

schen und anschließend werden die Lücken mit

KO Die ganze Diskussion um Creative Cities

p.276

landen können, aber klar ist, dass nach einem

90er Jahren zu tun, als man versucht hat, Städte über Events oder Ikonen-Architektur

Im Dezember 2012 haben wir ein erzählt,

Du sprichst also vom Wandel der klassi-

Klaus Overmeyer

Mehrwert für alle Beteiligten bieten. In den

kann nicht mehr wirklich partizipieren, da ja

ist ja schon relativ alt, angestoßen durch

SB

Zwischennutzungsprojekten erkennen, dass

neuen Kontakten gefüllt. Genau da sehen wir

Richard Florida und Charles Landry. Ich

schen Planungsstrategie als Stadtplaner, in

eine Erstarrung eintritt. Man merkt, dass aus

ein Potenzial. Ist das Temporäre eine große

glaube diese Diskussion hat in verschiedene

der eine Gebietsentwicklung quasi offen bleibt

den Zwischennutzern und Aktivisten Immobili-

Chance für die Branchen der Kultur- und Kre-

Bereiche der Stadt- und Projektentwicklung

und gemeinsam mit dem späteren Nutzer ge-

enbesitzer geworden sind, die sich ihr eigenes

ativwirtschaft?

ausgestrahlt. Vor allem Immobilienentwick-

plant werden kann. Also eine neue Entwick-

Königreich geschaffen haben und damit in die

KO Grundsätzlich glaube ich, dass man

ler sind darauf aufmerksam geworden. Sie

lungsstrategie?

Rente segeln wollen. Für mich wäre es eine gro-

Stadt nicht einfrieren kann. Stadt ist eher ein Komposthaufen, der ständig in Wand-

vertreten die Ansicht, dass sich Räume

KO Genau. Der Entwickler überlässt den

ße Herausforderung, erst einmal eine dauer-

von Co-Working-Spaces mit kombiniertem

Nutzern ein gewisses Feld. Wie sie das Feld

hafte Perspektive zu schaffen. Die ist meines

lungsprozessen steht. Jedes einzelne Pro-

Wohnen gut vermarkten lassen und einen

bespielen, wissen beide Seiten noch nicht.

Erachtens sehr wichtig, gerade in der Entwick-

jekt, das einmal temporär gestartet ist – ob

p.277

Exkurs — Interview

ausgetauscht. Jemand der neu dazukommt,


von Anfang an da waren, hat es wenig inter-

private Eigentümer, einen Bezug zum Ge-

m2 vermietet werden können. Sie haben es

essiert was dort sonst so passiert, sie wollten

biet aufbauen, ist man schon einen Schritt

nur arbeiten.

weiter. Optimal wäre natürlich, wenn diese

Die Kunst dabei ist es, je nach Projekt her-

so gut entwickelt, dass heute alle Räumlich-

auszufinden, wie wichtig es ist, den richtigen

keiten belegt sind und auch die Eigentums-

KO Klar. Der Konflikt ist ein Katalysator,

noch erkennen, dass das Kreativquartier

Zeitpunkt des Absprungs zu finden. Also die

rechte etc. geklärt sind. Von Außen kann

der oft zu einer Umbildung oder Formalisie-

zu ihrem Projekt wird und sie damit etwas

Auflösung des Projektes nach einer gewissen

ihnen eigentlich nichts mehr getan werden.

rung führt.

verändern können. Dann steigt plötzlich

Zeit. Oder hat das Projekt das Ziel, als Noma-

Sie haben sich so eine „Burg“ gebaut.Der

de ganz unterschiedliche Orte zu besetzen?

Raum ist zu diesem Zeitpunkt durch die

Ausdehnung des Kreativquartiers im städti-

eine Schule zum Beispiel spielen interne

Das kann auch ein Prinzip sein. Oder ist das

Wagenhallen definiert. Da gibt es Mauern,

schen Kontext – die vernetzte Stadt

Dinge eine Rolle. Was im Umkreis passiert,

Projekt eher als ein Rhizom an-

eine Art Schutzraum. Aber in der Keimzelle

gelegt, das an einem Ort Keimwurzeln schlägt,

brodelt es noch ziemlich. Es ist nicht so,

sich ausbreitet und dabei Kraft entfaltet. Unterschiedlichste Konzepte sind mög-

ist dabei weniger wichtig. Angenommen, die Schule würde auf die Idee kommen,

dass Nutzung, Finanzierungsform oder

Idealzustand eines Kreativquartiers denkt,

30 Prozent ihrer Klassenräume in die WH

Nutzungsart zwischen Akteur und Bauherr

dann wäre es für mich super, wenn es nicht

auszulagern, dann verändert sich die Situ-

lich und man muss sich in dem Prozess sehr

übereinstimmt und sich eine Burg daraus

nur um eine Immobilie geht. Eine Halle

ation. Dann entsteht eine vernetzte Stadt,

stark Reflektionen unterwerfen. Immer wieder

entwickeln kann. Sehr spezifisch für diese

oder ein Gebäude, in dem ein paar Kreative

eine andere Idee von Lernen, Bildung und

schauen: Wo stehen wir eigentlich und wo

organischen Kreativquartiere ist, dass sie

arbeiten. Anders wäre das, wenn das Ganze

Wissenschaften. Dann denkt man Schu-

wollen wir hin? Was macht unser Pro-

sehr stark mit Oszillationen zu tun haben.

nun eine große, kritische Masse erreicht,

le zusammen mit beruflichen Biografien.

jekt eigentlich aus? In welche Richtung wollen

Es gibt ein starkes Ausloten und

wie z.B. in München. Bei diesem Wettbewerb

Genauso könnte auch eine Kulturinstitution

wir uns entwickeln?

Austarieren zwischen den Nutzungen in der

in München wurde nicht über einzelne Ge-

handeln oder ein Investor, der Wohnungen

näheren Umgebung. In vielen Gebieten es

bäude gesprochen, sondern über eine Art

entwickeln will.

Der städtebauliche Kontext – Segen oder

geht knallhart um die Raumfrage: Wer

Labor-Quartier und zwei Hallen auf einem

SB

Fluch?

hat die Hoheit über den Raum? Wer kann

Gebiet von 3-5 ha. Dieses Gebiet wird zu ei-

Funktion von Gebäude.

den Raum gebrauchen? Es geht dabei um

ner Schutzzone erklärt, in der man zwar

KO Stadtplaner und auch Immobilienent-

Finanzierung und um Geld. In vielen Fäl-

politisch verankert, dass es Wohnungen

wickler haben einen gemeinsamen Nenner,

in dem Gebiet, werden immer mehr zugebaut.

len kommt es dann auch zu einer Phase, in

gibt, aber der man auch einräumt, dass sie

was als Quartier bezeichnet wird. Es wer-

Gleich nebenan entsteht die Duale Hochschule

der das Ganze zu einem Krieg führt. Dann

sich langsamer entwickeln darf als andere

den Nutzflächen geschaffen. Diese werden

Gebiete.

verkauft und die Stadt macht „ein bisschen

Die Wagenhallen in Stuttgart, als Solitär

Baden-Württemberg, nach deren Fertigstellung

versuchen alle, Bauträger, Immobilienbe-

sich täglich 1500 Schüler auf dem Gelände

sitzer, Stadtverwaltung oder kreative Nutzer,

SB

bewegen werden. Die Aktionsfläche vor den Hal-

irgendwie die Oberhand zu gewinnen und

lichen Maßstab gedacht?

Also den Quartiersbegriff im städtebau-

Also die Auflösung der klassischen

öffentlichen Raum“ als Gegenleistung. Insofern alles veräußert werden kann, funk-

len und der Raum vor den Ateliers könnte eine

haben jeweils ihre eigene Strategie. Entweder

KO Genau. Damit spannt man ein Feld auf,

tioniert das auch. Der Begriff Quartier ist

enorme Einschränkung erfahren, da die Flächen

durch rechtliche Festsetzungen, durch Kauf

in dem es andere Rahmenbedingungen gibt,

ein ökonomisches Rechenmodell, das sich

als Erweiterung des Schulhofes herangezogen

des Geländes oder auch durch Festivals,

ohne herkömmliche Verwertungslogik, quasi

für die Stadt rechnet, weil Steuerzahler

werden könnten. Welche rechtlichen Konsequen-

Besetzung und öffentliche Aufmerksamkeit.

ergebnisoffen. Es gibt zwar einen städte-

einziehen und sich das natürlich auch für

zen das haben würde, kann man sich ausmalen.

Es gibt oft Phasen, in denen diese Interes-

baulichen Entwurf, verschiedene Ökonomien

den Eigentümer oder Immobilienentwick-

sen sehr stark miteinander konkurrieren.

und es werden Organisationsmodelle ent-

ler rentiert. Aber dieser Quartiersbegriff

wickelt. Dafür nehmen wir uns Zeit, fünf Jah-

hat nichts zu tun mit den gesellschaftli-

KO Bei den Orten, die wir in unserem Ge-

p.278

das Engagement von allen Seiten. Für

KO Wenn man jetzt an den möglichen

SB

spräch untersucht haben, gibt es fast

SB

Dieser Konfliktaspekt ist bei fast allen

Klaus Overmeyer

entwickelt, mit der die restlichen 13.000

sich in einem solchen Umwandlungsprozess.

immer einen Kristallisationskern, der seine

Kreativquartieren vorhanden und zumindest

re beispielsweise, ein Spielfeld, das wir uns

chen Herausforderungen, denen wir uns

Zeit zur Entwicklung benötigt. Wir nehmen

in den Wagenhallen braucht es diesen auch,

selbst erschaffen haben. Grundsätzlich

in Zukunft stellen müssen. Fragen wie: Wie

als weiteres Beispiel das Gelände der Exro-

denn nur durch diesen Konflikt ist das Ganze

macht es auch sehr viel aus, wenn sich in der

wollen wir leben? Wie ist unser Zusammen-

taprint in Berlin, eine aufgegebene Fabrik.

entstanden. Es gibt dort jetzt den Kunstverein,

Stadt und unter allen Beteiligten die Hal-

leben? Was macht eigentlich Spiritualität

Zwei Schlüsselakteure ziehen als Mieter ein

eine Kooperationen mit der Stadt, Veranstal-

tung entwickelt, dass alle davon profitieren

aus? Wie bewegen wir uns fort? Wie lernen

und haben 2.000 m2 von den gesamten

tungsreihen und den Veranstaltungsbereich. Das

können. Wenn man an den Punkt kommt, an

unsere Kinder? Wie ernähren wir uns? In

15.000 m2. Sie haben ein Geflecht, eine

alles hat sich meines Erachtens nur durch

dem auch die angrenzenden Akteure, ob

dem herkömmlichen Quartiersbegriff wird

Organisationsform und Finanzierungsform

diesen Konflikt ergeben. Denn die Leute, die

Bauträger, Schulen, Kulturinstitution oder

das alles nur reduziert auf eine quantifi

p.279

Exkurs — Interview

die Akteure das wollen oder nicht – befindet


jeder seine eigene Hütte mit den zur Verfügung

SB

Berechnung mit Goal-Standards, Energieef-

stehenden finanziellen und materiellen Mitteln?

logie. Könnte das Kreativquartier also nicht

fizienz-Zertifikaten und Menschen, die mit

KO Dafür bin ich zu wenig Architekt. Ich

im Sinne eines städtebaulichen Gefüges, son-

Erdgasbussen fahren. Das ist alles top, aber

will das auch nicht „brandmarken“. Es gibt

dern als Gebäude oder vielleicht Gebäudean-

an den wesentlichen Fragestellungen geht das

da ganz hervorragende Sachen. Es geht

sammlung zu einer eigenständigen Typologie

eigentlich vorbei.

nicht darum, sich aus den Sachzwängen zu

werden?

SB

verabschieden und zu sagen, „wir machen

Die Charta von Athen im stadtplaneri-

Abschließend noch eine Frage zur Typo-

Klaus Overmeyer

Exkurs — Interview

zierbare und technologisch wirtschaftliche

KO Ich denke hier nicht in baulichen Typo-

schen Sinne, wie auch die einzelnen Gebäude-

hier neue Ökonomien“. Es gibt ganz klar

logien, sonder eher in Methoden. Wenn man

typologien, scheinen sich also immer weiter

eine wirtschaftliche Seite und die muss sich

dieses Quartier als einen bestimmten Prozess

aufzulösen. Da stellt sich für mich die Fragen

auch rechnen. Dann müssen sich die Leute

oder Methode sieht, dann ist das für mich viel

ob der herkömmliche Typologiebegriff über-

damit auseinander setzen. Mir geht es

mehr Wert. Wenn man sich dem annähert und

haupt noch Bestand hat?

eigentlich nur darum, dass Architektur und

ergebnisoffen agiert.

KO Ich glaube, dass der Architekt immer

Städtebau in einem anderen Kontext disku-

SB

einen Hang zur Autonomie hat. Architek-

tiert werden und nicht nur in irgendwelchen

Ich bedanke mich für das Gespräch.

Das Gespräch wurde am 12.02.2013 in

ten wollen sich mit den gesellschaftlichen

Fachjurys, in denen auch nur Architekten

Transformationsprozessen oft nicht aus-

sitzen. Wir müssen davon wegkommen,

im Bistro 21 des Bahnhofsturms Stuttgart

einandersetzen. Sie ziehen sich auf eine

dass das die einzige Ebene der Diskussion

geführt.

autonome Position zurück und behaupten,

ist.

sie bauen Stadt und definieren Räume, in denen Stadt entsteht. Dem fügen sie die

Regelwerk und geistige Freiheit

Begriffe Nutzungsmischung, europäische Stadt und Urbanität hinzu, und das Kapitel

SB

ist für sie zu Ende. Ich hasse diesen Begriff

und irgendwie scheitern die Pläne immer an

p.280

SB

irgendwelchen öffentlichen Stellen. Die letzt-

oder sogar missbraucht wird. Was für mich

endliche Umsetzung eines Projektes ist nur

den Reiz ausmacht ist die offene Situation

ein ganz kleiner Teil des Gesamtprozesses.

und dass über Stadtentwicklung neu ver-

KO

handelt und neu debattiert wird. Dass

Aber für diese Diskussion haben sie Raum

diese Situation auch damit zu tun hat,

geschaffen. In München in Form eines

Das ist überall so. Auch in München.

dass nicht nur über feste Bilder und Rende-

Wettbewerbs. Der Wettbewerb war Auslöser

rings diskutiert wird. Wichtiger ist eher, wie

dafür, dass diese offenen Parameter nun in

man mit Bestand umgeht, wie man sich

der Stadtverwaltung, in der Politik und bei

zusammen organisiert, welche Vorstellung

den Parlamentarien festgesetzt sind. Ein

man als Individuum hat, aber auch welche

Labor – drei Hektar groß – das Ganze nennt

Vorstellungen wir von Gemeinschaft haben.

sich Kreativquartier. So haben sie sich ei-

Man merkt, dass der Raum eine viel stärker

nen Freiraum und einen Spielraum geschaf-

formbare Masse ist und wie diese Masse

fen. Ein erster Schritt wäre, zu sagen: „Wir

geformt wird, bestimmt nicht allein der

nehmen uns Zeit. Über den Raum reden wir

Architekt. Das Thema wird in eine größere

später. Wir denken Stadt einmal anders.

Debatte einbezogen, aus der letztendlich

Wie genau, das wissen wir noch nicht. Wir

die Form entsteht.

stellen erst einmal Fragen.“ Das ist ein

Und dann entstehen Gebäude oder

Städte, die diesen Randbedingungen gerecht werden? Überspitzt gesagt: Baut dann wieder

großer Schritt. Ich glaube dann können wir Städte in den Griff bekommen.

p.281

„Kreativquartier“, weil er so oft gebraucht

Man sieht oft, dass es viele Ideen gibt


Museumsquartier | Kreativquartier in Wien Einführung p. 282 – 289 | Urbaner Kontext p. 290 – 301 | Geschichte p. 302 – 305 | Gebäude p. 306 – 319 | Institutionen als Akteure p. 320 – 325 |



Museumsquartier — Wien

Einführung

p.286

p.287


ben werden, sowie etliche weitere Räume, die das Pro-

benslust – das MuseumsQuartier Wien ist mit rund 70 kultur-

duzieren und das Ausstellen als einheitliches Konzept

ellen Einrichtungen nicht nur eines der weltweit gesehen größten

behandeln.

Kunst- und Kulturareale sondern mit seinen Innenhöfen, Cafés

Als touristische Einrichtung ist das MQ aus Wien nicht

und Shops auch eine Oase der Ruhe und Erholung inmitten der

mehr wegzudenken. Über 300 Jahre sind vergangen

Stadt.“

seit dem Bau der ursprünglich kaiserlichen Hofstallun-

Auf dem etwa 90.000 qm großen Gelände des MQ sind

gen. Eine informelle Vorgeschichte mit anschließender

nahezu alle Bereiche der Kultur- und Kreativwirtschaft,

langer Planungsphase haben den Komplex MQ zu dem

von bildender und darstellender Kunst, Architektur, Mu-

gemacht, was es heute ist. Ein – in planerischer Hin-

sik, Mode, Theater, Tanz, Literatur, Kinderkultur, bis

sicht – abgeschlossenes Projekt, das sich zwar weiterent-

hin zu Game Culture, Street Art, Design oder Fotografie

wickelt und verändert, aber sein Ziel einer etablierten

vertreten.

Einrichtung erreicht hat. Als „fertiges Projekt“ stellt das

Kunst und Kultur wird hier nicht nur produziert, son-

Einführung

Museumsquartier — Wien

Einleitung — Museumsquartier | „Kunstgenuss und Le-

MQ ein mögliches Entwicklungsszenario eines Kreativ-

dern auf professionelle Art und Weise auch vermarktet.

quartiers dar. Im Gegensatz dazu sind die anderen drei

Der Gedanke der parallelen Produktion und Konsump-

Quartiere auf dem Weg, zur Institution zu werden oder

tion war immer Teil der Planung des Quartiers und

gar sich aufzulösen.

somit Kriterium dafür, mit in unsere Untersuchung aufgenommen zu werden. Diese Tatsache macht das MQ einzigartig und zum Kreativquartier, welches sich somit von dem ähnlichen Komplex der Museumsinsel bergt u. a. Künstlerateliers, die über Stipendien verge-

p.289

p.288

abgrenzt. Das im Areal angesiedelte Quartier 21 beher-


Urbaner Kontext

Museumsquartier — Wien

1. 7.

6. 4. 5. Museumsplatz 1 1070 Wien Österreich

1 : 10 000

Bezirke

1. Bezirk (Zentrum) 3,01 m2 16 854 Einwohner

6. Bezirk 2

1,48 m 29 623 Einwohner

7. Bezirk 1,61 m2 30 392 Einwohner

p.291

p.290

Museumsquartier


Urbaner Kontext

Museumsquartier — Wien

Bus

Citybike Station

Tram

U-Bahn

Flächennutzung

Sondergebiet Wohngebiet Wohngebiet/Geschäftsviertel Baugebiet/Geschäftsviertel

Gemischtes Baugebiet Nicht definiert

p.293

p.292

Infrastruktur


Urbaner Kontext

Museumsquartier — Wien

Parkflächen

Städtebauliche Axonometrie

Bus Tram

Citybike

p.295

p.294

Natur


Urbaner Kontext

Museumsquartier — Wien

1:5 000

Flächennutzung

Kernzone

Außenzone

p.297

p.296

Museumsquartier


Urbaner Kontext

Museumsquartier — Wien

40

m

m 50

p.298

1:5 000

Gebäudealter

< 1943

> 2000

1943 – 1985

keine Angabe

1985 – 2000

p.299

110 m

Schwarzplan / Entfernungsringe


1

2 3 2

3

5

Urbaner Kontext

Museumsquartier — Wien

1

4

4

6

Politik & Justiz

Kultur

1 2 3 4

1 2 3 4 5 6

Parlament Justizpalast Bundesministerium für Justiz Stiftskaserne

Volksgarten Volkstheater Naturhistorisches Museum Kunsthistorisches Museum Hofburg Semperdepot

4

3 Konsum

1 Österreichische Geographische Gesellschaft 2 Akademie der Bildenden Künste 3 Technische Universität Wien

1 Maria-Hilfer Straße ist eine der größten Einkaufsstraßen in Wien 2 Gumpendorfer Straße: Cafés und kleine Geschäfte 3 Siebensterngasse: Cafés und Geschäfte 4 Burggasse: Cafés und Geschäfte

p.300

Nutzung

1 1 3 2

2

1:5 000

p.301

Erziehung


Geschichte des MQ 1719 –1918

Geschichte

Museumsquartier — Wien

Phase I: Hofstalllung

1719 Beginn der Bauarbeiten. Der Idealplan - als Vorbild dient Fischer von Erlachs Rekonstruktion der „Domus Aurea Neronis“ - sieht u.a. Stallungen für 600 Pferde, einen „Wagenschupfen“ für 200 Karossen- und Galawagen, ein Amphitheater für die ZuschauerInnen von „Carousel´s“ im großen Hof und eine Pferdeschwemme vor.

1725 Fertigstellung der Hauptfront. Die Hofstallungen erweisen sich schon bald als zu klein.

1850 – 1854 Kaiser Franz Joseph I. lässt die Hofstallungen von Leopold Mayer umgestalten und erweitern. Die Winterreitschule im klassizistischen Stil und eine Sommerreitbahn kommen hinzu.

1918 Nach dem Ende der österreichisch-ungarischen Monarchie wird ein Großteil der Bestände versteigert. Die Hofstallungen hatten bereits durch die Erfindung des Automobils ihren Verwendungszweck als Stall- und Wagenburg verloren.

Geschichte des MQ 1921 –1982

Phase II: Messepalast

1921 Die Wiener Messe nutzt die Hofstallungen als Ausstellungsgelände. Hinter der Winterreithalle wird eine große Halle errichtet. 1922 entsteht die Bezeichnung „Messepalast“.

1940 – 1945 Im Messepalast finden Propagandaveranstaltungen statt.

1946 Die Wiener Messe nimmt ihre Tätigkeit wieder auf, es kommt zu weiteren Um- und Zubauten, die zum Teil provisorischen Charakter haben. Im Haupthof werden in der Folge zwei große Hallen errichtet.

1982 Diskussionen um die Nutzung des Messepalastes als Shopping-City (Bautenminister Karl Sekanina, SPÖ), Hotel (Finanzstadtrat Hans Mayr, SPÖ) oder Kulturforum (Wissenschaftsminister Heinz Fischer, SPÖ).

1986 – 1987 Ausschreibung der ersten Stufe eines Architekturwettbewerbs. Zwingend unterzubringen waren unter anderem eine Ausstellungshalle und das Museum Moderner Kunst. Unter 88 eingereichten Projekten ermittelt die Jury sieben PreisträgerInnen, darunter die Brüder Laurids und Manfred Ortner.

1989 Busek bezeichnet das Areal erstmals als „MuseumsQuartier. Der Schwerpunkt des neuen „enthistorisierten“ Konzepts liegt nunmehr auf zeitgenössischer Kunst und Kultur.

1990 April: Die Jury empfiehlt einstimmig den OrtnerEntwurf zur Ausführung. Er sieht unter anderem zwei Türme (einen schlanken mit elliptischem Grundriss für die Bibliothek und einen zylindrischen für Büros) vor.

1983 Fischer gibt das Konzept für ein Kulturforum in Auftrag.

p.303

p.302

Geschichte des MQ 1983 –1990

Phase II: Messepalast


Geschichte

Museumsquartier — Wien

1995 Dritte Redimensionierung: Die Kubatur ist gegenüber dem Wettbewerbsprojekt um die Hälfte verkleinert, der Turm gekappt, die maximale Höhe beträgt 24 Meter. Das MUMOK verliert ein Stockwerk, die Grundfläche ist um 25% kleiner. Die Neuplanung beginnt. Nach langen Auseinandersetzungen fällt die Entscheidung gegen den alsarchitektonisches Zeichen geplanten Leseturm. Es starten Pilotprojekte zur kulturellen Nutzung (Architekturzentrum Wien, Kunstraum, Depot, Kindermuseum, Public Netbase u. a.).

2008 3,6 Mio. BesucherInnen jährlich, 1,3 Mio. BesucherInnen in den kulturellen Einrichtungen.

1997 Baubewilligung und positiver Bescheid des Denkmalamts. Im Dezember erfolgt der Spatenstich. 1998 Baubeginn

2001 Abschluss der Bauphase I. Offizielle Eröffnung des MQ durch Bundespräsident Thomas Klestil, Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, Bildungs- und Kulturministerin Elisabeth Gehrer, Bürgermeister Michael Häupl.

2011 Das MuseumsQuartier feiert Ende Juni das 10-jährige Jubiläum seiner Eröffnung.

2002 Abschluss der Bauphase II d.h. Renovierung des historischen Fischervon-Erlach-Trakts und Errichtung des quartier21 (Eröffnung am 13. September).

Juni 2004 Aufgrund von Frequenzzählungen werden bereits 2,5 Millionen MQ-BesucherInnen pro Jahr errechnet. 95% der BesucherInnen sehen das MQ als Bereicherung für die Stadt. Fertigstellung MQ West, Breite Gasse. DSCHUNGEL WIEN Theaterhaus und Glacis Beisl feiern Eröffnung. Abschluss der Bauphase III. Der 100. Künstler des Artist-in-Residence Programms des quartier21 zieht ein.

2006 Nach 5-jährigen Bestehen startet das Museumsquartier einen Ideenwettbewerb mit der Frage, wie das Areal 2020 aussehen könnte.

2011 Erweiterungsentwurf von Ortner & Ortner. Das Projekt mit dem sogenannten Titel „Libelle“ sieht einen Anbau am Leopold Musuem vor.

p.305

p.304

Geschichte des MQ 2008 –2011

Geschichte des MQ 1995 –2006

Museumsquartier Bauphase



Gebäude

Museumsquartier — Wien

Nutzungsfläche Gesamt Hof 6 Vorplatz ca. 13.000 m2

Hof 7 Hof 4

Hof 5

Hof 8 Innenhöfe ca. 4.800 m2

Haupthof 1

Vorplatz ca. 13.000 m2

Haupthof ca. 10.000 m2 Hof 3

Hof 2

Vorplatz

Nutzungsfläche Innenräume

Architekturmuseum

Museum Moderner Kunst Wien

Halle E+G Zoom Kindermuseum

Quartier 21 7.000 m2

Gemischte Nutzung

WienXtra Kinderinfo 251 m2

Gemischte Nutzung

Tanzquartier Wien 985 m2

Performance

Theaterhaus Dschungel Wien 1.198 m2

Theater/ Performance

Zoom Kindermuseum 1.786 m2

Museum

Architekturmuseum Wien 1.914 m2

Museum

Halle E+G 2.862 m2

Theater/ Performance

Kunsthalle Wien 4.654 m2

Museum

Museum Moderner Kunst Wien 13.156 m2

Museum

Leopold Museum 11.298 m2

Museum

Kunsthalle Wien

Leopold Museum

Tanzquartier

Quartier 21

Quartier 21

p.308

Theaterhaus Dschungel Wien

p.309

wienXtra Kinderinfo


Gebäude

Museumsquartier — Wien

Zugänglichkeit

Gebäudeeingriff

Gebäudeeingriff

p.311

p.310

Gebäudeeingriff


Grundriss Hautpeingang

Grundriss Hautpeingang

Schnitt

Schnitt

Ansicht

Eingangsbereich Ausstellungsflächen

Ansicht

Eingangsbereich Ausstellungsflächen

p.313

p.312

2

1

1

2

Kunsthalle Wien

Gebäude

Museumsquartier — Wien

Leopold Museum


Quartier 21

Gebäude

Museumsquartier — Wien

MUMOK Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien

Grundriss und Schnitt Gebäudebestand & Transformation Visuelle Geschichtsbezüge 1

2

2

Skulpturen als Referenz 1

Grundriss Hautpeingang

Säulen und Gewölbe

Schnitt

Ansicht

Eingangsbereich Ausstellungsflächen

Fassaden und Öffnungen

p.315

p.314

Decken und Beleuchtung


Gebäude

Museumsquartier — Wien

Kunstproduktion Artists in Residence

Öffentlicher Raum

Studio 501

Studio 01 Studio 802

Studio 513

Studio 02

Studio Black Sea Stizmöbel „Enzi“ Studio 513

Studio 513

Methoden der Organisation

Studio 501

Studio 01 2

43 m2

77 m

Studio 513

Studio 02 53 m2

Studio 613

43 m2

Studio 802 43 m2

Studio Black Sea 67 m

2

54 m2

p.317

p.316

Studio 713

74 m2


Gebäude

Museumsquartier — Wien

Cafe Leopold Glacis Beisl Kunstgenuss Halle

Gastronomie

Corbaci

Kantine

MQ Daily

MQ Daily

p.319

p.318

Überwachung


nen mit wechselnden Gesichtern. Bei den unterschiedlichen Institutionen handelt es sich um Museen und andere kulturelle Einrichtungen. Sie haben eine eigene feste Hierarchiestruktur, die unter dem Begriff Museumsquartier als eigenständige Einrichtungen agieren.

— Marketing/Werbung im Museumsquartier

Institutionen als Akteure

Im Falle des Museumsquartiers sind die Akteure Institutio-

p.321

Museumsquartier — Wien p.320

Institutionen als Akteure


Museumsquartier — Wien

Museumsquartier Gelände

p.322

p.323


Museumsquartier — Wien

Museumsquartier Gelände

p.324

p.325


pold-Museum. Die ursprüngliche Idee war,

neue Architektur zu wenig offensiv. Doch

dass das MQ eine Art Work in Progress ist

gruppe für die Neustrukturierung der Bundes-

das MQ war eines der ersten Projekte, wo die

und verschiedenste Dinge dazukommen, wie

alle werden mit Einladungen überschwemmt.

museen eingesetzt. Deren Empfehlung: den

Vermischung zwischen Alt und Neu konkre-

Anlagerungen.

Gegen diese Inflation muss man strategisch

MO Natürlich besteht diese Gefahr. Aber wir

Messepalast in eine Museumsinsel zu verwan-

te Formen bekam. Das war eine Herausfor-

deln. Doch es dauerte. Zuerst galt es ja noch zu

derung im innerstädtischen Bereich und

MO Nein. Bisher nicht. Wolfgang Waldner

hänge herstellen - auch international. Das

klären, ob nicht vielleicht doch ein Shopping-

betrifft alle europäischen Metropolen. Und

war als MQ-Geschäftsführer eher ein Major-

könnte wie bei Biennalen sein, dass es ein

center ins Areal der Hofstallungen einziehen

von der Figuration her ist das MQ von der

domus, der dafür sorgte, dass das Areal in

großes Leitthema gibt.

sollte. Oder gar ein Hotel? 1986 wurde die er-

ersten Minute an so gewesen, wie es jetzt

Ordnung gehalten wird, Schanigärten hinein- AS

ste Wettbewerbsstufe ausgeschrieben, aus 88

dasteht. Man kann ruhig stolz darauf sein,

kommen und die Besucher gut verköstigt

Projekten kamen für die Jury sieben in die en-

dass das architektonische Konzept gehalten

werden. Das ist ja auch alles geglückt. Aber

umsinsel immer überraschend gut ab. Woran,

gere Wahl. 1990 gewannen Laurids und Manfred

hat.

was von allem Anfang an verabsäumt wur-

glauben Sie, liegt das?

Ortner den Bewerb. Doch es dauerte wieder:

AS

AS

Jeder neue Mumok-Direktor baut erst

vorgehen und wieder größere Zusammen-

Passiert das?

AS

litische Kontroversen später wurde einer der

Karola Kraus tut es wieder. Ein Zeichen von Pla-

nicht vorbehaltlos zufrieden, wie sich das Mu-

größten Kulturkomplexe weltweit eröffnet.

nungsmängeln?

seumsquartier entwickelt hat?

Das MQ schneidet im Vergleich zu ähn-

lichen Kulturbezirken wie der Berliner Muse-

de, ist ein übergeordnetes Programm.

Erst elf Jahre, etliche Adaptionen und heftige po- einmal um. Edelbert Köb hat das gemacht,

MO Die Berliner Museumsinsel und David

Täuscht der Eindruck, oder sind Sie

Chipperfields Neues Museum sind wie eine Erfolgswelle um die Welt gegangen, während wir uns mit dem MQ zuerst einmal ge-

Aber ohne Leseturm, der mit 66 Metern das

MO Wenn jemand ein Haus übernimmt, wird

MO Da gibt es schon einige Vorbehalte. Es

genseitig die Köpfe eingeschlagen haben. Es ist das mit Abstand am besten ins städt-

Wahrzeichen des MQ werden sollte.

er ein paar Korrekturen anbringen wollen.

war ja als ein großes kulturelles Zentrum

(Andrea Schurian, DER STANDARD - Printausga-

Das erachte ich als selbstverständlich. Vor

konzipiert. Doch es hat sich zu einem großen

ische Geflecht integrierte Areal. Eines der

be, 28. Juni 2011)

zehn Jahren war es gang und gäbe, gläser-

populären und populistischen Zentrum ent-

großen Vorurteile war ja, dass sich das Neue

ne Museen zu machen, busweise die Landbe-

wickelt, wo Kultur nachrangig ist. Da müsste

gegen das Alte durchsetzen muss. Aber das

AS

völkerung herbeizukarren. Dem Mumok hat

man wieder nachjustieren und zurückre-

ist völlig anachronistisch. Es gibt ein intelli-

MO Natürlich fehlt er als architektonisches

man vorgeworfen, ein monolithischer Block

klamieren, was ursprünglich gedacht war.

gentes Miteinander.

Signet, als Stachel im Fleisch, den das Stadt-

zu sein. Ja! Wir sind bewusst den umgekehr-

Da hängt viel davon ab, was der neue Direk- AS

bild schon vertragen hätte. Ich bin erstaunt,

ten Weg gegangen, das halte ich für richtig

tor oder Leiter des MQ können soll.

dass er bis jetzt nicht von außen, von der Po-

und wichtig. So, wie wir es damals geplant

AS

litik oder den Medien, reklamiert wird. Man

haben, fängt man heute, zehn Jahre später,

denn können?

könnte sagen: Nach zehn Jahren sei man klü-

an, sich der Kunst zu nähern: ein wenig

MO Sicher ist erfreulich, dass das Areal fast

ger geworden, weil man sieht, was in ande-

vorsichtiger, konzentrierter, demütiger viel-

Wiens gute Stube geworden ist. Doch jetzt

man größere Aufhänger schaffen, um dem

ren Metropolen möglich ist. Und weil man

leicht sogar. Man stellt Orte der Konzen-

wäre notwendig, dass man die Kultur wieder

Ganzen den Pep zu geben, den es verdient.

erkennt, wie wichtig das Kulturprofil für Stä-

tration her, die unabhängig von Quoten das

zurückholt. Das MQ ist ja nicht als hetero-

dte ist.

leisten, was von Museen verlangt wird:

gener Haufen diverser Kulturinstitutionen an-

ein Ort der intensiven Auseinandersetzung

getreten. Sie alle sollten wie ein Ensemble

mussten Sie in den elf Jahren eigentlich um-

mit Kunst zu sein. Ich glaube, das ist uns

gemeinsam denken, agieren, gemeinsam ge-

planen?

besser geglückt als diesen gläsernen Kisten.

führt werden. Das Wichtigste ist, dass die

AS

Tut es Ihnen um den Leseturm noch leid?

Unumstritten war das MQ nie. Wie oft

Und was sollte der Ihrer Ansicht nach

MO Das wird immer ein bisschen infam hin-

Die Rätselhaftigkeit, die ein Kunstbau wie

neue Leitung ein Programm entwickelt, das

gestellt. Es gab weniger Umplanungen als

dieser auch braucht, ist im Mumok vorhan-

die vorhandenen Institutionen zu einem

den.

großen Ganzen macht und nicht jeder für

für ein so großes Projekt üblich sind. Aber es stimmt, wir mussten die Gebäude um

AS

25 Prozent reduzieren, auch wegen der Kro-

miteinbezogen?

nen Zeitung, die vom „Museumsmonster“ p.326

Hut bringen kann, ohne beliebig zu werden?

Sind Sie in die Jubiläumsfeierlichkeiten

Interviewe mit Manfred Ortner

der Reduktion der Gebäude. Einigen war die

Vielleicht also doch kein gemeinsames

Thema? Gerade die Vielfältigkeit wird in allen Studien als Besonderheit des MQ betont. MO Das eine schließt das andere nicht aus. Der Pluralismus bleibt ja. Trotzdem müsste

sich sein Süppchen kocht. AS

Aber es sind doch sehr unterschiedliche

MO Ja, es gibt kleinere Einladungen. Ich ha-

Institutionen - Leopold-Museum, Mumok, Tanz-

schrieb. Diejenigen, die das MQ von Anfang

be Dietmar Steiner vorgeschlagen, eine

quartier, Ovalhalle, Architekturzentrum etc. -

an vehement verteidigten, fühlten sich dann

Präsentation all dessen zu machen, was an

mit sehr unterschiedlichen Interessen. Glauben

verraten vom Wegfall des Leseturms, von

baulichen Ergänzungen vorgesehen war:

Sie wirklich, dass man die inhaltlich unter einen

p.327

Zeitungsauszug von Andrea Schurian

Wien - 1981 wurde von der damaligen Wissenschaftsministerin Herta Firnberg eine Arbeits-


(Binz), welches kurz vor der Auflösung steht.

„Institution-geworden“ beschrieben. Diese In-

Den Gegenpol könnte man in einer ökonomische

stitution ist nun bekannt unter der Marke MQ

Verankerung der Nutzer in der Kultur- und Kre-

bildenden Künste Wien und hat 2012 die Aus-

EK Auch das MQ hat eine informelle Nut-

und somit auch weltweit touristisch attraktiv.

ativwirtschaft sehen. Nutzer, die sozusagen Teil

stellung „Hands-On Urbanism 1850 - 2012“ im

zungsgeschichte. Sogar eine sehr lange,

Dabei wird es auch finanziell von verschiedenen

eines verwertbaren Prozesses sind. Die folg-

Architekturzentrum Wien kuratiert,

bevor es das wurde, was ihr heute als Insti-

Interessenten unterstützt.

tution bezeichnet. Im Gespräch mit Sascha Bauer und Daniel

DS

Springer

tivquartier eine Typologie ist, welche anhand

Wir möchten herausfinden, ob ein Krea-

finden sich die beiden gewählten Quartiere,

sengruppen unterstützt. Vom Staat (Öster-

NDSM und Wagenhallen.

reich) und vom Bund (Wien).

EK Ich glaube, es ist viel komplizierter. Auto-

DS

Einführung

dingungen entworfen und geplant werden

Kulturinstitutionen vor Ort, Museen wie das Leo-

kann. Wenn dem so ist, dann könnten wir als

pold, mumok, Kunsthalle, usw.

DS

Architekten und Architektinnen – ganz klas-

EK

das Museumsquartier in Wien, die Wagenhal-

sisch – mit Hilfe von gebauten Beispielen die-

stützte Institutionen, die teilweise hinter-

und Binz bilden die Bandbreite (Autonomie,

len in Stuttgart, die NDSM in Amsterdam und

ser Typologie arbeiten, ähnlich wie man es

gründig eine private Schenkungsgeschichte

Institution). Dazwischen gibt es die anderen

das Binz in Zürich. Wir beschäftigen uns unter

bei Flughäfen, Bürogebäuden oder Schulen

haben. Ein Besitz sozusagen, der in die

Kreativquartiere. Der gesuchte Begriff da-

anderem mit der Frage nach der Vergleichbar-

machen würde.

Republik übergegangen ist. Was ich viel in-

für müsste selbsterklärend sein. Das heißt,

keit solcher Quartiere.

SB

teressanter finde ist, dass hier (Museums-

es geht primär um eine Einteilung und Gra-

EK Das sind alles Umnutzungen. SB

Aber alle mit einem unterschiedlichen

Die Binz soll zeitnahn aufgelöst werden

Ich denke da an die verschiedenen

nomie und Institution funktionieren als selbsterklärende Begriffe. Man müsste einen Begriff dafür finden, was ihr durch die

Das sind eigentlich alles staatlich unter-

Schwelle zum Ausdruck bringen wollt. MQ

und Platz machen für ein Neubauprojekt. Bei

quartier) irrsinnig viele Leute wohnen und

der NDSM war das anfänglich auch der Fall. Da

einfache Mieter sind. Ich würde behaupten,

DS

dass es also eine sehr hybride Einrichtung

spiele, die durch Bottom-Up-Strategien oder

Ansatz. Auf der einen Seite haben wir ein Quar- das Gebäude unter Denkmalschutz steht, wur-

dierung dieser Strukturen. In ihren Untersuchungsbereich fallen Bei-

tier, das wir mit dem Begriff der Institution

de die Zwischennutzung jedoch geduldet.

ist. Und das wird für mich aus diesem Be-

auch durch partizipative Strukturen geprägt

beschreiben, zwei Quartiere befinden sich an

Daraufhin wurde aus der Zwischennutzung ein

griff der Institution nicht klar. Das MQ ist

sind. Ein Kreativ- oder Kunstquartier lebt oft

der Schwelle und ein weiteres bezeichnen wir

festgeschriebenes Konzept. Die Wagenhallen

ja nicht nur ein Kulturquartier, sondern es

durch diesen Hang zur Partizipation. Viele Men-

als autonom. Bei der NDSM kann man den

entstanden aus einer ähnlichen Situation, wäh-

gibt dort auch Kindergärten, Restaurants,

schen, die verschiedenste Ideen haben, sich

Weg der Institutionswerdung bereits feststellen.

rend der Diskussion um Stuttgart 21. Wobei

Bewohner und Bewohner mit so alten Miet-

austauschen und verwirklichen wollen. Wenn

Gemeinsam mit Architekten hat die Stadt eine

sie sich durch Öffentlichkeitsarbeit und auf-

verträgen, die man gar nicht mehr kün-

man das Wort „Kreativität“ übersetzt, bedeutet

grund von engagierter Kulturarbeit als fester

digen könnte. Der Begriff „Hybrid” würde für

es: Etwas zu machen und/oder zu erschaffen.

„Kunststadt“ im Inneren der alten Hallen geplant und umgesetzt. Die Binz ist ein autonomes

Bestandteil in der Kulturlandschaft Stuttgarts

mich sehr viel besser passen, als der Be-

EK Ich bin mir nicht sicher, ob man diese

Gelände in Zürich, das sich eher introvertiert

verankern konnten. Anhand mehrerer Aktionen

griff „Typologie”. Aber ich würde trotzdem

Quartiere als Kreativquartiere bezeichnen

und auf unverschiedlichen Ebenen diamet-

ist es nun fast unmöglich, diese Kulturinsel zu

nochmal gerne zu den anderen Begriffen

kann. Es sind alles sehr hybride Einrichtun-

ral zum MQ verhält. Da stellt sich die Frage:

entfernen oder wegzudenken.

zurückkommen. Das MQ wird als „Institu-

gen mit unterschiedlichen Nutzungen.

tion” gefasst. Aber was bedeutet die

Noch etwas zur Geschichte des MQ: Das MQ

Können diese Gebäudekomplexe eine architektonische Typologie sein? Was haben sie ge-

Eine Begriffsklärung

„Schwelle”, unter der ihr die NDSM und die

meinsam und worin unterscheiden sie sich?

hat mit temporären Nutzungen angefangen.

Wagenhallen eingeordnet habt? Eine Schwel-

Man kann sagen, dass es dort selbstorgani-

le zwischen was?

sierte oder informelle Clubs, Künstlerate-

Wenn sie eine Typologie sind, muss dann der

DS

Begriff der Typologie neu gedacht werden, um

diese Gebäudekomplexe eine Typologie sind,

SB

die Anforderungen an diesen Gebäudetyp zu

dann ist interessant, in welchen politischen oder

len. In diesem Fall Organsiationsstrukturen,

auf legaler und illegaler Ebene gegeben hat.

verstehen?

diskursiven Umständen sie verankert sind

zwischen autonom selbstorganisierten Struktu-

In der Zeit sind erste Anker-Kultureinrich-

DS

und letztendlich auch, welchen Status sie in der

ren (Bottom-Up-Modell) und institutionellen

tungen wie das Depot oder das Architektur-

aktuellen Städtediskussion haben. Dabei kann

Strukturen (Top-Down-Modell). In autonom orga-

zentrum eingezogen, noch bevor der Umbau

Da stellt sich auch die Frage, inwieweit

diese Gebäude überhaupt miteinander ver-

p.328

lich Geld verdienen. Innerhalb dieser Spanne be-

EK Es wird eigentlich nur von zwei Interes-

von spezifischen Anforderungen und Randbe-

Sie sehen hier vier Kreativquartiere:

Angenommen wir gehen davon aus, dass

Es meint den Bereich zwischen zwei Po-

Elke Krasny

wurden, bis hin zu einem Bottom-Up-Modell

forscherin, unterrichtet an der Akademie der

liers, Bildhauerwerkstätten und dergleichen

gleichbar sind? Für uns stellen diese vier Quar-

man feststellen, dass sie sehr unterschiedlich

nisierten Quartieren können Nutzer, dem An-

überhaupt begonnen hat. Zum Beispiel hat

tiere eine Bandbreite dar: Vom Top-Down-Modell

wahrgenommen werden. Das MQ ist ein Top-

schein nach, völlig frei agieren. Der ökonomi-

sich das Architekturzentrum Wien (Az W) mit

(MQ) über zwei „Schwellenquartiere“ (NDSM,

Down-Modell mit Finanzierung, Architekturwett-

sche Druck ist geringer, denn die Räume sind

Containern in den Hof gesetzt. Gabriele

Wagenhallen), die durch Besetzung initiiert

bewerb, usw. Diesen Prozess haben wir als

besetzt, d.h. die Nutzer zahlen keine Mieten.

Kaiser hat sich in ihrem Buch „unsichtbare

p.329

Exkurs — Interview

ELKE KRASNY, Kulturtheoretikerin und Stadt-


diese unterschiedlichen Typologien, aber

achtet, dass keine brennbaren Dinge in den

wenn ich das Foyer betrete, dann weiß ich

die dort stattgefunden hat. Die politischen Dis-

Gängen stehen. Während des regelmäßigen Floh-

nicht mehr, worin ich mich befinde. Das

EK Diese Quartiere haben für mich viel mit

kussionen darüber hat der Journalist Thomas

marktes auf dem Gelände wird die Halle ab-

Hotel, die Universität, das Parlament und das

Produktion zu tun. Es geht also nicht nur

Tränker genauer verfolgt. Was heute so gefes-

geschlossen. Bei den Wagenhallen ist das noch

Spital empfangen mich alle in einem Foyer,

um das Ausstellen, sondern auch um das

tigt und institutionell aussieht, hing damals an

nicht der Fall. Aber direkt neben den WH ent-

das identisch aussieht. Damit will ich sagen,

Produzieren von Kunst und Kultur. Im MQ

einer Stimme im Gemeinde-

stehen zwei große Schulen. Ich denke, dass sich

dass der Fokus auf die Unterscheidung im

trifft das nur sehr bedingt zu. Die ansässi-

rat. Genau eine Stimme mehr hat dafür ge-

diese Situation ändert, sobald diese Schulen

Inneren gelegt werden muss. Ist das Kreativ-

gen Ateliers sind absolut dysfunktional. Man

stimmt, dass es dort überhaupt eine per-

fertig gestellt sind. Dann wird es nicht mehr den

quartier öffentlich oder nicht öffentlich?

kann sie für die Produktion nur bedingt ver-

manente kulturelle Nutzung gibt. Und das fin-

Bildhauer geben, der Schrottgegenstände

Gibt es typologische Verfahren, die mir mit

wenden. Was ich in der Debatte wesentlich

de ich sehr bemerkenswert. Für viele

und andere Dinge vor der Tür liegen lassen kann.

den Mitteln der Architektur verständlich

interessanter finde ist, dass auch das auto-

lokale und nicht-lokale Nutzer ist es heute

Die WH befinden sich im Wandel zu einer, wie

machen, dass es ein Kulturquartier ist und

nome Kulturareal eine Institution ist – eine

schwer vorstellbar, dass das MQ nicht exis-

wir es nennen würden, Institution. Mit Schließ-

welche Flächen öffentlich und nicht öffent-

autonome Institution. Und in diesem Sinne

tiert. Letztendlich war es politische Wil-lensbil-

zeiten, Hausmeister und weiteren Regulierungen

lich zugänglich sind? Das würde ich mich

sind auch Inklusion und Exklusion Untersu-

dung. Dennoch finde ich, dass Top-

wird das Quartier immer weiter institutionali-

sehr genau fragen.

chungsparameter. Man müsste hier also die

Down-Prozesse immer hybrider werden.

siert. Die andere Möglichkeit ist nur die Auflö-

DS

Bestehende Hierarchien und Institutionen sind

sung und folglich der Abriss, der von den Nut-

quartiere auf eine Art und Weise vergleichbar

chen. Die meisten besetzten Kulturzentren

geschlossen auf das Gelände des

zern natürlich nicht gewollt ist.

sind?

sind Institutionen geworden, sofern sie sich

MQ übergesiedelt. In diesem Zusammenhang

DS

gibt es dort ganz viele Spektren

diesem Weg verloren? EK Ich glaube, dass das die entscheidende

Prozesse der Institutionswerdung untersu-

Denken Sie, dass unsere vier Kreativ-

EK Ja. Weil sie in sich viele kleinere Einhei-

Wir fragen uns dabei: Was geht auf

von Ordnungsverhältnissen, Nutzungen, Aneig-

erhalten konnten. Sie haben ihre eigenen

ten bergen. Das herrschende Paradigma

Regeln und Verwaltungsstrukturen produ-

ist dabei die Robustheit des öffentlichen

ziert. Was ich nochmal nachfragen wollte:

nungen und Debatten. Zum Beispiel

Frage ist. Was geht verloren oder was kann

Raums. Ich glaube auch, dass Richard Flori-

was die Hofzone anbelangt. Oder welche Ein-

ich wieder gewinnen? Das Quartier ist also

das Theorie in dieser Hinsicht überholt ist.

DS

und Ausschlüsse das Konstrukt produziert.

nicht eindeutig eine Typologie, sondern

Jeder beginnt damit, sich solche Gebilde mit

Aufgabe, ein Kreativquartier zu entwerfen.

Warum ist der Typologiebegriff so wichtig? Wir hatte im vergangenen Semester die

beherbergt in sich die Möglichkeit zu unter-

Hilfe von Florida anzuschauen. Er hat da-

EK

MQ zu privatisieren. Weil man verbieten wollte,

schiedlichen Typologien. Ich finde, genau

mals aber etwas anderes untersucht: Zum

sich...

mitgebrachte Speisen und Getränke dort zu kon-

das zeichnet diese Quartiere aus. Die zeitge-

einen hat er versucht, den Klassenbegriff

DS

sumieren. Infolgedessen gab es Proteste und

nössische künstlerische Produktion beispiels-

wieder einzuführen und zum anderen beob-

tekturdenken verankert. Es gibt immer Refe-

weise, zeichnet sich dadurch aus, dass sie

achtet, was in der Stadt überhaupt notwen-

renzen oder bestimmte Gebäudetypen, an de-

unterschiedliche Räume benötigt. Ich würde

dig ist, damit sich eine kreative Klasse dort

nen man sich beim Entwurf orientieren kann,

DS

2008 wurde versucht, den Innenhof des

Demonstrationen im Hof. EK Rechtlich ist der Hof schon immer pri-

p.330

Planung eines Kreativquartiers

SB

Verstehe. Also woran orientiert man Genau. Der Typologiebegriff ist im Archi-

vat. Die MQ-Betreibergesellschaft hat die

nun vielmehr recherchieren, wo diese Sub-

ansiedelt. Ihr betrachtet jedoch nicht die

bei den Fragen, wie etwas funktioniert oder wie

rechtliche Hoheit. Aber es waren nicht die

typologien zu finden sind. Wo finde ich kleine

Gesamtstadt an sich, sondern schaut auf ein

es zu funktionieren hat. Man kann sich davon

Lokal- und Restaurantbetreiber, sondern

oder große Räume? Wo finden sich öffentliche

die Betreibergesellschaft selbst, die das Ver-

Räume? Und wo entstehen Platzsituationen?

ganz bestimmtes Kulturareal. SB

Wir haben Florida herangezogen, weil er

natürlich auch wieder abgrenzen, aber dennoch fungieren sie als Ansatzpunkt. Wir konnten

bot wollte. Das Thema ist eine interessante

Mit Hilfe dessen würde ich anschließend ver-

in der Diskussion der Kultur- und Kreativwirt-

Debatte für all diese Quartiere, die wir uns

suchen, Kategorien und Vergleichbarkeiten

schaft sehr häufig auftritt. Die Niederlande ha- tung finden, an dem wir uns orientieren hät-

damals nichts in der architektonischen Aufarbei-

hier anschauen: Öffentlich - nicht öffentlich,

zu schaffen. Quasi eine Gegenüberstellung

ben sich in dieser Hinsicht, bis vor kurzem,

ten können. Es gibt zwar einige Beispiele, aber

zugänglich - nicht zugänglich, usw. Auch

der Subtypologien im Inneren und nicht et-

sehr stark an Florida angelehnt. Nun haben sich

die sind nicht untersucht. Im Bereich der The-

autonome Kunstareale haben ihre Inklusio-

wa der Gesamterscheinung des Quartiers.

die Begriffe zur Beschreibung eines kreativen

orie wurde viel darüber geforscht, aber im Be-

nen und Exklusionen. Was kann man dort

Wenn man sich bestimmte Typologien an-

Umfeldes stark geändert. Wir haben die elf Bran- reich des architektonischen Modells gibt es nur

machen und was nicht? Das finde ich eine

schaut, wie etwa Spitale, Hotels, Universi-

chen der Kultur- und Kreativwirtschaft in un-

wenige bis gar keine Untersuchungen. Aus die-

interessante Frage.

täten, Parlamente, usw. dann würde ich

serer Untersuchung berücksichtigt, um eine

ser Problematik entstand unsere Fragestellung.

sagen, dass man in den letzten 10 Jahren

Ebene der Vergleichbarkeit zu schaffen.

Was Sie für das MQ ansprechen, ist auch

im Falle der NDSM ähnlich. Seit kurzem gibt es

eine Tendenz feststellen kann: Es gibt zwar

Elke Krasny

dort einen Sicherheitsbeauftragten, der darauf

Bespielungsgeschichte auseinandergesetzt,

EK

Die Schwierigkeit ist die, dass diese

Areale nicht als solche entworfen wurden.

p.331

Exkurs — Interview

Architekturen“ sehr ausführlich mit dieser


diese unterschiedlichen Typologien, aber

achtet, dass keine brennbaren Dinge in den

wenn ich das Foyer betrete, dann weiß ich

die dort stattgefunden hat. Die politischen Dis-

Gängen stehen. Während des regelmäßigen Floh-

nicht mehr, worin ich mich befinde. Das

EK Diese Quartiere haben für mich viel mit

kussionen darüber hat der Journalist Thomas

marktes auf dem Gelände wird die Halle ab-

Hotel, die Universität, das Parlament und das

Produktion zu tun. Es geht also nicht nur

Tränker genauer verfolgt. Was heute so gefes-

geschlossen. Bei den Wagenhallen ist das noch

Spital empfangen mich alle in einem Foyer,

um das Ausstellen, sondern auch um das

tigt und institutionell aussieht, hing damals an

nicht der Fall. Aber direkt neben den WH ent-

das identisch aussieht. Damit will ich sagen,

Produzieren von Kunst und Kultur. Im MQ

einer Stimme im Gemeinde-

stehen zwei große Schulen. Ich denke, dass sich

dass der Fokus auf die Unterscheidung im

trifft das nur sehr bedingt zu. Die ansässi-

rat. Genau eine Stimme mehr hat dafür ge-

diese Situation ändert, sobald diese Schulen

Inneren gelegt werden muss. Ist das Kreativ-

gen Ateliers sind absolut dysfunktional. Man

stimmt, dass es dort überhaupt eine per-

fertig gestellt sind. Dann wird es nicht mehr den

quartier öffentlich oder nicht öffentlich?

kann sie für die Produktion nur bedingt ver-

manente kulturelle Nutzung gibt. Und das fin-

Bildhauer geben, der Schrottgegenstände

Gibt es typologische Verfahren, die mir mit

wenden. Was ich in der Debatte wesentlich

de ich sehr bemerkenswert. Für viele

und andere Dinge vor der Tür liegen lassen kann.

den Mitteln der Architektur verständlich

interessanter finde ist, dass auch das auto-

lokale und nicht-lokale Nutzer ist es heute

Die WH befinden sich im Wandel zu einer, wie

machen, dass es ein Kulturquartier ist und

nome Kulturareal eine Institution ist – eine

schwer vorstellbar, dass das MQ nicht exis-

wir es nennen würden, Institution. Mit Schließ-

welche Flächen öffentlich und nicht öffent-

autonome Institution. Und in diesem Sinne

tiert. Letztendlich war es politische Wil-lensbil-

zeiten, Hausmeister und weiteren Regulierungen

lich zugänglich sind? Das würde ich mich

sind auch Inklusion und Exklusion Untersu-

dung. Dennoch finde ich, dass Top-

wird das Quartier immer weiter institutionali-

sehr genau fragen.

chungsparameter. Man müsste hier also die

Down-Prozesse immer hybrider werden.

siert. Die andere Möglichkeit ist nur die Auflö-

DS

Bestehende Hierarchien und Institutionen sind

sung und folglich der Abriss, der von den Nut-

quartiere auf eine Art und Weise vergleichbar

chen. Die meisten besetzten Kulturzentren

geschlossen auf das Gelände des

zern natürlich nicht gewollt ist.

sind?

sind Institutionen geworden, sofern sie sich

MQ übergesiedelt. In diesem Zusammenhang

DS

gibt es dort ganz viele Spektren

diesem Weg verloren? EK Ich glaube, dass das die entscheidende

Prozesse der Institutionswerdung untersu-

Denken Sie, dass unsere vier Kreativ-

EK Ja. Weil sie in sich viele kleinere Einhei-

Wir fragen uns dabei: Was geht auf

von Ordnungsverhältnissen, Nutzungen, Aneig-

erhalten konnten. Sie haben ihre eigenen

ten bergen. Das herrschende Paradigma

Regeln und Verwaltungsstrukturen produ-

ist dabei die Robustheit des öffentlichen

ziert. Was ich nochmal nachfragen wollte:

nungen und Debatten. Zum Beispiel

Frage ist. Was geht verloren oder was kann

Raums. Ich glaube auch, dass Richard Flori-

was die Hofzone anbelangt. Oder welche Ein-

ich wieder gewinnen? Das Quartier ist also

das Theorie in dieser Hinsicht überholt ist.

DS

und Ausschlüsse das Konstrukt produziert.

nicht eindeutig eine Typologie, sondern

Jeder beginnt damit, sich solche Gebilde mit

Aufgabe, ein Kreativquartier zu entwerfen.

Warum ist der Typologiebegriff so wichtig? Wir hatte im vergangenen Semester die

beherbergt in sich die Möglichkeit zu unter-

Hilfe von Florida anzuschauen. Er hat da-

EK

MQ zu privatisieren. Weil man verbieten wollte,

schiedlichen Typologien. Ich finde, genau

mals aber etwas anderes untersucht: Zum

sich...

mitgebrachte Speisen und Getränke dort zu kon-

das zeichnet diese Quartiere aus. Die zeitge-

einen hat er versucht, den Klassenbegriff

DS

sumieren. Infolgedessen gab es Proteste und

nössische künstlerische Produktion beispiels-

wieder einzuführen und zum anderen beob-

tekturdenken verankert. Es gibt immer Refe-

weise, zeichnet sich dadurch aus, dass sie

achtet, was in der Stadt überhaupt notwen-

renzen oder bestimmte Gebäudetypen, an de-

unterschiedliche Räume benötigt. Ich würde

dig ist, damit sich eine kreative Klasse dort

nen man sich beim Entwurf orientieren kann,

DS

2008 wurde versucht, den Innenhof des

Demonstrationen im Hof. EK Rechtlich ist der Hof schon immer pri-

p.332

Planung eines Kreativquartiers

SB

Verstehe. Also woran orientiert man Genau. Der Typologiebegriff ist im Archi-

vat. Die MQ-Betreibergesellschaft hat die

nun vielmehr recherchieren, wo diese Sub-

ansiedelt. Ihr betrachtet jedoch nicht die

bei den Fragen, wie etwas funktioniert oder wie

rechtliche Hoheit. Aber es waren nicht die

typologien zu finden sind. Wo finde ich kleine

Gesamtstadt an sich, sondern schaut auf ein

es zu funktionieren hat. Man kann sich davon

Lokal- und Restaurantbetreiber, sondern

oder große Räume? Wo finden sich öffentliche

die Betreibergesellschaft selbst, die das Ver-

Räume? Und wo entstehen Platzsituationen?

ganz bestimmtes Kulturareal. SB

Wir haben Florida herangezogen, weil er

natürlich auch wieder abgrenzen, aber dennoch fungieren sie als Ansatzpunkt. Wir konnten

bot wollte. Das Thema ist eine interessante

Mit Hilfe dessen würde ich anschließend ver-

in der Diskussion der Kultur- und Kreativwirt-

Debatte für all diese Quartiere, die wir uns

suchen, Kategorien und Vergleichbarkeiten

schaft sehr häufig auftritt. Die Niederlande ha- tung finden, an dem wir uns orientieren hät-

damals nichts in der architektonischen Aufarbei-

hier anschauen: Öffentlich - nicht öffentlich,

zu schaffen. Quasi eine Gegenüberstellung

ben sich in dieser Hinsicht, bis vor kurzem,

ten können. Es gibt zwar einige Beispiele, aber

zugänglich - nicht zugänglich, usw. Auch

der Subtypologien im Inneren und nicht et-

sehr stark an Florida angelehnt. Nun haben sich

die sind nicht untersucht. Im Bereich der The-

autonome Kunstareale haben ihre Inklusio-

wa der Gesamterscheinung des Quartiers.

die Begriffe zur Beschreibung eines kreativen

orie wurde viel darüber geforscht, aber im Be-

nen und Exklusionen. Was kann man dort

Wenn man sich bestimmte Typologien an-

Umfeldes stark geändert. Wir haben die elf Bran- reich des architektonischen Modells gibt es nur

machen und was nicht? Das finde ich eine

schaut, wie etwa Spitale, Hotels, Universi-

chen der Kultur- und Kreativwirtschaft in un-

wenige bis gar keine Untersuchungen. Aus die-

interessante Frage.

täten, Parlamente, usw. dann würde ich

serer Untersuchung berücksichtigt, um eine

ser Problematik entstand unsere Fragestellung.

sagen, dass man in den letzten 10 Jahren

Ebene der Vergleichbarkeit zu schaffen.

Was Sie für das MQ ansprechen, ist auch

im Falle der NDSM ähnlich. Seit kurzem gibt es

eine Tendenz feststellen kann: Es gibt zwar

Elke Krasny

dort einen Sicherheitsbeauftragten, der darauf

Bespielungsgeschichte auseinandergesetzt,

EK

Die Schwierigkeit ist die, dass diese

Areale nicht als solche entworfen wurden.

p.333

Exkurs — Interview

Architekturen“ sehr ausführlich mit dieser


viel mehr „Kreativquartier“ ist als das MQ,

quartier steht. Zieht man diesen Kaugummi

ist das WUK.

auseinander, so erhält man dabei eine lange

Untersuchung aus mehreren Richtungen.

Das WUK, eine ehemalige Lokomotivfabrik in

Dehnung, die exemplarisch für die Bandbreite

Darin enthalten ist auch die Frage nach dem

Wien, ist Kultur, Werkstätte und Lebensraum

der Typologie des Kreativquartiers steht. An jedem Ende gibt es ein Extrem. Diese beiden Ex-

programmatischen Inhalt. Was passiert im

auf 12.000m². In einem der größten unabhän-

Quartier? Wer gehört zu den Akteuren? Welche

gigen Kulturzentren Europas trifft im WUK

treme haben wir versucht, mit der Binz auf

Flächen sind öffentlich, welche privat? Und

künstlerische Praxis, Labor und politisches En-

der einen Seite und dem MQ auf der anderen,

wie sehen sie aus? In erster Linie also eine Rück- gagement aufeinander. Das WUK versteht sich als offener Kulturraum und bietet Platz

schnell daraufhin ab, in wieweit ein Kreativquar-

zum Verweilen, Diskutieren und Erproben.

EK

tier überhaupt planbar ist. Oder ob es zwangs-

(Quelle: Homepage www.wuk.at).

stitutionalisierung in jedem Fall angestrebt

gibt es unterschiedliche Ausschläge. Es ist allerdings nicht so, dass eine In-

läufig aus dem informellen Milieu entsteht und

Eine ehemalige Lokomotivfabrik, in der wirk-

wird. So darf dieses „Endprodukt“ nicht ver-

sich lediglich aus einem Bottom-Up-Prozess

lich wahnsinnig viel produziert wird. Das

standen werde.

heraus entwickeln kann? Sozusagen im partizi-

WuK ist in einem Partizipationsprozess ent-

DS

pativen Verfahren. Das hat sich immer weiter

standen, der über 10 Jahre gedauert hat.

ches widerfahren könnte wie dem MQ. Ange-

Ich glaube schon, dass der Binz ähnli-

hochgeschaukelt, bis wir uns irgendwann die

Wenn ich mir eure vier Kreativquartiere an-

nommen die Stadt Zürich würde auf die Binz

Frage nach der Aktualität des Typologiebegriffs

schaue, dann würde ich sagen, dass man

zugehen und ihnen die Möglichkeit des Erhalts

gestellt haben. Vor allem im Bezug auf Kreativ-

bei diesem Projekt auf viel interessantere Art

anbieten, mit der Auflage, ein städtisches

quartiere war schon im Gespräch, den Begriff

und Weise ableiten kann, wie eine solche

oder staatliches Museum dort zu verankern.

der Typologie mit dem des Phänomens oder

Typologie funktioniert. Im MQ kann man ei-

Die Binz würde sich dadurch komplett än-

der Methode zu ersetzen.

gentlich nur gut lernen, was alles nicht

dern. Was ich damit sagen will ist, dass diese

funktioniert.

Aber dann stellt sich für mich die Frage,

Wir haben das MQ aus dem Grund mit in

Entwicklung von den Impulsen und dem Dialog

ob wir heutzutage überhaupt noch in Typolo-

DS

gien denken können, wenn die Grenzen begin-

die Untersuchung aufgenommen, weil es ähn-

mit unterschiedlichen Akteuren zusammen-

nen zu verwischen bzw. sich aufzulösen? Vor

liche Nutzungen und eine ähnliche Geschichte

gesetzt und gemeinsam etwas verändert. Das

allem, wenn man sich solche hybriden Struktu-

aufweist, wie die anderen Quartiere. Mit einem

Areal liegt direkt im Stadtzentrum, wurde

ren anschaut, die sich selbst entwickelt haben

starken Bezug auf das Event wird Kunst ausge-

restauriert und eine Kulturlandschaft mit

oder durch Bottom-Up-Prozesse entstanden

stellt und produziert.

unterschiedlichen Interessenten geplant. Bei

abhängt. Im Falle des MQ hat sich die Stadt

EK Dort sind aber riesige Museen mit Samm-

der Binz besteht diese Logik nicht. Hier ist die

EK Ich glaube, ihr beantwortet die Frage ge-

lungen angesiedelt. Das ist etwas total

geographische Lage eine andere. Das Grund-

rade selbst. Man müsste sich radikal fragen:

anderes.

stück liegt nicht im Zentrum und ist daher

sind.

p.334

zu platzieren. Zwischen den beiden Extremen

betrachtung. Die Frage zielte im Folgenden

DS

Was eignet sich überhaupt für eine Um- bzw.

DS

Nachnutzung? Was bringen diese Gebäude

wenn man den vollen Weg der Institutionali-

Wir sehen es dennoch als Endprodukt,

auch weniger interessant für die Stadt.

mit? Und warum eignen sich andere Gebäude

sierung geht, in dem die Stadt das KQ für ihre

nicht so gut? Daraus würde ich ableiten,

Zwecke verwertbar macht.

was eine solche Typologie benötigt. Vermut-

SB

lich wird das Ergebnis das sein, dass diese

mer mehr mit Regeln und Sicherheiten belegt,

ehemaligen Manufakturen oder industriell

dann wird es irgendwann zur „Institution“.

temporär. Sie kann den Weg hin zur Institution

genutzten Gebäude das größte Flexibilitäts-

Während die Binz, die wir als autonom bezeich-

oder eben zur Auflösung gehen. Jetzt mal etwas sehr schwarz-weiß gedacht.

Anders formuliert: Wenn man ein KQ im-

Leerstellen & Potential SB

Das Hauptmerkmal aller vier Quartiere

ist die Zwischennutzung und die ist per se

raster aufweisen. Das Seltsame ist immer,

nen, noch Freiheiten in Entscheidungsprozessen

dass das was ehemals die meisten Normen

hat, ist das MQ hingegen schon sehr in seinem

erfüllt hat, im nachhinein die größte Flexi-

eigenen Selbsterhaltungsdrang gefangen.

nutzung. Es war als temporäres Projekt

bilität an Nutzungen ermöglicht. Ein Projekt,

DS

vorgesehen, das nun mittlerweile schon über

das sehr lokal und meines Erachtens nach

einen Kaugummi vorstellen, auf dem Kreativ-

Vielleicht kann man sich als Metapher

Elke Krasny

Es stellt sich natürlich die Frage nach

dem Topos, dem Typus und der Tektonik. Eine

EK Die Sezession in Wien ist eine Zwischen-

100 Jahre steht. Was ich damit sagen

p.335

Exkurs — Interview

SB


Interessant fand ich den Vergleich in ih-

Amt für Stadtplanung Stuttgart ein Interview

Wie kann ich verhindern, dass die Kreativen an

geführt. Ihm ist der Prozess der Wagenhallen

die Peripherie gedrängt werden?

rem Vortrag über Cedric Price, bezüglich Det-

nicht unbekannt und er hat sich mitunter auch

roit und „the Pottery Thinkbelt“. „The Pottery

für das Projekt eingesetzt. Das Bewusstsein,

EK Und wie man über die unerwünschten Nebeneffekte nachdenken kann. Stichwort

Thinkbelt“ war ein Vorschlag von Price, für

dass diese Kreativanker in der Stadt heute eine

Gentrifizierungsprozess. Da gibt es so vie-

eine industrielle Brachfläche in Staffordshire

wichtige Rolle spielen, scheint also vorhanden

le Fragen, die sich dort anlagern. Und die mei-

in England, in den Sechzigern. Aber in Detroit

zu sein. Genauso wie ein Flughafen in den 70er

nes Erachtens nach viel interessanter sind,

gab es zur gleichen Zeit ähnliche Probleme.

Jahren wichtig für jede Großstadt war. Mann

als die Typologiefrage.

EK Cedric Price hat auch schon in den

könnte also behaupten, dass jetzt Kreativquar-

Sechzigern einen Vorschlag für Detroit ge-

tiere für Großstädte notwendig sind. Es sind

macht. Das sogenannte „Thinkgrid“.

Orte, an denen gewisse Szenen eine Bündelung

DS

Das ist interessant, weil man von die-

sem Projekt nicht besonders viel mitbekommen

Das Gespräch wurde am 13.12.2012 in Stutt-

internationale Netzwerke bilden.

gart an der Staatlichen Akademie der Bilden-

hat, im Vergleich zum „Thinkbelt“. Worauf

EK Ja. Und es ist wichtig, sich ihre Wirkungsweisen anzuschauen. Doris Rothauer,

Stadt durch gewisse Unachtsamkeit zum

ehemalige Direktorin des Künstlerhauses

Experimentierfeld avanciert ist. Das heißt, die

Wien, hat relativ viel über die Kreativquartie-

ganze Stadt ist durch ihre Leerstellen zur Brut-

re in Amsterdam geforscht. Sie hat sich

stätte für Leute mit dem Interesse zur Verän-

sehr pragmatisch angeschaut, welche Wir-

derung geworden. Politisch wurde das extrem problema-

tisch. Aber wenn man die Metapher Detroit

Frau Krasny, vielen Dank für das Gespräch!

finden. Szenen, die immer größer werden und

ich hinaus will ist, dass bei diesem Projekt die

EK

Elke Krasny

Exkurs — Interview

möchte ist, „temporär’ ist also relativ. DS

den Künste geführt.

kungen sie haben. SB

Ich glaube eben das Interessante dabei

ist unsere Rolle im Entwurfs-Prozess. DS Wir haben uns bereits damit beschäftigt,

auf das Kreativquartier anwendet, dann würde sich herausstellen, was eine Stadt

wie man Prozesse planen kann. Diesen

verliert, wenn sie kein Kreativquartier hat

Versuch kann man auch bei Cedric Price ab-

oder dessen Potential nicht erkennt.

lesen. Zum Beispiel bei der Zeichnung von

Detroit könnte für wenig Geld ein optimales

Zeitplänen.

Experimentierfeld für viele Architekten sein. Allerdings wäre es die Verantwortung

Städtewettbewerb & Kreativität

zu experimentieren, im Sinne von neuen

SB

Hausbehübschungen. Viel interessanter ist

wenn man heute als Architekt noch so plant,

Ich glaube auch, dass es schwierig ist,

die Frage, in was man hier investieren kann,

als könnte man die Entwicklung der nächsten

das wieder einen „content“ hervorbringen

100 Jahre voraussehen, wie es zum Beispiel

kann. Wie kann Architektur aus ihrer Pro-

bei der Planstadt Brasilia mit ihrer in Beton ge-

fession heraus einen Beitrag zu der Proble-

gossenen Programmatik der Fall ist. Die Ge-

matik leisten. Anhand eurer Recherche

bäude der Kreativquartiere sind fast immer

wäre es dann wichtig zu ermittlen, was

umgenutzte Industriegebäude. In Amsterdam –

diese Strategien sind. Das Gebäude an sich

und auch in anderen Städten – wird die kreative

ist nämlich nicht sonderlich interessant.

Szene durch hohe Mietpreise im Stadtzentrum

Interessant ist der „content“, also die Leute

an die Peripherie gedrängt. Was diesen Städten

die durch ihren Gebrauch und ihre Energie

dabei verloren geht, ist der Benefit dieser kre-

einen Inhalt hervorrufen.

ativen Leuten. Man muss diesen Prozess aller-

DS Wir haben mit Uwe Stuckenbrock vom

dings umgedreht denken.

p.337

p.336

des Architekten, an dieser Stelle nicht


DS

ist mir ein Rätsel, da eigentlich alles über

bäude solche Planungen dann von der Stadt

zu sehen was ausgestellt und was produziert

Daniel Springer

das Militär geht. Aber man hat dort plötzlich

oder von der Regierung aus? Oder läuft alles

wird?

ein Geschäft gewittert. Und das Geschäft

selbstfinanziert?

DS

Wann haben sie ihre Galerie in Peking

MK Alles läuft selbstfinanziert. Mittlerweile

dass man ihn erlebt – oder besser – erleben

interessant, dass es sich rasend schnell

ist die Regierung soweit, dass sie es duldet.

darf. Also zu sehen, was sich hier wirklich

auch zu einem abartigen Tourismusmagnet

Weil sie verstanden hat, dass es sich als

abspielt. Es ist nämlich eine sehr starke Ge-

entwickelt hat – eben das, was es heute

ein ähnlicher Puplikumsmagnet entwickelt

fühlssache. Für uns Galeristen ist es wich-

ist. Jiuxianqiao (Name des Straßenviertels in

wie SoHo in New York. Es ist also nicht zu

tig, zu erkunden, welche Richtungen es gibt.

MK Ja. Ich bin 2007 nach Peking gekommen,

dem 798 liegt) ist heute ein Gebiet mit be-

vergleichen mit einer Shopping-Mall, in der

Wir befinden uns in einem wuchernden

kurz vor der Olympiade. Damals wurde wahn-

stimmt 20-30 exzellenten Galerien, dazu kom-

unheimlich viel drin ist. Es ist vielmehr zu

Konglomerat von produzierenden Künstlern.

MK Vor ca. drei Jahren. DS

Kannten sie den Kunstbezirk 798 davor

schon?

sinnig viel umgebaut. Die Galerie wurde im

men bestimmt noch 200-300 weitere kleine

sehen wie ein Konglomerat, das sich durch

DS

Oktober 2009 eröffnet.

Galerien. Nebenbei gibt es sehr viele Bars,

Zufall zusammengefunden hat. Das viel-

biete hinsichtlich Kunst produzieren und da-

Restaurants und auch sehr viele Shops. Es

leicht zur Shopping-Mall werden könnte, es

durch gewisse Attraktivität ausstrahlen, die über

ist ein Publikumsmagnet, in dem am Wo-

aber nicht unbedingt möchte.

die Stadtgrenzen hinaus geht. Zum Beispiel

War 798 damals auch ein Anstoß für Sie,

dort hin zu gehen?

chenende kaum ein Durchkommen ist. Dort

DS

Zum ersten Mal war ich dort im Jahr 2007.

lassen Chinesen, die sich mit Kunst brüsten

tionsstruktur im Bezirk vorstellen? Gibt es

durch die Inkubation von Künstlern, Kreativen

Ich fand ein Gelände vor, das noch relativ

wollen, ihre Hochzeitsaufnahmen machen.

eine Hierarchieform unter den Gründern? Oder

oder Aktivisten zu einem Magnet entwickelt

leer war. Es fing gerade langsam an. Ge-

Kunst ist in China ein sehr teures Studium

passiert alles ohne Kontrolle?

haben.

startet hat es, meines Wissens, so in etwa

(zeigt Aufnahmen). Das sind Aufnahmen

MK Dazu kann ich keine konkrete Aussage

MK Das 798 ist dann mit Sicherheit eines der

2002. Einer der Mitbegründer ist der Künst-

von chinesischen Bräuten. Sie lassen sich in

machen. Wenn Kontrolle da ist, dann läuft

besten Beispiele. Wobei es bei weitem

ler Huang Rui, der in China und vor allem in

der verbotenen Stadt fotografieren, auf

die im Normalfall über Erfolg und Nicht-Erfolg.

nicht das einzige Gebiet dieser Art in Peking

Peking sehr bekannt ist. Das war eine Gruppe

der Mauer und nun auch im Kunstdistrikt 798,

Das heißt, auch wer es bezahlen kann. Es

ist. Es gibt noch 4-5 weitere. Das Gebiet

von zehn bis zwölf Leuten, der wohl auch

weil das für sie wirklich wichtig ist – hip,

gibt keine Steuerung in diesem Sinne, wenn

Caochangdi in dem ich bin, ist in seiner Ein-

modern und high-class.

ich das richtig weiß – und man weiß vieles

heit kleiner mit etwa 40 Galerien. Dort

sprünglich war das Gelände eine Waffen- und

DS

Munitionsfabrik, also ein hochgeheimes Ge-

Kann man also sagen, dass der gesamte

Wie kann man sich also die Organisa-

Uns geht es um den Inhalt, den diese Ge-

MK Selbstverständlich. 798 ist grandios.

Ai Weiwei angehört oder angehört hat. Ur-

handelt es sich oft um Leerstände, die sich aber

in China definitiv nicht. Ich kann mir vorstel-

haben sich noch keine Shops oder derarti-

Kunstbezirk die Funktion eines öffentlichen

len, dass eine Kontrolle bestimmt über die

ges angesiedelt. Man findet noch keinen Tourismus vor. Es kommen nur Leute, die wirk-

lände der Chinesen in Peking. Gebaut wurde

Gebäudes einnimmt, in dem Kunst produziert

Vermieter erfolgt. Mit den Gründern gibt es

das Gebäude von der DDR im Bauhausstil.

wie auch konsumiert werden kann? Indem

möglicherweise auf einer intellektuellen Ba-

lich interessiert sind. Etwas weiter entfernt

Als die Fabrik nicht mehr produzierte, haben

Kunstkäufer und Galeristen dem Künstler direkt

sis „im Untergrund“ eine Übereinkunft.

kommt das Gebiet Song Juan, welches noch

sich dort langsam Künstler in kleinen und

gegenüberstehen? Kann man es auf eine Art

Sie sind einigermaßen einflussreich, aber

um ein vielfaches größer ist als das 798,

großen Ateliers angesiedelt – kalt und unbe-

und Weise als Shopping-Mall für Kunst begrei-

nicht zu vergleichen mit dem, was das Geld

allerdings aber nicht die gleiche Qualität hat.

heizt. Eigentlich sollte das Gelände von der

fen? Oder ist das zu weit gegriffen?

bewirken kann. Insofern ist es ein offenes

Dann gibt es noch I Hao Di, das etwas klei-

Regierung geräumt und schließlich platt ge-

MK Das ist zu weit gegriffen. Zum einen ist

Konglomerat, das voranwuchert, aber das

ner ist und das Black Bridge, das ist noch

macht werden. Das war der eigentliche Plan

es – Gott sei Dank – noch nicht so weit.

auch zum Teil begrenzt wird. Die „Creative

etwas kleiner. In Peking bedeutet klein 200-

für das Gebiet. Die Chinesen sind dafür

Und zum anderen ist alles, was dort passiert,

Brain Factory“ von VW ist jetzt zum Beispiel

300 qm, während große Ateliers dagegen

bekannt, dass die Dinge nicht lange halten.

noch im Entstehen und sehr experimentell.

im 798, weil sie wollen, dass ihre Designer,

2.000 - 3.000 qm haben. Von all denen ist

Was ich manchmal besser finde, als dieses

Da macht heute eine Galerie auf und in fünf

Entwickler und Künstler dort sind. Sie haben

das 798 das stadtnächstgelegendste Gebiet.

Wochen ist sie wieder weg, weil sie sich

ein sehr großes Areal mit ca. 200 Leuten,

Es befindet sich im Chaoyang District, im

schmackssache. Auf jeden Fall hat sich dann

verspekuliert hat. Es werden manchmal

glaube ich.

Osten der Stadt.

alles sehr rasant entwickelt. Es kamen im-

einfach Bauten hingestellt, von denen man

DS

mer mehr Künstler, da es sozusagen freies

sagt, die kann man vielleicht irgendwann

bezirk und diese Ansammlung an vielen kre-

bar? Da das oft ein wichtiges Merkmal ist, ob

Gelände war. Und plötzlich haben sich erste

an jemanden vermieten, jedoch stehen die

ativen Menschen und Künstlern? Ist dieser Aus-

ein Quartier gut funktioniert oder nicht.

Galerien angesiedelt, auch internationale

dann oft sehr lange leer.

tausch, der dort entsteht, wichtig? Auch aus

„super Alte“ zu bewahren – aber das ist Ge-

p.338

MK Klar. Der Zustand ist total wichtig und

wurde innerhalb kürzester Zeit so groß und

eröffnet?

DS

Gehen in einem ehemals so wichtigen Ge- ihrer Sicht als Galerist? Das heißt, gleichzeitig

Wie betrachten Sie einen solchen Kunst-

Matthias Küper

Galerien. Wie sie dort rein gekommen sind,

Kenner des Kunstareals 798, im Gespräch mit

DS

Also ist das Quartier sehr gut erreichp.339

Exkurs — Interview

MATTHIAS KÜPER, Galerist in Peking und


MK 798 ist sicherlich in erster Linie aus der

MK Das ist richtig, es funktioniert sehr gut.

lem. Das weiß dort auch jeder. Das Gebiet

Not heraus entstanden. Die Leute brauchten

Gerade wenn ich mir das 798 anschaue.

heißt Dashanzi und es ist wirklich bekannt.

Räume. Das ist eine ähnliche Herangehens-

Wenn ich irgendwo eine Ansammlung von Ga- Deutschland mit Berlin.

Womöglich hat die Transformation in ein

natürlich, wie auch hier, gerne an die Orte, die vielversprechend sind. DS

Vielleicht dieselbe Situation wie in

weise. Aber die Chinesen sind dabei sehr

lerien habe, könnte man das durchaus

Kunstareal auch dazu beigetragen, dass der

schnell merkantil, das heißt viel schneller als

auch als Marktplatz sehen. Aber auf einem

DS

ganze Bezirk immer mehr aufgewertet wurde?

irgendwo anders. Das ist kein 68er-Idea-

Marktplatz stehen eben Gemüsestände.

gleich mit New York. Bezüglich des Kunstaktio-

Zurück zu dem angesprochenen Ver-

lismus; Gott sei Dank nicht. 798 ist zielgerich-

Wenn man den Marktplatz etwas übergeord-

nismus und der Prozesse der 70er und 80er

ganz abgeschlossen. Dazu bedarf es noch ein

tet. Die machen das natürlich, um damit

neter als ein Zusammenkommen von Busi-

Jahre in SoHo. Könnte man sich das verglei-

bisschen mehr Presse. Im Moment sind Di-

Geld zu verdienen. Und zwar relativ schnell.

ness zu Business sieht, dann ist es sicher

chend vorstellen?

mension und Anspruch etwa vergleichbar mit

Das ist kein „Spaß“. Das ist es in China nie.

richtig, aber auch falsch.

dem New York Status. Wobei New York ja

Dieser Gesellschaftsteil fehlt noch, also der,

eine Art Gesamtkunstwerk ist. Das 798 wird

den wir uns in den letzten 25 Jahren ge-

an dem Menschen zusammenkommen, um

ich darüber weiß, könnte ich mir das so vor-

ein bisschen zu touristisch. Man sieht dort

leistet haben, nämlich etwas just-for-fun zu

Austausch zu betreiben, quasi ein offener Ort.

stellen. Eine andere Metapher: Immer wenn

länder, Franzosen, Russen und Japaner –

DS

MK Nur Berlin ist arm und bietet „Gedöns“.

MK Selbstverständlich. Das ist noch nicht

sehr viele Italiener, Spanier, Deutsche, Eng-

DS

machen. Das gibt’s dort nicht. DS

Oder den Drang aus einer theoretischen

MK Also ich war zwar in den 70er und 80er

Ich denke da an einen öffentlichen Ort,

Jahren nicht in SoHo. Aber von dem was

MK Dann ist es wirklich als offener Ort zu

ich in Europa ankomme, habe ich das Ge-

verstehen, an dem ständig „Connections“

fühl ich steige aus dem Flugzeug und stehe im Pattex. Jedoch wenn ich in China an-

also hochgradig international, aber noch

Basis heraus etwas zu verändern? So in dem

gestrickt werden – sehr schnell und sehr ge-

nicht super-professionell. Dafür gibt es

Sinne „wir zweckentfremden dieses Gebäude für

waltig. Aber sie werden auch schnell wieder

komme, habe ich immer das Gefühl die Gulli-

noch keinen Dachverband, der das steuert.

unsere Ideale“ oder derartiges?

fallen gelassen.

deckel springen in die Luft vor lauter Ener-

Es wuchert noch. Das betrifft die gesamte

MK Nein. In China ist fast alles pragmatisch,

DS

Kunstszene in China.

mehr als irgendwo anders. Also wenn sie

ten festgestellt. Sie alle vermitteln den Ein-

mit einem Chinesen über Theorie reden,

druck eines offenen Gebäudes. Das heißt, es

wahrnehmen. Jeden Tag etwas Neues sehen.

dann macht der das ganz gut, aber irgend-

gibt Marktplatz-ähnliche Strukturen entweder

Danach muss man hier ewig suchen.

Wie betrachten sie das Wuchern für die

Kunstproduktion an sich? Speziell wenn man

Das haben wir an allen untersuchten Or-

gie. Es passiert dauernd und jeden Tag etwas Neues. Du kannst jeden Tag etwas Neues

die Räume betrachtet. Bedingt es informelle

wann wird er fragen „was bringt uns das?“,

im Inneren des Gebäudes oder im Äußeren.

DS

Räume, das heißt Räume in denen man Freihei-

und das finde ich richtig so. Die Chinesen

Die Inklusionen oder Exklusionen sind entweder

Bauhaus-Stil gestalteten Gebäudekomplex des

ten hat, etwas zu verändern?

sind hungrig. Sie wollen viel erreichen und

groß oder klein, je nach Hierarchie und Kont-

798. Gibt es dort auch eine ähnliche Wahrneh-

bringen dadurch viel mehr vorwärts.

rolle des Ortes. Wir betrachten das Ganze also

mung zum Thema Denkmalschutz und Erhal-

auch aus solchen verschiedenen architektoni-

tung wie hier?

MK Das kann ich schwer beurteilen, aber im

DS

großen und ganzen sieht es so aus – wenn

DS

ich an das 798 denke – dass es so wäre.

der Idealismus oder das Experiment mit.

Die Frage zielt darauf ab, dass die Ten-

Hier in Europa schwingt doch oftmals

schen Situationen heraus.

Noch eine andere Frage zu dem im

MK Das weiß ich nicht. Aber es sieht im Mo-

MK In China geht es ganz klar darum Ziele

MK Das Quartier 798 ist in diesem Sinne viel

ment so aus, dass dort niemand auf die

zu erreichen. Das ist wichtig und vielleicht

zu groß um es zu kontrollieren. Es geht den

Idee kommen würde, das Gebäude abzurei-

entweder ankommen oder eingehen. Also dass

auch viel besser. Es wirkt befriedigender.

Leuten dort um ein Ziel, nämlich um Erfolg zu

ßen. Im Gegenteil, man wird es eher aktiv

es Zeitspannen sind, die entweder kurz oder

Sie haben dort auch angefangen zu experi-

haben und nicht, um irgendetwas auszu-

vermarkten. Man wird es dann vermutlich

denz dieser Quartiere dahin geht, dass sie

p.340

eines Marktplatzes in den Sinn.

lang sind, aber eigentlich transitorisch. Wenn

mentieren, aber nicht mit dem Hintergedan-

probieren. Und sie gehen ganz speziell dort

unter dem Gesichtspunkt des Denkmal-

man an das MQ in Wien denkt, hat sich dieser

ken „wir machen das aus experimentellen

hin, weil dieser Ort einen gewissen Erfolg

schutzes vermarkten, ziemlich sicher sogar,

Zustand nun verfestigt oder verankert. Aber

Gründen“, sondern weil Räume frei sind

verspricht. Das hat natürlich auch wieder mit

weil das öffentliche Ansehen des Gebäudes

viele andere sind in einem Schwebezustand.

und Räume gebraucht wurden.

der gesellschaftlichen Einstellung zu tun,

sehr gut ist. Und das öffentliche Ansehen ist

Gerade wenn man bedenkt, dass diese Quar-

DS

tiere oftmals als Hausbesetzungen anfingen,

ich ihn mir vorstelle, sehr gut funktionieren.

In dem Fall würde ein Komplex, so wie

das heißt, mit Medizin, Feng Shui, etc. DS

Paritizipation

der Fassade als Gesamtkunstwerke betrachten.

bar, aber mit dem Taxi überhaupt kein Prob-

im Allgemeinen sehr wichtig für die Chine-

In dem Buch „Arrival City“ von Doug

sen.

bei denen die Nutzer programmatisch damit an- Sie haben die merkantile Eigenschaft der Chi-

Saunders wird dieses Modell auch beschrieben:

DS

gefangen haben, Räume zu benutzen, die

nesen erwähnt – somit wäre es ideal, wenn die

An einen Ort zu gehen, der Erfolg verspricht.

Sie das Gefühl, dass viele internationale Ga-

Aus ihrer Perspektive als Galerist, haben

leerstanden. Mit „Benutzen“ meine ich die Pro-

enge Verbindung von Kunstproduktion parallel

MK Das Hingehen alleine verspricht noch

lerien auch gerade durch vorher beschrieben

duktion. Wenn man so will, könnte man diese

zum Konsum von Kunst bzw. dem Verkauf an

nicht den Erfolg. Die Chinesen sind nämlich

Phänomene auf Peking aufmerksam geworden

Gebäude mit ihren Skulpuren und Slogans an

einem Ort stattfindet? Mir kommt die Metapher

zudem sehr einsatzbereit. Aber man geht

sind?

p.341

Paritizipation

DS

MK Mit der U-Bahn ist es schlecht erreich-


DS

Dort spielt das Umfeld auch eine wichtige

immer hybrider wird. Produktion und Konsum.

anderen Seite übernimmt Peking momentan

China geplant. Natürlich wieder aus Gründen

Rolle. Das heißt, Produzieren will man dort,

Das, was man produziert auch gleichzeitig

aber auch nicht sehr viel Verantwortung

des Prestiges. Im Moment ist es noch der

wo man auch die optimalen Möglichkeiten

auszustellen. Das merkt man zum Beispiel an

dafür. Das heißt, dass die Stadt nicht viel

Trend, sie mit chinesischer Kunst zu füllen,

hat. Bezüglich des Präsentierens kann das

all den erdgeschossigen Ladenzonen, die als

Geld dafür in die Hand nimmt, lediglich für

aber die ersten großen Sammler beginnen

wiederum irgendetwas Gewachsenes sein,

Ateliers oder Architekturbüros genutzt werden.

wirklich große Events. Die kleineren Provin-

damit, amerikanische und europäische Kunst

z.B. 798, oder aber auch etwas ganz neu

Es bedingt eben dieses Sehen und Gesehen-

zenhauptstädte machen mehr als Peking,

zu kaufen und das für sehr viel Geld. DS

Welche Künstler vertritt ihre Galerie

hauptsächlich?

DS

mit Kunst zu tun hat, als Shanghai. Auf der

und extra dafür Gebautes. In Peking gibt es

Werden. Man könnte sage: Kleine Typologien,

weil Peking überhaupt nicht die Zeit hat, all

das „Inside-out Art Museum“ ein privates

die mit wenig Geld aus einer Theorie und ei-

das zu initialisieren. Das ist natürlich auch

Unternehmen, welches leider sehr schlecht

nem gewissen Erfolgsdrang heraus entstehen.

politisch bedingt. Peking selbst ist mo-

MK Wir arbeiten vorwiegend mit Chinesen,

gelegen ist. Dafür besitzt es aber riesen-

aber auch mit internationalen Künstlern,

große Präsentationsflächen und ist mit Ate-

DS

das heißt Amerikanern, Jamaikanern und

liers und Shopping-Malls ausgestattet. Ein

nicht, denke ich. Auch wenn nicht jeder Erfolg

heisst nicht, dass die Stadt viel dafür tut, son-

Deutschen – unter anderem auch aus prag-

privater Investor, der das sozusagen aus

hat, vielleicht ist es der Vierte der kommt und

dern dass die Szene einfach da ist. Ähnlich

matischen und logistischen Gründen.

Spass macht. Auch das 798 hat mittlerweile

durch den Geist der Vorherigen Erfolg hat.

wie in Berlin, nur wesentlich größer und we-

sehr große Räume und Präsentationsflä-

Stichwort Kommerzialisierung: Lassen sich da

sentlich erfolgreicher. Aber für sie ist der

Tendenzen ablesen?

Uns geht es darum, solche Prozesse zu

MK Sind die erfolgreich?

mentan mit Sicherheit in China für Kunst die

Manche werden erfolgreich, manche

absolut interessanteste Stadt. Aber das

verstehen. Prozesse die stark mit unserer

chen. Aber dazwischen sind immer noch die

Arbeit als Architekten zusammenhängen. In der

Ateliers, in denen produziert wird. Und die

MK Man findet im 798 mittlerweile alles.

DS

Architektur sprechen wir von Typologien, der

Ateliers sind normalerweise nur für Leute

Shops mit Kleidung, Arts and Crafts und an-

Architekten in der Hinsicht. Wir planen immer

Art und dem Nutzen eines Gebäudes. Wir lernen

da, die auch etwas zeigen – für Galeristen

derem Schnickschnack. Es gibt junge

mehr für den wachsenden Kunstsektor. Daher

gerade damit umzugehen, für den Markt den

und auch für Kunden. Es geht hauptsäch-

Modedesigner, etc. Jeder der Geschäfte wit-

sind andere Anforderungen nötig, die wir aber

sie beschrieben haben und der immer umfang-

lich darum, dass man überall an den großen

tert, geht dort hin und bezahlt auch die

noch besser herausfinden müssen. Zum Beispiel

reicher wird. Ganz einfach gefragt: Wie bringt

Adressen auch große Shows bekommt. Und

Mieten. Und ich denke, dass es sich sogar

flexibel zu planen, temporär anpassbar. Wie

wirklich lohnt.

gehen wir mit Hüllen um? Welche sind fix und

man Kunstproduktion und -konsum zusammen,

die sind entweder vor Ort vorhanden und

rein architektonisch betrachtet? Zum Beispiel,

von jemandem betrieben bzw. bezahlt, oder

DS

wenn wir neue Gebäude planen, wie sollen

es wird extra für diese Personen etwas zur

abwandern, die weniger Mittel haben, gerade

sie aussehen und funktionieren? Welche Rolle

Verfügung gestellt, wie im „Inside-out Art

weil das Quartier zu attraktiv wird?

spielen sie dabei? Oder braucht es dafür eine

Museum“ “. Ansonsten gibt es noch das

alte Substanz? Spielt der Leerstand dabei

Gibt es auch Tendenzen, dass Künstler

MK Natürlich. Wer kann, der versucht dort

„Today Art Museum“, welches man für etwa

planerische Sektor interessant? Ja, auch die Aufgabenverschiebung des

welche wandelbar? MK Und das ist nicht planbar! DS

Genau. Letztendlich ist das die Frage:

Kann man das als Architekt steuern?

zu bleiben. Aber wer nicht kann, der geht

MK Man kann sich einklinken, aber es ist

eine übergeordnete Rolle? Ist Leerstand der

30 000 Euro im Monat anmieten kann. Das

in die anderen noch nicht so attraktiven

nicht planbar. Man müsste dafür einen

Zustand der von den Künstlern gesucht wird?

sich aber auch nicht jeder leisten kann.

Kunstquartiere, die etwas weiter außerhalb

enorm freien Geist haben, um die Dinge lau-

Oder funktioniert das auch, wenn alles bereit

DS

sind. In Caochangdi zum Beispiel, gibt es

fen zu lassen. Dann kann man den Prozess

gestellt wird, zum Beispiel in einem Neubau,

sierte Orte, die einen Leerstand thematisieren

alte Gewächshäuser, in denen sich Künstler

im Untergrund ganz zart beeinflussen. Aber

das heißt klimatisierte Räume, ordentliche

bzw. ausnützen, wie etwa „Pop-Up-Galerien“?

einquartieren. Da kriecht man eigentlich

im Prinzip ist das nicht planbar. Vergleich-

Erschließung, etc?

Die sich mit ganz wenigen Mitteln darstellen

durchs Fenster hinein.

bar mit einer Krake. Was in den Wagenhallen

MK Es funktioniert beides. DS

p.342

Ich glaube, dass hier einfach alles

Also sie meinen es bedingt gar nicht die-

Gibt es denn auch viele selbstorgani-

und daraus auch ein Event machen? MK So etwas gibt es auf jeden Fall. Aber

DS

Ist Peking generell eine Stadt in China,

passiert ist o.k., aber das macht man eher

die sehr viel mit Kunst zu tun hat?

zum „Spass“ und zum Überleben, aber

sen Akt des selber Suchens oder Machens aus

nicht auf dieser Low-Budget-Ebene, wie hier.

MK Also wenn sie das mit einer Menge an-

der Perspektive eines Künstlers? Das heißt ent-

Dort wird richtig hart dafür gearbeitet. Hier

derer Städte dieser Welt vergleichen, dann

macht man um Erfolg zu haben. Und das ist

weder ihr gebt uns einen Raum, egal welchen,

wird das so gemacht, weil vielen, die sich

hat Peking wahnsinnig viel mit Kunst zu

ein sehr großer Unterschied.

oder wir suchen uns den einfach.

nicht für den Erfolg. Anders beim 798 – das

verwirklichen wollen, das nötige Geld fehlt.

tun. Weil sie alles dafür tut und auch vieles

DS

MK Es geht hauptsächlich um die Frage wo

Man findet es hip, aber meistens kommt

duldet, so dass dort eine Szene entste-

angesprochen haben. Die Frage nach dem Ziel?

man seine Kunst präsentieren kann und wo

nicht viel dabei heraus.

man sie produzieren kann. Produzieren

Paritizipation

kann man sie in Gebieten wie dem 798.

Zweifel. Es sind hunderte von Museen in

Ein sehr interessanter Punkt, den sie nun

hen kann. Es wird für Peking in Anspruch

MK Ja. Die Künstler müssen ja von etwas

genommen, dass die Stadt wesentlich mehr

leben.

p.343

Paritizipation

MK Klar, das ist der kommende Markt. Ohne


In den Wagenhallen arbeitet derzeit ei-

wirklich guten Künstler sind motiviert und

ne Logik, die sehr viel mit dem von ihnen

die muss man fördern. Dabei handelt es

hen kann und dort die Chance hat, auch Erfolg

Partizipation im Entwurfsprozess mitlebt. Das

Erwähnten zu tun hat. Nämlich, wie kann man

sich um wenige Prozente, aber es geht eben

zu haben?

heißt, man ist als Architekt Teil des Prozesses

das eigene Gebilde intelligent nutzen. In China

darum, diese kleine Anzahl herauszufil-

und kann diesen quasi mitsteuern.

ist das sicherlich ähnlich?

tern. Dieser Prozess passiert in China von

Es dauert noch eine Weile, bis es so richtig auf der Höhe ist. Noch maximal 5-10 Jahre.

MK Ja, nur geht es dort um privaten Profit,

ganz alleine. Ich bin da gerade knallhart

dass Künstler nicht so ohne weiteres zu

der in die Regierungskreise versinkt. Es

chinesisch. Wenn es für die Stadt wirklich

beeinflussen sind. Zum Teil sind sie des-

geht nicht um das Interesse an dem einzel-

nützlich sein soll, dann darf es niemals

DS

halb Künstler, weil sie frei sein wollen. Viele

nen Ding, es sei denn es ist sehr hoch an-

nur ein soziales Projekt sein, es muss ein

Entwurf eines solchen Quartiers. Wir selbst

gesehen.

qualitatives Projekt sein. Und dann wird es

haben festgestellt, dass wir dabei Probleme

auch zur Kunstmetropole. Ein Projekt mit

haben.

Nun zum Schluss nochmal zurück zum

DS

frei aber eben auch erfolgreich zu sein.

testens seit Mitte der 2000er erkannt, dass

durchdachtem Konzept. Nur dann kann es

MK Sie werden ein solches Quartier nie

Bei der Architektur im Allgemeinen geht es

sie aus den Kreativen/Künstlern Profit ziehen

auch Erfolg haben.

entwerfen können. Ich muss sie dabei leider

um Strukturen und Klarheit. Die Künstler

können. Das entspricht einem unsichtbaren

DS

und Galeristen sind hochgradige Individua-

Erfolgsmodell, weil dieser Erfolg eben nicht

dem Titel als Kunstmetropole.

Berlin brüstet sich ja auch selbst mit

enttäuschen (lacht). Man kann das 798 als Vorbild nehmen, oder es versuchen nach-

listen. Dafür müsste man eine selbstwach-

messbar ist. Ein aktueller Punkt in der Stadt-

MK Nein. Berlin zählt zur Zeit als eine hip-

zumachen, aber es wird sich nicht dasselbe

sende Struktur beaufsichtigen. Schon allein

planung ist es, darüber nachzudenken, wie

pe Metropole. Es fehlt einfach das Geld für

ereignen. Und das war die Frage nach den

der Verdacht, dass etwas beaufsichtigt

man das Potential der kreativen Menschen

eine wirkliche Kunstmetropole. DS

facher, weil die Leute eh wissen, dass sie

nicht abwandern. Was bedingt das also? Was

Stadt ein Experimentierfeld für Erfolg gewor-

ches Projekt muss wachsen. Kennen sie die

beaufsichtigt werden. Und ich weiß nicht, ob

macht einen Bezirk attraktiv und zum Anzie-

den. Damit meine ich, dass Leute es innerhalb

Struktur von 798?

die Idee gut ist, sich einzumischen. Ich

hungspunkt? Wer wird dadurch vertrieben?

einer bestimmten Zeit – z.B. 6 Monate – versu-

denke, diese Idee ist vor allem „hip“.

Die Stadtplaner haben nun das Interesse, aus

chen. Gerade internationale Künstler. Und wenn

Prozessen, wie dem des 798 zu lernen. Aber

es nicht funktioniert, dann sind sie wieder weg.

Sie betrachten das sehr stark aus einem

„Nachmachen“ geht nicht, es ist eben ein Selbstorganisationsprozess.

Mir kommt es dabei so vor, als wäre die

bereitgestellten und den entstandenen

wird, ist schwierig. Das ist in China etwas ein- an die eigene Stadt binden kann, so dass sie

MK Ich muss das so sehen, weil ich es mir

p.344

Hierzulande haben die Städteplaner spä-

Das kann aber auch schneller gehen.

viel Geld verdienen. Andere machen es, um

Erfolgsprinzip heraus.

DS

MK Klar. Das ist eine Frage des Einstiegs.

MK Man muss sich darüber im Klaren sein,

nehmen dafür auch in Kauf, dass sie nicht

DS

nationaler Künstler momentan nach Peking ge-

Räumen. Das schafft man nicht. Ein sol-

DS

Nein.

MK 798 ist einfach nur eine Hausnummer. Im Gebiet findet man aneinandergereihte

MK So ungefähr. Es werden gerade jetzt

Straßenzüge. Im Endeffekt vergleichbar mit

viele Menschen von Berlin angezogen, eben

dem New-York-Raster. Dort sind auch heute

nicht leisten kann, zu spielen. Ich habe

MK Das geht nicht. Erstens auf Grund

weil es Erfolg verspricht. Doch viele haben

noch Fabriken, also produzierende Unter-

Lust, genau das zu machen und damit auch

der Gebäudestruktur und zweitens – und

nicht das Durchhaltevermögen. Das ist

nehmen dazwischen. Es gibt auch größere

Erfolg zu haben. Erfolg heisst für mich

noch viel wichtiger – auf Grund der Men-

völlig normal. Und Berlin erholt sich jetzt

und offizielle Werke in diesem Areal.

aber nicht, im Geld zu schwimmen, sondern

schenstruktur. In Deutschland ist alles sehr

schon, das sieht man an den Immobilien-

auch viel zu erfahren und erlebt zu haben.

dekadent. In China muss man für den Erfolg

preisen.

DS

Kann man dort noch günstig essen?

MK Oh ja. Im 798 gibt es am Eingang die

Aber ich bewundere es, wenn es in eine

wirklich hart arbeiten. Wenn man nun aus

DS

strukturierte Richtung geht, und das sehe

der Perspektive der Stadtplanung ein sol-

andere Rolle. Das sieht man an der Investoren-

ligen. Bei mir um die Ecke kann ich nachts

ich vor allem bei vielen Leuten in China.

ches Quartier erhalten möchte, dann sollte

architektur und der Diskussionen um die Medi-

um vier Uhr eine Suppe für 60 Cent essen.

Die gehen klar in eine Richtung. Und sie er-

man die Mieten möglichst minimalistisch

aspree, etc. Das kann dann auch ganz schnell

warten das auch von den Leuten, mit denen

niedrig halten oder sie sogar ganz wegfallen

wieder an Attraktivität verlieren.

sie zusammen arbeiten.

lassen. Es werden Verträge für Künstler

MK Oder gewinnen. Je nachdem. Es verliert

Dieses Erfolgsprinzip einmal gesehen

Dabei spielt die Architektur wieder eine

teuren Lokale und im Hintergrund die Bil-

Ein Bier dazu für 40 Cent. DS

Herr Küper, vielen Dank für das Ge-

spräch!

auf eineinhalb bis zwei Jahre vergeben. Am

an Attraktivität für die große Anzahl von

aus der Sicht der Stadt: Sie hat gemerkt, dass

Ende gibt es Ausstellungen, die einem Aus-

Kreativen und Pseudo-Kreativen, sowie an

Das Gespräch wurde am 29.01.2013 im Café

Leerstellen auch ein Potential haben, eben für

wahlverfahren entsprechen. Wenn nicht or-

hippen Events. Die sollte es immer geben,

des Kunstmuseums Stuttgarts geführt.

Künstler und andere Leute, die kreativ arbei-

dentlich gearbeitet wird, ist man raus oder

das finde ich auch gut. Aber es müsste

ten. Um dieses Potential nicht zu vernach-

man muss das und das nachweisen. Ohne

dann kräftiger und qualitativ hochwertiger

lässigen, hat sie angefangen, sich Gedanken

Druck passiert nichts. Und das hat nichts

zu machen, wie man erfolgreich mit dieser

mit Freiheit und Kreativität zu tun. Die

werden. DS

Würden sie sagen, dass man als inter-

Paritizipation

Situation umgehen kann. Die Stadt verfolgt ei-

ne Architektengruppe, die das Prinzip der

p.345

Paritizipation

DS


Kreativquartier | Exkurse Exkurs Partizipation p. 348 – 367 | Exkurs Zwischennutzung p. 370 – 377 | Exkurs Typologie p. 378 – 391 | Schlussanmerkungen p. 392 – 397 |


Exkurs — Partizipation


2006 entstehen weltweit Piratenparteien, die direkte

gesellschaftlichen Wandel in der Zeit nach dem Zweiten

Demokratie und „Open Access“ propagieren, Ende 2010

Weltkrieg als den Wandel von der Disziplinargesellschaft

beginnt der „Arabische Frühling“ und nicht zuletzt er-

zur Kontrollgesellschaft 1 . Mit dem Begriff Empire 2

nennt die TIMES „The Protester“ zur „Person of the Year

erklären Hardt und Negri eine neue Weltordnung, die

2011“. Wenn die Multitude also fähig ist, sich Raum an-

alles umfasst, in der Grenzen sich auflösen und in der

zueignen und wenn Metropolen weltweit jenseits von

keine klare Macht identifizierbar ist. Arbeit ist in dieser

Planbarkeit und Kontrolle entstehen, dann wird die Ef-

Ordnung immateriell und beruht auf Kommunikation

fektivität herkömmlicher Planungsinstrumente und da-

und Netzwerken. Ein Zustand „autonomer Entfremdung“

mit auch die klassische Rolle des Architekten * radikal

(d.h. eine selbst gewählte, nicht von außen aufgezwunge-

in Frage gestellt. Seit der Postmoderne versuchen Archi-

ne Entfremdung), deren Erschaffer die Multitude 3 ist.

tekten auf diesen Wandel zu reagieren. Ein Instrument,

Diese ist die Masse innerhalb des Empire – „Singularitä-

welches adäquate Lösungsansätze im Planungsverfahren

ten, die gemeinsam handeln“ 4 – und deren Ziel es ist, eine

hervorrufen kann, ist die Partizipation.

globale Demokratie herzustellen. Kommunen und Netzwerke sind Beispiele dieser Gemeinschaften, sie handeln und entscheiden gemeinsam

Exkurs Partizipation

Kreativquartier — Vertiefung

Exkurs — Partizipation | Gilles Deleuze beschreibt den

Der folgende Essay beleuchtet Partizipation im architektonischen Planungsprozess anhand ihrer Entstehung genauer und analysiert deren Potenziale und Grenzen.

und bevorzugen kooperative Beziehungen an Stelle von und Bewegungen, welche Macht von kollektiven Systemen ausgehen kann. In den 1990er Jahren kommt die p.350

„Reclaim the Streets“ Bewegung auf, die erste „Critical Mass“ Aktion findet 1992 in San Francisco statt, seit

1 Gilles Deleuze: Postskriptum über die Kontrollgesellschaft (l‘autre journal, Nr.1, Mai 1990) 2 Michael Hardt, Antonio Negri: Empire. Die neue Weltordnung (Campus, Frankfurt am Main 2002) Vorwort 3,4 Michael Hardt, Antonio Negri: Multitude. Krieg und Demokratie im Empire (Campus 2004) S. 123 * *In der vorliegenden Arbeit wird zur Erleichterung des Leseflusses bei Personenangaben die männliche Form.ese schließt die weibliche Form ein.

p.351

Autoritäten. Aktuell zeigen zahllose Protestaktionen


liberty to access urban resources …“

Partzizipation in der Architektur 1968 erhob Henri Lefebvre im Zuge der Unzufriedenheiten in der Bevölkerung das Recht auf Stadt in seinem gleichnamigen Buch „Le droit à la ville“ 1 , welches David Harvey später mit der Aussage ergänzt „The right to the city is far more than the individual liberty to access urban resources: it is a right to change ourselves by changing the city. It is, moreover, a common rather than an individual right since this transforma-

1 Henri Lefebvre: Le droit à la ville (Anthropos, Paris 2009) (Quelle: http://de.wikipedia. org/wiki/Recht_auf_Stadt) 2 David Harvey: The right to the city (New Left Review 53, Sept.Oct. 2008) 23 3 Jesko Fezer, Mathias Heyden (Hg.): Hier Entsteht (metroZones3, b_books, Berlin 2004) 18 ff

der informellen Hüttensiedlungen. Die Architekten versuchen die erzwungene Individualisierung der Flachbausiedlungen und das historische Erbe zu bäude zusammen 2.1 . Candilis und Woods beschreiben und konzipieren die Gebäude in geradezu paternalistischer Weise.

gelten als signifikant für den Beginn einer partizipativen Archi-

Doch der mitteleuropäische Kanon der Nachkriegsmoderne

tektur. Wohnen für die Massen durch Standardisierung und Ty-

war ein anderer. Der Perspektivwechsel der Nachkriegszeit

pisierung steht im Widerspruch zum Wunsch der uneinge-

stellt die universalistisch-technokratischen Planungsmethoden

schränkten Entfaltung des Individuums. Die Transformation des

des Modernismus in Frage, die bisher der Nutzung und Aneig-

„homo faber“ (des arbeitenden Menschen) zum „homo ludens“

nung durch die Bewohnerinnen und Bewohner kaum Rechnung

(dem spielenden Mensch) verdeutlicht den aufkommenden

getragen haben 3.1 . Erst die spätere Entwicklung der in Nord-

Lebenshunger und das Streben nach Selbstverwirklichung einer neuen Generation deutlicher denn je. In den Studentenbewegungen der 1960er Jahre bringt eine neue Architektengene-

rung und Selbstbestimmung beherrschen die Diskussionen um eine Architektur „mit“ dem Nutzer und nicht „für“ ihn. In Zukunft sollte das Individuum im Mittelpunkt stehen und ergo der Nutzer zum Bestandteil des Planungsprozesses werden. Jesko Fezer und Mathias Heyden unterscheiden in ihrem

afrika entstandenen Gebäude führt zu ihrer Transformation Von der Moderne zur kritischen Auseinandersetzung in der Nachkriegszeit – Umformulierter, zusammengefasster Auszug aus: CIAM-Urbanismus der Nachkriegszeit und die Re-Konfiguration städtischer Gewebe, Sandra Meireis, Diplom 2009/10, erschienen im Studentenkatalog AK10, 2011 1.1 vgl. Cohen: The Maroccan Group and the Theme of Habitat, 1992, S. 62

Buch „Hier Entsteht“ zwischen drei Konzepten partizipativer Architektur, die sich in der Nachkriegszeit bis tief in die 1980er der durch Reflexion traditioneller Bauweisen die wirklichen

der „offene Raum“. Das Gebäude und darin Enthaltenes beeinflussen sich hier reziprok. Der Plan ist ad hoc unfertig und lässt auf diese Weise individuelle Raumkonzepte zu Abb.3 . Von der Moderne zur kritischen

steht die Architekten-Gruppe ATBAT-Afrique. Georges Candilis,

nungsprojekten thematisiert wird. 5.1 Die gebauten Projekte in Nordafrika zeigen: Das Ziel, die Menschen durch die Architektur einer modernen Lebensweise näher zu bringen, scheitert; im Gegenteil, die Menschen okkupieren und transformieren die Architektur.

3.1 vgl. AnArchitektur, GAMMA Grid 2008, S. 96f

vereinbart werden; unter Ablehnung physiologischer Bedürfnis-

zies und die Realität verschiedener Kulturen festgestellt und se kultureller Prägung. 6.1 4.1 vgl. Jesko Fezer, Mathias Heyden, Hier entsteht (metroZones3), b_books, Berlin 2004, S. 66 5.1 vgl. Eleb: An Alternative to Functionalist Universalism, 2000, S 67 6.1 vgl. Eleb: An Alternative to Functionalist Universalism, 2000, S 68

Die kulturspezifischen Impulse und die universalistische Denkweise der Architekten geraten zwar bisweilen in Widerspruch, die kulturellen Unterschiede werden aber in der Folgezeit relativiert und als Ungleichzeitigkeiten der Entwicklung verschiedener Gesellschaften gedeutet, was wiederum als Rechtfertigungsargument des internationalen Charakters der Architektur dient. 7.1 Candilis, Josic, und Woods kommentieren diesen Sachverhalt folgendermaßen:

7.1 vgl. Cohen, Eleb: Casablanca, 2002, S. 379

Jahre 1949 in Casablanca zum Thema „Moderne Konstruktionsmethoden und Stadtplanung und das moderne Leben“ ent-

nen verschiedener Bevölkerungsgruppen in sozialen Woh-

Nach Ansicht von Candilis und Woods, müssen demnach die

Auseinandersetzung in der Nachkriegszeit Nach Vorträgen von Vladimir Bodiansky und Marcel Lods im

Die modernisierten Kasbahs der ATBAT entfachen eine Debatte in ganz Europa, in deren Rahmen das angemessene Woh-

gemeinsamen archaischen Bedürfnisse der menschlichen Spe-

Bedürfnisse der Nutzer erkannt werden sollen Abb.1 . Das „Flebarkeit durch Modulbauweise Abb.2,3 . Das dritte Konzept ist

und Anpassung an lokale Gewohnheiten, Sitten und Bräuche. 4.1

2.1 vgl. AnArchitektur, GAMMA Grid 2008, S. 72

Jahre hinein entwickelt haben 3 . „Vernakuläre Architektur“, bei

xible System“ verfolgt die Strategie der spontanen Veränder-

p.352

Centrales und den Strukturen der traditionellen Altstädte und

überwinden und fassen mehrere Wohneinheiten zu einem Ge-

klassischen Moderne zum Ausdruck. Begriffe wie Demokratisie-

Abb. 3 Moshe Safdie, Habitat 67 Montreal, 1967 – Eine Großstruktur, die Flexibilität und Erweiterbarkeit propagiert und letztendlich auf die Ausstaffierung der individuellen Wohneinheit verweist.

Vergleich zwischen ihrer eigenen Architektur in den Carrières

er to reshape the process of urbanization.“ 2

ration ihre Kritik an den autoritären Planungsmethoden der

Abb. 2 Gerrit Rietveld entwirft 1924 ein Wohnhaus in Utrecht, welches durch Einsatz von Falt- und Schiebemodulen im Inneren verschiedene Raumsituationen ermöglicht.

jekten in den Folgejahren findet man stets einen umfassenden

tion inevitably depends upon the exercise of a collective powDie gesellschaftlichen Veränderungen in der Nachkriegszeit

Abb. 1 ATBAT-Afrique , Cité Verticale Casablanca, 1953 — Die Architektengruppe untersucht traditionelle Hofhaustypen in Marokko.

Shadrach Woods und der Ingenieur Henri Piot stoßen zwei Jahre später hinzu 1.1 . In einer beachtlichen Anzahl von Pro-

Exkurs Partizipation

more than the individual

„The younger members of CIAM demand as a ‚première proposition de l’Habitat‘ the voluntary effacement of architec-

8.1 vgl. Cohen: The Maroccan Group and the Theme of Habitat, 1992, S. 64

ture. We must prepare the ‚Habitat‘ only to the point at which man can take over. We aim to provide a framework in which

p.353

Kreativquartier — Vertiefung

„The right to the city is far


zu Beginn des Prozesses aber oft nicht im Klaren darüber sind, „(...) Information und Wünsche

made a principle of habitat that man shall have the liberty to

Utopian about the present.

was genau sie wollen, sei es die Aufgabe des Architekten, aus

adapt for himself. “ 8.1

Thus their aim is not to

seinen eigenen Analysen, sowie den Wünschen der Nutzer, gen an den gebauten Raum

theorize but to build, for only

Spektren an Möglichkeiten zu entwickeln.

TEAM 10

through construction can a

„Team 10“ ist eine Gruppe junger Architekten, die aus den

Utopia of the present be

„CIAM“ 2 hervorgeht. Die „Familie“, wie sie sich selbst be- realized.“ 1 zeichnen, trifft sich in den Jahren etwa zwischen 1953 und

— Alison Smithson 1962

1981 regelmäßig Abb.4 . Sie verurteilten insbesondere die dogdon erarbeiteten Vorschläge zum „Wohnen für das Existenzmi- become too important to be

schläge zu erwarten. Dennoch soll dieser aber beim gesamten

left to architects.“

De Carlo versteht die Partizipation im architektonischen Prozess als kontinuierlichen Kreislauf von „Ermittlung der Bedürfnisse“, „Formulierung der Hypothesen“ und „Verwalten und

Verfechter einer partizipativen Architektur hinterfragen sie

Obsoleszenz des Objekts abbricht. Die Interaktion zwischen Ar-

beständig die soziale Funktion des Architekten im gesellschaft-

chitekt und Nutzer verlagert sich nach Fertigstellung des Ge-

lichen Kontext und versuchen Lösungsansätze für alternative

bäudes auf Nutzer und gebauten Raum 7 .

Planungsmethoden zu erarbeiten, in denen der Fokus auf dem

Giancarlo de Carlo sieht Partizipation trotz weit verbreiteter

Nutzer liegt.

Skepsis als enorme Bereicherung, nicht nur für den Erhalt le-

Die Mitglieder entwickeln autonome Projekte, in denen Sie

bendiger Gebäudestrukturen, sondern auch für die Sprache

mit neuen Raumsystemen experimentieren und dabei auf basis-

haben, mit zu bestimmen. „In reality, architecture has become too important to be left to architects. A real metamorphosis is necessary to develop

vielleicht nicht einfielen.“

Prozess dabei sein und die Möglichkeit haben, von einer vor-

Benutzen“, der erst mit der physikalischen und technischen

zipant soll im Prozess gleichberechtigt sein und die Möglichkeit

inaktivsten Architekten auf

Verfügung stellen. Es sei eine Illusion, vom Nutzer genaue Vor- Ideen bringen, die ihm vorher

härteste Kritiker der klassischen Moderne und zugleich größte

demokratische Arbeitsgemeinschaften Wert legen. Jeder Parti-

offenbaren (...) selbst den

handenen Auswahl an Möglichkeiten auszuwählen.

matischen Vertreter der von der CIAM in Frankfurt und Hoddes- „In reality, architecture has nimum“ 3 und der „Funktion des Stadtzentrums“ 4 . Als wohl

Der Architekt müsse hier seine technischen Fähigkeiten zur

der Leute, die ihre Erwartun-

Exkurs Partizipation

Kreativquartier — Vertiefung

man can again be master of his house. In Marocco they have „Team 10 is Utopian, but

der Architektur im Allgemeinen. Weil, so de Carlo, „(...) InforAbb. 4 Team 10 in Holland (Jaap Bakema, Georges Candilis, Aldo van Eyck, Alison und Peter Smithson, Giancarlo de Carlo,…)

mation und Wünsche der Leute, die ihre Erwartungen an den gebauten Raum offenbaren (...) selbst den inaktivsten Architekten auf Ideen bringen, die ihm vorher vielleicht nicht einfielen.“ 8 Abb.5 & 6

Abb. 5 Giancarlo de Carlo, Arbeitersiedlung Matteotti 1969-75 Bedingung des Architekten an die Auftraggeber der Siedlung war die Einbeziehung der späteren Bewohner von Beginn an des Planungsprozesses. Anhand von Diskussionen und Beratungen ermittelte de Carlo die Wünsche und Vorstellungen der Beteiligten, mittels derer er innerhalb eines Grundrasters 45 Varianten entwarf, aus denen die Bewohner wählen konnten.

1 http://www.team10online. org/team10/introduction.html

new characteristics in the practice of architecture and new behavious patterns in its authors: therefore all barriers between builders and users must be abolished, so that building and using become two different parts of the same planning

2 CIAM steht für Congrés Internationaux d‘Architecture Moderne; internationale Kongresse für moderne Architektur (1928 und 1959)

process.“ 5

schärfsten Kritiker der Moderne. Architektur und Politik waren

3 CIAM 2 Frankfurt Kongress 1929 - Die Wohnung für das Existenzminimum. Folge/Kritik: Verlust der Wohn- und Lebensqualität ärmerer Klassen

für ihn immer untrennbar und so galt sein großes Interesse der Gemeinschaft und den sozialen Beziehungen als den konkreten Dingen des Lebens. 6 In der Partizipation sieht Giancarlo de Carlo die Lösung für

4 CIAM 8 Hoddesdon Kongress 1951 - „Das Herz der Stadt“ (Funktion des Stadtzentrums) Folge/Kritik: Luxusstadtzentren - räumliche Klassentrennung

die Entwicklung nachhaltigerer Gebäudestrukturen. Durch genaue Ermittlung der Bedürfnisse der Betroffenen und deren Beteiligung am Entwurfsprozess von Beginn an, so glaubt de Carlo, nehmen diese das Gebäude besser an und können sich p.354

damit besser identifizieren. Standardisierung und Planungen für einen „Otto Normalverbraucher“ würden unterdrückend und keinesfalls gerechtfertigt sein. Da die späteren Nutzer sich

5 Giancarlo De Carlo: Architecture‘s Public, in Architecture and Participation, ed. by Peter Blundell Jones, Doina Petrescu and Jeremy Till (Abingdon: Spon Press, 2007), 13 6 http://www.spatialagency. net/database/giancarlo.de.carlo

Abb. 6 Grundrissvarianten Giancarlo de Carlo, Arbeitersiedlung Matteotti 1969-75 7 Giancarlo de Carlo im Interview mit Mario Broggi; Arbeiterwohnungen in Terni, (WERK 3/ 1972) 142 und Giancarlo De Carlo: Architecture‘s Public, in Architecture and Participation, ed. by Peter Blundell Jones, Doina Petrescu and Jeremy Till (Abingdon: Spon Press, 2007) 8 Giancarlo de Carlo im Gespräch mit Lore Ditzen (ARCH+ 57/58, Aachen 1981) 55

p.355

Giancarlo de Carlo (1919 – 2005), italienischer Architekt und Schlüsselfigur der Partizipationsbewegung war einer der


Kriterien, die städtebaulichen oder raumordnenden Regelun- die städtebaulichen oder

oberung des Raumes in der dritten Dimension nun auch

gen trifft, wer die Verteilung von Nutz-, Wohn- und öffentlichen

würdigen Vorstellung der an

technisch uneingeschränkt möglich und eröffnet neue Perspek- den Boden gebundenen tiven. Physikalische Grenzen werden zur Herausforderung und

Architektur“

zumindest im Planungsprozess nicht mehr als unumgänglich

raumordnenden Regelungen

Flächen, d.h. die ‚Sekundärstruktur’ innerhalb der festinstal- trifft, wer die Verteilung von lierten Primärstruktur organisiert, und wie sie organisiert wird,

Nutz-, Wohn- und öffentlichen

bleibt unklar.“ 4

Flächen, d.h. die ‘Sekundär-

klassifiziert. Die Eroberung des Planeten in der Vertikalen hat

New Babylon ist Constant Nieuwenhuys’ Vision einer „world

begonnen. Eine ganze Generation junger Architekten feiert den

wide city for the future“ Abb.8 , in der Landflächen der

festinstallierten Primärstruk-

„psychologischen und ästhetischen Bruch mit der altehrwürdi-

Gemeinschaft gehören, Arbeit voll automatisiert ist und die

tur organisiert, und wie sie

gen Vorstellung der an den Boden gebundenen Architektur“ 1 .

Notwendigkeit für den Lebensunterhalt zu arbeiten durch eine

organisiert wird, bleibt

Diverse urbanistische Konzepte eines Yona Friedman – und

nomadisch, spielerische Lebensgestaltung ersetzt wird. New

unklar.“

anderer – propagieren die „Kolonialisierung des Raumes“.

Babylon wird vom „homo ludens“ bewohnt, der nichts muss,

Szenario der zu erwartenden Bevölkerungsexplosion aufgrund

Auch Cedric Price beschäftigt sich mit dem Partizipativen in

des Kriegsendes, der wirtschaftlich guten Situation in den

der Architektur. Eines seiner bekanntesten Projekte ist der Fun

1950er Jahren und der damit einhergehenden Erkenntnis, dass

Palace (1961), den er gemeinsam mit der Theater-Regisseurin

unser Erdball zu klein für diese Menschenmassen sein wird.

Joan Littlewood entwickelt. Obwohl dieses Projekt nie verwirk-

Der Glaube der Menschheit an die eigene Fähigkeit, ständiges

licht wird, beeinflusst seine flexible Raumgestaltung andere Ar-

Wachstum und immerwährenden Wandel, lassen in der Nach-

chitekten, wie Richard Rogers und Renzo Piano, beim Entwurf

kriegszeit megalomane Metaphern und städtebauliche Utopien

Abb. 5

des Centre Georges Pompidou in Paris. Price selbst wendet sein

aufkommen. Der Maßstab solcher Entwürfe reicht von der Grö-

Konzept in bescheidenerem Maßstab beim Inter-Action Centre

ßenordnung eines Dorfes mit 6000 Einwohnern (Trichter-

in Kentish Town in London (1971) an.

hausprojekt „Intrapolis“ von Walter Jonas 1960 Abb.7 ) bis hin

einzuführen, erfolgt bei Price durch das Ausklammern von

wohner bei Yona Friedman und Paolo Soleri. Diese Größenord-

bewohnbarem Raum und anderen städtischen Funktionen. „Das

nung lässt vor allem die Frage aufkommen, welche Rolle das

Lösen spezieller Aufgaben hat isolierenden Charakter: Jeder

Individuum und seine gewohnten Gruppierungen noch spielen. 2

Bau erfüllt seine Aufgabe, indem er alle denkbaren Nebenaufgaben ausklammert.“ 6 Die Utopien der Nachkriegszeit können

Der nun imaginäre unbegrenzte Bauraum, so die Vorstellung, könnte sich von allen bekannten städtebaulichen Problemen zu einer neuen Gesellschaftsform entwickeln. Um dies einzulei-

als eine Kritik an der Funktionstrennung der Moderne (Charta 1 Rey ner Banham, Clip-on Architektur. In: Bauen und Wohnen, 5/1967, Seite 167

ten, werden die Begriffe Wachstum, Wandel, Dynamik und Flexibilität auf die Fahnen geschrieben und wenige Zeit später als ungeschriebene Gesetze der Visionäre akzeptiert. Dem Bewohner wird in vielen Entwürfen eine Raumstruktur zur Verfügung gestellt, welche dem Allgemeinwohl dient und eher quantitativ ausgelegt ist. Der qualitative Aspekt wird in die Hände des Individuums gelegt, dem in einer Art Raum-Zelle freie Hand gelassen wird. Die Bewältigung der Massen scheint ein neues Problem zu sein, das gelöst werden will. Der partizipatorische Ansatz Yona Friedmans scheint hier seinen Anfang zu finden. Die „Massenorganisation“ 3 wird zum Kredo und die rasche Reproduzierbarkeit der einzelnen Zelle zum wesentlichen Prinzip. Doch ein wichtiger Aspekt des Zusammenlebens bleibt bei den

Abb. 5

Die Funktionstrennung, wie sie die Moderne versucht hat

zu großstädtischen Dimensionen für 200.000 und mehr Be-

und Besitzverhältnissen lösen und die Idee des Gemeinsamen

struktur’ innerhalb der

außer seiner Kreativität im Alltag freien Lauf zu lassen. 5

Ein weiterer Umstand versetzt die Planer in Tatendrang: Ein

p.356

städtebaulichen Utopien meist ungewiss. „Wer, nach welchen „Wer, nach welchen Kriterien,

Exkurs Partizipation

„psychologischen und ästheti-

Mit dem Beginn der Luft- und Raumfahrt erscheint die Er- schen Bruch mit der altehr-

von Athen) gelesen werden, verfolgen jedoch selbst eine systematische Trennung von Funktion und Bedingung und können sich so von ihren Vorbildern nur bedingt lösen.

2 Andrea Gleininger-Neumann, Technologische Phantasien und urbanistische Utopien, In: Vision der Moderne. Das Prinzip Konstruktion, Heinrich Klotz, Prestel 1986, Seite 56-57, ISBN 9783791307558 2 Walter Jonas: Das Intrahaus, Zürich 1962, Seite 32 4 Andrea Gleininger-Neumann, Technologische Phantasien und urbanistische Utopien, In: Vision der Moderne. Das Prinzip Konstruktion, Heinrich Klotz, Prestel 1986, S.59, ISBN 978-3791307558

Yona Friedman unternimmt den Versuch, ein Konzept der

5 Drawing Papers 3, Another City for Another Life: Constant‘s New Babylon. An Hommage to Constant by Catherine de Zegher, The Drawing Center, New York, 1999, p.3 6 Lucius Burckhardt, Wert und Sinn städtebaulicher Utopien, In: Wer plant die Planung?, Architektur, Politik und Mensch, MSV 1957, S.148 ISBN 3-927795-39-9

kreativen „Stadtplanung“ und des partizipativen Bauens zu entwickeln. Hierzu zählen diverse Schriftstücke und Vorträge wie „städtebauliche Anleitung für Jedermann“ 7 , „Technische Hilfeleistung für maximale Freiheit – Selbstplanung und Eigen-

7 Yona Friedmann: Meine Fibel,. Wie die Stadtbewohner ihre Häuser und ihre Städte selbst planen können. Düsseldorf, 1974, S.17-19

bau“ 8 und noch einige mehr. Das Konzept der „Architecture Mobile“ findet bei Friedmann’s Projekt der „Ville Spatial“ Ende der 1950er Jahre seinen ersten Ansatz. Drei Bedingungen soll die Architektur erfüllen: 1. Den Erdboden nur auf minimaler Grundfläche berühren 2. demontabel und umsetzbar sein und 3. von individuellen BenutzerInnen beliebig verändern werden können. 9

8 Yona Friedman, In: Jesko Fezer und Mathias Heyden, Hier entsteht, Strategien partizipativer Architektur und räumlicher Aneignung, metroZones 3, b_books, ISBN 3-933557-53-4, S.141 9

ebenda

p.357

Kreativquartier — Vertiefung

Utopien und Partizipation


Bedürfnisse des Individuums

Paolo Soleri, Constant Nieuwenhuys, Wolfgang Döring,

räumlich optimiert und

R. Dietrich, Moshe Safdie, Buckminster Fuller, Walter Jonas,

systematisch verpackt wer-

Grenzen der Partizipation „Er (ein partizipativer Planungsprozess) dauert viel länger,

„Er dauert viel länger, er kostet viel mehr und er wird

er kostet viel mehr und er wird von allen scheel angesehen. von allen scheel angesehen. Von den Architekten, weil sie fürchten, dadurch eingeengt zu

Von den Architekten, weil sie

Cedric Price, Richard Rochers, Walter Schwangenscheidt, den, ist der Behältnischarak-

werden. Von Bürokraten und Verwaltungen, weil sie die Kosten

fürchten, dadurch eingeengt

Simon Webb, Archigram, Yona Friedman und viele weitere. Eine

ter nicht nur dem Wortsinn

scheuen, von Politikern, weil die Partizipation so etwas ist, wie

zu werden. Von Bürokraten

solche Fülle unter den visionären Utopien bringt eine immer

nach auf erschreckende

ein ins Wasser geworfener Stein. Sie schlägt weiter Wellen, sie

und Verwaltungen, weil sie die

schwierigere Differenzierung mit sich. Die Primärstruktur ver- Weise präsent. Das Missver-

dehnt sich aus. Wer einmal ‘partizipiert‘ hat, unmittelbar an

Kosten scheuen, von Politi-

fällt immer mehr in eine Art symbolische Erscheinungsform

Entscheidungen beteiligt worden ist, der will weiter partizipie- kern, weil die Partizipation so

ständnis ‚Wohnmaschine‘ ist

und es geht letztendlich nur noch um die aufgeregte Form der

hier in all seiner Konsequenz

ren. Und die Politiker schätzen das nicht sehr, dass die Leute

etwas ist, wie ein ins Wasser

einzelnen Projekte. Je mehr also der Großform an Beachtung

zu Ende gedacht.“

partizipieren, weil die gesamte politische Struktur auf dem

geworfener Stein. Sie schlägt

System der Delegierung beruht.“ 1

geschenkt wird, umso unflexibler werden die Zell- und Kapselelemente. „Wo nahezu alle messbaren Bedürfnisse des Individuums räumlich optimiert und systematisch verpackt werden, ist der

„Die Stadt Yona Friedmanns

Unökonomisch, aus politischer Sicht problematisch und bei

offeriert eine Flexibilität, die

Desinteresse der Beteiligten gar nicht erst praktizierbar, gerät

niemals ausgenutzt werden

Partizipation auch in technologischer Hinsicht in die Kritik. A

Behältnischarakter nicht nur dem Wortsinn nach auf erschre- wird, so wenig wie sich Wagen

priori wollen alle Ansätze partizipativer Architektur dem An-

ckende Weise präsent. Das Missverständnis ‚Wohnmaschine‘ auf einem Parkplatz oder die

spruch gerecht werden, flexibel, erweiterbar und anpassungs-

(nach Le Corbusier) ist hier in all seiner Konsequenz zu Ende

beweglichen Stände auf

fähig zu sein. Dieses Versprechen wird jedoch in dem Moment

gedacht.“ 10

einem Markt frei über das

zur Farce, in dem man es in Beton gießt. Am Beispiel der Arbei-

Gelände verteilen können.“

tersiedlung Matteotti von Giancarlo de Carlo wird dem Partizi-

Die Großform selbst wird, entgegen ihrem Leitmotiv, immer unflexibler, zu einer durchrationalisierten und totalitären Orga-

pierenden im Moment der Planung größtmögliche Freiheit in

nisation mit nicht unverkanntem ökonomischen Hintergrund.

der Wahl seines zukünftigen Wohnraums ermöglicht, der Nutzer

So orientiert sich der Spielraum für Wandel, Wachstum und

ist zufrieden, die Gesamtstruktur funktioniert. Doch was pas-

Veränderbarkeit nicht an dem Individuellen, sondern an ökono-

siert, wenn sich die Bedürfnisse mit wechselnder Bewohner-

mischen und allgemein gesellschaftlichen Notwendigkeiten zur

schaft verändern? Endet der „Kreislauf der Partizipation“, den

Rationalisierung.

de Carlo theoretisiert, nicht schon mit dem Auszug der ersten

„Die Stadt Yona Friedmanns offeriert eine Flexibilität, die

Exkurs Partizipation

Kreativquartier — Vertiefung

In den 1960er Jahren trägt nahezu jeder Planer einen „Wo nahezu alle messbaren Entwurf zur Diskussion bei: Iannis Xenakis, Kiyonori Kikutake,

weiter Wellen, sie dehnt sich aus.“

Bewohnerschaft?

niemals ausgenutzt werden wird, so wenig wie sich Wagen auf einem Parkplatz oder die beweglichen Stände auf einem Markt frei über das Gelände verteilen können.“ 11

11 Lucius Burckhardt, Wert und Sinn städtebaulicher Utopien, In: Wer plant die Planung?, Architektur, Politik und Mensch, MSV 1957, S.153 ISBN 3-927795-39-9,

2 Giancarlo de Carlo im Gespräch mit Lore Ditzen (ARCH+ 57/58, Aachen 1981) 55

p.359

p.358

10 Andrea Gleininger-Neumann, Technologische Phantasien und urbanistische Utopien, In: Vision der Moderne. Das Prinzip Konstruktion, Heinrich Klotz, Prestel 1986, S. 62 ISBN 978-3791307558


Demokratie auf dem Prüfstand

„Die ‚Liquid Democracy‘ soll die repräsentative

Der Nutzer wird nun lediglich gebeten, Fragen direkt an die „Partizipation ist deshalb Verantwortlichen des Datenschutzes zu stellen. Somit kann ein

weder ein moralischer

Im Zuge der inflationäre Verwendung des Begriffes „Partizi- Demokratie ablösen – in den

konkreter Vorschlag vom Nutzer kommentiert werden. Über- Wert an sich, noch liefert

pation“ in den Medien und anderswo, drängt sich die Frage

steigt die Beteiligung erneut die Marke von 7000 Kommentaren,

Augen der Piraten ein halb-

auf, ob jeder überall mitmachen darf und bei jeder Entschei- demokratischer Kompromiss, dung beteiligt werden soll.

bei dem jeder in Echtzeit wie

Die Heilslehre Partizipation wird besonders von den Piraten- im Parlament abstimmen parteien auf dem Silbertablett präsentiert. Das Wahl-Programm

kann.“

namens „Adhocracy“ macht Anfang 2012 seinem Name alle Ehre und skizziert das vor wenigen Jahren noch unmöglich

mung über die Abschaffung der Abstimmung? Nehmen an einer Abstimmung weniger als 30 Prozent der Mitglieder teil, setzt Facebook nach der bisherigen Regelung die Änderungen einfach in Kraft. Eine 30-prozentige Beteiligung bei über einer

Die Auswirkungen unserer

Gedachte. „Die ‚Liquid Democracy‘ soll die repräsentative „demokratischen“ Entschei-

Milliarde Nutzern scheint ohnehin utopisch. Sind wir schon zu müde, bei allem unsere Meinung zu

Demokratie ablösen – in den Augen der Piraten ein halb- dungen sind uns längst nicht

sagen? Hier könnte sich die Frage stellen: Was sind denn die

demokratischer Kompromiss, bei dem jeder in Echtzeit wie im

wichtigen Themen?

Parlament abstimmen kann.“ 1 Aber wer generiert den Inhalt der Abstimmungs-Buttons, die dem Bürger als einziges Mittel zur Abstimmung übrig bleiben?

sie eine Gewinnstrategie.“

wird automatisch eine Abstimmung ausgelöst. Eine Abstim-

Exkurs Partizipation

Kreativquartier — Vertiefung

Partizipationsromantik

mehr bewusst“, sagt Rezai. „Es wird permanent im Namen der Demokratie, des Friedens und der Menschenrechte

Auch die Wissensplattform Wikipedia schränkte neuerdings die Bearbeitungsrechte wieder ein. Der partizipative Ansatz machte die Plattform immer nutzloser: Endlose Beiträge, für

Wird die Sachkenntnis durch einen einfachen Klick des Ah- die eigene sowie die Freiheit

die Wissenschaft unbrauchbar, unverständliche Fachsprache

nungslosen ersetzt? Die All-inclusive Demokratie der Piraten

und mit einhergehend wachsendem Verwaltungsaufwand.

anderer beschnitten.“

liebäugelt mit dem Wunschtraum eines Dabeiseins ohne Stress

Und es gibt noch weitere Beispiele: Occupy Wallstreet

und Verantwortung.

versinkt in Diskussionsrunden und avanciert zur Party-Veran-

Wie weit man den gesellschaftlichen Drang zur Partizipation

staltung; die Piraten sind gefangen im Dauerstreit um interne

treiben kann, zeigen zwei Künstler aus Berlin. Imam Rezai und

Organisationsfragen. „Partizipation ist deshalb weder ein mo-

Rouven Materne starteten ihre Aktion „Das Experiment“, bei

ralischer Wert an sich, noch liefert sie eine Gewinnstrategie.“ 2

der online abgestimmt werden konnte, ob das Lamm „Norbert“

Wo führt das hin, wenn man immer und überall abstimmen

mit einer bunten Guillotine hingerichtet werden soll. Am

soll und nach seiner Meinung gefragt wird? Der Bürger als

18.05.2012 verkündete der Spiegel Online das Ende der Aktion.

Abstimmungswerkzeug? Fast auf jeder Internet-Seite ist margi-

Bis zum Ende zählte die Internet-Abstimmung mehr als 2,5

nal ein Feld zu finden, woran sich der Besucher der Seite an

Millionen Stimmen gegen die Tötung und weitere 1,7 Millionen

irgendeiner mehr oder weniger belanglosen Abstimmung betei-

votierten dafür – einschließlich unzähliger Kommentare zur

ligen kann. Wenn jeder mitstimmen kann, zählt irgendwann nur

ethischen Dimension der Aktion. Mit ihrem Experiment wollen

noch das populistische Meinungsbild? Bürgerbeteiligung oder

die Künstler die Demokratie auf die Probe stellen. „Die Auswir-

Volksabstimmung wird zum verschwommenen Meinungsbild der

kungen unserer „demokratischen“ Entscheidungen sind uns

ohnehin schon medial übersättigten Gesellschaft.

längst nicht mehr bewusst“, sagt Rezai. „Es wird permanent im Namen der Demokratie, des Friedens und der Menschen-

Verabschiedung der partizipativen Illusionen

Partiziation als Werkzeug zur Lösungsverhinderung 1 Markus Miessen und Hannes Grassegger, Albtraum Partizipation, Zeit online, Artikel vom Juni 2012)

Wenige Monate nach dem Lamm-Experiment verkündet das soziale Netzwerk „facebook“ eine Abstimmung der Nutzer zur Regeländerungen, vornehmlich des Datenschutzes. Eine Beteiligung von 350.000 Nutzern klingt viel, sind aber nur 0,04 p.360

Prozent der erforderlichen 30 Prozent aller Mitglieder, einer selbst auferlegten Hürde. Daraufhin stellt facebook das Experiment am 21.11.2012 wieder ein. 1.1

Bis wohin wollen wir die Basisdemokratie verstanden haben? Markus Miessen kommt zu dem Schluss: „Partizipation? Ein Albtraum.“ 1 Ein konfliktorientiertes Verständnis von Partizipation scheint nach Markus Miessen und Chantal Mouffe ein

2 Die Welt online, 15.05.12 , Muss Schaf Norbert unter der Guillotine sterben?, dpa/bas 1.1 Die Welt online, Artikel vom 21.11.12, Facebook schafft das Mitspracherecht wieder ab, dpa/fp, http://www.welt. de/111376917)

Lösungsansatz zu sein. Die Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe pocht dabei auf die Einigung, dass wir uns nicht einig sind. So zeichnet sich ein altbekanntes Bild ab: Man muss die Aktivitäten, Interessen und Ziele seines Gegenübers kennen, um diesen nachhaltig beeinflussen zu können. Man muss die Polaritäten des Systems kennen, um Konflikte auszutragen. Um

2 Die Welt online, Artikel vom 21.11.12, Facebook schafft das Mitspracherecht wieder ab, dpa/fp, http://www.welt. de/111376917) 1 vgl. Markus Miessen und Hannes Grassegger, Albtraum Partizipation, Zeit online, Juni 2012

p.361

rechte die eigene sowie die Freiheit anderer beschnitten.“ 2


grund ihrer ‘critical mass’ den Willen des Individuums vernach- Verantwortung auf Votings

mindest zu verändern, entstehen neue Verantwortlichkeiten,

sammenhängt, man verliert

lässigt um eine kollektive Intelligenz zu erreichen.

die es ebenfalls zu gestalten gilt.

seine Integrität als Individuum

An diesem Punkt zeigt sich die eher negative Dimension be-

und verzichtet auf seine

Die Kurzerklärung von Hardt und Negri zur Multitude „Singularitäten, die gemeinsam handeln“ 7 wirft die Frage nach

einer anonymen Crowd abschieben können und wir so hinter der Mitmach-

kannter Partizipationsstrukturen. Sie kann leicht zu einer Tak- Freiheit. Aber man gewinnt

der Richtung der Partizipation innerhalb der Multitude auf.

Fassade in einer pseudo-

tik dafür verwendet werden, sich Verantwortungen zu entzie- dafür eine neue Sicherheit

Top-down oder Bottom-up? Oder reicht es wirklich, aus Kanälen

partizipativen Scheindemo-

hen und diese den Beteiligten zu übertragen, während man

der Selbstorganisation ein gemeinsames Miteinander zu gestal- kratie enden.“

und einen neuen Stolz durch

ves Gesamtsystem zu erhalten, muss es zumindest teilweise

man aufgeht.“

autoritäre Strukturen geben. 2

ten? 8,9 Die Multitude sollte keinerlei Form von Zugehörigkeit haben. Nur auf diese Weise, so Hardt und Negri, ist es möglich, die

In seinem Buch „Die Furcht vor der Freiheit“ beschreibt „Weil wir uns von den älteren, Erich Fromm die Rolle des Individuums und dessen Flucht in

unverhüllten Formen der

„absolute Demokratie“ zu verwirklichen. Quasi eine Demokratie abseits jeglicher Form von Institution, Machtanspruch oder in-

die Autorität aus mangelnder Selbstwertschätzung und Verant- Autorität freigemacht haben,

nerpolitischer Zwangsjacke. Doch dies würde eine Grundvor-

wortung gegenüber sich selbst. „Man liefert ihr (der Autorität)

merken wir nicht, dass wir

aussetzung der Demokratie untergraben, denn ohne Machtbe-

sein Selbst aus und verzichtet auf alles, was an Kraft und

einer neuen Art von Autorität

ziehungen und ohne Konflikt verschwindet der Pluralismus und

Stolz damit zusammenhängt, man verliert seine Integrität als

zum Opfer gefallen sind. Wir

mit ihm die Möglichkeit für Diskussionen und Konflikte. Die be-

Individuum und verzichtet auf seine Freiheit. Aber man ge- sind zu Konformisten gewor-

reits angeführte Pluralität einer Gesellschaft der Teilhabe könn-

winnt dafür eine neue Sicherheit und einen neuen Stolz durch

den, die in der Illusion leben,

te man nicht besser formulieren als Markus Miessen dies tut:

Teilhabe an der Macht, in der man aufgeht.“ 3 Diesen Ansatz

Individuen mit eigenem Willen

„Wir müssen daher verhindern, dass Politiker ihre Verantwor-

führt er in „Illusion der Individualität“ in ein demokratisches

zu sein.“

tung auf Votings einer anonymen Crowd abschieben können

Verständnis über und erkennt, dass überall auf der Welt ein

und wir so hinter der Mitmach-Fassade in einer pseudo-parti-

fruchtbarer Nährboden für den Faschismus zu finden ist: der

zipativen Scheindemokratie enden.“ 10

Bedeutungslosigkeit und Ohnmacht des Individuums 4 . Proji-

Platons Verständnis von einer theatralisierten Demokratie

zieren wir dies nun auf die Theorie der Multitude oder auf ein

schlägt sich somit nahezu direkt auf eine Partizipationsroman-

Partizipationssystem, so erkennen wir, dass das Individuum

tik nieder. 11 Das öffentliche Zusammenkommen wird zum

seine Bedeutung verliert, denn der Einzelne hat innerhalb der

Spektakel und zur Schlacht zwischen Interessenvertretern und

„absoluten Demokratie“ keinen Einfluss mehr und wird seiner Fähigkeiten nahezu beraubt, wenn er von der populistisch agierenden Menge überstimmt wird. Eine mögliche Folge könnte

2 Markus Miessen, Albtraum Partizipation, Merve Verlag Berlin 2012, S. 149–150, ISBN 978-3-88396-277-1

nach Erich Fromm diese sein: „Weil wir uns von den älteren, unverhüllten Formen der Autorität freigemacht haben, merken wir nicht, dass wir einer neuen Art von Autorität zum Opfer gefallen sind. Wir sind zu Konformisten geworden, die in der Illusion leben, Individuen mit eigenem Willen zu sein.“ 5 In einem ähnlichen Zusammenhang verweist Markus Miessen wiederum auf den Begriff der Verantwortung. Denn eine „Entscheidung gegen die Mehrheit und ohne die Beteiligung der allerletzten Schnarchnase können richtig sein – solange jemand die Verantwortung trägt.“ 6

das bestehende System teilweise autoritärer Geflechte neu zu

Individuen. Eine Einigung, so meint man, erfolgt nur durch Abstimmungen oder Befragungen. Deren Ergebnisse wiederum werden nicht zwangsläufig von allen Beteiligten akzeptiert und der par-

3 Erich Fromm, Die Furcht vor der Freiheit, dtv 11. Auflage 2003, S. 116-117 ISBN 3-423-35024-5 4 Erich Fromm, Die Furcht vor der Freiheit, dtv 11. Auflage 2003, ISBN 3-42335024-5, S.174 5 Erich Fromm, Die Furcht vor der Freiheit, dtv 11. Auflage 2003, ISBN 3-42335024-5, S. 183

Wenn es nach Erich Fromm und anderen einer Autorität bedarf, um gegen die bestehende Autorität anzukämpfen und

Exkurs Partizipation

beschreiben. Die Multitude wird selbst zur Autorität, die auf- ern, dass Politiker ihre

lierten. Durch den Willen, das System neu zu gestalten oder zu- an Kraft und Stolz damit zu-

praktisch weiterhin zuständig ist. Um ein einigermaßen positi- Teilhabe an der Macht, in der

p.362

gestalten, verändert sich die Multitude, wie sie Hardt und Negri „Wir müssen daher verhind-

liegt auch die Gefahr: Der Außenseiter kämpft gegen die Etab- und verzichtet auf alles, was

6 Markus Miessen und Hannes Grassegger, Albtraum Partizipation, Zeit online, Juni 2012)

tizipative Prozess beginnt von Neuem.

7 Michael Hardt, Antonio Negri: Multitude. Krieg und Demokratie im Empire. Campus 2004, ISBN 3593374102 8 Michael Hardt, Antonio Negri: Multitude. Krieg und Demokratie im Empire. Campus 2004, ISBN 3593374102 9 vgl. Markus Miessen, Albtraum Partizipation, Merve Verlag Berlin 2012, S.151, ISBN 978-3-88396-277-1 10 Markus Miessen und Hannes Grassegger, Albtraum Partizipation, Zeit online, Juni 2012 11 vgl. Juliane Rebentisch, Die Kunst der Freiheit – Zur Dialektik demokratischer Existenz, suhrkamp 2012, S. 271, ISBN 978-3-518-29613-4

p.363

Kreativquartier — Vertiefung

das System zu verstehen, muss man es gestalten. Aber darin „Man liefert ihr sein Selbst aus


So scheint der aktuelle Gedanke der Partizipation von einem bestehenden Machtverhältnis auszugehen, nämlich dem,

„Damit Demokratie im partizipativen Zeitalter funktioniert, muss jeder sich immer wieder

der Teilhabe von oben bewilligt. Die heutzutage überhand-

selbst ermächtigen. Das Mit-

nehmende Verantwortungsverweigerung mancher politischer

mach-Zeitalter braucht ein

Vertreter macht den Zugang zur Partizipation an gesellschaftli-

neues Selbstverständnis. Wir

chen und politischen Themen erst möglich, drängt aber das

sollten autonomer und ver-

eigentliche Potential in die Ecke. Ein partizipativer Gedanke, der

antwortlicher handeln, damit

dem des Bottom-up-Prinzips folgt, bedeutet lediglich, dass

Partizipation nicht zum Alb-

auch der „ungeladene Außenseiter“ sich Zutritt verschaffen

traum wird.“

Exkurs Partizipation

Kreativquartier — Vertiefung

Ein neuer Ansatz

kann. 1 Demnach wird Partizipation erst ohne jegliche Randbedingungen möglich. So entsteht ein weiteres Potential der Partizipation: Wenn der Außenseiter seine Botschaft unter Fremden vermitteln kann und nicht nur in den Kraftfeldern, Machtbeziehungen oder politischen Verwicklung Gleichgesinnter, so ermöglicht diese Vorgehensweise eine Art Weckruf im System, welches von Insidern nur noch bedingt in Frage gestellt werden kann. „Damit Demokratie im partizipativen Zeitalter funktioniert, muss jeder sich immer wieder selbst ermächtigen. Das Mitmach-Zeitalter braucht ein neues Selbstverständnis. Wir sollten autonomer und verantwortlicher handeln, damit Partizipation nicht zum Albtraum wird.“ 2

2 Markus Miessen und Hannes Grassegger, Albtraum Partizipation, Zeit online, Juni 2012

p.365

p.364

1 vgl. Markus Miessen, Albtraum Partizipation, Merve Verlag Berlin 2012, S.148 ISBN 978-3-88396-277-1


können sich hier ein loses und informelles Netzwerk mit Gleich- ist auf dem Gedanken der

am Beispiel der NDSM-Werft, Kunststad in Amsterdam.

gesinnten aufbauen. Und indem sich jeder seine Einheit selbst

Kooperation und Partizipation

In einer ehemaligen Schiffswerft entsteht Amsterdams

baut und darin investiert, entsteht eine starke Bindung an das

aufgebaut, eine kulturelle

Kunststad: hunderte containerartige Raumeinheiten, jede für

Gelände. Die meisten bleiben, wenn sie einmal hier sind, for- Brutstätte, die die Künstler

sich ein Unikat. Gelegen im Amsterdamer Norden, umfasst das

mieren Interessenverbände, treten gemeinsam gegenüber der

gesamte Areal der 1984 in Konkurs gegangenen Nederland-

Bezirksverwaltung und potenziellen Investoren auf“, erklärt El- Mieter können sich hier ein

schen Dok en Scheepsbouw Maatschappij rund 86.000 qm. Die

len van Baal. 3

Kunststad befindet sich in einer Halle von rund 20.000 qm.

loses und informelles Netz-

Nicht nur das Zitat lässt eine gewisses Maß an „Partizipati- werk mit Gleichgesinnten

Ein Großteil der Halle ist heute von Vertretern der sogenann-

onsromantik“ 4 erahnen. Tatsächlich mag dies in den ersten

aufbauen. Und indem sich

ten Kreativwirtschaft in Beschlag genommen. Der Verein heißt

Wochen der Kunststad gut funktioniert haben, doch schon nach

jeder seine Einheit selbst baut und darin investiert, entsteht

Kinetisch Noord, ist Hauptmieter und Gebietsentwickler und

kurzer Zeit setzt sich bei etablierten Nutzern der Kunststad, so

aus dem Zusammenschluss jener „Hausbesetzer“ entstanden,

die Vermutung, ein Erhaltungsdrang durch, der es den Nachfol- eine starke Bindung an das

die Mitte der Achtzigerjahre die brachliegenden Hallen in

genden erschwert, ihre eigenen Ideen umzusetzen. Der partizi- Gelände. Die meisten bleiben,

Beschlag nehmen. Er wird geduldet von den lokalen Behörden

pative Ansatz des Neuankömmlings wird reduziert auf das Maß,

wenn sie einmal hier sind,

und der Stadtregierung. Der Verein hat mit dem derzeitigen Be-

welches der Erhaltungsdrang der Etablierten und bereits nach

formieren Interessenverbän-

sitzer des Areals, dem Bezirk Amsterdam-Noord, einen Mietver-

kurze Zeit entstehenden Verordnungen von Seiten der Stadt- de, treten gemeinsam gegen-

trag, der vorläufig bis 2027 befristet ist. Die Stiftung Stichting

verwaltung (Brandschutz, Fluchtwege,...) zulässt. Partizipation

Kinetisch Noord, verschiedene Hausbesetzer der ersten Stunde

wird in enormem Umfang beschnitten, wenn der Neuankömm- und potenziellen Investoren

über der Bezirksverwaltung

und Vertreter der Stadtverwaltung treten zusammen, um einen

ling teilnehmen möchte, aber zunehmend wegen fehlenden In- auf“

Wettbewerb für die Halle zu formulieren. Der Wettbewerbsbei-

formationen über Beschlüsse, die die etablierten Nutzer schon

trag zur Kunststad, gewonnen von Dynamo Architecten aus

ausdiskutiert haben, scheitert. Dieser Konsens unter den Etab-

Utrecht, wird mit allen Beteiligten 2004 – 2007 für knapp 1,7

lierten verhindert den Gedankenfluss zwischen dem Außensei-

Mio. Euro realisiert. 1

ter und den Etablierten und beschwichtigt den Konflikt unter

Auf der angemieteten Fläche in der Kunststad kann sich

den Etablierten. Dem Neuankömmling als Außenseiter wird der

jeder Nutzer seine Einheit selbst bauen und gestalten. In den

Zugang indirekt verwehrt. Das Gebilde avanciert zur Pseudo-

Zwischenräumen entsteht Freiraum für soziale Begegnungen,

partizipation und minimiert die individuelle Beteiligung durch

Ausstellungsflächen, Performances, Partys. Im Freien erinnern

vorgegebene Muster.

die verrosteten Rampen, Kräne und Docks an den ehemaligen

Die inflationäre Verwendung des Begriffes „Partizipation“,

Schiffsbau. 2

lässt sie als Allheilmittel zur Vermittlung kontroverser Meinun-

Heute präsentiert sich die Kunststad als kultureller und

gen und Möglichkeit zur übergeordneten Lösungsfindung

kreativer Anziehungspunkt. Jedoch erschweren gelegentlich

erscheinen. Spätestens nach einer Überhäufung solcher Pro-

auftretende

geschlossenes

zesse, teilweise unter Ausschluss diverser Gruppierungen,

Meinungsbild gegenüber der Stadtverwaltung. Der partizipative

kann man hier von Nostalgie sprechen. Um Strategien für eine

Meinungsverschiedenheiten

ein

Charakter der Kunststad wird ständig auf die Probe gestellt. So

post-nostalgische Praxis zu entwickeln, muss in einem vollkom-

werden partizipative Möglichkeiten bei Neuvermietung kaum

men demokratischen Prozess jeder beteiligt werden. 5

genutzt und Räumlichkeiten werden übernommen, ohne bauli-

Der Neuankömmling befindet sich in einem persönlichen

che Veränderungen daran vorzunehmen. So stellt sich die Frage, ob Partizipation nur in einer Entstehungsphase voll zur Geltung kommt und schon nach kürzester Zeit durch ein selbst auferlegtes Regelwerk erhebliche Einschränkungen erfährt? p.366

und Kreativen fördert. Unsere

Exkurs Partizipation

stätte, die die Künstler und Kreativen fördert. Unsere Mieter „Das Konzept der Kunststad

„Das Konzept der Kunststad ist auf dem Gedanken der Kooperation und Partizipation aufgebaut, eine kulturelle Brut-

Interessenkonflikt. Die Möglichkeit der partizipativen Rauman1 Bauwelt 22/2008, NDSM Atelierstad Amsterdam, Ulrich Brinkmann 2 Quelle: teil Umformulierte Auszüge aus dem Bericht von Doris Rothauer /DER STANDARD / Printausgabe / 28.11.2009

eignung als Teil des Ganzen, wird durch die ansässigen Nutzer eingeschränkt. Der Neuankömmling zieht sich in seine vorgefundene Räumlichkeiten zurück, um Konflikten zu entgehen. Er

3 Quelle: Doris Rothauer / DER STANDARD / Printausgabe / 28.11.2009 4 vgl. Markus Miessen, Albtraum Partizipation, 2012, S. 43

lässt den kooperativen und kommunikativen Zwischenraum zum größten Teil außer Acht und verkriecht sich ins Innere. Das lose und informelle Netzwerk der Kunststad verliert vorerst

5 vgl. Markus Miessen, Albtraum Partizipation, 2012, S. 43

p.367

Kreativquartier — Vertiefung

NDSM Grenzen der Partizipation aufgezeigt


auch Defizite, die wie ein unsichtbares Geflecht über jeder

gente Kollektiv zur repräsentativen und einheitlichen Meinungs- höchste Kunst. Und zweitau-

räumlichen Situation liegen. Wir impfen dieses gesammelte

vertretung gegenüber der Stadtverwaltung erneut zu wecken.

send Jahre später steht in

Wissen über die Situation mit einer Portion Imagination.“ 2.1

Gelingt dies nicht, entwickelt sich keine Bindung zum Gelände

der Charta von Athen ge-

oder zu den übrigen Nutzern.

schrieben, dass „(...) der

Durch die Ansiedlung weiterer etablierter Unternehmen wie z.B. MTV Networks BV, Red Bull Nederland, welche die Vorteile

Partizipation ist eine Lösung und doch nur ein Kompromiss,

ne Kenntnis vom Menschen

denn wie Fezer in seinem Buch den Begriff Partizipation

des positiven Schattens der Kultur- und Kreativwirtschaft nut- besitzt“

treffend definiert ist „Partizipation (...) (ist) Beteiligung oder

zen möchten, ergeben sich weitere Nutzeransprüche. Der Gen-

Mitbestimmung an etwas bereits Vorgegebenem“. 1 Wenn Par-

trifizierungsprozess ist im vollen Gange. Das vermeintlich parti- „Erfinder und Gestalter von zipative

Kollektiv

wird

stetig

erweitert

und

zunehmend

handlungsunfähig. Die Rolle des Architekten „,Summum templum architecturae‘, Vitruv nennt sie die höchste Kunst. Und zweitausend Jahre später steht in der Charta von Athen geschrieben, dass „(...) der Architekt, (…)

dann bedeutet sie Selbstorganisation, frei von architektoni-

dem Individuum ermöglicht

schem Zutun.

die vollkommene Kenntnis vom Menschen besitzt“ 1 . Was jedoch ist aus der Profession des Architekten geworden, in Zeiten partizipativer Planungsmethoden? Keine Generation hat die klassischen Planungsmethoden des Architekten je so sehr in Frage gestellt, wie die der Nachkriegszeit. Sowohl realistische Ansätze der Mitglieder des Team 10, wie auch utopische Visionen von Architektengruppen wie Archigram verfolgen die selben Gedanken: Das Bauen für den Nutzer, für das Individuum. In realisierten Gebilden, wie auch in utopischen Gedankenmodellen, wird der Architekt immer wieder zum „Erfinder und Gestalter von Strukturen“, innerhalb derer dem Individuum ermöglicht wird, sich frei zu entfalten und zu verwirklichen. Er wird außerdem zum „Ermöglicher“, indem er dem unwissenden Bauherrn Varianten aufzeigt, die dieser eventuell selbst nicht in der Lage wäre, zu formulieren. In jeder Hinsicht kann bei der Partizipation eine Machtver-

pation hat sich der Architekt bis heute nicht seine schöpferi-

außerdem zum „Ermöglicher“

sche Tätigkeit nehmen lassen. Partizipation besteht noch immer

ebenso Spezialisten, denn keiner kennt sich so gut mit der jeweiligen Situation aus wie diejenigen, die tagaus tagein mit diesen Orten umgehen müssen. So können wir wertvolle Informationen gewinnen über Geschichten, Ängste, Wünsche, existentielle Bedürfnisse oder auch Defizite, die wie ein unsichtbares Geflecht über jeder räumlichen Situation liegen. Wir impfen dieses gesammelte Wissen über die Situation mit einer Portion Imagination.“

aus strukturierten Hierarchien. Mario Carpo erläutert dies kritisch im aktuellsten Diskurs über digitale Raumproduktion. Die rasch vorangeschrittene Entwicklung partizipatorischer Werkzeuge im Computer Aided Design wird von den Architekten nicht sehr enthusiastisch angenommen, so Carpo. Gestalter sind nicht bereit, Kontrolle über die Form abzugeben. Aber da die Verfahren der Partizipation in der digitalen Produktion durchaus sehr ökonomisch sind, befürchtet Carpo, dass wenn der Architekt sie nicht annimmt, es an seiner Stelle die Bauindustrie tut. 2 Doch ist die alleinige Erfüllung vorgegebenen Parameter die Lösung für die Produktion qualitativ hochwertigen Raums? Die Zweifel bleiben, ob bei all der Fokussierung auf die Wünsche des Individuums und der Selbstverwirklichung des Einzelnen die immateriellen Werte, sozusagen der Gemeinschaftsgedanke vernachlässigt werden. Wenn es „den Architekt“ in der Multitude gibt, so produziert dieser keine Machtsymbole mehr. Sein Fokus liegt auf dem interstitiellen Raum, in dem Kommunikati-

schiebung festgestellt werden. Hierarchische Strukturen im

on, Kreativität und Erfolg generiert werden. Dieser „Architekt“

Planungsprozess ändern sich. Der Architekt verlässt seine au-

produziert Konzepte.

sem Maße Gestaltungsfreiraum zu und nimmt als „Spezialist“ Funktionen wie Beratung, Vermittlung, Unterstützung, Moderation und Forschung ein. Die Planung wird zum Dialog. „Stadtbewohner sind für uns ebenso Spezialisten, denn kei-

Abb. 1 Rietveld-Schröder-Haus (Quelle: http://www.tageswoche. ch/de/2012_20/kultur/424073/ eigenwilliger-pionier.htm) Abb. 2 Habitat 67 (http:// en.wikipedia.org/wiki/ File:Habitat_panorama.jpg) Abb. 3 Plan Obus für Algier von Le Corbusier (Quelle: http://architecturewrassi3ali. blogspot.se/2011/09/le-corbusier-en-algerie.html) Abb. 4 Team 10 (Jaap Bakema, Georges Candilis, Giancarlo de Carlo, Aldo van Eyck, Alison und Peter Smithson, Shadrach Woods, u.a. (Quelle: http://www. team10online.org/) Abb. 5 Arbeitersiedlung Matteotti in Terni, Italien (Giancarlo de Carlo) (Quelle: http://www. lombardiabeniculturali.it/ fotografie/schede/IMM3g010-0026537/)

Abb. 7 Intrapolis, Trichterhausprojekt von Walter Jonas

ner kennt sich so gut mit der jeweiligen Situation aus wie dieSo können wir wertvolle Informationen gewinnen über Ge-

Abbildungsverzeichnis:

Abb. 6 Varianten für die Arbeitersiedlung Matteotti in Terni, Italien (Giancarlo de Carlo) (Quelle: http://architettura.it/books/2005/ 200509022/index.htm)

toritäre Position des „Allwissenden Gestalters“, lässt zu gewis-

jenigen, die tagaus tagein mit diesen Orten umgehen müssen.

3 Architektur-Automat von KAISERSROT (Forschungsgruppe aus Zürich) Vortrag von Steffen Lemmerzahl an der ABK Stuttgart (12.Juni 2012)

Trotz aller sozialen und politischen Absichten in der Partizi-

und zu verwirklichen. Er wird

„Stadtbewohner sind für uns

1 Jesko Fezer, Mathias Heyden (Hg.): Hier Entsteht. Strategien partizipativer Architektur und räumlicher Aneignung (metroZones3, b_books, Berlin 2004) S.14

tizipation aber zur extrasystemischen Angelegenheit wird,

Strukturen“, innerhalb derer wird, sich frei zu entfalten

p.368

Schlussanmerkung

Architekt, (…) die vollkomme-

2.1 http://www.raumlabor. net/?page_id=2

Exkurs Partizipation

schichten, Ängste, Wünsche, existentielle Bedürfnisse oder

das Interesse des vermeintlichen Außenseiters für das intelli- turae“, Vitruv nennt sie die

1 aus der Charta von Athen 1933, CIAM 4 über “die Funktionale Stadt”

Abb. 8 New Babylon von Constant Nieuwenhuys (1959-74)

p.369

Kreativquartier — Vertiefung

einen Mitstreiter und die Protagonisten müssen sich bemühen, „Summum templum architec-


Exkurs — Zwischennutzung


Der Begriff der Zwischennutzung in der Stadtentwick-

sich Kreativquartiere aus einer Zwischennutzung, die

lung hat sich etabliert, kämpft hier jedoch nach wie vor

dem Individualisten - ob Konsument oder Produ-

um Aufmerksamkeit, Akzeptanz und Unterstützung.

zent – eine Plattform im bereits angesprochenen Mög-

Exkurs Zwischennutzung

Kreativquartier — Vertiefung

Exkurs — Zwischennutzung | Nicht selten entwickeln

lichkeitsraum bietet. Als Prinzip der Raumaneignung wollen wir das Thema der Zwischennutzung im Folgenden näher beleuchten. „Als Ort des sinnlich wahrnehmbaren Verfalls ist die Brache eine Leerstelle im Funktionsdickicht der Stadt. Als physisches Zeichen eines Nicht-mehr und Noch-nicht erzeugt sie momentane Ratlosigkeit und situative Offenheit.“ 1 In Folge des ökonomischen Strukturwandels werden Städte mehr und mehr zu fraktalen Gebilden. Großflächige Industrieareale verlagern sich heute in die Peripherie und Dienstleistungsunternehmen in den Städten bedürfen deutlich weniger Fläche. Am Beispiel Deutschlands können wir zudem die Auswirkungen des demografischen Wandels auf die Zergliederung der Städte deutlich verfolgen. Diese Faktoren führen dazu, dass in den letzten Jahrzehnten ein Umdenken in der Verwerlichkeiten in der Stadt passiert.

1 Jürgen Hasse (Zitat aus dem Dokumentarfilmessay ‘NICHT MEHR / NOCH NICHT’ von Daniel Kunle und Holger Lauinger; D 2004; 82 min.)

p.373

p.372

tung und Nutzung von städtischem Raum und Räum-


Mehrwert Zwischennutzung? Auch über die Dauer eines Zwischennutzungsprojekts hin- „Zwischennutzung entwickelt

le Ökonomie und Urbanität. Zwischennutzung passiert auf

Brachen mit einem Minimum

aus profitieren Kunst- und Kulturschaffende von diesen

sich nicht isoliert (...)“, „Ver-

brachliegenden Nutzflächen. Zwischennutzung ist Möglich- an monetärem Kapital.“

Netzwerken. Durch die begrenzte Dauer der Projekte, knüpfen

fügbarer Raum, experimen-

keitsraum für soziokulturelle Nutzung und individuelle Selbst-

die Nutzer immer wieder neue Kontakte und bauen auf diese

telle Milieus mit hoher Anzie-

verwirklichung. Zwischennutzung ist ephemer, jedoch selten

Weise ihr Netzwerk kontinuierlich aus. Diese Vernetzung trägt

hungskraft und niedrigen

ohne bleibende Bedeutung. Zwischennutzung ist eine Zeitlücke

letztendlich auch zur Aufwertung der Umgebung bei. Eine be- Hemmschwellen für Neulinge,

im Stadtentwicklungsprozess. Zwischennutzung ist bezahlbar.

lebte Zwischennutzung kann im Idealfall so stark auf ihre Um- aber auch die permanente

Zwischennutzung bedient die akute Nachfrage nach Raum in

gebung abstrahlen, dass ein ganzer Stadtteil in vielerlei Hin- Unsicherheit, sowie der

der Stadt. Zwischennutzung ist im ersten Moment nicht offen-

sicht davon profitiert. Wir sprechen hier also nicht von

sichtlich lukrativ für die Eigentümer. Zwischennutzung ist nicht

baulichen Interventionen, sondern von wiederbelebten Struktu- über den Interessen des

gleich

absolute

Gewinnmaximierung

für

den

Eigentümer.

Zwischennutzung lebt von Netzwerken und strategieorientierten Prozessen. „Zwischennutzung revitalisiert Brachen mit ei-

kollektive Druck sich gegen-

ren mit Hilfe neuer Entwicklungs- und Organsiationsmodelle im

Eigentümers durchzusetzen,

urbanen Raum.

führen nach kurzer Zeit zur

Anders als bei der klassischen Planung unter zielorientierter

Bildung stark vernetzter

nem Minimum an monetärem Kapital.“ 2 Zwischennutzung ist

Projektsteuerung, agieren diese Modelle in einem Nutzer-enga- Mikrogemeinschaften.“ 3

nachhaltig, vorhandene Ressourcen werden neuen Nutzungen

gierten Entwicklungsprozess ohne fixiertes Endprodukt quasi

zugeführt. Zwischennutzung schafft weite Netzwerke mit un-

ergebnisoffen. Ziel ist es vielmehr, Rahmenbedingungen für

funktioniert

eine sich entwickelnde Eigendynamik zu schaffen. Je mehr Nut-

meist an Orten mit einem Minimum an vorhandener Infrastruk-

zer und Betroffene in die Planung integriert werden, desto um-

terschiedlichsten

Akteuren.

Zwischennutzung

tur. Zwischennutzung ist Katalysator für Stadt- und Standort-

fassender wird das Bild und gleichfalls der Erfolg des Projekts,

entwicklung. Zwischennutzung ist …

denn Urbanität entsteht, wenn unterschiedliche Akteure Netz-

Exkurs Zwischennutzung

Kreativquartier — Vertiefung

Was ist Zwischennutzung? Zwischennutzung ist kreativ. Zwischennutzung fördert loka- „Zwischennutzung revitalisiert

werke bilden, Interessen sich überlagern und sich daraus etwas entwickelt.

Wer oder was ist Zwischennutzer?

Architekten Konzerte

Kunst- und Musikszene

Clubs Dienstleistungen

Gewerbe Handwerker Flohmärkte Industrie

soziale Initiativen

Migrantenökonomien

Gemüseanbau Tierhaltung Sportler

p.374

Erfinder

Alternativ-, Jugend-, Pokultur

Start-Up-Unternehmen

2 Klaus Overmeyer, „Hier Entsteht. Strategien partizipativer Architektur und räumlicher Aneignung“; Jesko Fezer, Mathias Heydn (Hg.); 08.2004; b_books Berlin; S. 46

3 Philipp Misselwitz, Philipp Oswalt, Klaus Overmeyer iin ihrem Artikel „Brutkasten Stadt“ (im Magazin berliner 2/2003 veröffentlicht)

p.375

Werkstätten


Exkurs Zwischennutzung

Kreativquartier — Vertiefung

Konflikt und Potenzial Konflikt und Potenzial

Primäres Interesse des Nutzers ist es, kostengünstigen Raum in der Stadt zu beleben. Gute Erreichbarkeit und ein Minimum an gebauter Infrastruktur spielen dabei mitunter eine wichtige Rolle. Der Eigentümer hat das Interesse, seine Immobilie kostengünstig aufzuwerten. Es besteht also eine AngebotNachfrage-Situation, die es zu moderieren gilt. In vielen Fällen blockieren „kulturelle Differenzen“ zwischen Nutzer und Eigentümer das soziale und ökonomische Potenzial der Zwischennutzung im Stadtgefüge. Das alte Bild des Hausbesetzers, des unangepassten Überlebenskünstlers, der wenig kooperativ aber dafür umso leidenschaftlicher um Raum kämpft, hemmt den Ei-

Raum-Nachfrage

Raum-Angebot Leerstand

gentümer, seine Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen. Das alte Bild des Hausbesetzers, des unangepassten Überlebenskünstlers und der wenig kooperativen Handlungsweise, ist noch immer in den Köpfen der Gruppe Eigentümer verankert, welche primär aus älteren Generationen bestehen. Die staatliche Verwaltung steht dabei zwischen beiden Interessengruppen und könnte zukünftig vermehrt als Moderator fungieren. Da

Zwischennutzer (die unangepasste Szene)

Konflikt kulturelle Differenz

Eigentümer (erfolgs- und ververwertungsorientiert)

Vertreter öffentlicher Interessen

Staatliche Verwaltung unterstützt und moderiert

Vertreter öffentlicher Interessen

Brachen und leerstehende Gebäude in der Stadt nicht nur Vandalismus provozieren und die Stadt kein Geld für eigene Projekte und Investitionen zur Problemlösung hat, stellt die Unterstützung von Zwischennutzungsprojekten eine große Chance für alle Beteiligten dar. Im Gegenteil zu den Häuserbesetzungen der 68er-Jahre entstehen die heutigen Zwischennutzungen viel weniger aus einem politischen Interesse heraus. Im Vordergrund stehen Ideale und Visionen von Individuen oder gemeinnützige Ziele im Kollektiv. Die Projekte suchen geradezu nach Öffentlichkeit und schaffen dadurch neue Potenziale für urbane Räume.

Der Architekt in der Zwischennutzung Wie auch im partizipativen Planungsverfahren werfen Zwi- „Der Architekt wird zum Erschennutzungen die Frage auf, welche Rolle der Architekt in

möglicher. Der Entwerfer

diesen Projekten einnimmt. Studio Urban Catalyst aus Berlin

wird zum Kurator.

bezeichnen diese Rolle als „Key-Agent“.

Der Planer wird zum Dienst-

Der „Key-Agent“ übernimmt die Funktion des Organisators,

leister. Die Nutzer wer-

Moderators, Beraters, Koordinators, Unterstützers, Agenten, den zu Autoren. Die Frage Mediators oder des Mittlers. Er stellt die Plattform zwischen

nach der Form wird zur

Nutzer, Eigentümer und Kommune, er verbessert minimale Inf- Frage nach dem Programm.“

die Verkehrssicherheit, etc.

p.377

p.376

rastrukturen oder kümmert sich um genehmigungsrechtliche Fragen und bauliche Minimalinterventionen, wie zum Beispiel


Exkurs — Typologie


einen historischen Abriss des Diskurses über die Typologie aufzuzeigen. Es geht dabei nicht um eine theoreti-

Exkurs Typologie

Kreativquartier — Vertiefung

Exkurs — Typologie | Der vorliegende Text versucht,

sche Aufarbeitung des Begriffs „Typus“ oder „Typologie“, sondern um einen Überblick. Der Vergleich der Verwendung des Begriffs „Typus“ wird zeigen, dass dieser über die Jahrhunderte sehr unterschiedlich verwendet wurde und im Zuge der vorliegenden Untersuchung der Kreativquartiere in seiner Verwendung erst definiert werden muss. In einer Rückbetrachtung vergangener Stilepochen beginnt diese Auflistung in der Zeit nach der Renaissance und streckt sich über den Klassizismus, den

p.381

p.380

Historismus und die Moderne bis in die Gegenwart.


Wer möchte nicht davon träumen!“ schreibt Werner Oechslin zu Beginn seines Aufsatzes „Theorie der Praxis – Eine weitere Begründung“. Im Zuge der Geschwindigkeit und Effizienz beim Bauen träumt man heimlich gerne von Kausalitäten, die das Handeln auf verlässliche Weise „berechenbar“ erscheinen lassen. 1 Mit der Gründung der Architekturakademien am Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts wurde bereits ein möglichst verbindliches Regelwerk zur Architektur-Lehre eingefordert. Der französische König wollte seine Akademie mit Hilfe eines Regelwerkes in der Vorreiterrolle der französischen Architektur sehen. 2 Hätte man „die“ Regel, könnte man das ganze Universum auf einfachste Weise darstellen, so Abbé Batteux in seinem Werk „Les Beaux Arts réduits à un même principe“ von 1746. Sucht man nach weiteren Modellen dieser Art, stößt man

dacht. war seit der Antike üblich. Mitte des 18. Jahrhunderts stellte der französische Architekturtheoretiker und -Lehrer JacquesFrançois Blondel (1705 – 1774) in „Cours d’Architecture“ von 1771 vierundsechzig Gebäudevarianten zusammen. Er nannte diese Klassifizierung aber nicht „Typen“ sondern „Genres“. Sein Hauptanliegen war lediglich die Aufzählung der Gebäudevarianten. Diese Art der typologischen Klassifikation bestätigt sich in Nikolaus Pevsner’s „A History of Building Types“ von 1976 in der die „Types“ anhand ihres Gebrauchs aufgelistet werden. 6 Niklaus Pevsner Werk ist also eine geschichtliche Abhandlung von siebzehn Baugattungen vom Nationaldenkmal bis zur Fabrikhalle. Eine solche Auflistung bietet jedoch keine theoretische Definition des Typus-Begriffes. Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts kann man zwei Tendenzen zur Legitimierung des Architekturentwurfes erkennen: Zum

Zeichen alles darstellen. Dieser knappe und stringente Zugriff

einen die Rückführung auf einen natürlichen Ursprung, der

auf die Welt sei immer wieder Traum des Architekten, so

sich in der Diskussion um die Urhütte konzentriert und ver-

man auch von Codes sprechen. Die Überführung in die digitale Welt mit dem kleinsten Zeichen-Spektrum von 0 und 1 zeigt die Möglichkeit eines beschreibenden Systems. Zugleich wird seine Lesbarkeit komplexer und betritt somit eine Ebene der Interpretationen und Missverständnisse.

Historischer Überblick Erste Versuche einer Typologiedefinition Legitimation von Architektur anhand der Typologie

sucht, in der Zeit der Aufklärung im 19. Jahrhundert prinzipiel1 Vgl. Werner Oechslin, Vignola „L’Abbicci degli architetti“, in: Christoph Luitpold Frommel / Maurizio Ricci / Richard J. Tuttle, Hg. Vignola e i Farnese, Atti del convegno internazionale Piacenza 18-20 aprile 2002, Milano, 2003, S. 375 ff. 2 Vgl. François Blondel, Cours d’Architecture enseigné dans l’Académie Royale d’Architecture, Première Parties, Paris, 1675, Préface, o.S.; aus: Oechslin, Theorie der Praxis, 2009

Bereits sehr früh beginnt das konfliktträchtige Thema der Typologisierung. Die Unterscheidung von Wirklichkeit und Abstraktion sowie methodenorientierter Fragestellung sind zwei beispielhafte Hilfsmittel zum Versuch der Einordnung, die sowohl bei Vignolas Proportionsordnungen in seiner Regola von 1562 3 als auch bei

Pestalozzis (1746-1827) „Anschauungs-

Lehre der Maßverhältnisse“ 4 und vielen anderen Anwendung findet. Die zwei gebräuchlichsten Schemen einer typologischen Klassifikation ist die Einordnung nach Gebrauch (Wohnung, Bürogebäude, Stallung,...) oder nach der Morphologie (lange Halle,

verwandelt ihn zur Kunst.“

Eine grundsätzliche Klassifizierung anhand des Gebrauchs

schnell auf das Alphabet. Hiermit lässt sich mit nur weniger

Oechslin. Projiziert man diese Ansätze in die heutige Zeit, kann

p.382

symmetrische geplante Gebäude, ...) 5 , aber auch funktionelle „Die Natur stellt den Typus zur Aspekte werden zu einem späteren Zeitpunkt zunehmend be- Verfügung, der Mensch

Exkurs Typologie

„Der architektonische Entwurf, ein stringentes Verfahren!

Eine sehr übersichtliche Abhandlung über den Begriff des Typus und der Typology formuliert Anthony Vidler 1977 in „The Third Typology“, welcher im forliegenden Text mit eingebaut ist und gemeinsam mit Adrian Forty’s Buch „Words and Buildings – A Vocabulary of Modern Architecture“ aus dem Jahr 2000 einen Überblick des Typologiebegriffes bereitstellen soll. Weiterhin bilden die Texte „Architektur als objektives System – A.-C. Quatremère de Quincy und J.-N.-L. Durand“ von Sokrates Georgiadis (1989), der Text „Theorie der Praxis – eine weitere Begründung“ von Werner Oechslin (2009) und die Dissertation „Gebäudetypologie als Basis für Qualifizierungssysteme“ von Matthias Castorph (1999) die Grundlage dieser Abhandlung.

le Richtlinien auf wissenschaftlicher Ebene zu erlangen. Architektur also durch natürlich auftretende und erfahrbare Ergebnisse zurückzuführen. In der darauffolgenden Industriellen Revolution wurde zum anderen versucht, die Architektur in die Welt der Massenproduktion einzugliedern, also der Produktionstechnik zu unterwerfen. Anthony Vidler spricht hier von der „first typology“ und der „second typology“ deren Beginn er in Laugier’s Urhütte und Bentham’s Panopticon als Paradigma dieser beiden „Typologien“ sieht. Vidler zeigt, dass beide Typologien dem gleichen Grundsatz folgen: der rationellen Wissenschaft und später der rationellen technologischen Produktion. Beide suchen stets nach einer Le-

3 Vgl. Die Zitate aus der den meisten Ausgaben der “Regola” (1562) vorausgesetzten Vorrede “Al Lettori” (tav. II); aus: Oechslin, Theorie der Praxis, 2009 ad 4 Vgl. (J.H. Pestalozzi), ABC der Anschauung, oder Anschauungs-Lehre der Maßverhältnisse, Erstes Heft, Zürich und Bern / Tübingen, 1803, Vorrede, S. (iii) ff.; aus: Oechslin, Theorie der Praxis, 2009

gitimation außerhalb ihrer Praxis. 7 Erstens: Architektur als Naturimitation In Ribart de Chamousts Werk „L’Ordre français trouvé dans la Nature“ von 1783 zieht der Begriff des Typus als symbolische Figur und ästhetisches Ideal in die Architekturtheorie ein. Eine Rückkehr zur Natur selbst wäre die Lösung und nicht die bloße Nachahmung der griechischen Vorbilder. Die Nachahmung der schönen Natur vollzieht sich ohne schöpferische Einbildungskraft, denn „die Natur stellt den Typus zur Verfügung,

5 Adrian Forty, Words and Buildings - A Vocabulary of Modern Architecture, Thames and Hudson, London 2000, ISBN 0-500-34172-9, Abschnitt: Type, S. 304 6

Ebd., S. 304

7 Anthony Vidler, The Third Typology, Oppositions 7 (Winter 1977); expanded in: Rational Architecture: The Reconstruction of the European City; Brussels: Edition des Archives d’architecture moderne, 1978, S. 288

p.383

Kreativquartier — Vertiefung

Der Traum eines Architekten


einer zu kopierenden oder

der Mensch verwandelt ihn zur Kunst.“ Jede Veränderung zeigt

Wirklichkeit bildet das Ganze und darauf ist das Handeln be-

dennoch die ursprüngliche Idee. 8

zogen. Die Regel reicht nicht aus, beschreibt im besten Fall

Hierbei müssen die Begriffe „Typus“ und „Modell“ unterschieden werden. Eine meisterhafte Definition gibt der Archi-

ner umfassenden, gesellschaftlichen Verbindlichkeit vorerst

Sache, als auf die Idee, die

tekturtheoretiker Quatremère de Quincy bereits Ende des 18

außen vor.“ 12

dem Modell als Regel dient.

Jahrhunderts: „Das Wort Typus bezieht sich nicht so sehr auf

Das künstlerische Modell

das Bild einer zu kopierenden oder vollständig nachzuahmen-

dagegen ist ein Objekt, das

den Sache, als auf die Idee, die dem Modell als Regel dient.

so, wie es ist, wiedergegeben

Das künstlerische Modell dagegen ist ein Objekt, das so, wie

werden muss. Im Gegensatz

es ist, wiedergegeben werden muss. Im Gegensatz dazu ist der

dazu ist der Typus etwas,

Typus etwas, aufgrund dessen Werke konzipiert werden kön-

aufgrund dessen Werke konzi-

nen, die einander überhaupt nicht ähnlich sehen. Beim Modell

piert werden können, die

ist alles präzise und vorgegeben, beim Typus bleibt alles mehr

einander überhaupt nicht

oder weniger unbestimmt.“ 9 Quatremère de Quincy beginnt

ähnlich sehen. Beim Modell ist

seinen Objektivierungsversuch unter der Annahme, dass alle

alles präzise und vorgegeben,

notwendigen künstlerischen Mittel auf das Niveau von invariab-

beim Typus bleibt alles mehr

len Regeln gebracht werden könnten. seine Absicht war es, die

oder weniger unbestimmt.“

Architektur in feste Begriffe und Kategorien zu bringen und eine systematische Erfassung mit Hilfe eines Beschreibungssystem vorzunehmen. Damit soll ein normativ als auch wissenschaftlich nachvollziehbares in sich geschlossenes System dargestellt werden.

7 Anthony Vidler. The Third Typology, Oppositions 7 (Winter 1977); expanded in: Rational Architecture: The Reconstruction of the European City; Brussels: Edition des Archives d’architecture moderne, 1978, Seite 288

Damit einher gingen die Probleme der Übermittlung. Die Sprache war das Hilfsmittel der Beschreibung und die genau analysierte und beschriebene Sache somit das wesentliche Kriterium, an dem sich ihr Wert, beziehungsweise ihre Korrektheit, messen ließe. 10 Zur Beschreibung mit Hilfe von Sprache und anderen Hilfsmitteln bedürfen Bauwerke und andere imitative

9 Aldo Rossi, Das Konzept des Typus, in: Focus: Zur Rolle der Typologie in der Architektur, Positionen der italienischen Architekturdiskussion zum Typusbegriff, Arch+ 37 10 Architektur als objektives System - A.-C. Quatremère de Quincy und J.-N.-L. Durand, Sokrates Georgiadis, an der ETH-Zürich, Abteilung für Architektur Kunst- und Architekturgeschichte, Prof. Dr. Werner Oechslin, 2. Jahreskurs WS 1989/90

p.384

Vorgehen und Methode, aber lässt das Handeln und Tun in sei-

vollständig nachzuahmenden

11 Quatremère de Quincy: Dictionnaire historique d’architecture, Paris 1832; aus: Architektur als objektives System, Sokrates Georgiadis, ETH-Zürich, 2. Jahreskurs WS 1989/90

Kunstwerke also einer Reduktion. Es erfolgt eine Ausweitung des Imitationsbegriffes, der die sichtbare Natur zu überbieten hätte: „Unsere Theorie erkennt in den Werken der Nachahmung zwei hinsichtlich der Qualität unterschiedliche Arten und unterteilt diese demgemäß in zwei Klassen. Die Werke der ers-

Es sind also Aufgaben an der Gesellschaft, die den Architekten leiten und leiten müssen, formuliert David Gilly in seinem 12 Theorie der Praxis – eine weitere Begründung, Werner Oechslin, aus: Bringing The World Into Culture. Comperative Methodologies in Architecture, Art, Design and Science. Liber Amicorum offered to Richard Foqué. Hg. von Piet Lombaerde. University Press Antwerp, Antwerpen 2009, S.133-143. 13 Vgl. David Gilly , Handbuch der Land-Bau-Kunst vorzüglich in Rücksicht auf die Construction der Wohn- und WirtschaftsGebäude für angehende CameralBaumeister und Oeconomen …, I, Berlin, 1797; aus: Oechslin, Theorie der Praxis, 2009 14 Vgl. Werner Oechslin, Eine ‚praktische Wissenschaft’ der Architektur als Antwort auf die veränderte, ‚selbstdenkende’ Welt in Preussen (um 1800), in: Michael Bollé / Thomas Föhl (Hg.), Von Berlin nach Weimar, Beiträge zu Ehren von Rolf Bothe, Berlin, 2003, S. 22 ff. 15 Jean-Nicolas-Louis Durand und die Anfänge einer funktionalistischen Architektutheorie, Antonio Hernandez, aus: O.M. Ungers (Hrsg.) Architekturtheorie - Internationaler Kongress an der TU Berlin. o.J. (1968), S. 133-139Bothe, Berlin, 2003, S. 22 ff.

ten Klasse, [...] haben als Vorbild das individuelle Werk der Natur. [...] Das ist die Nachahmung der realen Welt. Die Werke der zweiten Klasse sind das besondere Produkt der geistigen Fähigkeiten. [...] Das ist die Nachahmung in der Welt der Ideen. Das ist die ideale Nachahmung.“ 11 Spätestens hier beginnt man, daran zu zweifeln, dass die reine Methode eines architektonischen Regelwerks anhand geometrischer Formen und deren Vermittler in Zeichnung und Bild ausreichen. Womöglich ist die Realität die wirkliche Herausforderung: „Was der Methode zuträglich erscheint, lässt uns hinsichtlich der Anwendung auf die Wirklichkeit perplex. Allein die

Exkurs Typologie

nicht so sehr auf das Bild

Handbuch der Land-Bau-Kunst 1797 13 , dessen Zielsetzung von Schinkel fortgeführt wird. Schinkel geht davon aus, dass die „Zweckmäßigkeit das Grundprinzip allen Bauens“ 14 ist und formuliert seine Grundsätze zum „Ideal der Zweckmäßigkeit“. Wir befinden uns nun am Beginn der morphologischen Klassifikation: Jean-Nicolas-Louis Durand (1760 – 1834) kann als erster Rationalist seiner Zeit beschrieben werden. Sein Hauptwerk ist das Lehrbuch „Précis des lecons d’architecture données à l’Ecole Polytechnique“ von 1802/05 in dem er unter anderem neuartige Grundrisse einfachster geometrischer Formen aufzeigt. 15 Für Durand steht die Befriedigung (materieller) Notdurft im Vordergrund. Die „Précis“ bietet einen Katalog elementarer Baulehre, eine Grammatik der architektonischen Elemente, ohne den Gebrauch in Betracht zu ziehen. 16 Das ist nicht mehr, als ein Baukatalog, der den Weg zu einer ersten Baurationalisierung bereitet und die Leitbegriffe der Zweckmäßigkeit und der Wirtschaftlichkeit einführt. Er zeigt erst im zweiten Band, wie man diesen Baukatalog mit der Programmatik verbindet. Obwohl es sein Ziel war, dass Architekten sich von starren Konventionen antiker Vorbilder entfernen sollten, erreichte er genau das Gegenteil. Seine Ansätze haben bereits früh im schematischen und rasch gebauten Messegebäude der ersten Weltausstellung Anwendung gefunden und können als Grundlage der Moderne gesehen werden. Quatremère de Quincy’s architektonische Naturimitation war für Gottfried Semper nur teilweise korrekt: Er erkennt, dass Ar-

16 Adrian Forty, Words and Buildings - A Vocabulary of Modern Architecture, Thames and Hudson, London 2000, ISBN 0-500-34172-9, Abschnitt: Type, Seite 304 17 Adrian Forty, Words and Buildings - A Vocabulary of Modern Architecture, Thames and Hudson, London 2000, ISBN 0-500-34172-9, Abschnitt: Type, Seite 306 18

(18-22) Ebd., Seite 307

chitektur zwar von der Natur inspiriert sein kann, aber dennoch unabhängig von der Natur ist. Sempers Theorie der architektonischen „Typen“ basiert auf der wissenschaftlichen Erkenntnis der Tier und Pflanzen-Morphologie. Semper wollte diese wissenschaftliche Erkenntnis für die Architektur nachvollziehbar darstellen. 17 „Works of industrial art are like those of nature, connected together by some few fundamental ideas, which have their simplest expression in types.“ 18

p.385

Kreativquartier — Vertiefung

„Das Wort Typus bezieht sich


understood as the result of

„Standardisierung“ viele Teile des alltäglichen Lebens. a beneficial concentration, Durch die industrielle Produktion von Massengütern im Sinne

will alone make possible the

Henry Fords, werden alle Bereiche der Produktion vereinheit- development of a universally licht und zur Standardisierung gezwungen.

valid, unfailing good taste.“

Auch die Architektur bleibt von dieser Bewegung nicht ver-

zwischen Gebäude und Stadt. Eine Stadt kann demnach mit Hil- „Der Typus entwickelt sich fe eines einzigen Gebäudes beschrieben werden, da das Gebäu- also gemäß den Bedürfnissen de den historischen, gesellschaftlichen und städtebaulichen

und entsprechend dem Stre-

Werdegang seines Ortes repräsentiert. Dieser Diskurs um den

ben nach Schönheit; einzig-

Begriff des „Typus“ wird von Anthony Vidler als „the third ty- artig, jedoch sehr variiert in pologie“ bezeichnet. In der weiteren Diskussion bildeten sich

unterschiedlichen Gesell-

zwei Lager heraus:

schaften ist der Typus an die

schont: Die Standardisierung im architektonischen Bereich

Form und an die Lebensweise

wird durch den Begriff der „Typisierung“ geprägt, der vom „The remarkable new machi-

1. Typologie als einfache Methode der Stadtanalyse;

Deutschen Werkbund 1911 in einer Debatte über den stilisti- nes subject to the laws of

2. Typologie als eine generelle Theorie für die Architektur,

functional precision were

zu deren Vertreter auch Aldo Rossi gehört. Beide waren sich

wird. 19

thus paradigms of efficiency.“

jedoch einig, dass der Wert der Typologie in seiner Bezie- „Kein Typus ist identisch mit hung zwischen der Architektur und der Stadt liegt. 26

„Types (Typisierung), to be understood as the result of a beneficial concentration, will alone make possible the develop-

Aldo Rossis Position in der Diskussion um den Begriff des

Die „Typisierung“ ist ein Versuch, die chaotische Welt des

Typus in der Mitte des 20. Jahrhunderts findet sich in „der

Massenkonsums, welcher durch Mode, Individualismus und An-

Idee der Architektur an sich“ wieder. 27 Der Typus entwickelt

omie geprägt ist, zu ordnen und die Unordnung und fehlende

sich anhand der Situation und der Umgebung, also dem Kon-

Disziplin aus der Architektur zu verbannen. 21

text. Seit jeher hat der Mensch sich sein Umfeld zu Eigen ge-

Die von Le Corbusier entwickelten architektonischen „Typen“

macht, es kultiviert und transformiert. „Der Typus entwickelt

verfolgen denselben Zweck: die chaotische Unordnung der bür-

sich also gemäß den Bedürfnissen und entsprechend dem

gerlichen Individualismus in eine rationelle und geordnete Exis-

Streben nach Schönheit; einzigartig, jedoch sehr variiert in

tenz zu überführen. In diesem Kontext wird der „Typus“ als

unterschiedlichen Gesellschaften ist der Typus an die Form

Schutz der Zivilisation vor dem Zerfall kultureller Werte durch

und an die Lebensweise gebunden.“ 28

Mode, verstanden. 22 Diese Art der Architekturproduktion kann der simplen Frage

wird die Typologie zum „analytischen Moment“ der Architektur. „Kein Typus ist identisch mit der Form, auch wenn alle archi-

chines subject to the laws of functional precision were thus

19-22 Ebd., Seite 307

tektonischen Formen auf Typen zurückgeführt werden kön-

paradigms of efficiency.“ 23

23 Anthony Vidler, The Third Typology, Oppositions 7 (Winter 1977); expanded in: Rational Architecture: The Reconstruction of the European City; Brussels: Edition des Archives d’architecture moderne, 1978, Seite 290

nen.“ (Aldo Rossi, Das Konzept des Typus) 29

griff des „Typus“ fortgesetzt. Der Diskurs startet in Italien mit Debatten über die „continuita“ und erweitert sich später im englisch sprachigen Raum unter dem Begriff „meaning“. 24 Die Inhalte der beiden Begriffe werden im folgenden getrennt erläutert. Alle drei Begriffe aus der Diskussion um die „continu-

24 Adrian Forty, Words and Buildings - A Vocabulary of Modern Architecture, Thames and Hudson, London 2000, ISBN 0-500-34172-9, Abschnitt: Type, Seite 307

ita“ – Geschichte, Kontext und Typus – werden zu Schlüsselbegriffen der Architekturdebatten in den 1970er und 1980er Jahren. Der „Typus“ wird in diesem Zusammenhang von Vidler als „the city as the site for urban typology“ 25 verstanden. Die Typologie ist also ein Mittel zur Beschreibung einer Beziehung

können.“

Veränderungen immer das Grundprinzip zu erkennen ist, so

nach der Technik unterstellt werden. „The remarkable new ma-

Nach dem Zweiten Weltkrieg wird die Diskussion um den Be-

Typen zurückgeführt werden

Wenn also bei allen menschlichen Erfindungen selbst nach

den neu eingebrachten Kapitalismus und seinem Vermittler

zur Erlangung der Kontinuität

der Form, auch wenn alle architektonischen Formen auf

ment of a universally valid, unfailing good taste.“ 20

p.386

gebunden.“

schen Individualismus zu Zeiten des Jugendstils eingeführt

Drittens: Architektur als Mittel

Exkurs Typologie

„Types (Typisierung), to be

„Schließlich können wir sagen, dass der Typus die Idee der Architektur an sich ist; das, was ihrem Wesen am nächsten kommt.“ (Aldo Rossi, Das Konzept des Typus) 29 Im Streben nach „meaning“ in den 1960er Jahren wurde die Architektur der Moderne angezweifelt. Die Abkehr der Architektur von den Insignien der gesellschaftlichen Klasse führte zu bedeutungslosen und einheitlichen Räumen und wurde im Diskurs als „the crisis of meaning“ bekannt. Aldo Rossi arbeitet zwar auf ähnliche Weise, unterstellt seine Werke aber nicht direkt dem „meaning“-Begriff. So war es Vittorio Gregotti mit

25 Adrian Forty, Words and Buildings - A Vocabulary of Modern Architecture, Thames and Hudson, London 2000, ISBN 0-500-34172-9, Abschnitt: Type, Seite 308

seinem Buch „Il Territorio dell’Architettura“ aus dem Jahr

26

Ebd., Seite 308

27 Aldo Rossi, Das Konzept des Typus, in: Focus: Zur Rolle der Typologie in der Architektur, Positionen der italienischen Architekturdiskussion zum Typusbegriff, Arch+ 37, Aachen 1978

1966, der direkt auf die Bedeutung und den Sinn in der Architektur anspielt. Gregotti vermutet, dass die semantische Krise

28

Ebd.

der Modernen Architektur zumindest teilweise an der Typologie

29

Ebd.

p.387

Kreativquartier — Vertiefung

Zweitens: Architektur als Mittel gegen die Massenkultur In Zeiten der industriellen Revolution prägt der Begriff


„Heute ist man mehr denn je

der Architektur, sieht er die Aufwertung des „Typus“ und der

mit einer Situation konfron-

Gottfried Semper, architects

Rekonfiguration des „Kontext“. Diese Sichtweise auf die „Typo-

tiert, in der es nicht genügt,

have found remarkably

logie“ bildet die Grundlage für die Debatte in den 1960er Jah-

die ideologischen Vitruv’schen

Klassifizieren, Ordnen und Gliedern in der Architektur

difficult to put to any practi-

ren unter dem Begriff „meaning“.

Architekturtheorien – Zweck-

Die Architektur kann im Bezug auf Kreativquartiere auf zwei

cal use; on the other hand,

Nach den Tumulten des zweiten Weltkrieges entfernten sich

mäßigkeit (utilitas), Schönheit

bung. 35

Ebenen untersucht werden. Zum einen anhand eines hierarchiebildenden und ästhetischen Urteils ihrer Qualität („besser

Künstler, Architekten und andere Berufsgruppen zunehmend

(venustas) und Stabilität

nalism, mass consumption,

weiter vom klassischen und modernen Typologiemodellen und

(firmitas) – als Grundlage

als“,„’schöner als“) oder anhand von Fakten und ihrer objekti-

functionalism, or loss of

versuchten dieses im Zeitgeist des Post-Modernismus in Frage

des eigenen Handels zu

ven Beschaffenheit. Im ersteren Fall ist jedoch die Messbarkeit

verstehen.“

set against structural ratio-

meaning, ‘type’ and ‘typolo-

zu stellen. „The only ‚pure’ theory of types, that developed by

gy’ become, as Micha Bandini

Gottfried Semper, architects have found remarkably difficult

says, ‘almost magical words

to put to any practical use; on the other hand, set against

Die im vorhergehenden Abschnitt beschriebenen Typologie-An-

which by their mere utteran-

structural rationalism, mass consumption, functionalism, or

sätze beschränken sich oft nur auf wenige Strukturmerkmale.

loss of meaning, ‘type’ and ‘typology’ become, as Micha Ban-

Selbst die Reduktion auf eine Beschreibung kann hinderlich

dini says, ‘almost magical words which by their mere utteran-

sein, da die Auswahl bereits subjektiv vorgenommen wird und

ce yield hidden meanings’.“ „Die Erscheinungsfähigkeit der Zwecke ist verlorengegangen.

mit ihrem subjektiven Hintergrund fragwürdig und driftet in eine willkürliche Wertung ab. 36

ce yield hidden meanings’.“ 31

das Gesamtsystem einer hierarchischen Gliederung unterliegt.

Darunter zählen auch zahlreiche Bewegungen wie z.B. parti-

(z.B. Quatremère de Quincy nimmt die griechische Antike als

Die Zwecke sind so über-

zipative Ansätze von Giancarlo di Carlo (Team 10), das Projekt

Ausgangspunkt, Durand begibt sich auf eine rein morphologi-

mächtig, dass sie die Hilfe

Fun Palace von Cedric Price und Andere. Wenige Jahre später

sche Klassifikation, usw.)

der Erscheinung nicht mehr

kann man von einer totalen Abkehr der alt hergebrachten Typo-

brauchen!“

logiedefinitionen sprechen, die sich in der Herangehensweise

der Gebäudetypen und stell nur eine Zusammenstellung unter-

des Dekonstruktivismus wiederspiegelt.

schiedlicher Baugattungen im Spannungsfeld zwischen Stilge-

Weiterhin gibt Nikolaus Pevsner einen Einblick in das Wesen

Ein Zitat von Hoffmann-Axthelm aus seinem Beitrag „Der

30 Adrian Forty, Words and Buildings - A Vocabulary of Modern Architecture, Thames and Hudson, London 2000, ISBN 0-500-34172-9, Abschnitt: Type, Seite 309 31

Ebd., Seite 311

33 Markus Miessen, Alptraum Partizipation, Merve Verlag Berlin, 2012, S. 66 34

Ebd., S. 65

schichte und Sozialgeschichte vor. Er strukturiert diese nach

Tod der Architektur“ im Arch+ Heft 37 aus dem Jahr 1978 im

funktionalen Gesichtspunkten auf drei Ebene: Der Funktion,

Bezug auf die Nachkriegsmoderne bringt es auf den Punkt:

dem Stil und dem Material.

„Die Erscheinungsfähigkeit der Zwecke ist verlorengegangen.

Man könnte behaupten, dass Architekten Gebautes in mor-

Die Zwecke sind so übermächtig, dass sie die Hilfe der Er-

phologische Kriterien gliedern und Bauingenieure in konstrukti-

scheinung nicht mehr brauchen!“ 32

ve und ökonomische Kriterien (Konstruktion, Material, Kosten).

Nach Markus Miessen ist der Wandel des Architekten, der

Das Vergleichen und Urteilen in der Architektur wird durch

sich mit dem Image (z.B. der Gesamterscheinung, der Reprä-

derartige Unterschiede zusätzlich schwierig, wenn nicht sogar

sentative Architektur, der Säulenordnung,...) beschäftigt, hin

unmöglich. „Die Beschreibung ist mit dem Gegenstand der Be-

zum Architekten, der sich mit einer spezifischen Praxis (z.B.

schreibung nicht identisch“ 37 und zeigt sich beispielhaft in

Methode der Partizipation, Selbstorganisation) beschäftigt,

den Paaren Zeichen und Bezeichnetem oder Plan und Ausfüh-

grob in die Zeit der Eröffnung von Frank Gehrys Guggenheim

rung, auf die in der Architektur zurückgegriffen wird. Man

Museum in Bilbao einzuordnen 33 und definiert den Endpunkt

stellt sich hier die Frage, wie das Phänomen der ästhetischen

ursprünglicher Typologie-Ansätze. Er kommt zu der Erkenntnis, dass das stark romantisierte Ideal des Architekten infolge aktueller Gegebenheiten nicht mehr gültig ist. „Heute ist man mehr

32 Hoffmann-Axthelm, Der Tod der Architektur, in: Arch+ 37, Aachen 1978

p.388

kulturellen Gegebenheit und dem Kontext der gebauten Umge-

denn je mit einer Situation konfrontiert, in der es nicht genügt, die ideologischen Vitruv’schen Architekturtheorien – Zweckmäßigkeit (utilitas), Schönheit (venustas) und Stabilität (firmitas) – als Grundlage des eigenen Handels zu verstehen.“ 34 So lehnen auch seine Zeitgenossen die Typologie der Selbstreferenz ab, denn diese Vorgehensweise entzieht sich der

Exkurs Typologie

liegt. 30 Als Hilfsmittel zur Rückgewinnung der Bedeutung in

types, that developed by

35 Markus Miessen, Alptraum Partizipation, Merve Verlag Berlin, 2012, S. 66 36 Matthias Castorph, Gebäudetypologie als Basis für Qualifizierungssysteme, Diss. D386, Fachbereich Architektur/ Raum- und Umweltplanung/ Bauingenieurwesen der Universität Kaiserslautern, 1999, S.47-51 36

Ebd., S. 40-46

Differenz in der Qualifizierung von Gebäuden kontrolliert und damit eine allgemeine Methode entwickelt werden kann, mit der sich Gebäude grundsätzlich einordnen lassen? Erkenntnis Eine Einordnung anhand der Gebäude selbst scheint praktisch unmöglich. „Gebäude, die einer Veränderung unterliegen oder unterlagen, können nur zum jeweiligen Untersuchungszeitpunkt ausgewertet und systematisiert werden, was

p.389

Kreativquartier — Vertiefung

„The only ‚pure’ theory of


„Gebäude, die einer Verände-

da ihr Vorhandensein zum Untersuchungszeitpunkt nicht gesi-

rung unterliegen oder unter-

chert ist.“ 38 Die grundsätzliche Unterscheidung, wie man ein

lagen, können nur zum

Gebäude klassifiziert oder über es urteilt, kann verbal, schrift-

jeweiligen Untersuchungszeit-

lich, grafisch usw. übermittelt werden. Eine Vermengung der

punkt ausgewertet und

Aggregatzustände (Objekt, Plan, Beschreibung) eines Gebäudes

systematisiert werden, was

kann vermieden werden, wenn nur eines der Aggregatzustände

der Suche nach verallgemein-

die Grundlage eines Klassifizierungssystems ist. Die Grenze der

erbarer Einordnung wider-

Aggregatzustände zeigt die Differenz. „Diese Grenze ver-

spricht, da ihr Vorhandensein

schwindet niemals, auch wenn z.B. ein Plan die perfekte Be-

zum Untersuchungszeitpunkt

schreibung des Gebäudes ist. Mit diesem Plan kann zwar im

nicht gesichert ist.“

Exkurs Typologie

Kreativquartier — Vertiefung

der Suche nach verallgemeinerbarer Einordnung widerspricht,

Idealfall wieder ein Objekt entstehen, das der Beschreibung exakt entspricht, aber das Objekt, dessen Eigenschaften beschrieben wurden, verdoppelt sich nicht selbst, sondern es

„Diese Grenze verschwind-

entsteht nur ein Objekt als gleiche Beschreibung.“ 39 Um nun

et niemals, auch wenn z.B.

eine einheitliche Klassifizierung vorzunehmen, müssen alle Ob-

ein Plan die perfekte Be-

jekte vor der Untersuchung in gleichartiger verbaler, schriftli-

schreibung des Gebäudes

cher, grafischer, etc. Form vorliegen. Dies scheint hinsichtlich

ist. Mit diesem Plan kann

der Fülle an Information kaum möglich zu sein. Aufgrund des-

zwar im Idealfall wieder

sen kann eine Klassifizierung nie den Gesamtumfang abdecken

ein Objekt entstehen, das

und nur von relativ kurzer Dauer sein.

der Beschreibung exakt entspricht, aber das Objekt, dessen Eigenschaften beschrieben wurden, verdoppelt sich nicht selbst, sondern es entsteht nur ein Objekt als gleiche Beschrei-

38 Matthias Castorph, Gebäudetypologie als Basis für Qualifizierungssysteme, Diss. D386, Fachbereich Architektur/ Raum- und Umweltplanung/ Bauingenieurwesen der Universität Kaiserslautern, 1999, S.47-51 39

Ebd., S. 36-40

p.391

p.390

bung.“


Schlussanmerkung — Verfolgt man den aktuellen Diskurs zum Thema Kreativquartier, so stellt man eine Unklarheit bei der Verwendung des Begriffs fest.


Untersuchung lassen sich bereits spezifische Anforderungen und Randbedingungen für das Entstehen von Kreativquartieren

so kann man dem Wortsinn entnehmen, dass dieser bereits

zuordnen. Die Infrastruktur als wichtiger Faktor ist stark mit

eine statistisch erfassbare Entwicklung aufweist. Besonders

der Platzierung im Stadtraum verankert, ob ein Kreativquartier

nach Veröffentlichung der Texte von Charles Landry und Ri-

funktioniert oder nicht. Vom Phänomen Kreativquartier kann

chard Florida’s gesellschaftlich eingefassten Beschreibung der

man also sprechen, sofern dieses sich selbstständig und ohne

„Kreativen Klasse“, kann dieser Trend beobachtet werden. Wie wir festgestellt haben, finden sich bereits im 18. Jahrhundert Ansammlungen von kreativen Vereinigungen, aber die

Schlussanmerkungen

Kreativquartier — Vertiefung

Weiche/fluktuierende Begriffe Spricht man in Bezug auf Kreativquartiere von einem Trend,

Einfluss von außen entwickelt hat. Mit dem Begriff Kreativquartier wird seit einiger Zeit sehr inflationär umgegangen. Jede kleinste Ansammlung krea-

Einordnung in die „Kreative Klasse“ geschieht erst deutlich in

tiv Schaffender wird als Kreativquartier bezeichnet. Das Wort

den letzten 10 – 20 Jahren. Zu beobachten ist außerdem, dass

„kreativ“ ist eine art Chiffre geworden und bestimmt die

dieser „Trend“ nicht ephemer zu sein scheint, sondern viel-

Immobilienwirtschaft wie nie zuvor. Leerstehende Gebäude

mehr im Zeitraum der Untersuchung immer stärker vorange-

erfahren mitunter eine enorme Wertsteigerung, wenn sie von

trieben wird. Man könnte es dem aktuellen Zeitgeist zuspre-

Kreativen zwischengenutzt werden. Und auch ganze Neubauge-

chen, städtischen Leerstand unter ökonomischen, politischen,

biete lassen sich unter dem Überbegriff „Kreativquartier“

touristischen oder soziologischen Gesichtspunkten aufzuwer-

deutlich lukrativer vermarkten. Aufgrund seiner vermehrt positiven Resonanz in der Ent-

ten. Wenn wir von einer „modischen Erscheinung“ sprechen, ist diese primär dem Geschmack der Zeit zuzuordnen. Zwar lässt

wicklung von städtischem Mehrwert und kulturellen Vorzügen ist der Begriff zum Label mutiert.

sich ein Kreativquartier unter bestimmten Randbedingungen im

Bei dieser Entwicklung können wir von der Methode Kreativ-

städtischen Kontext als Mode klassifizieren, allerdings werden

quartier sprechen. Als zielgerichtete Vorgehensweise zeichnet

wichtige Teilaspekte wie die städtebauliche, programmatische

sie ein Regelsystem auf, in dem Gebäude und Kontext bestimm-

und gebäudestrukturelle Einbindung dann aber nebensächlich.

te Voraussetzungen erfüllen müssen. Die Methode wirkt von

Eine Mode entspricht dem Interesse, dem Gefallen oder Verhal-

außen ein und instrumentalisiert im schlechtesten Fall den Nut-

ten subjektiver Werterscheinungen. Wichtig hierbei ist, dass

zer mit seinem Image und seinen Fähigkeiten. Er avanciert zum

der Begriff der „Mode“ ein zeitlich begrenztes Phänomen ist.

Lückenbüßer und Gentrifizierungs-Ermöglicher. Als externe Ein-

Wenn sich der Zeitgeschmack ändert, würde das Kreativquar-

wirkung auf ein Gefüge kann auch der Begriff der Praktik

tier seinen Bezug verlieren und in die Wertlosigkeit einer alten

Verwendung finden. Wie man unschwer erkennen kann, ist

Klamotte abdriften.

dies eine zielgerichtete Vorgehensweise von Seiten der Investo-

Eine Tendenz wäre eine Art Oberbegriff für eine bestimmte

ren, Immobilienentwickler und Stadtplaner. Die Methode oder

Richtung oder Strömung innerhalb einer gesellschaftlichen und

Praktik wird zum Produkt und letztendlich durch ein Label in

politischen Entwicklung. Vom Kreativquartier als Tendenz kön-

Form eines großen Eingangsschildes oder eines imposanten

nen wir jedoch zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht spre-

Internetauftrittes angepriesen (siehe Beispiele).

chen, da keine festgesetzte Zielrichtung in der Entwicklung von Kreativquartieren zu finden ist.

Entwicklung Kreativquartiere erfahren zunehmendes Interesse seitens

In den Medien und in aktueller Literatur wird oft vom Phäno-

ökonomischen und politischen Zielvorstellungen einbinden. In

men Kreativquartier gesprochen. Einem Phänomen liegt kei-

Deutschland haben nicht nur Berlin und Hamburg das Potenzial

ne geplante Struktur zu Grunde, also kein faktisch messbarer

p.394

der Städte, die sie systematisch in ihre touristischen,

der Kreativen erkannt. In den letzten Jahren beginnen die Städ-

Prozess. Es handelt sich eher um beobachtbare Entwicklungen

te regelrecht damit, sich gegenseitig junges Kreativpotential

oder Erscheinungen, deren Motivation von innen heraus ent-

abzuwerben. Jede größere städtische Agglomeration hat

steht. Wie wir feststellen konnten, sind wir in dieser Entwick-

bereits damit begonnen, Kreativ- und/oder Kulturwirtschafts-

lung bereits sehr weit fortgeschritten. Zum Zeitpunkt unserer

berichte zu erstellen.

p.395

Konkrete Begriffe


genes Kleidungsstück seinen Besitzer wechselt.” 1

„Kleidungsstücke sind ebenso

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in dieser Publika- wie Immobilien von einer

Wirtschaftsförderung der Stadt Stuttgart in der Abteilung Leer-

tion die maskuline Schreibform verwendet. Wir schließen darin

bestimmten Ästhetik, dem

stands- und Zwischennutzungsmanagement eine Broschüre,

jedoch ausdrücklich alle Geschlechter ein und möchten damit

Zeitgeist und ihrer Funktion

die 35 Kreativquartiere im Raum Stuttgart lokalisiert. Sie ist

niemanden diskriminieren.

geprägt. Architektur und

lediglich als quantitative Erfassung zu lesen. Eine Definition,

Mode sind Ausdrucks-

um was es sich bei einem Kreativquartier handelt, gibt es

und Kommunikationsmittel,

jedoch nicht.

sie schaffen und vermitteln

Bei einer stark-offensichtlichen Instrumentalisierung, so die

Schlussanmerkungen

Kreativquartier — Vertiefung

Weitere Untersuchungen bemühen sich, die Kreativen aufzuspüren und einzuordnen. So entstand beispielsweise unter der

Identität und haben einen

Vermutung, hat die Methode Kreativquartier ihr eigentliches

Gebrauchs- und Tauschwert.

Anliegen zur Veränderung der post-industriellen Gesellschaft

Oder unterliegt einem beson-

verloren und wird schon bald als Instrumentarium – im Sinne

ders kurzweiligen Zyklus:

des Top-Down-Prinzips – beispielsweise von Stadtämtern und

Ihre Akzeptanz ist in der

Konzernen angesehen. Sie verliert ihr Alleinstellungsmerkmal

ersten Phase TREND noch

und nicht zuletzt die Akzeptanz der Kreativen.

gering, in der zweiten Phase MODE erreicht sie ihren Höhe-

Fazit

punkt, in der dritten Phase

Ein Kreativquartier kann (noch) unterschiedlich aufgefasst

OBSOLESZENZ sinkt die

werden, geprägt durch seine Entwicklung und den Grad der

Nachfrage und gleichzeitig

Institutionalisierung. Keines der Kreativquartiere bleibt ver-

steigt die Chance, dass ein

schont davon, zwischen den Aggregatzuständen des Phäno-

getragenes Kleidungsstück

mens und der Methode zu wechseln, wenn das Potenzial einmal

seinen Besitzer wechselt.”

entdeckt wurde. Daher möchten wir in unserer Untersuchung eher von einem Prinzip Kreativquartier sprechen, da es zum einen eine selbstorganisierte Entwicklung (Phänomen), als auch eine (voraus-) geplante Entwicklung beinhalten kann (Praktik, Methode). Eine Grundregel, wie ein Kreativquartier sein kann, beinhaltet also eine programmatische Definition (siehe Abschnitt Typus) und eine analytische Erfassung des Kontextes (siehe Abschnitt Topos). Diese beiden Grundregeln dienen zugleich als Analysewerkzeug, wie ein KQ einzuordnen ist. Wir bewegen uns also auf der Ebene der Idee oder des Schemas und weniger auf dem Gebiet einer konkreten Baumaßnahme bzw. einer gebauten Typologie. „Kleidungsstücke sind ebenso wie Immobilien von einer bestimmten Ästhetik, dem Zeitgeist und ihrer Funktion geprägt. mittel, sie schaffen und vermitteln Identität und haben einen Gebrauchs- und Tauschwert. Oder unterliegt einem besonders kurzweiligen Zyklus: Ihre Akzeptanz ist in der ersten Phase p.396

TREND noch gering, in der zweiten Phase MODE erreicht sie ihren Höhepunkt, in der dritten Phase OBSOLESZENZ sinkt die Nachfrage und gleichzeitig steigt die Chance, dass ein getra-

Quellen der einzelnen Begriffe ist immer: www.duden.de 1 aus: Second Hand Spaces - über das Recyceln von Orten im städtischen Wandel, Michael Ziehl, Sarah Oßwald, Oliver Hasemann, Daniel Schnier; Jovis Verlag 2012, S. 13/14 ISBN 978-3868591552

p.397

Architektur und Mode sind Ausdrucks- und Kommunikations-


Danksagungen — Von ganzem Herzen

Partizipation | Eine zeitgenössische Methode im Diskurs Einführung, p. 018 – 020 | Partizipation in der Architektur, p. 021 – 029 | Team 10, p. 030 – 038 | Utopie und Partizipation, p. 039 – 045 | Grenzen der Partizipation, p. 045 – 078 | Partizipationsromantik, p. 079 – 091 | Stadtplanung und Demokratie, p. 092 – 095 | Beispiel – NDSM Werft, p. 096 – 100 | Die Rolle des Architekten, p. 101 – 113 | Schlussanmerkung, p. 114 – 127 |


Wir danken dem Stadtarchiv Stuttgart in Bad Cannstatt. Weiterhin dem Staatsarchiv Ludwigsburg, hier insbesondere Corin-

Viele Personen haben dabei geholfen, dieses Buch zu reali-

na Knobloch für den übersichtlichen Einblick in das umfassen-

sieren. Im speziellen wollen wir den nachfolgenden Personen

de Archiv.

für ihre Unterstützung, ihre konstruktive Kritik sowie die inspirierenden Diskussionen danken. Die Erstellung dieses Buches

NDSM

war nur durch die Zusammenarbeit vieler, auf ganz unter-

Wir danken den Architekten der Kunststad, aus Utrecht den

schiedliche Art und Weise beteiligter, Akteure möglich.

dynamo architecten, insbesondere Peter de Bruin für die

Besonderer Dank gilt der Klasse für Entwerfen Architektur/ Öffentliche Bauten und Räume. Prof. Andreas Quednau und AM Kai Beck haben unser Projekt über 4 Semester begleitet und uns in jeder Phase unterstützt. Weiterhin möchten wir Prof. Dr. Sokratis Georgiadis, Professor für Architektur- und Designgeschichte, Architekturtheorie,

Bereitstellung von Planunterlagen und den inhaltlichen Austausch. Für einen ersten Eindruck in die Welt der NDSM in Amsterdam möchten wir Doris Rothauer danken und weiterhin dem NDSM Werftmuseum, insbesondere Ruud van der Sluis, für eine gelungene historische Aufarbeitung des NDSM Geländes.

und seinen Assistentinnen für die Unterstützung mit Literatur,

Weiterhin möchten wir den Akteuren für kurze Gespräche

für wichtige Hinweise, sowie die inhaltliche Beratung und Un-

während der Feldforschung danken. Besonderer Dank gilt hier

terstützung im theoretischen Textteil danken. Weiterhin möchten wir den studentischen Mitarbeitern der

Eibert Draisma (Design+Kunst) für ein fast einstündiges Gespräch über die Struktur der NDSM damals und heute und den

Bibliothek der ABK Stuttgart danken, insbesondere der Leiterin

inhaltlichen Austausch über die Kultur- und Kreativwirtschaft

Mayumi Pfundtner, für die Möglichkeit einen projektbezogenen

und deren Vermarktungsmöglichkeiten im Amsterdamer Umfeld.

Handapparat über mehrere Semester einzurichten und die Er-

Paritizipation

Paritizipation

Danksagungen

Weiterhin Eva de Klerk, die im Bereich der Kreativquartiere

gänzung von Literatur im Bibliotheksbestand zu ermöglichen.

ein solch herrliches Konstrukt wie die NDSM von Anfang an be-

Außerdem danken wir der Bibliothek der Universität Stuttgart

gleitet und sich trotz eingeschränktem Zeitfenster ebenfalls für

für die Bereitstellung älterer Texte und Karin Schulte für die

ein E-Mail-Interview zur Verfügung gestellt hat.

Korrektur unserer Schriftstücke. Nicht zuletzt möchten wir anmerken, dass vor allem die fa-

Museumsquartier

miliäre Atmosphäre und die Möglichkeit interdisziplinären Ar-

Wir bedanken uns bei sämtlichen Nutzern des Museums-

beitens an der ABK Stuttgart sehr zum Ergebnis beigetragen

quartiers, die uns über die Arbeit vor Ort erzählt haben.

haben.

Auch Julia Rehberger vom quartier 21 und Irene Preißler, die für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit im MQ zuständig ist,

Wagenhallen

gilt unser Dank. Weiterhin danken wir dem Architekturbüro Ort-

Wir danken allen Akteuren der Wagenhallen, die immer für

ner & Ortner für die Bereitstellung von Planunterlagen und den

konstruktive Gespräche bereit standen, uns bei diesem Vor-

Verantwortlichen der Webseite des MQ für die stets aktuellen

haben zu unterstützen. Insbesondere Lukas Lendzinski, Peter

Inhalte.

Weigand, David Bauer und Markus Niessen soll hier gedankt Wir danken den Binz-Bewohnern David und Lukas, die uns

unterstützt und gefördert.

detailliert über das Leben in der Binz vor Ort berichtet ha-

Weiterhin danken wir dem Arbeitskreis Eisenbahnhistorie Württemberg – Archiv Schorndorf für die Aufnahme in ihre historische Diskussionsrunde. Besonders Herrn Werner Willhaus p.400

Binz

landschaft der ABK Stuttgart mit unzähligen Ganggesprächen

ben und uns einen Einblick in ihren Wohn- und Lebensraum gewährt haben. Überdies danken wir Robert Schmid von der Baudirektion

und Thomas Wild für seinen persönlichen Einsatz und die Mög-

Kanton Zürich, der uns die Bestandspläne der Hallen zur Re-

lichkeit, die Originalpläne der Wagenhallen einzusehen und teil-

cherche bereitgestellt hat.

weise Kopien davon anzufertigen.

p.401

werden. Peter Weigand hat uns zudem auch in der Hochschul-


Die Erstellung von Interviews war eine besondere Erfahrung. Die in diesem Buch befindlichen Interviews sind inhaltlich stark gekürzt und konzeptuelle Anmerkungen sind ausgegliedert. Gespräche mit den folgenden Personen umfassen einen

Paritizipation

Paritizipation

Interviewpartner

weitaus breiteren Umfang, als hier abgebildet. Eva de Klerk, Klaus Overmeyer, Rob Post, Uwe Stuckenbrock, Elke Krasny, Matthias Küper, Peter Weigand, Lukasz Lendzinski und David Bauer. Wir danken unseren Interviewpartnern für den inhaltlichen und konstruktiven Austausch. Berechtigungen Einige Personen und Organisationen haben den Autoren die Erlaubnis erteilt, Materialien in diesem Buch zu reproduzieren. Falls Verwendungen von urheberrechtlich geschütztem Material vorgekommen sein sollten, kontaktieren Sie bitte die Autoren, da mit großem Einsatz versucht wurde, jegliches Copyright-Material zu dessen Urheber zurück verfolgbar zu

p.403

p.402

machen.


Impressum

Autoren

Sascha Bauer Franziska Glöckler Daniel Springer

Betreuer

Prof. Andreas Quednau und AM Kai Beck

Transkription

Sascha Bauer

der Gespräche Franziska Glöckler Daniel Springer Gestaltung

Steffen Knöll und Sven Tillack aka Scientists of Visual Happiness www.scientistsofvisualhappiness.org

Auflage Druck

/5 Muellerprints Rotenbergstraße 39 70190 Stuttgart

Verarbeitung

Buchbinderei Mende Klingenstraße 123 70188 Stuttgart

Schriften

Maison Regular, Bold, Italic Genath Regular, Italic Typewriter Elite MT Std Regular — (mit freundlicher Unterstützung von MilieuGrotesque, Optimo Type Foundry und Monotype)

Papier

Metapaper Rough White 115 g/m2 Metapaper Rough White 300 g/m2

© 2013

Alle Rechte vorbehalten. Die Rechte liegen bei den jeweiligen Autoren. — Entstanden an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart



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