Stories of the Past

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Digitale Reise in verlorene Welten

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Digitale Reise in verlorene Welten

Ljubljana 2022

Das Projekt wird im Rahmen des Danube Transnational Programme durchgeführt, das vom Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und dem Instrument für Heranführungshilfe (IPA II) finanziert wird.

ERDF: €2.118.635,56, IPA: €21.335,00 Das Programm wird von der Europäischen Union kofinanziert.

Inhalt

Reichtum, Waffen und ein Wagen auf dem Hohmichele: Ein frühkeltischer Grabhügel in Baden-Württemberg, Deutschland.

Zwischen Leben und Tod: Zwei visualisierte Stätten aus der Eisenzeit und der Römerzeit in Österreich.

Am Rande des Reiches: Das germanische Gräberfeld aus der Eisenzeit in Rankovce, Slowakei.

Slowakei

Die Donau: Ein Fluss im Herzen Europas. Ein Fluss im Herzen der europäischen Vergangenheit. 6 10 18 30 40

Kontraste im Luxus: Das Eiszeitlager von Vértesszőlős und die römische Villa von Baláca in Ungarn.

Ungarn

Österreich Deutschland Einleitung

Ulaka unter Belagerung.

Slowenien

Jäger der Eiszeit, Bauern der Bronzezeit und Krieger der Eisenzeit: Drei Stätten aus Kroatiens Vergangenheit.

Kroatien

Von den ersten Bauern bis zu den Bronzemeistern: Vršac-At und Vatin – Bela Bara, Serbien.

Serbien

Zeitreisen an der unteren Donau: Die bronzezeitliche Brandnekropole von Cîrna – Grindu Tomii und die byzantinische Festung von Nufăru (Proslavița).

Rumänien

Mittelalterliche Wunder Bulgariens: Die Stadt Cherven und die Felskirchen von Iwanowo.

Bulgarien

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52 62

Die Donau: Ein Fluss im Herzen Europas. Ein Fluss im Herzen der europäischen Vergangenheit

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Die Donau ist eine der großen natürlichen Straßen Europas. Sie entspringt auf der Schwäbischen Alb in Süddeutschland und mündet in das Schwarze Meer. Zwischen diesen beiden Punkten durchquert sie einen großen Teil Mittel- und Osteuropas und verbindet Nationen, Völker und Kulturen. Diese Region hat eine lange Vergangenheit. Während der letzten Eiszeit durchstreiften Riesen dieses Land. Diese Tiere zogen menschliche Jäger an: Neandertaler und unsere eigene Spezies. Mit dem Ende der Eiszeit im 10. Jahrtausend v. Chr. verschwanden viele dieser Megafauna für immer. Innerhalb weniger Jahrhunderte war die Landschaft in dichte Wälder gehüllt und die Donau bildete eine der wenigen leicht befahrbaren Routen durch diese baumbewachsene Landschaft. Diese Wälder waren jedoch nicht von Dauer.

Im 6. Jahrtausend v. Chr. wurde aus dem Nahen Osten eine revolutionäre Technologie eingeführt: die Landwirtschaft. Die Donau spielte eine zentrale Rolle bei der Verbreitung der Landwirtschaft in Ost- und Mitteleuropa. Die Wälder wurden abgeholzt und die Landschaft öffnete sich, um Ackerland für die Menschen der Jungsteinzeit zu schaffen. Diese Bauernhöfe erzeugten ein Überangebot an Nahrungsmitteln und die Bevölkerung an der Donau begann zu wachsen. Die Siedlungen wurden zunehmend beständig, Töpferwaren wurden hergestellt, Ungleichheiten zwischen Individuen und Gruppen traten auf, und der Nahrungsüberschuss ermöglichte es einigen Menschen, sich in einer Weise zu spezialisieren, die zuvor unmöglich war. Die Werkzeuge dieser frühen Bauern stützten sich im Wesentlichen auf die gleichen Materialien wie die ihrer Jäger- und SammlerVorfahren: Stein, Holz und Knochen. Einige wenige Mitglieder der Gesellschaft hatten jedoch die Möglichkeit, Gegenstände aus Kupfer und Gold zu erwerben, die zu den exotischeren und luxuriöseren Produkten zählten. Wie bei der Ausbreitung des Ackerbaus war die Donau ein wichtiger Übertragungsweg für diese Metalle und das Wissen um ihre Verarbeitung.

Um 2200 v. Chr. kam es zu einem großen Entwicklungsschritt. Metalle wurden nicht mehr in ihrer Grundform verarbeitet, sondern wurden jetzt zu einer schimmernden Legierung vermischt: Bronze. In Verbindung mit der Einführung des Rades und der Domestizierung des Pferdes war dies eine Zeit tiefgreifender Veränderungen. Es wurden befestigte Siedlungen gebaut, Elitefrauen trugen aufwendige Kostüme, und eine Kriegerelite ritt

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mit Bronzespeeren und -schwertern in die Schlacht. Um 800 v. Chr. wurde Bronze von einem anderen Metall abgelöst, das sich in den meisten Bereichen der Landwirtschaft, der Kriegsführung und der handwerklichen Produktion durchsetzte. Im Gegensatz zur Bronze, für die Kupfer und Zinn von außerhalb des Donauraums importiert werden mussten, ist Eisenerz in diesem Teil Europas weit verbreitet. In dieser Zeit wurden auch die Namen einiger Donaubewohner zum ersten Mal aufgezeichnet, Namen, die noch heute nachklingen, wie Kelten, Illyrer, Thraker und Daker. Ende des 1. Jahrhunderts v. Chr. wurden die Länder am Südufer der Donau Teil des Römischen Reiches. Die Römer brachten eine Reihe von Ideen und mediterranen Bräuchen zu den Völkern an der Donau. Sie gründeten Städte, bauten Villen und errichteten das größte Festungsnetz, das es vor dem 20. Jahrhundert in Europa gab. Dennoch schwankte die römische Macht immer wieder, und im 5. Jahrhundert n. Chr. erlebte das Weströmische Reich seinen endgültigen Niedergang. Seine ehemaligen Donauprovinzen im heutigen Deutschland, Österreich, Ungarn und dem ehemaligen Jugoslawien wurden von einer Vielzahl germanischer, slawischer und iranischsprachiger Völker besetzt. Das Oströmische Reich überdauerte ein weiteres Jahrtausend, musste sich aber ebenfalls für mehrere Jahrhunderte von der Donaugrenze zurückziehen, sodass slawische und türkischsprachige Gruppen das Gebiet besiedeln konnten. Diese Gruppen waren keine einfachen Barbaren. Sie stellten wunderschöne Metallarbeiten und Textilien her und bauten beeindruckende Siedlungen. Es waren diese germanischen, slawischen, türkischen und später ungarischen Völker, die den Grundstein für die mittelalterliche Donau legen sollten. Die in diesem Schmelztiegel entstandenen Königreiche und Reiche sind die unmittelbaren Vorläufer der Nationalstaaten, die in den letzten 500 Jahren entstanden sind und der Donau ihre modernen politischen, kulturellen und sprachlichen Grenzen geben.

Das reiche und kulturell vielfältige archäologische Erbe des Donauraums ist das einzige Überbleibsel dieser jahrtausendelangen Entwicklungen. Es ist ein Träger wichtiger Informationen über unsere Vergangenheit. Eine große Herausforderung besteht darin, dieses archäologische Erbe für die Besucher des Donauraums sichtbar zu machen. Darüber hinaus ist es notwendig, diese Ressource nachhaltig zu nutzen.

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Neue Technologien ermöglichen es Archäologen zunehmend, archäologisches Wissen auf völlig neue Weise zu visualisieren, um es für die Öffentlichkeit zugänglich und attraktiv zu machen. Das Hauptziel des Projekts Danube’s Archaeological eLandscapes ist es, das archäologische Erbe, insbesondere die archäologischen Landschaften der Donauregion, regional, national und international sichtbarer zu machen. Dadurch soll die Attraktivität für die Einbindung in einen nachhaltigen Kulturtourismus erhöht werden. Das Rückgrat dieses Unterfangens sind die großen Museen der Region. Diese Institutionen haben sich zusammengetan, um die bedeutendsten archäologischen Landschaften des Donauraums zusammenzuführen und ihre Sichtbarkeit zu erhöhen. Durch den Einsatz modernster Virtual Reality (VR)- und Augmented Reality (AR)-Technologien wollen die Museen ihre Besucher dazu ermutigen, das archäologische Erbe nicht nur in ihrem eigenen Land, sondern auch in den Ländern der anderen Partner in seiner ursprünglichen Umgebung zu erleben.

Dieser Katalog begleitet die Ausstellungen, die von den Mitgliedern des Danube’s Archaeological eLandscapes Projekts produziert wurden. Er zeigt den neuesten Stand der archäologischen Forschung und der VR- und AR-Technologien. Die in diesem Katalog enthaltenen Fundstellen befinden sich im gesamten Donauraum, vom Südwesten Deutschlands bis zu den unteren Donauabschnitten in Rumänien und Bulgarien. Sie stammen aus zahlreichen Epochen und umfassen frühe bäuerliche Siedlungen, keltische Gräberfelder, römische Villen und mittelalterliche Festungsanlagen.

Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart (Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg)

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Reichtum, Waffen und ein Wagen auf dem Hohmichele: Ein

frühkeltischer Grabhügel in Baden-Württemberg, Deutschland

Jonas Abele, Leif Hansen and Andrew W. Lamb, Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart

Der rekonstruierte Grabhügel, wie er heute aussieht.

Foto: R. Hajdu, ©Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg.

Die Donau beginnt ihre Reise in Baden-Württemberg, dem südwestlichsten Bundesland Deutschlands. Diese Region Europas blickt auf eine reiche Vergangenheit zurück. Hier entstanden in der Eiszeit die ersten bekannten Kunstwerke aus Mammutelfenbein. Als sich das Wissen über den Ackerbau in Europa verbreitete und die Menschen dauerhaftere Siedlungen gründeten, entschieden sich einige Gruppen hier, in Dörfern am Seeufer zu leben, in Häusern, die auf Stelzen gebaut waren. Diese Lebensweise setzte sich fort, als sich in der Kupfer- und Bronzezeit im 3. und 2. Jahrtausend v. Chr. die ersten Metallverarbeitungstechnologien in Europa verbreiteten. Im Mittelpunkt dieser Ausstellung steht jedoch die letzte Phase der Vorgeschichte: die Eisenzeit.

Ab etwa 620 v. Chr. entstand auf der Heuneburg eine bedeutende eisenzeitliche Siedlung, die fast zwei Jahrhunderte lang Bestand hatte. Dies war nicht die erste Besiedlung der Heuneburg. Zwischen ca. 2400–2200 v. Chr. hatten Menschen der so genannten Glockenbecherkultur einen ihrer Toten im darunter liegenden Donautal begraben, und von 1600–1100 v. Chr. war der Ort während der Bronzezeit befestigt worden. Die eisenzeitliche Heuneburg ist jedoch von besonderer Bedeutung. Dank der Nähe zur Donau wurde der Ort zu einem Handels- und Machtzentrum und damit zu den ersten urbanisierten Siedlungen Europas

Die Ausgrabungen des HohmicheleGrabhügels in den 1930er-Jahren. ©Universität Tübingen, Institut für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters.

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nördlich der Alpen. Die eisenzeitliche Heuneburg nahm Elemente der mediterranen Architektur auf, darunter eine Lehmziegelmauer und ein Steintor, und importierte Fertigprodukte, Rohstoffe und Ideen aus Griechenland, Italien, dem Baltikum, Iberien und wahrscheinlich auch aus Britannien.

Von der Macht einiger Bewohner der Heuneburg zeugen die großen, teilweise reich ausgestatteten Grabhügel, die in der Umgebung errichtet worden sind. Der größte von ihnen ist das Thema dieser Visualisierung: der Hohmichele. Mit einer Höhe von 13,5 Metern ist der Hohmichele einer der größten prähistorischen Grabhügel Europas. Nur wenige andere Stätten, wie die skythischen Kurgane in der Ukraine und in Russland, können mit ihm mithalten. In den 1930er-Jahren wurde beschlossen, die Stätte auszugraben, und zwischen 1936 und 1938 führte ein Team unter der Leitung von Dr. Gustav Riek eine fast vollständige Ausgrabung dieser durch. Zum großen Bedauern der Wissenschaftler wurde die Hauptgrabkammer des Grabhügels kurz nach seiner Errichtung ausgeraubt. Eine der Grabstätten, Grabkammer VI, war jedoch noch intakt. Diese wird in dieser Rekonstruktion gezeigt.

Die Grabkammer VI ist in vielerlei Hinsicht charakteristisch für andere frühkeltische Grabstätten aus dieser Zeit. Zunächst wurde eine große Holzkammer aus Planken errichtet, in die die Verstorbenen und ihre Grabbeigaben gelegt wurden. Die Grabbeigaben bestanden aus einem vierrädrigen Wagen, Pferdegeschirr, Bronzegefäßen und einer Vielzahl persönlicher Gegenstände wie Fibeln, Gürtelbeschläge, Glasperlen und Bernsteinschmuck. Obwohl der Erhaltungszustand des Grabes viel besser hätte sein können, fanden die Archäologen dennoch einige faszinierende organische Überreste, darunter Textilfragmente und einen Teil eines Bärenfells, auf das der Wagen gestellt worden war. Das Grab enthielt auch einen ledernen Köcher mit zahlreichen Pfeilen mit Eisenspitzen. Obwohl der einzig erhalten gebliebene Knochen aus Zahnschmelz bestand, schloss Riek aus den gefundenen Gegenständen, dass das Grab die letzte Ruhestätte einer Frau und eines Mannes gewesen sein musste. Die Frau war mit Glasperlen, Bernsteinschmuck und Fibeln auf den Wagen gelegt worden, während der Mann mit einem Gürtel, Fibeln und einem Köcher mit Pfeilen neben ihr auf dem Boden des Grabes lag.

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Bei der Rekonstruktion dieser Grabstätte griffen die Archäologen des Landesamtes für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart in Esslingen am Neckar, Baden-Württemberg, auf den ursprünglichen Grabungsbericht zurück, den Riek verfasst hatte. Nachdem er seine Ausgrabungen 1938 abgeschlossen hatte, dauerte es bis 1962, bis Riek seine Ergebnisse veröffentlichte.

Glücklicherweise überstanden seine Aufzeichnungen und die Funde vor Ort den Zweiten Weltkrieg. Unsere Archäologen arbeiteten eng mit einem professionellen 3D-Künstler zusammen, um jeden Aspekt der Visualisierung so genau wie möglich darzustellen. Dazu gehörten auch Details wie die Sicherstellung, dass die Grabbeigaben aussehen, als wären sie handgefertigt und nicht mit modernen, industriellen Techniken hergestellt worden. Zudem war es wichtig, dass die Proportionen der Grabkammer stimmten und die Artefakte die richtige Größe hatten. Dank

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Ausgrabungsplan der Grabkammer VI. ©State Office for Cultural Heritage Baden-Württemberg.

3D-Rekonstruktion der Grabkammer VI.

Künstler: B. Csampai, ©Landesamt für Denkmalpflege BadenWürttemberg.

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der erhaltenen Textilien aus der Grabkammer konnte sogar die Farbe der Kleidung, in der der Verstorbene bestattet worden war, annähernd zuverlässig bestimmt werden.

Gleichwohl muss betont werden, dass es sich hierbei immer noch um eine Interpretation handelt. Da die Ausgrabung des Hohmichele vor der Erfindung vieler moderner archäologischer Techniken stattfand, ist es möglich, dass einige Details, die heute vielleicht erfasst worden wären, bei den Ausgrabungen übersehen worden sind. Zum Beispiel ist es heute üblich, nach Funden zu sieben oder Bodenproben zu nehmen, was in den 1930erJahren nicht der Fall war. Außerdem ist es möglich, dass einige Grabbeigaben aus verderblichen Materialien (wie Leder oder Holz) nicht erhalten geblieben sind. Die Beobachtung, dass das Bärenfell und einige Holzteile des Wagens bei den Ausgrabungen geborgen worden sind, lässt jedoch darauf schließen, dass die meisten der ursprünglich in der Kammer vergrabenen Gegenstände tatsächlich überlebt haben.

Bronzegefäß aus Kammer V.

Foto: H. Zwietasch, ©Württembergisches Landesmuseum.

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3D-Rekonstruktion des Lederköchers und der Pfeile mit Eisenklingen aus Kammer VI. Künstler: B. Csampai, ©Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg.

Obwohl viele früheisenzeitliche Grabhügel, wie der Hohmichele, noch heute die Landschaft prägen, haben die Menschen gegen Ende des 5. Jahrhunderts v. Chr. aufgehört, solche Monumente zu errichten;

Sie zogen es vor, ihre Toten in flachen Gräbern mit einer begrenzten Anzahl an Gegenständen zu bestatten. Vierrädrige Wagen, wie der vom Hohmichele, wurden durch zweirädrige Streitwagen ersetzt. So entstanden neue Arten von Fibeln und Waffen, während Goldgegenstände sehr selten wurden. In dieser Zeit wurden auch die Heuneburg und viele andere frühkeltische Machtzentren aufgegeben.

Gelegentlich, wie bei der Heuneburg, gibt es Hinweise darauf, dass diese Stätten von Katastrophen heimgesucht wurden oder Schauplatz gewaltsamer Machtkämpfe waren. Erst im 1. Jahrhundert v. Chr., als sich das Römische Reich auf das Donautal ausdehnte, gab es in Mitteleuropa wieder städtische Siedlungen.

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Zwischen Leben und

Tod: Zwei visualisierte Stätten aus der Eisenzeit und der Römerzeit in Österreich

Sarah Kiszter, Abteilung Archäologie & Münzkabinett, Universalmuseum Joanneu

Digitale Visualisierung der hölzernen Grabkammer des Fürstengrabes Kröllkogel mit Grabbeigaben. Grafik: Iljafilm, ©Universalmuseum Joanneum.

Österreich ist ein gebirgiges Land. 62 Prozent des Landes sind von den Ostalpen bedeckt, einschließlich des gesamten westlichen Teils des Landes. Der höchste Berg ist der Großglockner mit 3798 Metern, der im Nationalpark Hohe Tauern liegt. Das Land wird im Norden von der Böhmischen Masse und der Thaya, im Süden von den Karawanken und dem Steirischen Hügelland, im Osten von der Pannonischen Tiefebene und im Westen vom Rhein und dem Bodensee begrenzt. Aufgrund dieser geographischen Gegebenheiten war Österreich in der Vergangenheit nicht zu allen Zeiten gleichmäßig besiedelt und stellt daher keinen einheitlichen Kulturraum dar.

Das Universalmuseum Joanneum hat zwei digitale Visualisierungen aus zwei vergangenen Epochen erstellt. Bei der ersten handelt es sich um die Siedlung und das Gräberfeld bei Großklein aus der Eisenzeit. Bei der zweiten handelt es sich um das römische Municipium von Flavia Solva.

Großklein

Die Flüsse Sulm und Saggau waren in der Vorgeschichte sowohl infrastrukturelle Lebensadern als auch wichtige Kommunikationswege. Heute liegt die steirische Gemeinde Großklein am Schnittpunkt der Täler von Sulm und Saggau und beherbergt eine der berühmtesten Kulturlandschaften der frühen Eisenzeit (800 – 450 v. Chr.): die prähistorische Höhensiedlung auf dem Burgstallkogel oder Grillkogel, die über 450 Meter

Auf dem Burgstallkogel wurden mehrere Gebäude aus der Hallstattzeit wieder aufgebaut und können besichtigt werden. Foto: M. Mele, ©Universalmuseum Joanneum.

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Digitale Rekonstruktion einer Brandbestattung.

Grafik: Iljaflm, ©Universalmuseum Joanneum.

hoch ist. Außerdem gibt es am Fuße des Berges zahlreiche Grabhügelgruppen.

In der so genannten Sulmtal-Nekropole sind heute noch fast 700 Grabhügel, sogenannte Tumuli, zu sehen. Einst waren es bis zu 2000 Hügelgräber. Sie bestehen ausnahmslos aus Brandbestattungen.

Das Gräberfeld befindet sich rund um die Siedlung am Burgstallkogel und diente als Grabstätte für die lokale Bevölkerung und die Kriegerschicht. Unter den Grabhügeln ist eine eigene Gruppe von vier auffallend großen Grabhügeln in der Ortschaft Kleinklein bemerkenswert. Diese so genannten »Fürtsengräber« enthielten besonders imposante Grabbeigaben mit zahlreichen Bronzegefäßen und Rüstungsteilen. Besonderes Augenmerk wurde auf eine rätselhafte Bronzemaske und Hände aus verziertem Bronzeblech gelegt, die aus dem Grabhügel “Kröllkogel” geborgen wurden und zum Symbol von Großklein und zu einem Objekt von nationaler Bedeutung wurden. Die reichen Grabbeigaben zeugen vom Wohlstand der »Fürsten« und von ihren Verbindungen zu entfernten Regionen wie dem heutigen Nord- und Mittelitalien.

Die Siedlung selbst befand sich auf der Anhöhe des Burgstallkogels und erstreckte sich über eine Fläche von etwa 15 bis 20 Hektar. Die Häuser befanden sich auf den Terrassen des Hügels und waren aus Holz errichtet. Archäologische Ausgrabungen, die zu Beginn des letzten Jahrhunderts begannen, weisen auf mehrere

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Digital rekonstruierter Innenraum eines hallstattzeitlichen Hauses auf dem Burgstallkogel bei Großklein. Grafik: Iljafilm , ©Universalmuseum Joanneum.

Digitale Rekonstruktion der hallstattzeitlichen Siedlung auf dem Burgstallkogel bei Großklein. Grafik: Iljafilm, ©Universalmuseum Joanneum.

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Bronzemaske und Hände aus dem Fürstengrab Kröllkogel.

Foto: N. Lackner, ©Universalmuseum Joanneum.

Besiedlungsphasen hin. Von besonderem Interesse ist die Entdeckung eines vertikalen Webstuhls mit einer Breite von 3,70 m. Es handelt sich um den größten vertikalen Webstuhl aus der frühen Eisenzeit in Mitteleuropa, der die Herstellung von Textilien mit einer Breite von etwa drei Metern ermöglichte.

Bemerkenswert ist, dass die Siedlung auf dem Burgstallkogel in der Eisenzeit nicht befestigt war, wie es sonst für prähistorische Höhensiedlungen typisch war. Die Kontrolle des Zugangs zum Sulmtal war möglicherweise die Aufgabe der befestigten Siedlung auf dem Königsberg, der in Sichtweite des Burgstallkogels liegt. Genau an der Stelle, an der sich der Königsberg erhebt, bildet das Sulmtal einen Engpass, wodurch die Verteidigung des engen Durchgangs durch natürliche Gegebenheiten erleichtert worden ist. Folgt man der Sulm weiter nach Osten in Richtung Mur, so findet man auf dem letzten Bergrücken eine weitere bedeutende Siedlung, den Frauenberg oder Seggauberg. Er war von der Vorgeschichte bis in die Römerzeit besiedelt. Diese drei Höhensiedlungen bildeten zusammen mit kleineren Siedlungen in den Niederungen, Ackerflächen und Rohstoffabbaugebieten ein zusammenhängendes Siedlungssystem, das durch Wege und Flussläufe verbunden war. Zusammen mit den Grabhügeln bilden diese Spuren der Vergangenheit eine monumentale Landschaft, die den aufmerksamen Betrachter zu einer Reise in längst vergangene Zeiten einlädt.

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Flavia Solva

In Flavia Solva sind nur wenige Zentimeter unter der Oberfläche Überreste aus der Römerzeit zu finden. Nachdem die Stadt verlassen wurde, wurden die Mauern und Dächer der Häuser wiederverwendet. Dies erklärt auch, warum Archäologen bei Ausgrabungen oft nur die Fundamente von Mauern finden.

Im 1. Jahrhundert n. Chr., also vor rund 2000 Jahren, wurde die Siedlung von Kaiser Vespasian zur Stadt erhoben und nach der herrschenden flavischen Dynastie in Municipium Flavia Solva umbenannt – Solva ist der alte Name für den Fluss Sulm. Die alte Siedlung wurde eingeebnet und als Planstadt nach römischem Vorbild wieder aufgebaut. Ein gleichmäßiges Netz von 20 Meter breiten Straßen wurde über die bestehende kleine Siedlung gelegt. Die freien Flächen zwischen diesen Straßen, die so genannten »Insulae«, wurden schon nach wenigen Jahrzehnten dicht bebaut. Etwa 3500 bis 4500 Menschen lebten und arbeiteten hier. Die Stadt Flavia Solva umfasste einst über 40 Hektar.

Während das Stadtzentrum aus Steinbauten bestand, standen an der Peripherie Häuser, die meist aus Holz und Lehm gebaut waren. Bodenmosaike, Fragmente von Wandmalereien und Fußbodenheizungen, die von Archäologen freigelegt worden sind, lassen auf die einstige Pracht dieser Räume schließen.

Digitale Rekonstruktion des Amphitheaters in Flavia Solva.

Grafik: Iljafilm, ©Universalmuseum Joanneum.

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Rekonstruktion der Straße, die nach Süden zu Flavia Solva führt, mit zahlreichen Gräbern.

Grafik: Iljafilm, ©Universalmuseum Joanneum.

Tempel auf dem Frauenberg.

Grafik: Iljafilm, ©Universalmuseum Joanneum.

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Die einzelnen Insulae beherbergten vermutlich vor allem Wohnund Gewerbeeinheiten. Auch der Guss von Bronzefibeln konnte nachgewiesen werden. Rund 30 bebaute Insulae sind bekannt. Im Norden der Stadt befand sich ein Handwerkerviertel, während im Süden überwiegend geräumige Häuser standen. Im Südosten der Stadt wurde ein Amphitheater errichtet. Das Forum – der Stadt- und Marktplatz der römischen Antike – befand sich wahrscheinlich im Norden der Stadt.

Zum Hoheitsgebiet von Flavia Solva gehörten auch mehrere Vici (Siedlungen mit kleinstädtischem Charakter), darunter Gleisdorf und Kalsdorf bei Graz.

Vielerorts hatte man in Flavia Solva einen freien Blick nach Westen auf die Heiligtümer des Frauenbergs. Der große Tempel auf dem Hügelplateau war von Flavia Solva aus deutlich zu sehen. Spuren von Tempeln oder öffentlichen Gebäuden sind in Flavia Solva bisher nicht gefunden worden. Es gibt jedoch eine Ausnahme: Der Standort des Amphitheaters ist bekannt.

Grabstein eines römischen Centurio

Foto: O. Harl, ©Universalmuseum Joanneum.

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Flavia Solva lag an einer Straße, die von der Drau nach Norden zur Mur und flussaufwärts ins Mürztal führte. Zwei Meilensteine, die am Fuße des Kugelsteins bei Deutschfeistritz gefunden wurden, zeugen von dieser Straße. Kleinere Straßen führten von Flavia Solva ins Laßnitztal, in Richtung Sausal und in das östlich gelegene Raabtal. Sie dienten vor allem der Versorgung von Flavia Solva mit Gütern des täglichen Bedarfs.

Flavia Solva war die einzige römische Stadt mit einem Hügelgräberfeld. Drei Grabhügel und mehrere Flachgräber befanden sich an einer nach Süden führenden Straße. Diese Grabhügel wurden nach dem Besitzer des heutigen Grundstücks, Krobath, »Kraberkögel« benannt. Jedoch konnte nur einer der Grabhügel archäologisch untersucht werden.

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Das Gebiet von Flavia Solva heute. Foto: N. Lackner, ©Universalmuseum Joanneum.

Die Visualisierungen

Die beiden digitalen Visualisierungen sollten alltägliche Aktivitäten auf leicht verständliche, selbsterklärende Weise darstellen. Aus diesem Grund wurden die Themen, die in den Visualisierungen behandelt werden sollten, zunächst bei fünf Treffen in den sogenannten Creative Labs & Hubs diskutiert. An diesen Treffen nahmen neben Archäologen auch Museumsführer, interessierte Laien und IT-Spezialisten teil, um eine möglichst breite Meinungsgrundlage zur Umsetzung der Visualisierungen zu erhalten. In einem nächsten Schritt wurde ein Storyboard erstellt, in dem die einzelnen Szenen und Handlungen der beiden archäologischen Stätten skizziert wurden. Ziel war es, dem Betrachter das Gefühl zu geben, Teil der Geschichte zu sein.

Da die Gesamtfläche beider Stätten sehr groß ist, wurden Areale und Grundstücke ausgewählt, die einen Einblick in die beiden sehr unterschiedlichen Siedlungen und Gräberfelder geben. Es wurde beschlossen, die einzelnen Szenen der beiden Visualisierungen nacheinander ablaufen zu lassen und dabei unterschiedliche

Themen wie Architektur, Handwerk, Bestattungsarten und Alltag in den Mittelpunkt zu stellen.

Da jeder Aspekt der Visualisierungen so genau wie möglich dargestellt werden sollte, wurden zunächst digitale Geländemodelle zur Darstellung der Landschaften verwendet. Darüber hinaus wurden im Rahmen des Projekts Gebiete wie das Plateau am Frauenberg, auf dem sich ursprünglich die römischen Tempel befanden, aber auch Siedlungsterrassen auf dem Burgstallkogel bei Großklein und das Gebiet um das Fürstengrab in Kleinklein gescannt.

Um eine detaillierte Darstellung der Objekte in den Visualisierungen gewährleisten zu können, wurden insgesamt 21 Artefakte aus dem Archäologiemuseum des Universalmuseums Joanneum verwendet. Darunter befinden sich Gefäße, Waffen oder die Maske und Hände aus Kleinklein sowie jene Grabsteine, die in der Visualisierung entlang der Stadtzufahrt in Flavia Solva zu sehen sind. Diese Objekte wurden mit einem Streifenlichtscanner gescannt und in die 3D-Modelle der Orte implementiert.

Für die Darstellung der Häuser und der Architektur wurden Ausgrabungspläne der Stätte und besser erhaltener, vergleichbarer Gebäude von anderen Stätten verwendet. Bei den Häusern der

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eisenzeitlichen Siedlung bei Großklein handelt es sich um 3D-Scans von rekonstruierten Nachbauten. Das authentisch rekonstruierte früheisenzeitliche Gehöft wurde in den Jahren 2003 und 2004 von der Gemeinde Großklein in Zusammenarbeit mit dem Vienna Institute for Archaeological Science (VIAS) errichtet. Als Grundlage dienten archäologische Funde vom Burgstallkogel selbst und von anderen eisenzeitlichen Fundstellen im südöstlichen Alpenraum. Es wurde sorgfältig darauf geachtet, zwischen den in den Visualisierungen gezeigten Landschaften, der Architektur und den Artefakten sowie der Geschichte, die dem Besucher erzählt wird, zu unterscheiden. Die Personen, denen der Besucher auf seiner Zeitreise in den digitalen Visualisierungen begegnet, wurden von einem Illustrator in schwarz-weiß und zweidimensional gezeichnet, um einen starken Kontrast zu den realistischen und wissenschaftlich fundierten Landschaftsmodellen zu bilden.

Darüber hinaus wurde auch den Details der Kleidung und des Schmucks besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Für die Römerzeit wurden neben Ausgrabungsfunden auch Vergleichsbeispiele von Grabsteinen herangezogen, auf denen Personen mit Schmuck abgebildet sind. Für die Kleidung der in der hallstattzeitlichen Visualisierung dargestellten Personen wurden Vergleichsbeispiele aus den Hallstätter Salzbergwerken herangezogen.

Sowohl die digitale Visualisierung von Großklein als auch die von Flavia Solva wurden sowohl als Touchscreen-Version als auch als Anwendung für Virtual-Reality-Brillen erstellt. Zusätzlich wurden alle Informationen und Dialoge in 10 Sprachen übersetzt und in einem Tonstudio aufgenommen, um den Nutzern der Virtual-Reality-Brillen das bestmögliche Erlebnis zu bieten.

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Am Rande des Reiches: Das germanische Gräberfeld aus der Eisenzeit in Rankovce

Ján Rákoš und Richard Oľhava, Východoslovenské múzeum v Košiciach (Ostslowakisches Museum in Košice)

3D-Rekonstruktion einer Brandbestattung eines Verstorbenen.

Grafik: R. Ol’hava, ©Ostslowakisches Museum in Košice.

Auf dem Gebiet der Ostslowakei sind bis heute nur wenige Gräberfunde bekannt, die der Römerzeit zuzuordnen sind und der germanischen Bevölkerung dieses Gebietes zugeschrieben werden können. Dies ist darauf zurückzuführen, dass es keine neuen archäologischen Ausgrabungen gibt, die sich mit diesem Thema befassen. Bis vor kurzem wurde in der ostslowakischen Archäologie auch angenommen, dass die geringe Anzahl von Gräbern aus dieser Zeit vor allem daher rührt, dass die intensive landwirtschaftliche Tätigkeit in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zahlreiche Fundstellen zerstört hat.

Im Jahr 2014 kam es zu einer wichtigen Entwicklung, die diese Situation änderte. Ein Anwohner entdeckte zufällig eine Reihe von Gegenständen im Wald in der Nähe des Dorfes Rankovce. Er übergab die Artefakte dem Ostslowakischen Museum in Košice. Zu den Gegenständen zählten ein eiserner Schildbuckel, ein Schildgriff, ein Messer und eine eiserne Fibel. Auf den ersten Blick war es offensichtlich, dass es sich um Beigaben einer germanischen Brandbestattung handelte. Die Mitarbeiter des Ostslowakischen Museums in Košice untersuchten den Fundort, reinigten und dokumentierten das gestörte Grab. Außerdem identifizierten und untersuchten sie drei weitere verbrannte Objekte in der unmittelbaren Umgebung. Einige Monate später begannen sie mit der archäologischen Erforschung der Grabstätte, die nun als ein Beispiel der Przeworsk-Kultur identifiziert wurde.

Das Dorf Rankovce liegt nordöstlich der Stadt Košice an den westlichen Hängen des Slanské-Gebirges. Die Grabstätte liegt heute in bewaldetem Gebiet. Es kann davon ausgegangen werden, dass der Ort im Mittelalter landwirtschaftlich genutzt worden ist, was durch die Zerstörung der oberen Bereiche einiger Gräber und verstreute archäologische Funde belegt ist. Die Menschen der Przeworsk-Kultur wählten diesen Ort höchstwahrscheinlich aufgrund der örtlichen Geologie. Der Untergrund der Stätte besteht aus einer durchgehenden Schicht von von vulkanischen Gesteinslagen. In diese Schicht wurden die Grabgruben gegraben. Die Untersuchungen erbrachten keine eindeutigen Hinweise für Grabmarkierungen. Es ist möglich, dass über den Gräbern kleinere Steinhügel errichtet worden sind, auf denen vielleicht ein Holzpfahl stand. Die Existenz von Grabbegrenzungen wird durch den Umstand angedeutet, dass sich die Gräber aneinander orientieren und oft in Reihen oder kleineren Gruppen angeordnet sind.

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Bronzeschildgriff aus Grab Nr. 8. Foto: J. Rákoš, ©Ostslowakisches Museum in Košice.

3D-Rekonstruktion einer Brandbestattung eines Verstorbenen. Grafik: R. Ol’hava, ©Ostslowakisches Museum in Košice.

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Die Menschen der Przeworsk-Kultur bestatteten ihre Verstorbenen in dieser Zeit ausschließlich in Brandgräbern. Während der Bestattungsrituale wurde der Körper des Verstorbenen zusammen mit seinen wichtigsten Besitztümern und Gegenständen, die wahrscheinlich für die Götter bestimmt waren, auf einem Scheiterhaufen verbrannt. Nachdem der Scheiterhaufen abgekühlt war, wurden einige der verbrannten Knochen aus dem Scheiterhaufen entfernt und zerkleinert. Auch Grabbeigaben wurden rituell zerstört, zum Beispiel Waffen in Männergräbern. Waffen wie Eisenschwerter oder Speere, die in diesen Gräbern gefunden wurden, wurden absichtlich verbogen oder zerbrochen, um sie unbrauchbar zu machen. Dieser Brauch stand wahrscheinlich im Zusammenhang mit den germanischen Vorstellungen vom Leben nach dem Tod. Sie erleichterte auch die Ablage von großen Gegenständen in kleineren Grabgruben.

Im Laufe von sechs Forschungsetappen wurden 50 Brandgräber untersucht. Die vorherrschende Bestattungsart war die Beisetzung des Verstorbenen in einer Grube, in der die verbrannten Knochenreste der Toten samt Beigaben beigesetzt wurden. Häufig wurden die Knochenfragmente auf dem Boden der Grabgrube verstreut und die anderen Beigaben darauf gelegt. In anderen Fällen wurden die Beigaben auf dem Boden der Grube gestapelt und anschließend mit den verbrannten Knochen und Schutt vom Scheiterhaufen bedeckt. Von den 50 Gräbern gab es nur sechs Bestattungen in Keramikurnen. Die Überreste der verbrannten Knochen wurden auf dem Boden dieser Keramikgefäße deponiert und in die Gruben gelegt. Die übrigen Grabbeigaben kamen darüber. Häufig wurden auch Gegenstände um die Urne herum gefunden. Von den hohen Temperaturen, die bei der Einäscherung erreicht worden sind, zeugen die vollständig verbrannten Knochen, die zerstörten Gegenstände aus Buntmetall oder Glas, die Keramikgefäße und der sehr gute Zustand der Eisengegenstände. Aufgrund der hohen Temperatur bildete sich auf der Oberfläche der Eisengegenstände Edelrost, der eine schnelle Korrosion verhinderte. Auch die nicht aggressiven Böden am Fundort sind in diesem Zusammenhang von großer Bedeutung. Die einfachen Grabgruben wurden direkt in den steinernen Untergrund gegraben. In einigen wenigen Fällen waren sie relativ flach, aber vor allem bei reichhaltiger ausgestatteten Gräbern sind sie größer und tiefer. Allerdings lässt sich diese Beobachtung nicht mit Sicherheit

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Eiserne

Deformiertes

Eisenschwert

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Speerspitze aus Grab Nr. 8. Foto: J. Rákoš, ©Ostslowakisches Museum in Košice. aus Grab Nr. 8. Foto: J. Rákoš, ©Ostslowakisches Museum in Košice.

bestätigen. Es ist möglich, dass die Größe der Grabgrube mit dem Todeszeitpunkt des Bestatteten zusammenhing. Im Winter, wenn der Boden gefroren war, war es schwieriger, ein geräumigeres Loch in den steinernen Untergrund zu graben. Die Grabgruben haben einen maximalen Durchmesser von 50 Zentimetern und eine Tiefe von 40 Zentimetern. Bislang konnte die Ausdehnung des Gräberfelds nicht bestimmt werden. Es wird jedoch vermutet, dass es 60 x 40 Meter groß ist.

Das Gräberfeld von Rankovce ist vor allem wegen der reichen Ausstattung einiger Gräber von Interesse. Sie enthalten Gegenstände aus der germanischen Tradition, aber auch Importe aus dem Römischen Reich werden häufig entdeckt. Die Männergräber waren in der Regel mit Rüstungen und Waffen ausgestattet. Dazu gehören Schwerter, eiserne Schildteile, Lanzenspitzen, eiserne und bronzene Sporen, Kleidungsstücke wie Kleiderverschlüsse oder Gürtelschnallen, aber auch Werkzeuge des täglichen Gebrauchs. In drei Fällen enthielten die Gräber komplette Kriegerausrüstungen, bestehend aus einem Schwert, einem oder zwei Speeren und einem Schild. Grab Nummer 4

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Der Ort des ersten germanischen Grabes, das 2014 gefunden wurde. Foto: J. Rákoš, ©Ostslowakisches Museum in Košice.

Archäologische

Untersuchung des Gräberfeldes im Jahr 2017. Foto: J. Rákoš, ©Ostslowakisches Museum in Košice.

gehört zu dieser Grabgruppe. Der größte Teil des Grabinventars wurde in der Mitte einer großen Grabgrube am Boden des Grabes platziert. Zu den Grabbeigaben gehörten ein eiserner Schildbuckel und Schildgriff, ein Paar Speerspitzen, zwei eiserne Sporen, eine Schwertscheide mit Schlinge, ein eisernes Messer und ein kleiner eimerförmiger Eisenanhänger. Ein verformtes Eisenschwert, dessen Griff mit einem Eisenring versehen war, war der erste Gegenstand, der auf den Boden der Grube gelegt worden war. Dieses Schwert ist römischen Ursprungs. Es zeugt von der hohen sozialen Stellung des bestatteten Kriegers. Er könnte diese außergewöhnliche Waffe als Hilfssoldat in der römischen Armee, als Geschenk oder als Beute erworben haben.

Was die Grabausstattung betrifft, so ist das reichste Kriegergrab das Grab Nummer 8. Sein Inventar wurde in einer relativ flachen Grube deponiert. Im oberen Teil am Rand der Grube befand sich ein verformtes Eisenschwert. Darüber hinaus befanden sich darin Fragmente eines Bronzegefäßes, ein Schildbuckel aus Messing, eine eiserne Gürtelschnalle, zwei Speerspitzen, die Hälfte eines bronzenen Schildgriffs, eine Gürtelkette samt Schwertscheide,

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ein Eisenmesser und eine Eisenschere. Das Schwert wurde absichtlich beschädigt. Es handelt sich um ein zweischneidiges Schwert, dessen Klinge an der Spitze auf beiden Seiten mit Einlagen verziert ist. Auf der einen Seite der Klinge ist die Figur des Gottes Mars abgebildet, der einen Speer in der Hand hält und einen Schild an seinem linken Fuß platziert hat. Auf der anderen Seite ist ein Lorbeerkranz mit Bändern und einem Palmzweig abgebildet. Interessant ist auch der Schildbuckel aus Messing. Er hat eine quadratische Form und misst 15 x 15 Zentimeter. Der obere Teil des Schildbuckels ist mit eingravierten floralen Motiven und einer Linie aus kleinen Punkten verziert. Die Ursprünge des Eisenschwerts und auch des schildförmigen Buckels sind im Römischen Reich zu finden. Diese Gegenstände zeugen von der wichtigen Stellung des Verstorbenen in der germanischen Gesellschaft.

In den Frauengräbern fanden sich zahlreiche Eisenteile, die ursprünglich von Holzkisten stammten, sowie zugehörige eiserne Schlüssel. Zu den weiteren Objekten zählen Fibeln aus Eisen und Bronze, Reste von Glasgefäßen und gebranntes Glas, bei dem es sich wahrscheinlich ursprünglich um Perlen handelte, eiserne

Archäologische Untersuchung des Gräberfeldes im Jahr 2020. Foto: J. Rákoš, ©Ostslowakisches Museum in Košice.

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Messer, Gürtelschnallen, Nähnadeln und keramische Spinnwirtel sowie Webgewichte aus Ton.

Das reichste Frauengrab, das an diesem Ort freigelegt worden ist, ist das Grab Nummer 6. Es handelt sich um ein Grubengrab, in dessen Mitte ein unförmiges Bronzegefäß platziert wurde, das mit vogelförmigen Bronzeaufsätzen versehen ist. Das Grab enthielt außerdem zwei vollständige Fibeln aus Eisen, ein Eisenmesser mit einem Griff aus Knochen, den Schlüssel einer Kiste, einen Spinnwirtel aus Keramik, eine Eisenhülse und einen beschädigten birnenförmigen Anhänger. Der Anhänger besteht aus einer Legierung aus Gold und Silber, Elektron genannt, und ist oben mit Filigran und unten mit Granulationen verziert.

Im Inventar des Frauengrabes Nummer 31 wurde auch ein Anhänger aus Elektron gefunden. Er ist lunulenförmig und im oberen Teil mit Granulationstechnik verziert. Die Außenseite und die inneren Lächer sind mit sich kreuzenden Drähnten geschmückt. Frauen waren in dieser Gesellschaft wahrscheinlich nicht untergeordnet. Selbst bei wichtigen Entscheidungen, die das Stammesleben betrafen, wurde ihre Meinung berücksichtigt, wie römische Autoren, z. B. Tacitus in seinem Werk »Die Germania«, berichten. Unterschiede in der sozialen Stellung einzelner weiblicher Mitglieder der Gesellschaft sind jedoch anhand der Dekoration der Gräber erkennbar.

Das Gräberfeld von Rankovce spielt eine bedeutende Rolle bei der Erforschung der Römerzeit in der Ostslowakei. Es zeichnet sich durch eine vielfältige Kombination aus Funden lokaler Herkunft sowie zahlreichen Beispielen von aus dem Römischen Reich importierten Gegenständen aus. Es gibt uns Aufschluss über die damalige Bevölkerung, die hauptsächlich in der Landwirtschaft tätig war, fortschrittliches Handwerk betrieb und in der Krieger einen hohen Status hatten. Das Material aus den Gräbern erlaubt es uns, das Gräberfeld in die zweite Hälfte des 2. und die erste Hälfte des 3. Jahrhunderts zu datieren. Darüber hinaus lassen sich die hier Bestatteten als Angehörige der Ostzone der PrzeworskKultur identifizieren.

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Kontraste im Luxus: Das Eiszeitlager von Vértesszőlős und die römische Villa von Baláca aus Ungarn

Loránd Olivér Kovács, András Markó, Szilvia Fábián, Szabolcs Czifra, Adrienn Pálinkás, Magyar Nemzeti Múzeum

(Ungarisches Nationalmuseum)

Virtual-RealityRekonstruktion der paläolithischen Fundstätte Vértesszőlős. Grafiken: Open Dimension Ltd, ©Ungarisches Nationalmuseum.

Vértesszőlős

Jungpaläolithische Fundstellen sind in Mitteleuropa äußerst selten. Das liegt an ihrem Alter, den Problemen bei der Entstehung und der Erhaltung der Fundstellen. Der in einem alten Travertinsteinbruch in Vértesszőlős, 60 Kilometer von Budapest entfernt, ausgegrabene Fundortkomplex ist der einzige Fundort aus dieser Zeit in Ungarn und einer von nur wenigen Fundorten im Karpatenbecken. Kalktuff, oder Süßwasserkalk, bildete sich vor mindestens einer halben Million Jahre im Tata-Graben in der Nähe von Vértesszőlős und im Donautal bei Budapest. In der Talsohle entspringen lauwarme, kohlensäurehaltige Quellen. Sowohl in der Vergangenheit als auch heute bilden sie Formen wie Becken und Kegel. Der Kalkstein, der im 20. und 21. Jahrhundert von der Bauindustrie in großem Umfang verwendet wurde, wurde mit Sicherheit mindestens seit der Kupferzeit (4500-2900 v. Chr.) abgebaut. In der Römerzeit wurden Sarkophage und Grabsteine sowie Amphitheater von Steinmetzen aus diesem besonderen Gestein gebaut.

Im Dorf Vértesszőlős wurden lange Zeit drei Steinbrüche unterschiedlichen Alters zur Gewinnung von Bausteinen genutzt. Im Laufe der 1960er-Jahre wurden im obersten Steinbruch, der am östlichen Rand des Dorfes liegt, acht paläontologische, paläobotanische und archäologische Fundstellen entdeckt. Bislang wurden jedoch nur drei von ihnen freigelegt. Die Fundstellen I und III erbrachten reiche archäologische Funde, während sich die Fundstelle II für die lokalen paläontologischen Funde als untypisch erwies. Fragen zum Alter des Kalksteins, der archäologischen Stätte und der darin gefundenen menschlichen Überreste sind von größter Bedeutung. Aus archäologischer Sicht stammen die Funde aus dem Jungpaläolithikum (3,3 Millionen 300.000 v. Chr.). Nach der geologischen Zeitskala ist der Kalktuff zeitgleich mit den menschlichen Gruppen entstanden, und zwar im mittleren Pleistozän, einer wenig bekannten Periode der Eiszeit. In absoluten Zahlen kann der Fundort auf 350.300.000 Jahre datiert werden.

Die Menschen der Vorzeit lebten in den zeitweise ausgetrockneten Kalktuffsteinbecken, die sie vor dem Wind schützten. Die nahe gelegenen aktiven Quellen wurden sicherlich von der lokalen Tierwelt als Wasserstellen genutzt und das wärmere Wasser konnte die eiszeitlichen Bedingungen auch während der Winter lindern. In den 1960er-Jahren wurden an den Fundstellen I und III sieben

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Landschaftsrekonstruktion der 330.000 Jahre alten mittelpaläolithischen Stätte. Grafiken: Open Dimension Ltd. und ©Ungarisches Nationalmuseum.

Besiedlungen von Menschen, so genannte »artefakttragende Schichten«, dokumentiert, die zeigen, dass die Umgebung einen idealen Lebensraum für menschliche Gruppen bot. Die bekanntesten Funde sind menschliche Überreste. Vier Milchzähne, die wahrscheinlich zu einem einzigen siebenjährigen Kind gehören, wurden im Sediment gefunden, das bei den Ausgrabungen in der untersten Schicht 1 von Fundort I gesammelt und im Labor sorgfältig gesiebt wurde. Das bekannteste menschliche Fossil ist jedoch der »Samuel« genannte Hinterhauptknochen, der in der Nähe des Siedlungsbereichs desselben Kalksteinbeckens, jedoch außerhalb der eigentlichen Siedlungsfläche entdeckt worden ist. Zum Zeitpunkt seiner Entdeckung war aus Europa nur ein einziger menschlicher Überrest aus dieser Zeit bekannt, ein Kiefer aus einer Kiesgrube in Mauer bei Heidelberg. Heute werden sowohl die Überreste aus Mauer als auch die aus Vértesszőlős sowie zahlreiche zeitgenössische Funde, unter anderem aus Spanien, Italien und Deutschland, der Spezies Homo heidlebergensis zugeordnet. Diese menschlichen Fossilien werden als Nachkommen des alten Homo erectus interpretiert, die von eindeutig afrikanischem Ursprung sind und gleichzeitig die Vorfahren der eurasischen Neandertaler darstellen. In Vértesszőlős stellten Menschen vom Heidelberger

Typ einfache lithische Werkzeuge her, indem sie kleine Kieselsteine aus den nahegelegenen geologischen Formationen abschlugen. Die Abmessungen dieser sind extrem klein. Die durchschnittliche Länge der Werkzeuge beträgt weniger als 1,7 Zentimeter. Tausende von Steinartefakten, die in den verschiedenen Schichten der

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Fundstellen I und III ausgegraben worden sind, gehören zu einer einzigen archäologischen Kultur, die als »mikrolithische Industrie des Altpaläolithikums« bezeichnet wird. Archäologische Stätten mit ähnlichen Funden aus demselben Zeitraum und derselben Industrie sind aus Schlesien in Polen, Thüringen und Baden-Württemberg in Deutschland (einschließlich des Fundortes Mauer) sowie aus Molise in Italien bekannt.

Das Problem des Jagens und/oder Sammelns durch den Menschen des Jungpaläolithikums ist eine intensiv diskutierte Frage. In den außergewöhnlich gut erhaltenen Artefaktschichten von Schöningen (Niedersachsen, Deutschland), die ungefähr in den gleichen Zeitraum wie Vértesszőlős datiert werden, wurden Artefaktschichten freigelegt, die Dutzende von Holzspeeren enthalten. In Vértesszőlős sind weder Artefakte, die die aktive Jagd belegen, noch charakteristische Spuren (»Einschlagfrakturen«) der Waffen auf den Knochenoberflächen erhalten. Auf jeden Fall kann man davon ausgehen, dass die Kadaver der Tiere, die in den nahe gelegenen Wasserlöchern auf natürlichem Wege verendet sind, ebenfalls verwertet worden sind. Von den Fundstellen weiß man relativ viel über große Säugetiere. Aus den archäologischen Schichten wurden zahlreiche Knochenfragmente, Pferdezähne und Knochen verschiedener Hirscharten geborgen, was die Auswahl oder zumindest die Vorliebe der Frühmenschen widerspiegelt. Gleichzeitig wurden aus der gleichaltrigen Fundstelle II die intakten Knochen verschiedener Raubsäugetiere (typischerweise

Virtuelle Rekonstruktion des Steppennashorns (Stephanorhinus hemitoechu).

Grafiken: Open Dimension Ltd, ©Ungarisches Nationalmuseum.

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An der archäologischen Stätte von Vértesszőlős wurden mehr als 6600 Blattund Samenabdrücke dokumentiert, die in der Virtual-RealityRekonstruktion gut dargestellt sind. Grafiken: Open Dimension Ltd. und ©Ungarisches Nationalmuseum.

Bären) ausgegraben, teilweise in anatomisch korrekter Lage. Nach Interpretation der Archäologen wurden diese Tiere wahrscheinlich durch das aus den nahe gelegenen Quellen austretende Kohlendioxid getötet. Der Geruch der verwesenden Kadaver hätte opportunistische Aasfresser an diesen Ort gelockt, die ihrerseits durch die giftigen Gase getötet wurden, was zu einer natürlichen Anhäufung des paläontologischen Materials führte.

Eine dritte Art von Faunenzusammensetzung wurde in Schicht 3 der Fundstelle III entdeckt, wo 1967 mehr als hundert Säugetierspuren (Fußabdrücke) entdeckt und dokumentiert wurden, die bis heute ausgestellt sind. Vor 310.000 Jahren wurde diese Wasserstelle regelmäßig von Bisonherden besucht. Die wenigen Fußabdrücke von Nashörnern, Bären und Hirschen deuten darauf hin, dass sich nur einzelne Tiere dieser Arten in diesem Gebiet aufhielten. Dadurch, dass sich feiner Schlamm in den Fußabdrücken im Teich absetzte und diese dadurch konservierte, wurde die Nutzung eines kleinen Teiches für mehr als 300.000 Jahre dokumentiert. Auch die Blatt-, Samen- und Fruchtabdrücke sind botanische Makrofossilien, die die alte Vegetation der Landschaft während des mittleren Pleistozäns dokumentieren. Obwohl es sich bei Vértesszőlős um einen eiszeitlichen Fundort handelt, lebten die Menschen in der Nähe eines gemäßigten Klimas unter Laubbäumen wie Eichen, Erlen oder Linden. Das Vorkommen seltener mediterraner Arten wie der Weintraube könnte darauf hindeuten, dass die Temperatur ähnlich oder sogar etwas höher war

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als heute. Das Verständnis einer sehr frühen archäologischen und paläontologischen Stätte wie Vértesszőlős kann nur durch die Visualisierung der ehemaligen Umgebung erreicht werden. Die VirtualReality-Rekonstruktion zeigt diese Umgebung auf Grundlage der archäologischen Untersuchungen und Erkenntnisse. So formten sich Erlensümpfe , die mit Weiden- und Pappelbäumen durchsetzt waren, an Warmwasserquellen, etwas weiter weg befanden sich Wälder aus Eichen und Ulmen sowie der Lebensraum von Bisons, Bären und Nashörnern, die in der Nähe des schlammigen Feuchtgebietes wohnten. Die Besucher können sich frei in dieser verlorenen Welt bewegen und kurze Texte über die wichtigsten Tier- und Pflanzenarten lesen, die in diesem Gebiet gelebt haben. In der Mitte der Landschaft kann der Besucher in der Zeit vorwärts springen und in die heutige Welt eintauchen. Das Gelände wurde von GIS-Experten gescannt und die Virtual-Reality-Entwickler haben die digitale Umgebung zusammen mit einem archäologischen Experten geschaffen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Ausgrabungen in Vértesszőlős eine einzigartige Gelegenheit bieten, die geologischen, paläontologischen, paläoanthropologischen und archäologischen Aspekte der letzten Epoche des Mittelpleistozäns zu entdecken und zu erforschen, eine Zeit, die in Mitteleuropa nach wie vor weitgehend unerschlossen ist.

Villa Romana Baláca

Transdanubien wurde in der Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr. als Provinz Pannonia formell Teil des Römischen Reiches. Zusätzlich zu Transdanubien umfasste die Provinz Pannonia auch einige Gebiete im heutigen Österreich und Kroatien. Die Provinz wurde zu einem romanisierten lateinischsprachigen Grenzland mit wichtigen römischen Städten wie Scarbantia (das heutige Sopron), Aquincum (Budapest, einschließlich Óbuda), Sopianae (Pécs), Gorsium (Tác) und Savaria (Szombathely). Pannonien war eine der Grenzprovinzen des Römischen Reiches und erlebte im 3. Jahrhundert ihren Höhepunkt aufgrund ihrer militärischen Bedeutung. Die Villa Romana Baláca ist eine der größten römischen Villenanlagen Ungarns, ein einzigartiges römisches Denkmal in Mitteleuropa, das nur 10 km von Veszprém und dem Ufer des Plattensees entfernt liegt.

In der Frühzeit schützten die römischen Legionen das Gebiet

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Die mit Mosaikböden und Wandmalereien geschmückten

Räume spielten eine wichtige Rolle; Ziel war es, den Reichtum des Adels zu demonstrieren, wie er hier in der virtuellen Realität rekonstruiert wurde.

Grafik: Leopoly

GmbH, ©Ungarisches Nationalmuseum.

zwischen der Bernsteinstraße (die vom Baltikum nach Italien führte) und den Flüssen Drau und Save. Entlang der Donau wurde eine befestigte Grenze, der Limes, errichtet. Die Römer brachten ihre Sitten und Bräuche mit, die sich allmählich mit den Traditionen und Lebensbedingungen der Einheimischen, meist keltischsprachiger Völker, vermischten. Innerhalb der einheimischen Siedlungen bildete sich eine hierarchische Siedlungsstruktur heraus, mit Städten an der Spitze, die mit Gebäuden aus robusten Materialien bebaut waren. Diese Veränderungen sind auch in bezug auf die archäologischen Fundstätten erkennbar. Archäologische Aufzeichnungen belegen die Existenz von mit Grabbeigaben ausgestatteten Gräbern und zahlreichen freigelegten Siedlungen. Im Balaton-Oberland wurden Gutshöfe (villae rusticae) errichtet. Dabei kann es sich um Familiengüter handeln, die an pensionierte Soldaten verschenkt worden sind, aber auch italienische Kaufmannsfamilien sahen in diesen Ländereien offensichtlich eine gute Investitionsmöglichkeit. Später wurden große industrielle Betriebe gegründet, die wahrscheinlich speziell für den Export produzierten.

Die fast 56 Hektar große Villa von Romana Baláca erinnert an das luxuriöse Landleben der römischen Aristokratie und ist eine der größten bekannten römischen Villen im Balaton-Oberland. Das

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Digitale-Rekonstruktion der archäologischen Fundstätte Villa Romana Baláca.

Grafik: Leopoly GmbH, ©Ungarisches Nationalmuseum.

Digitale Rekonstruktion des berühmtesten Mosaikfußbodens aus der Villa Romana

Baláca. Grafik: Leopoly GmbH, ©Ungarisches Nationalmuseum.

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Wohnhaus und die zentralen Nebengebäude des Anwesens waren von einer Steinmauer mit unregelmäßigem, trapezförmigem Grundriss umgeben umgeben, die 10 Hektar umschloss. Zusammen bildeten diese Gebäude den inneren Kern des Hofes. Zum Haus gehörten auch Bäder, Empfangsräume, landwirtschaftliche Gebäude und ein großer Grabhügel mit Steinkammer, der im italienischen Stil errichtet wurde. Der Grabhügel, dessen Überreste heute noch zu sehen sind, befand sich etwa 500 Meter außerhalb der Villa. Das Wohnhaus ist 2400 Quadratmeter groß und wurde mehrmals umgebaut. Die Räume hatten unterschiedliche Funktionen: Wohnräume, Empfangsräume mit Apsisabschlüssen, Schlafzimmer, Esszimmer, Küche und Keller. Einige Räume waren mit Fresken und Mosaikböden dekoriert, um die Gäste zu beeindrucken und den Reichtum des Adels, dem die Villa gehörte, zu zeigen. Mehrere Räume des Hauptgebäudes waren mit Fußboden- und Wandheizung ausgestattet. Die beheizten und unbeheizten Räume in diesen großen Gebäuden wurden abwechselnd im Winter und im Sommer genutzt. Das Wohnhaus war drei Jahrhunderte lang bewohnt, wobei in dieser Zeit einige Bereiche umgebaut und renoviert wurden. Während der ersten Phase der Ausgrabungen, die 1906 begann, wurden die Wände des Gebäudes und drei Mosaikräume freigelegt. Das vierte Mosaik wurde erst im Jahr 1909 entdeckt.

Die Reste der Wandmalereien und die vier gefundenen Mosaike zeugen von einem prestigeträchtigen Gebäude und einem wohlhabenden Besitzer. Das Hauptwohngebäude befindet sich in der Mitte des Anwesens und dominiert seine Umgebung. Umgebung, die bei Ausgrabungen zwischen 1906 und 1926 freigelegt wurde. Ein neues Forschungsprogramm begann 1976 und ermöglichte die Erstellung eines genaueren Grundrisses des Hauptgebäudes Hauptgebäudes, der als Vorlage für den Wiederraufbau genutzt wurde. Der Innenhof (Peristyl) war von einer Kolonnade umgeben. Wandmalereien bedeckten die gesamte Südseite des Innenhofs und waren durch die Struktur der Wände und die Lage der Schwellen gut sichtbar. Vor den umfangreichen Bauarbeiten des frühen 3. Jahrhunderts hatte auch dieses Gebäude seine eigene Geschichte. In der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts fanden begrenzte Umbauten statt. Bei diesen Umbauten ist die Heizung des großen nördlichen Korridors entfernt worden, und die Nordfassade, die nun von halbkreisförmigen Öffnungen durchbrochen war, erhielt einen weißen Stucküberzug. Zudem wurden unter dem Gebäude die Mauern der frühesten Steinbauten von Baláca gefunden. Da die ursprünglichen Besiedlungsschichten hier fast überall fehlten, ist es schwierig den Zweck dieser Räume zu bestimmen.

Im Jahr 1984 war der Wiederaufbau des Hauptgebäudes

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abgeschlossen. Diese Rekonstruktion sollte keine exakte Kopie des ursprünglichen römischen Wohnhauses darstellen, sondern ein Gefühl für seine Größe vermitteln. Drei Mosaikböden wurden in das neu abgeschirmte Gebäude zurückgebracht, und es wurde eine Ausstellung über das ausgegrabene Material eröffnet. Bei archäologischen Grabungen wurden die Überreste mehrerer Nebengebäude rund um das Hauptgebäude entdeckt. Der Zweck einiger dieser Gebäude ist geklärt, in anderen Fällen können die Archäologen nur vermuten, wofür sie gedacht waren.

Die photogrammetrische Vermessung der architektonischen Elemente der Villa mit (Drohne) - bot die Möglichkeit, ein detailliertes dreidimensionales (3D) Modell der Anlage zu erstellen. Dieses Modell kann bei neuen Entdeckungen aktualisiert werden. Die Besucher*innen können nun die Villa in Baláca virtuell erkunden und die schillernden Mosaikböden und Wandmalereien im italienischen Stil, die das Hauptgebäude geschmückt haben, ebenso wie die Gegenstände des täglichen Lebens betrachten. Man hat auch die Gelegenheit, sich frei im Gebäude und in den Gärten zu bewegen. Darüber hinaus haben ide Besucher*innen die Möglichkeit zu erfahren, wie das fortschrittliche römische Heizsystem funktioniert hat und können dieses sogar selbst in Gang setzen. Ein Lageplan mit Erläuterungen zu den einzelnen

Rekonstruktion des 2400 Quadratmeter großen

Wohngebäudes der Villa. Grafik: Leopoly GmbH, ©Ungarisches Nationalmuseum.

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Das Hauptgebäude und die Ruinen der Villa Romana Baláca, in der Nähe von Nemesvámos.

Foto: ©Ungarisches Nationalmuseum.

Räumen sowie Archiv- und neue Fotos führen die Besucher*innen durch die Ausstellung.

Die römische Villa und die Gärten von Baláca wurden 1984 eröffnet. Die archäologischen Ausgrabungen, die sich auf komplexe Forschungen stützten, und die günstigen Bedingungen (Übernahme des Geländes in Staatseigentum und Schutz vor Bebauung) ermöglichten es, die Ergebnisse der bisherigen wissenschaftlichen Untersuchungen zu präsentieren. Die Pläne des archäologischen Parks wurden von Gyula Hajnóczy erstellt. Anstelle des geplanten Besucherzentrums bildeten lange Zeit das Hauptgebäude und die beiden anderen, teilweise ummauerten Gebäude, den Kern des Ruinengartens. Seit 2002 wird das Lapidarium, das die römischen Denkmäler des Komitats Veszprém präsentiert, in zwei Etappen rekonstruiert. Das steinerne Lagerhaus befindet sich entlang der nördlichen Umfassungsmauer und ist mit einem Gebäude verbunden. Damit wurde dem Komitat eine reiche und spektakuläre Sammlung römischer Schnitzereien präsentiert. Im Frühjahr 2022 wurde die neue überdachte Struktur des Hauptgebäudes der Villa eröffnet, die dazu beiträgt, den Zustand der Ruinen zu erhalten und den Besucher*innen noch mehr Ausstellungsfläche zu bieten.

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Ulaka unter Belagerung

Jure Kusetič, Boštjan Laharnar, Saša Rudolf, Vesna Tratnik and Igor Dolinar, Narodni muzej Slovenije (Nationalmuseum von Slowenien)

Visualisierung von Ulaka. Grafik: I. Dolinar, ©Nationalmuseum von Slowenien.

Forschungsgeschichte

Historische Aufzeichnungen, die Ulaka (Notranjska, Südwestslowenien) als archäologische Stätte erwähnen, stammen aus dem 17. Jahrhundert. Die systematischen Ausgrabungen von Walter Schmid in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg markieren jedoch den Höhepunkt der Forschung. Schmid führte als Leiter der Ur- und Frühgeschichtlichen Abteilung und des Münzkabinetts am Universalmuseum Joanneum in Graz, Österreich, ehrgeizige Forschungsprogramme durch. Aufgrund der Kriegsereignisse blieben seine Forschungen fast zur Gänze unpubliziert. Der größte Teil der Dokumentation befindet sich heute im Universalmuseum Joanneum in Graz, ein Teil im Nationalmuseum von Slowenien. Dies war auch die Grundlage für die Studie von Andrej Gaspari (2000). Die Studie gibt einen Überblick über die Kleinfunde aus dem Siedlungsgebiet aus der älteren Literatur.

Nach dem Zweiten Weltkrieg führte Mehtilda Urleb umfangreiche archäologische Forschungen in der Gegend von Notranjska durch. Ihre Forschungen konzentrierten sich auf archäologischtopografische Untersuchungen sowie einige archäologische Ausgrabungen ab 1959. In den letzten zehn Jahren hat sich die archäologische Arbeit auf die Geoanalysen konzentriert. In seiner Dissertation sammelte Boštjan Laharnar archäologisches Material aus der späten Eisenzeit in der Region Notranjska und ermittelte Veränderungen im Siedlungsmuster zwischen dem 2. und 1.

Luftaufnahme von Ulaka, Blick nach Westen.

Foto: T. Konrad, ©Nationalmuseum von Slowenien.

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Archäologische Interpretation des Komplexes UlakaNadleški hrib anhand von LiDAR-Daten. Von: E. Lozić und I. Murgelj, ©Nationalmuseum von Slowenien.

Jahrhundert vor Christus. Seine archäologischen Arbeiten in der Region sind noch nicht abgeschlossen.

Spätestens seit Anfang der 1990er-Jahre ist Ulaka häufig das Ziel von unbefugten Metalldetektorgängern. In den letzten drei Jahrzehnten wurde ein großer Teil der zahlreichen Funde, die auf diese Weise ausgegraben wurden, vom Slowenischen Nationalmuseum für seine Sammlungen erworben.

Die archäologischen Untersuchungen

Der Beginn der Eisenzeit in Slowenien (ca. 800 v. Chr.) ist durch deutliche regionale Unterschiede in der Siedlungs- und Bestattungspraxis gekennzeichnet. Das Gebiet des heutigen Sloweniens war eindeutig zum ersten Mal regional gegliedert.

Wir können fünf Kulturgruppen unterscheiden, zwei mit Körperbestattungen unter Grabhügeln im östlichen Teil und

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Gruppen im westlichen Teil Sloweniens, wo Brandbestattungen in flachen Begräbnisstätten aus der vorangegangenen Bronzezeit erhalten geblieben sind. Die Unterschiede in der Kleiderwahl und den Bestattungspraktiken zeigen, dass sich diese Menschen bestimmten Gemeinschaften zugehörig gefühlt haben.

Die eisenzeitliche Bevölkerung hat die Landschaft stark verändert. Ackerland, Wasser, ausgedehnte Weideflächen und die Nähe zu den Erzvorkommen boten nicht nur Lebensgrundlage und metallurgische Ressourcen, sondern führten auch zu größeren Siedlungen. Es gab größere, zentrale, meist befestigte Siedlungen und kleinere befestigte oder unbefestigte Dörfer, Weiler und Gehöfte. Die Kommunikation zwischen diesen Orten erfolgte über gut ausgebaute Wege und Karrenpfade. An einigen Orten wurden auch Straßen angelegt. Die Menschen reisten zu Fuß, mit Wagen und Karawanen, aber auch auf den Meeren und Flüssen. Es entstand eine Siedlungshierarchie, die von der Verfügbarkeit und der Qualität der natürlichen Ressourcen, der strategischen Lage, der Siedlungen und ihrer Rolle in den Fernhandelsnetzen abhing. Die Menschen bewirtschafteten Gärten und Felder und kümmerten sich um ihr Vieh. Sie bauten Gerste, Hafer, Weizen, Hirse und Roggen an und kannten sich gut mit Hülsenfrüchten wie Wicken, Ackerbohnen, Erbsen und Linsen aus. In den eisenzeitlichen Siedlungen haben Archäologen Überreste von Gemüsesorten gefunden, die mit dem heutigen Kohl, Rüben, Senf und Kohlrüben verwandt sind.

Der Aufstieg der hallstattzeitlichen Gemeinschaften in Slowenien ab dem 8. Jahrhundert v. Chr. wurde durch technologische Innovationen bei der Herstellung von Schmiedeeisen ermöglicht und durch große Mengen leicht zugänglicher Eisenerze begünstigt. Die frühesten Belege für die Alphabetisierung auf dem Gebiet Sloweniens stammen aus dem Ende des 5. und dem 4. Jahrhundert v. Chr. In Westslowenien wurden Artefakte mit Inschriften gefunden. Wenn solche Inschriften entziffert werden konnten, wurde festgestellt, dass sie in der venezianischen Sprache verfasst waren, was auf Verbindungen mit den Völkern des Friauls und Venetiens schließen lässt. In Dolenjska und Štajerska (Südost- und Ostslowenien) sind die Belege für die Alphabetisierung zu dieser Zeit viel seltener, und die wenigen Inschriften, die übersetzt werden können, sind keine Beispiele für Venetisch, sondern für andere Sprachen.

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Visualisierung einer Schmiedewerkstatt

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aus Ulaka Grafik: I. Dolinar, ©Nationalmuseum von Slowenien.

In den letzten drei Jahrhunderten v. Chr. wurde die Hallstattkultur von der La-Tène-Kultur abgelöst, der Kultur, die in weiten Teilen Europas zu dieser Zeit oft mit den Kelten in Verbindung gebracht wird. Auf der Grundlage archäologischer Daten aus dem 3. bis zum 1. Jahrhundert v. Chr. in Slowenien können vier regionale Gruppen unterschieden werden, die sich jeweils durch ihre eigene materielle Kultur und ihre Bestattungspraktiken auszeichnen. Diese Einteilung entspricht im Großen und Ganzen den ersten in schriftlichen Quellen erwähnten ethnischen Gruppen. Im 2. Jahrhundert v. Chr. schrieben griechische und römische Schriftsteller zum ersten Mal die Namen von Orten, Pässen, Gewässern, Bergen und Völkern in diesem Gebiet nieder. Antike Schriftsteller verorten die keltischen Carni und möglicherweise Ambisonti auf dem Gebiet des westlichen Sloweniens, die keltischen Taurisci in Mittel- und Ostslowenien und die Colapiani, ein nichtkeltisches Volk aus Südpannonien, in der Bela Krajina. In Quellen aus der Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr. wird das norische Königreich erwähnt, das sich vom österreichischen Kärnten bis zum Gebiet des heutigen Celje erstreckt hat und vermutlich im 2. Jahrhundert v. Chr. Entstanden ist.

Höhensiedlungen sind die charakteristischsten Siedlungen der Eisenzeit. Sie wurden meist auf erhöhten Standorten errichtet und mit Stein- oder Erdwällen befestigt. Dazu gehören Orte wie Ulaka im heutigen Südwesten Sloweniens. Ulaka ist ein Plateauhügel

Visualisierung von Schmiedewerkzeugen aus Ulaka.

Grafik: I. Dolinar, ©Nationalmuseum von Slowenien.

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Werkzeuge aus der Schmiede von Ulaka.

1. Jahrhundert n. Chr.

Foto: T. Lauko, ©Nationalmuseum von Slowenien.

(683 Meter über dem Meeresspiegel), der sich etwa 100 Meter über dem Tal westlich von Stari trg bei Lož erhebt. Auf seiner flachen Kuppe befinden sich die Spuren einer prähistorischen Höhensiedlung und einer römischen Siedlung mit einer Fläche von 5 Hektar. Die Analyse und archäologische Interpretation der LiDARDaten ermöglichten einen detaillierteren Einblick in den Verlauf der Mauer und die Gestaltung des Innenraums der Anlage. Es sind sowohl einzelne Gebäude als auch kreisförmig angeordnete Gebäudegruppen zu erkennen, die sich vom zentralen unbebauten Raum zum Siedlungsrand hin anordnen.

Ulaka erreichte seinen ersten Bevölkerungshöhepunkt in der frühen Eisenzeit. Zu dieser Zeit entstanden Gräber mit reichen Grabbeigaben. Diese weisen auf die Beteiligung von Ulaka am kulturellen Austausch hin, der die eisenzeitlichen Kulturen der italischen Halbinsel und des westlichen Balkans miteinander verbunden hat. Die meisten prähistorischen Funde stammen

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aus der späten Eisenzeit (Mitte 5.–1. Jahrhundert v. Chr.). Darunter befinden sich mit menschlichen Köpfen verzierte Gürtelschnallenanhänger, die Elemente keltischer und iapodischer Handwerkskunst vereinen.

Auf einem 670 Meter hohen Hügel nordwestlich des Gipfels von Ulaka befinden sich die Überreste einer römischen Festung. Die Umgrenzung der Festung scheint aus einer Kombination von Wällen und Gräben bestanden zu haben und umfasste eine Fläche von 3 Hektar. Lange Wälle gehen von den südlichen Ecken des Militärlagers aus. Spuren eines römischen Militärlagers finden sich auch auf dem Nadleški hrib (642 m ü. M.), einem steilen Hügel südlich von Ulaka. Die Analyse der Funde deutet auf zwei Phasen der Aktivität des Lagers hin.

Die erste wird vor und die zweite in die augusteische Zeit datiert. Die erste Phase des Lagers auf Nadleški hrib fällt in die gleiche Zeit wie das Lager nordwestlich von Ulaka. Das Lager wird als Belagerungsanlage aus der Zeit der römischen Eroberung des Hügels gedeutet und ist wahrscheinlich während des Konsulats von Julius Cäsar in Illyrien (59–49 v. Chr.) oder spätestens während der Illyrischen Kriege des Octavian (35–33 v. Chr.) errichtet worden. Die Funde römischer Waffen und militärischer Ausrüstungsgegenstände deuten auf einen Zusammenstoß zwischen der römischen Armee und den Einheimischen hin, die die Festung verteidigt haben.

In der Römerzeit war Ulaka ebenfalls eine Siedlung. Mehr als 500 römische Münzen weisen auf die Existenz einer Siedlung zu Beginn des 5. Jahrhunderts hin. Neben den Münzen gibt es auch militärische Funde, Fibeln, Schmuck und Keramik aus der Römerzeit. Die römische Siedlung auf Ulaka setzte die eisenzeitliche Tradition fort, Häuser in den Fels zu graben. Die Fundamente wurden aus mit Mörtel gebundenem Schutt errichtet, und einige der Wände bestanden aus modifiziertem Steinsockel. Die Fußböden in den Gebäuden waren vermutlich zumeist behauen und mit Lehm geebnet. In einem Fall war der Boden mit Mörtel bedeckt. Die Bauten hatten einen oder zwei Räume.

Nur das Wasserreservoir im südöstlichen Teil der Siedlung war mit Dachziegeln (tegulae) bedeckt. Der Großteil der restlichen Gebäude war vermutlich jedoch mit Schindeln oder Stroh gedeckt.

Archäologen haben in Ulaka mehrere Spuren von

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Metallverarbeitung und Schmieden gefunden. Funde von Schmiedewerkzeugen, Feuerstellen, Schmelzöfen, Erstarrungsgefäßen, Bronze- und Eisenschlacke und mehreren ähnlichen Eisenwerkzeugen zeugen von einer entwickelten Metallverarbeitung und Schmiedeaktivität und stützen die Vermutung, dass Ulaka ein Marktzentrum der lokalen Gemeinschaft war.

Die Ausstellung stellt die letzten Tage der Eisenzeit in dieser Region dar. Während der Illyrischen Kriege unter Octavian (35–33 v. Chr.) oder vielleicht zwei Jahrzehnte zuvor belagerten römische Soldaten den Hügel. Sie errichteten zwei befestigte Lager, eines im Norden und das andere im Süden, und auf dem nördlichen Teil von Ulaka wurde ein 700 m langer Wall errichtet. Zusammen mit den Funden von römischen Waffen und militärischer Ausrüstung sind dies gute Beweise für die Belagerung und den Angriff der Römer auf die Siedlung Ulaka. In der ersten Visualisierung kann der Besucher eine Speerspitze schmieden und die Stadtmauern erklimmen, wo die römische Armee gerade ihr Lager aufschlägt. Dies soll einen symbolischen Akt der letzten Tagen der Eisenzeit auf Ulaka darstellen. In der zweiten Visualisierung, die separat zur Verfügung steht, können die Besucher ihre Fähigkeiten beim Werfen eines Speers auf ein Ziel testen.

Technische Aspekte

Die Visualisierungen von Ulaka waren eine große Herausforderung. Das Storyboard für die erste Visualisierung der eisenzeitlichen Stätte enthält eine Szene, die einen Teil der prähistorischen Siedlung zeigt. Im Zentrum der Visualisierung steht die Schmiede, die archäologisch freigelegt worden ist. Hier kann man die Wektsatt die Werkstatt betreten, einige Werkzeuge in die Hand nehmen und den Speer schmieden. Anschließend wird man zu den Verteidigungsmauern der Siedlung geführt. Im Tal ist die römische Armee zu sehen, die bereits ihre befestigten Lager für die Belagerung aufbaut. Während der Erkundung der Siedlung kann man die Geräusche der Umgebung hören (Wind, Feuer, undeutliche Menschenstimmen und Tiere wie Vögel und Schweine). Die Szene der zweiten Visualisierung befindet sich außerhalb der Ulaka-Siedlung im Hain. Hier kann man seine Fähigkeiten beim Werfen eines Speers auf ein Ziel testen. Sie

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ist sowohl für Links- als auch für Rechtshänder gemacht. Eine aufgestellte Anzeigetafel soll den Wettbewerb fördern.

Die Visualisierungen wurden von externen Experten erstellt. Für die erste wurde das Open-Source-Programm Unreal Engine verwendet (das die Modellierung von Landschaften, Umgebungen, Häusern, Vegetation, Tieren usw. ermöglicht). Die Daten umfassten räumliche Daten aus Ausgrabungen, LiDAR-Daten und Fotos. Für die 3D-Modellierung wurde ebenfalls ein Open-SourceProgramm verwendet (Blender). Archäologische Funde (meist Schmiedewerkzeuge) dienten als Basisdaten für die digitalen Objekte (z. B. für Messungen). Die Texturen wurden separat erstellt, da wir die Objekte so zeigen wollten, wie sie in Gebrauch waren. Die zweite Visualisierung wurde mit dem Programm Unity erstellt. Sie wurde in Zusammenarbeit mit der Fakultät für Informatik und Informationswissenschaft von dem Doktoranden Danijel Filipović (Mentor: Ass. Prof. Dr. Matija Marold, Co-Mentor: Žiga Lesar, Assist.) erstellt.

Um die Visualisierungen im Full-Experience-Modus ablaufen zu lassen, wird ein High-End-Computer benötigt, der mit der VR-Brille Oculus Quest 2 verbunden ist.

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Jäger der Eiszeit, Bauern der Bronzezeit und Krieger der Eisenzeit: Drei Stätten aus Kroatiens Vergangenheit

Marta Rakvin, Jacqueline Balen, Arheološki muzej u Zagrebu (Archäologisches Museum Zagreb)

Digitale Rekonstruktion der Grabkammer des Hügelgrab IV auf dem Gelände von Kaptol. Grafik: Diversitas IT sustavi d.o.o. (Delta Reality), ©Archäologisches Museum Zagreb.

Die besondere geografische Lage Kroatiens und die Vielfalt seiner Landschaften haben die (vor-)geschichtlichen Ereignisse, die sich auf diesem Gebiet von den frühesten Zeiten bis heute abgespielt haben, stark beeinflusst. Von der pannonischen Tiefebene über die Dinarischen Alpen bis hin zur mediterranen Landschaft der Adria fungierte das Gebiet Kroatiens als eine Kontakt- und Transferstelle zwischen dem mitteleuropäischen, dem mediterranen und dem südosteuropäischen Raum.

Die Lage Kroatiens ist ein Berührungspunkt mehrerer großer naturgeografischer Regionen: der Pannonischen Tiefebene, der Dinarischen Alpen und des Mittelmeers, denen das Land die große Vielfalt seiner geomorphologischen Struktur verdankt. Diese besteht aus zwei großen Regionen: dem kontinentalen und dem adriatischen Teil. Das kontinentale Kroatien kann in Ost-, Mittel- und Gebirgskroatien unterteilt werden, während die Adria Istrien, die kroatische Küste und Dalmatien sowie zahlreiche Inseln umfasst.

Das Archäologische Museum Zagreb hat im Rahmen des Projekts Danube’s Archaeological eLandscapes digitale Visualisierungen für drei Standorte entwickelt. Die ausgewählten Orte gehören dem prähistorischen Zeitalter an und repräsentieren drei wichtige archäologische Stätten auf dem kroatischen Festland.

Vindija

Während des Mittelpaläolithikums (250.000–40.000/30.000 v. Chr.) war Europa von Neandertalern besiedelt. Neben der berühmten Neandertaler-Stätte Krapina ist die Vindija-Höhle eine der bekanntesten archäologischen Stätten, in der materielle Überreste einer Neandertaler-Population entdeckt worden sind. Die Höhle liegt in Nordkroatien, in der Nähe der Stadt Varaždin, und ist für ihre archäologischen Vorkommen, die die Anwesenheit von Neandertalern belegen, von Bedeutung. Die wichtigste Entdeckung wurde in den Schichten G3 und G1 gemacht: Die dort gefundenen Neandertalerreste stammen aus der Zeit zwischen 40.000 und 35.000 vor Christus. Dieser Zeitrahmen ist von großer Bedeutung, da er darauf hindeutet, dass es sich um eine der letzten Neandertalergruppen der Welt handelte. Somit sind die Funde aus der Vindija-Höhle von allgemein großer Bedeutung für die Erforschung des Neandertalers.

In der Schicht G3, der älteren der beiden genannten Schichten,

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Benutzeroberfläche der 3D-Applikation über Vindija.

Illustration: S. Bogojević Narath, Grafik: Diversitas IT sustavi d.o.o. (Delta Reality), ©Archäologisches Museum Zagreb.

Digitale Visualisierung der VindijaHöhle auf einem 3D-Geländemodell.

Grafik: M. Mađerić, ©Archäologisches Museum Zagreb.

Digitale Visualisierung der Vindija-Höhle mit Fotos der Höhle und Steinwerkzeugen in der Anwendung. Grafiken: M. Mađerić, Foto: S. Mihelić, Design: Diversitas IT sustavi d.o.o. (Delta Reality), ©Archäologisches Museum Zagreb.

Eingang der Vindija-Höhle.

Foto: S. Mihelić, ©Archäologisches Museum Zagreb.

Steinwerkzeug aus Vindija, Institut für Paläontologie und Quartärgeologie der Kroatischen Akademie für Wissenschaften und Künste.

Foto: I. Krajcar, ©Archäologisches Museum Zagreb.

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wurden Steinwerkzeuge der Moustérien-Kultur entdeckt, die für den Neandertaler charakteristisch sind. Daneben gab es auch Funde wie Schaber und Klingen, die aufgrund ihrer Typologie und fortgeschrittenen Formgebungstechniken eher für die jungpaläolithischen und späteren anatomisch modernen menschlichen Populationen (Homo sapiens) charakteristisch sind. Dies zeigt eine interessante Entwicklungslinie, die in der Vindija-Höhle deutlich geworden ist: die Verwendung von immer hochwertigerem Material für die Herstellung von Steinwerkzeugen spiegelt die allmähliche technologische Entwicklung wider, die stattgefunden hat.

In der Schicht G1 wurden Neandertalerknochen und Knochenspitzen gefunden. Die Entdeckung der letzteren ist besonders interessant, da Knochenspitzen üblicherweise mit dem anatomisch modernen Menschen in Verbindung gebracht werden.

Es ist jedoch nicht klar, ob ein direkter Zusammenhang zwischen beiden besteht. Einige Experten glauben, dass die Funde aufgrund der Kryoturbation und der Bioturbation an der Fundstelle vermischt worden sein könnten. Die Neandertalerknochen in der Schicht G1 stammen aus der Zeit zwischen 33.000 und 32.000 vor Christus. Sie deuten also auf die Entdeckung einer der letzten NeandertalerPopulationen in Europa hin. Darüber hinaus sollte erwähnt werden, dass die spezifischen morphologischen Merkmale der in der VindijaHöhle gefundenen Neandertaler sich von denen früherer NeandertalerPopulationen unterscheiden. Die in der Vindija-Höhle gefundenen Neandertalerreste weisen etwas grazilere Schädelknochen auf, ein Merkmal, das sie mit den Überresten aus der Fundstelle St. Césaire in Frankreich teilen. Aufgrund dieser Merkmale kann festgehalten werden, dass die Neandertaler aus Vindija auf einer Zeitachse zwischen den früheren Neandertalern und den anatomisch modernen Menschen angesiedelt werden können. Man könnte sogar spekulieren, dass sie den letzteren näher stehen würden. Über den Ursprung des grazilen Körperbaus der Vindija-Neandertaler gibt es mehrere Theorien. Einerseits ist es möglich, dass es sich lediglich um eine Variation innerhalb der Population handelt. Andererseits könnten zierliche Schädelknochen das Ergebnis einer Verhaltensänderung sein, durch die der Bedarf einer physischen Anpassung an die Umwelt verringert worden ist. Dank der Genetik wissen wir heute, dass sich moderne Menschen und Neandertaler gekreuzt haben, und selbst heute besitzen moderne Europäer einen kleinen Anteil Neandertaler-DNA.

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Hauptschnittstelle für die Anwendung der Website

Viškovci. Grafiken: Diversitas IT sustavi d.o.o. (Delta Reality) ©Archäologisches Museum Zagreb.

Viškovci

Die Forschung hat gezeigt, dass der Standort Viškovci-Gradina besonders interessant ist. Es handelt sich um eine Höhensiedlung, in der Kulturschichten gefunden worden sind, die mit der späten Kupferzeit (3500–2500 v. Chr.) und der frühen Bronzezeit (2500–1700 v. Chr.) oder genauer gesagt mit der späten Vučedol- und Vinkovci-Kultur in Verbindung gebracht werden (ungefähre Daten am Standort Viškovci sind 2600 bis 2200 v. Chr.).

Der Standort Viškovci besteht aus drei Gebieten: Vinogradi, Petljak und Gradina, die sich südlich der Straße Viškovci-Forkuševci befinden. Gradina befindet sich auf einer erhöhten und dominanten Position in der Landschaft. Die südlichen und östlichen Hänge der Erhebung fallen in den Bach Crna Bara und den künstlichen See Jošava ab. Das Plateau hat eine längliche, dreieckige Form mit steilen Bergrücken an zwei Seiten. Diese Kämme sind mit dichtem Gestrüpp bewachsen. Im zentralen Teil des Geländes befindet sich ein bewirtschaftetes Feld.

Die Stätte ist seit Mitte des 20. Jahrhunderts bekannt. Bei Felduntersuchungen in den 1970er-Jahren wurden Keramik aus der Sopot-, Vučedol- und Vinkovci-Kultur sowie einige römische Keramiken entdeckt. Im Jahr 2009 wurden erneut Untersuchungen durchgeführt. Die Fundstelle wurde mit Bodenradar abgesucht. Dabei zeigte sich, dass Kulturschichten nur im zentralen Teil des Plateaus erhalten sind, wo der Löss 1,85 m unter der Erde liegt. Am Südhang liegt er nur 0,6 m unter der Oberfläche. Das Archäologische Museum Zagreb führt seit 2012 systematische Forschungen an diesem Ort durch. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Beitrags wurden bereits vier unterschiedlich

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Digitale 3D-Rekonstruktion der Häuser auf dem Gelände von Viškovci. Grafik: M. Mađerić, ©Archaeologica Museum Zagreb.

Digitale 3D-Rekonstruktion der Tierwelt mit der Siedlung im Hintergrund auf dem Gelände von Viškovci.

Grafik: M. Mađerić, ©Archäologisches Museum Zagreb.

Digitale 3D-Rekonstruktion der Landwirtschaft auf dem Gelände von Viškovci. Grafik: M. Mađerić, ©Archäologisches Museum Zagreb.

Standort Viškovci. Foto: M. Mađerić, ©Archäologisches Museum Zagreb.

Blick auf den Standort Viškovci. . Foto: M. Mađerić, ©Archäologisches Museum Zagreb.

Keramisches Gefäß, frühbronzezeitliche VinkovciKultur. Foto: I. Krajcar, ©Archäologisches Museum Zagreb.

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große Gräben ausgehoben und geophysikalische Untersuchungen eingeleitet.

Keramikfragmente stellen die zahlreichsten Funde in allen vier Gräben dar. Überwiegend handelt es sich um Fragmente von Grobkeramik, am häufigsten um Töpfe mit leicht ausladendem Rand, Schalen mit S-Profil und Schalen mit umgekehrtem Rand. Die Grobkeramik ist mit Reliefbändern verziert, während die Feinkeramik ebenfalls durch Ritzen und Stechen entstandene Ornamente aufweist, die manchmal mit Verkrustungen gefüllt sind. Neben Töpfen und Schalen wurden auch andere Gefäßtypen wie Tassen mit Füßen und Stiel und Krüge mit Henkel gefunden. Selten aber doch wurden einige wenige Kupferobjekte gefunden. Diese wurden bei Alltagsaktivitäten in der Siedlung verwendet.

Nach heutigen Erkenntnissen war die frühbronzezeitliche Siedlung in Viškovci mit einem Schutzwall befestigt. Die Häuser waren von rechteckiger Form und bestanden aus einem Holzgerüst, Wänden aus Flechtwerk, die mit Lehm beschmiert waren, und Böden aus verdichteter Erde.

Die am häufigsten gefundenen Tierknochen sind die von Rindern. Rinder dienten als Nahrungsmittel (entweder als Fleischquelle oder für Produkte wie Milch und Käse), aber auch als Hilfe bei der Landbewirtschaftung. Ein weiterer häufiger Fund sind die Knochen von Wildtieren, die die Bewohner von Viškovci wahrscheinlich in den nahe gelegenen Wäldern jagten.

Die in Viškovci gesammelten archäobotanischen Überreste deuten auf eine Ernährung auf Grundlage von Weizen, Gerste, Hirse und Hülsenfrüchten hin. Anhand der gefundenen Überreste ist es schwierig, die Rolle der Wildpflanzen an diesem Ort zu beurteilen. Wir können jedoch davon ausgehen, dass sie eine wichtige Rolle spielten, nicht nur als zusätzliche Nahrungsquelle, sondern vermutlich auch durch ihren Beitrag zu vielen anderen Aspekten des menschlichen Lebens (z. B. zu medizinischen Zwecken).

Kaptol

Während der frühen Eisenzeit (800–400 v. Chr.) war die archäologische Stätte von Kaptol im Požega-Tal im Osten Kroatiens ein komplexes Zentrum, das eine Höhensiedlung und zwei Hügelgräberfelder umfasste. Die ersten Untersuchungen an diesem

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Digitale 3D-Rekonstruktion der Grabkammer von Hügelgrab IV und des Dromos auf dem Gelände von Kaptol. Grafik: M. Mađerić, ©Archäologisches Museum Zagreb.

Digitale 3D-Rekonstruktion des Grabhügels von Hügelgrab IV auf dem Gelände von Kaptol.

Grafik: M. Mađerić ©Archäologisches Museum in Zagreb.

Digitale 3D-Rekonstruktion der Struktur des Hügelgrab IV auf dem Gelände von Kaptol. Grafik: M. Mađerić, ©Archäologisches Museum Zagreb.

VR-Rekonstruktion des Prinzen und seines Pferdes aus Hügelgrab IV auf dem Gelände von Kaptol.

Grafik: Diversitas IT sustavi d.o.o. (Delta Reality), ©Archäologisches Museum Zagreb.

VR-Rekonstruktion der Bestattungspraxis in Kaptol. Grafiken: Diversitas IT sustavi d.o.o. (Delta Reality), ©Archäologisches Museum Zagreb.

VR-Rekonstruktion der Grabkammer des Hügelgrab IV auf dem Gelände von Kaptol.

Grafik: Diversitas IT sustavi d.o.o. (Delta Reality), ©Archäologisches Museum Zagreb.

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Revisionsgrabungen am Hügelgrab IV in Kaptol im Jahr 2016. ©Zentrum für Prähistorische Forschung.

Helm aus dem Fürstengrab im Hügelgrab IV in Kaptol. Foto: I. Krajcar, Revisionsgrabungen am Hügelgrab ©Archäologisches Museum Zagreb.

Gefäß aus dem Fürstengrab in Hügelgrab IV in Kaptol.

Foto: I. Krajcar, ©Archäologisches Museum Zagreb.

Ort wurden von V. Vejvoda und I. Mirnik vom Archäologischen Museum Zagreb von 1965 bis 1971 durchgeführt. Seit 2000 wird eine systematische Revision der Funde unter der Leitung von H. Potrebica von der Abteilung für Archäologie der Fakultät für Geistesund Sozialwissenschaften der Universität Zagreb und dem Zentrum für prähistorische Forschung durchgeführt.

Auf einem markanten Plateau an den sanften Hängen des PapukGebirges, bekannt als Kaptol-Gradca, befand sich eine befestigte Höhensiedlung. Südlich von den Terrassen, die noch heute sichtbar sind, wurde ein Hügelgräberfeld entdeckt. Südlich des ersten befand sich nahe dem Fuße des Berges ein weiteres Hügelgräberfeld mit

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dem Namen Kaptol-Čemernica. Geophysikalische Untersuchungen und Ausgrabungen in der Siedlung haben die Existenz komplexer, regelmäßig angeordneter Strukturen bestätigt. Dies deutet auf eine komplexe interne räumliche Organisation und ein hohes Maß an menschlicher Aktivität an diesem Ort während der Eisenzeit hin. In der Nekropole von Kaptol-Gradca wurden 25 Grabhügel entdeckt, von denen 16 untersucht wurden. In den Grabhügeln wurden in hölzernen Kammern, von denen einige mit Steinen ausgekleidet waren, die verbrannten Überreste der Verstorbenen beigesetzt. Es sei darauf hingewiesen, dass die Grabhügel der Nekropole von Kaptol-Čemernica aufgrund intensiver landwirtschaftlicher Aktivitäten eingeebnet wurden und schwer zu identifizieren sind. Die Funde aus dem Hügelgrab XIV von Kaptol-Čemernica sowie die Funde aus dem Gräberfeld von Kaptol-Gradca deuten jedoch darauf hin, dass Kaptol eines der wichtigsten Machtzentren im Südkarpatenbecken gewesen ist. Weitere Untersuchungen brachten monumentale Grabkammern aus Holz und Stein mit einer Eingangshalle ans Licht. Die materiellen Funde spiegeln kulturelle Einflüsse aus den Ostalpen, den Regionen des südlichen Panonnien, dem zentralen Podunavlje und dem Balkan wider, die von der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts v. Chr. bis zur ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts v. Chr. reichen. Nur prominente Mitglieder der Gemeinschaft, die zumeist der Kriegerelite angehörten, wurden in Kaptol in Grabhügeln bestattet. Neben Kleidungsstücken und Ausrüstungsgegenständen wurden neben den verbrannten Überresten der Verstorbenen für ihre Reise ins Jenseits auch Keramikgefäße aufgestellt, die in der Regel mit Graphit verziert waren. Das Verzieren der Töpfe mit Graphit und die Graphitmalerei waren beliebte Techniken im gesamten Gebiet der Hallstattkultur. Es wird vermutet, dass Kaptol einen Teil seiner wirtschaftlichen Bedeutung dem Handel mit Graphit oder dem nahegelegenen Bergwerk verdankt. Es ist anzunehmen, dass die Stellung Kaptols als regionales Zentrum auf der Kontrolle wichtiger Handelswege und Knotenpunkte beruhte, die die Ostalpen mit dem zentralen Podunavlje-Gebiet und dem Balkan verbanden.

Dies spiegelt sich in der wissenschaftlichen Literatur wider, in der die kulturelle Gruppe, die die Regionen Westslawonien, Podravina, Međimurje und Štajerska umfasst, als Kaptol-Gruppe bezeichnet wird.

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Alle drei hier vorgestellten Standorte (Vindija, Viškovci und Kaptol) sind sehr unterschiedlich erforscht, so dass die Art und Weise, wie sie vorgestellt werden, weitgehend von der Qualität der verfügbaren Daten abhängt.

Vindija ist eine Höhlenstätte, die in den 1960er- und 1970erJahren ausgegraben worden ist. Bei Viškovci handelt es sich um eine frühbronzezeitliche Siedlung, die mit modernen Methoden (geophysikalische Untersuchungen, paläobotanische und paläozoologische Analysen) ausgegraben woren ist, was eine detailliertere Darstellung der Stätte ermöglicht hat. Andererseits wurde Kaptol in den letzten 20 Jahren systematisch erforscht, so dass ein umfangreicher Datensatz vorliegt, der eine Geschichte über das Leben der eisenzeitlichen Gemeinschaft, die dort lebte, und die sie umgebende Landschaft erzählen kann. Daher entschied sich das Archäologische Museum Zagreb für drei verschiedene Methoden der visuellen Präsentation. Für die Fundstätten Vindija und Viškovci wurden Anwendungen für Touchscreen-Monitore entwickelt, für die Fundstätte Kaptol eine Anwendung für ein VirtualReality-Set (VR).

Für den Standort Vindija sollte die Rekonstruktion der täglichen Aktivitäten einer dort lebenden Neandertalerpopulation gezeigt werden. Der Schwerpunkt des Storyboards lag auf den täglichen Aufgaben des Neandertalerlebens wie Werkzeugherstellung, Jagd, Fellbearbeitung und Altenpflege. In einem ersten Schritt wurde ein Bild illustriert, das die Szenen mit den Neandertalern darstellte. In der zweiten Phase diente die Illustration als Grundlage für die Anwendung, die für Touchscreen-Monitore entwickelt wurde. Der Besucher kann bestimmte Szenen in der Illustration anwählen. Wenn er auf diese Szenen klickt, öffnen sich zusätzliche Informationen mit Texten, Videos, Fotos und einem 3D-Modell eines Objekts.

In ähnlicher Weise konzentrierte sich die Visualisierung des Standorts Viškovci auf das Leben in der Siedlung und die Aktivitäten in ihrer Umgebung. Auf der Grundlage der räumlichen Daten aus den Ausgrabungen, der geophysikalischen Vermessungsdaten und der bei den Ausgrabungen erstellten 3D-Modelle erstellte ein externer Experte eine maßstabsgetreue digitale Rekonstruktion des Ortes. Die Siedlung wurde auf dem 3D-Geländemodell rekonstruiert. Diese Rekonstruktion ist zusammen mit vorbereiteten Texten,

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Videos und Fotos in eine für Touchscreen-Monitore entwickelte Anwendung integriert worden, die es den Besucher*innen ermöglicht, das Leben in einem bronzezeitlichen Dorf kennenzulernen. Beide Anwendungen für Vindija und Viškovci sind mit der Software Unity erstellt worden, was sie mit unterschiedlicher Hardware und Computersystemen kompatibel macht.

Die dritte Visualisierung des Museums stellte die größte Herausforderung dar. Das Storyboard der Visualisierung der früheisenzeitlichen Stätte in Kaptol enthielt mehrere Szenen, in denen ein Krieger und sein Begräbnis dargestellt wurden. Der Visualisierungsprozess bestand aus zwei Schritten. Im ersten Schritt erstellte ein externer Experte eine 3D-Rekonstruktion von Hügelgrab IV. Die Daten für diese Rekonstruktion umfassten räumliche Daten aus den Ausgrabungen, LiDAR-Daten (.tiff) und Fotos. In einem zweiten Schritt wurden diese Rekonstruktionen zusammen mit Fotos der Funde und Texten mit archäologischen Interpretationen der Struktur der Kammer und der Lage der Funde an die Entwickler geschickt. Die Vermessung der Funde war entscheidend. Zusätzlich wurden 3D-Modelle der Keramik, die im Rahmen des Projektes “Iron Age Danube” erstellt wurden, sowie eine Animation der Karte, die den Umfang des Projekts mit einer 3D-Rekonstruktion der Siedlung zeigt, implementiert.

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Von den ersten Bauern bis zu den Bronzemeistern: Vršac-At und Vatin – Bela Bara, Serbien

Dragan Jovanović und Ivana Pantović, Gradski Muzej Vršac (Stadtmuseum Vršac)

Vršac-At, neolithisches

Dorf. Grafik: N. Jončić, ©Stadtmuseum Vršac.

Aufgrund seiner Lage im zentralen Teil der Balkanhalbinsel war Serbien schon immer eine wichtige Transitroute von den südlichen zu den mittleren und nördlichen Teilen Europas. Von den ersten anatomisch modernen Menschen, die aus Afrika kamen, über anatolische Einwanderer, die den Ackerbau mitbrachten, bis hin zu den Kelten, Römern, Goten, Hunnen, Slawen, Kreuzrittern und dem Osmanischen Reich – sie alle haben Serbien durchquert und ihre Spuren in den archäologischen Aufzeichnungen hinterlassen.

Große Flüsse zu befahren oder sich an ihren Ufern entlang zu bewegen, war immer die einfachste Art des Reisens, vor allem in einem unbekannten Gebiet. Die unmittelbare Nähe der Donau, die Zahmheit der umliegenden Ebenen, fruchtbares Land und reichlich Wasser haben eine Vielzahl von Menschen aus allen Epochen der menschlichen Zivilisation in die Region des südlichen Banat, einem Tieflandgebiet im Nordosten Serbiens, gezogen. Eine solch dynamische und lebendige Umgebung hat zu reichen archäologischen Funden geführt.

Vršac-At

Die Stätte von At befindet sich am nördlichen Rand der Stadt Vršac, an den Hängen eines großen sandigen Bergrückens, der von einem Sumpf umgeben ist. Auf der anderen Seite des Sumpfes befinden sich die Vršac-Berge, die reich an Wäldern, aber auch an verschiedenen Gesteinen waren, die für die Herstellung von Steinwerkzeugen und andere Zwecke verwendet worden sind. Die Stätte wurde 1895 während des Baus der Eisenbahnlinie VršacTimisoara entdeckt. Forschungen wurden in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sowie in den 2010er-Jahren durchgeführt. Die Fundstelle weist eine über 7 Meter dicke Kulturschicht auf, die Funde aus dem Paläolithikum bis zum Frühmittelalter verzeichnet. Was die älteste Steinzeit (Paläolithikum) betrifft, so wurden an diesem Ort Werkzeuge gefunden, die mit dem ersten Auftreten des anatomisch modernen Menschen auf dem Weg von Afrika nach Europa in Verbindung gebracht werden. Die Jungsteinzeit (Neolithikum) brachte eine Klimaveränderung mit sich. Dank der Nähe zum Wasser, dem Reichtum an Wäldern im Vršac-Gebirge, aber auch dank der guten Verkehrswege entstand hier die erste Siedlung der Starčevo-Kultur des frühen Neolithikums. Einige hundert Jahre später wurde an derselben Stelle eine Siedlung

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Grafik:

Grafik:

der spätneolithischen Vinča-Kultur errichtet. Forschungen haben ergeben, dass die Häuser einen rechteckigen Grundriss hatten und in Reihen angeordnet waren, zwischen denen sich Straßen befanden. Die Siedlung war durch Gräben und einen Zaun geschützt. Die bei den Ausgrabungen gefundenen Tonmodelle der Häuser zeigen Häuser mit einem Giebeldach, während die Wände mit Motiven verziert sind, die auch auf Keramikobjekten zu finden sind. Die Bevölkerung betrieb vor allem Ackerbau und Viehzucht, trieb aber auch Handel mit den benachbarten Gebieten, insbesondere mit denen im heutigen Rumänien. Die Siedlung bestand einige hundert Jahre lang und ist eine der wenigen, die bis zum Ende der Vinča-Kultur erhalten geblieben sind. Fast 3000 Jahre später wurde an gleicher Stelle ein bronzezeitliches Gräberfeld angelegt.

Die Stätte ist von Bedeutung, weil sie über mehrere tausend Jahre

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Vatin, Dorf aus der Bronzezeit. N. Jončić, ©Stadtmuseum Vršac. Vatin, Dorf aus der Bronzezeit. N. Jončić, ©Stadtmuseum Vršac.

hinweg genutzt worden ist. Die Analysen zeigen uns, welchen Veränderungen die Menschen seit den frühesten Perioden der menschlichen Entwicklung ausgesetzt waren: Veränderungen im Klima, in der Bevölkerung, in der Lebensweise usw. Was die Siedlung der Vinča-Kultur betrifft, so ist Vršac-At eine der letzten Gemeinschaften dieser Gruppe im Banat. Sie könnte uns Antworten auf die Frage geben, was aus den Menschen dieser großen spätneolithischen Kultur geworden ist. Eine Kultur, die den Aufstieg und die Entwicklung der europäischen Zivilisation beeinflusste, indem sie das Wissen über Ackerbau, Viehzucht, Architektur, Keramikherstellung, Kupfergewinnung und Metallverwendung sowie verschiedene Handwerke usw. verbreitete. Neue, innovative Lebensweisen breiteten sich langsam in Mittel- und Nordeuropa aus und brachten grundlegende Veränderungen für die dort lebenden Menschen mit sich.

Vatin – Bela Bara

Archäologische Funde aus Vatin werden erstmals 1804 erwähnt, als die Dorfbewohner begannen, in der Gegend Sand abzubauen.

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Vršac-At, neolithisches Dorf. Grafik: N. Jončić, ©Stadtmuseum Vršac.

Vršac-At, prosopomorpher

Deckel. Foto:

A. Avramesku, ©Stadtmuseum

Vršac.

Vatin, zoomorphes

Gefäß. Foto:

A. Avramesku, ©Stadtmuseum

Vršac.

Vatin, zoomorphes

Gefäß. Foto:

A. Avramesku, ©Stadtmuseum

Vršac.

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Aufgrund der Entdeckungen der Dorfbewohner begann der Kurator des Vršac-Museums, Felix Milleker, 1888 mit der Aufzeichnung und Sammlung der ersten Funde.

Aufgrund ihres wiedererkennbaren Stils und ihrer ästhetischen Qualitäten fanden die Objekte aus Vatin schnell Eingang in private und museale Sammlungen in ganz Europa. Die Funde aus diesen Sandgruben veranlassten Milleker, im Oktober 1893 die erste offizielle Ausgrabung in Vatin auf einer Fläche von 22 Quadratmetern vorzunehmen.

Heute beherbergt die prähistorische Sammlung des Stadtmuseums in Vršac über 15.000 Gegenstände aus Vatin, die Milleker gesammelt hat.

Von 2010 bis 2019 wurden multidisziplinäre Forschungen durchgeführt, die Erkenntnisse lieferten, die es erlauben, das Aussehen und die Größe der Siedlung mit großer Sicherheit zu rekonstruieren. Zwischen 1850 und 1800 v. Chr. entstand auf dem schmalen, erhöhten Teil des Sandrückens, der auf drei Seiten von Wasser umgeben war, die früheste Siedlung der Vatin-Kultur auf einer Fläche von etwa 2 Hektar. Wie die anderen Siedlungen dieser Gruppe war auch die Siedlung von Vatin gut organisiert und nach einem vorgegebenen Plan angelegt. Die nördliche Grenze bildete der Fluss Moravica, während der Rest der Siedlung durch einen halbkreisförmigen Holzzaun/eine Palisade geschützt war. Es ist durchaus möglich, dass der Zugang zur Siedlung vom Norden aus über eine hölzerne Brücke über den Fluss erfolgte, die sich aufgrund der Geländebeschaffenheit an der gleichen Stelle wie die moderne Eisenbahnbrücke befinden musste. Im nördlichen Teil der Siedlung gab es einen leeren Raum, eine Art Platz, auf dem sich alle Aktivitäten abspielten und der unmittelbar nach dem Überqueren des Flusses und dem Betreten der Siedlung sichtbar war. Die Häuser waren in mehreren Reihen angeordnet, die den zentralen Platz der Siedlung umgaben und sich radial erstreckten, sodass sie die halbkreisförmige Form der Siedlung bildeten. Die Bauweise der Häuser selbst entspricht weitgehend derjenigen, die an anderen Orten der Vatin-Kultur entdeckt wurde, allerdings waren sie offenbar größer dimensioniert; genauer gesagt, etwa 6 x 12 bis 14 Meter. Die Wände wurden aus einer Kombination von Flechtwerk und Lehm gebaut, wobei die tragende Struktur

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Vatin, zoomorphe Rassel.

aus Eichenbalken und Weidengeflecht oder Ulmenzweigen bestand. Solche Konstruktionen wurden auf beiden Seiten mit einer speziellen Mischung aus Erde und Spreu oder Gras bedeckt. Oft sind die Außenwände (möglicherweise auch die Innenwände) mit geometrischen Ornamenten verziert, die in Reliefs modelliert sind. Die Häuser besaßen in der Regel zwei Räume, von denen einer mit einem Holzboden zur Lagerung von Lebensmitteln diente, während der andere – mit einem Lehmboden und einer rechteckigen Feuerstelle – als Hauptraum genutzt wurde. Die Decke war mit Schilfrohr bedeckt, über das eine Erdschicht geklebt wurde, wodurch eine ideale Isolierschicht entstand, die in der ländlichen Architektur bis heute fast unverändert erhalten geblieben ist. Die Dächer waren mit einer dicken Schicht aus Teichschilf bedeckt, das leicht in großen Mengen geerntet werden konnte. Die Menschen betrieben hauptsächlich Landwirtschaft, Schweine stellten den zooarchäologischen Funden zufolge die wichtigsten Haustiere dar. Außerdem wurden wilde Tiere zur Nahrungsbeschaffung gejagt. Dank der günstigen Lage an der

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Foto: N. Jončić, ©Stadtmuseum Vršac.

Donau war der Handel die wichtigste Wirtschaftstätigkeit und der Hauptgrund für den in Vatin beobachteten Reichtum.

Die Siedlung Vatin brannte Ende des 18. Jahrhunderts v. Chr. nieder und wurde nie wieder aufgebaut. In späteren Epochen gab es weitere Siedlungen, aber nie von solcher Pracht und Größe. Dieses Gebiet diente später am Ende der Bronzezeit und in der Spätantike als Begräbnisstätte.

Ein virtueller Spaziergang durch die Zeit

Bei der Erstellung einer idealisierten Rekonstruktion der digitalen Nachbildungen der prähistorischen Siedlungen von At und Vatin ließen wir uns von dem Gedanken leiten, dass die Darstellung entsprechend den Funden und zahlreichen Analysen, die nach den Ausgrabungen durchgeführt wurden, erfolgen sollte, damit die Rekonstruktion die ursprünglichen Siedlungen so getreu wie möglich wiedergibt. Um eine möglichst detailgetreue, überzeugende und realistische Darstellung zu erreichen, wurden verschiedene Ansätze verfolgt.

Die 3D-Photogrammetrie ist eine Methode zur Erstellung und Darstellung archäologischer Funde wie Keramikgefäße,

Vršac-At, neolithische Figurine. Foto: A. Avramesku, ©Stadtmuseum Vršac.

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Figuren, Rasseln, Gussformen und anderer tragbarer Objekte. Diese Methode wurde gewählt, um die archäologischen Daten darzustellen, von denen wir eine gute Vorstellung haben, wie sie ursprünglich ausgesehen haben. Die Photogrammetrie ist eine Methode, bei der zweidimensionale Fotos, die mit einer Digitalkamera aufgenommen wurden, in ein digitales 3D-Modell des fotografierten Objekts umgewandelt werden. Der Vorteil dieser Methode besteht darin, dass sie äußerst realistische Visualisierungen von Objekten liefert.

Die 3D-Modellierung wird zur Erstellung von 3D-Modellen von Objekten unterschiedlicher Größe verwendet. Diese Methode wurde für die Herstellung von Objekten wie Häusern und allen darin enthaltenen Elementen, aber auch für die Darstellung von Pflanzen und Tieren verwendet. Diese Objekte sind nicht vollständig erhalten, daher ist es notwendig, sie so originalgetreu wie möglich darzustellen, aber gleichzeitig darauf hinzuweisen, dass sie auf der Grundlage archäologischer Daten rekonstruiert worden sind. Bei der 3D-Modellierung handelt es sich um eine Sammlung von Daten, die ein Computer in ein virtuelles Objekt umwandelt, das auf einem Bildschirm angezeigt wird.

Die 3D-Modellierung ist in der Architektur, im Maschinenbau, in der Medizin, in Wissenschaft und Technik sowie in der Computerspielindustrie weit verbreitet.

Die grafische Echtzeitsimulation wurde zur Erstellung von Videopräsentationen von Siedlungen und Objekten verwendet. Beide Methoden wurden eingesetzt, um eine 3D-Umgebung zu schaffen, in der Videopräsentationen auf der Grundlage von 3D-Modellen erstellt werden können. Virtual Reality (VR) ist eine Technologie, die auf der Verwendung digitaler 3D-Objekte basiert, die durch verschiedene Methoden gewonnen werden, um visuelle, akustische, taktile und andere sensorische Erfahrungen zu simulieren, um dem Besucher ein noch realistischeres Erlebnis zu vermitteln. Sie soll eine Illusion schaffen, die darauf abzielt, eine Erfahrung der realen Welt in einer digitalen Umgebung zu erzeugen, und eine eindrucksvolle und interaktive Darstellung vergangener Zeiten in einer virtuellen Umgebung bieten. Ebenso ermöglicht sie die Schaffung von virtuellen Räumen, in denen sich mehrere Personen gleichzeitig aufhalten können.

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Zeitreisen an der unteren

Donau: Die bronzezeitliche Brandnekropole von Cîrna – Grindu Tomii und die byzantinische Befestigungsanlage von Nufăru (Proslavița)

Corina Borș, Cornel Ilie und Mihai Vasile, Muzeul Național de Istorie a României (Nationalmuseum für rumänische Geschichte)

3D-Rendering (Nufăru).

Grafiken: © Nationalmuseum für rumänische Geschichte.

Die bronzezeitliche Brandnekropole von Cîrna – Grindu Tomii

Die archäologische Stätte Cîrna – Grindu Tomii befindet sich im südöstlichen Teil eines ehemaligen Flusslagunenkomplexes, der aus den kleinen Seen Călugăreni, Bistreţ, Cîrna und Nedeia besteht. Dieses Gebiet erstreckte sich einst über eine Länge von etwa 2500 Metern in Ost-West-Richtung und etwa 270 Metern in Nord-SüdRichtung (an den breitesten Stellen). In regenreichen Jahreszeiten (Frühling und Herbst) konnten jedoch alle diese Gewässer zu einem einzigen werden, und wenn man die angrenzenden Gebiete von Rast bis Măceșu miteinbezieht, kann man von einer Wasserfläche von etwa 5 Kilometern Länge und einer Breite von 1 Kilometer ausgehen. Natürlich gab es auch höher gelegene Gebiete (Deiche), die vom Wasser unbedeckt blieben, aber diese waren Inseln, bis sich das Wasser zurückzog.

Seit 1968 wurden in dem gesamten Gebiet umfangreiche Arbeiten zur Verbesserung der Wasserqualität durchgeführt, und die Flusslagune wurde in Fischteiche umgewandelt. Auch in anderen Gebieten wurden Bodenverbesserungen vorgenommen, um neue, für die Landwirtschaft geeignete Flächen zu schaffen. So wurde die archäologische Stätte von Cîrna – Grindu Tomii vollständig in die durch diese Arbeiten geschaffenen neuen Strukturen integriert.

Von April bis Ende Mai 2006 waren die Donau-Auen (mittlerer und unterer Abschnitt) sowohl in Rumänien als auch in Serbien und Ungarn vollständig überflutet. So wurde das gesamte Gebiet, in dem sich die oben genannten ehemaligen Seen zwischen Rast, Bistreț und Măceșu befanden, vollständig von Wasser bedeckt, wodurch zahlreiche archäologische Überreste in diesem Gebiet beträchtlich in Mitleidenschaft gezogen wurden.

Die archäologische Stätte von Cîrna – Grindu Tomii wurde im Rahmen von drei archäologischen Kampagnen (1942, 1955 und 1956) ausgegraben. Dabei wurden 116 Brandgräber identifiziert und untersucht, deren Funde in die mittlere Bronzezeit (ca. 2000/1900–1500/1400 v. Chr.) datiert wurden.

Spuren dieser alten Gemeinschaften wurden archäologisch nur in den Donau-Auen (mittlerer/unterer Abschnitt) zwischen Belgrad (Serbien) und Corabia (Rumänien) gefunden. Diese Gebiete haben einen deltaähnlichen Charakter, wo das Wasser je nach Jahreszeit

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Für den Standort angefertigtes Luftbild von Nufăru, Kreis Tulcea. Foto: © Nationalmuseum für rumänische Geschichte.

rhythmisch überläuft, und wurden von den Gemeinschaften der Žuto Brdo – Gârla Mare-Kultur als Siedlungsgebiete bevorzugt.

Sporadische Siedlungsspuren wurden auch in den an dieses Gebiet angrenzenden Tälern ausgemacht, doch hier wurden bisher keine eindeutigen Beweise für Gräber, geschweige denn für Siedlungen, dokumentiert. Es ist anzumerken, dass außerhalb des ehemaligen Gebietes der Nekropolen von Cîrna – Grindu Tomii, und zwei Stätten von Cîrna – Ostrovogania und Plosca, die von Ion Motzoi-Chicideanu und Monica Șandor-Chicideanu veröffentlicht wurden, wurden, auch weitere archäologische Stätten in diesem Gebiet bekannt sind. Einige von ihnen müssen noch untersucht werden und sind nur aus Berichten bekannt, während andere in der Anfangsphase ihrer Erforschung sind.

Viele der Schlussfolgerungen zu den verschiedenen Aspekten dieser prähistorischen (archäologischen) Kultur wurden auf der Grundlage der Daten formuliert, die durch die oben erwähnten archäologischen Ausgrabungen gewonnen wurden. Sie beziehen sich vor allem auf das flache Brandgräberfeld von Grindu Tomii. Diese Stätte ist eine der größten bekannten Nekropolen der Žuto Brdo – Gârla Mare-Kultur und soll aus über 200 Gräbern bestanden sein, von denen 116 (mit insgesamt 133 Branddepots) durch archäologische Ausgrabungen im 20. Jahrhundert detailliert untersucht wurden.

Auf dem Friedhof von Grindu Tomii wurden ausschließlich

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Brandbestattungen vorgenommen. Es wurden zwei Hauptkategorien von Brandgräbern identifiziert: Brandgräber in Urnen (die mit über 80 % der Gesamtzahl der Gräber am zahlreichsten sind) und solche, bei denen die Überreste des Scheiterhaufens (direkt) in der Grabgrube deponiert wurden (diese sind deutlich in der Minderheit). Es wurde auch von einer Reihe verschiedener Rituale berichtet. Nach den Beobachtungen des Archäologen Ion Motzoi-Chicideanu waren die Gräber aus Cîrna –Grindu Tomii in ihrer inneren Struktur nach einem standardisierten Schema angeordnet. Dabei wurden die verbrannten Knochen der Verstorbenen in eine Urne mit Deckel gelegt, die von weiteren Gefäßen und gelegentlich altersspezifischen Beigaben begleitet wurde. Eine bemerkenswerte Gruppe von Artefakten aus diesen Gräbern sind anthropomorphe Statuetten, die wahrscheinlich (mit einer Ausnahme) weibliche Figuren darstellen. Diese Statuetten sind oft kunstvoll mit persönlichen Schmuckelementen bzw. Kleidung verziert. Die Anwesenheit dieser anthropomorphen Tonfiguren in nur wenigen Kindergräbern ist ein einzigartiges Merkmal des Bestattungsrituals von Gârla Mare. Die Bedeutung dieser Statuetten in den Kindergräbern ist unklar. Die Forscher vermuten, dass sie entweder als »Spielzeug«, als Ersatz für die Mutter oder als Darstellung von Gottheiten interpretiert werden könnten.

Bearbeitung des digitalen Geländemodells auf der Grundlage der photogrammetrischen Dokumentation. Von: © Nationalmuseum für rumänische Geschichte.

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»Der Denker und seine Partnerin«, neolithische Figuren aus Cernavodă, Kreis Constanța, Foto:

© Nationalmuseum für rumänische Geschichte.

Die mittelalterliche Stätte von Nufăru Proslavița

Diese Siedlung liegt etwa 12 Kilometer stromabwärts der Stadt Tulcea (antikes Aegyssus) an der Straße nach Murighiol (antikes Halmyris). Sie befindet sich an einem langen Hang einer der Hügel von Tulcea, der zum rechten Ufer des südlichsten Donauarms abfällt. Die Stätte befindet sich auf einem langgestreckten Felsvorsprung, der zur Kontrolle des Wasserlaufs genutzt werden konnte, während sich auf der rechten Seite eine Furt befand, die zur Überquerung des Donaudeltas diente.

Dieses malerische Dorf im Dobrudscha-Stil, das heute weitgehend verstädtert ist, war im 19. Jahrhundert unter dem Namen »Prislava« bekannt, der später in »Prinzessin Maria«, dann in »Ada Marinescu« und schließlich in »Nufăru« (Seerose) umbenannt wurde.

Prislava/Nufăru hebt sich von den anderen Siedlungen des nördlichen Dobrudschatyps dadurch ab, dass sich im unterirdischen Bereich des Dorfes eine vollständig erhaltene archäologische Fundstätte befindet. Die Stätte ist

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wahrscheinlich eine der komplexesten und spektakulärsten dieser Siedlungsgruppe. Die archäologischen Überreste waren noch Ende des 19. Jahrhunderts sichtbar, wurden aber nur am Rande erwähnt. Im 20. Jahrhundert waren sie hingegen nur noch im Rahmen archäologischer Ausgrabungen zugänglich. Diese begannen 1978 und werden seither fortgesetzt.

Die archäologischen Funde von Nufăru sind das Ergebnis von 40 erforschten Gebieten. Sie umfassen Überreste aus dem Äneolithikum und der Eisenzeit, römische und römischbyzantinische Siedlungsspuren und Gräber sowie Hunderte von Grabstätten aus dem 18. bis 19. Jahrhundert. Besonders erwähnenswert ist ein städtisches Zentrum aus dem 11.–14. Jahrhundert. Es wurde von hohen Mauern geschützt, die ursprünglich Teil einer byzantinischen Festung waren, die

3D-Modell eines Keramikgefäßes aus Cârna, das mit der Plattform Sketcfab. com erstellt wurde, sowie Originalgefäß zum Vergleich.

Foto: © Nationalmuseum für rumänische Geschichte.

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Cârna im Jahr 2002 (oben) und 2006 (unten).

Foto: © Nationalmuseum für rumänische Geschichte.

im letzten Viertel des 10. Jahrhunderts gegründet wurde. Im 13. Jahrhundert befanden sich auf dem Gelände mehrere archäologisch belegte Wohnsitze und Grabanlagen, die ab der Mongoleninvasion nicht mehr genutzt wurden. Der mongolische Nachfolgestaat in Europa, die Goldene Horde, hatte weiterhin Einfluss auf die Siedlung, was sich archäologisch am nördlichen Ende der Landzunge bis in die Mitte des 14. Jahrhunderts nachweisen lässt.

Archäologische Untersuchungen haben es ermöglicht, den Verlauf der byzantinischen Stadtmauer (die eine Fläche von etwa 6 Hektar umschließt) nachzuvollziehen und mehrere Befestigungselemente (sechs Türme), eine Staumauer und eine Hafenanlage zu identifizieren. Zu den weiteren Funden gehören Wohn-, Handwerks-, Haushalts-, Religions- und Grabkomplexe, die sich sowohl innerhalb als auch außerhalb der befestigten Siedlung befinden. Was die materielle Kultur betrifft, finden sich hier zahlreiche unterschiedliche Gegenstände wie Keramik, Werkzeuge, Haushaltsgegenstände, Waffen, Geschirr, Schmuck, Kleidung

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und religiöse Objekte. Ebenfalls gut belegt sind Münzen, darunter Ausfertigungen des Byzantinischen Reiches, der Mongolen, Serbiens, lokale Prägungen und Nachahmungen bulgarischer und lateinischer Reichsmünzen. Die Gesamtheit dieser Belege zeugt von einer kontinuierlichen Besiedlung, wobei der Schwerpunkt auf den Beziehungen zwischen dem Gebiet an der Donaumündung und anderen Gebieten des Byzantinischen Reiches sowie mit der nördlichen Welt liegt.

Rettungsgrabungen, die zwischen 2000 und 2003 in einem ummauerten Gebiet in der Nähe des westlichen Bereichs der byzantinischen Festung durchgeführt wurden, führten zur Entdeckung eines Wohnareals mit einer Fläche von etwa 125 Quadratmetern. Die Schicht, die zwei Beschäftigungsphasen aufweist, die durch Wohn- und Haushaltskomplexe veranschaulicht werden, stammt wahrscheinlich aus der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts. Die Bauten waren aus massiven Balken und Palisaden errichtet und bestanden in einigen Fällen aus mehreren mehrteiligen Gebäuden und Nebengebäuden. Die Strukturen waren auf zwei Ebenen angeordnet und so ausgerichtet, dass sie die Funktion einer Straße zu erfüllen schienen. Diese Wohnkomplexe und Nebengebäude standen

Krug aus Nufăru, Proslavița (13. Jahrhundert) und Miniaturgefäß Nufăru-Proslavița (11. Jahrhundert).

Foto: © Nationalmuseum für rumänische Geschichte.

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auf hölzernen Fundamenten, die Wände bestanden aus Weidengeflecht und der Boden aus Holz. Gekocht wurde mit einer Vielzahl von einfachen Feuerstellen und Steinöfen. In einigen der Häuser wurden auch hölzerne Gegenstände aufbewahrt, die entweder für den häuslichen Gebrauch bestimmt waren oder möglicherweise für verschiedene Berufe benötigt wurden. Auch das Christentum scheint eine wichtige Rolle gespielt zu haben, was auf die Handelsaktivitäten entlang der »Route von den Varangiern zu den Griechen« (eine Bevölkerung, die sich vorübergehend in der nördlichen Dobrudscha niederließ) zurückzuführen ist.

Technologischer Aspekt der Visualisierungen

Der Bereich des kulturellen Erbes eignet sich im Allgemeinen sehr gut für die innovativen Technologien der computergestützten (analytischen) fotografischen Dokumentation. Mit diesen Technologien ist es nun möglich, neue digitale Produkte zu schaffen, die nicht nur für die Vermessung und eingehende Untersuchung, sondern auch für die Visualisierung und Verbreitung in der wissenschaftlichen Gemeinschaft und der breiten Öffentlichkeit bestimmt sind. Diese Ergebnisse werden wiederum zu leistungsfähigen Instrumenten für die Analyse und Erforschung von Forschungshypothesen und bieten gleichzeitig visuelle Unterstützung für Entscheidungen in den Bereichen Rekonstruktion, Konservierung und Restaurierung. Im Rahmen dieses Projekts wurden verschiedene Technologien eingesetzt, um eine komplexe, interaktive Darstellung zu schaffen, die sowohl die archäologischen Landschaften (auf Standort- und auch auf Umgebungsebene) als auch die charakteristischsten archäologischen Entdeckungen dieser Donau-Stätten berücksichtigt. So wurden für die Darstellung der archäologischen Landschaften in der Virtual Reality (VR)-Umgebung (Brillen oder mobile Geräte) mit einer Drohne 360°-Luft-Panoramen für jede repräsentative Stätte erstellt. Diese können wiederum über eine digitale Online-Plattform betrachtet werden. Für die Erstellung der 360°-Panoramen wurde eine DJI Mavic Pro-Drohne zusammen mit einer speziellen Software von Kolor (AutoPanoGiga) verwendet. Für die Stätte von Nufăru (Kreis Tulcea) wurden detaillierte

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photogrammetrische Dokumentationen der Landschaft und des archäologischen Ausgrabungsgebietes erstellt. Dabei kamen Drohnen der Marken DJI Mavic Pro und Inspire 2 zum Einsatz; die Bearbeitung des digitalen Geländemodells erfolgte mit der speziellen Software Agisoft Metashape. Für die dreidimensionale Digitalisierung der wichtigsten Artefakte dieser Stätten wurde das von Artec angebotene hochauflösende Scansystem verwendet, wobei es sich bei dem Scannermodell um einen Space Spider mit messtechnischem Rendering und Submillimetergenauigkeit handelt. Die Bearbeitung erfolgte mit Artec Studio v14. Die 3D-Modelle (über 150) werden derzeit über die Online-Plattform Sketchfab auf der Website des Museums veröffentlicht. So werden diese Modelle einem internationalen Publikum zugänglich gemacht und können von überall auf der Welt sowohl mit einer VRBrille als auch durch AR-ähnliche Interaktion, die von Sketchfab. com über eine spezielle Anwendung bereitgestellt wird, genutzt werden.

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Mittelalterliche Wunder

Bulgariens: Die Stadt Cherven und die Felsenkirchen von Iwanowo

Iskren Velikov, Регионален исторически музей (Regionales Historisches Museum Russe)

Virtuelle Rekonstruktion der Hauptstraße des mittelalterlichen Cherven. Grafik: Tornado Studio, © Regionales Historisches Museum Russe.

Das Tal des Flusses Rusenski Lom in Bulgarien

Der Rusenski Lom in Nordbulgarien ist der letzte wasserreiche rechte Nebenfluss der Donau. In der Donautiefebene bildet er ein verzweigtes Netz, das durch malerische Schluchten fließt. Die Felsen dieser Schluchten verteilen sich über lange Gürtel und Bögen und bestehen aus Kalkstein und Mergel. Die Entwicklung dieses Karsts hat eine große Anzahl von Höhlen entstehen lassen. Das günstige Klima, die Konzentration der natürlichen Ressourcen und die Möglichkeit, sich vor Bedrohungen zu schützen, haben es den Menschen hier ermöglicht, diese Landschaft über zahlreiche verschiedene historische Epochen hinweg zu nutzten. .

Die Kalksteinfelsen bieten Lebensraum für 902 Pflanzenarten. In diesem Gebiet gibt es Eichen- und Hainbuchenwälder. Eine Vielzahl von Vögeln wie der Schwarzstorch, der Steinadler, der Schmutzgeier, der Gänsegeier und die Felsentaube leben in der Umgebung des Flusses. Es gibt 66 Säugetierarten, darunter geschützte Fledermäuse, Otter, Schakale, Füchse, Rehe, Hirsche und Wildschweine.

Zum Schutz des lokalen Kulturerbes wurden 1965 zwei Museumsreservate eingerichtet – die Felskirchen von Iwanowo und die mittelalterliche Stadt Cherven –, die später in nationale Archäologieeservate umgewandelt wurden. Zusammen mit dem Naturpark Rusenski Lom bilden die Archäologieeservate ein

Luftaufnahme der Zitadelle von Cherven. Foto: I. Velikov, © Regionales Historisches Museum Russe.

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Der westliche Turm von Cherven.

Foto: S. TrifonovaKostadinova, © Regionales Historisches Museum Russe.

Virtuelle Rekonstruktion der Burg Cherven. Grafik: Tornado Studio, © Regionales Historisches Museum Russe.

abgegrenztes Schutzgebiet, in dem Besucher*innen verschiedene Aspekte des Kulturerbes präsentiert werden.

Die mittelalterliche Stadt Cherven

Die Felsen des Hügels Cherven eignen sich bestens für eine Besiedlung. Die früheste Befestigung wurde vom oströmischen Kaiser Justinian I. im 6. Jahrhundert errichtet, als er versuchte, barbarische Invasionen aus dem Norden aufzuhalten.

Die Festung wird erstmals unter dem Namen »Cherven« während des Aufstandes des bulgarischen Zaren Petar II Delyan (1040 –1041) erwähnt. Während des Zweiten Bulgarischen Königreichs (12. – 14. Jahrhundert) erreichte die mittelalterliche Stadt ihre größte Ausdehnung. Damals umfasste sie das gesamte Gebiet des Felsplateaus sowie den Fuß des Plateaus um den Fluss. Strategisch günstig im Tal des Cherni Lom gelegen, ist die Stadt nicht nur direkt mit dem königlichen Kloster »Hl. Erzengel Michael« in der Nähe von Iwanowo, sondern auch mit der mittelalterlichen Hauptstadt Tarnovo verbunden.

Im Jahr 1388 eroberten die osmanischen Türken Cherven und zwei Jahrhunderte später wurde die Stadt vom walachischen Prinzen Mihai Viteazul niedergebrannt. Die Bevölkerung der Stadt zog an

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den Fuß des Hügels und der Bischof von Cherven ließ sich in Russe nieder.

Im Laufe der Jahrhunderte beherrschte der Turm von Cherven die umliegende Landschaft. In den 1860er-Jahren inspirierte der Turm den Revolutionär Georgi Rakovski und den Reisenden Felix Kanitz. Im Jahr 1914 wurden die Ruinen der mittelalterlichen Stadt von dem Archäologen Karel Skorpil beschrieben.

Die ersten Ausgrabungen in Cherven fanden im Jahr 1910 unter Prof. Vasil Zlatarski statt. Seit 1961 werden unter der Leitung der Archäologen Violeta Dimova, Dimitar Ivanov, Dimitar Stanchev und Stoyan Yordanov vom Museum Russe jedes Jahr regelmäßig Ausgrabungen in der Stadt durchgeführt. Im Laufe von mehr als einem Jahrhundert haben die Archäologen die Burg von Cherven, große Teile ihres Befestigungssystems, ausgedehnte Wohngebiete innerhalb der Zitadelle und der Stadt, zwei befestigte unterirdische Wasserbrunnen, sechzehn Kirchen und zahlreiche Werkstätten für Eisenwaren, Töpferwaren und Schmuck freigelegt.

Beim Bau der Festung auf dem Cherven-Hügel in der Spätantike (6. Jh.) wurde das Westtor als rechtwinkliger Durchgang angelegt, der von einem Wachturm verteidigt wurde. In dieser Zeit begannen die Arbeiten zur Vertiefung des Grabens im Sattel (Bezeichnung für das Gebiet innerhalb der mittelalterlichen Stadt). Die Straße im Westen der Festung führte zum befestigten Brunnen am nördlichen Fuß des Hügels.

Im späten 12. bis Anfang des 13. Jahrhunderts wurde im Zuge des Wiederaufbaus der Festung von Cherven das alte westliche Befestigungstor neu gebaut. In seiner neuen Form wurde der Wachturm, der die Stadt von Westen her schützte, als dreistöckiges Bauwerk mit zwei Schießscharten von den Archäolog*innen rekonstruiert. Die Kampfplattform auf dem höchsten Punkt des Turms wurde mit einem Weg entlang der Zinnen der Festungsmauer verbunden. Die Plattform war über eine Steintreppe an der Innenseite des Turms erreichbar.

Der Turm von Cherven ist das Wahrzeichen der mittelalterlichen Stadt und gehört zu den am besten erhaltenen Beispielen der Verteidigungsarchitektur des mittelalterlichen Bulgariens. Nachdem er die verheerenden Auswirkungen der Zeit und der Menschen überstanden hatte, diente er 1933 als Modell für die Restaurierung des Baldwin-Turms in Tsarevets.

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Das Äußere der Felsenkirche »Heilige Mutter Gottes« bei Iwanowo.

Foto: M. Shekerova, © Regionales Historisches Museum Russe.

Virtuelle Rekonstruktion des Äußeren der Felskirche »Heilige Mutter Gottes« bei Iwanowo. Grafik: Tornado Studio, © Regionales Historisches Museum Russe.

Die Felskirchen von Iwanowo

Das Felsenkloster »Hl. Erzengel Michael« umfasst sechs Gebäudekomplexe, die in die Felsen des Flusstals des Rusenski Lom gehauen wurden. Es wurde in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts von einem Mönch namens Yoakim gegründet. Die Chroniken des Klosters berichten, dass er und seine drei Schüler vom bulgarischen Zaren Iwan Asen II. (1218 – 1241) besucht wurden, der den Ausbau des Felsenklosters finanziell unterstützte. Im Jahr 1235 wurde die Unabhängigkeit der bulgarischorthodoxen Kirche wiederhergestellt und Yoakim zum ersten Patriarchen von Tarnovo gewählt.

Die Verbindungen zwischen der bulgarischen Königsfamilie und dem Felsenkloster im Dorf Iwanowo prägten dessen weitere Entwicklung. Die Porträts der Stifter in den Kirchen »Hl. Erzengel Michael«, »Hl. Theodor Tiro und Hl. Theodor Stratelates« und der »Heiligen Mutter Gottes« zeigen die Bilder der bulgarischen Herrscher. Die Eroberung des bulgarischen Staates gegen Ende des 14. Jahrhunderts läutete für das Felsenkloster eine Zeit des Niedergangs ein.

Der hohe künstlerische Wert der erhaltenen Fresken hat dazu geführt, dass die Felsenkirchen von Iwanowo in die Liste des

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Die Fresken an der Decke der Felsenkirche »Heilige Mutter Gottes«.

Foto: S. Yordanov, © Regionales Historisches Museum Russe. Virtuelle Rekonstruktion der Fresken des Narthex der Felsenkirche »Heilige Mutter Gottes«. Grafik: Tornado Studio, © Regionales Historisches Museum Russe.

Virtuelle Rekonstruktion des Altarraums der Felsenkirche »Heilige Mutter Gottes«.

Grafik: Tornado Studio, © Regionales Historisches Museum Russe.

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UNESCO-Welterbes aufgenommen wurden.

Die Fresken der Kirche »Heilige Mutter Gottes« sind die am besten erhaltenen. Die beeindruckenden Gemälde, die vom Anfang des zweiten Viertels des 14. Jahrhunderts stammen, sind voller Figuren, die dynamische Gesten und Spannungen in ihrer Mimik zeigen. Sie gehören zum sogenannten paläologischen Stil, benannt nach der Dynastie der Paläologen, die zu dieser Zeit das byzantinische Reich regierten. Die Fresken zeichnen sich durch realistische Darstellungen, Eleganz, die Präsenz nackter menschlicher Körper, reiche architektonische und natürliche Hintergründe und eine große Anzahl von Details aus. Das wiederholte Auftreten von Szenen aus dem Leben der frühchristlichen Eremiten zeigt den Einfluss des Hesychasmus, dessen Anhänger durch Schweigen und Gebet die Einheit mit dem Herrn anstreben.

Die mittelalterliche Technik zur Herstellung dieser Fresken bestand im Verputzen von Felsoberflächen, gefolgt von einer Vorzeichnung mit einem Pinsel. Anschließend wurden die Hauptumrisse der Figuren und ihre Heiligenscheine mit einer Klinge eingeritzt. Die Gemälde sind komplex und vielschichtig und wurden offensichtlich nach festgelegten Arbeitsschritten ohne Improvisationsversuche hergestellt.

Das bulgarische Mittelalter als virtuelle Erfahrung

Die Rekonstruktion der bulgarischen Festungsanlagen und Siedlungen des Hochmittelalters (12. – 14. Jh.) stellte eine große Herausforderung dar, die sich vor allem aus dem Mangel an verfügbaren Beispielen für diese Architektur ergab. Die meisten Bauwerke aus dieser Periode der bulgarischen Geschichte sind schlecht erhalten und obwohl sie einige Informationen für die Planung bieten, muss die Grundlage für die Gestaltung dieser Bauwerke auf Material beruhen, das bei archäologischen Ausgrabungen entdeckt worden ist.

Der Gestaltungsprozess der virtuellen Umgebung begann mit dem Scannen der physischen Landschaft der Stätten – des gesamten Hügels von Cherven sowie des Innen- und Außenbereichs der Felsenkirche »Heilige Mutter Gottes«. Der mit Handscannern

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und Drohnen durchgeführte Scanvorgang ermöglichte eine präzise virtuelle Kontextualisierung für die nachfolgenden Rekonstruktionen. Diese Rekonstruktionen wurden im Einklang mit den Ideen von Dutzenden von Forschern der beiden Stätten entworfen, in der wissenschaftlichen Gemeinschaft veröffentlicht und diskutiert, und stützen sich auf mehr als ein Jahrhundert Arbeit. Die virtuellen Rekonstruktionen wurden in einen einzigen virtuellen Raum für jede der archäologischen Stätten integriert. Dazu wurde die Unreal Engine verwendet, die ein völlig freies und ungeschriebenes Verhalten jedes Nutzers der VR-Erfahrung ermöglicht.

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Geschichten aus der Vergangenheit: Digitale Reise in verlorene Welten

Die Autoren: Jonas Abele, Jacqueline Balen, Corina Borș, Szabolcs Czifra, Igor Dolinar, Szilvia Fábián, Leif Hansen, Cornel Ilie, Dragan Jovanović, Sarah Kiszter, Loránd Olivér Kovács, Jure Kusetič, Boštjan Laharnar, Andrew W. Lamb, András Markó, Richard Oľhava, Adrienn Pálinkás, Ivana Pantović, Ján Rákoš, Marta Rakvin, Saša Rudolf, Vesna Tratnik, Mihai Vasile, Iskren Velikov

Herausgeber: Andrew W. Lamb

Technische Redakteure Jure Kusetič, Saša Rudolf

Der Inhalt dieses Bandes wurde von den folgenden Institutionen

zur Verfügung gestellt:

Universalmuseum Joanneum, Österreich

Universität Wien, Österreich

Narodni muzej Slovenije (Slowenisches Nationalmuseum), Slowenien

Zavod za varstvo kulturne dediščine Slovenije (Institut für den Schutz des Kulturerbes von Slowenien), Slowenien

Magyar Nemzeti Múzeum (Ungarisches Nationalmuseum), Ungarn

Muzeul Național de Istorie a Romaniei (Nationalmuseum für rumänische Geschichte), Rumänien

Arheološki muzej u Zagrebu (Archäologisches Museum Zagreb), Kroatien

Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart, Deutschland

Gradski Muzej Vršac (Stadtmuseum Vršac), Serbien

Регионален исторически музей (Regionales Historisches Museum Russe), Bulgarien

Technická univerzita v Košiciach (Technische Universität Košice), Slowakei

Východoslovenské múzeum v Košiciach (Ostslowakisches Museum in Košice), Slowakei

Herausgegeben von: National Museum of Slovenia

Gestaltung und Layout des Bandes: Barbara Bogataj Kokalj

Druck des Bandes: Tiskarna Ekart d. o. o.

Druckauflage: 900

©Slowenisches Nationalmuseum

CIP - Katalogisierungsdatensatz zur Veröffentlichung

National- und Universitätsbibliothek, Ljubljana

903/904(4)

GESCHICHTEN aus der Vergangenheit : digitale Reise in verlorene

Welten/ [Autoren Jacqueline Balen ... [et al.] ; Herausgeber Andrew W. Lamb]. - Ljubljana : Slowenisches Nationalmuseum, 2022

ISBN 978-961-6981-63-7

COBISS.SI-ID 125030659

Archaeology Museum

Universalmuseum Joanneum, Eggenberger Allee 90, 8020 Graz, Austria

www.museum-joanneum.at

Hungarian National Museum

Múzeum krt. 14-16, 1088 Budapest, Hungary

www.mnm.hu

Technical University of Kosice

Letná 1/9, 040 01 Košice, Slovakia

www.tuke.sk

Rousse Regional Museum of History

Al. Battenberg Sq. 3, 7000 Ruse, Bulgaria

www.museumruse.com

National Museum of Slovenia

Prešernova cesta 20, 1000 Ljubljana, Slovenia

www.nms.si

Institute for the Protection of Cultural

Heritage of Slovenia | Poljanska cesta 40, 1000 Ljubljana, Slovenia

www.zvkds.si

National History Museum of Romania

Calea Victoriei 12, Bucharest, Romania

www.mnir.ro

State Office for Cultural Heritage BadenWürttemberg

Berliner Straße 12, Esslingen am Neckar, Germany

www.archaeologie-an-der-oberendonau.de/startseite

City Museum Vršac

Bulevar Žarka Zrenjanina 20, Vršac, Serbia

www.muzejvrsac.org.rs

Galery of the Archaeological Museum in Zagreb | Pavla Hatza 6, Zagreb

www.amz.hr

University of Vienna

Universitätsring 1, 1010 Vienna, Austria

www.univie.ac.at

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