Merz Akademie Hochschule für Gestaltung, Kunst und Medien, Stuttgart Teckstraße 58 70190 Stuttgart
Grzimeks Inszenierungsstrategien seiner literarischen und filmischen Tierwelt als Projektionsfläche menschlicher Aushandlungsprozesse Bachelor-Thesis
Vorgelegt von Daniela Buess Matrikelnummer 1316 Visuelle Kommunikation
Gutachter: Prof. David Quigley Eingereicht im Wintersemester 2013/14
Grzimeks Inszenierungsstrategien seiner literarischen und filmischen Tierwelt als Projektionsfläche menschlicher Aushandlungsprozesse Vorwort ..................................................................................................................................... 2 1. Hintergründe ................................................................................................................ 3 1.1 Biografische Hintergründe ..................................................................................... 3 1.1.1 Kindheit auf dem Land und Studium ......................................................... 3 1.1.2 Karriere beim Staat..................................................................................... 4 1.1.3 Der Frankfurter Zoo ................................................................................... 5 1.2 Grzimeks Afrikadokumentationen: Inhalt und Zweck ........................................... 6 1.2.1 Kein Platz für wilde Tiere .......................................................................... 6 1.2.2 Serengeti darf nicht sterben ........................................................................ 7 1.3 Gesellschaftliche und Politische Einordnung ......................................................... 8 2. Rollenverteilung ........................................................................................................... 9 2.1 Bestehende Stereotype ........................................................................................... 9 2.2 Umverteilung und neue Hierarchien .................................................................... 10 2.3 Ich Deutscher, wir Europäer und die Neger ......................................................... 11 2.4 Auch Tier ist nicht gleich Tier ............................................................................. 14 3. Vermischung der Grenzen ......................................................................................... 15 3.1 Wilde Zwergmenschen ......................................................................................... 15 3.2 Menschliche Tiere ................................................................................................ 16 3.2.1 Raumpolitik für das „Tiervolk“.................................................................. 16 3.2.2 Persönlichkeiten, Familien und Staaten ..................................................... 18 3.2.3 Gesellschaftsutopie ..................................................................................... 19 4. Afrika als Projektionsfläche mit Sinnfülle ............................................................... 21 4.1 Der Garten Eden ................................................................................................... 21 4.2 Apokalypse ........................................................................................................... 24 5. Die Rolle des Tierfilmers ........................................................................................... 25 5.1 Grzimeks Selbststilisierung .................................................................................. 25 5.2 Der Tierfilmer als Anwalt der Tiere ..................................................................... 26 5.3 Strategien des Tierfilms........................................................................................ 27 6. Schlussgedanken ......................................................................................................... 30 6.1 Grzimeks Erfolgsgeheimnis ................................................................................... 30 6.2 Grzimeks Aktualität im 21. Jahrhundert ................................................................ 31 Anhang: Ein Blick auf „den Tierfilmer von heute“ ............................................................... 32 Quellenverzeichnis ................................................................................................................. 38 1
Vorwort Bernhard Grzimek gilt als Pionier der Natur- und Tierschutzbewegung in Deutschland und hat sein ganzes Leben den Tieren verschrieben. Für seinen Einsatz für Tiere in erfolgreichen Büchern, populären Fernsehsendungen und preisgekrönten Kinofilmen wird er international bewundert und geliebt. Mit seinen beiden literarischen und filmischen Afrikadokumentationen „Kein Platz für wilde Tiere“ (1956)1 und „Serengeti darf nicht sterben“ (1959) trifft Grzimek in der jungen Bundesrepublik den Nerv einer Zeit, die im Zeichen der Veränderung steht. In seiner neuen Art von Expeditionsfilm erscheinen die tierischen Protagonisten plötzlich nicht mehr als wilde Bestien, sondern gewinnen mit ihren friedliebenden, „gutmenschlichen“ Eigenschaften Empathie und Herz des zivilisationskranken Zuschauers. Im Gegenzug kommt die Menschheit nicht besonders gut weg. Sie nimmt den Tieren ihren Platz und stellt sich über die „Gesetze der Schöpfung“. Von Mensch zu Mensch scheint es allerdings Unterschiede zu geben und auch unter den Tieren finden sich hierarchische Strukturen. Afrikas vielseitige Landschaften, seine Geschichte als Ursprungsort der Menschheit und die religiöse Sinnfülle bieten Grzimek viel Potential für seine dramatische Geschichte eines dem Untergang geweihten Paradieses auf Erden. Als anerkannter Zoologe und Verhaltensforscher hat Grzimek keine Probleme, seine Tierdokumentationen trotz Spielfilmdramaturgie glaubwürdig zu machen. In der Rolle des Tierfilmers stilisiert er sich selbst als Vermittler zwischen Tier und Mensch und ebnet den Weg für ein neues Bewusstsein für eine schützenswerte Natur und ihre Bewohner. Mittlerweile ist Bernhard Grzimek verstorben und Themen wie Umweltbewusstsein und Nachhaltigkeit werden weltweit längst als absolute Notwendigkeit diskutiert. Lohnt es sich denn nun wirklich, den alten Professor wieder auszugraben? Das war doch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine ganz andere Zeit, eine ganz andere Generation. Sind Grzimeks Ansichten und Methoden nicht mittlerweile ein alter Hut und längst überholt? Die vorliegende Arbeit geht dieser Frage auf den Grund.
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Das gleichnamige Buch Kein Platz für wilde Tiere erscheint bereits zwei Jahre vor dem Film im Jahr 1954 als Reisebericht.
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1. Hintergründe 1.1 1.1.1
Biografische Hintergründe Kindheit auf dem Land und Studium
Geboren im Jahre 1909 im oberschlesischen Neisse verbringt Bernhard Grzimek einen Großteil seiner Kindheit auf dem Bauernhof des Großvaters, wo er das Landleben genießt und früh seine Schwäche für Tiere entdeckt. Schon als Schüler wird er Mitglied im Kleintierzuchtverein und vertreibt sich mit der Haltung von Zwerghühnern die Zeit. Wie sehr manche Menschen ihre Haustiere verhätscheln, kann er nicht nachvollziehen. Tiere sind für ihn zum reinen Nutzen da.2 In der Schulzeit schreibt er immer wieder kleinere Artikel über die Hühnerzucht und veröffentlicht sein erstes Buch – einen „Taschen-Zwerghühner-Atlas“. Nach der Schule beginnt er ein Studium der Veterinärmedizin, bewirtschaftet nebenher das Bauerngut seines Vetters zweiten Grades und richtet dort eine Hühnerfarm ein. Nach dem frühen Tod seines Vaters kümmert sich ein katholischer Geistlicher als Freund der Familie um Mutter Grzimek und ihre Kinder. Die Mönche vom Klosterinternat sind der Familie während des ersten Weltkrieges eine große Stütze. Bernhard liebt und bewundert seine strenggläubige Mutter sehr. Erst nach ihrem Tod tritt er aus der Kirche aus, deren katholischer strenger Werte er im Laufe seines Lebens nicht immer gerecht werden kann. So geht er während seiner Ehe immer wieder andere Liebschaften ein und führt lange Zeit ein Doppelleben mit seiner Geliebten, von der er sogar zwei Kinder bekommt. Trotz seiner katholisch geprägten Kindheit bezeichnet er sich später selbst als „überzeugten Atheisten“.3 Im Alter von 21 Jahren reist der Hühnerexperte Grzimek im Auftrag des preußischen Landwirtschaftsministeriums für mehrere Wochen nach Amerika, wo er sich die Organisation der dortigen Geflügelfarmen ansehen soll. Wie in jeder neuen Stadt besucht er in New York City als erstes den hiesigen Zoo, der ihn jedoch – genau wie die gewaltige Skyline – wenig beeindrucken kann. Auch von den glorreichen Zwanzigern ist nach dem Börsencrash nicht mehr viel zu sehen. Als Landmensch kann Grzimek der Großstadt sowieso nicht viel abgewinnen. Im Studium steigt sein Interesse für die Tierpsychologie und die Verhaltensforschung. So schafft er sich immer exotischere Tiere aus der Zoohandlung an, an denen er kleine Verhaltensexperimente durchführt. Ende 1932 kann Grzimek sein Studium erfolgreich als fertiger Tierarzt abschließen.
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Vgl. hierzu und für ausführlichere Einblicke in Bernhard Grzimeks Leben Claudia Sewig, Der Mann der die Tiere liebte, Bergisch Gladbach 2009, S.36. 3 Ebd., S.72.
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1.1.2
Karriere beim Staat
Mit dem Aufstieg der NSDAP zur Massenpartei werden auch die Universitäten zunehmend politisch. Die landwirtschaftlichen und veterinärmedizinischen Fakultäten sind meist stark rechts gesinnt. Bei der Machtergreifung Hitlers 1933 ist Bernhard Grzimek 24 Jahre alt. Sein Beitritt in die SA, später auch in die NSDAP, verhilft dem jungen promovierten Tierarzt zu einer Stelle im Preußischen Landwirtschaftsministerium.4 Er arbeitet fortan als Sachverständiger und schafft es später bis zum Regierungsrat. Nebenher eröffnet er eine eigene Kleintierpraxis. Grzimeks Parteimitgliedschaft ist ihm später so hinderlich, dass er sie sogar unter Meineid leugnet. Es gibt jedoch Dokumente, in denen er seinen Beitritt eigenhändig unterschrieben hat.5 Im Herbst 1939 wird Grzimek zum Dienst in der Wehrmacht eingezogen und ist beim Einmarsch in Polen dabei. Die Geschehnisse des Krieges gehen allerdings weitgehend an ihm vorbei. Er kümmert sich lediglich um die Versorgung der Reit- und Beutepferde, bekommt regelmäßig mehrwöchige Urlaube, um im Ministerium zu arbeiten und wird bereits im Sommer 1940 wieder aus dem aktiven Wehrdienst entlassen. Weitab von der Front erforscht er danach in verhaltenspsychologischen Experimenten den Orientierungssinn von Pferden. Als der Krieg dem Ende zugeht, desertiert Grzimek und flieht aufs Land. Die Verhaltensforschung ist für Grzimek auch außerhalb des Ministeriums von immer größerem Interesse. Nachdem die Familie Grzimek bereits ein Schimpansenkind in der Familie aufgenommen hat, zähmt sich Bernhard nun einen jungen Wolf, den er für Leni Riefenstahls Verfilmung einer Oper dressieren soll (TIEFLAND, D 1954, Dreharbeiten 19401944). Für die Dreharbeiten kommt er für einige Wochen ins Ausland, wo der Krieg noch keine Spuren hinterlassen hat. Arglos lässt sich Grzimek auf eine wohl nicht nur rein berufliche Beziehung mit Leni Riefenstahl ein, deren Nähe zu Hitler damals schon kein Geheimnis ist. Die Politik interessiert Grzimek vordergründig reichlich wenig. Wenn es seiner Karriere und seinen Zielen dient, lässt er allerdings gerne politische Beziehungen spielen und wechselt schon mal die „Gesinnung“. So lässt er sich vor Gericht von Freunden eine Sozialdemokratische Verbindung bezeugen, als es nach dem Krieg darum geht, seinen Posten als Direktor des Frankfurter Zoos gegen Vorwürfe einer Nazigesinnung zu verteidigen.
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Vgl. ebd., S.53. Vgl. ebd., S.56.
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Obwohl man Grzimek eher als typischen Mitläufer und nicht als begeisterten Anhänger der nationalsozialistischen Ideologie betrachten kann, ist es schwer, seine späteren Arbeiten von der Gedankenwelt des Faschismus zu trennen. So vertritt Grzimek beispielsweise in den 50er Jahren, als man sich weit verbreitet vor der drohenden Überbevölkerung fürchtet, einige fragwürdige Ansichten. Er befürwortet die Sterilisation von Menschen, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit Krankheiten oder Missbildungen vererben würden. Die von den Nazis praktizierte Euthanasie von „Geisteskranken“ empfindet er als Erlösung von einem nicht lebenswerten Leben.6 Aus evolutionslogischer Sicht seien dies sowieso diejenigen, die in einer natürlichen Auslese durchs Raster fielen. So sehr er diese Überzeugungen mit wissenschaftlichen Argumenten vertritt, so kommt man doch nicht umhin, das nationalsozialistische Gedankengut einer Säuberungsideologie herauszuhören.
1.1.3
Der Frankfurter Zoo
Nach dem Krieg steckt Bernhard Grzimek viel Energie in den Wiederaufbau des Frankfurter Zoos, der bereits wenige Monate nach Kriegsende wieder eröffnen kann. Da der Tierbestand des Zoos durch den Krieg deutlich dezimiert ist, geht er deutschlandweit auf „Tierfang“, klappert Zoos und Zirkusse besonders nach exotischen Exemplaren ab. Schon damals ist ihm das Wohl seiner Tiere wichtiger als das der hungernden Bevölkerung, vor der er die großen Mengen Tierfutterfleisch verheimlichen muss. Mit Attraktionen wie einem Theater, einer Achterbahn, Zirkusvorstellungen und Feuerwerk lockt Grzimek immer mehr Besucher in den Zoo. Der Theatersaal wird tagsüber als Kino genutzt und mit steigenden Besuchereinnahmen werden schließlich sogar Erweiterungen vorgenommen. Unterdessen finden immer mehr Wildtiere den Weg in den Zoo und in Grzimeks Wohnung. Wegen seiner Mitgliedschaft in der NSDAP wird Bernhard Grzimek 1948 von seinem Posten als Zoodirektor suspendiert, aufgrund mehrerer Zeugenaussagen allerdings schlussendlich freigesprochen. In dieser Zeit ist er sehr medienpräsent und treibt seine Nebentätigkeit als Autor voran. Er publiziert zahlreiche Artikel in Fachzeitschriften, schreibt Bücher und äußert sich in kleinen Filmbeiträgen. Unterdessen kommt sein Sohn Michael in ein Alter, in dem man berufliche Weichen stellt. Seinen ersten Film dreht dieser über das Zooleben am Arbeitsplatz seines Vaters. Der Film wird daraufhin an zahlreichen Schulen gezeigt. Schon damals haben die Grzimeks den Drang, ihr Knowhow über die Tiere weiterzugeben und wissen die Verbindung von Unterhaltung und Bildung im Tierfilm zu nutzen. 6
Vgl. ebd., S.88f.
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1.2
Grzimeks Afrikadokumentationen: Inhalt und Zweck
1.2.1 Kein Platz für wilde Tiere Anfang 1951 reisen Vater und Sohn Grzimek zum ersten Mal für drei Monate nach Afrika, um die Verwandtschaft ihrer Zooschützlinge in Freiheit zu sehen. Durch die wachsende Bevölkerung und deren raumgreifende Besiedelung der Erde – so fürchten sie – wird der Anblick von Tieren in der Wildnis in Zukunft immer seltener werden. Auf ihrer Expedition steht das Beobachten und Filmen der wilden Tiere im Vordergrund. Schnell spricht sich herum, dass der weiße Doktor Geld für Tiere bezahlt und so werden nebenbei auch ein paar neue Exoten für das erweiterte Zoogelände erworben. Zurück in Deutschland nutzt Grzimek die Gelegenheit, um in einigen Vorlesungen im Fach Tierpsychologie an der Universität junge Menschen für die Tierwelt zu sensibilisieren. Für seinen Zoo wird Grzimek ein Okapi versprochen, eine sehr seltene Waldgiraffe, die er 1954 zusammen mit seinem Sohn auf einer weiteren Reise in den Belgischen Kongo abholen will. Immer auch auf der Suche nach weiteren Zooanwärtern saugen sie alle Eindrücke auf und halten die imposanten Bilder mit der Kamera fest. Über ihre abenteuerliche Reise veröffentlicht Bernhard Grzimek den Reisebericht Kein Platz für wilde Tiere. Für den gleichnamigen Film kehren Vater und Sohn ein Jahr später extra mit einem Filmteam zurück. Als frischgebackener Abiturient gründet der filmbegeisterte Michael Grzimek noch im selben Jahr zusammen mit seinem Vater die OKAPIA KG als Produktionsfirma für Dokumentarfilme. Überzeugt davon, dass die Massenmedien mehr Menschen ansprechen als ein Buch, beschließen Vater und Sohn, sich an einen abendfüllenden Kinofilm heranzuwagen. In dieser Zeit ist Bernhard Grzimek bereits international bekannt. Der Wiederaufbau des Frankfurter Zoos und sein Engagement im deutschen und internationalen Zoodirektorenverband sowie seine viel publizierten Afrikaberichte garantieren ihm eine stetige Medienpräsenz. Mit ihrem Film sind die Grzimeks nicht die ersten, die das Kinopotenzial des Tierfilms erkannt haben. Direkte Konkurrenz bietet kein geringerer als Walt Disney, der mit GEHEIMNISSE DER STEPPE ebenfalls Afrikas Tiere zeigt und schon 1953 mit dem Dokumentarfilm DIE WÜSTE LEBT einen Oscar gewonnen hatte. Doch trotz der großen Konkurrenz gewinnt KEIN PLATZ FÜR WILDE TIERE auf den Berliner Festspielen zwei Goldene Bären, den Bundesfilmpreis und wird anschließend in der ganzen Welt ausgestrahlt. 6
Der Film fügt sich in eine Zeit, in der das Thema Überbevölkerung weit verbreitet Angst auslöst. KEIN PLATZ FÜR WILDE TIERE zeichnet die Menschheitsgeschichte kulturpessimistisch als Verfallsszenario, in dem der Mensch erst die Tierwelt und in letzter Konsequenz schließlich sich selbst ausrottet. Grzimeks Botschaft ist klar und eindringlich: Der sich dramatisch mehrende Mensch vertreibt die wilden Tiere aus ihren Schutzgebieten und zerstört die letzten natürlichen Paradiese dieser Erde. Mit der traurigen Feststellung, dass es bald keinen Platz mehr für wilde Tiere geben wird, setzt sich Grzimek eine neue Mission in den Kopf: Diesen Platz irgendwo zu schaffen und zu verteidigen.
1.2.2
Serengeti darf nicht sterben
Beflügelt vom überraschenden Erfolg des Films macht Grzimek in Frankfurt den ersten Versuch, seine Vision in die Tat umzusetzen. So schmiedet er dort konkrete Pläne für einen weitläufigen Safaripark, in dem die Tiere nach dem Prinzip der amerikanischen und afrikanischen Nationalparks viel Platz haben und die Besucher in Autos herumgefahren werden sollen. Die dafür vorgesehenen Gelände werden jedoch schließlich anderweitig genutzt. Nachdem aus dem Wildtierreservat in Frankfurt nichts wird, versucht Bernhard Grzimek schließlich, den Direktor des 1951 gegründeten Serengeti-Nationalparks für seine Pläne zu gewinnen. Weil die Grenzen des Parks enger gezogen werden sollen, beauftrag dieser ihn stattdessen mit der Zählung und Beobachtung der großen Tierherden, um einen Überblick über deren Gewohnheiten und Wanderwege zu bekommen. Finanziert durch die unerwartet hohen Einnahmen ihres Filmes folgen die Grzimeks der Einladung und fliegen 1959 schließlich mit einem eigenen Flugzeug ins Herz des „dunklen Kontinents“, wo sich der Nationalpark auf der Fläche von Kenia bis zum heutigen Tansania erstreckt. Mit einem kleinen Team markieren die Grzimeks die Tiere am Boden, filmen und zählen sie aus der Luft. Geplant ist, den östlichen Teil des Serengeti-Nationalparks an die dort beheimateten Massai abzutreten und den Tieren stattdessen im Norden ein kleineres Stück Land hinzuzugeben. Erst mit den Erkenntnissen der Grzimeks steht fest, dass die großen Herden in den Osten wandern, um nahrhafte Futterpflanzen zu finden, die es anderswo nicht gibt. Eine Umlenkung der Herden in den Norden durch eine künstliche Grenze würde also im Sinne der Tiere nicht funktionieren. Für den Natur- und Artenschutz und die Erhaltung der ursprünglichen Grenzen müssten diese auch zuverlässig Menschen, im Besonderen die Massai fernhalten. Mit dem Nationalpark scheint Grzimek in den Weiten der Serengeti seinen „Platz 7
für wilde Tiere“ gefunden zu haben. Um an den Erfolg ihres ersten Kinofilms anzuknüpfen, dokumentieren die Grzimeks ihre Arbeit und Eindrücke wieder mit der Kamera. Als Michael Grzimek bei einem Flugzeugabsturz tödlich verunglückt, sind die Dreharbeiten fast fertig. Vater Grzimek stellt den Film schließlich fertig. SERENGETI DARF NICHT STERBEN schafft es als „wertvoller“ Kulturfilm in die Kinos von sechzig Ländern und bekommt als erster deutscher Film und bisher einziger deutscher Dokumentarfilm sogar einen Oscar. Bernhard Grzimek wird später von Bundeskanzler Willy Brandt zum ersten Bundesbeauftragten für Naturschutz berufen. Der Serengeti-Nationalpark ist heute eines der größten und bekanntesten Wildtierreservate der Welt und seit 1981 Teil des UNESCO Weltnaturerbes.
1.3 Gesellschaftliche und Politische Einordnung Grzimeks beiden Bücher und gleichnamigen Filme KEIN PLATZ FÜR WILDE TIERE und SERENGETI DARF NICHT STERBEN sind zeitgeschichtlich in die Ära der jungen Bundesrepublik einzuordnen – eine Zeit des materiellen wie emotionalen Wiederaufbaus nach dem zweiten Weltkrieg, der Deutschland und die Welt in Trümmern, Erschütterung und Ratlosigkeit zurücklässt. Was bleibt ist die Erkenntnis über die Sinnlosigkeit des Krieges und der Blick in eine ungewisse Zukunft. Mit der Einbindung in das westliche Wirtschaftssystem und der Unterstützung durch das große Vorbild der Vereinigten Staaten gelingt mit dem sogenannten Wirtschaftswunder die überraschend schnelle wirtschaftliche Rehabilitation. Im Windschatten der USA beginnt in Deutschland eine regelrechte ökonomische Aufholjagd. Nach dem bösen Erwachen muss das Land nun auch mit der geistigen und emotionalen Aufarbeitung beginnen. Mit der Entnazifizierung werden sämtliche Werte und Normen hinterfragt. Deutschland steckt in einer Identitätskrise und muss sich und seinen Platz in der Welt hinterfragen und neu definieren. Mit Hilfe seiner literarischen und filmischen Werke entflieht Bernhard Grzimek dieser Zeit und verfolgt eine Mission auf ganz anderem Terrain. Die Tendenz und Bereitschaft zum Umdenken zu Hause nutzt er, um auch das Bild Afrikas und seiner wilden Tiere neu zu interpretieren. So fern der exotische Kontinent auch räumlich erscheinen mag, ideell gesehen eignet er sich vielleicht gerade deshalb besonders als Projektionsfläche für eine Nation, die ihre Rolle in der Welt neu verhandeln muss.
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2. Rollenverteilung Grzimeks abendfüllende Filme erscheinen im Vergleich zu seinen gleichnamigen Büchern nicht nur zeitlich, sondern vor allem thematisch und ideologisch komprimiert. Primärziel der Filme ist, ein breites, vorwiegend europäisches Publikum für die afrikanische Tierwelt und deren Erhalt zu sensibilisieren. Dementsprechend kinogerecht gestalten sich die Szenen oft dramaturgisch sensationell und fantastisch. Gesellschaftlich-ideologische und politische Gehalte, deren Vermittlung für Grzimek als Biologe und Wissenschaftler in einem Tierfilm eigentlich keine große Rolle spielen sollte, kommen dabei in den Filmen deutlich weniger zu Tage als in den gut 600 Seiten Reisebericht, wo sie doch deutlich herauszulesen sind. Die Kernbotschaft wird sowohl in den Büchern als auch in den Filmen klar: Der Mensch ist mit seinem unersättlichen Drang nach Fortschritt für das Sterben der wilden Tiere Afrikas verantwortlich. Grundsätzlich scheinen die Rollen klar verteilt zu sein: Das Tier ist der Freund, der Mensch ist der Feind. Ganz so pauschal lassen sich die Grenzen allerdings auf den zweiten Blick nicht ziehen. Tiere wie Menschen unterliegen auch bei Grzimek einem verworrenen Wertesystem, in dem Hierarchien und Diskriminierungen ausgefochten werden. Hier ist Mensch nicht gleich Mensch und Tier nicht gleich Tier und selbst Löwe nicht immer gleich Löwe.
2.1
Bestehende Stereotype
Die damalige Sicht auf Afrika ist heute wenig nachvollziehbar. Auf ersten Expeditionen ins geheimnisvolle Innere des Kontinents entpuppt sich die Wildnis als widerspenstiges Hindernis auf kolonialen Eroberungsreisen. Die undurchdringliche Natur, feindliche Stämme und tödliche Krankheiten verwandeln Afrika in einen „dunklen Kontinent“, den es zu beherrschen gilt und in dem sich der weiße Mann als Held bewähren kann.7 So etabliert sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts das negative Bild einer chaotischen Natur und ihrer gefährlichen tierischen wie menschlichen Bewohner. Die Eingeborenen gelten als zurückgeblieben, woraus sich der imperialistische Glaube an eine rassische Überlegenheit erwächst. Bis zum ersten Drittel des 20. Jahrhunderts inszenieren auch Kolonialliteratur, Expeditions- und Jagdfilme ein stereotypes Bild von wilden Bestien und unzivilisierten Menschen. Der Imperialismus versteht die afrikanische Wildnis als Ort des Kampfes ums Überleben, wo Darwins Gesetze des Stärkeren herrschen. Aus diesem Grundgedanken nährt
7
Vgl. hierzu Franziska Torma, Eine Naturschutzkampagne in der Ära Adenauer. Bernhard Grzimeks Afrikafilme in den Medien der 50er Jahre, München 2004, S.25ff.
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der Großwildjäger sein Selbstverständnis, sich in einer hierarchisch aufgebauten Natur als letztes „stärkstes“ Glied zu behaupten.8 Lange schließt „das Wilde“ nicht nur exotische Tiere, sondern auch die dort lebenden Menschen mit ein. Mit dieser Gleichsetzung von Mensch und Tier kann die Jagd auf wilde Tiere gleichzeitig auch als Ausdruck des europäischen Überlegenheitsgefühls über die Kolonisierten gesehen werden.9 Für den „modernen“ Menschen, der keine Völker mehr unterdrücken will, bildet die Jagd auf die einheimischen Tiere ein legales und moderates Mittel, sein Revier zu markieren und weiterhin für koloniale Machtverhältnisse zu sorgen. Für Grzimek hingegen bildet die Jagd zum Vergnügen das größte Übel des menschlichen Feldzuges gegen die wilden Tiere. Das Thema Jagd und Wilderei ist ihm sowohl im Buch als auch im Film „Kein Platz für wilde Tiere“ eines seiner größten Anliegen. Seine Abneigung geht sogar soweit, dass er mit seinem Filmteam selbst Wilderer aufspürt und ihre Schlingen und Fleischvorräte verbrennt. Dabei verurteilt Grzimek nicht den Jäger, der sein Revier hegt und seine Tierbestände im Gleichgewicht halten will. In diesem Fall sei das Schießen „wohl ein notwendiges Übel wie das Schlachten der Rinder. In Übersee sind aber die wenigsten Jäger so weidgerecht wie in Nordeuropa.“10 Weiter zitiert er in „Kein Platz für wilde Tiere“ verachtend Passagen aus damals brandaktuellen Büchern von Hobbyjägern, die detailliert die Faszination des Tötens von Tieren beschreiben und mit ihrer Selbstinszenierung als Helden in der Wildnis ein imperialistisches Bild von Afrika propagieren.11 Bernhard Grzimek hingegen scheint sich in der Gruppe der Kamerajäger deutlich wohler zu fühlen, die die Tiere auf friedliche Art „schießen“ und ihnen dabei mit der Kamera oft näher kommen als ihre „Namensvettern“ mit Gewehr. Wie wir später sehen werden, kann sich Grzimek im Gegensatz zur Großwildjagd gegenüber dem Kolonialismus zu keiner eindeutigen Haltung durchringen.
2.2
Umverteilung und neue Hierarchien
Heute im 21. Jahrhundert, in dem fast überall ein gewisses Umweltbewusstsein herrscht und Nachhaltigkeit als Ziel nicht mehr zur Diskussion steht, hätte Grzimek leichtes Spiel gehabt. In unseren Augen sind seine Visionen einer schützenswerten Natur und Tierwelt ein alter Hut. Auch das Endzeitszenario vom Menschen, der sich selbst zerstört, das Grzimek heraufbeschwört, ist heute hochaktuell. In den 50er Jahren allerdings ist die Bevölkerung eigentlich mit sich selbst beschäftigt und wenig sensibilisiert für Themen wie Naturschutz und 8
Vgl. ebd., S.145f. Vgl. ebd., S.151. 10 Bernhard Grzimek, Kein Platz für wilde Tiere, München 1954, S.73. 11 Vgl. ebd. S.74ff. 9
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nachhaltiges Ressourcenmanagement. Im Gegenteil: Aus den dunklen Schatten der Vergangenheit erwacht eine überraschend boomende Wirtschaft und schenkt den Menschen neu entfachten Optimismus. Dennoch scheinen die Menschen gerade in dieser Zeit nicht unempfänglich für Umbrüche und Umdenken. Sämtliche nationalsozialistischen Werte und Normen haben sich als Trugbilder entpuppt. Grzimek trifft auf ein lernwilliges Publikum, das sich von vielen alten Idealen verabschiedet hat und sich nach einem Schlussstrich sehnt. Diese Umbruchsstimmung nutzt er, um auch das imperialistische Weltbild und das Verhältnis vom Menschen zur Natur und ihren Bewohnern infrage zu stellen. Anfang der 50er Jahre sorgt Walt Disney mit seinem oscarprämierten Kinofilm DIE WÜSTE LEBT für einen Wandel im Tierfilmgenre. In paradiesischen Bildern einer friedlichen Natur ertränkt er die alten kolonialen Klischees. Während Disney seine Idylle nicht mit dem moralischen Zeigefinger zerstören will, hat Grzimek größeres im Sinn. Auch er zeigt in seinen Filmen eine heilige unberührte Natur als einen idealen Ort des harmonischen Miteinanders, das sich in einem ewigen Kreislauf regeneriert. Doch der Mensch, wenn er sich nicht unterordnen kann, widersetzt sich den Gesetzen der Natur und gefährdet die Harmonie. Die schlimmsten Vergehen sind Wilderern und Trophäenjägern anzukreiden, die aus sicherer Entfernung in die Ecke getriebene Tiere erschießen oder nach wertvollem Elfenbein und Nashörnern trachten. So verdreht Grzimek die imperialistische Rollenverteilung und zeichnet ein Gegenbild, in dem das Tier plötzlich das Opfer ist und Wilderer, Großwildjäger und Safaritouristen als deren karikativer Abklatsch zum Feind mutieren. In seiner Argumentation weitet Grzimek diese direkte Bedrohung weiter aus auf den Menschen generell, der sich über die Schöpfung stellt und alles um sich herum ohne Rücksicht auf Verluste einzunehmen versucht. Auch der Begriff des Kolonialismus erfährt bei Grzimek eine plötzliche Entwertung und wird weniger in seinen Methoden als vielmehr in seinen Errungenschaften speziell auf dem „dunklen Kontinent“ hinterfragt und kritisiert.
2.3
Ich Deutscher, wir Europäer und die Neger
Vordergründig zieht Grzimek die gesamte Gattung Mensch zur Verantwortung für das Sterben der wilden Tiere in Afrika. Im speziellen Diskurs um Afrika ist ihm aber vor allem die Zivilisierung der Afrikaner ein Dorn im Auge. Der Urkontinent Afrika soll gefälligst ursprünglich bleiben, das gilt nicht nur für Tiere, sondern auch für dessen menschliche Bevölkerung. Die Afrikaner sollen nicht auf den Zug der Zivilisation aufspringen, Krankheit und Tod bilden seit jeher eine natürliche Regulierung der Bevölkerungszahl. Dabei soll es für Grzimek auch bleiben. 11
Mit offenem Zynismus und unterschwelligem Rassismus, der nicht nur dem damaligen Sprachgebrauch geschuldet ist, formuliert Grzimek die unterschiedlichen Stufen in seiner Menschenhierarchie. „Die meisten afrikanischen Staaten und Kolonialmächte strengen sich ehrlich an, das Los der Neger zu verbessern und sie zu vermehren – schon weil Arbeitskräfte für Plantagen, für Bergwerke und neue Industrien in ganz Afrika knapp sind. Die Schwarzen werden in den Stationen kostenlos behandelt und geimpft. Bildplakate klären auf, wie man Bilharziose oder Schlafkrankheit vermeidet. Die Arbeiter werden besser genährt. Kriegführen ist verboten. Schon können die meisten Kolonien stolz eine Zunahme ihrer Bevölkerung melden.“12 Gleichzeitig erhebt er die Tsetsefliege als Überträger der Schlafkrankheit in den Status einer Nationalheldin, die in diesen „beneidenswerten Malaria- und Schlafkrankheitsparadiese(n)“13 Dank mangelnder Aufklärung und medizinischer Versorgung das Bevölkerungswachstum reguliert. Weder die Ansichten über die Tsetsefliege noch der rassistische Anklang aus seinem ersten Buch sind im späteren Film zu sehen oder hören. Auch in seinem fünf Jahre später erscheinenden zweiten Buch rudert er deutlich zurück, fast als müsse er etwas korrigieren. Vielleicht hat ihn die Zeit und die Auseinandersetzung mit sich selbst und mit seinem Bild der afrikanischen Bevölkerung zum Überdenken alter Vorurteile und Denkmuster bewegt. So bekennt er in Serengeti darf nicht sterben wörtlich: „Für mich ist ein Neger ein gleichberechtigter Mensch und Bruder.“14 An vielen Stellen betont er explizit, dass wir Weißen uns eigentlich nur durch die Hautfarbe von den Einwohnern Afrikas unterscheiden. Zumindest gebe es keine wissenschaftlichen Hinweise darauf, dass dem anders sein könne. Aus biologischer Sicht ließen sich keine Unterschiede feststellen, die eine mindere Intelligenz begründen würden. „Neger haben im Durchschnitt ein etwas kleineres Gehirn (1315 Gramm) als Europäer (1360 Gramm) – das hört jeder Weiße sehr gern. Hinzufügen muß man dann, daß das Gehirn der Chinesen durchschnittlich mehr wiegt als das unsere (1430 Gramm). Mit Intelligenz hat weder das eine noch das andere etwas zu tun, denn die Zahl der Gehirnzellen, auf die es ankommt, sind bei den drei Rassen gleich, nämlich fünfzehn Milliarden.“15 Eine rassistische Haltung lehnt Grzimek also vehement ab. Dabei bemüht er sich, rein wissenschaftlich zu argumentieren. „Ich bin kein Politiker, sondern ein Biologe. Nur als solcher habe ich etwas zu dem Problem Schwarz und Weiß zu sagen.“16
12
Ebd., S.14f Ebd., S.27. 14 Bernhard Grzimek, Serengeti darf nicht sterben. 367 000 Tiere suchen einen Staat, Berlin 1959, S.166. 15 Ebd. S.165. 16 Ebd. S.164. 13
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Primitiv erscheinende Haltungen und Reaktionen seien der Erfahrung zuzusprechen, derer es den afrikanischen Völkern gegenüber den Europäern mangele. Es gehe folglich lediglich darum, die Afrikaner vor Fehlern zu bewahren, die sich nicht wiederholen sollten. Anhand seiner folgenden Gedankengänge aber stellen wir fest, dass Grzimek diese Haltung im Grunde nur klar gegenüber den wilden Tieren vertreten kann. So wünscht er sich offenkundig mehr Aufklärung in der afrikanischen Bevölkerung über den Wert ihrer tierischen Schätze. Die nomadischen Massai-Krieger beispielsweise kritisiert er für ihre engstirnige, egoistische und wenig nachhaltige Lebensart. „Diese wandernden Hirten […] sperren den großen Gnu-Herden in der Trockenzeit die letzten Wasserlöcher ab. Sie schlagen die wenigen Bäume und das Buschwerk um die Quellen nieder, weil sie daraus als Nomaden immer wieder hohe Dornenwälle um ihre Rastplätze bauen müssen. So bringen sie die letzten Quellen zum Versiegen und vernichten ihre eigene Zukunft. Aber welches schwarze oder weiße Hirtenvolk hätte sich schon über das fernere Schicksal seiner Heimat Gedanken gemacht.“17 Gleichzeitig aber sollen doch bitte die Afrikaner in anderen Belangen so primitiv denken wie bisher und nicht auf den Zug der Aufklärung aufspringen. So scheint es, als könne sich Grzimek nicht zu einer einheitlichen Haltung gegenüber kolonialen Bewegungen durchringen. Immer wieder verstrickt er sich in widersprüchliche Äußerungen. So verurteilt er den mit der Zivilisierung Afrikas einhergehenden Fortschritt der Schwarzen und deren Verdrängung der afrikanischen Fauna zutiefst. An anderer Stelle zeigt er sich wiederum erstaunlich neutral, mehr interessiert als vorwurfsvoll gegenüber den zurückliegenden Feldzügen europäischer Kolonialherren.18 Je nachdem, welche „Spezies“ inwiefern betroffen ist, wechselt Grzimek die Fronten. Über die Massai beispielsweise sagt er: „Jahrhunderte lang haben sie die Weidegebiete in Schrecken gehalten, bis endlich die Kolonialregierung ihren Übermut dämpfte. Sie halten sich für das auserwählte Volk Gottes und für weit überlegen allen Schwarzen und Europäern, auf die sie mit Hochmut herabsehen.“19 Waffen, Medikamente und Autos, wie die Europäer sie haben, sollen die Afrikaner nicht bekommen, dafür aber die Augen moderner Tierschützer und deren Verständnis von Nachhaltigkeitsprozessen. Er selbst macht von zivilisatorischen Errungenschaften jedenfalls auch in Afrika gerne einmal praktischen Gebrauch, etwa wenn sein Auto Ersatzteile braucht oder bei einem heißen Bad in der Badewanne. Auch als sein Sohn während der Markierung von Tieren in der Serengeti einen Unfall hat, ist er froh an seinem kleinen Flugzeug, das sie beide schnell und sicher ins nächste Krankenhaus bringt. 17
SERENGETI DARF NICHT STERBEN, R: Bernhard Grzimek. D 1956, ab TC: 00:15:13. Vgl. Grzimek, Serengeti darf nicht sterben, S.108f. 19 SERENGETI DARF NICHT STERBEN, ab TC: 00:14:51. 18
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Ob die Europäer nun ihren Erfahrungsschatz an die afrikanischen Völker weitergeben sollten oder nicht, darüber scheint sich Grzimek selbst nicht klar zu sein. Als Deutscher hat er schließlich einiges an Kriegserfahrung, die man jedem Volk eigentlich ersparen will. Auch ist Deutschland ist zu dieser Zeit selbst eine junge Demokratie, die sich nicht aus eigener Kraft aus Hitlers Diktatur befreien konnte und die erst noch beweisen muss, dass sie zu einer gesunden Selbstständigkeit fähig ist. In Serengeti darf nicht sterben allerdings hält Grzimek „es für falsch, farbige Kolonien überhastet zu selbstständigen demokratischen Gemeinwesen zu machen. […] Die Europäer haben diese Völker in manchen Gegenden jäh aus einem ausgeglichenen, primitiven Leben herausgeholt, in anderen Ländern haben sie sie von Sklaverei, brutalen Stammeskriegen, Hungersnöten und Seuchenelend erlöst.“20 Unwissentlich stößt Grzimek damit eine heute hochbrisante Debatte an über den Sinn von auferlegten demokratischen und westlichen Wertvorstellungen in Ländern, die dafür womöglich (noch) nicht bereit sind. So hält er am Ende fest: „Weise Männer können ihre Erfahrungen bekanntlich nicht ihren Enkeln vererben, jeder muß in seinem Leben selbst von neuem alle Dummheiten begehen und büßen. Das gilt vermutlich auch für Völker. Die jungen Nationen Afrikas werden also wohl ihren schwarzen Wilhelm Tell und Friedrich den Großen, ihren Napoleon, Hitler, Stalin, Bismarck, Ludwig XIV. haben; ihre Kriege und ihre Toten.“21
2.4
Auch Tier ist nicht gleich Tier
Das zeitweise rassistisch anklingende Gedankengut gegenüber der afrikanischen Bevölkerung in Kein Platz für wilde Tiere überträgt sich an einigen Stellen auch auf die Tierwelt, wo Grzimek unter anderem eine Wildpferdeart bedauert, die auf Steppen hauste und von denen „nur noch einige wenige reinblütige in Zoologischen Gärten Osteuropas [leben].“22 „Die schönste Löwenart“ sei „der berühmte Berberlöwe mit seiner schwarzen, vollen Mähne, die sich zwischen den Beinen noch auf der Brust fortpflanzt […].“23 Er lebe inzwischen nur noch für Wappen, Münzen und Standbilder und „immer mehr vermischt mit weniger schönen Löwen. […] Wir Zooleute müssen hin und wieder zur Blutauffrischung frischgefangene Löwen aus Afrika kommen lassen, aber wir tun das nicht gern. Fast alles, was nämlich heute an Löwen noch wild in Afrika lebt, hat schüttere, kurze Mähne und keine Bauchmähne.“24
20
Grzimek, Serengeti darf nicht sterben, S.166f. Ebd., S.168. 22 Grzimek, Kein Platz für wilde Tiere, S.8. 23 Ebd., S.25. 24 Ebd., S.25. 21
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Wenn es nach Grzimek geht, so sollen wohl nur die schönsten und reinblütigen Tiere fortbestehen und sich lieber nicht mit anderen Rassen mischen. Zwei Seiten später im Buch verstößt er sogar einige Tierarten ganz aus dem Kreis der edlen Tierwelt und beklagt, dass „wir Tierleute […] nicht verhindern können, daß die Menschen weiter in der Vermehrung mit den Ratten und den Kaninchen wetteifern.“25 Den mit den Menschen einfallenden Viehherden und Haustieren steht Grzimek auch nicht besonders wohlgesonnen gegenüber. So sei es „der Nagana[seuche] zu verdanken, daß man bisher fast überall im mittleren, tropischen Teile Afrikas keine europäischen Haustiere, keine Rinder, Schafe, Pferde halten kann […]. Wo Riesenherden von Rindern weiden, da sind die Hyänen, Löwen und Leoparden von den Farmern bald ausgerottet, und die Antilopen, Giraffen und Nashörner folgen nach, teils weil sie den Kühen nichts wegessen sollen, teils weil man ihr Fleisch gern braucht, um schwarze Farmarbeiter damit zu ernähren.“26 Das für den Menschen herangezüchtete Vieh also steht für Grzimek auf derselben Stufe mit seinem Nutzer und beider Vermehrung bedeutet den Rückgang der wilden Tierpopulationen in Afrika.
3. Vermischung der Grenzen 3.1
Wilde Zwergmenschen
Im Buch wörtlich, im Film auch bildlich verschwimmt die sonst so klare moralische Trennlinie zwischen Mensch und Tier in den kindlichen Gestalten der Bambuti. „Es sind kleine fröhliche Zwergmenschen, die uns gerade bis zum Gürtel reichen. Sie scheinen noch unberührt von unserer Zivilisation und doch droht auch für sie ein ähnliches Schicksal wie für die wilden Tiere ihrer Heimat.[…] Nur diesen seinen träumerischen Kindern zeigt der dämmrige Ituri seine lebendigen Märchenschätze.“27 Die Waldpygmäen erscheinen im harmonischen Einklang mit der Natur und den Tieren, unter denen sie leben. Fröhlich und unbeschwert leben sie Grzimeks Ideal einer ursprünglichen Gemeinschaft von Mensch, Natur und Tier. Auch erscheinen sie „trotz aller Armut recht glücklich, sicher weit fröhlicher als die viel wohlhabenderen Schwarzen oder gar schon als die Weißen.“28 In ihrer Mitte gibt es keinen Häuptling, keinen Privatbesitz, kein Geld, keine Steuern. Ohne Politik, Hierarchien oder andere moderne Strukturen leben sie nur nach ihren Grundbedürfnissen in Symbiose mit der Natur. Bilder von farbenfrohen Blüten und die grüne Urwaldpracht verstärken den Eindruck, dass in dieser Welt alles in bester Ordnung ist. 25
Ebd., S.27. Ebd., S.149. 27 KEIN PLATZ FÜR WILDE TIERE, R: Bernhard Grzimek, D 1956, ab TC: 00:37:30. 28 Kein Platz für wilde Tiere, S.226. 26
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In seinen Filmen macht Grzimek keinen Unterschied in der Art und Weise, wie er die Bewohner des Urwalds mit der Kamera aufnimmt. Egal ob Mensch oder Tier, beide beobachtet er mit der Faszination eines Wissenschaftlers, der eine neue Spezies entdeckt hat. Eine Stimme bekommen die Menschen auch nicht, denn man versteht – genau wie bei den Tieren – sowieso nicht, was sie sagen. Da ähnelt das Hinterteil eines Okapis plötzlich denen zweier Bambuti. In mehrfachem Wechsel sieht man die Pygmäen und ein Halbäffchen in ähnlichen Bewegungen durchs Geäst steigen.29 Ein Äffchen zeigt in einer menschentypischen Porträtaufnahme sein Gesicht, während die Bambuti wie Affen in den Bäumen sitzen. Die extreme Nahaufnahme der Augen einer der Pygmäen ist gefolgt von demselben Gesichtsausschnitt eines Krokodils, welches er fangen will. Als der Pygmäe es verfehlt, schimpft er fürchterlich und bewegt dabei den Kopf – ein Affe wird eingeschoben, der sich im selben Rhythmus das Fell kratzt. In untypischen Einstellungen und Ausschnitten der Körper ähneln die Bewegungen des Zwergmenschen stark denen des Krokodils, es wirkt wie ein Kampf unter Artgenossen oder Fressfeinden. Mit Garn binden die Bambuti ihre Beute schließlich an einen langen Ast – analog dazu nestelt das Äffchen mit den Fingern an kleinen Zweigen herum. Sie tragen den Ast durchs Gestrüpp – ein Affe hangelt sich an einem ähnlich gebogenen Ast durch die Luft. Grzimek genießt seinen Aufenthalt unter diesen genügsamen friedlichen Wesen, „aber auch diese wilden Menschlein schwinden dahin wie die wilden Tiere ihrer Heimat.“30
3.2 3.2.1
Menschliche Tiere Raumpolitik für das „Tiervolk“
In einem ganzen Kapitel lässt sich Grzimek zu Beginn seines ersten Buches Kein Platz für wilde Tiere über die „Heuschrecke Mensch“31 aus, die den wilden Tieren Afrikas schon seit jeher und in jüngster Vergangenheit immer schneller und verheerender ihren Platz streitig macht. Zahlen sollen die „krebsartige Wucherung der Menschheit“32 untermauern. Die Aufzählung tierischer Opfer dieses Feldzuges mit Datum, Ort und Namen erinnert an gefallene Soldaten im Eroberungskrieg. „Die letzte wilde (Wandertaube) holte 1907 ein Schrotschuß vom Himmel, und im Zoo von Cincinnati starb am 1. September 1914 „Martha“, die allerletzte dieses einst so riesigen Volkes.“33 Im Film inszeniert Grzimek einen 29
Für diese und folgende Szenen vgl. KEIN PLATZ FÜR WILDE TIERE, ab TC: 00:43:16. Ebd., TC: 00:53:50. 31 Kein Platz für wilde Tiere, S.7. 32 Ebd., S.7. 33 Ebd., S.9. 30
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Zeichentrickvorspann, in dem Hochhäuser die Kontinente zustellen und bedrohliche Gespenstermassen uns entgegendrängen. Überdeutlich wird schon jetzt, wie Grzimek Sympathie und Antipathie in der Schöpfung verteilt. Den Begriff des „Volkes“ findet man breit verstreut über beide seiner Bücher hinweg immer wieder im Zusammenhang mit der räumlichen Verdrängung der wilden Tiere Afrikas, für die es in Grzimeks Szenario bald keinen Platz mehr geben wird. So spricht er über seine Arbeit im Serengeti-Nationalpark beispielsweise von einer „große[n] Volkszählung“34, mit der er beauftragt wurde. „Wir haben unser Riesenreich dazu in zweiunddreißig Bezirke eingeteilt.“35 Zufällig oder nicht, auffällig ist die Analogie des „Tiervolkes“ zum deutschen Volk allemal.36 Nach zwei verlorenen Weltkriegen musste auch das deutsche Volk einiges an Raum einbüßen und sämtliche Gebiete an die Alliierten abtreten. Der Ausdruck „Volk ohne Raum“, der in der Weimarer Republik aufgegriffen und später als Rechtfertigung für Hitlers Eroberungskrieg herhalten musste, erscheint hier im tierischen Kontext fast ebenso treffend. Auf der Suche nach „Lebensraum“ greifen die einen zu Militärgewalt, die anderen zählen auf Hilfe von Grzimek. Wörtlich schlägt sich dies bereits im Untertitel seines zweiten Buches Serengeti darf nicht sterben nieder, wo er zusammen mit „367 000 Tieren einen Staat sucht“. Auch mit all jenen tierischen „Kameraden“37, die in „Armeen“ und „Heerscharen“38 marschieren, bewegt sich Grzimek doch mehr im Militärmilieu als im Wissenschaftsjargon. Dass er diese Art von Kampf für eine sinnvolle hält, zeigt sich nicht nur an einer Stelle des Buches: „Menschen kämpfen und sterben, um Grenzen zu verrücken oder andere Länder zu ihrer Weltanschauung zu bekehren. Haben Michael und ich nicht um so mehr Recht, zu arbeiten und unser Leben zu riskieren, damit die Serengeti erhalten bleibt?“39 Im Gegensatz dazu kann man förmlich das verständnislose Kopfschütteln sehen, mit dem Grzimek den Tausenden von sinnlosen Opfern dieses Weltkrieges begegnet, der der ganzen Welt noch in den Knochen steckt. Angesichts des frühen tragischen Todes seines Sohnes, der während der Dreharbeiten zum Film bei einem Flugzeugabsturz stirbt, tröstet sich der Vater mit der Gewissheit, dass dieser in Frieden und für eine gute Sache gestorben sei. Die Verwaltung des Nationalparks Tanganjikas lässt ein Denkmal errichten, dessen Inschrift dem 34
Serengeti darf nicht sterben, S.62 .Ebd., S.127. 36 Michael Flitner erörtert in seinem Aufsatz „Vom „Platz an der Sonne“ zum „Platz für Tiere““ die ideologischen Zusammenhänge der „Tiere ohne Platz“ zum „Volk ohne Raum“ als Rechtfertigung für Grzimeks Argumentation. 37 Serengeti darf nicht sterben, S.114. 38 Ebd., S.132. 39 Ebd., S.239. 35
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eines Kriegerdenkmals ähnelt: „Michael Grzimek – Er gab alles, was er hatte, sogar sein Leben, um die wilden Tiere Afrikas zu schützen.“40 Die merkwürdigen Analogien der beiden „Völker“ erscheinen paradoxerweise zunächst als Rechtfertigung für Grzimeks „Raumpolitik“ für wilde Tiere. Sie können aber wohl kaum mit einer Sympathie für nationalsozialistische Kriegsstrategien erklärt werden, sondern dienen im Gegenteil der radikalen Abkehr von und Abgrenzung zu den sinnlosen Menschenkriegen. So wird die unpolitische Natur plötzlich politisch besetzt und ein Biologe und Tierschützer plötzlich zum Politiker.
3.2.2
Persönlichkeiten, Familien und Staaten
Während die hybriden Waldzwerge tierisch inszeniert und in denselben moralischen Stand gehoben werden wie Grzimeks Tiere, erscheinen jene auf der anderen Seite oft in einem allzu menschlichen Licht. Da blicken Geparden „gleich Fürsten in einem freien Land […] über die gelben Hügel ihres Reiches“41. „Die Meerkatze schimpft“42, die „Hyänen wissen ein Freibad zu schätzen“43 und am Ufer des Eduardsees geht es „wie auf einem Fischmarkt zu. Man redet sich heiß und streitet sogar bisweilen ein bisschen“44. „Ganz in der Nähe wohnt Kibokko.“ Der Nilpferdpascha „hat sich als grimmiger Haudegen einen stattlichen Harem“45 mit „14 Ehefrauen“46 zugelegt und pflegt seine „private(n) Straßen auf eigenem Grund und Boden. […] Wie die Menschen ihr Land in Bauernbesitze aufteilen und genau begrenzen, so haben auch die Flusspferdherden ihre Ländereien festgelegt“.47 Doch die Vermenschlichung geht über die reine belustigend anthropomorphe Veranschaulichung hinaus. Am Beispiel der Webervögel begegnet uns „eine richtige Republik. Zu dem Vogelstaate gehören dutzende von kunstvoll gewebten Einzimmerwohnungen […]. Die Bewohner heißen Webervögel. Da beschäftigt sich gerade einer mit dem Grundstock seines neuen Hauses. […] Die Wohnungen in der kleinen Republik sind jedenfalls sicher gegen Überfälle kletternder Räuber und gegen Gefahren aus der Luft. Ein Staat mit festen Gesetzen und Eigenheiten“. Und wie bei uns Menschen gibt es „natürlich 40
Ebd., Nachwort. KEIN PLATZ FÜRW ILDE TIERE, TC: 00:11:10 42 Ebd., TC: 00:20:38. 43 SERENGETI DARF NICHT STERBEN, TC: 00:23:23. 44 KEIN PLATZ FÜR WILDE TIERE, TC: 00:11:45. 45 Ebd., ab TC: 00:13:14. 46 Ebd., TC: 00:16:41. 47 Ebd., ab TC: 00:17:36. 41
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[…] auch asoziale Elemente im Staat“. Wir sehen zu, wie ein fauler Vogel sein Baumaterial vom gerade ausgeflogenen Nachbar stiehlt. „Die heiratsfähigen Damen geben sich natürlich ein wenig uninteressiert.“ Sie „schauen zu, putzen sich, naja wie Frauen so eben tun“. So erkennt Grzimek am Ende dieser Szene: „Wie man sieht ist doch bei den Tieren vieles ähnlich wie bei uns.“48 Wenn eine hybride Inszenierung also dazu dient, uns und unsere Verhaltensweisen in diesen menschlich anmutenden Tieren wiederzuerkennen, vermischt Grzimek gerne mal die Gattungen. So deckt er auch bei den Pavianen menschliche Strukturen auf und verfällt in ein vielfach wiederkehrendes militärisches Muster: „Eine Pavianherde kennt keine Gleichberechtigung. Da gibt es Vorgesetzte, die den Ton angeben, und Untergebene, die tüchtig schikaniert werden. Sie haben wie die meisten geselligen Tiere eine strenge soziale Rangordnung. Jeder kennt seinen Platz, genau wie beim Militär ist das da, von General über alle Rangstufen bis runter zum kleinen Rekruten. […] Auch Paviane – auch wenn wir es auch nicht gern wahrhaben wollen – sind uns ähnlicher als wir denken. Eine Pavianmutter liebt ihr Kind ebenso wie eine Menschenmutter.“49
3.2.3
Gesellschaftsutopie
Um das Publikum für den Erhalt der wilden Tiere zu gewinnen, kämpft Grzimek gegen das bis dahin in Literatur, Film und Köpfen der Menschen fest verankertes Bild der wilden Bestie, die es zu bändigen gilt. In einer radikalen Abkehr dazu konstruiert er mit seiner Tierwelt ein Gegenszenario, in dem Harmonie und Frieden herrschen. Die Tiere, die er antrifft, sind friedlich, solange man sie in Ruhe lässt. Nilpferde suchen keinen Streit, Krokodile liegen faul in der Sonne, während Enten zwischen ihnen hindurchwatscheln. Langgezogene Geigengesänge unterstreichen die friedliche „Mittagsruhe in der Steppe“50. Um das Bild der tierischen Idylle nicht zu stören, hat Grzimek in beiden Filmen bis auf wenige Szenen darauf verzichtet, Raubtiere bei der Jagd zu zeigen. Und kommt es doch zu Überlebenskämpfen, wie es die Evolution nun einmal vorgesehen hat, so sind diese erstens gerechtfertigt, zweitens so kurz wie möglich und drittens fair. „Schnell und fast schmerzlos töten die Raubtiere ihre Beute, um sich und ihre Jungen zu ernähren.“51„So hart er auch ist, jeder Kampf zwischen zwei Tieren derselben Art zeichnet sich durch sportliche Fairness aus. […] Die Tiere kennen 48
Ebd., ab TC: 00:24:28 . Ebd., ab TC: 00:28:30. 50 KEIN PLATZ FÜR WILDE TIERE, ab TC: 00:14:46. 51 TC: 00:33:51. 49
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keine Rache, sie verfolgen den Gegner nicht über dessen Niederlage hinaus, um ihn zu vernichten. Sie kennen nicht den Mord der Artgenossen, wie wir in unseren Menschenkriegen.“52 Ganz im Gegenteil zu dieser natürlichen Notwendigkeit, steht der Mensch mit seiner sinnlosen Sucht nach Zerstörung und Macht. Dabei sollte gerade der es doch besser wissen und seine von Gott gegebene Vernunft verantwortungsvoll nutzen. Auch hier verfolgt Grzimek wieder die Strategie, vergleichende Beziehungen im Sinne der anschließenden Abgrenzung zu nutzen. Am deutlichsten führt uns Grzimek unsere kränkelnde Gesellschaft mit ihren (un)menschlichen Umgangsformen am Beispiel der Löwen vor Augen: „Sie haben so ein nettes Familienleben und es gibt keinen Streit unter ihnen, im Gegensatz zu uns Menschen, wo sich sehr leicht die Kinder oder die Mütter verzanken. […] Auch ein würdiger Löwenmann wird nicht ungeduldig, wenn er Kindermädchen spielen muss.[…] Löwen bringen zwar friedliche Tiere um und verzehren sie - genau wie wir. Aber sie morden sich nicht gegenseitig und es gibt keine tödlichen Kriege unter ihnen – anders als bei uns. Es wäre besser um die Welt bestellt, wenn die Menschen sich untereinander wie Löwen benähmen. Wir haben mehrfach beobachtet, dass verwundete oder lahme Löwen mit gesunden umherzogen. Die Kranken konnten bestimmt selbst keine Tiere mehr jagen und doch blieben sie stets gut genährt. Die anderen müssen sie mitversorgt haben. Verwaiste Kinder wurden adoptiert. Jeder holt sich einen Teil des Bratens, aber keiner schlägt dem anderen mit den Krallen ins Gesicht.“53 Tiere scheinen also so zu sein wie wir – nur friedlicher, erhaltenswerter und vor allem ohne uns besser dran.
52 53
TC: 00:21:58. SERENGETI DARF NICHT STERBEN, ab TC: 01:08:36.
20
4. Afrika als Projektionsfläche mit Sinnfülle 4.1 Der Garten Eden Im zivilisierten und hochmodernen 50er Jahre-Deutschland, dem die Schatten der Vergangenheit noch schmerzlich nachgehen, bietet das fremde Afrika mit seinen wilden Tieren neben jeder Menge Potenzial für Identifikation und Empathie auch Raum für Träume und Sehnsucht. Schon in der Romantik kommt die Vorstellung auf, im Herzen Afrikas verberge sich ein fruchtbarer Garten Eden. Erste Expeditionen machen sich auf die Suche nach einer Gegenwelt zur industrialisierten Moderne.54 Nach zwei Weltkriegen ist die Enttäuschung über die eigene Spezies und ihre zerstörerische und egoistische Gegenwartspolitik gerade in Deutschland besonders groß. In dieser Zeit ist der Begriff der Moderne noch schmerzlich mit Krieg und Zerstörung verbunden. Die Bevölkerung sehnt sich nach Harmonie und Frieden. Aus den Trümmern erwacht eine zivilisationskritische Generation, die in der heilen Natur eine Art emotionalen Zufluchtsort findet. Das erkennt offenbar auch Bernhard Grzimek. Für ihn bilden die harmoniebedürftigen Kriegsgeschädigten ein empfängliches Publikum für seine Ideologie der Erhaltung der letzten Tierparadiese. Es sind Orte, an denen der Mensch alle Verantwortung abgeben kann, denn die Natur kommt alleine klar. Jahr für Jahrzehnt für Jahrhundert für Jahrtausend wiederholt sie ihren ewigen Kreis der Regeneration. Es ist die älteste Tradition der Erde. Ihre Urrechte reichen bis zur Schöpfung zurück und haben sich um ein Vielfaches mehr bewährt als die unseren. Alles Menschengeschaffene ist vergänglich, die Natur aber währt ewig. Der Mensch wirkt hier nur als Eindringling, der sich unerlaubt an der Schöpfung vergreift. Wilde Tiere und Menschen erscheinen plötzlich als Zeugen einer vorzivilisatorischen Zeit, die wir uns herbeisehnen und doch nie wieder zurückbringen können. Die andere Kultur wird als evolutionäre Vorstufe gedeutet und scheint zeitlich zurückzuliegen. Die räumliche Entfernung des afrikanischen Kontinents bietet auch die nötige emotionale Distanz von der europäischen Kultur.55 Grzimek eröffnet seinem Publikum also die Möglichkeit, mit ihm zusammen in einen unbeschwerten Zustand zurückzukehren und diesen mit einem neuen Bewusstsein für Natur und Tiere sogar festzuhalten und zu verteidigen. Die Enttäuschung über die Menschheit und die schwere Kriegsschuld mögen dabei nicht unerheblich sein für eine willkommene Flucht in die Tierwelt. Statt als Soldat gegen den Rest der Welt kann der Zuschauer in der Rolle des Naturschützers plötzlich für den Aufbau und Erhalt einer ursprünglichen Naturidylle kämpfen. Eine Möglichkeit, etwas auf anderem Boden wieder gut zu machen? 54 55
Vgl. Torma, S.24. Vgl. Torma, S.40.
21
Die laut Grzimek verloren scheinenden „letzten Paradiese“56 werden vor allem bildlich und sinnlich als solche in Szene gesetzt. Um das Paradies zu illustrieren beginnt bereits der Vorspann in KEIN PLATZ FÜR WILDE TIERE mit einem Blick aus dem Universum auf Adam, Eva und einen Apfelbaum. Im Folgenden wird der leere grüne Planet auf einer Weltkarte systematisch mit Hochhäusern zugestellt. Die letzten freien Gebiete finden sich im Inneren Afrikas, der Herberge unberührter Natur und zahlreicher wilder Tiere. Die üppige bunte Flora des afrikanischen Frühlings deckt sich mit der biblischen Vorstellung eines nahrhaften Garten Edens, aus dem der Mensch wohl nicht umsonst vertrieben wurde. Sakrale Musik eines sechzigköpfigen Orchesters untermalt die pure Harmonie in Grzimeks menschenleerem Tierreich. „Das verbotene Paradies ist ein Land der Wunder.“57 Es ist „ein kleiner Garten Eden im riesigen Afrika. […] [Ein] Märchenland der Tiere“58, zu dem außer jenen nur die Bambuti – aufgenommen und inszeniert wie Tiere – rechtmäßigen Zutritt zu haben scheinen. Denn sie sind eins mit der Natur und haben sich ihr untergeordnet. In einigen Szenen sind Raub- und Beutetiere gemeinsam in einem harmonischen Miteinander zu sehen. Das liegt allerdings wohl nicht an ihrer friedfertigen Einstellung, sondern vielmehr daran, dass eine Jagd an diesem Ort und zu dieser Tageszeit wenig vielversprechend wäre. Im heißen Afrika ist jede nicht zielführende Anstrengung eine unnötige Energieverschwendung. Am Abend sieht der Zuschauer Giraffen anmutig durch die Steppe schreiten, einzelne Tiere waten durch ein glänzendes Gewässer und scheinen andächtig in die Ferne zu blicken. Auch der Kommentator lässt sich von der meditativen Stimmung anstecken: „Die Abendsonne [taucht] die Landschaft in pures Gold und die Nacht kündigt sich feierlich an.“59 Im Film SERENGETI DARF NICHT STERBEN erinnern uns fliegende Vogelschwärme begleitet von zarten Geigenklängen an die unbekümmerte Leichtigkeit und Freiheit Afrikas. In der Serengeti scheint Grzimek seinen Frieden und den rechtmäßigen Platz für die Tiere zu finden, um den er so besorgt ist. So lebten im Paradies noch „Mensch und Tier im Einklang, herrschte Harmonie wie noch heute in der Serengeti“60. Afrika und seine Bewohner erscheinen als Urrelikte der Schöpfung. „Als die Buren nach Südafrika kamen, fanden sie Ebenen vor, deren Tierleben an die uralten Erzählungen vom Garten Eden vor dem Sündenfall der Menschen erinnerte.“61 Den Flug über den Ngorongoro-Krater kommentiert Grzimek mit den Worten: „Gott selbst hat ihn sich geschaffen und mit 500, ja 700 Meter 56
KEIN PLATZ FÜR WILDE TIERE, TC: 00:04:17. Ebd., TC: 00:08:34. 58 Ebd., TC:00:10:09. 59 Ebd., ab TC: 00:31:45. 60 SERENGETI DARF NICHT STERBEN., TC: 01:17:08. 61 Kein Platz für wilde Tiere, S.25. 57
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hohen Bergmauern eingezäunt, die seine Insassen umschützen.“62Auffällig häufig schleicht sich in Grzimeks Wortwahl der Schöpfergott ein, der „seine Erde dem Menschen untertan [machte], aber nicht damit er sein Werk völlig vernichtet.“63 So ist auch der letzte Kommentar des Films als moralischer Appell von ganz oben formuliert: „Soll nicht wenigstens die Serengeti, dieser letzte Platz der riesen Steppenherden in Afrika, erhalten bleiben wie Gott ihn erschuf? Für die Tiere und für die Menschen, die nach uns kommen.“64 Es ist nicht nur die spirituelle Musik und die meditativen Bilder, die Gott als Schirmherr für Grzimeks Mission glaubhaft machen. Die Wüste selbst ist als symbolischer Ort des christlichen Glaubens bereits extrem religiös aufgeladen. Schon im ersten Buch Mose wird von der 40-jährigen Wüstenwanderung erzählt, Jesus soll 40 Tage in der Wüste gefastet haben. Es ist ein heiliger Ort der Begegnung des Volkes Israel mit seinem Gott. Reinheit und Ewigkeit machen die lebensfeindliche unbarmherzige Wüstenlandschaft zu einem Ort der Gottesnähe und der Erlösung.65 „Die Wüste war schon immer ein Ort der Prüfungen und Versagungen, aber auch des Ausbruchs und des Abenteuers.“ Sie ist ein „geographischer Nicht-Ort“66 ohne Zivilisation, ohne Geschichte und ohne Grenzen. Besonders für das lange diktatorisch kontrollierte Deutschland wird die endlose leere Wüste zu einer Art romantischem Gegenort der Reinheit und Freiheit und das nomadische Leben lockt als Alternative zur nationalstaatlichen Enge.67 Naturfilmer wie Grzimek leben in ihren nomadischen Expeditionen quasi „die utopische Freiheit, die nicht von Traditionen und Konventionen eingeengt war, die sich schwerelos in die Lüfte heben, die Körperlichkeit überwinden und die Raum- und Zeitgebundenheit transzendieren und genau dadurch die Nicht-Lokalisierbarkeit des Paradieses simulieren konnten.“68 Beim Flug über den Kilimandscharo blicken die Grzimeks hinab auf „eine unwirkliche Welt – Götterhände haben sie gebildet als versöhnlichen Entwurf für die harte Erde da unten.“69 In einer zivilisationskritisch eingestellten deutschen Gesellschaft erkennt Grzimek die Sehnsucht nach einer reinen ursprünglichen Natur als Alternative zum modernen Utopiegedanken einer überzivilisierten High-Tech-Welt, in der der Mensch alle natürlichen Kräfte verstehen und beherrschen will. 62
SERENGETI DARF NICHT STERBEN., TC: 00:06:12. Ebd., TC: 01:18:37. 64 Ebd., TC: 01:20:17. 65 Vgl. hierzu Ulrike Brunotte, „Wüstenparadies. Die Wildnis als Nicht-Ort und heilige Leere im frühen NeuEngland“, in: Claudia Benthien, Manuela Gerlof (Hg.), Paradies. Topografien der Sehnsucht, Köln 2010, S.124. 66 Anton Kaes, „Zwischen Phantasie und Phantasmagorie. Das ,Paradies‘ in Werner Herzogs Fata Morgana“, in: Claudia Benthien, Manuela Gerlof (Hg.), Paradies. Topografien der Sehnsucht, Köln 2010, S.241f. 67 Vgl. ebd., S.242. 68 Ebd., S.245. 69 Serengeti darf nicht sterben, S.154. 63
23
4.2 Apokalypse Den kulturkritischen Grundtenor eines erwachenden Umweltbewusstseins in der jungen Bundesrepublik nutzt Bernhard Grzimek und setzt mit seinen Werken eine Art apokalyptischen Warnschuss. Bereits während seiner ersten Expedition quer durch den afrikanischen Kontinent zieht Grzimek in seinem Reisebericht eine traurige Bilanz: „Wir haben das gelobte Land zu einer traurigen Wüste gemacht, erbarmungslose Sonne dörrt die Sandflächen und Stadtruinen Mesopotamiens, das einst der ‚Garten Eden‘ war.“70 Das paradiesische Afrika scheint dem Untergang geweiht, wenn die Menschen so weiter machen wie bisher. So formuliert er bereits zu Beginn von KEIN PLATZ FÜR WILDE TIERE ein bedrohliches Szenario und nennt auch dessen Verantwortliche: „Hinter dem Fluch des Menschen entstehen schon seit Jahrhunderten durch das Klima bedingt immer mehr Steppen und Kulturwüsten. […] Die letzten Paradiese werden eingekreist.“71 Dass er auch ein außerparadiesisches und unbarmherziges Afrika vorfindet, ist für Grzimek nicht etwa der andere Teil Afrikas, der den Kontinent schon seit jeher kennzeichnet, sondern vielmehr der Beginn des bevorstehenden Untergangs. Fremdartig wirkende Wüstenbilder macht Grzimek zu Abbildern einer nachzivilisatorischen Endzeitvision. Die so gar nicht der Paradiesvorstellung entsprechende Trockenheit der Wüste bildet die perfekte Kulisse für Grzimeks Apokalypse, in dem die üppige Tier- und Pflanzenwelt einer „trostlose[n] Mondlandschaft“ weicht, die „in wenigen Jahren entsteht“ 72. Einzelne (Warn)schüsse begleiten die langen Szenen von flüchtenden Tierherden am Ende des Films. Sie scheinen zu fliehen, als würde sie ihr Instinkt bereits aus dem verlorenen Land heraustreiben. „Schon ziehen drohende Schatten über die letzten, noch unberührten Paradiese unserer Erde. Im Kampf um neuen Raum für die Menschen sind auch die letzten Tiere Afrikas von der Vernichtung bedroht. Heute zwar noch in Freiheit, aber schon auf der Flucht.“73 Die Geier machen sich als Todesindikatoren bereits gierig an einem verwesenden Körper zu schaffen, Schädel und tote Kadaver treiben flussabwärts. Am Ende mahnt und appelliert Grzimek wie immer wortgewandt an seine Zuschauer: „Wir Menschen sind die einzigen vernunftbegabten Wesen auf dieser Welt, uns ist die Sorge unserer Schöpfung anvertraut. Lasst uns doch schützende und gütige Hände über unsere Brüder halten.“74
70
Kein Platz für wilde Tiere, S.6f KEIN PLATZ FÜR WILDE TIERE, ab TC: 00:03:58. 72 Ebd., ab TC: 01:04:07. 73 Ebd., TC: 01:08:07. 74 Ebd., TC: 01:13:51. 71
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5. Die Rolle des Tierfilmers 5.1 Grzimeks Selbststilisierung Wenn wir uns an die alten stereotypen Rollen in der Kolonialzeit erinnern, bleibt in Grzimeks neuer Rollenverteilung noch eine entscheidende Figur offen, nämlich die des neuen Helden. Wenn es Täter und Opfer gibt, sollte es dann nicht auch einen Richter, Retter oder Rächer geben, der das Unrecht wieder geraderückt? Mit der Stilisierung Afrikas als Garten Eden ist der Grundstein für Grzimeks Argumentation gelegt. Die religiöse Sinnfülle der Wüste, die spirituellen Bilder und das biblische Vokabular formen ein afrikanisches Paradies und inszenieren nicht nur seine tierischen Bewohner als heilige Kreaturen sondern schlussendlich auch Grzimek als gottgesandten Erlöser. „Noch gibt es wenige bedrängte und umkämpfte Paradiese auf dieser Erde, in denen die edlen und schönen Tiere Zuflucht gefunden haben wie einst vor vielen tausend Jahren in dem großen Schiff, das Noah baute.“75 Wörtlich, bildlich und sogar hörbar überschwemmt die Menschenflut die Erde. Die wilden Tiere werden mitgerissen. Es sei denn, jemand baut ihnen ein Schiff. Mit Rückenwind von ganz oben also, so scheint es, schlüpft Grzimek in die Gestalt eines zweiten Noahs, um die Schöpfung zu verteidigen. Eine höhere Legitimation für seine Mission hätte er sich gar nicht einholen können, denn wer würde sich schon gegen Gottes Gesetze wenden? In der Mitte seines ersten Buches schenkt er den Wildhütern eines Wildtierreservats seine größte Bewunderung. Als Zoodirektor erkennt Grzimek in sich selbst einen kleinen Konservator, der über seine Pfleglinge wacht. Und wieder bietet sich der religiöse Vergleich an: „So ein Konservator ist etwas Ähnliches wie ein Erzengel Gabriel, der mit flammendem Schwert am Tor des Parkes steht und seine friedlichen Insassen verteidigt.“76 So überhöht sich Grzimek als Tierschützer quasi selbst zu Gottes rechter Hand, die auf Erden für dessen natürliche Ordnung einsteht. Geschickt windet er sich so aus dem selbst aufgezogenen Rollengeflecht von Deutschen, Europäern, Kolonialisten, Menschen – zu denen allen er sich nach eigener Argumentation eigentlich zählen müsste – und verlässt den Täterkreis. Als Tierschützer, der für das Recht seiner tierischen „Mandanten“ kämpft, findet Grzimek einen Weg aus der Identitätskrise und seine Bestimmung in der Figur des Anwalts der Gerechten.
75 76
Ebd., TC: 01:13:38. Kein Platz für wilde Tiere, S.125.
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5.2
Der Tierfilmer als Anwalt der Tiere
Mit dem Aufkommen eines neuen Natur- und Umweltverständnisses in den 50er Jahren steigen auch Popularität und politische Kraft des jungen Tierfilmgenres. Außenpolitische Stabilisierungsmaßnahmen wie Ressourcenmanagement und ökonomische Entwicklungshilfe heben die Natur und deren Fürsprecher plötzlich in einen politischen Diskurs. Unter den Filmern etabliert sich das Selbstverständnis, als Anwalt der Tiere für den Artenschutz einzutreten.77 In der Rolle des Vermittlers zwischen dem hilfsbedürftigen Tier ohne Stimme und dem ignoranten tauben Menschen erhebt sich der Tierfilmer in einen Sonderstatus, der ihm einen privilegierten Zugang zur Natur verschafft, für die er gleichzeitig übersetzen und Anklage erheben darf. Im Sinne der „tierischen Mandanten“ erscheinen sämtliche Vorgehensweisen und Absichten des Tierfilmers gerechtfertigt, solange sie dem höheren Zweck dienen. „Die Autorisation des Fürsprechers funktioniert dann am besten, wenn die Tiere scheinbar selbst sprechen – in der Regel über ihr Leid.“78 In ihrer Not scheinen die Tiere mit uns zu kommunizieren. Das Bild des leidenden Tieres und des grausamen Menschen wird bei Grzimek besonders deutlich. Seine Tiere sterben stets einen gewaltsamen, der Unersättlichkeit des Menschen geschuldeten Tod. Natürliche Todesursachen oder Brutalität der Tiere untereinander, wie sie unter Fressfeinden nun einmal vorkommt, passen nicht in die Story der Filme. Dass die Menschen allein durch ihre Existenz und ihre raumgreifende Ausbreitung das Schicksal der Tiere gefährden, hat Grzimek bereits mehr als deutlich gemacht. Besonders deutlich wird dem Zuschauer seine Schuld am Ende des Films KEIN PLATZ FÜR WILDE TIERE aufgezeigt, wo er in dramatisch langen Minuten einem vermeintlich angeschossenen Elefanten beim Sterben zusehen muss. Bestätigt und verstärkt wird die Botschaft schließlich durch den begleitenden Kommentar, der die eigentlich für sich sprechenden Bilder sprachlich übersetzt und inhaltlich einbettet: „Diese Elefantenkuh hat sich mit einer schweren Jagdverletzung in dieses Schutzgebiet gerettet, wo sie vor den Kugeln der Menschen sicher ist.[…] Der See soll die Wunde kühlen, soll das wütende Bohren lindern. Wochenlanger Hunger und Schmerzen haben den Elefanten geschwächt. […] Stunden um Stunden reckt sich sein müder Rüssel aus den Fluten empor, um Luft und Leben herab zu holen, bis der Tod ihn gnädig erlöst von dem Schicksal, das die Menschen ihm bereitet haben.“79
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Vgl. Jens Ivo Engels, „Tierdokumentarfilm und Naturschutz in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts“, in: Tiere im Film, S.131. 78 Ebd., S.133. 79 KEIN PLATZ FÜR WILDE TIERE, ab TC: 01:11:28.
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Im postkolonialen Kontext erwecken auch Grzimeks sprachlose, teils tierisch anmutende Afrikaner den Eindruck, man müsse auch für sie einen Übersetzer finden. Die Bambuti beispielsweise erwecken den Eindruck, als verständigten sie sich mehr durch Laute als durch Worte. Ihre Wildheit und animalische Inszenierung macht sich Grzimek zunutze und mimt auch hier den anwaltlichen Fürsprecher, der zum Wohle seiner Mandanten zum Vermitteln erkoren ist. Dabei erhebt er den alleinigen Deutungsanspruch, „Übersetzungsfehler“ sind nicht ausgeschlossen, fallen aber kaum auf. „Man sieht […], wie leicht man durch Dolmetscherschwierigkeiten […] zu falschen Schlüssen kommen kann. Wenn das schon für „wilde“ Menschen gilt, wie sehr erst für Tiere, mit denen man sich ja noch viel schlechter verständigen kann.“80 Tatsächlich lässt sich zur damaligen Zeit auch eine politische Tendenz erkennen, den Kolonisierten mehr (Be)achtung zu schenken und eine Stimme zu verleihen. Doch statt Autorität und Ebenbürtigkeit wird durch Entmündigung und Bevormundung vielmehr ein neues „kultivierteres“ Herrschaftsverhältnis hergestellt, in dem sich die Rollenverteilung des Kolonialismus nicht geändert hat.81
5.3 Strategien des Tierfilms Als anerkannter Zoologe stützt Bernhard Grzimek seine Ideologie auf eine dokumentarische Berichterstattung und wissenschaftliche Plausibilität. Schon damals erhebt der Tierfilm als Unterkategorie des Dokumentarfilms den Anspruch auf die Darstellung der einen Wahrheit, die ihm die alleinige Deutungsmacht verleiht und andere Interpretationen verbietet. 82 In der Rolle des Forschers erhält Grzimek die notwendige wissenschaftliche Objektivität, um das Beobachtete mit den Möglichkeiten des Films an ein breites Publikum heranzutragen. Und zwar so, wie er es für angemessen hält. Die Grzimeks verstehen als Wissenschaftler zunächst nicht viel vom Filmgeschäft. Sie haben zwar jede Menge wunderschönes Bildmaterial, aber was fehlt, ist eine Story. Kinogerecht sind die Filme am Ende dramaturgisch fast wie Spielfilme aufgebaut. Die wilden Tiere erscheinen dem Zuschauer wie Protagonisten in einem Drama. Es sind Charaktere mit Namen, Gewohnheiten und Schicksalen. Im Gegensatz zum Spielfilm, bei dem der Zuschauer sich auf eine fiktionale Story einstellt, täuscht die Authentizität des Dokumentarfilmgenres über manipulative Eingriffe hinweg. Auch die Kamera eines Tierfilmers zeigt nicht einfach nur, 80
Kein Platz für wilde Tiere, S.229. Vgl. ebd., S.132. 82 Vgl. Engels, S.130. 81
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was da ist. Was nicht zur Dramaturgie passt, wird weggelassen. Szenen werden aus ihrem ursprünglichen Kontext gerissen, mit einem passenden Kommentar versehen und was nicht von selbst passiert, wird provoziert. Die flüchtenden Tierherden in SERENGETI DARF NICHT STERBEN muss Grzimek erst mit dem Flugzeug aufscheuchen.83 Für die Szenen in KEIN PLATZ FÜR WILDE TIERE, in denen farbige Frauen im Fluss planschen, bezahlt er acht Prostituierte in Nairobi für ihren nackten Auftritt als „Primitive“. Die „Jagdverletzung“ des Elefanten, der zu Beginn des Films angeschossen wird, stammt in Wirklichkeit von Einheimischen.84 Einige Szenen werden im Frankfurter Zoo nachproduziert. Auch das Titelbild seines Buches Kein Platz für wilde Tiere, auf dem Grzimek einen Serval auf dem Arm hat, entsteht mit einem zahmen Tier auf dem Flachdach des kleinen Theaters im Zoo.85 Was Bernhard Grzimeks Filme nicht verstecken, ist die zivilisations- und kulturkritische Botschaft, die vor allem auf Kommentarebene kaum zu überhören ist. Mit der Problematik des Natur- und Artenschutzes scheint Grzimek offenbar den Ton der damaligen Umbruchgesellschaft zu treffen. Doch Kritik an der eigenen Spezies und ihrer Selbstzerstörung gehört nicht gerade zur leichten Kost, der moralische Zeigefinger nicht unbedingt zum Bestseller an den Kinokassen. Dabei ist es gerade der einem höheren Zweck folgende Bildungsvorgang, der den Tierfilm und seine Vermarktung legitimiert. Schon im Frankfurter Zoo steht der Schutz der Wildtiere mit deren Inszenierung als Schauobjekte in Konflikt. Doch die erhöhte Aufmerksamkeit und Faszination der Zoobesucher für die Tiere nutzt Grzimek als Werbung für ein steigendes Bewusstsein für bedrohte Arten, welches finanzielle und persönliche Gewinne rechtfertigen soll. Um ein Erfolg zu werden, muss der Tierfilm sich also auf einem schmalen Grat irgendwo zwischen Unterhaltung und Bildung etablieren und seine kritische Botschaft ansprechend verpacken. Die meisten erfolgreichen Tierfilme transportieren Emotionen und bieten dem Zuschauer einen empathischen Zugang. Statt nüchterner Informationsverarbeitung, erzeugen sie Erstaunen, Entzücken und Entsetzen. Die Filme adressieren ein größtenteils unqualifiziertes Laienpublikum, das den wissenschaftlichen Anspruch schätzt, sich im Metier gleichzeitig aber nicht fremd fühlen will.86 Mit wiederkehrenden Elementen versucht der Tierfilm, die Erwartungen der Zuschauer zu erfüllen. So wird meist ein harmonisches Bild einer sich im Gleichgewicht befindenden Natur erzeugt. Der ewige Kreis der Natur und ihre gesunde 83
Vgl. ebd., S.129. Vgl. Torma, S.141. 85 Vgl. Sewig, S.207. 86 Vgl. Engels, S.138. 84
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Selbstregulierung werden besonders deutlich in der zyklischen Dramaturgie vieler Tierfilme. So beispielsweise im Wechsel der Jahreszeiten, wo auf die tödliche Trockenzeit auch immer der erlösende Regenguss folgt, der das Leben zurückbringt. Auch die Fortpflanzung folgt einem natürlichen Zyklus, angefangen mit der Paarung der geschlechtsreifen Tiere, gefolgt von der Aufzucht und schließlich dem Erwachsenwerden der Jungen. So schließt sich ein Kreis, der nur durch den Menschen gestört werden kann. Auch KEIN PLATZ FÜR WILDE TIERE folgt dem Prinzip des natürlichen Zyklus. Der brüllende Löwe und die rennenden Tierherden vom Anfang wiederholen sich gegen Ende des Films und zeichnen einen künstlichen Kreislauf. Auch die Geschichte der zu Beginn angeschossenen Elefantenkuh wird am Ende wieder aufgegriffen und zu Ende erzählt. Im Grunde haben Natur- und Tierfilme immer dieselbe einfache Botschaft: Lasst die Natur in Frieden. Dennoch stellt sich beim Zuschauer jedes Mal wieder das Gefühl ein, etwas gelernt zu haben. Die Popularität des Tierfilms ist nicht zuletzt der großen Zielgruppe zuzusprechen, die sich aus verschiedensten Bevölkerungsschichten mit unterschiedlichen Interessen zusammensetzt. Da gibt es die junge kritische Generation der Umweltschützer, die im Tierfilm eine Plattform erkennt, um ein großes Publikum im Sinne des Natur- und Tierschutzes zu bekehren. Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die mit Hilfe paradiesischer Naturbilder aus der modernen gehetzten Welt entfliehen wollen, sich für die Natur und ihre Zusammenhänge interessieren oder sich einfach unterhalten fühlen. Trotz seiner Zugehörigkeit zu den Massenmedien ergibt sich durch den Bildungsanspruch eine moralische Berechtigung des Tierfilms und mit dem Unterhaltungswert wird seine Zeigefingerbotschaft verträglicher. So schafft es der Tierfilm, „das Thema Naturschutz so behutsam in ein Thema des Protests und der Gesellschaftskritik zu transformieren, dass große Bevölkerungsteile dies akzeptieren konnten.“87 Der vordergründig unpolitische Tierfilm versöhnt mit seinen vielschichtigen Deutungsebenen sowohl Kulturkritik und Unterhaltungsindustrie, als auch wissenschaftliche, gesellschaftskritische und politikferne Kreise.
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Ebd., S.139.
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6. Schlussgedanken 6.1 Grzimeks Erfolgsgeheimnis In den 50er Jahren trifft Bernhard Grzimek mit seinem Gespür für gesellschaftliche Umbrüche und neue Bedürfnisse auf eine zivilisationsmüde und harmoniebedürftige Generation, die er mit imposanten Bildern und einer dramatischen Story für seinen friedlichen Kampf für Natur und Tierwelt gewinnen kann. In einer raffinierten Mischung aus Unterhaltung und Bildung sensibilisiert er Wissenschaftler, Umweltschützer und Kulturkritiker, Tierfans und Naturliebhaber in allen Generationen für ein damals noch wenig diskutiertes Thema. „Wilde“ Menschen und „vernünftige“ Tiere stellen die klassische Rollenverteilung von Mensch und Tier in Frage. Die überzeugenden tierischen Darsteller und ihre eindringliche Botschaft sensibilisieren Grzimeks Publikum für einen bewussteren Umgang mit der Natur. Mit seinen preisgekrönten Afrikafilmen bringt Grzimek menschliche Entwicklungen und Sehnsüchte auf die Leinwand. Die paradiesischen Schauplätze der Filme öffnen die Tür zu verborgenen Wünschen und stillen ein Bedürfnis nach Harmonie und Frieden, welches nach zwei Weltkriegen wahrscheinlich kaum größer sein könnte. Als Alternative zur modernen, menschengemachten hoch technologisierten Welt nimmt Grzimek die Menschen mit auf eine Zeitreise zurück zu ihren Ursprüngen. Natur und Tiere erscheinen als Zeugen einer vorzivilisatorischen Zeit, in der die Geschichte des Menschen noch ein leeres Buch ist. Die unpolitische Natur wird dabei zur Projektionsfläche für schwierige gesellschaftliche Themen, die über die Tierwelt plötzlich neu und anders verhandelt werden können. Das enorme Bevölkerungswachstum und dessen raumgreifende Besiedelung der Erde bilden einen unerlaubten Eingriff in Gottes Schöpfung, der eines Tages die gesamte Tierwelt ausrotten wird. Die pessimistische Grundbotschaft bildet die Rechtfertigung für Grzimeks Mission und zieht sich wie ein roter Faden durch beide Filme und Bücher hindurch. Die moralische Botschaft weckt unser Schuldbewusstsein und appelliert an unsere gottgegebene Verantwortung für unsere Umwelt. Mit seiner klaren Rollenverteilung könnte Grzimek einen Gerichtssaal füllen, in dem die Zukunft der Menschheit ausgehandelt wird. Das Tier ist das Opfer, der Mensch der Angeklagte, Grzimek der Staatsanwalt und Gott der Zeuge. Nun überlässt er es seinen Zuschauern, zu einem angemessenen Urteil zu kommen.
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6.2 Grzimeks Aktualität im 21. Jahrhundert Über ein halbes Jahrhundert später werden Themen wie Naturschutz und Nachhaltigkeit zur politischen Notwendigkeit für eine Menschheit, die zunehmend ihren eigenen Lebensraum zu zerstören scheint. Während das Tierfilmgenre so wie wir es heute kennen damals noch in den Kinderschuhen steckt, haben es in den letzten zehn Jahren auffällig viele Natur- und Tierdokumentationen ins Kino geschafft. Sind Grzimeks Strategien und Inhalte also auch heute noch aktuell? Es scheint, als träfe er im 21. Jahrhundert auf ein ähnlich natur- und tierdurstiges Publikum, das seine Rolle in der Welt immer noch nicht gefunden hat. Die Globalisierung und der technische Fortschritt erlauben schon heute kaum einen unbesiedelten Fleck mehr auf der Welt. Die schnelllebige High-Tech-Welt, die wir aus Utopievorstellungen kennen, scheint mittlerweile schon in der Gegenwart angekommen zu sein. Aber wollen wir das überhaupt? Naturkatastrophen häufen sich, gesellschaftliche Werte verlieren sich in einer „flexiblen“ Welt, die aus dem Gleichgewicht gekommen zu sein scheint und die Sehnsucht nach einer ursprünglichen Gegenwelt wird stärker. Es ist eine wichtige Zeit für die Natur und ihre zunehmende Zahl an Botschaftern.
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Anhang: Ein Blick auf „den Tierfilmer von heute“
„Der Tierfilmer von heute“ gehört einer Generation an, die in einer globalisierten Welt mit nahezu unbegrenzten technischen Möglichkeiten lebt und ein großes Bewusstsein für ihre Umwelt aufbringt. Die Botschaft einer schützenswerten Umwelt ist heute so präsent, dass sie nicht mehr beim Namen genannt werden muss und die Natur ihr Anliegen allein durch die Kraft der Bilder zu vermitteln scheint. Aber auch zeitgenössische Tierfilmer wenden Strategien an, um gesellschaftspolitische Gehalte zu diskutieren und in einer unpolitischen Natur zu inszenieren. Während Manipulationen im Tierfilm bisher eigentlich als undokumentarisch gelten und bewusst versteckt bleiben, lässt sich interessanterweise in neueren Produktionen eine Tendenz erkennen, die eigenen Produktionsbedingungen offen zu legen und zu reflektieren. So kann man beispielsweise in der Dokumentations- und Reportagereihe „Erlebnis Erde“ in der Trilogie „Pinguine hautnah“ darüber staunen, wie sich hochtechnologisch ausgestattete Kamerapinguine unter die Kolonie mischen, die die Tiere aus ungewöhnlichen Perspektiven filmen. Eine andere Ausstrahlung derselben Reihe zeigt die aufwändige Dressur von Papageien, Geiern und Wildgänsen für spätere spektakuläre Flugaufnahmen aus der Luft. Der Filmemacher und Autor Werner Schüßler, beheimatet in Freiburg im Breisgau, begleitet mit seiner Filmproduktion ¿are u happy? films derzeit für einen Kinofilm fünf der weltweit erfolgreichsten Tierfilmer in Form eines Abenteuerportraits rund um die Welt. Für diese Arbeit beantwortet er im Folgenden einige Fragen zu Motivation und Arbeitsweisen seiner Protagonisten und deren Rolle in der aktuellen Umwelt- und Tierschutzdebatte.
Interview mit Werner Schüßler vom 10.11.2013
Herr Schüßler, was hat Sie dazu bewogen, nicht die Tiere, sondern die Menschen in den Vordergrund zu rücken? Ich habe bisher in meiner beruflichen Laufbahn im Film- und Fernsehbereich nicht als Tierfilmer gearbeitet. Gleichzeitig war es einer meiner frühesten Träume als Kameramann im Natur- und Tierfilmbereich zu arbeiten. Immer wieder kam die Erinnerung und Sehnsucht an diesen ursprünglichen Wunsch zurück. Schließlich entschloss ich mich herauszufinden, wie 32
denn wirklich das Leben eines Tierfilmers ist, jenseits aller Verklärung und Romantik. Daraufhin trat ich mit den weltweit bedeutendsten Personen dieses Genres in Kontakt, interviewte sie, und beschloss einige von Ihnen auf ihren Reisen zu begleiten. Schon in den Vorrecherchen stellte sich heraus, dass die Umweltproblematik ihnen zunehmend zusetzt. Ich habe daraufhin dieses Thema als Hintergrund gewählt, vor dem ihr Leben und Tun sich uns offenbart.
Was ist die Motivation dieser Tierfilmer? Haben sie ähnliche Motive oder gibt es da Unterschiede? Also wohl allen liegt die Natur am Herzen. Gleichzeitig haben sie natürlich noch weitere Interessen und Bedürfnisse. Und die sind so verschieden, wie wir Menschen eben sind. Bei manchen mag da der Wunsch, die tollsten noch nie gesehenen Bilder zu zaubern oder unbekannte Verhaltensweisen von Tieren zu dokumentieren mehr im Vordergrund stehen, bei anderen das Streben nach Erfolg und Ansehen. Viele treibt die Sorge um die Zukunft unseres Planeten und den Raubbau an der Natur um. Sie kennen die Natur aus nächster Nähe, es ist ihre große Liebe! Dadurch, dass sie immer wieder zu den gleichen Plätzen zurückkehren, sind für sie die alarmierenden Veränderungen nicht zu übersehen. Sei es die Gletscherschmelze durch den Klimawandel, die Rodung von Urwäldern oder der massive Rückgang der Artenvielfalt...Die Antworten, die sie darauf finden, sind sehr verschieden und Thema des Kinofilms PASSION FOR PLANET.
So ein Film geht am Ende höchstens eineinhalb Stunden lang. Wo bleibt die ganze Zeit, die die Tierfilmer an den Drehorten verbringen? Welche Möglichkeiten der Inszenierung hat ein Tierfilmer? Auch hier gibt es einen großen Reigen, der meist von dem vorhandenen Budget des Films und dem Erzählstil des Filmemachers bestimmt wird. Die BBC gilt als Mutter des modernen Naturfilmes. Für ihr epochales Werk UNSERE ERDE waren viele Teams mehrere Jahre unterwegs. Hier war viel Geld vorhanden, man konnte über längere Zeiträume Helikopter mit dem modernsten teuren Kameragerät (Cineflex) mieten, lange Zeit vor Ort sein, um den einen besonderen Moment einzufangen, der sich nicht vorher planen lässt; denn das Verhalten von Wildtieren mag vielleicht bekannt sein, aber gerade da zu sein wenn es auch wirklich geschieht, geht meist nur, wenn man sich lange auf die Lauer legt 33
und dann trotzdem noch Glück haben muss. Damit es dann auch spektakulär ausschaut, müssen noch dazu die Rahmenbestimmungen stimmen. Das Wetter insgesamt muss mitspielen, es muss zur richtigen Tageszeit geschehen. So sehen Bilder am Morgen oder am Abend viel dramatischer aus, als tagsüber. Der Winkel der Kamera zur Sonne im Bezug zum Ort des Geschehens muss stimmen um die passende Lichtstimmung zu erhalten. Auch die Jahreszeit mit ihren Vegetationszyklen trägt zur Atmosphäre bei. Sehr gerne wird mit Zeitraffern gearbeitet, z.B. bei Landschaftsaufnahmen, Sonnenuntergängen, ziehenden Wolken. Ebenso mit Zeitlupe, um Tierverhalten für den Zuschauer neu erfahrbar zu machen, oder auch, um es zu zelebrieren. Je nachdem für welchen Sendeplatz oder welches Zielmedium (Kino, DVD, Fernsehen) ein Film gedacht ist, werden von den Redaktionen/Produzenten unterschiedliche Vorgaben gemacht. So kann es z.B. sein, dass Wert darauf gelegt wird, dass die Filme unterhaltend sind und nicht zu sehr problematische Themen Klimaerwärmung, Umweltverschmutzung, Artensterben...) angesprochen werden. In diesem Fall soll es dann reine Abendunterhaltung sein. Auch die Erzählstile variieren sehr.
In den meisten bisherigen Tierfilmen bleibt der ganze Aufwand hinter der Kamera ja bewusst versteckt. Mit Ihrem Film machen Sie jetzt den Blick frei auf die eigenen Produktionsbedingungen eines Dokumentarfilmers. Wollen das die Zuschauer überhaupt sehen? Ich glaube, dass Filme, die den Menschen erreichen, ein gemeinsames Grundbedürfnis untersuchen, mit dem wir uns, ob bewusst oder unbewusst, identifizieren. Grundbedürfnisse wie das nach Liebe, Sicherheit, Neugierde, Abenteuer. Wir wollen mehr über uns, das Mysterium unseres Daseins erfahren. In Filmen, die etwas zu sagen haben, hat der Autor ein eigenes Thema verarbeitet, und wenn der Film erfolgreich ist, das in einer Form gemacht, in der sich viele andere Menschen wiederentdecken. Die Motivation für meinen Film war mein eigenes Interesse, herausfinden zu wollen, was hinter diesen Menschen und ihren Lebenswegen mit der Mischung aus Abenteurer, Jäger (mit der Kamera), Wissenschaftler, Entdecker und Missionar steht. Mich interessieren dabei weniger die technischen Herausforderungen, sondern eher dieses Angetrieben- und Getrieben-Sein, ihr Streben, ihre Ziele erreichen zu wollen. Dieser Einblick ist neu, gleichzeitig sind die Themen der Protagonisten universal. Es ist letztendlich der Kampf, eine Liebe, die im Sterben liegt, retten zu wollen. Jeder der Protagonisten versucht, auf diese Herausforderung seine eigene Antwort 34
zu finden. Ich bin überzeugt davon, dass ihre Kämpfe, mit denen wir uns identifizieren können, verknüpft mit dem atemberaubenden Ambiente von einmaligen Natur- und Tieraufnahmen eine sehr attraktive Kombination ist, die die Menschen in unserer Zeit betrifft und anzieht, mehr darüber erfahren zu wollen.
Es gibt Orte, an denen sich kaum ein Mensch freiwillig aufhalten würde. Was macht extreme Topografien wie die Wüste oder die Antarktis trotzdem oder gerade deshalb für Tierfilmer und für Zuschauer so faszinierend? So wie wir gerne immer wieder Vertrautes erleben, gibt es in uns allen auch diese neugierige Seite, die mehr über Unbekanntes erfahren will. Die Antarktis, der Polarkreis, die Wüste sind Orte, die die meisten von uns nicht aus eigener Erfahrung kennen, obwohl wir schon einiges darüber gehört haben. Ich glaube, letztendlich wollen wir mehr über unsere Grenzen erfahren. Manch einer will dies erfahren, in dem er an z.B. zu diesen lebensunwirtlichen Orten hinfährt, sich den Gefahren aussetzt, eventuell sogar sein Leben aufs Spiel setzt. Anderen wiederum reicht es, wenn sie zuhause von ihrem Sofa daran teilnehmen, sich in das Erleben hineinversetzen können, vielleicht auch nur den „Gruselfaktor“ genießen, ohne all die Strapazen am eigenen Leibe erfahren zu müssen.
Auf ihrer Homepage schreiben sie: "Mein Leitbild ist geprägt von dem Ziel, durch informative und ermutigende Filme einen Beitrag zum Wohle unseres Planeten und der auf ihm lebenden Wesen zu leisten."Welche Rollen nehmen Tierfilmer heute ein? Ich selbst verstehe mich nicht als Tierfilmer. Deswegen kann mein Statement nicht generell für die Tierfilmer stehen. Wie bereits beschrieben, sind ihre Motivationen sehr vielseitig. In den letzten zehn Jahren ist die Umweltthematik, die früher eher ein Nischendasein auch beim Tierfilm führte, mehr ins Zentrum des Bewusstseins gerückt. Die meisten derjenigen, die ich in meinem Film begleite, sind sicherlich engagierte „Anwälte“, die ihren Beitrag zur Veränderung, zum Schutz der Natur, der Umwelt und des Planeten beitragen wollen. Jedoch wird immer mehr auch deutlich, dass es dabei gar nicht so sehr um die Tiere oder die Natur geht. Es geht schlicht und ergreifend um den Fortbestand der Menschheit. Denn wenn wir so weiter wirtschaften wie bisher, ohne unser Verhalten grundlegend zu ändern, graben wir uns letztendlich unsere eigene Lebensgrundlage damit ab.
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In den letzten Jahren haben es auffällig viele Tierdokumentationen ins Kino geschafft, z.B. DIE REISE DER PINGUINE, UNSERE ERDE oder SCHIMPANSEN. Wie erklären Sie sich das gewachsene Interesse und Bedürfnis der Menschen nach Naturund Tierfilmen in der heutigen Zeit? Ich glaube, dass tief in jedem von uns ein Bewusstsein für und Verbundenheit zu unserer ursprünglichen Herkunft schlummert. Unsere Evolution fand über Jahrmillionen nicht im Kreißsaal des Krankenhauses statt, sondern draußen in der ungeschützten Natur. Deswegen wollen wir mehr über diese Welt der Natur erfahren. Mit der zunehmenden Verstädterung und Naturzerstörung ist für viele Menschen ursprüngliche Natur zu einem exotischen Gut geworden, das sie nicht mehr aus eigener Anschauung kennen. Meist kennen sie nur durch den Menschen kultivierte, veränderte Naturräume, und sind sich dabei gar nicht bewusst, dass dies mit der ursprünglichen Natur nichts mehr gemein hat. Ich wohne am Fuße des Schwarzwaldes. Da ist nichts mehr ursprüngliche Natur. Über Jahrhunderte wurde hier Land- und Forstwirtschaft betrieben, alle Wälder sind das Ergebnis eines fortlaufenden Rodungs- und Wiederaufforstungsprozesses. Weiter glaube ich, dass es für das momentane starke Interesse verschiedene weitere Beweggründe gibt. Zum einen ist die Umweltproblematik und die Kostbarkeit der Natur in den letzten Jahrzehnten zunehmend ins Blickfeld gerückt. Zum anderen sind die neuen Kinofilme der letzten 10 bis 15 Jahre, die sich mit Natur beschäftigen, schon fast im Hollywoodstil gedreht. Sie versprechen spektakuläre Unterhaltung, die vorgibt, Realität zu vermitteln, auch wenn sie bei der Auswahl des Gezeigten dabei sehr restriktiv sind. DIE REISE DER PINGUINE ist das Paradebeispiel dafür. Hier wurde den Tieren menschliches Verhalten quasi in den Schnabel gelegt. Ein Film, der mit dieser Form in den USA einen grandiosen Erfolg feierte, dort der erfolgreichste Naturfilm aller Zeiten. Wobei das Wort Naturfilm hier extrem gedehnt wird. In dieser Hollywoodisierung entsteht zum einen beim Zuschauer das beglückende Gefühl, mit der Natur in Kontakt zu sein. Andererseits ist dies nur eine stark verfärbte Sicht auf die Dinge, weitestgehend von den grundsätzlichen aktuellen Konflikten, Problemen und verstörenden Bildern befreit, eben massentauglich gemacht. Gleichzeitig freue ich mich darüber, zu sehen, dass Filme wie MORE THAN HONEY, eine Art Mischung aus Kultur-, Problem- und wenn man will, Naturfilm, solch eine überwältigende Resonanz beim deutschen Publikum finden. Das zeigt mir, dass zumindest 36
hier in Deutschland, für andere Länder kann ich da nicht sprechen, es ein breites Publikum gibt, das auch interessiert daran ist, mehr zu den Hintergründen und Zusammenhängen zu erfahren. Für den Erfolg des Films war die Machart sehr wichtig: Eine Entdeckungsreise, deren Problematik sich erst langsam offenbart mit einer beeindruckenden Bildsprache. So setzt dieser Film beeindruckende Techniken ein, z.B. Nahaufnahmen von fliegenden Bienen, die der Zuschauer so noch nicht gesehen hat. Also das unterhaltende bzw. begeisternde Element ist, egal welches Thema ein Film bearbeitet, für den Erfolg zentral wichtig. Denn die Mehrheit der Zuschauer will trotz allem unterhalten werden, auch bei der Vermittlung von wichtigen Hintergründen.
Wann wird Ihr Film erscheinen? Der sehr aufwändige, international ausgerichtete Kinodokumentarfilm PASSION FOR PLANET soll Ende 2014 fertig gestellt sein.
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Bibliografie Brunotte, Ulrike, „Wüstenparadies. Die Wildnis als Nicht-Ort und heilige Leere im frühen Neu-England“, in: Claudia Benthien, Manuela Gerlof (Hg.), Paradies. Topografien der Sehnsucht, Köln 2010. Engels, Jens Ivo, „Tierdokumentarfilm und Naturschutz in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts“, in: Maren Möhring, Massimo Perinelli, Olaf Stieglitz (Hg.), Tiere im Film. Eine Menschheitsgeschichte der Moderne, Köln 2009. Flitner, Michael, „Vom „Platz an der Sonne“ zum „Platz für Tiere““, in: ders., Tropenwald, Frankfurt/Main 2000. Grzimek, Bernhard, Kein Platz für wilde Tiere, München 1954. Grzimek, Bernhard, Serengeti darf nicht sterben. 367 000 Tiere suchen einen Staat, Berlin 1959. Kaes, Anton, „Zwischen Phantasie und Phantasmagorie. Das ,Paradies‘ in Werner Herzogs Fata Morgana“, in: Claudia Benthien, Manuela Gerlof (Hg.), Paradies. Topografien der Sehnsucht, Köln 2010. Pletz, Hendrik, „„Es wäre besser um die Welt bestellt, wenn die Menschen sich untereinander wie Löwen benähmen““, in: Maren Möhring, Massimo Perinelli, Olaf Stieglitz (Hg.), Tiere im Film. Eine Menschheitsgeschichte der Moderne, Köln 2009. Sewig, Claudia, Der Mann der die Tiere liebte, Bergisch Gladbach 2009. Torma, Franziska, Eine Naturschutzkampagne in der Ära Adenauer. Bernhard Grzimeks Afrikafilme in den Medien der 50er Jahre, München 2004.
Filmografie DIE REISE DER PINGUINE, R: Luc Jacquet, F 2005. DIE WÜSTE LEBT, R: Walt Disney, USA 1953. KEIN PLATZ FÜR WILDE TIERE, R: Bernhard Grzimek. D 1956. MORE THAN HONEY, R: Markus Imhoof, CH/D/A 2012. PASSION FOR PLANET, R: Werner Schüßler, D 2014. PINGUINE HAUTNAH, R: John Downer, GB 2013. SERENGETI DARF NICHT STERBEN, R: Bernhard Grzimek. D 1959. SCHIMPANSEN, R: Alastair Fothergill, Mark Linfield, Tansania/USA 2012. TIEFLAND, R: Leni Riefenstahl, D 1954. UNSERE ERDE, R: Alastair Fothergill, Mark Linfield, D/GB 2007. 38