1 minute read
Der gute Mensch von Sezuan von Bertolt Brecht
Bertolt Brecht hatte nichts gegen Geld. Und es wäre ihm wohl auch recht gewesen, wenn wir alle »die Welt retten, Spaß haben und dabei Geld verdienen« würden. Doch was uns Amory Lovins, der berühmte amerikanische Ökonom und Umweltaktivist, da in Aussicht stellt, scheitert leider allzu oft an der gnadenlosen Realität schneller Märkte. Die menschliche Natur scheint zu kurzfristigem Profit zu neigen. Genau hier setzt Brechts merkwürdige Geschichte aus der chinesischen Provinz Sezuan an. In Sezuan treffen drei obdachsuchende Götter auf die Sexarbeiterin Shen Te, die als Einzige bereit ist, die hohen Gäste aufzunehmen. Für ihre Güte wird die junge Frau mit einem kleinen Kapital belohnt – Mikrokredit, zu verzinsen in guten Taten –, woraufhin Shen Te sich mit einem Tabakladen selbstständig macht. Ihr bescheidener Wohlstand aber weckt Begehrlichkeiten. Als die Bitten ihrer Mitmenschen zu Forderungen werden und sie ihre Hilfsbereitschaft hemmungslos missbraucht sieht, erschafft sie sich ein kapitalistisches Alter Ego: einen Vetter namens Shui Ta, in dessen Gestalt sie ihre Interessen rigoros durchsetzt. Befreit vom Anspruch, moralisch zu handeln, baut Shen Te alias Shui Ta ein ausbeuterisches Tabakimperium auf. Auch hier stellt Brechts Parabel ihre Aktualität unter Beweis: Je skrupelloser das Vorgehen des erfundenen Vetters, desto schmerzlicher wird die gütige Shen Te von den Menschen in Sezuan vermisst. Mit dem Wechsel des Geschlechts verändert sich nicht nur das Selbst, sondern auch die Beziehungen rundherum. Die Frage nach weiblicher und männlicher Macht und Führungsstärke steht im Raum.
Der gute Mensch von Sezuan — Parabelstück von Bertolt Brecht — Regie: Bernadette Sonnenbichler — Bühne: David Homann — Kostüm: Tanja Kramberger — Musikalische Leitung: Tobias Vethake — Premiere im April 2023 — Schauspielhaus, Großes Haus
Advertisement