Theatermagazin Nr. 15 — Sommer / Herbst 2024

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Szene aus »Moby Dick« — Regie, Bühne, Licht: Robert Wilson
Musik: Anna Calvi — mit Christopher Nell

Moby Dick von Herman Melville

Romeo und Julia frei nach William Shakespeare

Faust 1+2+3 von Johann Wolfgang von Goethe und Felix Krakau

Bin gleich fertig! nach dem Bilderbuch von Martin Baltscheit und Anne-Kathrin Behl

Draußen vor der Tür von Wolfgang Borchert

Man muss sich Mephisto als einen glücklichen Menschen vorstellen von Jan Bonny und Jan Eichberg

Der Geizige von Molière

Nora von Henrik Ibsen

Emil und die Detektive von Erich Kästner

Wolf von Saša Stanišić

Die Verwandlung nach Franz Kafka

Ellen Babić von Marius von Mayenburg

Infos und Karten unter www.dhaus.de

Liebes Publikum,

wir leben in herausfordernden Zeiten, sind beschäftigt mit Fragen nach der Stabilität unserer Demokratie, mit gesellschaftlichen Konflikten, die sich je nach Nähe oder Ferne anders darstellen mögen und doch oft auf verwandte Ursachen zurückzuführen sind.

Wir laden Sie in unser Theater ein als einen Ort des Nachdenkens und Nachfühlens, des Beieinanderseins, des Akzeptierens der Verschiedenheit von Lebenswelten auf der Bühne; als einen Ort, den man braucht, um sich und die Welt etwas zu ordnen. Das Theater weiß keine Antworten, aber es kann Wahrheit und Tiefe, Intensität und eine Aufforderung zur Großzügigkeit vermitteln. Das ist nicht wenig.

Wir freuen uns darauf, den Weg durch die kommende Spielzeit mit Ihnen gemeinsam zu gehen.

Ihr Wilfried Schulz

Generalintendant

Düsseldorfer Schauspielhaus

Tag der offenen Tür & Großes Eröffnungsfest

Feiern Sie gemeinsam mit uns am Samstag, 14. September, ab 15 Uhr im gesamten Düsseldorfer Schauspielhaus den Auftakt zur neuen Spielzeit. Ein vielseitiges Programm, das sich an Kinder, Jugendliche und Erwachsene wendet, lädt von nachmittags bis spät in die Nacht mit Bühnentechnikshows, Kostümverkauf, Führungen durch das Haus, Mitmachaktionen und vielem mehr zu Theater hautnah ein.

Um 15 Uhr starten wir mit Angeboten für Kinder und Familien: Drag Story Hour, Maskenbildnerei hautnah und Führungen durch das Haus. Mit dabei: die Tischlerei sowie Theatermalerei und -plastik zum Anschauen und Selbsterleben! Draußen laden wir alle Kinder zum Kettcar-Parcours, während die zweite Ausgabe des SkateFestivals »Own It!« den Platz vor dem Schauspielhaus (von 10 bis 22 Uhr) mit spannenden Contests und Workshops in eine große Halfpipe verwandelt, DJs inklusive. Außerdem im Nachmittagsprogramm: spielerische Aktionen und überraschende Auftritte des Stadt:Kollektiv, Improtheater mit den D’Impronauten sowie Kindertanz mit dem ukrainischen Choreografen Glib Movenko. Im Foyer des Großen Hauses empfängt Sie Live-Musik von Belendjwa Peter (»Cabaret«) und Jonny Lehondi aka Jonas Friedrich Leonhardi an der Loop-Station. Am Glücksrad winken tolle Gewinne, und Sie können sich über die Premieren der neuen Saison informieren. Beim beliebten Kostümverkauf haben Sie die Gelegenheit, Ihr ganz persönliches Stück Düsseldorfer Theatergeschichte mit nach Hause zu nehmen. Mit Mitarbeiter:innen des Theaters ins Gespräch kommen Sie beim Speeddating, und bei der Bühnentechnikshow im Großen Haus entfachen wir für Sie um 16 und 17 Uhr Theatermagie pur! Im Kleinen Haus lädt Schauspieler Jürgen Sarkiss mit Ensemble zu einem ganz besonderen Liederabend. Realtalk und Albernheiten gibt’s beim Stand-up-Comedy-Auftritt von Abdul Kader Chahin. Die acht Studierenden des Düsseldorfer Schauspielstudios begrüßen Sie im Unterhaus gut gelaunt mit Chansons und Szenen Außerdem erwarten Sie auf allen Bühnen Lesungen und Ausschnitte aus unseren Inszenierungen, bis um 19:30 Uhr das Ensemble und die künstlerischen Teams in der großen Saisonvorschau die neue Spielzeit präsentieren. Im Anschluss feiern wir Drag und Travestie in all ihren Facetten mit einer Spezialausgabe von Drag & Biest im Foyer, bis es um 22 Uhr heißt: Tanzen unterm Bühnenhimmel bei der Party im Großen Haus. — Freier Eintritt bei Bühnentechnikshow, Party und allen weiteren Angeboten. Saisonvorschau: 6/3,50 € erm.

Own It! Skate-Festival — open air vor dem Schauspielhaus — von 10 bis 22 Uhr — In Kooperation mit Titus Düsseldorf, Skatepark Eller, Volcom und Skate Aid — Vorbeikommen und mitmachen

Der Regisseur und visuelle Künstler Robert Wilson begeistert weltweit und hat Theatergeschichte geschrieben. Mit seinen Düsseldorfer Inszenierungen »Der Sandmann«, »Das Dschungelbuch« und »Dorian« hat er seit einigen Jahren auch einen festen Platz im Spielplan des Schauspielhauses. Mit der Premiere seiner Sicht auf Melvilles Jahrhundertroman »Moby Dick« am 7. September eröffnet das D’haus nun die neue Spielzeit. Ein Probeneindruck von Dramaturg Robert Koall.

Jetzt hat ein gewaltiger Wal die brodelnden Wogen des Ozeans durchbrochen – er schwebt über dem Wasser, umflort von einer Gischtwolke. Der kolossale Körper wirft sich gen Himmel. Es ist ein Schauspiel von Macht und Anmut, purer Schönheit und Gefahr. Das älteste Geschöpf der Welt, von Gott am vierten Tag nach der Sonne, dem Mond und den Sternen geschaffen – gleich wird es in all seiner Riesenhaftigkeit zurückstürzen und vor unseren Augen in den Unergründlichkeiten der Tiefsee verschwinden. Dieser Wal, sein Gemälde, schmückt den portalgroßen Vorhang, der sich zu Beginn von Robert Wilsons »Moby Dick« am Düsseldorfer Schauspielhaus heben wird. Und den Blick freigeben wird auf Herman Melvilles Welt, wie Wilson sie sieht.

Im Juni 2024 ist diese Wilson-Welt noch die einer Probebühne am Düsseldorfer Hauptbahnhof. Man muss sich einen weiten und dämmrigen Theaterraum vorstellen, voller geschäftiger Menschen an einem Mittwochvormittag. Links sitzt die Band, acht Musiker:innen, die sich dicht gedrängt auf ihren Stühlen zurechtruckeln. Eine Gitarre wird gestimmt, der musikalische Leiter Hajo Wiesemann am Flügel wischt Noten übers iPad. Auf der Bühne ein knappes Dutzend Schauspieler:innen in Maske und Kostüm, die sich zu Probenbeginn orientieren zwischen schwebenden Schiffsmasten und den Kolleg:innen der Technik, die die Szenerie vorbereiten. In der rechten Ecke geht Kilian Ponert seinen Text mit der Souffleuse durch, hinter der Kulisse hört man Christopher Nell einen Song im Falsett üben. Rosa Enskat kriegt – damenhaft fluchend – einen Lidstrich nachgezogen, Belendjwa Peter dehnt Nacken und Rücken. Im Schatten der Tür steht der Arrangeur Chris Wheeler der Komponistin Anna Calvi und telefoniert mit ihr in ihrem Londoner Studio über den geplanten Schlusssong.

Auf der Tribüne zwei lange Tischreihen, auf denen Licht, Video, Ton und Inspizient ihre glimmenden Pulte aufgebaut haben. Davor die leeren Arbeitstische von Kostüm und Bühne – denn Kostümbildnerin Julia von Leliwa und Co-Bühnenbildner Serge von Arx sind ebenfalls im weiten Raum der Probebühne unterwegs, korrigieren den Sitz einer Jacke oder einer Frisur, überprüfen eine Kulisse oder eine Projektion. Es ist ein arbeitsames, konzentriertes Summen, das den Raum erfüllt. In der Mitte von allem sitzt Robert Wilson. Wie stets in sich ruhend, den Blick unverwandt auf die Bühne gerichtet, wie immer ganz in Schwarz gekleidet. Es ist eine einfache

Geschichte, die er gemeinsam mit den Menschen im Raum erzählen will: die vom Weißen Wal, der seine Jäger tötet. Zugleich aber ist »Moby Dick« ein Jahrhundertroman, der von der Unendlichkeit der Natur und der Beschränktheit des Menschen handelt, sowohl Seefahrererzählung als auch horizontweites Panorama menschlicher Erfahrungen. Philosophie und Abenteuer, Wissenschaft und Kunst, Mythos und Augenschein reichen sich in diesem Text die Hände und erzählen vom Menschen, der seine Dämonen hetzt, um im Kampf nichts weniger als das Geheimnis der eigenen Existenz zu ergründen. Eine kleine, große Geschichte.

Nun greift Wilson zum Mikrofon. Der über 80-jährige Texaner, den alle Bob nennen. Sein verstärkter, sanfter Bass bringt die Menge der wuselnden Theatermenschen zum Stillstand, Ruhe senkt sich über die Szene. »Good morning everyone. What are we going to do today? (Pause) Let us have a look at the tavern scene.« Nach kurzer Zeit sind alle auf ihren Plätzen und Positionen, um ebenjene Szene zu proben, die in einer Seefahrerspelunke spielt. Es kann losgehen, und Wilson sagt den Satz, der auf Deutsch einfach nur »Saallicht aus, bitte!« bedeutet, auf Englisch aber einen etwas eigenwilligeren Klang hat: »Kill the audience!«

Was folgt, ist die Spannung, die entstehen kann, wenn viele Menschen mit großer Disziplin zusammenarbeiten. Wilson choreografiert das Ensemble auf der Bühne, schrittweise, zentimeterweise, sekundengenau. Akribisch werden Körper arrangiert. Scheinwerfer messerscharf ausgerichtet, Texte auf ihre Essenz eingedampft, Musik exakt auf Gesten und Schritte, Blicke und Blinzeln angepasst – es ist ein Hochamt der Präzision. Ist man fertig, beginnt man von vorn.

Anstrengend ist diese Art der Arbeit, kräfteraubend. Von den Schauspieler:innen fordert sie neben Kreativität und Kunstfertigkeit auch Kondition und sehr viel Geduld. Von der Band die Fähigkeit, auf Zuruf und manchmal aus dem Stegreif die Szene zu begleiten, oft gar zu führen. Alle Abteilungen sind gefordert, jede Entwicklung auf der Probe unmittelbar umzusetzen, hochpräzise in time and in space. Das sind die oft zitierten Achsen von Wilsons Theaterkoordinatensystem. Sie definieren seine Welt. Alles in seinem Theater entscheidet sich daran, wo es in der Zeit steht und im Raum. Und er als Mastermind ist der Kapitän, der auf der Brücke die Übersicht über Zeit und Raum behält.

Auf diese Weise vergehen im Halbdunkel des Probenraums Stunden. Bis Bobs Stimme wieder den Raum füllt: »Thank you everyone. That was much better this time.« Die »tavern scene« in der Spelunke ist für heute fertig.

Vier Wochen wurde »Moby Dick« vor dem Sommer geprobt. Um dann, mit Wiederbeginn der Saison, »mit Katz und Maus und Mensch und Wal« (wie es im Textbuch heißt) ins Schauspielhaus umzuziehen. Dort vergehen dann noch einmal drei konzentrierte Wochen bis zur Premiere. Die »tavern scene« freilich wird dann anders aussehen als auf der heutigen Probe. »I am not sure about the music. And there are way too many words! It’s a simple scene: A man enters a bar looking for a job on a ship. That’s it. Let’s keep it that simple!« Robert Wilson wird weiterarbeiten. Bis sich der Premierenvorhang hebt und der mächtige Wal darauf in den Theaterhimmel schwebt.

Moby Dick — von Herman Melville mit Musik von Anna Calvi — Mit: Rosa Enskat, Michael Fünfschilling, Moritz Klaus, Jonas Friedrich Leonhardi, Christopher Nell, Belendjwa Peter, Kilian Ponert, Heiko Raulin, Yaroslav Ros, Jürgen Sarkiss, Roman Wieland — Live-Musik: Salome Amend/Bruna Gonçalves Cabral, Dom Bouffard,

Tim Dudek/Ralf Gessler, Kriton Klingler-Ioannides, Sandra Klinkhammer, Christoph König/Cristina Ardelean Montelongo, Maurice Maurer/ Vargas Amezcua Maria del Mar, Tobias Sykora/Emanuel Wehse, — Regie, Bühnenbild, Lichtkonzept: Robert Wilson — Songs: Anna Calvi — Kostüm: Julia von Leliwa — Co-Regie: Ann-Christin Rommen — Co-Bühnenbild: Serge von Arx — Co-Lichtdesign: Marcello Lumaca — Video: Tomasz Jeziorski — Make-up-Design: Manu Halligan — Additional Music: Dom Bouffard, Chris Wheeler — Orchesterarrangements: Chris Wheeler — Sounddesign: Torben Kärst — Musikalische Leitung: Dom Bouffard — Dramaturgie: Robert Koall — Dramaturgische Mitarbeit: Eli Troen — Premiere am 7. September 2024 — Vorstellungen: 4., 5. und 6.9. (öffentliche Proben/Voraufführungen), 8., 28. und 29.9., 6. und 19.10., 3.12. — weitere Termine unter www.dhaus.de — Schauspielhaus, Großes Haus

Christopher Nell, Kilian Ponert

Das Stadt:Kollektiv, unser Theater zum Mitund Selbermachen, bringt »Romeo und Julia« nach William Shakespeare gemeinsam mit einem generationenübergreifenden Ensemble am 13. September zur Premiere. Was kann uns der große Stoff über Liebe, Freiheit und Frieden heute erzählen? Dramaturgin Birgit Lengers fragt bei Regisseur Bassam Ghazi und Spieler:innen nach.

Was hat dich motiviert, diese bekannteste Liebesgeschichte aller Zeiten im Jahr 2024 in Düsseldorf auf die Bühne zu bringen?

Bassam Ghazi — Wie Shakespeare in einem Stück Hass und Liebe dramatisch verdichtet, ist einfach grandios. Für mich hat sich schnell die Frage herauskristallisiert: Für wen stehen diese beiden verfeindeten Häuser? Wo findet Spaltung in unserer Gesellschaft statt? Es war mir wichtig, einen konkreten Blick auf Israel und Palästina zu richten. Aber nicht ausschließlich. Wir werden keine jüdische Julia und keinen palästinensischen Romeo sehen, aber wir werden über tote Kinder sprechen. In dem Moment, in dem zwei Fronten aufeinanderprallen, stellt sich schnell Sprachlosigkeit ein. In meiner Arbeit geht es immer darum, Dinge zu thematisieren, über die wir sonst schweigen. Wir haben uns auf eine gemeinsame Sprachsuche begeben.

Es gibt viele Parallelen zu meiner Familie jüdisch-armenischer Russ:innen, die gerade ihren Platz auf der Welt neu suchen müssen. Und da ist auch der Verlust von Freunden, die es auf dieser Welt einfach nicht mehr ausgehalten haben. (Masha)

Gerade weil das Stück so alt ist, ist es noch krasser. Wir denken immer, wir hätten uns weiterentwickelt, wären viel schlauer geworden. Aber dann stellen wir nach Jahrhunderten fest, dass sich im Grunde gar nichts verändert hat und wir genau so dumm dastehen inmitten unnötiger Kriege. (Layan)

Auch innerhalb der Familien gibt es einen Konflikt: zwischen der Elterngeneration und der Jugend. War das relevant für die Zusammensetzung des Ensembles mit 15 Spieler:innen zwischen 14 und 62 Jahren?

Bassam Ghazi — Auf jeden Fall. Mich interessiert, wo es zwischen den Generationen clasht, in welchem Erwartungskorsett junge Menschen gefangen sind und wo sie sich neu positionieren. Da gibt es eine Generation, die in ihrem Hass erstarrt ist, und die Jugend, die mit ihrer unmöglichen Liebe ein Zeichen der Hoffnung für die Zukunft setzt. Sie verweigern jede Identitätszuschreibung und erfinden sich in ihrer Liebe neu.

Ich fühle mich Julia verbunden, weil auch ich mich als Frau sehe, die gegen ihr Umfeld kämpfen muss. Sie möchte aufgrund ihrer Leidenschafft ausbrechen, aber die Familie, die Gesellschaft wollen sie zurückhalten, schon allein weil sie eine Frau ist. (Mina)

Alrun Juman Göttmann, Zoltán Selo

Wo spielt »Romeo und Julia« bei dir?

Klar, das ist ein heterosexuelles Pärchen, aber es ist ein Paar, gegen dessen Liebe die ganze Welt steht, und da sehe ich mich schon repräsentiert – gerade in der Rolle von Pater Lorenzo ein Supporter dieser Liebe zu sein. (Lou)

Bassam Ghazi — Die Inszenierung spielt im Theater und bedient sich aus einem großen Fundus. Sie legt in ihrer Form offen, dass es nicht die eine richtige und befriedigende Erzählweise gibt. Mir ist wichtig, dass das Publikum sehr unterschiedliche Romeos und Julias erlebt. In diesem multiperspektivischen Setting geht es ums Ausprobieren, ums Scheitern und ums Erneut-Loslegen. Der Treibstoff ist die Liebe. Immer neue Aspekte und Perspektiven werden eingebracht, Varianten werden durchgespielt, Auswege gesucht, und entsprechend schnell wird umbesetzt.

Das klingt nach dem, was Theater im Wesen ausmacht.

Bassam Ghazi — Genau, aber es ist kein Probenraum. Wir erzählen das Drama von Shakespeare und verbinden es mit eigenen Geschichten und Blickwinkeln. Die Bühne wird zum Spiel- und Referenzraum: Popkulturelle Zitate, Querverbindungen und Einwürfe ploppen auf. Dank der 427-jährigen Rezeptionsgeschichte gibt es auch bei den Spieler:innen extrem viele Assoziationen und Bezüge, die allein der Titel auslöst. Aus dieser riesigen Materialsammlung könnten wir noch drei weitere Inszenierungen entwickeln. Aber trotz aller Abweichungen und Anreicherungen bleiben wir Shakespeare treu.

Worauf kann sich das Publikum freuen?

Das Publikum wird der Bühne und den Spieler:innen näher kommen als gewohnt. (Thien Kim)

Bassam Ghazi — Auf Theater als Erlebnis und Begegnung! Es wird auf jeden Fall überraschend und abwechslungsreich. Vielleicht gibt es Momente, in denen man sich vollkommen überfordert fragt, wo bin ich denn hier gelandet? Ich wünsche mir, dass auch eine Verbindung zwischen den Geschichten des Ensembles und denen des Publikums entsteht. Ich bin sicher, das Publikum wird, wenn es das Theater verlässt, gelacht und vielleicht geweint haben. Und das Erlebte wird nachwirken.

Wo wird die Inszenierung das Publikum treffen? Im Kopf, im Herzen oder im Bauch?

Bassam Ghazi — Natürlich im Herzen, und von dort strahlt es in alle Richtungen.

Lachen, weinen, ins Denken kommen. (Violetta)

Romeo und Julia — frei nach William Shakespeare — Mit: Eli Aliashvili, Layan Baker, Mina Gamoori, Alrun Juman Göttmann, Lou Magnus Heckhausen, Kristina Karst-El Scheich, Violeta Mikic, Carolin Wilhelmine Müller, Thien Kim

Phan, Christian Schwarz-Schier, Zoltán Selo, Masha Shafit, Beate Söhngen, Bela

Karl Ternes, Ylber Zaimi — Regie: Bassam Ghazi — Bühne: Paulina Barreiro — Kostüm: Maria Lucía Otálora — Video: Viktoria Gurina — Choreografie: Ronni Maciel — Dramaturgie: Birgit Lengers — Premiere am 13. September 2024 — Vorstellungen: 10.9. (öffentliche Probe/Voraufführung) — 15. und 21.9., 2. und 12.10. — weitere Termine unter www.dhaus.de — Schauspielhaus, Kleines Haus — Stadt:Kollektiv

Das Publikum kann sich auf uns freuen! (Ylber)

Mit der Premiere von »Faust 1+2+3« für alle ab 14 Jahren eröffnet das Junge Schauspiel die Spielzeit 2024/25. Notizen des Regisseurs und Autors Felix Krakau zum Stück der Stücke aus einer jungen und gegenwärtigen Perspektive.

Goethes »Faust« für ein junges Publikum und das Ganze auch noch in ungefähr 90 Minuten: im Grunde unmöglich. Schon der erste Teil ist kompliziert genug, wurde rauf- und runterinterpretiert, hat Eselsohren in den Ecken und hier und da Staub angesetzt. Vom zweiten Teil gar nicht erst zu reden, und dann soll’s auch noch einen dritten geben, den ja ohnehin niemand kennt, kennen kann, da es ihn gar nicht gibt. Eine Schnapsidee, ein Wahnsinn, zum Scheitern verurteilt, man könnte sagen: ein Pakt mit dem Teufel.

Einen solchen geht auch Faust, Goethes Hauptfigur, selbst ein, als er sich mit Mephisto zu einem der schillerndsten Duos der Literaturgeschichte zusammenschließt. Geplagt von einer stattlichen Sinnkrise erhofft sich Faust mehr vom Leben: mehr Erkenntnis, mehr Gefühl, mehr Liebe, mehr Fun – das ganze Register der Empfindung. Also machen sich die beiden auf zu einem wilden Ritt durch die Jahre und Schauplätze, stürzen sich ins Rauschen der Zeit, mit high speed und high intensity. Dabei verschlingt Faust die Welt, die ihn umgibt, nimmt keine Rücksicht und geht nicht nur sprichwörtlich über Leichen. Wie ein Berserker pflügt er durch die Story, ohne Pause oder Innehalten, seine Botschaft: no regrets. Ein Happy End gibt es keins, vor allem nicht für Margarete – das berühmte Gretchen –, das Faust in seinem Größenwahn, seiner Allgewalt ins Verderben stürzt. Oder etwa doch nicht? Darüber streiten sich die Gelehrten. Ohnehin wird viel gestritten über »Faust« und darüber, womit man es eigentlich genau zu tun habe, wie dieser Stoff und seine Figuren zu beurteilen seien. »Faust« ist ein gewaltiges Konglomerat, ein Märchen, eine Fiktion, eine Zumutung, die sich kaum auf nur eine Deutungsebene beschränken lässt. Es geht um Logik und Magie, Gefühl und Verstand, Wissenschaft und Aberglaube, auch das Theater selbst wird verhandelt. Der ganze Stoff ist eine Sinnsuche, ein Weltverstehenwollen, um eine Ahnung davon zu bekommen, was die Welt im Innersten zusammenhält.

Und so kreist »Faust« immer wieder um die gleichzeitig banale und doch kolossale Frage: Warum sind wir Menschen überhaupt auf dieser Erde? Wofür verlassen wir morgens das Bett, warum machen wir uns auf in die Welt oder bleiben, wo wir sind? Antworten darauf kann es natürlich, wenn überhaupt, nur näherungsweise geben, vorsichtig tastend. Sie lassen sich im Alltäglichen finden oder im Philosophischen, verändern sich je nach Lebensphase, Alter und allgemeiner Stimmung. Es sind mal schmerz-, mal hoffnungsvolle Fragen darüber, ob nicht alles neu gedacht, neu gelebt werden könnte. Und was wir mit unserer Existenz überhaupt anfangen sollen, da wir sie nun einmal haben. So halten wir Lebensentwürfe gegen das Licht, drehen und wenden sie, beurteilen sie von allen Seiten und gelangen zu der unverschämten Erkenntnis, dass unsere Zeit nicht reicht, um all die Leben zu leben, die in uns stecken. Oder um mit all den Menschen sein zu können, die wir lieben. Dass wir vielleicht nie ans Ziel gelangen werden, sosehr wir uns auch bemühen.

Ob wir es immerhin mit »Faust«, diesem Koloss der Theatergeschichte, über die Ziellinie schaffen werden? Wer weiß. Aber wir werden es versuchen. Unterwegs fragen wir uns, was von diesem Stoff tatsächlich erzählt werden muss und was guten Gewissens über die Reling geworfen werden kann. Ob der Mensch gut ist oder schlecht und wie wir es eigentlich mit der Religion halten. Oder ob es das überhaupt geben kann: zeitlose Wahrheiten. So türmt sich dieser Stoff vor uns auf, fliegt auseinander und setzt sich wieder zusammen, wir aber greifen danach und hoffen, dass er uns nicht zwischen den Fingern zerrinnt. Denn darum geht es doch, vielleicht: um den Versuch, einen Anker zu werfen. Halt zu bekommen, einen Plan zu entwickeln. Hoffnung zu haben und Zuversicht, Glück oder meinetwegen Geld, ganz egal: Hauptsache etwas haben, an das man sich halten kann. Habe nun, ach! Es geht in diesem Stoff also um alles – und das ist ja wohl das Mindeste.

Faust 1+2+3 — von Johann Wolfgang von Goethe und Felix Krakau — ab 14 — Mit: Natalie Hanslik, Hannah Joe Huberty, Ayla Pechtl, Leon Schamlott, Felix Werner-Tutschku — Regie: Felix Krakau — Bühne und Kostüm: Marie Gimpel — Musik: Timo Hein — Dramaturgie: Leonie Rohlfing — Theaterpädagogik: Ilka Zänger — Premiere am 15. September 2024 — Vorstellungen: 12.9. (öffentliche Probe/Voraufführung), 17. und 18.9., 8. und 9.10., 9., 11., 12. und 13.11. — weitere Termine unter www.dhaus.de — Münsterstraße 446, Bühne — Junges Schauspiel

Felix Werner-Tutschku

Es geht um Gustaf Gründgens. Filmregisseur Jan Bonny interpretiert Klaus Manns legendären Schlüsselroman »Mephisto« als rasante Groteske mit hohem politischem Bewusstsein. Über seine persönliche Annäherung an ein besonderes Stück Theatergeschichte zwischen Macht und Moral spricht Jan Bonny mit Dramaturg Stijn Reinhold.

»Mephisto« erzählt vom Aufstieg des Düsseldorfer Schauspielers und Intendanten Gustaf Gründgens im Nationalsozialismus. Als Filmregisseur sind Sie seit vielen Jahren erfolgreich mit Kinofilmen wie »Gegenüber« oder »Wintermärchen« und erreichten mit »King of Stonks« über den Wirecard-Skandal 2022 bei Netflix ein großes Publikum. Was reizt Sie und Ihren Co-Autor Jan Eichberg am Theater? Jan Bonny — Man kann mit Filmen alles erzählen. Aber egal wie eigenwillig die erzählte Welt sein mag, der Blick durch die Kamera ist immer konkret. Das Theater dagegen kann einen mehrdimensionalen und erstmal ungeklärten Erzählraum eröffnen, da kommen Jan Eichberg und ich auch gut mit unserem Bühnenbildner Alex Wissel zusammen, der selbst aus der bildenden Kunst kommt. Auf der Bühne sind Figuren nicht nur psychologisch definiert, sondern Vertreter von Ideen und Gedanken. Theaterarbeit ist für mich ein Prozess, der sich durch eine erstaunliche Offenheit auszeichnet. Wir können Orte, Zeiten und Figuren so zusammenbringen, dass hoffentlich neue Zusammenhänge sichtbar werden – und auch ein paar verdrängte alte. Theater muss sich auch für den Ort interessieren, an dem es entsteht, und darin wieder konkret werden, sonst ist alles nur eine ästhetische Übung. »Mephisto« erzählt von der Lust an der Unterwerfung, von der Verführbarkeit des Menschen, vom deutschen Wesen und von Gewalt – eine Düsseldorfer Theatergeschichte über einen Düsseldorfer Theatermenschen, die natürlich auf eine Düsseldorfer Theaterbühne gehört.

Jan Bonny vor dem Gründgens-Denkmal im Hofgarten

Man muss sich Mephisto als einen glücklichen Menschen vorstellen — von Jan Bonny und Jan Eichberg nach dem Roman »Mephisto« von Klaus Mann — Mit: Cathleen Baumann, Mila Moinzadeh, Julian Sark, Thomas Schubert, Claudius Steffens, Blanka Winkler — Regie: Jan Bonny — Bühne: Alex Wissel — Kostüm: Ulrike Scharfschwerdt — Dramaturgie: Stijn Reinhold — Premiere am 18. Oktober 2024 — Termine unter www.dhaus.de — Schauspielhaus, Kleines Haus

»Man muss sich Mephisto als einen glücklichen Menschen vorstellen«, so lautet der Arbeitstitel Ihrer Bühnenadaption des Romans. Eine überraschende These – was steckt dahinter? Jan Bonny — Gustaf Gründgens durfte ja nie aufhören mit seinen Ränkespielen, sonst wäre er draufgegangen. Immer hat er sich für sich (und nebenbei für seine Kunst) mit den Mächtigen arrangiert. Bis zur Selbstverleugnung und weit darüber hinaus, weit in die deutsche Finsternis hinein – was für eine verzweifelte, obszöne Verbissenheit. Albert Camus erzählt in einem Essay vom glücklichen Sisyphos, der im unendlich sinnlosen Anlaufnehmen Befriedigung findet, weil er die Absurdität seiner Existenz akzeptiert. Darin steckt auch etwas Teuflisches: Der Mephisto als neuer Gott in einer Welt ohne Moral. Gründgens ist anfangs vielleicht eine Faust-Figur, die schließlich zu Mephisto wird. Das Absurde, egal wie bitter, ist eben stets auch komisch – so wie hoffentlich auch unser Zugriff auf den Roman. Durch Witz kann man das Unsagbare in Worte fassen – und wenn wir etwas falsch machen, umso besser! Jetzt, wo sich die gesellschaftlichen Lager so verhärten, müssen wir eine neue Sprache auf die Bühne bekommen. Da muss es zur Sache gehen, damit wir so die echte Welt draußen neu angehen können. Und Klaus Mann muss auch mitmachen!

Hinter dem Schauspielhaus steht eine Marmorstatue. Das Gründgens-Denkmal des Düsseldorfer Bildhauers Peter Rübsam zeigt eine verhüllte Gestalt, die sich den Blicken der Öffentlichkeit zu entziehen sucht … Jan Bonny — Haben Sie schon einmal versucht, das Denkmal zu finden? Das ist gar nicht so einfach. Es steht gut versteckt hinter dem Gebäude, zwischen hohem Gebüsch, unten am Sockel die Worte: »Er liebte es nicht, den Vorhang zu öffnen, hinter dem er sich selbst verbarg. Wir wollen nach seinem Tod nicht zudringlicher werden als zu seinen Lebzeiten.« Ein groteskes Bild, das an eine Totenmaske erinnert – die Inschrift, die mehr verdeckt als offenlegt, der Marmorvorhang, den man in 1000 Jahren nicht zurückziehen kann –, eine unnahbare Kunstfigur. Das Denkmal entstand 20 Jahre nach Gründgens’ Tod 1963 in Manila. Im Düsseldorfer Theatermuseum ist sein letzter Brief ausgestellt: »Ich habe glaube ich zu viel Schlafmittel genommen, mir ist ein bisschen komisch. Lass mich ausschlafen«, steht da in zittriger Handschrift – nur keine Fragen mehr.

Regisseur Adrian Figueroa bezieht Wolfgang Borcherts »Draußen vor der Tür« auf die Gegenwart und aktuelle Debatten.

Am Düsseldorfer Schauspielhaus hat er zuletzt »Biedermann und die Brandstifter« von Max Frisch sowie »Arbeit und Struktur« von Wolfgang Herrndorf inszeniert. Dramaturg

David Benjamin Brückel über die Aktualität von Borcherts Anti-Kriegsstück aus dem Jahr 1947.

Unteroffizier Beckmann kehrt aus dem Krieg zurück. Das »seuchige und kraftstrotzende Tier« hat ihn müde und lebensmüde gemacht. Doch nicht nur der Heimkehrer hat sich verändert, auch zu Hause ist nichts mehr wie früher: Das Kind wurde durch eine Bombe getötet, die Ehe liegt in Trümmern, die einst regimetreuen Eltern haben sich das Leben genommen, und der Oberst will von Beckmanns seelischen Verletzungen nichts wissen. Nicht einmal die Flucht in die Rolle des Komikers auf der Kabarettbühne gelingt. Mit der Verantwortung für den Tod ehemaliger Kameraden und mit seinen Albträumen bleibt der Traumatisierte allein. Visionen und Erinnerungen verfolgen ihn bis an den Rand des Suizids. Den Glauben an das Gute im Menschen hat er verloren. Er kann nicht mehr heimisch werden in der Welt.

Der Nazigegner Wolfgang Borchert, der 1947 im Alter von 26 Jahren verstarb, verlieh mit »Draußen vor der Tür« seinen eigenen Erfahrungen als Soldat im Zweiten Weltkrieg Ausdruck. Gleichzeitig verhandelt das in nur wenigen Tagen wie im Fieberwahn niedergeschriebene Stück (»Ich muss in einem ungeheuren Tempo lesen, schreiben, sprechen, lernen, arbeiten – lieben und leben!«) universelle Fragen. Sie betreffen die psychische Verfasstheit des vom Krieg heimgesuchten Menschen, seine Beziehungen zu anderen und das eingestürzte Weltvertrauen. Angesichts immer neuer Kriege sind diese Fragen bis heute gültig. Was passiert mit Menschen, die Gewalt erfahren oder ausüben? Unter welchen Umständen sind Menschen dazu bereit, den Kreislauf von Gewalt und Gegengewalt zu durchbrechen? Wie kann ein pragmatischer Pazifismus aussehen? Gibt es eine ethische Pflicht zur Selbstverteidigung? Und braucht ein Land, das »ein Verteidigungsministerium

hat (sprich: ein Kriegsministerium), ebenso eine Art Pazifismusministerium«, wie Nele Pollatschek in der Süddeutschen Zeitung schreibt? Laut der Autorin und Journalistin braucht es nämlich »Pazifisten genau dann, wenn fast alle sich für massive Waffenlieferungen aussprechen. Gerade weil man sich an einem Krieg beteiligt, braucht man Menschen, die sich niemals an einem Krieg beteiligen würden. Man muss die Argumente gegen Krieg genau dann hören, wenn man sie am wenigsten hören will. Nicht um ihnen notwendigerweise zuzustimmen, sondern um sich selbst immer wieder zu hinterfragen. Und ja, das bedeutet, dass man Pazifi sten eben genau dann braucht, wenn man sie wirklich unerträglich findet. Wenn alles in einem schreit, die Lage sei doch wirklich eindeutig.«

Draußen vor der Tür — von Wolfgang Borchert — Mit: Sonja Beißwenger, Markus Danzeisen, Raphael Gehrmann, Claudia Hübbecker, Pauline Kästner, Florian Lange, Thiemo Schwarz — Regie: Adrian Figueroa — Bühne: Irina Schicketanz — Kostüm: Malena Modéer — Musik: Ketan Bhatti — Video: Benjamin Krieg — Mitarbeit Video: Elena Tilli — Licht: Konstantin Sonneson — Dramaturgie: David Benjamin Brückel — Premiere am 5. Oktober 2024 — öffentliche Probe/Vorauff ührung: 3.10. — weitere Termine unter www.dhaus.de — Schauspielhaus, Großes Haus

Bernadette Sonnenbichler

Über Lust und Komik in Molières »Der Geizige«: Regisseurin Bernadette Sonnenbichler und Schauspieler

Thomas Wittmann, der die Titelrolle des Harpagon spielt, im Gespräch mit Dramaturgin Beret Evensen.

Thomas Wittmann, der wievielte Molière ist »Der Geizige« für Sie?

Thomas Wittmann — Gute Frage … Tatsächlich habe ich erst in einem Stück von Molière gespielt, vor 30 Jahren. In »Don Juan« war ich der unglücklich verliebte Bauernjunge, das hat damals wahnsinnig Spaß gemacht. In der vergangenen Saison habe ich vor allem ernstere Rollen gespielt. Jetzt freue ich mich sehr auf unsere Proben, auch wenn Komödie oft das Schwerste ist.

Bernadette Sonnenbichler — Molière legt zweierlei in die Waagschale. Einerseits die typisierten Figuren, die in der Commedia dell’Arte ihren Ursprung haben. Er überzeichnet seine Figuren in ihren Leidenschaften, darin liegt die Komik.

Thomas Wittmann — Man lacht über ihre Skurrilität, die zugleich einen dunklen Anteil hat. Bernadette Sonnenbichler — Andererseits hinterfragt Molière gesellschaftliche Normen und erzählt Geschichten, die berühren. Es geht im »Geizigen« auch um Liebe, Familie und die Suche nach dem Glück. Man könnte jede seiner Komödien auch als Tragödie lesen.

Thomas Wittmann — Ja, die Hauptfigur Harpagon ist ein Mann, der mit 60 Jahren nichts anderes vom Leben gelernt hat, als dass er niemandem trauen kann, selbst seinen Kindern nicht. Stattdessen hat er ein erotisches Verhältnis zu seinem Geld entwickelt.

Im Hause Harpagon regieren zwei Leidenschaften: die Lust auf Geld und Reichtum und die Sehnsucht nach Liebe. Die bürgerliche Sparsamkeit, die Molière aufs Korn nimmt, hat sich bei Harpagon zu übertriebenem Geiz entwickelt. Es bringt ihn zur Raserei, dass seine Kinder lebensfroh und konsumfreudig sind.

Bernadette Sonnenbichler — Ob Kinder oder Personal, Harpagon gängelt alle in seinem Haushalt, das ist für mich eine herrliche Komponente. Das erotische Verhältnis zum Haben, zu Besitz, ist zentral im Stück. Im Buddhismus gibt es den Begriff »Raga« für die Anhaftung. Etwas genießen ist gut, daran haften ist es nicht. Das gilt genauso für Harpagons egomanen Besitzanspruch, der auch bei seinen Kindern spürbar wird. Der Vater giert nach Geld und

Reichtum, seine Kinder Cléante und Élise sehnen sich nach romantischer Liebe. Sie sind im Wohlstand aufgewachsen und können es sich leisten, in ihr Liebesglück zu investieren. Dabei revoltieren sie mit allen möglichen Tricks gegen ihren geizigen Vater. Und Harpagons Personal wünscht ihm sowieso die Pest an den Hals. Im Grunde sind sie alle genauso getrieben wie er, verfolgen nur unterschiedliche Ziele.

Es bereitet viel Vergnügen, die Intrigenspiele in diesem trubeligen Haushalt zu verfolgen. Wie verbündet man sich mit so einer Figur, dem archetypischen Knauser?

Thomas Wittmann — Es ist eine Rolle mit unheimlich viel Fleisch, das weckt eine große Spiellust. Harpagon ist eine schillernde Figur, seine Sehnsüchte reichen ins Groteske. Das ist sehr wichtig für mich, weil es so gegenwärtig ist. Wir leben heute in einer materiellen Welt, Geld ist das Allerwichtigste.

Bernadette Sonnenbichler — Wer Geld hat, hat Freiheit und Macht. Man muss nur die Präsidentschaftswahlen in den USA beobachten. Ins Rennen geht, wer das meiste Geld sammeln kann …

Thomas Wittmann — … unabhängig davon, wie viel Dreck jemand bereits am Stecken hat. Diese Art der Selbstinszenierung bietet mir viel Inspiration.

Bernadette Sonnenbichler, worin liegt für Sie der Reiz, diesen fast 400 Jahre alten Text heute auf der Bühne zu erzählen?

Bernadette Sonnenbichler — Es ist ein großes Ensemblestück, ein leichter Stoff mit Gewicht. Molière umkreist allzeitige Themen wie Reichtum, Macht, Liebe und Freiheit. Sein Protagonist kann über andere verfügen, weil er Geld hat. Das traf offensichtlich einen Nerv bei Molières Zeitgenoss:innen und gilt heute immer noch. Ich glaube, dass dieser Stoff gut nach Düsseldorf passt, wo Reichtum und Besitz, ähnlich wie in München, meiner Heimatstadt, eine prägende gesellschaftliche Rolle spielen. Ich beobachte, dass die Menschen in dieser Stadt verschiedene Formen der Selbstinszenierung wählen, mal schillernd, dann wieder sehr subtil. Es hat theatrale Aspekte, seinen Reichtum offensiv zu zeigen oder eben auch gar nicht.

Der Geizige — Komödie von Molière — Mit: Tabea Bettin, Michael Fünfschilling, Jonas Friedrich Leonhardi, Rolf Mautz, Wolfgang Reinbacher, Jule Schuck, Sophie Stockinger, Friederike Wagner, Alexander Wanat, Thomas Wittmann — Regie: Bernadette Sonnenbichler — Bühne: David Hohmann — Kostüm: Katrin Wolfermann — Video: Oliver Rossol — Musik: Martina Eisenreich — Choreografie: Valentí Rocamora i Torà — Dramaturgie: Beret Evensen — Premiere am 2. November 2024 — Vorstellungen: 27.9. (öffentliche Probe/Vorauff ührung), 8., 21. und 27.10. — weitere Termine unter www.dhaus.de — Schauspielhaus, Großes Haus

Thomas Wittmann

Das Kinder- und Familienstück zur Weihnachtszeit im Großen Haus ist Tradition geworden. Dieses Jahr steht »Emil und die Detektive« von Erich Kästner auf dem Spielplan – ein Abenteuer für alle ab 6 Jahren. Premiere des Kinderbuchklassikers in der Regie von Robert Gerloff ist am 17. November. Der Vorverkauf läuft.

»Na Mensch, fall nicht gleich vom Stühlchen!« Im Zug nach Berlin wird der Schüler Emil Tischbein von einem unbekannten Herrn mit steifem Hut bestohlen. Eben hat sich die Kanaille noch als Grundeis vorgestellt und Schokolade angeboten. Die 140 Mark, die seine alleinerziehende Mutter lange zusammengespart hat, sollte Emil eigentlich seiner Großmutter übergeben. Doch daraus wird erst mal nichts. In Berlin angekommen verfolgt Emil den Täter quer durch die Stadt bis vor ein Café. Hinter einer Litfaßsäule geht er in Deckung und beschattet den Halunken. Da ertönt eine Hupe. Es ist Gustav, ein gleichaltriger Berliner mit großer Klappe, der Emil seine Hilfe anbietet und eine Kinderbande zusammentrommelt. Gemeinsam wollen sie ein Abenteuer wie im Kino erleben und den Schweinehund von Dieb auf eigene Faust stellen. Parole Emil! Bis heute besticht der Kinderbuchklassiker »Emil und die Detektive« von 1929 durch seinen Witz, seine Einfühlsamkeit und eine spannende Geschichte, die bei aller Leichtigkeit nie die soziale Wirklichkeit seiner Charaktere aus dem Blick verliert. Robert Gerloff wird Kästners Roman als großen Spaß für die ganze Familie auf die Bühne bringen.

Emil und die Detektive — nach dem Roman von Erich Kästner — Kinderund Familienstück — ab 6 — Mit: Cem Bingöl, Jonathan Gyles, Agnes Kammerer, Moritz Klaus, Rainer Philippi, Eva Maria Schindele, Fnot Taddese, Emilia de Fries — Regie: Robert Gerloff — Bühne: Maximilian Lindner — Kostüm: Johanna Hlawica — Musik: Cornelius Borgolte — Dramaturgie: David Benjamin Brückel, Leonie Rohlfing — Theaterpädagogik: Lena Hilberger — Premiere am 17. November 2024 — Vorstellungen: 14.11. (öffentliche Probe/ Voraufführung), 18., 20. und 29.11., 1., 2., 5., 8., 9., 15., 16., 17. 18. und 26.12., 12.,13. und 28.1. — weitere Termine unter www.dhaus.de — Eine gemeinsame Produktion von Schauspiel und Jungem Schauspiel — Schauspielhaus, Großes Haus

Meron Mendel und Saba-Nur Cheema im Gespräch mit wechselnden Gästen — am 27. September um 19 Uhr — mit Hasnain Kazim, Journalist und Autor, über die Frage, was uns als Gesellschaft zusammenhält — Schauspielhaus, Kleines

Haus

Im September wird die erfolgreiche Reihe »Positionen und Perspektiven« mit Meron Mendel und Saba-Nur Cheema fortgesetzt. Nach Gesprächen mit Navid Kermani, Abdul Kader Chahin und Daniel Cohn-Bendit ist in der fünften Ausgabe der Reihe der Journalist und Autor Hasnain Kazim zu Gast. Hasnaim Kazim ist zurück von einer Fahrradtour quer durch die Bundesrepublik. Die Begegnungen unterwegs hat er in seinem neuen Buch mit dem Titel »Deutschlandtour« festgehalten. Sie bieten Anlass für ein Gespräch über das Deutschsein. Was ist deutsch? Gibt es eine »Leitkultur«? Und was hält uns als Gesellschaft zusammen? Ein Gespräch zwischen drei Deutschen mit Migrationsvordergrund.

Die Gesprächsreihe mit Meron Mendel und Saba-Nur Cheema ist der multiperspektivischen Auseinandersetzung rund um aktuelle politische Themen gewidmet. Im Zentrum stehen regelmäßig Gespräche mit wechselnden Gästen über Europa und den Nahen Osten. Der Direktor der Bildungsstätte Anne Frank und die Politologin, Publizistin und Antirassismus-Trainerin betonen: »Die Bereitschaft, einander zuzuhören, ist gerade wichtiger denn je. Im Idealfall gelingt es uns, eine Vielfalt von Positionen zu zeigen, die sich nicht zwangsläufig widersprechen, aber auf jeden Fall nicht identisch sind. Wir wünschen uns, dass wir gedanklich weiterkommen und nicht in unseren eigenen Schutzräumen verharren.« In ihrer Arbeit setzen sich Saba-Nur Cheema und Meron Mendel konsequent für eine respektvolle Diskussionskultur und direkte Gespräche ein. Aktuelles Beispiel: Als er vor Kurzem vom Präsidenten des Zentralrats der Juden im Zusammenhang mit der Verleihung der Buber-Rosenzweig-Medaille für seine Positionen angegriffen wurde, sagte Meron Mendel in einem Interview: »Wir müssen raus aus diesem Freund-Feind-Schema. Und wenn es an Punkten unterschiedliche Einschätzungen gibt, lasst uns diskutieren. Wir können doch miteinander reden. Wie soll es sonst gehen?«

Weitere Termine unter www.dhaus.de

Kunst und Krieg –Instrumentalisierung, Widerstand, Hoffnung

Podiumsdiskussion mit Vlad Troitskyi, Regisseur, Produzent und Gründer des Centre of Contemporary Art »DAKH«, Kyjiw, Ukraine, Birgit Lengers, Kuratorin Festival »Fokus Ukraine«, und weiteren Gästen — Moderation: Lesya Pullmann — am 11. September um 19 Uhr — Schauspielhaus, Foyer — Eintritt frei, Zählkarten an den Kassen und im Webshop

Mit unserer Veranstaltung knüpfen wir an das erfolgreiche europäische Festival »Fokus Ukraine – 777 TAGE ДНІВ DAYS« des D’haus an. Wir beleuchten die Verflechtungen der internationalen Kunst- und Kulturszene und wie Russland diese seit Jahrzehnten nutzt, um Einfluss auf die Agenda in Deutschland und Europa zu nehmen. Diskutieren Sie mit Expert:innen über die Rolle der Kunst in Zeiten des Krieges.

Eine Veranstaltung der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. In Kooperation mit dem Generalkonsulat der Ukraine in Düsseldorf, dem Blau-Gelben-Kreuz e.V. und dem Düsseldorfer Schauspielhaus

Unbubbled

–echt und ungefiltert

Neue Gesprächsreihe von jungen Menschen für junge Menschen — am 30. Oktober um 19 Uhr — Münsterstraße 446 — Junges Schauspiel — Eintritt frei

Wir leben in einer Zeit mit vielen Konflikten. Themen wie Antisemitismus, Nahost-Konflikt, Klimawandel, Queerfeindlichkeit, Rechtsruck und vieles mehr beschäftigen uns täglich. Gleichzeitig haben wir das Gefühl, dass viele Menschen gar nicht mehr über schwierige Themen sprechen. Hoffnung ist harte Arbeit. Wir sind Jugendliche und wollen einen Ort kreieren, in dem wir offen sprechen können. Junge Stimmen zählen, wir wollen deine Meinung hören. Dies wird unsere Kampfansage an die Gleichgültigkeit.

Das Thema am 30. Oktober steht unter dem Titel »Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!« Meinungsfreiheit: Welche Grenzen hat sie? Geht Meinungsaustausch respektvoll? Muss ich alles tolerieren? Vor und nach »Unbubbled« legen DJs auf, du kannst tanzen oder Getränke genießen.

Die D’Insiders sind eine Gruppe junger theaterbegeisterter Menschen. Wir treffen uns jeden Freitag von 18 bis 20 Uhr, organisieren Veranstaltungen wie »Unbubbled«, besuchen Proben und Premieren und bringen unsere Perspektive ein. Komm vorbei oder schreib uns unter DInsiders@dhaus.de.

Hasnain Kazim
Meron Mendel, Saba-Nur Cheema

Wieder im Spielplan

ab 8.9.

ab 18.9.

Prima

Facie

ab 20.9.

Richard III. ab 24.9.

Tageskasse im Pavillon vor dem Schauspielhaus: Mo bis Fr 10:00 bis 18:00 und Sa 13:00 bis 18:00 Online-Vorverkauf in unserem Webshop unter www.dhaus.de oder per E-Mail unter karten@dhaus.de — Telefonischer Vorverkauf: 0211. 36 99 11 Mo bis Fr 12:00 bis 17:00, Sa 14:00 bis 18:00 — Abonnementbüro im Pavillon vor dem Schauspielhaus: Mo bis Fr 10:00 bis 17:00, Telefon: 0211. 36 38 38 Die Abendkassen öffnen in den Spielstätten eine Stunde vor Vorstellungsbeginn. — Für Veranstal tungen des Jungen Schauspiels in der Münsterstraße 446, für Gruppenbestellungen und Schulklassen telefonischer Vorverkauf: 0211. 85 23 710, Mo bis Fr 8:00 bis 16:00 karten-junges@dhaus.de Schauspielhaus — Gustaf-Gründgens-Platz 1, 40211 Düsseldorf — U-Bahn: U71 , U72, U73, U83 (Schadowstraße), U70, U75, U76, U77, U78, U79 (Heinrich-Heine-Allee) — Straßenbahn: 701, 705, 706 (Schadowstraße), 707 (Jacobistraße) — Parkhaus: Die Tiefgarage KII/Schauspielhaus hat durchgehend geöffnet. Junges Schauspiel — Münsterstraße 446, 40470 Düsseldorf — Straßenbahn: 701 — U-Bahn: U71 (Am Schein) — Bus: 730, 776 (Rath Mitte) — S-Bahn: S6 (Rath Mitte) — Kostenfreie Parkplätze in der Nähe Stadt:Kollektiv alle Spielstätten Ronsdorfer Straße 74 U-Bahn: U75 (Ronsdorfer Straße) Impressum — Herausgeber: Düsseldorfer Schauspielhaus — Generalintendant: Wilfried Schulz — Kaufmännischer Geschäftsführer: Andreas Kornacki — Redaktion: Dramaturgie/Kommunikation — Redaktionsschluss: 22.8.2024 — Fotos: Thomas Rabsch, Lucie Jansch (Titel, S. 5), Sandra Then (S. 12, S. 16 »Gewässer im Ziplock«, »Prima Facie«), Peter Rigaud (S. 15), Ali Ghandtschi (S. 15) — Layout: Meltem Kalaycı

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