Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein und der Richard Stury Stifung.
ISBN 978-3-11-108487-9 e-ISBN (PDF) 978-3-11-108507-4 ISSN 2199-4161 Library of Congress Control Number: 2023943555 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2023 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Einbandabbildung: Franz Xaver Winterhalter: Kaiserin Elisabeth von Österreich mit aufgelöstem Haar, 1864, Öl auf Leinwand, 158 × 117 cm, Wien, Kunsthistorisches Museum © KHM, Wien; Franz Xaver Winterhalter: Zarin Maria Alexandrovna, 1862, Öl auf Leinwand, 130 × 95 cm, Karlsruhe, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe CC0-Lizenz, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe; Franz Xaver Winterhalter: Queen Victoria, 1859, Öl auf Leinwand, 241 × 157 cm, London, Royal Collection Royal Collection Trust © His Majesty King Charles III 2023 Einbandgestaltung: Kerstin Protz, De Gruyter Satz: SatzBild GbR, Sabine Taube, Kieve Druck und Bindung: Beltz Grafische Betrieb GmbH, Bad Langensalza www.degruyter.com
Inhalt
Vorbemerkung und Dank Einleitung I.
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Die Tugendporträts 29 1. Öffentlichkeit und Rezeptionsklima: Tugend-, Geschlechter- und Klassenideale in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts 29 2. Das biedermeierliche Frauenbild im politischen Diskurs: Winterhalters Porträts der Großherzogin Sophie von Baden 47 3. Une reine vertueuse: Marie-Amélie und die Bildnispolitik der Julimonarchie 63 4. « On le comprend tout de suite. » Sentimentalitätskult in Winterhalters Porträts vom britischen Königspaar Victoria und Albert 80 5. Middle class-Ideal? Winterhalters The Royal Family als politischer Identitäts stifter 94 6. « Ornement du trône »: Winterhalters Porträts der Kaiserin Eugénie und die Erweiterung des Tugendbegriffs während des Second Empire 114 7. “Secret pictures” der Geliebten? Zur Inszenierung von Privatheit als Tugendversprechen bei Königin Victoria und Kaiserin Elisabeth 129
II. Die Regalienporträts 151 1. Porträts unter dem Baldachin: zur Relevanz des königlichen Mythos für Akzeptanz von Monarchie im 19. Jahrhundert 151 2. Monumentalisierung der Monarchin: die Regalienporträts von Königin Victoria 168 3. Ausnahmefall Albert: die politischen Handlungs- und Herrschaftsfelder des Prinzgemahls 186 4. Konstruierte Tradition: Winterhalters offizielle Regalienporträts des französischen Kaiserpaares Napoléon III. und Eugénie von 1854 203 5. Imagewechsel? Neue Regalienporträts für das französische Kaiserpaar 219
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Inhalt
III. Die Modeporträts 241 1. Die Diktatur der Mode: Modehandeln als Distinktionspraxis Mitte des 19. Jahrhunderts 241 2. Konjunkturimpuls: zur Bedeutung von Kaiserin Eugénies Modekompetenz für ihr Porträtprogramm 264 3. Simplicity? Königin Victoria und die Lücke des Modeporträts als strategisches politisches Statement 276 4. Porträtkonfektion: Zarin Maria Alexandrovna von Russland und die weibliche High Society im Atelier des peintre à la mode 291 5. Kaiserin à la mode: zum Einfluss moderner Repräsentationsmedien auf Winterhalters Porträt Elisabeths von Österreich in Balltoilette 306 Schlussbetrachtung: das Porträt der Herrscherin als gesellschaftlicher Identitätsstifter und politischer Legitimationsfaktor 323 Literatur- und Quellenverzeichnis Bildnachweise Farbtafeln
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Vorbemerkung und Dank
Der politische Kommunikationsraum ist heute größer und komplexer denn je und wird von modernsten schnelllebigen Online-Medien dominiert. Dennoch beherrschen ihn jahrhundertealte Klischees und (Vor-)Urteile. Die vorliegende Arbeit ergründet die Wurzeln jener oft auch genderstereotypischen Anforderungen, die bis heute unsere Erwartungen an politische Bilder prägen. Die Süddeutsche titelt beispielsweise im August 2022 „Annalena Baerbock – Kleid und Vorurteil“ und thematisiert, wie „verpönt“ es sei, die Kleidung von Politikerinnen zu kommentieren. Dies könne nicht nur sexistisch sein, sondern berge vor allem die Gefahr politische Kompetenzen in Frage zu stellen: „[M]an kann eine Politikerin eben kaum gründlicher nicht ernst nehmen, als wenn man sich nur auf ihr Äußeres konzentriert.“1 Diese Perspektive basiert darauf, dass Mode affinität in unserer westlichen Gesellschaft vielfach als weiblich und eher unintellektuell- oberflächliches Beschäftigungsfeld gilt, wohingegen politische Teil- und Machthabe vorschnell oft männlich konnotiert wird. Anmerkungen zu Attraktivität oder Familientauglichkeit von Frauen in politischen Führungspositionen ermöglichen ähnliche Fauxpas. Natürlich gibt es auch unzählige Exempel zur gezielten Diskreditierung männlicher Politiker. Wie kann aber Anerkennung von Herrschaft überhaupt gestiftet oder Wählbarkeit eines Politikschaffenden forciert werden? Und welche verschiedenen Strategien aktivieren diese Legitimationsmuster über das Instrument Bild? Derartigen Fragen widmet sich die vorliegende Arbeit. Vermeintlich aktuelle Sehgewohnheiten und Biases fußen auf gesellschaftlichen Entwicklungen, die sich unter anderem während der Aufklärung und im 19. Jahrhundert entfalteten, wie beispielsweise jene plötzliche Feminisierung von Modeaffinität. Seinerzeit konstituierten sich neue Idealvorstellungen von politischer Teilhabe und Öffentlichkeit und damit gleichsam auch neue Genderideale: ungeschriebene Regeln, an die man sich halten musste und muss, um in der öffentlichen Wahrnehmung als kompetent zu gelten. Der Blick in die Geschichte konkretisiert, wie stark Akzeptanz politischer Macht abhängig ist von sozialisierten Erwartungshaltungen. Jene fachkundig in Bildsprache zu transponieren, verantwortet maßgeblich politischen Erfolg. 1
Tanja Rest: Annalena Baerbock – Kleid und Vorurteil, in: https://www.sueddeutsche.de/projekte/artikel/ stil/baerbock-politik-stil-e215523/ (letzter Aufruf: 30.11.2022).
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Vorbemerkung und Dank
Die Dissertation wurde, wie sie hier vorliegt, 2020 an der Universität Hamburg eingereicht und mit summa cum laude benotet. Für die Unterstützung, die mir während des Forschens, Denkens und Schreibens, Verzweifelns und Erlebens etlicher Glücksmomente zuteil wurde, möchte ich mich bedanken. Begleitet haben mich von der e rsten Idee bis zur Fertigstellung beide Gutachter, deren Begeisterung für das Thema mich beständig ermutigte: Uwe Fleckner, in dessen Seminar The Swagger Portrait ich einst Winterhalter erstmals begegnete, und der meine Freude an Kunstgeschichte seit vielen Jahren mit unkonventionellen Fragen und überraschenden Antworten immer w ieder neu entfacht. Ihm danke ich für inspirierendes Feedback während zahlreicher Gespräche und Projekte. Ebenso herzlich sei Hendrik Ziegler gedankt, der sich stets ausführlich Zeit für mein Anliegen nahm, mich mit kritischen Nachfragen und mit großer Expertise bezüglich Herrschaftsdarstellungen aller Art anregte. Mehrfach ideell wie finanziell unterstützt wurde ich während verschiedener Rechercheaufenthalte in und um Paris vom Deutschen Forum für Kunstgeschichte in P aris. Stellvertretend seien hier Julia Drost, Jörg Ebeling und Karin Seltmann-Dupuy genannt, in deren Obhut ich mich mehrmals wie zu Hause fühlen durfte. Reisekostenzuschüsse nach Berlin und Wien genehmigte mir das netzwerk mode textil e. V. Ohne diese finan zielle Entlastung wären einige wichtige Recherchereisen nicht zu realisieren gewesen. Einblicke in Archivalien und Materialien ermöglichten mir eine Vielzahl an Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in Archiven, Museen und Bibliotheken in Paris, London, Wien und Süddeutschland, durch die diese Arbeit ihre materialfundierte Tiefe erlangen konnte. Ihnen zeige ich mich an entsprechender Stelle im Text erkenntlich. Sehr erfreut war ich über das Angebot des Walter De Gruyter Verlages, das Buch zu verlegen, ebenso über die herzliche und produktive Zusammenarbeit mit Katja R ichter, Anja Weisenseel und Arielle Thürmel. Die Aufnahme in die Reihe Ars et Scientia, welche von Bénédicte Savoy, Michael Thimann und Gregor Wedekind herausgegeben wird, war eine besonders schöne Zugabe. Finanziert werden konnte der Druck durch äußerst großzügige Druckkostenzuschüsse der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geistes wissenschaften und der Richard Stury Stiftung. Für wertvolle Unterstützung und Freundschaft in guten wie in anstrengenden Promotionszeiten danke ich allen voran Nadine Mai, die das Endlektorat besorgte, Florian Dölle und Marlen Schneider. Für epochemachende Gespräche und Tipps, kritisches Feedback, geteilte Archivwohnungen, Kaffeepausen an den ungewöhnlichsten Orten und ein offenes Ohr auch fern der Kunstgeschichte danke ich meinen Freunden und Kolleginnen Christoph und Ines Bäumker, Ulrike Blumenthal, Jennifer Crowley, Nathalie Dimic, Ann-Cathrin Drews, der EXTRA-Gruppe, Linda Hilkenbach, Familie Horstmann, Christine Hübner, Sophie Josten von Scheel, Christine Lackmann, A nnika Landmann, Anne Lühr, Stephanie Marchal, Jack Mason, Teresa Mason-Hermann, A lison McQueen, Marcus Niechciol, Élodie Paradis, Patrick Reinecke, Henrike Renz, Marion
Vorbemerkung und Dank
Romberg, Annabel Ruckdeschel, Barbara Schrödl, Thilo Strakeljahn, Familie Winkelmann, Margot Zimmermann. Schließlich danke ich von Herzen meiner Familie für bedingungslose Liebe und Hilfsbereitschaft: Moritz und Philipp Hensel, Till Utesch und Katharina Geukes, S askia Utesch und Grischa Nowak, Klaus Utesch und Birgit Labukt, Felix Hensel und Friederike Spangenberg-Hensel, Verena und Nils Wighardt, Horst Eckhardt und ganz besonders meiner mich stets inspirierenden Mutter Antje Amoneit, die jedes Kapitel kritisch als erste kommentierte. Euch widme ich die vorliegende Arbeit. Giens am 30.11.2022
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Einleitung
“It’s about how changing images of the queen act as a kind of lens through which to see changes in our society and changes in artistic values.”1 Paul Moorhouse
Einem Moodboard gleich arrangierte Königin Victoria (1819–1901) im Jahre 1885 Fotografien von sieben Gemälden auf einer Seite ihrer sorgfältig geführten Bilderalben (Abb. 1).2 Das 45,5 × 35,5 cm messende Blatt gewährt dem Betrachter einen Blick auf die thronende Queen in vollem Ornat, ebenso auf eine reich geschmückte Königin in Ballrobe, er erhält Einblick in eine intime Mutter-Kind-Situation sowie die Erlaubnis, Victoria unfrisiert und im Déshabillé zu beobachten, und schließlich begegnet er ihr als trauernde Witwe.* Unterschiedlicher könnten die Bildnistypen kaum sein, die
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Die Autorin verwendet in der vorliegenden Arbeit die Termini ‚der Betrachter‘ und ‚die Betrachterin‘ zufällig und synonym, darauf aufmerksam machend, dass im 19. Jahrhundert eine aus Frauen und Männern bestehende politische Öffentlichkeit Zugang zu Winterhalters Porträts hatte (vgl. für eine genauere Erläuterung Kap. I. 1.). Herrscher oder Herrscherin kennzeichnet die Autorin explizit, um dem Untersuchungsgegenstand gerecht zu werden, ansonsten nutzt sie das generische Maskulinum und das generische Femininum, den Argumenten des Literaturwissenschaftlers und Linguisten André Meinunger folgend. Vgl. id.: Ein Plädoyer für das Deutsche als geschlechtergerechter Sprache – ein paar provozierende Beobachtungen und Ausführungen, in: id. u. Antje Baumann (Hg.): Die Teufelin steckt im Detail. Zur Debatte um Gender und Sprache, Berlin 2017, S. 93–100. Kurator Paul Moorhouse in einer Presseerklärung zur Ausstellung The Queen: Art & Image in der National Portrait Gallery London 2012, https://www.artnews.com/art-news/news/addressing-thequeen-506/ (letzter Aufruf: 30.11.2022). Vgl. The Queen: Art and Image, hg. v. Paul Moorhouse u. D avid Cannadine, Ausstellungskatalog, National Portrait Gallery London, London 2012 (Kat. The Queen 2012). Vgl. RCIN 2931300. Zum Moodboard als ein für Projektentwicklung und -vermittlung wichtiges „Arbeits- und Präsentationsmittel“, das „abstrakte Begriffe in konkrete […] Beispiele“ umsetzt, vgl. Pia Kleine Wieskamp: Visual Storytelling im Business – mit Bildern auf den Punkt kommen, Hannover 2019, S. 154.
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Einleitung
1 A page from the catalogue of Queen Victoria’s Private Negatives (Vol. I.), ca. 1885, P igmentdruck, 45,5 × 35,5 cm, London, Royal Collection, darauf sieben Gemälde, alle London, Royal Collection: Abb. 64, 47, 33 u. 22. Mittig Victoria als Witwe: Albert Gräfle, 1864; links unten Victoria als M odefigurine: Charles Deininger, 1851; oben rechts Victoria in Galarobe: George Koberwein nach Winterhalter, zwischen 1859 u. 1876
Einleitung
ictorias Persönlichkeit in differenzierte Rollenbilder splitten.3 Die ausgewählten PorV träts zählen zu den populärsten der victorianischen Monarchie und illustrieren Images und Aufgabenfelder einer Monarchin im 19. Jahrhundert. Mit ihnen betrieb Victoria zeitlebens Politik. Victoria besaß zum Zeitpunkt der Albumentstehung 48 Jahre Führungserfahrung als regierende Königin eines Weltreiches und dementsprechend professionelles Repräsentationswissen. Wie sensibel sie die flexiblen Möglichkeiten visueller Inszenierung im politischen Kommunikationsraum nutzte, offenbart die Vielfältigkeit der Bildnistypen.4 Bereits 1842 bewertet The Illustrated London News solches wohlkalkulierte Display: “Queen Victoria will never appear more exalted in the world’s opinion than when each side of the picture is thus revealed – the great Queen and stateswoman in the gorgeous palace – the young, lovely, and virtuous mother amidst the pure joys of sylvan retreat and domestic relaxation.”5 Bildnisprogramm und Zeitungskommentar indizieren, dass Königin V ictoria Erwartungen gerecht zu werden hatte, die über ihr Amt hinaus an sie als Frau gestellt wurden. Das Albumblatt dokumentiert ein diesbezüglich strategisches Vorgehen und mag insofern als Denkfigur für die vorliegende Untersuchung dienen. Untersuchungsgegenstand und Forschungsfragen Politische Institutionen nutzen seit Jahrhunderten visuelle Mittel um ihre Macht zu demonstrieren, zu stärken, zu verstetigen und zu bewerben. Doch wie wird Anerkennung von Herrschaft gestiftet? An welchen konkreten Botschaften entzündet sich Interesse? Was schafft Glaubwürdigkeit? Auf welchen Bildtraditionen und Strategien basiert solcher Prozess? Und wie stark ist die Art politischer Repräsentation abhängig von Amt oder Geschlecht? Derartige Mechanismen und daran geknüpfte Fragen zu ergründen, ist das Ziel der vorliegenden Arbeit. Fünf der sieben fotografierten Porträts auf Königin Victorias Albumblatt stammen von Franz Xaver Winterhalter (1805–1873), einem der erfolgreichsten und produktivsten Hofmaler des 19. Jahrhunderts. Fast fünf Jahrzehnte lang porträtierte der deutsche Künstler nahezu alle europäischen HerrscherInnnen und nahm beträchtlichen Einfluss 3 4
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Spezifische Anordnung und Größe sind bedingt bedeutend, auf weiteren Seiten gruppiert Victoria die gleichen und ähnliche Bilder in anderen Maßstäben und Reihenfolgen (z. B. RCIN 2931301). Inszenierung nicht im Sinne von Theater oder Täuschung, sondern in dem Sinne, sich „in der Lebenswelt wirkungsvoll in Szene zu setzen“, Erika Fischer-Lichte: Inszenierung und Theatralität, in: Herbert Willems u. Martin Jurga (Hg.): Inszenierungsgesellschaft, Opladen u. Wiesbaden 1998, S. 81–90, hier: S. 88. Zum politischen Kommunikationsraum, dessen „Spezifik in der Breitenwirkung, der Nachhaltig keit und der Verbindlichkeit der ihn konstituierenden symbolischen und diskursiven kommunikativen Praktiken [liegt]“, vgl. Jan Andres, Alexa Geisthövel u. Matthias Schwengelbeck: Einleitung, in: id. (Hg.): Die Sinnlichkeit der Macht. Herrschaft und Repräsentation seit der Frühen Neuzeit, Frankfurt am Main 2005, S. 7–18, hier: S. 9. The Illustrated London News, 14.05.1842, S. 40.
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Einleitung
auf die visuellen Legitimationsstrategien seiner Modelle.6 Nachdem er seine Ausbildung in München beendet und seine erste Anstellung als offiziell als solcher betitelter Hofmaler im Großherzogtum Baden absolviert hatte, ließ Winterhalter sich in Paris nieder. Dort unterhielt er bis zum Ende des Second Empire 1870 ein florierendes Atelier, von dem aus er europaweit arbeitete.7 Er reüssierte als mobiler Unternehmer mit stets vollem Auftragsbuch und ausgeprägtem Sinn für professionelles Qualitätsmanagement.8 Winterhalters topographisch und zeitlich ausnehmend breit aufgestelltes Œuvre erweist sich als gewinnbringend für die Beantwortung oben gestellter Fragen. Spätestens seit den 1850er Jahren galt Winterhalter als der Monarchenmaler Europas schlechthin, sein Name avancierte zu einer Marke. « Les familles couronnées se transmettent M. Winterhalter comme une tradition […] » hieß es 1855 während der Weltausstellung in Paris.9 Allein die Wahl des Malers ließ seitdem Rückschlüsse auf das Selbstbild und das gewünschte Image der Dargestellten zu. Seine Porträts sorgten für magnetischen Erfolg bei Auftraggebern und Ausstellungspublikum; Salonbroschüren kündigten seine Werke als Highlights oftmals vor der Eröffnung an.10 Dieser Erfolg steht in krassem Gegensatz zur Rezeption seiner Werke durch die zeitgenössische Kunstkritik, von der Winterhalter oftmals Ablehnung und harsches Urteil erfuhr. Auffälliges offenbart ein Blick auf sein monarchisches Porträtwerk: Es wird von Herrscherinnen dominiert. « Sa spécialité est de peindre les reines et les princesses du
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Winterhalters monarchisches Klientel entstammte der Julimonarchie und dem Second Empire Frankreichs, Großbritannien, Österreich, Preußen, Spanien, Portugal, Russland, Polen, den Niederlanden, Belgien sowie diversen deutschen Staaten, sodass sein Werk trotz des monographischen Ansatzes der vorliegenden Arbeit eine Vielzahl an politischen Regierungsformen, Nationen, Geschlechtern und Persönlichkeiten berührt. Vgl. zur Biografie Winterhalters Armin Panter: Studien zu Franz Xaver Winterhalter (1805–1873), Karlsruhe [Diss. 1988] 1996, S. 9–28. Während der Julimonarchie erhielt Winterhalter den offiziellen Titel, während des Second Empire war er offiziell premier portraitiste, vgl. Pariser Lehrjahre. Ein Lexikon zur Ausbildung deutscher Maler in der französischen Hauptstadt, hg. v. France Nerlich u. Bénédicte Savoy, 2 Bde., Bd. 1: 1793–1843, Berlin u. Boston 2013 (Lex. Pariser Lehrjahre 2013), S. 350. In England hingegen erhielt Winterhalter nie einen ebenbürtigen Titel. Bis auf wenige Ausnahmen behielt Winterhalter die Kopiererlaubnis, koordinierte und kontrollierte nicht nur die Vervielfältigung, sondern auch die Rahmung. Aus Briefen lässt sich seine Atelierpraxis rekonstruieren, vgl. zur Kopierpraxis z. B. Brief von Winterhalter an Oberst von Friedl, 01.01.1865, ÖNB, Wien, abgedruckt in: Panter 1996, Anh. 8, S. 202. Winterhalters Terminkalender war derart voll, dass er auch hochrangigen potentiellen Kunden Absagen erteilte; Briefe dokumentieren, wie schwer es selbst für den österreichischen Kaiserhof war, Termine bei Winterhalter zu bekommen, vgl. ausführlich Kap. I. 7. Maxime Du Camp: Les Beaux-Arts à l’Exposition Universelle de 1855: Peinture, Sculpture, Paris 1855, S. 262. Vgl. Panter 1996, S. 10.
Einleitung
monde entier; on dirait qu’à toute tête auguste il faut la consécration du pinceau de Winterhalter », spottete Arthur Stevens in seinem Artikel salon de 1863.11 Winterhalter fertigte für die weiblichen Hofmitglieder im Gegensatz zu den männlichen nicht nur quantitativ mehr Porträts an, sondern entwickelte für diese konsequent inhaltlich facettenreichere Bildnistypen, mit denen der politische Kommunikationsraum des 19. Jahrhunderts umfassend bespielt wurde. Dieses ist in doppelter Hinsicht erwähnenswert: Die meisten Herrscherinnen waren „nur“ angeheiratet und besaßen wenig regierungspolitische Machthabe.12 Zudem forcierte im Europa des 19. Jahrhunderts die Einführung des allgemeinen Männerwahlrechts einen formalisierten Ausschluss von Frauen aus der Politik.13 Wie ist die Diskrepanz zwischen hoher Visibilität von Frauen im politischen Kontext einerseits und formaler Aussonderung dieser aus Entscheidungsprozessen andererseits zu erklären? Öffentliche Präsentation und Rezeption war höchster Anspruch des Winterhalterschen Auftragsporträts, dem „wichtigste[n] Medium höfischer Kunstpolitik“.14 Jenes hatte im 19. Jahrhundert in einem durch rasanten technischen Fortschritt stetig wachsenden Kommunikationsraum zu bestehen. Verschiedenste Medienkanäle galt es permanent und vielfältig zu bedienen. Dies geschah vor allem mit weiblichen Porträts – so die Kernthese der vorliegenden Arbeit. Diese bargen eine stärkere Flexibilität als männliche Äquivalente, sowohl die Bildrhetorik betreffend, als auch den Umgang mit den Medien. Sich seit der Aufklärung neu ordnende Gesellschaftsstrukturen beeinflussten vorherrschende Tugendideale, Geschlechterstereotype und Schönheitsvorstellungen. Vermochten weibliche Herrscherporträts diese Fülle gesellschaftlich relevanter Themen glaubwürdiger zu thematisieren, ohne dabei mit traditionell männlich konnotierter Machtvisualisierung brechen zu müssen? Monarchische Repräsentation war im 19. Jahrhundert wesentlich auch an weibliche Körperbilder gebunden. Deshalb steht das Porträt der Herrscherin von Franz Xaver Winterhalter im Mittelpunkt der Untersuchung. Davon ausgehend, dass Bilder und vor allem Porträts wesentlich zu Anerkennung von Herrschaft beitragen und unentbehrliche Instrumente innerhalb politischer Kommunikations- und Legitimationsprozesse sind, soll analysiert werden, wie Herrschaftsbestätigung mithilfe geschickt ausbalancierter Bildnisprogramme gestiftet und gepflegt werden kann. Methodisch werden im Zuge dieser Analyse drei neue Gattungstermini
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Arthur Stevens: Le Salon de 1863, Paris 1866, S. 142. Vgl. methodisch zum „nur“: Bettina Braun, Katrin Keller u. Matthias Schnettger (Hg.): Nur die Frau des Kaisers? Kaiserinnen in der Frühen Neuzeit, Wien 2016. Zur erstmals „kategorialen politischen Unterscheidung zwischen Männern und Frauen“ „unabhängig von ihrer sonstigen sozialen oder ökonomischen Lage“ im 19. Jahrhundert vgl. Barbara Stollberg- Rilinger: Nur die Frau des Kaisers? Kommentar, in: Braun/Keller/Schnettger 2016, S. 245–251, hier: S. 247. Martin Warnke: Hofkünstler. Zur Vorgeschichte des modernen Künstlers, Köln 1985, S. 270.
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entwickelt und definiert, die der zukünftigen Hof- und Porträtforschung Nutzen bringen sollen. Eine Prämisse der vorliegenden Arbeit lautet: Erfolgreiche Monarchien begriffen die Legitimation ihrer Machtposition nicht als Zustand, sondern als Prozess.15 Forschungsstand Angesichts Winterhalters bemerkenswerten Erfolges überrascht die geringe wissenschaftliche Aufmerksamkeit, die sein Werk bisher erregte. Winterhalters Herrscherinnen porträts wurden meist nur vereinzelt in biografischem Kontext der Dargestellten genauer untersucht. Manchmal nur als Pendantbildnisse ihrer regierenden Ehemänner, mitunter gar nicht erwähnt, bilden sie auch aufgrund ihrer seinerzeit hohen Popularität ein vielversprechendes Forschungsdesiderat. Zu Winterhalters Gesamtwerk wurde bis heute gültige Pionierarbeit in den 1980er Jahren geleistet.16 Zeitgleich mit der ersten großen Blockbusterausstellung Franz Xaver Winterhalter and the Courts of Europe in London und Paris wurde die weltweit e rste Doktorarbeit über den Maler fertig gestellt: Studien zu Franz Xaver Winterhalter von Armin Panter bietet kaum zu überschätzende Grundlagenforschung, immer das Gesamt werk und seine kunsthistorische Einordnung im Blick. Begleitend kommentiert P anter den Katalog zur oben genannten Ausstellung kritisch, dessen Inhalte sich vielfach mit seinen Ausführungen überschneiden. In dem Katalog sorgt ein Aufsatz von Aileen Reibero für einen ersten modewissenschaftlichen Zugang.17 2016 publizierte Eugéne Barilo von Reisberg die zweite Dissertation zu Winterhalter online: Franz Xaver Winterhalter (1805–1873): Portraiture in the Age of Social Change.18 15
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Vgl. grundlegend Peter Graf von Kielmansegg: Legitimität als analytische Kategorie, in: Politische Vierteljahresschrift 3/1971, S. 367–401, hier: S. 373: „Eine Herrschaftsordnung ist nicht legitim, sie wird es ständig.“ An diesen anschließend: „Erst in der kommunikativen Praxis politischer Prozesse jedenfalls kann ein Legitimitätsglaube an die Rechtmäßigkeit von Herrschaftsbeziehungen hergestellt oder erschüttert werden.“ Andres/Geisthövel/Schwengelbeck 2005, S. 11. Vgl. auch „Legitimitätssicherung als unabschließbare Aufgabe“ in Volker Sellin: Gewalt und Legitimität. Die europäische Monarchie im Zeitalter der Revolutionen, München 2011, hier: S. 5; vgl. Andreas Gestrich: Absolutismus und Öffentlichkeit. Politische Kommunikation in Deutschland zu Beginn des 18. Jahrhunderts, Göttingen 1994, S. 24–28. Panter 1996; Franz Xaver Winterhalter and the Courts of Europe, 1830–70, hg. v. Richard Ormond u. Carol Blackett-Ord, Ausstellungskatalog, National Portrait Gallery London u. Petit Palais Paris, P aris 1987 (Kat. Courts of Europe 1987). Die im Heinz Archive and Library der National Portrait Gallery nachvollziehbare Vorbereitung der Ausstellung seit 1982 dokumentiert, wie wenig bis dato über Winterhalter und den Verbleib seiner Porträts erforscht war. Dies offenbart auch der dort ebenfalls archivierte Briefwechsel zwischen Armin Panter und den Kuratoren. Aileen Ribeiro: Fashion in the Work of Winterhalter, in: Kat. Courts of Europe 1987, S. 66–71. Eugene Barilo von Reisberg: Franz Xaver Winterhalter (1805–1873): Portraiture in the Age of Social Change, Diss. Melbourne 2016 (Reisberg 2016). Er veröffentlichte bereits 2009 seine Masterarbeit online, Tradition and Innovation: Official Representations of Queen Victoria and Prince Albert by
Einleitung
Reisbergs Verdienst ist es, zu zeigen, dass zu Winterhalters Klientel trotz seines Rufes als Fürstenmaler bis zum Ende seiner Karriere ebenso die Aristokratie und Bürgerliche gehörten. Er orientiert sich auch an Armin Panters und Rainer Schochs Forschung, sein Literaturverzeichnis ist dominiert von Primärliteratur, wie zeitgenössische Biografien oder Tagebücher.19 Ebenfalls 2016 wurde die zweite internationale Winterhalter-Ausstellung kuratiert, welche bemerkenswert viele Leihgaben aus privatem Besitz zeigen konnte. Die Ergebnisse des entsprechenden Katalogs reichen jedoch selten über die von 1987 hinaus, was auch daran liegen mag, dass der Kurator der ersten Ausstellung, Richard Ormond, erneut beteiligt war.20 Nicht in das Ausstellungsprojekt eingebunden wurde Alison McQueen, die als Expertin für die französische Kaiserin Eugénie bereits 2011 wertvolle Grundlagenforschung vorlegte und Winterhalters Porträts der Herrscherin ein ausführliches Kapitel widmete; McQueens Veröffentlichung inspirierte die vorliegende Arbeit.21 Eine systematische kunst- und sozialhistorische Untersuchung insbesondere derjenigen Klientel, die Winterhalters Erfolg hauptsächlich verantwortete – jene der Monarchinnen –, steht noch aus.22 Das vorliegende Projekt möchte diese Lücke schließen helfen und einen Beitrag zur allgemeinen Herrscherinnen-Forschung sowie zur Geschichte der Monarchie im 19. Jahrhundert liefern.
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Franz Xaver Winterhalter (Reisberg 2009) und betreibt ebenfalls online den unkommentierten workin-progress catalogue raisonné The Winterhalter Catalogue, Franz Xaver Winterhalter and Hermann Winterhalter (Kat. Winterhalter Catalogue). Rainer Schoch: Das Herrscherbild in der Malerei des 19. Jahrhunderts, München 1975, widmet Winterhalter ein 15-seitiges Kapitel. Franz Xaver Winterhalter. Maler im Auftrag ihrer Majestät, hg. v. Helga Kessler Aurisch et al., Ausstellungskatalog, Augustinermuseum Freiburg, Museum of Fine Arts Houston/Texas und Palais de Compiègne, Stuttgart 2015 (Kat. Franz Xaver Winterhalter 2015). Vgl. auch die treffende Rezension von Sophie Tauche zu Ausstellung und Katalog: Elegant, staatstragend, populär: Porträts moderner Majestäten von Franz Xaver Winterhalter und Johann Peter Krafft, in: Kunstchronik 11/2016, S. 543–550. Alison McQueen: Empress Eugénie and the Arts: Politics and Visual Culture in the Nineteenth Century, Florence 2011. Außerdem nennenswert: Carola Freund: Orte der Sehnsucht: Franz Xaver Winterhalters Schlüssel zum Erfolg? Eine Untersuchung der Gemälde „Il dolce Farniente“ (1836) und „Decamarone“ (1837), in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 44/2017, S. 169–188; Andreas Dobler: Franz Xaver Winterhalter (1805–1873) in den Sammlungen des Hauses Hessen, in: Meisterhafte Porträts der Fürstenmaler im 19. Jahrhundert. „…sehr vorteilhaft und wunderbar gemalt…“, hg. v. Kulturstiftung des Hauses Hessen, Eichenzell 2014; Hubert Mayer (Hg.): Die Künstlerfamilie Winterhalter. Ein Briefwechsel, Karlsruhe 1998; Emmanuel Burlion: Franz Xaver Winterhalter, Brest 2011; Friedrich Pecht: Franz Winterhalter, in: Friedrich von Weesch (Hg.): Badische Biographien, 6 Theile, 2. Theil, Heidelberg 1873, S. 510–517. Populärwissenschaftliche Veröffentlichungen ohne Literaturverweise: Jürgen Glocker: Der Maler Franz Xaver Winterhalter. Ein Essay, Heidelberg 2015; Ingeborg Eismann: Franz Xaver Winterhalter (1805– 1873). Der Fürstenmaler Europas, Petersberg 2007.
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Geschichtswissenschaftlich trägt das 19. Jahrhundert viele Etiketten: Biografische Untersuchungen populärer HerrscherInnen zeichnen bisweilen ein „monarchisches Jahrhundert“, Konzentrationen auf Biedermeierzeit oder Industrialisierung aus modernisierungstheoretischer Perspektive strapazieren Topoi wie „Verbürgerlichung“ oder „Demokratisierung“.23 Dabei war wohl selten ein Jahrhundert von derart gleich zeitiger Verschiedenartig geprägt, selten war eines derart mannigfaltig politischen wie gesellschaftlichen Veränderungen unterworfen und von rasantem Fortschritt auf nahezu allen technischen Ebenen beeinflusst. Klug umschreibt es Jürgen Kocka: „Je besser das 19. Jahrhundert erforscht ist, desto sperriger erweist es sich gegenüber eindeutigen Urteilen“, es ist keinesfalls „in eine knappe Formel zu fassen.“24 Die Geschichte des politischen Bildnisses im 19. Jahrhundert folgt ebenso keiner linearen Entwicklung. Dennoch wird dem HerrscherInnenporträt des 19. Jahrhunderts monoperspektivisch immer wieder ein grundsätzlicher „Wandel“, eine „Krise“ oder gar ein „Zerfall“ attestiert.25 Das Selbstverständnis von Monarchie und Aristokratie als herrschender Elite blieb jedoch auch nach diversen Revolutionen bestehen, und diesem wurde visuell gebührend Ausdruck verliehen. Die Institution Monarchie war seinerzeit als Staatsform durchaus anerkannt, selten wurde ihre Abschaffung, meistens 23
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Karl Ferdinand Werner: Fürst und Hof im 19. Jahrhundert: Abgesang oder Spätblüte?, in: id. (Hg.): Hof, Kultur und Politik im 19. Jahrhundert, Bonn 1985, S. 1–53, hier: S. 2; Heinz Dollinger: Das Leitbild des Bürgerkönigtums in der europäischen Monarchie des 19. Jahrhunderts, in: Werner (Hg.) 1985, S. 325– 364; Monika Wienfort: Monarchie in der bürgerlichen Gesellschaft. Deutschland und England von 1640 bis 1848, Göttingen 1993, S. 13; Johannes Paulmann warnt, die Höfe im 19. Jahrhundert als unbedeutend, nur noch als Institution ohne Impulse anzusehen, vgl. id.: Pomp und Politik. Monarchenbegegnungen in Europa zwischen Ancien Régime und Erstem Weltkrieg, Paderborn et al. 2000, S. 205. Ähnlich argumentiert Cornelia Roolfs: Der Hannoversche Hof von 1814 bis 1866, Hofstaat und Hofgesellschaft, Hannover 2005, S. 51. Zu „Modernisierungstheorien“ in der traditionellen Geschichtsschreibung: Barbara Stollberg-Rilinger: Einleitung: Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?, in: id. (Hg.): Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?, Berlin 2005, S. 9–24, hier: S. 18 f. Zu verschiedenen Forschungsstandpunkten zum 19. Jahrhundert im Laufe des 20. Jahrhunderts vgl. Jürgen Kocka: Das lange 19. Jahrhundert: Arbeit, Nation und bürgerliche Gesellschaft, Stuttgart 2001, S. 23–38, hier: S. 36; vgl. Ewald Frie: Adelsgeschichte des 19. Jahrhunderts? Eine Skizze, in: Geschichte und Gesellschaft, Zeitschrift für Historische Sozialwissenschaft 33/2007, Heft 3 (Adel in der Neuzeit), S. 398– 415, S. 398 f. Außerdem Martin Kirsch: „Das Pendel der politischen Macht konnte sich […] mal zum Parlament mal zum Monarchen bewegen, es konnte aber […] auch nach Einführung des Konstitutionalismus wieder zum Absolutismus zurückschlagen.“ Id.: Monarch und Parlament im 19. Jahrhundert, Göttingen 1999, S. 387. Hermann Beenken: Das 19. Jahrhundert in der deutschen Kunst, München 1944; diesen kritisch reflektierend Schoch 1975, S. 9 u. S. 10, der sich für einen „Wandel“ ausspricht; dagegen Beenken zustimmend Andrea M. Kluxen: Das Ende des Standesporträts. Die Bedeutung der englischen Malerei für das deutsche Porträt von 1760 bis 1848, München 1989, S. 111 u. S. 107: „Erschütterung des Standes porträts“; aktuell: „Krise“ bei Laure Chabanne: Franz Xaver Winterhalter und die französische Malerei. Echo der Salons. In: Kat. Franz Xaver Winterhalter 2015, S. 40–49, S. 48.
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ihre Reformierung vorgeschlagen.26 Vor diesem Hintergrund ist die übliche, die höfische Kunst b etreffende Zäsur um 1800 kritisch zu hinterfragen. Eine weitere These des vorliegenden Forschungsprojekts lautet diesbezüglich: Das HerrscherInnenporträt des 19. Jahrhunderts unterscheidet sich nicht auffallend von jenem vorheriger Jahrhunderte; Kontinuität und Wandel halten sich die Waage. Wurde in den 1980er Jahren noch ein „Genieren“, sich wissenschaftlich mit monarchischen Themen des 19. Jahrhunderts zu beschäftigen, festgestellt, so ändert sich das seit der Jahrtausendwende.27 Vor allem über biografische Ausstellungen und Publikationen wandte sich die Forschung auch speziell der Figur der Herrscherin zu. Das kulturhistorische Forschungsgebiet zu Frauen in politischen Führungspositionen expandiert, wobei das 19. Jahrhundert noch immer ein stiefmütterliches Dasein fristet und Beiträge zur Frühen Neuzeit das Feld mit frischen Perspektiven dominieren.28 26
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Nur vier europäische Staaten waren 1917/18 Republiken: „Frankreich, Portugal, Schweiz und San Marino“, Dieter Langewiesche: Die Monarchie im Jahrhundert Europas. Selbstbehauptung durch Wandel im 19. Jahrhundert, Heidelberg 2013, S. 6. Ute Daniel betont, dass Höfe u. Herrscher „auf über regionaler, nationaler u. internationaler Ebene“ bis zum 1. Weltkrieg „wesentliche Einflussfaktoren waren (wenn auch in veränderter Form und relativiert durch hinzukommende politische Entscheidungsinstanzen).“ Id.: Stadt und Hof: wann erfolgte die Wende?, in: Jan Hirschbiegel, Werner P aravicini u. Jörg Wettlaufer (Hg.): Städtisches Bürgertum und Hofgesellschaft. Kulturen integrativer und konkurrierender Beziehungen in Residenz- und Hauptstädten vom 14. bis ins 19. Jahrhundert, Ostfildern 2012, S. 271–280, S. 279 f.; vgl. auch Philip Mansel: “1917–1918, not 1789, marks the end of court society’s role in shaping modern Europe and its cities.” Id.: Courts and Cities: the Nineteenth-century R esurgence, in: Hirschbiegel/Paravicini/Wettlaufer 2012, S. 313–318, S. 318. Zu Forderungen, die Monarchie nicht abzuschaffen, und Vorschlägen, sie umzugestalten, vgl. Sellin 2001, S. 167 f.; vgl. Dieter Langewiesche: Bürgerliche Adelskritik zwischen Aufklärung und Reichsgründung in Enzyklopädien und Lexika, in: Elisabeth Fehrenbach (Hg.): Adel und Bürgertum in Deutschland 1770–1848, München 1994, S. 11–28, S. 19 f.; vgl. Wienfort 1993, S. 95–111; ebenso Kirsch 1999, S. 405: „Die Forderung nach größerer politischer Teilhabe blieb der wichtigste Antriebsfaktor und Motor des Wandels des europäischen monarchischen Konstitutionalismus.“ Werner 1985, S. 15. Auswahl: Spectaculaire Second Empire, hg. v. Guy Cogeval et al., Ausstellungskatalog, Musée d’Orsay Paris, Paris 2016 (Kat. Spectaculaire Second Empire 2016); Frauensache. Wie Brandenburg Preußen wurde, hg. v. Julia Klein et al., Ausstellungskatalog, Schloss Charlottenburg Berlin, Dresden 2015 (Kat. Frauensache 2015); At the Russian Court, Palace and Protocol in the 19th Century, hg. v. Bijl Arnoud, Ausstellungskatalog, Hermitage Amsterdam, Amsterdam 2009 (Kat. Russian Court 2009); Napoléon III et la reine Victoria. Une visite à l’Exposition Universelle de 1855, hg. v. Emmanuel Starcky, Ausstellungskatalog, Musée National du Château de Compiègne, Paris 2008 (Kat. Napoléon III 2008); Victoria & Albert, Art & Love, hg. v. Jonathan Marsden, Ausstellungskatalog, The Queen’s Gallery London, London 2010 (Kat. Art and Love 2010). Auswahl: Enlightened Princesses: Caroline, Augusta, Charlotte and the Shaping of the Modern World, hg. v. Joanna Marschner, David Bindman u. Lisa L. Ford, Ausstellungskatalog, Yale Center for B ritish Art, New Haven 2017 (Kat. Enlightened Princesses 2017); Braun/Keller/Schnettger 2016; Eckhard Leuschner u. Iris Wenderholm (Hg.): Frauen und Päpste. Zur Konstruktion von Weiblichkeit in Kunst und Urbanistik des römischen Seicento, Berlin u. Boston 2016; Eva Flicker u. Monika Seidl (Hg.):
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Anlässlich ihres 300. Geburtstages tut sich gegenwärtig die Forschung zur Repräsentationspolitik Maria Theresias hervor und thematisiert Fragen nach Identität und Flexi bilität des weiblichen Bildkörpers „im Zeitalter der Aufklärung“.29 Diese und andere aktuelle Publikationen problematisieren die männliche Konnotation politischer Herrschaft, die den Blick auf weibliches „herrschaftliche[s] Handeln“, vor allem nicht-regierender Frauen, verstellt.30 Einig ist sich die Forschung darin, dass ein einseitiger verfassungs theoretischer Blick, den ein traditioneller Politikbegriff mit sich bringt, aufgebrochen werden muss, um eventuellen politischen Einfluss auch von nicht regierenden Herrsche atrin Keller weib rinnen aufdecken zu können.31 Vor diesem Hintergrund identifiziert K liche „Handlungsfelder“ von Herrscherinnen der Frühen Neuzeit wie „Familienpolitik“, „Repräsentation“ im Sinne von „Kommunikation von Herrschaft“ (u. a. „Herrschaft szeremoniell“, „Kultur des Hofes“) und „religiöse[] Aktivitäten“ sowie relevante Rollen als Netzwerkerin, „Fürbitterin“ und „Ratgeberin“.32 Diese Ansätze sollen für das 19. Jahrhundert und das Porträt der Monarchin im Werk Winterhalters nutzbar gemacht werden.
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Fashionable Queens: Body – Power – Gender, Frankfurt am Main 2014; Simone Roggendorf u. S igrid Ruby (Hg.): (En)gendered: Frühneuzeitlicher Kunstdiskurs und weibliche Porträtkultur nördlich der Alpen, Marburg 2004; Clarissa Campbell Orr: Queenship in Europe, 1660–1815. The Role of the Consort, Cambridge 2004; Sigrid Ruby: Mit Macht verbunden. Bilder der Favoritin im Frankreich der Renaissance, Freiburg 2010; Gabriele Baumbach u. Cordula Bischoff (Hg.): Frau und Bildnis 1600–1750. Barocke Repräsentationskultur an europäischen Fürstenhöfen, Kassel 2003; Regina Schulte (Hg.): Der Körper der Königin. Geschlecht und Herrschaft in der höfischen Welt seit 1500, Frankfurt am Main 2002; Fanny Cosandey: La reine de France. Symbole et pouvoir, XVe–XVIIIe siècle, Paris 2000. Vgl. umfang- und facettenreich Werner Telesko, Sandra Hertel u. Stefanie Linsboth (Hg.): Die Repräsentation Maria Theresias. Herrschaft und Bildpolitik im Zeitalter der Aufklärung, Wien et al. 2020; vgl. Bettina Braun, Jan Kusber u. Matthias Schnettger (Hg.): Weibliche Herrschaft im 18. Jahrhundert. Maria Theresia und Katharina die Große, Bielefeld 2020; vgl. auch Werner Telesko: Herrschaftssicherung mittels visueller Repräsentation. Zur Porträtkultur Maria Theresias, in: Eva Kernbauer u. Aneta Zahradnik (Hg.): Höfische Porträtkultur. Die Bildnissammlung der österreichischen Erzherzogin Maria Anna (1738– 1789), Berlin u. Boston 2016, S. 37–48, der für Maria Theresias kunstpolitische Strategien eine „gattungsmäßige Flexibilisierung“ (S. 37) feststellt und Michael Yonan zitiert, welcher eine “flexibility of identities” (S. 31) konstatiert: Id.: Empress Maria Theresa and the Politics of Habsburg Imperial Art, University Park Pennsylvania 2011. Katrin Keller: Frauen und dynastische Herrschaft. Eine Einführung, in: Braun/Keller/Schnettger 2016, S. 13–26, S. 16; vgl. bereits Heide Wunder: Herrschaft und öffentliches Handeln von Frauen in der Gesellschaft der Frühen Neuzeit, in: Ute Gerhard (Hg.): Frauen in der Geschichte des Rechts. Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, München 1997, S. 27–54, S. 53. Vgl. Keller 2016, S. 18. Ibid., S. 22.
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Methodische Prämissen: Zur politischen Relevanz eines HerrscherInnenporträts Die vorliegende Arbeit versteht sich als Beitrag einer facettenreichen „Kulturgeschichte des Politischen“, die nicht auf „harten Fragen“ und „Relevanzkriterien“ besteht und damit Kulturgeschichte einer Politikgeschichte unterordnet.33 Vielmehr ist die „Dar stellung und Wahrnehmung des Politischen“ kaum von „Machtstrukturen und Entscheidungsprozesse[n]“ zu separieren. Realität wird grundsätzlich mittels Sprache, Bildern, Zeichen, Symbolen dargestellt und kommuniziert, ja „symbolische Praktiken und diskursive Strukturen [spielen] schon bei der Konstitution von politischen Institutionen, Ordnungskategorien, Geltungs- und nicht zuletzt Herrschaftsansprüchen [eine fundamentale Rolle].“34 Die Bereitschaft zu einem solch unvoreingenommenen wissenschaftlichen Blick ist von besonderer Wichtigkeit in Hinblick auf Porträts von politischen Akteuren, die aus verfassungstheoretischer Perspektive nicht zum relevanten Machtzirkel gehörten – wie manch angeheiratete Herrscherinnen. Dem methodischen Ansatz der „Kulturgeschichte des Politischen“ folgt daher der Politikbegriff der vorliegenden Arbeit:35 „Politisch ist, was in kommunikativen Prozessen als politisch gilt und als politisch gestaltet wahrgenommen und erfahren wird.“36 Die politische Relevanz von Bildern soll hier noch einmal deutlich gemacht werden: Eine „Effizienz der Bilder“ ermöglicht „schnelle[] Erfassung komplexer Sachverhalte, 33
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Thomas Nicklas: Macht – Politik – Diskurs. Möglichkeiten und Grenzen einer Politischen Kulturgeschichte, in: Archiv für Kulturgeschichte, Bd. 86, 1/2004, S. 1–25, S. 11 u. S. 14. Vgl. auf diesen antwortend Stollberg- Rilinger 2005, S. 15. Vgl. auch Kurt Lenk, der den Begriff „symbolische“ Politik propagiert. Er unterscheidet zwischen „einer instrumentellen Entscheidungsebene“ und „einer legitimatorischen Symbolebene“, die „der Integration und/oder Herstellung von Massenloyalität dient.“ Id.: Politik als Theater, in: Zeitschrift für kritische Theorie, 2/1996, S. 111–122, S. 111. Zur Verwendung eines engen Politikbegriffs vgl. Wienfort 1993, S. 12 f., deren Meinung nach beginne mit dieser Funktionsveränderung einhergehend eine „Entpolitisierung des Monarchen in einer zunehmend politisierten Gesellschaft“. Für die ältere politische Kulturforschung waren zwei Ansätze prägend: das civic-culture Konzept sowie das Konzept der „symbolischen Politik“, vgl. Stollberg-Rilinger 2005, S. 16. Vgl. für eine Einführung in die Begriffs- und Rezeptionsgeschichte von „symbolischer Politik“ Gerhard Göhler: Symbolische Politik – Symbolische Praxis. Zum Symbolverständnis in der deutschen Politikwissenschaft, in: Stollberg-Rilinger 2005, S. 57–69. Stollberg-Rilinger 2005, S. 16; vgl. auch Hans-Georg Soeffner u. Dirk Tänzler: Figurative Politik. Prolegomena zu einer Kultursoziologie politischen Handelns, in: ibid. (Hg.): Figurative Politik. Zur Performanz der Macht in der modernen Gesellschaft, Opladen 2002, S. 17–33: „auch das sogenannte Entscheidungshandeln vollzieht sich […] symbolisch“, S. 17 ff., hier S. 21. Ein „sozialanthropologische[r] Kulturbegriff “, „wonach Kultur über die fundamentale Fähigkeit des Menschen zur Symbolerzeugung definiert wird“, liegt diesem Ansatz zugrunde, Stollberg-Rilinger 2005, S. 10 f. So eine der Hauptthesen von Wolfgang Braungart: Ästhetik der Politik, Ästhetik des Politischen. Ein Versuch in Thesen, Göttingen 2012, S. 16. Vgl. auch Andres/Geisthövel/Schwengelbeck 2005, S. 11: „Politik wird erst politisch, wenn sie […] repräsentiert ist. Herrschaft muss sich darstellen, um als legitim anerkannt werden zu können“.
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[…] Erzeugung erlebnisnaher Illusionen sowie […] empathische[]/affektive[] Rezep tion“.37 Bilder evozieren Emotionen und diese, vor allem positive, beeinflussen wiederum die Art der Abspeicherung von Informationen und auch den „Zugriff auf Gedächtnis inhalte“.38 In dieser Funktion als flexibel reagierendes Artefakt politischer Kommunika tionsprozesse sind Porträts wesentlich an der Produktion von Legitimation beteiligt: „Damit Symbole angenommen und verstanden werden, bedarf es auf Seiten der Interpreten gewissermaßen eines Resonanzbodens, der durch die Symbole zum Schwingen gebracht wird. […] wird [der Resonanzboden] nicht aktiviert, verliert das Gemeinwesen früher oder später seine Legitimation.“39 Besonders diese Funktion von HerrscherInnenporträts als Stimulus und damit ihr Anteil an alltäglicher, ständiger politischer Repräsentation interessiert hier, um Handlungsmöglichkeiten der Herrscherin auffächern zu können, auch vor dem Hintergrund, dass sich im 19. Jahrhundert eine neue „visuelle Erwartungshaltung“ herauszubilden begann.40 In der vorliegenden Arbeit soll der Begriff Image helfen, die mithilfe von Porträts gestifteten Vorstellungen von höfischen Personen oder Institutionen in der Öffentlichkeit zu erfassen.41 Image wird hier verstanden als Ergebnis eines strategisch geplanten Kommunikationsprozesses, der auf die Verankerung eines prägnanten Profils zielt. Dieses schürt und erfüllt gesellschaftliche Erwartungen bezüglich spezifischer Eigenschaften und Kompetenzen. Wirkungsvolle politische Images sollten dabei keine fiktive Aneinanderreihung idealer Eigenschaften sein, sondern „Erprobungen ihrer Wirklichkeitsentwürfe auch praktisch […] bestehen“.42 Ein solches Image wird über verschiedene Kanäle erschaffen und gesendet. Letztendlich wird es erst durch einen (kollektiven) Interpretationsvorgang produziert und ist damit abhängig von gängigen und etablierten Idealen, Stereotypen und Denkschemata: „Images erzählen, wie der Mythos erzählt: offen und
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Klaus Sachs-Hombach: Illokutionäre Kraft und kommunikative Verbindlichkeit. Anmerkungen zur Differenz sprachlicher und visueller Kommunikation, in: Wilhelm Hofmann (Hg.): Bildpolitik – Sprachpolitik. Untersuchungen zur politischen Kommunikation in der entwickelten Demokratie, Berlin 2006, S. 181– 196, S. 184 f., hier: S. 185. Hilde Haider: Emotionen als Steuerungselemente menschlichen Handelns, in: Birgit Aschmann (Hg.): Gefühl und Kalkül. Der Einfluss von Emotionen auf die Politik des 19. und 20. Jahrhunderts, München 2005, S. 33–45, S. 43. Göhler 2005, S. 68. Ernst Cassirers Symbolbegriff übernehmend, begreift Göhler Symbole als „hermeneutisches Phänomen“: „Die Deutung durch den Interpreten bringt seine ganze Lebenswelt mit ein: sein Wissen, seine Erfahrungen, seine Grundsätze, seine Emotionen.“ Id. 2005, S. 66. Gottfried Boehm: Wie Bilder Sinn erzeugen, Berlin 2007, S. 246. Zur Geschichte und unterschiedlichen Akzentuierung des Begriffs Image vgl. Siegfried Schmidt: Die Wirklichkeiten der Images, in: Gerhard Johann Lischka u. Peter Weibel (Hg.): Das Regime des Image. Zwischen mimischem Display und Corporate Branding, Bern 2003, S. 43–60, bes. S. 49–53. Schmidt 2003, S. 57.
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vieldeutig.“43 Es bildet deshalb eine eigene Realität, ist vielschichtig, veränderbar und nur bedingt planbar. Methodisches Vorgehen und Struktur der Arbeit Wissenschaftliche Texte zum monarchischen Bildnis nutzen gern den allgemeinen Terminus Herrscherporträt, auch politisches Bildnis, Staats- oder Repräsentativporträt ist zu lesen. Umständliche Versuche, spezifische Eigenheiten eines HerrscherInnenporträts deskriptiv herauszuarbeiten, sind in jüngst vorgenommenen inhaltsreichen und klugen Analysen der Bildnispolitik Maria Theresias zu finden: „Gemälde[], auf denen explizit Herrscherinsignien wie Krone oder hermelingefütterter Mantel dargestellt sind“, „Porträts mit mindestens einer Krone“ oder schließlich „Porträts ohne Kronen“.44 Besonders letztere Beschreibung offenbart die Schwierigkeit, eine höfische Porträtvielfalt, wie sie auch die einleitend vorgestellte Albumseite Queen Victorias illustriert, sprachlich zufriedenstellend fassen zu können.
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Hans-Otto Hügel: Lob des Mainstreams. Zu Begriff und Geschichte von Unterhaltung und Populärer Kultur, Köln 2007, S. 157. Seine Conclusio ist, dass eindeutige, auch einschichtige oder eindimensionale Images erfolgloser sind als widersprüchliche Images, vgl. ibid., S. 160. Johannes Pietsch: Die Kleidung Maria Theresias im Spiegel der Porträts, in: Telesko/Hertel/Linsboth 2020, S. 197–204, S. 204. Zu gattungsspezifischem Vorgehen, um Aussagen über Schwerpunkte und Variationen innerhalb eines Bildnisprogramms treffen zu können, vgl. auch Stefanie Linsboth: Quantitative Auswertung der Porträts Maria Theresias, in Telesko/Hertel/Linsboth 2020, S. 213–215. Sie unter scheidet Ganzfigurenbild, Kniestück und Brustbild, außerdem zählt sie „Porträts ohne Kronen“ und „Porträts mit mindestens einer Krone“, untersucht die „Häufigkeit der Kleider und Ornate“ und verwertet diese statistisch. Vgl. auch Schochs Ansatz Porträtgattungen zu spezifizieren. Er nutzt den Begriff Handlungsporträt als „Darstellung exemplarischer Handlungen“ im moralischen Sinn; die „spontane Handlung“ sollte im 19. Jahrhundert nach Schoch den „traditionelle[n] symbolische[n] Apparat“ ablösen. Id. 1975, S. 34. Handlung „wurde hauptsächlich in Bildnisse mit privatem oder halboffiziellem Charakter aufgenommen.“ Inhaltliche Beispiele sind für Schoch das „Ideal der bürgerlichen Häuslichkeit“ oder das „Thema der Mütterlichkeit“ (S. 35), Charakteristika sind „bestimmter Ort, Momentaneität und bestimmte Handlung“ (S. 36). Vgl. dazu jedoch jüngst Ralf von den Hoff: Handlungsporträt und Herrscherbild. Die Heroisierung der Tat in Bildnissen Alexanders des Großen, Göttingen 2020, der die Gattung nicht nur als Visualisierung eines Tugendkanons, sondern allgemeiner als Aktionsporträt begreift, als sichtbare Handlung im Bild, beispielsweise als Kriegsherr. Er unterscheidet zwischen „Handlungspotenz“ und „Handlungsleistung“ (S. 10), nutzt den Terminus eher im Sinne von Wredes Idee des „Königtum[s] […] der Tat“, Martin Wrede: Einleitung: Die Inszenierung der mehr oder weniger heroischen Monarchie. Zu Rittern und Feldherren und Schauspielern, in: id. (Hg.): Die Inszenierung der heroischen Monarchie. Frühneuzeitliches Königtum zwischen ritterlichem Erbe und militärischer Herausforderung, München 2014, S. 8–39, S. 36. Ein Handlungsporträt ist definitorisch nicht automatisch nur an Tugenden gebunden, wie Schoch es 1975 vorschlägt, sondern ebenso an „Mythisierungen“, „Heroisierungen“, Götterangleichungen oder Zuschreibungen des Dargestellten als „siegreich“, vgl. Hoff 2020, S. 12 f.
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Mit dem Ziel Mechanismen von Herrschaftsanerkennung und -sicherung über den Gattungsbegriff kürzer und klarer segregieren zu können, wird deshalb in der vorliegenden Arbeit eine neue spezifischere Nomenklatur entwickelt, die die bestehende kunsthistorische Terminologie ergänzen soll: Drei neue Termini – Tugendporträt, Regalienporträt und Modeporträt – versprechen für die sowohl thematische als auch in Hinblick auf die Bildrhetorik und Betrachteransprache bestehende Vielfältigkeit zu sensibilisieren und diese gattungstheoretisch fassbar zu machen.45 Damit betritt die vorliegende Arbeit grundlegend Neuland. Methodisch erfordert die kunsthistorische Beschäftigung mit HerrscherInnenporträts eine interdisziplinäre Herangehensweise. Sowohl eigenständiges Kunstwerk, als auch Instrument politischer Repräsentation und nur Teil eines ganzen Bildnisprogramms, verlangt es zwar eine stilistisch-ikonografische Einordnung und einen analytischen Blick auf das Werk des Künstlers; in erster Linie jedoch spiegelt ein Auftragsporträt das Selbstverständnis und die Mentalität der Dargestellten, verortet das Modell zwischen Amt und Individuum und ist grundsätzlich vor dem Prisma zeitgenössischer politischer, gesellschaftlicher und kultureller Paradigmen zu verhandeln. Höfische Porträts, genutzt als „historische Quellen“, dokumentieren Herrschafts-, Ordnungs- und Kommunikationsstrukturen, Tugend-, Geschlechter-, Schönheits- und Modeideale – und nicht zuletzt die Berufsauffassung eines Hofmalers im 19. Jahrhundert.46 Diese Informationen zu extrahieren hilft ein methodisch breit aufgestellter kulturund sozialgeschichtlicher Forschungszugriff, der politische Ikonografie, Hof- und Bürger tumsforschung, gender studies, medien- und modewissenschaftliche Ansätze genauso berücksichtigt wie politikwissenschaftliche und Ritual- und Zeremoniellforschung.47 Neben den Bildmedien Ölbild, Druck und Fotografie sind weitere Quellen kritisch auszuwerten, 45
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Dies auch im Sinne von Warnkes Idee eines „postulativ vorgetragen[en] […] fiktiven Rollen spektrum[s]“, das von Seiten der Untertanen vorgeschlagen wurde, Martin Warnke: Politische Ikonographie, in: Andreas Beyer (Hg.): Die Lesbarkeit der Kunst. Zur Geistes-Gegenwart der Ikonologie, Berlin 1992, S. 23–28, S. 28. Ob tatsächlich aber ein solcher „fiktiver Wertekatalog mit und nach der Französischen Revolution […] als Gegenstand der Kunst hinfällig geworden“ sei, wird die vorliegende Arbeit kritisch hinterfragen, ibid., S. 28. Vgl. Peter Burke: Augenzeugenschaft. Bilder als historische Quellen, Berlin 2003. Gender studies als „Forschung zur Geschlechterdifferenzierung“, die untersucht, „ob und wie eine Gesellschaft ‚Geschlechter‘ unterscheidet“. Stefan Hirschauer: Wozu gender studies? Ein Forschungsfeld zwischen Feminismus und Kulturwissenschaft, in: Forschung & Lehre, Nr. 11, 21/2014, S. 880–882. Vgl. auch Stollberg-Rilingers Appell, dem hier nachgekommen werden soll: „Die kategoriale politische Unterscheidung zwischen Männern und Frauen ist keineswegs selbstverständlich, sondern ein Erbe des 19. Jahrhunderts, von dem wir uns in unserem Sprechen und Denken noch immer nicht ganz verabschiedet haben. Sie lag als Feindbild der historischen „Frauenforschung“ zugrunde und wirkt ex negativo auch heute oft noch nach, […]. Mittlerweile ist es aber an der Zeit, die Frage nach weiblichen politischen Handlungsspielräumen gelassener zu stellen und in einem größeren, eben dynastischen Zusammenhang zu betrachten.“ Stollberg-Rilinger 2016, S. 247.
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etwa Ego-Dokumente wie Tagebücher und Briefe, politische Schriften und Reden, Zivillisten, Kataloge, Verfassungen, Presseberichte und Kunstkritiken. Der Rezeptionskontext erweist sich als besonders relevante Untersuchungsvariable: Hängungsort, Zusammensetzung des Ausstellungspublikums, Vervielfältigungsarten und Erwerbsmöglichkeiten interessieren. Winterhalter konterfeite Herrscherpaare mit verschiedener Aufgabenteilung: in England mit Victoria eine regierende Königin und mit Albert den im europäischen Vergleich eine Ausnahme stellenden, männlichen Prince, der zunächst nicht einmal den offiziellen Titelzusatz consort erhielt; mit Eugénie während des Second Empire eine politisch äußerst ambitionierte impératrice consort. Die Gegenüberstellung ermöglicht, herauszufinden, inwiefern sich politische Position, Geschlecht, nationale Herkunft oder individuelle Persönlichkeit auf die Bildnisprogramme und deren strategische mediale Verbreitung auswirkten und die Legitimationsmuster von Herrschaft modellierten. Um inhaltliche Programmatik und Schwerpunktsetzung, eventuelle Verschiebungen im Laufe des Jahrhunderts oder auch innerhalb eines Regimes bestimmen und damit auch Rückschlüsse auf politische Handlungsfelder der Herrscherin und ihren Einfluss ziehen zu können, braucht es vergleichbare Parameter: Die neuen Gattungstermini sollen hier assistieren. Erstmalig werden daher die Herrscherinnenporträts im Werk Franz Xaver Winterhalters systematisch geordnet. Die Identifikation dreier Bildnis gruppen verantwortet die Gliederung der Arbeit in drei Hauptkapitel. Diese eröffnen jeweils mit einem einführenden ausführlichen theoretischen Kapitel, auf das Fallbeispiele folgen, die entweder Typica und Phänomene oder Ausnahmen markieren. Die Auswahl der Winterhalterschen Porträts zielt nicht auf Vollständigkeit, sondern auf Aussagekraft. Jedes Unterkapitel schließt mit einem kurzen Fazit. Auf Zusammenfassungen einzelner Kapitel wird zugunsten eines übergreifenden Resümees im Schlusskapitel verzichtet. Das erste Hauptkapitel betrachtet diejenigen höfischen Porträts aus sozial- und kulturhistorischer Perspektive, welche auf vorherrschende moralische Gesellschaftsideale rekurrieren und diese teilweise spiegeln: die Tugendporträts. Hier werden der dieser Arbeit zugrundeliegende Öffentlichkeitsbegriff und Zielgruppen der höfischen Bildnis produktion herausgearbeitet. Der zweite Abschnitt subsummiert sogenannte Regalienporträts. Ihre Existenz offenbart das Paradoxon, dass der Monarch im 19. Jahrhundert zum einen als Gleicher unter Gleichen zu erkennen sein, jenen Tugendkanon seines Volkes teilen und sich als E rster Diener des Staates verstehen sollte (Tugendporträts), doch andererseits nach wie vor als Symbolfigur eines Personenkults charismatischen Herrschervorstellungen gerecht zu werden hatte. Im dritten Kapitel demonstrieren Winterhalters Modeporträts den Einfluss der sich im 19. Jahrhundert massiv verändernden Modewelt auf das HerrscherInnenporträt. Die Verbindung von Mode und Monarchie eröffnet ein enormes Spannungsfeld: M onarchie baut auf Beständigkeit und Tradition, wohingegen Mode von stetigem Wandel und
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