ISBN 978-3-11-061392-6
Library of Congress Control Number: 2022938218
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Einbandabbildung: Giovanni Battista Benvenuti, Maria mit dem segnenden Kind, um 1516, Kat.Nr. 1332 (Detail), © Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie/Christoph Schmidt
Einbandgestaltung: hawemannundmosch, Berlin
Satz und Bildbearbeitung: Eberl & Koesel Studio, Kempten
Druck und Bindung: FINIDR, s.r.o.
www.degruyter.com
INHALT
Vorwort VII
Karin Gludovatz
Schall und Rauch? Einleitende Gedanken 1
Ute Stehr
Schrift auf Bildern – Über die technische Ausführung von Signaturen
anhand von Beispielen aus der Berliner Gemäldegalerie 10
Eef Overgaauw
Signaturen in mittelalterlichen Handschriften – Miniatoren, Buchbinder, Schreiber, Autoren 27
Teresa De Robertis
La riscoperta delle maiuscole antiche 42
Stefano Zamponi
La capitale nel Quattrocento 62
Magdalena Bushart
Autorschaft im Holzschnitt – Dürer und die Folgen 79
Rudolf Preimesberger
Inschriften auf Gemälden El Grecos – Kreta und Toledo 108
Holm Bevers
Signaturen Rembrandts auf Zeichnungen 132
Katja Kleinert und Claudia Laurenze-Landsberg
„Rembrandt f.“ Rembrandt-Signaturen in der Gemäldegalerie Berlin –eine Annäherung 151
Samuel Vitali
„Iussu patris“? Prolegomena zu Form und Funktion der Signaturen von Künstlerinnen in der frühen Neuzeit 176
Abbildungsnachweis 201
Farbtafeln 205
VORWORT
Von 2016 bis 2017 wurde das Projekt „Die Namen der Künstler. Künstlersignaturen in Europa, vom Mittelalter bis zum 18. Jahrhundert“ unter Leitung von Alessandro Della Latta an der Gemäldegalerie der Staatlichen Museen zu Berlin durchgeführt. Der Fokus des von der Gerda Henkel Stiftung geförderten Vorhabens lag jedoch nicht nur auf der Malerei, jenem Medium, an das man im Zusammenhang mit Signaturen vielleicht zuallererst denkt. Vergleichend wurden auch Objekte aus dem Bode-Museum, dem Kunstgewerbemuseum und dem Kupferstichkabinett einbezogen. Somit entwickelte das Vorhaben für einen ausgewählten Bestand eine intermediale Perspektive auf Praktiken des Signierens, wie sie seit dem Spätmittelalter wesentliches Element künstlerischer Produktion waren und bis heute sind. Zentral für den Ansatz des Projekts war vor allem die Zusammenarbeit mit Kuratorinnen und Kuratoren sowie Restauratorinnen und Restauratoren der Sammlungen, sodass die auktorialen Inschriften erstmals auch unter konservatorischen und technologischen Gesichtspunkten analysiert wurden, ergänzt um philologische und paläographische Untersuchungen.
Der vorliegende Band basiert auf der in diesem Zusammenhang durchgeführten Tagung „Die Namen der Künstler. Auktoriale Präsenz zwischen Bild und Schrift“, die im Januar 2017 als Kooperation der Gemäldegalerie der Staatlichen Museen zu Berlin, des Kunsthistorischen Instituts der Freien Universität Berlin und des Kunsthistorischen Instituts in Florenz, Max-Planck-Institut veranstaltet und von Alessandro Della Latta konzipiert wurde. Ziel war es, ausgehend von dem Detail der Signatur Aspekte von Autorschaft und Künstleridentität in divergierenden bildkünstlerischen Medien zu sondieren und den gesellschaftlichen Status sowie intellektuellen Anspruch von Künstlern und Künstlerinnen in verschiedenen kulturellen Milieus Europas für den Zeitraum von etwa 1400 bis etwa 1700 zu diskutieren.
Erfreulicherweise fanden die meisten Vorträge der Tagung in erweiterter Form Eingang in diesen Band. Darüber hinaus konnte der Aufsatz von Katja Kleinert und Claudia Laurenze-Landsberg zu Rembrandts Gemäldesignaturen gewonnen werden. Der institutionellen Verbindung des Projekts mit den Staatlichen Museen zu Berlin verdankt sich die besondere Präsenz von Objekten aus deren Sammlungen in einigen der Beiträge.
zueinander in Beziehung gesetzt. Dass der Urtext des Evangelisten Lukas griechisch und Hieronymus nur sein Übersetzer ist, dass nicht die Lateiner, sondern die Griechen im Besitz des wahren Texts sind, hat El Greco unmissverständlich ausgedrückt. Er tut es in einem auffallenden Detail. Die Inschrift in den Händen der Engel nach Lukas: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den Menschen auf Erden, […]“ hat er auf Griechisch ins Bild gesetzt!58
Ähnliches bleibt für den rechten Seitenaltar (Tafel 20) zu vermuten.59 Sieben Figuren konstituieren hier die istoria der Auferstehung: Christus und die sechs Wächter des Grabes. Davor als achte eine Figur der Vermittlung: der Heilige Ildefons, Patron und Erzbischof von Toledo, der Marienverehrer, hier aber offensichtlich in einer anderen historischen Rolle: als der Theologe und Verteidiger der göttlichen Natur Christi gegen den Arianismus, der diese leugnete.60 Deshalb, als Zeuge der Auferstehung, die diese beweist, ist er im Gemälde, deshalb in einem weißen Messgewand, der liturgischen Farbe des Osterfestes. Knapp lebensgroß und nur wenig über der Augenhöhe des Priesters am Altar, agiert er als Vermittler. Allein, er ist zugleich eine Figur der Distanzierung. Seine anachronistische Anwesenheit bricht die unmittelbare Vergegenwärtigung und betont die historische Ferne, wenn nicht die Bildlichkeit dessen, was das Gemälde zeigt. Die Auferstehung Christi als seine Vision?
Soviel ist sichtbar: das Gemälde ist zweiteilig strukturiert. Die in ihm dargestellte istoria und die Figur ihres Betrachters davor sind offensichtlich dialogisch aufeinander bezogen. Lässt sich der Dialog verbalisieren? „Christus ist auferstanden“, „Χριστὸς ἀνέστη“ in El Grecos Sprache, ist Inhalt und Behauptung der istoria im Gemälde. Was ist die Antwort der figura davor? Ihr Blick ist zum Auferstandenen emporgerichtet. In einer Geste, die Georg Weise vor langer Zeit als den Gestus der „Beteuerung“ bezeichnet hat,61 legt Ildefons, der historische Verteidiger der göttlichen Natur Christi, die Hand an die Brust, anschaulicher Ausdruck seiner beteuernden Interjektion: „Wahrhaftig“. „Er ist wahrhaft auferstanden“ („Ἀληθὼς ἀνέστη“) sind die Worte, die er verkörpert. „Χριστὸς ἀνέστη“, „Christus ist auferstanden“, ist der Ostergruß der Griechen bis zum heutigen Tag, „Ἀληθὼς ἀνέστη“, „er ist wahrhaft auferstanden“, die Antwort. Ist es zu viel vermutet, just diesen Dialog in der dialogischen Struktur des Gemäldes veranschaulicht zu sehen? Das Ergebnis auch dieser Beobachtungen dürfte nicht überraschen: Greekness in Toledo,62 einmal mehr auch hier die forcierte auktoriale Präsenz El Grecos im Gemälde.
58 Dóxa en hypsístois theó kai epi gès eiréne en anthrópois eudokías. Luk 2, 14.
59 Maria Constantoudaki-Kitromilides, Notes on El Greco’s Resurrection in Santo Domingo el Antiguo, in: Hadjinicolaou 2005 (wie Anm. 57), S. 37 – 52; Alvarez Lopera 2007 (wie Anm. 1), Kat. Nr. 49, S. 130 – 132; von Rosen 2005 (wie Anm. 57), S. 53 – 62, v. a. S. 56 – 57; Marías 2013 (wie Anm. 1), S. 136, 139 – 140.
60 Sabine Kimpel, Ildefons (Alfonso) von Toledo, in: Braunfels 1974 (wie Anm. 56), Sp. 582
587; J. Francisco Rivera Recio, Ildefonso, in: Filippo Caraffa, Giuseppe Morelli (Hrsg.), Bibliotheca Sanctorum, Ist. Giovanni XXIII della Pontificia Univ. Lateranense, Bd. 7, Rom: Città Nuova, 1966, Sp. 756
760.
61 Georg Weise, Gertrud Otto, Die religiösen Ausdrucksgebärden des Barock und ihre Vorbereitung durch die italienische Kunst der Renaissance, Stuttgart: Kohlhammer, 1938.
62 Casper 2014 (wie Anm. 6), S. 256 – 276.
Holm Bevers
SIGNATUREN REMBRANDTS AUF ZEICHNUNGEN
Zeichnungen sind selten signiert, jedenfalls bis ins 19. Jahrhundert hinein. Das gilt für alle Länder und Kunstgebiete, mit Ausnahme der altdeutschen Zeichenkunst im 16. Jahrhundert: Zeichnungen Dürers, Baldungs, Altdorfers, Holbeins sind häufig signiert.1 Dürer dürfte das Vorbild für die anderen Künstler geliefert haben. Die Ursache mag darin zu suchen sein, dass bei den Deutschen das Signieren in den zunftmäßigen Schulvorschriften begründet lag, mit dem Vorsatz, den „Meister“ zu betonen. Zudem signierte man in der Graphik, meist mit einem Monogramm, um die Blätter vor Nachahmung zu schützen. Die Formen namentlicher Kennzeichnungen sind unterschiedlich: Oft werden Monogramme aus den Initialen von Vor- und Zuname(n) verwendet, bisweilen in Verbindung mit weiteren Buchstaben, symbolischen Attributen oder Signets. So setzte der Schweizer Urs Graf neben sein „VG“ einen Dolch und Hans Schäufelein ergänzte sein Monogramm durch das Bild einer kleinen Schaufel. Auch vollständige Namen wurden für die Signatur von Zeichnungen genutzt. Die Orte von Monogramm und Namenszug können ganz verschieden sein; es gibt keine festen Regeln. Monogramme befinden sich oftmals auf kleinen Täfelchen, ganze Namen können am unteren oder oberen Rand des Blattes angebracht sein. Die Namen, mit denen Künstler ihre eigenen Zeichnungen signierten, können wechseln. Der in Italien tätige Paul Bril unterzeichnete mit verschiedenen niederländischen und italienischen Versionen – z. B. Pauvels Bril, Paulus Bril und Paulo Bril –,2 und auch Rembrandt signierte nicht einheitlich, wie wir noch sehen werden. Ausführliche Bezeichnungen in Form von einer Signatur mit Widmung und/oder Wahlspruch finden sich natürlich in Stammbüchern, und es gibt erweiterte Unterschriften, die neben dem Namen beispielswese ein invenit, delineavit oder ein dal vivo beziehungsweise naer het leven tragen. Von den ganz großen Zeichnern sind, mit Ausnahme von Dürer, keine oder nur ganz selten Signaturen überliefert. Michelangelo signierte nicht, Rubens nicht, und Rembrandt höchst selten. Ausnahmen sind Widmungsblätter, und immerhin gibt es etliche Blätter von Rubens mit authentischen Notizen des Künstlers, doch keine einzige Signatur auf einer
Zeichnung von seiner Hand.3 Studienblätter, die im Atelier verblieben und der Vorbereitung von anderen Kunstwerken dienten, brauchten keinen namentlichen Ausweis. Vielleicht meinten viele Meister auch, dass ihre Hand im Stil einer Zeichnung unverwechselbar zu Tage träte, sodass, wenn einmal ein Blatt das Atelier verließ, der Sammler oder Kenner den Autor sofort am Strich erkennen würde. Dafür gibt es literarische Belege, die bis zu der von Plinius überlieferten Legende zurückreichen, Apelles habe sich auf einer Tafel des Protogenes mit einer einzigen Linie zu erkennen gegeben.4
Neben echten gibt es falsche Signaturen: Namensaufschriften von späteren Sammlern und Händlern, die bisweilen genaue Kenntnis über die Autorschaft eines Blattes hatten, bisweilen aber auch ein Blatt zum besseren Verkauf adelten, indem sie einen bekannten Künstlernamen darauf setzten, wie bei einer Zeichnung des Rembrandtschülers Willem Drost.5 Solche Signaturen können Sammlernotizen sein, die nicht unbedingt eine Signatur nachahmen wollen, es können auch exakte Kopien von echten Signaturen sein. Gelegentlich kommen auch sogenannte Stellvertreter von Signaturen vor, also echte Notizen von Schülern oder Angehörigen, die um den Autor wussten. So notierte Philip Koninck, ein Schüler Rembrandts, auf der Rückseite einer Landschaftszeichnung seines Lehrers unter einer weiteren kleinen Kreideskizze Rembrandts: „dees Tekeningh vertoont de buiten amstel Kant/Zoo braaf getekent door heer rembrants Eijgen hant/P. Ko:“ („Diese Zeichnung zeigt die Außen Amstel, so gut gezeichnet von der Hand Rembrandts“).6
Sammlernotizen dieser Art können Künstlernamen in eingebürgerter Sprache wiedergeben: Eine Landschaftszeichnung im Berliner Kabinett nach Tizian, die Matthias Winner einmal Rembrandt zugeschrieben hat, trägt die Aufschrift „A. Carats“, das heißt Annibale oder Agostino Carracci.7 Insgesamt gilt, dass es kaum feste Regeln des Signierens von Zeichnungen gab.
3 Anne-Marie Logan, Peter Paul Rubens as a Draftsman, in: ead., Michiel Plomp (Hrsg.), Peter Paul Rubens. The Drawings, New York: The Metropolitan Museum of Art, 2005, S. 3 – 4.
4 Ernst Kris, Otto Kurz, Die Legende vom Künstler. Ein geschichtlicher Versuch, Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1980, S. 127 – 128.
5 Meder 1919 (wie Anm. 1), S. 687; Werner Sumowski, Drawings of the Rembrandt School, Bd. 3, New York: Abaris, 1980, Nr. 547*.
6 Ibid., S. 692; Otto Benesch, The Drawings of Rembrandt. Complete Edition, 6 Bde., London: Phaidon, 1954 – 57 (2. ergänzte Auflage, Eva Benesch [Hrsg.], London, New York: Phaidon, 1973), Nr. 1220a; Walter L. Strauss, Marjon van der Meulen, The Rembrandt Documents, New York: Abaris, 1979, S. 615, Nr. 20; Emmanuel Starcky, Les bords de l’Amstel, près de Trompenburg, in: id., Menehould de Bazelaire, (Hrsg.), Rembrandt et son école, dessins du Musée du Louvre, Paris: Musée du Louvre, 1988 – 1989, Nr. 42; Carel van Tuyll van Serooskerken, L’Amsteldijk près de Meerhuizen, avec une vue vers Het Molentje, in: id., Peter Schatborn, Hélène Grollemund (Hrsg.), Rembrandt dessinateur. Chefs-d’oeuvre des collections en France, Paris: Somogy, Musée du Louvre, 2006, Nr. 46; Peter Schatborn, Erik Hinterding, Rembrandt. Sämtliche Zeichnungen und Radierungen, Köln: Taschen, 2019, Nr. Z534.
7 Matthias Winner, Rembrandt kopiert Tizian. Eine Zeichnung im Berliner Kupferstichkabinett, in: Detlef Heikamp (Hrsg.), Schlösser, Gärten. Berlin Festschrift für Martin Sperlich zum 60. Geburtstag 1979, Tübingen: Wasmuth, 1980, S. 221 – 224 (als Rembrandt); Holm Bevers, Zeichnungen der Rembrandtschule im Berliner Kupferstichkabinett. Kritischer Katalog, Dresden: Sandstein, Berlin: Staatliche Museen zu Berlin, 2018, Nr. 113 (als Pieter de With).
Es ist offensichtlich, dass die Frage der Signatur das Problem der Eigenhändigkeit von Zeichnungen unmittelbar und entscheidend berührt. Zuschreibungen im Museum beruhen zuallererst auf Vergleichen mit signierten und damit authentifizierten Blättern – wenn denn, wie oben bereits angedeutet, die Signaturen ebenfalls authentisch sind. Auf diesen Aspekt werde ich später bei Rembrandt noch einmal zu sprechen kommen.
Für niederländische Zeichnungen im 17. Jahrhundert gilt das bereits Gesagte: Sie sind selten vom Künstler unterzeichnet, klare Regeln gibt es auch hier nicht. Es wird fast ausschließlich auf der Vorderseite signiert, erst im 18. Jahrhundert kommt die Gewohnheit auf, rückseitig den Künstlernamen aufzusetzen. Jacob van Ruisdael signierte bisweilen, vielleicht bei Blättern, die zum Verkauf bestimmt waren, wie bei einer frühen Waldlandschaft im Berliner Kabinett,8 Aelbert Cuyp hingegen ganz selten, wenn ich es richtig sehe, obwohl die meisten seiner farbigen Landschaften für den Markt bestimmt waren. Eigenartigerweise war es in Haarlem, dem neben Amsterdam wichtigsten künstlerischen Zentrum in den Niederlanden, wo man gerne und fast regelmäßig signierte. Der in präzisem Stil zeichnende Pieter Saenredam beispielsweise signierte stets in tagebuchartiger, fast penibler Manier mit Angabe von Namen, Tag, oft auch Uhrzeit: „den: 15: augustij. 1633. Van mijn pieter Saenredam tot Assendelft, naer’t leven geteeckent“ („am 15. August 1633, habe ich, Pieter Saenredam, dieses in Assendelft nach dem Leben gezeichnet“) heißt es auf einer Ansicht des Dorfes Assendelft im Berliner Kabinett.9
Rembrandt hat selten signiert,10 und innerhalb bestimmter Zeichnungsgruppen oder Bildgattungen nicht einheitlich. Einheitlich ist auch die Schreibweise seines Namens nicht. Insgesamt gibt es nur ca. 23 Blätter mit eigenhändigen Signaturen − Signaturen, die von den meisten Rembrandt-Zeichnungsforschern und Archivspezialisten als authentisch akzeptiert werden. Diese 23 Blätter zählen zur Kerngruppe der rund 78 gesicherten Zeichnungen des Meisters, also zu jener Gruppe von Blättern, die eben signiert und/oder eigenhändig beschriftet sind beziehungsweise Vorarbeiten für Radierungen und Gemälde darstellen;11 23 signierte Blätter von ungefähr 670 – 700 Zeichnungen, welche die Kenner heute Rembrandt noch zuschreiben. Es sei hier erwähnt, dass Rembrandt seine Radierungen, knapp 300 an der Zahl, fast durchwegs signiert hat. Sie waren für den Markt bestimmt. Fehlen Signaturen, so handelt es sich häufig um erste Probedrucke, die noch nicht verkauft wurden – wie bei dem Probedruck der Landschaft mit Baumgruppe, die erst im
8 S. Jeroen Giltaij, De tekeningen van Jacob van Ruisdael, in: Oud Holland 94 (1980), S. 141 – 208, Nr. 16; Holm Bevers (Hrsg .), Aus Rembrandts Zeit. Zeichenkunst in Hollands Goldenem Jahrhundert, Berlin: Staatliche Museen zu Berlin, Leipzig: Seemann, 2011 – 2012, Nr. 61.
9 Bevers 2011 – 2012 (wie Anm. 8), Nr. 83.
10 Für Überlegungen zu Signaturen Rembrandts auf Zeichnungen s. Peter Schatborn, The Core Group of Rembrandt Drawings, I: Overview, in: Master Drawings 49 (2011), S. 293 – 322, S. 294 – 301.
11 S. zur sogenannten Kerngruppe der Rembrandtzeichnungen ibid., S. 293 – 322; Martin Royalton-Kisch, Peter Schatborn, The Core Group of Rembrandt Drawings, II: The List, in: Master Drawings 49 (2011), S. 323
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Auflagendruck signiert und 1652 datiert wurde.12 Ein Sonderfall ist das Hundertguldenblatt: Das Hauptblatt Rembrandts von ca. 1648 trägt keine Signatur.13 Man kann vermuten, dass diese Radierung, für Sammler, Kenner und Freunde bestimmt, bewusst ohne Autornamen blieb − der graphische Stil, den in dieser vielfältigen Bravour nur Rembrandt beherrschte, war seine Signatur.
Die frühesten signierten Zeichnungen stammen von ca. 1631. Es handelt sich in allen Fällen um Figurenstudien desselben alten Mannes mit schütterem Haar und langem Bart, der Rembrandt damals in Leiden, noch vor dem Umzug nach Amsterdam Ende des Jahres 1631, öfter Modell gesessen hat.14 Wie üblich bei Figurenstudien wurden die Arbeiten mit Kreide ausgeführt, überwiegend mit Rötel. Das früheste datierte Blatt bildet eine Studie des Mannes, die sich heute in Washington befindet (Tafel 21).15 Sie zeigt diesen nach rechts gewendet, in einem Lehnstuhl sitzend und zum Zeichner beziehungsweise zum Betrachter blickend. Die Rötelzeichnung ist am linken Rand „RHL/1630“ signiert und datiert. Die Rötelstudie im Haarlemer Teylers Museum ist am unteren Rand „RHL 1631“ beschriftet,16 ebenso wie die Studie in amerikanischem Privatbesitz (Abb. 1),17 bei der das Modell nun nach links gewendet ist. Die Monogrammform RHL gebrauchte Rembrandt zu diesem Zeitpunkt ebenfalls in seinen Radierungen und Gemälden, beispielsweise bei einer Kopfstudie, dem sogenannten Vater des Künstlers, von 1630 im Innsbrucker Museum.18 Rembrandt schuf diese Modellstudien zu dem Zweck, sich einen Motiv- und Studienvorrat anzulegen, auf den er bei Bedarf zurückgreifen konnte. Die Blätter waren nicht für den Verkauf, sondern für den Werkstattgebrauch bestimmt. Die Studie in New Yorker Privatbesitz von 1631 diente etwas später als Vorlage für die Gestalt des sitzenden Jakob in der Grisaille Joseph erzählt seine Träume von ca. 1634 im Amsterdamer Rijksmuseum und für ebendiese Figur in der Radierung mit demselben Thema aus dem Jahre 1638.19 Die auf
12 Adam Bartsch, Toutes les Estampes qui forment l’oeuvre de Rembrandt et ceux de ses principeaux imitateurs, Wien 1797, Nr. 222; Erik Hinterding, Jaco Rutgers, The New Hollstein Dutch and Flemish Etchings, Engravings and Woodcuts 1450 – 1700. Rembrandt, 7 Bde., Ouderkerk aan den Ijssel, 2013, Nr. 272; Schatborn, Hinterding 2019 (wie Anm. 6), Nr. R191a und R191b.
13 Bartsch 1797 (wie Anm. 12), Nr. 74; Hinterding, Rutgers 2013 (wie Anm. 12), Nr. 239; Schatborn, Hinterding 2019 (wie Anm. 6), Nr. R51
14 Benesch 1954 – 1957 (wie Anm. 6), Nr. 20, 37, 40, 41; Schatborn, Hinterding 2019 (wie Anm. 6), Nr. Z11; Nr. Z213; Nr. Z214; Nr. Z221.
15 Benesch 1954-57 (wie Anm. 6), Nr. 37; Royalton-Kisch, Schatborn 2011 (wie Anm. 11), Nr. 8; Schatborn, Hinterding 2019 (wie Anm. 6), Nr. Z213.
16 Benesch 1954 – 57 (wie Anm. 6), Nr. 40; Michiel Plomp, The Dutch Drawings in the Teyler Museum, II: Artists born between 1575 and 1630, Gent u. a.: Snoeck Ducaij Zoon, 1997, Nr. 321; Royalton-Kisch, Schatborn 2011 (wie Anm. 11), Nr. 9; Schatborn, Hinterding 2019 (wie Anm. 6), Nr. Z221.
17 Benesch 1954
57 (wie Anm. 6) Nr 20; Royalton-Kisch, Schatborn 2011 (wie Anm. 11), Nr. 10.; Schatborn, Hinterding 2019 (wie Anm. 6), Nr. Z11.
18 Ernst van de Wetering, A Corpus of Rembrandt Paintings, VI: A Complete Survey, Dordrecht: Springer, 2015, Nr. 43.
19 Ibid., Nr. 108; Bartsch 1797 (wie Anm. 12), Nr. 37; Hinterding, Rutgers 2013 (wie Anm. 12), Nr. 167; Schatborn, Hinterding 2019 (wie Anm. 6), Nr. R6.
einigen Blättern dieser Gruppe vorhandenen Monogramme, die zum Zeitpunkt der Entstehung der Zeichnungen aufgebracht wurden, dienten, so kann man mutmaßen, der individuellen Kennzeichnung: Rembrandt wollte sich offenbar absetzen von seinem Leidener Freund und Kollegen Jan Lievens, der stilistisch und technisch gleichartige Figurenstudien nach demselben Modell schuf.20 1631, als Rembrandt nach Amsterdam übersiedelte, schieden sich ihre Wege.
Um 1630 – 31 entstanden zwei vergleichbare Kreideblätter für Historiengemälde Rembrandts, die verloren und nur durch zeitgenössische Reproduktionsstiche Jan Joris van Vliets, der zu dieser Zeit eng mit Rembrandt zusammenarbeitete, überliefert sind. Auch die Zeichnung Der trunkene Loth im Frankfurter Städel (Abb. 2) wurde von van Vliet mit
20 Gregory Rubinstein, Bearded Old Man in Profile. In: Arthur K. Wheelock Jr. (Hrsg.), Jan Lievens. A Dutch Master Rediscovered, Washington: National Gallery of Art, Milwaukee: Art Museum, Amsterdam: Rembrandthuis, New Haven, London: Yale University Press, 2008 – 2009, Nr. 98;
Rubinstein, Brief Encounter: The Early Drawings of Jan Lievens and Their Relationship with Those of Rembrandt, in: Master Drawings 49 (2011), S. 352 – 370, S. 356
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Veränderungen reproduziert.21 Sie ist voll signiert, aber nicht 1631, sondern 1633 datiert. Wie kann man sich das erklären? Genau wissen wir es nicht. Es ist unwahrscheinlich, dass Rembrandt im Jahre 1633 nochmals nach demselben Modell arbeitete. Auch wird er eine eigene, um 1631 entstandene Zeichnung nicht zwei Jahre später wiederholt haben. Es ist wahrscheinlicher, dass Rembrandt die ursprüngliche Version 1633 nochmals zur Hand nahm und dann mit seinem Vor- und Künstlernamen Rembrandt (ohne die offiziellen Namenszusätze Harmensz. van Rijn) signierte und datierte. Er dürfte die Zeichnung bei der Gelegenheit auch hier und da überarbeitet haben, um sie bildhafter zu gestalten und damit für einen Käufer, Sammler oder Freund interessanter zu machen, dem das Blatt nun zugedacht war. Der groß und prominent, ja überaus selbstbewusst gesetzte Namenszug ist also Ausweis der Eigenhändigkeit des Blattes − eghenen handt, wie es früher oft in alten Sammlernotizen hieß −,22 das ursprünglich eine bloße Modellstudie war, doch nun den Rang eines in sich abgeschlossenen Kunstwerkes erhielt. Es ist übrigens die erste voll ausgeschriebene Signatur auf einer Zeichnung des jungen, um Anerkennung ringenden Künstlers.
Wir wissen, dass der Großteil von Rembrandts Zeichnungen Studienzwecken diente: eigenen Übungen und Lehraufgaben der Schüler in der Werkstatt. Die Zeichnungen verblieben denn auch meist in der Werkstatt, verließen sie nur selten. Doch es muss Ausnahmen gegeben haben, wie Dokumente belegen. Im Jahre 1645 wurden beispielsweise drei Zeichnungen Rembrandts in Leiden verkauft23 und Baldinucci überliefert vom Rembrandtschüler Bernhard Keil, dieser habe ihm vom Verkauf einer Zeichnung Rembrandts für 30 scudi berichtet.24 Für den Verkauf waren wohl auch zwei großformatige und mit vollem Namen gekennzeichnete Arbeiten aus dem Jahre 1634 bestimmt. Die mit verschiedenfarbigen Kreiden ausgeführte Clairobscur-Zeichnung Christus inmitten seiner Jünger im Haarlemer Teylers Museum (Abb. 3) wurde gelegentlich als Vorlage für eine Radierung betrachtet,25 denn es gibt andere Reproduktionen nach Clairobscur-Werken des Meisters.
21 Benesch 1954 – 57 (wie Anm. 6), Nr. 82; Annette Strech (Hrsg.), Nach dem Leben und aus der Phantasie. Niederländische Zeichnungen vom 15. bis 18. Jahrhundert aus dem Städelschen Kunstinstitut, Frankfurt/M.: Städel Museum, 2000, Nr. 55; Royalton-Kisch, Schatborn 2011 (wie Anm. 11), Nr. 14; Schatborn, Hinterding 2019 (wie Anm. 6), Nr. Z13; zur Radierung s. F.W.H. Hollstein, Dutch and Flemish Etchings, Engravings and Woodcuts ca. 1450 – 1700, Bde. 1 ff., Amsterdam, Blaricum, Roosendaal, Rotterdam, Ouderkern aan den Amstel, 1949 ff., Bd. 41, Nr. 1.
22 Die Notiz findet man z. B. auf Jan Gossaerts Zeichnung Ansicht des Kolosseums im Berliner Kupferstichkabinett; Elfried Bock, Jakob Rosenberg, Die Zeichnungen alter Meister im Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin. Die niederländischen Meister. Beschreibendes Verzeichnis sämtlicher Zeichnungen, 2 Bde., Berlin: Prestel, 1930, S. 36, KdZ 12918; zu den Sammlernotizen eghenen handt, mit eigener Hand, con propria mano, die man seit dem frühen 16. Jahrhundert antrifft, bereite ich eine kleine Studie vor.
23 Cornelis Hofstede de Groot, Die Urkunden über Rembrandt (1575 – 1721), Den Haag: Martinus Nijhoff, 1906, S. 132, Nr. 103; Strauss, van der Meulen, 1979 (wie Anm. 6), S. 245, Nr. 1645/1.
24 Hofstede de Groot 1906 (wie Anm. 23), S. 419 – 420, Nr. 360.
25 Benesch 1954
57 (wie Anm. 6), Nr. 89; Plomp 1997 (wie Anm. 16), Nr. 323; Royalton-Kisch, Schatborn 2011 (wie Anm. 11), Nr. 19; Schatborn, Hinterding 2019 (wie Anm. 6) Nr. Z14; S. auch Ernst van de Wetering, Remarks on Rembrandt’s oil-sketches for etchings, in: Erik Hinterding, Ger Luijten, Martin Royalton-Kisch (Hrsg.), Rembrandt the Printmaker, Rijksmuseum Amsterdam, The British Museum, London, Waanders Publishers, 2000 – 2001, S. 53 – 54.
Doch scheint mir, dass Rembrandt die bildmäßige und großformatige Zeichnung direkt zum Verkauf oder für einen Sammler angefertigt hat. Darauf deuten nicht nur die auffällig gesetzte Signatur und Jahreszahl, sondern auch die Tatsache, dass im Gegensatz zu den anderen Clairobscur-Arbeiten diese nicht mit Ölfarben, sondern mit verschiedenfarbigen Kreiden und Wasserfarben ausgeführt wurde. Eine Rarität ist das Bildnis Willem van der Pluym (Abb. 4).26 Die Zeichnung ist mit 37 × 27 cm recht groß, und zudem wurde sie mit farbigen Kreiden, Feder und Lavierung auf Pergament ausgeführt. Allein der Bildträger spricht dafür, dass hier ein eigenständiges, einem Gemälde gleichrangiges Porträt vorliegt. Vermutlich handelt es sich bei dem Dargestellten um den mit Rembrandt verwandten Amsterdamer Installateur Willem van der Pluym, der in seinem Testament eine „tekening van sijn persoon gedaen door Rembrandt van Rijn hangende in sijn testateurs voorhuys“
(„eine Porträtzeichnung seiner selbst, gemacht von Rembrandt van Rijn, die im Vorderhaus des Erblassers hängt“) an seine Kinder vermachte.27 Die Zeichnung hing also an der
26 Benesch 1954 – 57 (wie Anm. 6), Nr. 433; Royalton-Kisch, Schatborn 2011 (wie Anm. 11), Nr. 21; Schatborn, Hinterding 2019 (wie Anm. 6), Nr. Z630.
27 I. E. van Eeghen, Willem van der Pluym en Rembrandt, in: Maandblad Amstelodamum 64 (1977), S. 6 – 13.
Wand, nichts Ungewöhnliches damals. Die mittig am unteren Rand groß angebrachte Signatur bekräftigt den eigenständigen Charakter des Bildnisses. Der steile Duktus kommt der Unterschrift auf der Frankfurter Loth-Zeichnung nahe (Abb. 2), weicht aber von der frei und locker geschriebenen Signatur auf der Haarlemer Jünger-Zeichnung ab (Abb. 3). Es ist anzunehmen, dass das großartige Porträt des ungefähr sieben Jahre alten Elefanten namens Hansken in der Albertina (Abb. 5),28 voll signiert und 1637 datiert, ebenfalls als Sammlerstück gedacht war. Zwei weitere Elefantenblätter aus derselben Zeit in der Albertina und im British Museum tragen hingegen keine Namenszüge.29 Wir wissen,
28 Benesch 1954 – 57 (wie Anm. 6), Nr. 457; Royalton-Kisch, Schatborn 2011 (wie Anm. 11), Nr. 36; Schatborn, Hinterding 2019 (wie Anm. 6), Nr. Z464.
29 Benesch 1954 – 57 (wie Anm. 6), Nr. 458, 459.; Martin Royalton-Kisch (Hrsg.), Drawings by Rembrandt and his Circle in the British Museum, London: British Museum Press, 1992, Nr. 18; Martin Royalton-Kisch, Catalogue of Drawings by Rembrandt and His School, online research catalogue, 2010, https://webarchive.nationalarchives.gov.uk/ukgwa/20190801143633/https://www.britishmuseum. org/research/publications/online_research_catalogues/search_object_details.aspx?objectid= 765075&partid=1&catalogueOnly=true&catParentPageid=27094&output=bibliography/!!/ OR/!!/5806/!//!/Catalogue%20of%20Drawings%20by%20Rembrandt%20and%20his%20 School%20in%20the%20British%20Museum/!//!!//!!!/&catalogueName=Catalogue%20of%20 Drawings%20by%20Rembrandt%20and%20his%20School%20in%20the%20British%20 Museum&c atalogueSection=Catalogue%20of%20Drawings%20by%20Rembrandt%20and%20 his%20School%20in%20the%20British%20Museum&sortBy=catNumber (abgerufen am 1. 9. 2021), Nr. 19; Schatborn, Hinterding 2019 (wie Anm. 6), Nr. Z465 und Z466; Ein weiteres Blatt in der New Yorker Morgan Library and Museum ist ein Abklatsch einer vierten verlorenen Elefantenzeichnung Rembrandts; Benesch 1954
57 (wie Anm. 6), Nr. 460.
5 Rembrandt, Der Elefant Hansken, schwarze Kreide, 1637, Wien, Albertina
dass Tierstücke des Meisters in der Werkstatt in einer eigenen Mappe mit dem Titel „beesten nae’t leven“ aufbewahrt wurden,30 sowohl als Motivvorrat für eigene Werke als auch als Vorbilder für Mitarbeiter im Atelier.31 Dazu gehörten vermutlich auch die beiden nicht signierten Elefantenzeichnungen; die signierte und datierte Elefantenzeichnung hingegen dürfte die Werkstatt des Meisters früh verlassen haben und in die Hände eines Sammlers gelangt sein.
Signaturen auf Zeichnungen hängen naturgemäß häufig mit den Funktionen und den Adressaten der Arbeiten zusammen. Im Folgenden sei ein Überblick über einige gebräuchliche Typen gegeben.
Memorialblätter: 1652 brannte der mittelalterliche Bau des Amsterdamer Rathauses ab; zu diesem Zeitpunkt wurde gerade das prestigeträchtige, in italienischen Bauformen errichtete neue Rathaus des Jacob van Campen, das heutige Schloss auf dem Dam, errichtet. Rembrandt hielt dieses Zeugnis früherer Geschichte der Stadt in einer skizzenhaften Feder- und Pinselzeichnung, heute im Rembrandthaus Museum, fest (Abb. 6),32 die er ausführlich beschriftete: „vand waech afte sien stats Huis van Amsterdam/doent afgebrandt was/den 9 Julij 1652/Rembrandt van rijn“ („Das Amsterdamer Rathaus von der Waage aus gesehen, nachdem es abgebrannt war. Am 9. Juli 1652, Rembrandt van Rijn“).33 Es ist die einzige Zeichnung, die den voll ausgeschriebenen Namen aufweist: Rembrandt van
30 Hofstede de Groot 1906 (wie Anm. 23), S. 189 – 211, S. 203, Nr. 169 – 249; Strauss, Van der Meulen 1979 (wie Anm. 6), S. 349 – 388, S. 375, Nr. 1656/12, 249.
31 Rembrandts Radierung Der Sündenfall (Adam und Eva) von 1638 zeigt im Hintergrund einen dahintrottenden Elefanten, der auf seinen kurz zuvor entstandenen Studien der Tiere basiert; Bartsch 1797 (wie Anm. 12), Nr. 28; Hinterding, Rutgers 2013 (wie Anm. 12), Nr. 168; Schatborn, Hinterding 2019 (wie Anm. 6), Nr. R7a und R7b.
32 Benesch 1954 – 57 (wie Anm. 6), Nr. 1278; Royalton-Kisch, Schatborn 2011 (wie Anm. 11), Nr. 68; Schatborn, Hinterding 2019 (wie Anm. 6), Nr. Z610.
33 Hofstede de Groot 1906 (wie Anm. 23), S. 160, Nr. 135; Strauss, Van der Meulen 1979 (wie Anm. 6). S. 286, Nr. 1652/2.
6 Rembrandt, Das alte Amsterdamer Rathaus nach dem Brand, Feder in Braun, braun laviert, 1652, Amsterdam, Museum het Rembrandthuis
Rijn, allerdings ohne den Zusatz Harmensz. Das gibt es auch bei Gemälden nur ein oder zwei Mal. Rembrandt setzt dem Alten, Untergehenden ein Denkmal und besiegelt es durch seinen Namenszug. Beischrift und Signatur bezeugen die Wahrhaftigkeit der Darstellung, die den Charakter einer persönlichen Tagebuchaufzeichnung naer het leven und zugleich den Rang eines Dokuments, einer Urkunde innehat. In einer vergleichbaren Weise unterzeichnete Rembrandt offizielle notarielle Schriftstücke, beispielsweise die Ankündigung der Hochzeit mit Saskia van Uylenburgh vom 10. Januar 1634 und die Verfügung des letzten Willens der beiden Eheleute vom 17. November 1635.34 Die Zeichnung kann man mit Rembrandts Verlobungsbildnis seiner Braut Saskia von 1634 im Berliner Kabinett vergleichen.35 Auch hier ist die persönliche, ja intime Darstellung der Braut, begleitet von Rembrandts Notiz, zugleich Dokument, Urkunde. Hier brauchte es jedoch keine Signatur, denn das Blatt war Saskia zugedacht.
Freundschaftsalben: Es war eine Tradition seit dem 16. Jahrhundert, zunächst zwischen wandernden Studenten, Freundschaftsalben, Libri oder Alba amicorum, anzulegen. Hierin sammelten sie auf ihren Reisen durch die Universitäten Europas Erinnerungen von Freunden, Verwandten und berühmten Zeitgenossen in Form von Gedichten und Zeichnungen. Wohlhabende Personen nahmen diese Gepflogenheit bald ebenso auf. Auch hier geht es um Memoria, um Andenken. Vier Zeichnungen Rembrandts aus solchen Freundschaftsalben kennen wir. Im Album des u. a. in der berühmten Universitätsstadt Leiden weilenden Deutschen Burchard Grossmann, das sich heute in der Haager Königlichen Bibliothek
34 Hofstede de Groot 1906 (wie Anm. 23), S. 32 – 33, Nr. 34; Strauss, Van der Meulen 1979 (wie Anm. 6), S. 107, Nr. 1634/2, S. 120 – 123, Nr. 1635/5. 35 Benesch 1954 – 57 (wie Anm. 6), Nr. 427; Holm Bevers, Rembrandt. Die Zeichnungen im Berliner Kupferstichkabinett. Kritischer Katalog, Ostfildern: Hatje Cantz, 2006, Nr. 5; Royalton-Kisch, Schatborn 2011 (wie Anm. 11), Nr. 16; Schatborn, Hinterding 2019 (wie Anm. 6), S. 410, Nr. Z629.
befindet (Abb. 7),36 skizzierte Rembrandt in kleinem Format einen Mann in Gebethaltung und notierte auf der gegenüberliegenden Seite: „Een vroom gemoet/Acht eer voor goet/ Rembrandt/Amsterdam. 1634“. („Ein frommes Gemüt achtet Ehre mehr als irdische Güter“). Ob der dargestellte Mann ein Porträt des Grossmann ist, sei dahingestellt. Das Motto mag auf Grossmann, doch zugleich auf Rembrandt selbst anspielen. Die persönliche Devise von Hendrick Goltzius, dem großen Vorgänger, lautete ganz ähnlich Eer boven golt („Ehre über Golt“). Das Wort Golt spielt auf den Namen des Künstlers an − Goltzius −, und zugleich auf das Sinnbild für irdischen Reichtum, auf Gold (goud).37
Im Pandora genannten Album des Patriziers und Mäzens Jan Six, dessen Person Rembrandt in seinem großartigen Bildnis von 1654 und in einer Radierung von 1652 festgehalten hatte38 − das Album befindet sich noch immer im Besitz der Amsterdamer Familie Six − verewigte sich der Künstler bezeichnenderweise gleich zwei Mal, wohl nicht ohne Absicht. Homer Verse vortragend auf fol. 40 (Abb. 8) ist mit dem Namenszug des Künstlers, der Widmung an Six und der Jahreszahl versehen: „Rembrandt aen Joanus [nach anderer Lesart: Joannes] Six. 1652“ 39 Zwei Seiten weiter hielt er Minerva in der Studierstube fest (Abb. 9), die er nur mit der etwas krakeligen Signatur „Rembrandt f. 1652“ unterzeichnete.40
36 Benesch 1954 – 57 (wie Anm. 6), Nr. 257; Royalton-Kisch, Schatborn 2011 (wie Anm. 11), Nr. 20, Schatborn, Hinterding 2019 (wie Anm. 6), S. 169, Nr. Z222.
37 Emil K.J. Reznicek, Die Zeichnungen von Hendrick Goltzius, 2 Bde., Utrecht: Haentjens Dekker & Gumbert, 1961, Nr. 195, 197.
38 Zum Gemälde s.: Van de Wetering 2015 (wie Anm. 18), Nr. 233; zur Radierung s.: Bartsch 1797 (wie Anm. 12), Nr. 285; Hinterding, Rutgers 2013 (wie Anm. 12), Nr. 238; Schatborn, Hinterding 2019 (wie Anm. 6), Nr. R229a und R229b.
39 Benesch 1954 – 57 (wie Anm. 6), Nr. 913; Royalton-Kisch, Schatborn 2011 (wie Anm. 11), Nr. 66; Schatborn, Hinterding 2019 (wie Anm. 6), Nr. Z114.
40 Benesch 1954 – 57 (wie Anm. 6), Nr. 914; Royalton-Kisch, Schatborn 2011 (wie Anm. 11), Nr. 67; Schatborn, Hinterding 2019 (wie Anm. 6), Nr. Z113.
Dass Rembrandt sein Homer-Blatt, das ganz zeichnerisch-skizzenhaft angelegt ist, Jan Six namentlich widmete, hat einen Grund: Der vielseitig gebildete Six war auch als Dichter und Dramatiker tätig. Der zeichnerische Duktus entsprach dem dichterischen Vortrag. Man mag folgern, dass Rembrandt im Minerva-Blatt auf sich selbst anspielt: auf die Malkunst. Die Widmung an Six fehlt hier, das Blatt mit der Göttin der Weisheit, Wissenschaft und Kunst ist anders als der Homer malerisch ausgeführt und an der Wand hängt der Schild mit dem Medusenhaupt Minervas, eine Anspielung auf die Malerei, ist doch der Maler im Holländischen als Schilder, die Malerei als Schilderkunst zu übersetzen. Schließlich zeichnete Rembrandt 1661 einen frommen Simeon im Tempel für das Album des Jacobus Heyblocq und signierte „Rembrandt f. 1661“ (Abb. 10).41 Wie auf den Blättern im Six-Album machte Rembrandt die Darstellung durch seitliche Linien und einen Rundbogenabschluss zu einem eigenständigen kleinen Bild. Wie dem greisen Simeon, so war wohl auch dem gelehrten Theologen und Vorsteher der Amsterdamer Grammatik-Schule Heyblock göttliche Erkenntnis zugedacht.
10 Rembrandt, Simeon im Tempel, Feder in Braun, braun laviert, Deckweiß, 1661, Den Haag, Koninklijke Bibliotheek
Nachzeichnungen nach anderen Meistern: Rembrandt setzte sich häufig mit Kunstwerken älterer Meister, besonders der italienischen Renaissance, auseinander, die ihm durch Gemälde, Zeichnungen und vor allem Reproduktionsstiche vertraut waren. Auch mit seinem Lehrer Pieter Lastman, in den 1620er Jahren der führende Historienmaler in Amsterdam, beschäftigte sich Rembrandt öfter, auffallender Weise nochmals intensiv in der Mitte der 1630er Jahre, als er bereits selbständig war und als Historienmaler Anerkennung fand. Manche seiner Variationen nach Vorbildern signierte Rembrandt, andere wiederum nicht. Seine Susanna im Bade von ca. 1636 im Berliner Kabinett nach Lastmans Berliner Gemälde von 1614 trägt in der rechten untere Ecke das Monogramm „R. f.“,42 das aber nach Ausweis des Farbtons der Kreide, die von dem Rest der Zeichnung leicht abweicht, und der für diese Zeit ungewöhnlichen Monogrammform meines Erachtens eine spätere Zutat von anderer Hand ist. Hingegen signierte Rembrandt seine großformatige Albertina-Zeichnung Joseph verteilt Korn in Ägypten (Abb. 11) nach Lastmans Gemälde in Dublin eigenhändig mit vollem Namen „Rembrandt ft“. 43 Er signierte nur dieses eine
42 Benesch 1954
57 (wie Anm. 6), Nr. 448; Bevers 2006 (wie Anm. 36), Nr. 18; Peter Schatborn, S.A.C. Dudok van Heel, The Core Group of Rembrandt Drawings, III: Supplement, in: Master Drawings 49, 2011, S. 347 – 351, Nr. III; Schatborn, Hinterding 2019 (wie Anm. 6), Nr. Z661.
43 Benesch 1954 – 57 (wie Anm. 6), Nr. 446; Royalton-Kisch, Schatborn 2011 (wie Anm. 11), Nr. 37; Schatborn, Hinterding 2019 (wie Anm. 6), Nr. Z656.
Blatt, nicht aber die Berliner Susanna-Paraphrase und zwei weitere Nachzeichnungen nach Gemälden Lastmans.44 Wie bei den Elefanten-Blättern dürfte das mit den Funktionen zu tun haben: Das signierte Blatt war für den Verkauf oder als Geschenk an einen Freund oder Gönner bestimmt, während die nicht unterzeichneten Werke im Atelier zur Anschauung und zum Unterricht verblieben.
Kommen wir zu dem spektakulären Fall der drei Paraphrasen nach Leonardos Fresko Das letzte Abendmahl, das der Niederländer durch einen oberitalienischen Kupferstich aus dem Leonardo-Kreis kannte. Es sind drei Zeichnungen mit dem Abendmahl überliefert, zwei Rötelblätter im New Yorker Metropolitan Museum of Art und im Londoner British Museum, ferner eine Federzeichnung im Berliner Kabinett. Den Anfang bildete die großformatige New Yorker Arbeit (Abb. 12).45 Sie weist hinsichtlich der Anordnung und der Gestik der Figuren die größten Übereinstimmungen mit Leonardos Komposition auf. Ein-
44 Es handelt sich um Die Verstoßung der Hagar in der Wiener Albertina sowie Paulus und Barnabas in Lystra in Musée Bonnat in Bayonne; Benesch 1954 – 57 (wie Anm. 6), Nr. 447, 449; Schatborn, Hinterding 2019 (wie Anm. 6), Nr. Z662, Nr. Z664.
45 Benesch 1954
57 (wie Anm. 6), Nr. 443; Egbert Haverkamp-Begemann, Rembrandt van Rijn, The Last Supper, after Leonardo da Vinci, in: id., Mary Tavener Holmes, Fritz Koreny, Donald Posner, Duncan Robinson, The Robert Lehman Collection, 7: Fifteenth- to Eighteenth-Century European Drawings: Central Europe, The Netherlands, France, England, New York, 1999, Nr. 66; Royalton-Kisch, Schatborn 2011 (wie Anm. 11), Nr. 31; Schatborn, Hinterding 2019 (wie Anm. 69), Nr. Z658.
zig die Stichreproduktion zeigt unten rechts am Fuß des Tisches ein Hündchen – Rembrandt übernahm es. Der trockenen und groben Stichwiedergabe hauchte Rembrandt gleichsam Leben ein. Er hielt sich in der Anordnung der vier Dreiergruppen an die Vorlage, er dramatisierte die Szene aber durch eine entschiedene Akzentuierung und Individualisierung der Jünger. Außerdem schuf er eine andere Raumsituation, indem er das Breitformat der Vorlage (und des Freskos) zugunsten einer Ausdehnung des Bildraums nach oben hin aufgab, diesen mit einer streng gegliederten architektonischen Kulisse abschloss und zugleich einen großen Baldachin als Ehrenmotiv einfügte.
In der Londoner Rötelzeichnung liegt die Konzentration auf den beiden Gruppen der Jünger zur Rechten Christi.46 Die Dreiergruppe direkt neben Christus blieb im Wesentlichen unverändert. Die Dreiergruppe links am Rand hingegen erfuhr maßgebliche Korrekturen.
Die Berliner Version (Abb. 13),47 Endpunkt der Auseinandersetzung mit Leonardos Komposition, wurde anders als die beiden vorangehenden Arbeiten mit der Feder ausgeführt. Das Format des Blattes ist extrem langgestreckt, doch dürfte es zu einem späteren Zeitpunkt oben erheblich beschnitten worden sein, wie einige am Rand übrig gebliebene, nicht deutbare Federstriche belegen. Es würde hier zu weit führen, in extenso auf die Genese dieser Darstellung einzugehen, die unter anderem viele Korrekturen erlebte. Insgesamt wurde die Komposition gegenüber der Stichvorlage nach Leonardo sowie den beiden
46 Benesch 1954 – 57 (wie Anm. 6), Nr. 444; Royalton-Kisch 1992 (wie Anm. 29), Nr. 14; Royalton-Kisch 2010 (wie Anm. 29), Nr. 11; Royalton-Kisch, Schatborn 2011 (wie Anm. 11), Nr. 32; Schatborn, Hinterding 2019 (wie Anm. 6), Nr. Z660.
47 Benesch 1954 – 57 (wie Anm. 6), Nr. 445; Bevers 2006 (wie Anm. 36), Nr. 7; Royalton-Kisch, Schatborn 2011 (wie Anm. 11), Nr. 30; Schatborn, Hinterding 2019 (wie Anm. 6), Nr. Z659.
vorangegangenen Fassungen, besonders der ersten Version in New York, entscheidend dramatisiert. Rembrandt spitzte alles auf den Moment der Verratsankündigung zu: „Amen dico vobis quia unus vestrum me traditurus est“ („Wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch wird mich verraten“), wie es auch auf dem an der Tischdecke angebrachten Zettel auf dem Stich geschrieben steht. Rembrandt hob die strenge Symmetrie auf, indem er Christus aus dem Zentrum leicht nach rechts versetzte, und er variierte die Anordnung der Figuren und löste die geschlossenen Dreiergruppen auf, um zu einer entschiedeneren Bewegung und Verdichtung nach der Mitte hin zu gelangen.48
Zum Thema: Alle drei Versionen tragen Rembrandts Signatur, die Berliner Fassung zudem die Jahreszahl 1635. Die New Yorker Fassung lässt am unteren Rand eine ausradierte Aufschrift erkennen. Vermutlich erschien hier ursprünglich auch der Name des Zeichners: Rembrandt, die beiden letzten Buchstaben „dt“ sind noch recht gut erkennbar. Warum er schließlich weiter rechts signiert hat, und dieses mal ohne das „d“ in seinem Namen, bleibt ein Rätsel. Die Londoner Fassung, die wohl als reine Studie der linken Bildhälfte angelegt war, zeigt noch Reste der Signatur unterhalb dieser Gruppe in Blattmitte, beim Berliner Blatt erscheint die Inschrift „Rembrandt f. 1635“ direkt unter der Figur Christi fast in Blattmitte. Leonardos Komposition spielte für Rembrandt, der im Mai 1635 die Werkstatt Hendrick Uylenburghs verließ und ein eigenes Atelier in der Amsterdamer Nieuwe Doelenstraat bezog, offenbar eine zentrale Rolle in seinem Selbstverständnis als nunmehr selbständiger Historienmaler. An Leonardo konnte Rembrandt mehr noch als bei seinem Lehrer Lastman lernen, wie man die menschliche Seele durch die Darstellung körperlicher Bewegungen und Gestik zum Sprechen bringen kann. Davon zeugen beispielsweise die gleichzeitig entstandenen und stilistisch gleichartigen Passionsblätter Kreuztragung Christi und Beweinung Christi, beide ebenfalls im Berliner Kupferstichkabi-
S. 56.
nett.49 Späte Werkstattwiederholungen der Abendmahlzeichnungen belegen, dass diese nicht zum Verkauf oder als Gabe an einen Mäzen bestimmt waren, sondern dass sie im Atelier zur Anschauung und zur Übung verblieben.50 Warum dann die Signaturen? Es wurde vermutet, Rembrandt habe signiert, um mit seinen Aufschriften eine Zuschreibung der Arbeiten an Leonardo zu verhindern.51 Dann könnte Rembrandt höchstens an die Nachwelt gedacht haben, denn erstens verblieben die Leonardo-Paraphrasen ja im Atelier und zweitens hätte ein Kenner zu Rembrandts Zeiten schwerlich dessen Linienführung mit dem Strich Leonardos verwechselt. Ebenso irrig erscheint mir die Meinung, Rembrandt habe betonen wollen, dass die Ausführung von ihm stamme, nicht jedoch die Erfindung.52 Eine andere Deutung erscheint plausibler: Rembrandt suchte den Wettstreit mit Leonardo. Er signierte aus Verehrung für den großen Renaissancemeister und aus Stolz auf die Neuformulierung des Themas. Wohl nicht zufällig befindet sich der Namenszug auf der Berliner Fassung, diesem Musterblatt von Affektstudien, genau unterhalb der Figur Jesu. Das mag auf die Beziehung von göttlicher und menschlicher Schöpferkraft anspielen, auf den gleich dem Künstler schaffenden Gott, und zugleich als Frömmigkeitsoder Demutsbezeugung zu verstehen sein.53
Signaturen auf Zeichnungen sind nicht immer sicher. Sicherheit über die Authentizität von Rembrandt-Signaturen kann man auf zwei Wegen erlangen: Ein erstes Kriterium ist die Übereinstimmung der Tinte, mit der der Namenszug geschrieben wurde, mit der Tinte, mit der die Zeichnung ausgeführt wurde. Der bloße Augenschein kann aber täuschen; Tinten können sich im Laufe der Zeit verändern. Wenn heute zwei Tinten identisch erscheinen, so können sie im Jahre 1635 unterschiedlich gewesen sein. Naturwissenschaftliche Untersuchungen der Tinten können helfen, sie sind aber aufwändig.54 Wichtig ist ferner das zweite Kriterium: der Vergleich einer Signatur mit dem Schriftduktus von Handschriften und Unterschriften, beispielsweise in den sieben absolut sicheren Briefen Rembrandts an den gelehrten Staatssekretär, Musiker und Dichter Constantijn Huygens (Abb. 14).55 Herrscht unter den Kennern meist Einigkeit über die Authentizität der Rembrandt-Sig-
49 Benesch 1954 – 57 (wie Anm. 6), Nr. 97, 100; Bevers 2006 (wie Anm. 36), Nr. 8, 9; Schatborn, Hinterding 2019 (wie Anm. 6), Nr. Z30, Nr. Z35.
50 Eine Arent de Gelder zugeschriebene Zeichnung im Berliner Kabinett von ca. 1660 – 1661 erweist sich als eine Wiederholung und Paraphrase von Rembrandts New Yorker Abendmahlsdarstellung aus dem Jahre 1635; s. Bevers 2018 (wie Anm. 7). Nr. 85.
51 So Peter Schatborn, Susanna und die beiden Alten, in: Id., Holm Bevers, Barbara Welzel (Hrsg.), Rembrandt. Der Meister und seine Werkstatt, Bd. 2: Zeichnungen und Radierungen (Kat. d. Ausst. Berlin Staatliche Museen zu Berlin 1991 – 1992), München: Schirmer/Mosel, 1991, S. 52, Nr. 11; Schatborn 2011 (wie Anm. 10), S. 296.
52 So Royalton-Kisch 1992 (wie Anm. 29), Nr. 14; Royalton-Kisch 2010 (wie Anm. 29), Nr. 11.
53 Kris, Kurz 1980 (wie Anm. 4), S. 74 – 86.
54 Für den Berliner Bestand s. z. B. die Untersuchungen von Georg Josef Dietz und Antje Penz, Zeichnen mit Rembrandt. Material und Technik in Rembrandts Werkstatt, in: Bevers 2018 (wie Anm. 7), S. 292
303, S. 293
298. Im Forschungsprojekt zu den niederländischen Zeichnungen in der Klassik Stiftung Weimar wird den Materialanalysen zu den Zeichnungen Rembrandts und der Rembrandtschule ein besonderer Schwerpunkt gelten; s. https://klassik-stiftung.de/forschung/forschungsaktivitaeten/ forschungsprojekte/kennerschaft-heute/ (aufgerufen am 29. 8. 2021).
55 Horst Gerson, Seven Letters by Rembrandt, Den Haag, 1961.
14 Rembrandt, Brief an Constantijn Huygens, Feder in Braun, 1639, Paris, Fondation Custodia, Collection Frits Lugt
naturen, so gibt es im Falle der Namensaufschriften Rembrandt auf zwei Blättern der vier sogenannten London-Ansichten keinen Konsens (Abb. 15).56 Diese werden begleitet von der Jahreszahl 1640. Während der Amsterdamer Rembrandtkenner Peter Schatborn an die Authentizität glaubt,57 bezweifle ich sie. Die Farbe der Tinte scheint beim Augenschein identisch mit derjenigen der Zeichnungen zu sein, doch ist der Duktus der Handschrift weniger flüssig, ja zögerlich im Vergleich mit den Brief-Unterschriften von 1639 (Abb. 14).58 Die Buchstaben in der Mitte – „bran“ – werden bei Rembrandt in der Regel
56 Benesch 1954 – 57 (wie Anm. 6), Nr. 785, 786, 787, 788; Plomp 1997 (wie Anm. 16), Nr. 333; Schatborn 2011 (wie Anm. 10), S. 299 – 301. Schatborn hält die beiden vermeintlichen Signaturen und Jahreszahlen 1640 auf den beiden Blättern in Haarlem (Benesch 1954 – 1957 [wie Anm. 6], Nr. 785; Plomp 1997 [wie Anm. 16], Nr. 333; Schatborn, Hinterding 2019 [wie Anm. 6], Nr. 668) und Wien (Benesch 1954 – 57 [wie Anm. 6], Nr. 786; Schatborn, Hinterding 2019 [wie Anm. 6], Nr. Z669) für eigenhändig. Allerdings wurden die Arbeiten nicht in die Kerngruppe der eigenhändigen Rembrandtzeichnungen von Royalton-Kisch und Schatborn (Royalton-Kisch, Schatborn 2011, [wie Anm. 11]) aufgenommen, da Royalton-Kisch wie ich die Aufschriften anzweifelt. Zu dem Problem s. zuletzt Bevers 2018 (wie Anm. 7), unter Nr. 149. Eine öffentliche Diskussionsrunde zu dem Thema mit Peter Schatborn, Gregory Rubinstein, Tico Seifert und mir in der National Gallery of Scotland in Edinburgh am 14. 9. 2018 erbrachte zwar neue Vorschläge für die Gruppierung und Einteilung der vier Blätter, aber keine wirkliche Klarheit in der Frage der Authentizität der Aufschriften und der Autorschaft.
57 S. die Bemerkungen in Anm. 56.
58 Aus Rembrandts viertem Brief an Huygens; Gerson 1961 (wie Anm. 55), S. 42 – 47.
15 Rembrandt-Umkreis, Ansicht von Schloss Windsor bei London, Feder in Braun, braun laviert, um 1640 (?), Wien, Albertina
zusammengeschrieben, in den London-Ansichten stehen „b“ und „r“ unverbunden neben „an“. Zudem zeigt der Buchstabe „R“ eine Anomalität, die sonst bei Unterschriften Rembrandts nicht vorkommt: Der schwungvolle halbrunde Bogen, der vom Ansatz der Feder her nach links oben führt, ist nicht in einer durchgehenden Linie gezogen, sondern hört in der Mitte auf und setzt dort mit einem kleinen Haken, der aus dem halbrunden Bogen verläuft, wieder neu an. Hat also ein späterer Besitzer unter Kenntnis der echten Signatur Rembrandts Namenszug nachgeahmt? Die Frage, die bis jetzt ungeklärt ist − Meinung steht gegen Meinung −, berührt natürlich auch das Problem der Eigenhändigkeit der Zeichnungen selbst. Auch hier herrscht Uneinigkeit, genährt nicht allein durch die Frage der Akzeptanz der vermeintlichen Signatur, sondern auch durch den Stil der Blätter, der für mich gegen Rembrandt als Autor spricht. Ich halte alle vier Zeichnungen für Schulblätter, von denen zwei von einer späteren Hand, offenbar im 18. Jahrhundert, mit Rembrandts Namenszug und der Jahreszahl versehen wurden, wobei dem Schreiber der Notizen Autographen des Meisters als Vorbild gedient haben dürften. Ob diese Zuschreibung im guten Glauben an den Urheber der Zeichnungen oder in bewusst fälschender Absicht vorgenommen wurde, sei dahingestellt.
Zusammenfassend kann man sagen: Zeichnungen durchwegs zu signieren, hatte keine Tradition. Das hat damit zu tun, dass Zeichnungen in den überwiegenden Fällen nicht selbstständige Werke waren, sondern als Behelf für die Ausarbeitung von anderen künstlerischen Projekten dienten. Ausnahmen, wie Pieter Saenredam, der sogar Arbeitsstudien namentlich unterzeichnete, bestätigen die Regel. Rembrandt signierte die meisten Zeichnungen nicht. Sie waren Studienmaterial für den eigenen Gebrauch und für die Lehre in der Werkstatt. Zuschreibungsprobleme gab es damals noch nicht: Rembrandt und die Schüler wussten, welche Arbeiten vom Meister, welche von den Eleven waren. Signiert hat Rembrandt bei Blättern, die vermutlich verkauft wurden oder Freunden und Sammlern zugedacht waren. Bei den Nachschöpfungen des Letzten Abendmahls sind die Signaturen bewusste Setzungen.
„REMBRANDT F.“ REMBRANDT-SIGNATUREN IN DER GEMÄLDEGALERIE BERLIN – EINE ANNÄHERUNG
Die Berliner Gemäldegalerie verfügt über eine ungewöhnlich frühe Dokumentation der Rembrandt-Signaturen auf den Werken ihrer Sammlung. Dies verdankt sie u. a. Wilhelm von Bode, der bereits in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts ein großes Interesse an Künstlerinschriften entwickelte. Vermutlich steht sein ausgeprägtes Interesse an Signaturen nicht zuletzt im Zusammenhang mit einer überdurchschnittlich regen Ankaufs- und Vermittlungstätigkeit im europäischen Kunsthandel − stellte die Signatur doch meist einen unumstrittenen Authentizitätsbeweis dar.1 Wie groß die Bedeutung war, die Bode den Signaturen beimaß, lässt sich u. a. an seinen Reisetagebüchern ablesen. Auf seinem Weg durch diverse europäische Privatsammlungen und auf der Suche nach potentiell interessanten Objekten für die Gemäldegalerie dokumentierte er sehr sorgfältig vorhandene Bezeichnungen auf Bildern. So hielt er etwa Rembrandts Frühwerk Der Geldwechsler, das er im April 1879 in der Sammlung von Sir Francis F. M. Cook in Richmond sah, in Form einer kleinen Skizze fest, auf der er auch die Platzierung der Signatur einzeichnete.2 Eine detaillierte Übertragung der für den heutigen Betrachter mit bloßem Auge kaum noch erkennbaren Bezeichnung findet sich in den von ihm zusätzlich vermerkten Notizen zum Bild. Ab 1883 wurde unter Bodes Leitung schließlich konsequent jede vorhandene Signatur auf Bildern der Gemäldegalerie in Form eines Faksimiles in das beschreibende Verzeichnis der Gemäldegalerie aufgenommen.
Damit sind wir in der überaus komfortablen Lage, für fast alle Signaturen auf Bildern der Gemäldegalerie eine detailgetreue Dokumentation des 19. bzw. frühen 20. Jahrhunderts zur Hand zu haben. Zusätzlich verfügen wir heute über Untersuchungsmöglichkeiten, die eine maltechnische Analyse der Künstlerbezeichnungen erst ermöglicht und eine Interpretation des vorliegenden Materials erlaubt, ohne zu „most absurd theories and
1 Vgl. hierzu auch Wilhelm Martin, Alt-Holländische Bilder (Sammeln/Bestimmen/Konservieren), Berlin: Richard Carl Schmidt & Co., 1921, S. 33 – 41.
2 Bode sah das Bild auf seiner Englandreise am 6. April 1879 und beschrieb es in seinem Reisetagebuch: Zentralarchiv SMB-ZA, IV/NL Bode 0052, S. 39v., Skizze des Bildes auf der letzten, unnummerierten Seite.
wrong conclusions“ 3 zu gelangen. Die im Folgenden präsentierten Ergebnisse wurden im Zuge eines mehrjährigen interdisziplinären Forschungsprojektes zum Bestand der Berliner Rembrandtgemälde erarbeitet.4 Insgesamt waren 15 Signaturen auf Bildern von Rembrandt bzw. ihm ehemals zugeschriebenen Werken zu berücksichtigen.
1. Original erhaltene, lesbare Signaturen
Das oben bereits genannte Werk Der Geldwechsler (Abb. 1)5 stellt das früheste, von Rembrandt signierte Bild in der Gemäldegalerie dar. Das Gemälde ist auf dem links des alten Mannes liegenden Buch bezeichnet und datiert: „RH“ (verbunden) „1627“ (Tafel 22). Die miteinander verbundenen Buchstaben „RH“ sind in die noch weiche, dunkle Farbfläche mit einem schmalen Pinsel (ohne Farbzusatz) gezogen und nur der obere Bogen des „R“ ist mit graubrauner Farbe nachgearbeitet (Abb. 2). Die Ziffern der Signatur sind mit schmalem Pinsel mit wenig Graubraun auf die bereits feste Oberfläche aufgetragen. Die Farbe liegt flach auf der dunklen Malschicht, ist jedoch homogen mit der dunklen Farbfläche verbunden. Demnach erfolgte der Auftrag der Signatur hier in zwei zeitlich auseinanderliegenden Arbeitsvorgängen: Zunächst wurde das Kürzel des Namens in die noch weiche Farbe eingedrückt und erst anschließend auf die getrocknete Farbe die Datierung gesetzt. Eine als Relief in die Farbe vertiefte Signatur entspricht dem für dieses Bild so charakteristischen, geradezu plastischen Aufbau, bei dem der Künstler den von der Kerze beschienenen Bereich ebenfalls plastisch modellierte, um so der meisterhaften Gestaltung von Licht und Schatten Nachdruck zu verleihen. Bemerkenswert ist auch die Ausgestaltung des Buchstabens „R“ mit zusätzlicher Farbe. Eine derartige Verzierung ist, zumindest für die Berliner Bilder, hier erstmals nachweisbar, taucht jedoch auch auf späteren Werken regelmäßig auf. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass sich jene Art der Ausschmückung ausschließlich für den Namen selbst findet, nicht jedoch für die Datierung. Diese zusätzliche, für das bloße Auge häufig nicht wahrnehmbare Verzierung der Signatur passt gut zu der auch sonst für Rembrandt so charakteristischen, sehr überlegten und präzisen Maltechnik, die nur auf den ersten Blick flüchtig und schnell erscheint.
1628, nur ein Jahr nach dem Geldwechsler, schuf Rembrandt sein Frühwerk Simson und Delila (Abb. 3),6 bei dem die Signatur links auf der Stufe unterhalb des Fußes des Philisters angebracht wurde: „RHL“ (verbunden) „1628“ (Tafel 23). Die Signatur ist mit grauer Farbe auf die bereits feste Fußbodenfarbe gemalt. Zeitnah wurden die Ziffern „2“ und „6“ mit
3 Hubertus F. von Sonnenburg, Technical Aspects: Scientific Examination, in: Deirdre C. Stam (Hrsg.), Rembrandt after three Hundred Years: A Symposium. October 22 – 24, 1969, Chicago: The Art Institute of Chicago, 1973, S. 83-101, hier: S. 91.
4 Interdisziplinäres Forschungsprojekt „Rembrandt Autoradiography/The Rembrandt Database: Neue Forschungen zu den Rembrandt-Beständen der Gemäldegalerie Berlin“, 2011 – 2016 an der Gemäldegalerie SMB. Gefördert von der Andrew W. Mellon Foundation (New York) und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. In Kooperation mit dem RKD (Netherlands Institute for Art History) Den Haag und dem Helmholtz Zentrum für Materialien und Energie Berlin.
5 Rembrandt, Der Geldwechsler, Öl auf Holz, 32 × 42,5 cm, 1627, Gemäldegalerie, SMB.
6 Rembrandt, Simson und Delila, Öl auf Holz, 61,4 × 50 cm, 1628, Gemäldegalerie SMB.