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WIE KANN DIE KRITIK AM MUSEUM IM MUSEUM FOLGEN HABEN? DIE HERAUSGEBERINNEN IM GESPRÄCH
Martina
Griesser-Stermscheg, Christine Haupt-Stummer, Renate Höllwart, Beatrice Jaschke, Monika Sommer, Nora Sternfeld, Luisa Ziaja
Diese Frage, die die Museumstheorie und -praxis am Ende des 20. Jahrhunderts beschäftigte, hat sich heute verändert. Denn seit Beginn des 21. Jahrhunderts verbreiten sich kritische Theorien in der Praxis von institutionellen Texten und Kontexten wie Lauffeuer. So sind Themen, für die jahrelang gekämpft wurde, wie Feminismus, Antirassismus, Umweltpolitiken, Institutionskritiken, Inklusionsdebatten, dekoloniale und queere Theorien, heute in aller Munde, während sich strukturell nur wenig zum Besseren verändert. Dadurch wird ein hart erarbeitetes kritisches Vokabular nicht selten zum Label entleert. Vor dem Hintergrund der nüchternen Erkenntnis, dass die Kritik an Institutionen bei ihrer Implementierung in Institutionen nicht immer positive Folgen hat, wollen wir in diesem Band dennoch wieder und weiter über die Verhältnisse von Theorie und Praxis nachdenken.
Beatrice In unseren täglichen kuratorischen und vermittlerischen Praxen stoßen wir oft an Grenzen, an gläserne Decken, die es uns verunmöglichen, unsere Selbstverständnisse und Überzeugungen tatsächlich leben zu können. Umbrüche im Sinne eines kritisch-reflexiven Handelns sind im institutionellen Kontext meist nur auf Projektbasis möglich. Ein Etablieren als institutionelle Praxis scheitert an unterschiedlichen Punkten. Oft sind es die strukturellen „Verkrustungen“, die Veränderungen bremsen und in ihrer Logik Widersprüche produzieren. Denkt man konzeptiv gegen den Kanon, braucht es große Überzeugungskraft, das auch so umzusetzen. Die Wirkmacht dieses projektbezogenen Aufbrechens bleibt überschaubar.
Nora Diese Problematik stellt sich mir noch viel grundlegender dar: Wir haben uns im kritischen Museumsund Ausstellungsfeld seit vielen Jahren in Widersprüche verwickelt. Glauben wir den Anrufungen, dann stehen wir mitten in einem Paradigmenwechsel. Wir hören vielerorts von einem „Museum der Zukunft“1, und es scheint, als würde dies heißen: „Alles wird besser“, oder vielleicht: „Alles muss besser werden.“ Aber wenn wir uns der Realität der Institutionen, ihren Arbeitsverhältnissen, ihren Plänen im Krisenmodus und ihren Perspektiven widmen, stellen wir fest: Wenig ist besser. Vieles ist unsicherer geworden, vieles ist schwieriger. Also heißt „Alles wird besser“ einfach: „Alles muss gut klingen“? Heißt es vielleicht sogar, dass institutionelle Diskurse alle Beteiligten zunehmend performativ daran gewöhnen, dass kritische Rhetorik mit unkritischem Handeln einhergeht, dass alles anders formuliert werden muss, damit die Strukturen so bleiben können, wie sie sind, bzw. damit sie sogar unsicherer, privater und weniger öffentlich werden konnten und können? Und wie wollen wir über unsere Arbeit nachdenken, sie zwischen Theorie und Praxis weiter reflektieren, ohne ständig dieselben unausgesprochenen Widersprüche zu reproduzieren?
1 Wir haben in diesem Zusammenhang gemeinsam mit Joachim Baur auch ein Buch herausgegeben: schnittpunkt, Joachim Baur (Hg.), Das Museum der Zukunft. 43 neue Beiträge zur Diskussion über die Zukunft des Museums, Bielefeld 2020.
Martina Das alles sind Fragen, die uns seit Jahren begleiten und die wir nun mit der vorliegenden Publikation adressieren wollen. Wir haben also Kolleg:innen eingeladen, mit uns über Widersprüche nachzudenken.
Nora Die Beiträge, die wir erhielten, haben uns insofern erstaunt, als sie vom alltäglichen reflektierten Umgang mit der Tatsache, dass wir zum widersprüchlichen Handeln gezwungen sind, zeugen – und davon, dass wir uns das Denken dabei nicht nehmen lassen.
Martina Im Vergleich zu anderen Büchern, die wir in unserer Schriftenreihe bisher veröffentlicht haben, ist dieser Sammelband vielleicht weniger proklamatorisch und verfolgt einen Ansatz, den ich als weder naiv noch ohnmächtig bezeichnen würde. Manche Beiträge haben den Charakter eines inneren Monologs, mit vielen Gedanken, die vielleicht bisher noch nicht als spektakulär genug erschienen, um schon einmal laut ausgesprochen worden zu sein. Schließlich haben wir offensichtlich gelernt, mit Widersprüchen zu leben, vieles mit uns selbst auszumachen, ohne aber zu resignieren, und trotzdem am nächsten Tag weiterzumachen. Manche Texte spiegeln das Unbehagen wider, das ihr angesprochen habt und das uns im professionellen Museums-, Ausstellungs- und Vermittlungsalltag manchmal begleitet. Denn alle kennen den theoretischen kritischen Ansatz, der nach einem „Idealzustand“ zu rufen scheint und sich in der Praxis nicht einholen lässt. Doch dann geht es – z. B. in den Beiträgen