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PARA-MUSEUM UND DIE GESPENSTER DER INFRASTRUKTUR

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Nora Sternfeld

„The Art Workers’ Coalition (AWC) was born out of an action at MoMA on January 3, 1969, when the artist Takis removed his sculpture (which was owned by the Museum) from an exhibition on the grounds that an artist had the right to control the exhibition and treatment of his work even if he no longer owned it. This was the catalyst that led a group of artists, architects, filmmakers, critics, and museum and gallery personnel to coalesce into the Art Workers’ Coalition. The AWC sought to address the rights of artists and political and social justice matters. They imposed a set of thirteen demands on the Museum, including free admission, a section of the Museum devoted to showing work by black artists, and the Museum’s convening of a public hearing on the topic of ,The Museum’s Relationship to Artists and Society‘. Throughout the course of the year, the AWC staged demonstrations, organized an open hearing, and attended meetings with MoMA staff to further their cause.“

1 Dieser Text ist für eine Publikation der Dänischen Nationalgalerie und in deren Auftrag entstanden. Er wurde in Dänemark vom Deutschen ins Englische übersetzt und befindet sich dort im Erscheinen (2022). Der zweite Teil des Titels ist aus einem gemeinsamen Denkprozess mit dem Kollektiv freethought (http:// freethought-collective.net/ (Stand: 28.8.2022) entstanden und verdankt sich den Perspektiven meiner Kolleg:innen Irit Rogoff und Louis Moreno. Mittlerweile wurden die „Gespenster der Infrastruktur“ zum Titel eines mehrjährigen kuratorischen Forschungsprojekts, das wir im Rahmen von freethought am BAK (Basis für aktuelle Kunst) in Utrecht verfolgen.

Dies ist ein Raumtext in einer Vitrine der neuen Sammlungsausstellung des MoMA in New York. Wie jede Vitrine schafft auch diese Bedeutung. Der stylishe Glaskasten mit Archivmaterialien stellt Nähe bei gleichzeitiger Unnahbarkeit her, eine Aura. Die Vitrine schützt, was sie zeigt, aber sie macht uns auch auf den Wert des Präsentierten aufmerksam. Der Raumtext liegt perfekt platziert zwischen den Archivalien. Er kontextualisiert die Dokumente, Fotografien und Broschüren, die Einblick in ein konkretes Beispiel für einen historischen Kampf um eine Veränderung der Institution geben. Die Materialien stammen weitgehend aus den Archiven des MoMA und finden sich hier, im vierten Stock des Museums, in jenem Bereich, der Werke der Sammlung aus den 1940er- bis 1970erJahren zeigt, offensichtlich institutionalisiert wieder.

Was machen politische Forderungen in der Vitrine eines Museums moderner Kunst – noch dazu Forderungen an das Museum selbst? Dieser konkreten Frage wie auch weiterführenden allgemeineren Fragen möchte ich in diesem Text nachgehen: Was bedeutet das Verhältnis von Institutionen zu Kämpfen gegen Institutionen aus Sicht der Institutionen? Verstehen wir die Aufgabe eines Museums als kritische Treue zum Material, wie wäre dann die Institution den Materialien treu? Geht es dabei wirklich darum, das Stück Papier zu schützen, auf das 13 Forderungen getippt sind (klar wurde es vervielfältigt, also gibt es eigentlich gar kein Original, und ja, eines davon hat eine rote Markierung bei den Forderungen 2 und 3). Oder geht es möglicherweise doch eher darum, worum es darin geht? Müsste die Institutionalisierung, die dem Material treu sein will, nicht den Forderungen treu sein, sie also umsetzen? Und wie kann etwas von dem Konflikt bewahrt und reaktivierbar gemacht werden und nicht bloß entschärft und stillgestellt?

Im Oktober 2019 eröffnete das MoMA die Neuaufstellung seiner Sammlung, die für Aufsehen sorgte, denn die bis dahin für den westlichen Blick auf die Kunstgeschichte des 20. Jahrhundert archetypische und stark vom sogenannten Kalten Krieg geprägte historische Anordnung hatte eine Neuperspektivierung erfahren.3 Immerhin scheint dabei an einigen Stellen eine Kanonisierung aufgebrochen, die sehr lange als universell gesetzt hatte, was doch eine ziemlich partikulare, westliche, männliche, weiße Perspektive war. Genauer gesagt folgt die neue Sammlungspräsentation einer durchbrochenen chronologischen Erzählung: In thematischen Clustern finden sich zentrale historische Werke der Sammlung mit rezenteren

2 Diese Frage stellen wir uns im Rahmen von schnittpunkt. ausstellungstheorie & praxis in Wien seit 2001; https://www.schnitt. org (Stand: 15.6.2020). schnittpunkt sind: Martina Griesser-Stermscheg, Christine Haupt-Stummer, Renate Höllwart, Beatrice Jaschke, Monika Sommer und Luisa Ziaja. Nachdem ich sie 2009 so am Ende eines Textes formuliert hatte, steht sie heute oft am Anfang unserer konzeptuellen und vermittelnden Texte und Veranstaltungen. Nora Sternfeld, „Erinnerung als Entledigung“, in: schnittpunkt, Belinda Kazeem, Charlotte Martinz-Turek, Nora Sternfeld (Hg.), Das Unbehagen im Museum, Wien 2009, S. 61–75, hier S. 73.

3 „How do you convert the archetypical institution of 20th-century art into one fit for the 21st?“, fragt die New York Times kurz nach der Eröffnung und beantwortet die Frage an etwas späterer Stelle mit „Go East, Go South“; „The New MoMA Is Here. Get Ready for Change“, https:// www.nytimes.com/2019/ 10/03/arts/design/MoMArenovation.html (Stand: 15.6.2020).

4 Angekauft wurde die Arbeit übrigens erst 2016, sie hat die Objektnummer 212.2016.a-b; https://www. MoMA.org/collection/works/ 199915 (Stand: 15.6.2020).

5 Vgl. Thomas J. Lax, „How Do Black Lives Matter in MoMA’s Collection“, in: Natalie Bayer, Belinda Kazeem-Kamiński, Nora Sternfeld (Hg.), Curating as Anti-Racist Practice, Helsinki 2018, S. 229–237.

6 Faith Ringgold auf: Makers, http://www.makers. com/faith-ringgold (nicht mehr online, zu finden in der Wayback Machine: https://web.archive.org, http://www.makers.com/ faith-ringgold, Snapshot von 6.7.2017, Stand: 28.8.2022).

Arbeiten konfrontiert, weiße Kunstgeschichten hinterfragt, westliche Perspektiven durch südliche erweitert, ein männlicher Kanon feministisch durchkreuzt. Picassos Demoiselles d’Avignon (1907) wird etwa eine Arbeit von Faith Ringgold aus dem Jahr 1967 gegenübergestellt. Das monumentale Gemälde trägt den traurigen, sprechenden und leider immer noch allzu aktuellen Titel American People Series #20: Die4 und erinnert an die antirassistischen Unruhen, die damals im ganzen Land ausbrachen – und an ihre gewaltvolle Niederschlagung. Wir sehen Menschen in Businesskleidung, Schwarze und Weiße in einem Tumult, ein Blutbad, alle sind verletzt.5 In der Formensprache ihrer Arbeit bezog sich die Künstlerin auf die damalige Aufstellung des MoMA, in der in den 1960er-Jahren die Demoiselles d’Avignon zusammen mit Guernica präsentiert wurden. An Picasso interessierten Faith Ringgold seine politische Positionierung, die Bezugnahme auf seine Zeit und die Auseinandersetzung mit Gewalt in der Malerei. In Referenz darauf fragte sich die Künstlerin: „How could I, as an African American woman artist, document what was happening around me?“, und arbeitete an einer Formensprache, die die rassistische Gewalt in den USA zum Ausdruck brachte. Ihre Position hatte Faith Ringgold in den 1960er- und 1970er-Jahren sowohl in der Malerei als auch in konkretem Aktivismus zum Ausdruck gebracht. 1970 z. B., als das Whitney Museum in New York eine Ausstellung mit dem Titel 30 Americans zeigte und keine einzige Schwarze Position dabei war, protestierte sie gemeinsam mit anderen KünstlerInnen und Institutionen, etwa dem Studio Museum Harlem, gegen die weiße Museumspolitik: „We demonstrated in front of the Whitney and later the Museum of Modern Art, so that African-American artists could show their work in these museums. These were public institutions with a commitment to serve the people. However, one could not find art by African Americans in any of these museums.“6

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