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KRITISCHE WISSENSPRODUKTION IN MUSEUMSDATENBANKEN. WIDERSPRÜCHE AM

Martina Griesser-Stermscheg

1 Anke te Heesen, „Geschlossene und transparente Ordnungen. Sammlungsmöbel und ihre Wahrnehmung in der Aufklärungszeit“, in: Gabriele Dürbeck et al. (Hg.), Wahrnehmung der Natur. Natur der Wahrnehmung. Studien zur Geschichte visueller Kultur um 1800, Dresden 2001, S. 19–34; Anke te Heesen, „Vom Einräumen der Erkenntnis“, in: dies. / Anette Michels (Hg.), auf/zu. Der Schrank in den Wissenschaften (Ausst.Kat., Eberhard-Karls-Universität Tübingen), Berlin 2007, S. 90–97.

2 Martina GriesserStermscheg, Tabu Depot. Das Museumsdepot in Geschichte und Gegenwart, Wien/Köln/Weimar 2013, S. 34–52.

Verortung: der erste, der zweite und der dritte Ort Aufräumen. Einräumen. Ordnung machen. Für die einen klingt das fürchterlich langweilig, für die anderen hingegen nach einer recht befriedigenden Tätigkeit, die stets mit der Hoffnung einhergeht, dass alles nachher „besser“, vielleicht übersichtlicher, kontrollierbarer ist als vorher. Sammelnde Menschen und Institutionen beschäftigen sich seit jeher mit räumlichen Ordnungssystemen. Maßgebliche Erkenntnisse zur sinnstiftenden Wirkung von Ordnungsbehältnissen in vormusealen Sammlungen, insbesondere von Objekt- und Archivschränken samt ihren Referenzverzeichnissen, verdanken wir Anke te Heesen.1 Doch je öffentlicher die Museen in den Jahrzehnten nach der Französischen Revolution wurden (und ich weiß, dass ich mich dabei immer noch auf einen Begriff der Öffentlichkeit beziehe, der nur wenige Privilegierte als Öffentlichkeit adressiert und der in koloniale Bedingungen verstrickt ist), desto mehr veränderten sich auch die Ordnungsmöbel und -räume. So kam es im Laufe des 19. Jahrhunderts zur noch heute gültigen Differenzierung in Depot- und Zeigebehältnisse, seien es Möbel oder ganze Räume.2 Beide unterliegen gänzlich unterschiedlichen Ansprüchen an Ordnung und Verzeichnis. Im Depot geht es um Logistik, Platzeffizienz, Langzeiterhaltung und schnelles Wiederauffinden. Beim Zeigen geht es um Repräsentation, Veröffentlichung, Vermittlung und Wissensproduktion. In jedem Fall wurden durch das Zeigen auch große Teile von Sammlungen wieder verborgen und die einstmalig erkämpften öffentlichen Wissenszugänge abermals eingeschränkt.

Daniela Döring teilt in einem Aufsatz, in dem sie auf die Erkenntnisse von Anke te Heesen aufbaut, die Behältnisse von Sammlungen in drei Orte: Der erste Ort ist der Ausstellungsraum, der zweite das Sammlungsdepot und der dritte das Inventarbuch. Letzteres verzeichnet analog zur materiellen Sammlung ihre Kontextualisierung und Verortung. Durch die systematische Verzeichnung und Speicherung entsteht ein weiteres „mediales, archivalisches Objekt“, wie Döring es definiert; alles, was hier verzeichnet wird, hat Auswirkungen auf jenes Wissen, das über das Objekt verfügbar sein wird und künftig vermittelt werden kann.3 Döring schließt ihre Momentaufnahme von 2010 mit der Anmerkung, dass durch die Einführung von digitalen Museumsdatenbanken die (historischen) Aufzeichnungssysteme wiederum in eine neue Ordnung gebracht werden. Ihr Schluss ist mein Ausgangspunkt, und so möchte ich zwölf Jahre nach dem Erscheinen von Dörings Aufsatz einen kritischen Blick auf ebendiese neue Ordnung richten. Dabei gehe ich von einer postdigitalen Museumspraxis aus, in der analoge und digitale Umgebungen komplementär wirken und keine Gegensätze (mehr) bilden. Wie Inventarbücher, Zettelkataloge oder Karteikästen sind Datenbanken demnach nur ein weiteres Werkzeug in der langen Geschichte der musealen Wissensverwaltung. Meinen persönlichen Zugang finde ich über die Beobachtung von Widersprüchen, die mir in der täglichen Arbeit als Mitarbeiterin eines öffentlichen Museums, des Technischen Museums Wien (kurz TMW), mit dem Werkzeug Datenbank begegnen und die mir mitunter auch Unbehagen bereiten. Als Leiterin des Forschungsinstituts, dem die inhaltlich-strategische Steuerung der TMW-Datenbank abteilungsübergreifend zugeordnet ist (ich erwähne das auch, weil die strukturelle Verankerung der Datenbank in den Organigrammen der Museen sehr unterschiedlich geregelt ist, dies aber Auswirkungen auf deren inhaltliche Entwicklung hat), moderiere ich eine umkämpfte Schnittstelle. An dieser tummeln sich IT-Experten, Software-Dienstleister, Kustod_innen, Kurator_innen, Archivar_innen, Bibliothekar_innen, projektbezogene Forscher_innen,

3 Daniela Döring, „Das verrückte Inventar. Über ver/schränkte Wissensräume im Museum“, in: Trajekte. Zeitschrift des Zentrums für Literaturund Kulturforschung Berlin, Heft 20, 2010, S. 7–11, hier S. 9.

4 Siehe dazu Lukas Wieselberg, „Moderne Wissenschaften: Alles im Kasten. Interview mit Anke te Heesen über die Möblierung der Wissenschaft und die Bedeutung des Schrankes bei der Schaffung von Wissen“, Ö1-Sendebeitrag vom 18.3.2009; Staffan Müller-Wille, „Carl von Linnés Herbarschrank. Zur epistemischen Funktion eines Sammlungsmöbels“, in: Anke te Heesen / E. C. Spary (Hg.), Sammeln als Wissen. Das Sammeln und seine wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung, Göttingen 2001, S. 22–38; Johannes Schmidt, „Der Zettelkasten Niklas Luhmanns“, LuhmannArchiv, Universität Bielefeld, https://niklas-luhmannarchiv.de/nachlass/zettel kasten (Stand: 9.7.2022). Durch das Multiple-StoragePrinzip und die an Hyperlinks erinnernde Verweisungstechnik simulierte Luhmann in analoger Speichertechnik ab den 1950er-Jahren ein digitales Datenbanksystem.

Restaurator_innen, Registrarinnen, Depotarbeiter_innen, Fotograf_innen, Buchhalter_innen und die Web-Redaktion des Marketing-Teams. Am öffentlich sichtbaren Frontend stehen die Online-Datenbank-User_innen am PC/Smartphone sowie die TMW-App-User_innen beim Museumsbesuch.

Der vierte Ort: die Museumsdatenbank Museumsdatenbanken zählen heute wohl zu den mächtigsten Instrumenten der kollektiven Gedächtnis- und Wissensverwaltung. In ihnen dokumentieren, kontextualisieren und disziplinieren Museen ihre Sammlungsbestände. Die dingliche Begrenztheit von materiellen Sammlungen und die damit einhergehende Bedingtheit musealer Ordnungssysteme kennen digitale Museumsdatenbanken nicht. Damit eröffnen sich neue Handlungsräume, vor allem für die Vernetzung und Sichtbarmachung neuer Zusammenhänge, die möglicherweise bisher unentdeckt geblieben sind. Museumshistorisch betrachtet ging damit ein lang gehegter Traum in Erfüllung. Denn was Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) mit seinem Exzerpierschrank, Carl von Linné (1707–1778) mit seinem Herbarschrank oder viel später Niklas Luhmann (1927–1998) mit seinem Zettelkasten noch im Analogen propagierten – nämlich neue Sinnzusammenhänge durch feste Ordnungssysteme, die zugleich Flexibilität ermöglichen, zu schaffen4 – ist zu Beginn des 21. Jahrhunderts fester Bestandteil der Museumspraxis geworden.

Unbedingte Born Digitals Datenbanken bergen aber auch ein gewisses Risiko. Museumsdinge erinnern uns nämlich in ihrer materiellen, manchmal auch sperrigen Beschaffenheit seit Jahrhunderten als

Elena Agudio

„Vor dem Hintergrund sozialer Ungerechtigkeiten und ökologischer Krisen sind Dringlichkeiten die treibende Kraft für Ideen, die es uns erlauben, mit einer anderen Logik zu operieren und die engen Grenzen zwischen Disziplinen und Institutionen zu untergraben oder zu überwinden.“

„Vor dem Hintergrund sozialer Ungerechtigkeiten und ökologischer Krisen sind Dringlichkeiten die treibende Kraft für Ideen, die es uns erlauben, mit einer anderen Logik zu operieren und die engen Grenzen zwischen Disziplinen und Institutionen zu untergraben oder zu überwinden.“

Mit diesen Worten, diesem Aufruf von Studierenden des /ecm für ihr kollaboratives Projekt,1 machten mich Nora Sternfeld und Beatrice Jaschke auf die von ihnen konzipierte Diskussionsreihe aufmerksam, um mich im Februar 2021 für einen Beitrag einzuladen. Ich schlug daraufhin vor, über das Kuratieren als einen verstörenden Raum nachzudenken, als eine Praxis, die produktives kritisches Unbehagen zu erzeugen vermag und fundamental kollaborativ und transformativ sein kann.

Von Anfang an war meine Arbeit als Kuratorin stark von der Möglichkeit geprägt, Grenzen von Disziplinen zu überschreiten und mich mit der heuristischen wie disruptiven Kraft der Kunst als Form der Wissensproduktion auseinanderzusetzen. Darüber hinaus ging es mir darum, „Gleichheitsfragen in den Raum zu stellen“ (wie der Titel des /ecm-Projekts lautete), also die tiefgehenden Asymmetrien dieser Welt und die Geometrien von Machtstrukturen zu analysieren.

1 „SIND

Wir

SCHON DA? Gleichheitsfragen in den Raum stellen“, /ecm-Projekt 2020–2022, www.ecm.ac.at/ecmprojekt2020-2022/ (Stand: 4.5.2022).

Nach vielen Jahren der kuratorischen Arbeit habe ich mich in letzter Zeit vorrangig mit Selbstreflexion und Analyse beschäftigt sowie die Realität akzeptiert, dass kuratorische Projekte für mich keineswegs geradlinige Pfade bedeuten, sondern Umwege, Sackgassen und Abweichungen umfassen. In diesem Sinne möchte ich hier einige Widersprüche ansprechen, die mit meinen Ansprüchen an meine kuratorische Arbeit einhergehen, und mich ihnen stellen.

Ich glaube fest daran, dass, wie James Baldwin sagte, „der Zweck der Kunst darin besteht, die Fragen freizulegen, die von den Antworten verdeckt wurden“, an die Möglichkeit, Perspektiven komplexer zu machen und zu den bereits gegebenen Antworten Fragen zu finden. Aus diesem Grund sind kuratorische Untersuchungen oftmals wie Holzwege, jene Pfade im Wald, die sich zumeist abseits der von den meisten begangenen Hauptwege befinden und die, oft unterbrochen, in viele verschiedene Richtungen verlaufen und Umwege nehmen. Dies sind Strategien des Ausprobierens, sogar der Irritation, und Taktiken kleinerer Akte der Sabotage – des Durchkreuzens und Verqueerens. Sie können bedeuten, dass man vom Weg abkommt, ihn ganz verliert oder einfach zögernd innehält. Und sie untersuchen die Zonen, in denen binäre Entgegensetzungen zu verblassen beginnen, und die Räume, in denen neue Bedeutungen und Werte noch nicht entstanden sind.

Als Nora und Beatrice auf mich zukamen, sagten sie mir, dass sie insbesondere genauer verstehen wollten, was ich meine, wenn ich – in meiner Kurzbiografie – schreibe, dass ich mich für das Kuratieren „als Form der Beunruhigung mit einem Fokus auf die performativen und relationalen Aspekte“ interessiere.

Dies möchte ich hier nun zu erklären versuchen, indem ich einige meiner neueren Projekte vorstelle und zeige, wie viel meiner Arbeit mit der Beunruhigung insbesondere auch meiner eigenen Position zu tun hat. Einer Position, die natürlich oftmals schwierig ist, da ich eine weiße europäische Kunsthistorikerin bin, die im Kontext eines Kunstraums wie SAVVY Contemporary bzw. überhaupt im Kontext eines engagierten und antidiskriminatorischen Kuratierens arbeitet.

Aus diesem Grund habe ich diesem Text seinen merkwürdigen Titel gegeben: „Zwiebeln schneiden, oder: Das Kuratieren kritischen Unbehagens und die Arbeit der Reparatur“.

Für das Abstract zu dem Vortrag, den ich im März 2021 in Wien bei /ecm hielt, habe ich diesen im Bild bleibend erläutert:

„Beinahe jedes gute Rezept beginnt mit dem Schneiden von Zwiebeln. Den Raum aufräumen, die Zutaten vorbereiten, einen Zeitplan erstellen. Doch erst wenn die Tränen zu rollen und die Augen zu brennen beginnen, fängt die eigentliche Arbeit an. Wenn ein intensiver Geruch plötzlich die Nasenlöcher trifft und ein Gefühl leichten Unbehagens oder Widerwillens hervorruft, kann die Kreativität einsetzen und die Arbeit beginnen. Vielleicht weil ich zu oft die Gelegenheit versäumt habe, mich in die edelste Alchemie des Kochens zu vertiefen, habe ich angefangen, Zwiebeln zu schneiden, als ich mit dem Kuratieren begann.

„Beinahe jedes gute Rezept beginnt mit dem Schneiden von Zwiebeln. Den Raum aufräumen, die Zutaten vorbereiten, einen Zeitplan erstellen. Doch erst wenn die Tränen zu rollen und die Augen zu brennen beginnen, fängt die eigentliche Arbeit an. Wenn ein intensiver Geruch plötzlich die Nasenlöcher trifft und ein Gefühl leichten Unbehagens oder Widerwillens hervorruft, kann die Kreativität einsetzen und die Arbeit beginnen. Vielleicht weil ich zu oft die Gelegenheit versäumt habe, mich in die edelste Alchemie des Kochens zu vertiefen, habe ich angefangen, Zwiebeln zu schneiden, als ich mit dem Kuratieren begann.

Im folgenden Vortrag möchte ich über die Arbeit des Kuratierens und dessen Politik des Affekts nachdenken. Kuratieren bedeutet für mich nicht nur, Fragen in den Raum zu stellen, vorherrschende Narrative zu beunruhigen und die politische Imagination zu gebrauchen, sondern – als weiße europäische Kunsthistorikerin – auch, zu verlernen und sich selbst in eine Position des kritischen Unbehagens zu begeben. Sich zu öffnen für Praktiken des genauen Zuhörens, das Unerwartete willkommen zu heißen, sich aus seiner Komfortzone herauszubegeben, um sich durch neue Kontaktzonen zu bewegen. Die folgende Präsentation wird sich mit dem Verständnis kuratorischer Praktiken als Formen der Beunruhigung beschäftigen, deren mäeutische und rebellische Kräfte in ihren relationalen und performativen Aspekten liegen.“

Im folgenden Vortrag möchte ich über die Arbeit des Kuratierens und dessen Politik des Affekts nachdenken. Kuratieren bedeutet für mich nicht nur, Fragen in den Raum zu stellen, vorherrschende Narrative zu beunruhigen und die politische Imagination zu gebrauchen, sondern – als weiße europäische Kunsthistorikerin – auch, zu verlernen und sich selbst in eine Position des kritischen Unbehagens zu begeben. Sich zu öffnen für Praktiken des genauen Zuhörens, das Unerwartete willkommen zu heißen, sich aus seiner Komfortzone herauszubegeben, um sich durch neue Kontaktzonen zu bewegen. Die folgende Präsentation wird sich mit dem Verständnis kuratorischer Praktiken als Formen der Beunruhigung beschäftigen, deren mäeutische und rebellische Kräfte in ihren relationalen und performativen Aspekten liegen.“

Um ehrlich zu sein, wurde ich zu diesem dramatischen, theatralischen, aber auch sehr häuslichen Bild der Handlung des Zwiebelschneidens und der Verunsicherung durch die dadurch hervorgerufenen Tränen durch eine künstlerische Arbeit inspiriert. Man könnte nun an Marina Abramović und ihren Film The Onion aus dem Jahr 1996 denken,2 tatsächlich aber war es die Arbeit einer Künstlerin, deren Recherche und

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