De'ignis Magazin Nr. 30

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Nr. 30 Dezember 2005


DE´IGNIS im Internet: www.deignis.de LIEBE LESERINNEN

UND

L ESER,

Betätigungen können den Durst möglicherweise überspielen, doch nur Christus stillt ihn.

mit dem Thema „Grundbedürfnisse des Menschen“ ist es wie mit der Entscheidung, wohin gehe ich in Urlaub, was ziehe ich an, oder was gibt es zum Essen.

Wir versuchen in so vielen irdischen Angeboten und Reizen unseren Durst zu stillen, aber es gelingt uns nicht.

Bei der Frage; was sind die Grundbedürfnisse eines jeden Menschen, wird es entsprechend viele Antworten je nach Lebenssituation und Persönlichkeit geben.

Impressum Redaktion: Rainer Oberbillig, Winfried Hahn, Claus J. Hartmann, Dr. med Rolf Senst

editorial von Claus J. Hartman ................................................................. Seite 3

Druck: Gaiser Offsetdruck & Informations GmbH, Im Spagen 5, 73527 Schwäbisch Gmünd

zum thema Sehnsucht nach Spiritualität von Dr. phil. Michael Utsch ....................................................................... Seite 4 „Der Wille zum Sinn“ - Viktor E. Frankl zum 100. Geburtstag (26. März 1905 - 2. September 1997) Begründer der Logotherapie und Existenzanalyse von Dr. med. Hans-Rudolf Pfeifer ..................................................... Seite 10 Religiöses Erleben und Gehirn (Teil 2) von Dr. med. Herbert Scheiblich ..................................................... Seite 15 Ist soziale Gerechtigkeit heute eine Illusion? von Dr. Gerd Flügel ....................................................................... Seite 26 Lebenshunger - Berichte von Menschen, die mit ihrer Essstörung zu kämpfen haben von Anonym (Name der Redaktion bekannt) ........................ Seite 31 Wie Gott unseren Lebensdurst stillt von Dr. Rolf Sons .................................................................. Seite 33

therapiegrundlagen Ist die Gottesbeziehung eine psychologische Bindung? von Dr. phil. Matthias Richard ........................................ Seite 36

DE´IGNIS aktuell Aktuelle News von DE´IGNIS Fachklinik News .................................................... ab Seite 17 Institut News ........................................................ ab Seite 20 Wohnheim - Haus TABOR ........................................ Seite 23

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Grafik, Layout, Satz, Repro: ART DESIGN Dipl.-Ing. Rainer Haas Mönchhaldenstr. 129 70191 Stuttgart Tel. 07 11/48 23 31 Fax 07 11/48 23 61

Herausgeber: DE'IGNIS-Fachklinik gGmbH auf christlicher Basis für • Psychiatrie • Psychotherapie • Psychosomatik Walddorfer Straße 23 72227 Egenhausen Telefon: 0 74 53/ 93 91-0 Telefax: 0 74 53/93 91-93 e-Mail: info@deignis.de Volksbank Nordschwarzwald eG Konto 62 168 002 · BLZ 642 618 53 DE'IGNIS Wohnheim gGmbH - Haus TABOR zur außerklinischen psychiatrischen Betreuung Fred-Hahn-Straße 30 72514 Engelswies Telefon: 0 75 75/9 25 07-0 Telefax: 0 75 75/9 25 07-30 e-Mail: de-ignis-wwv@t-online.de Sparkasse Pfullendorf-Meßkirch Konto 105 338 · BLZ 690 516 20

DE'IGNIS-Institut gGmbH für Psychotherapie und christlichen Glauben Sommerstraße 1 72227 Egenhausen Telefon: 0 74 53/ 93 91-0 Telefax: 0 74 53/93 91-93 Volksbank Nordschwarzwald eG Konto 66 624 002 · BLZ 642 618 53 Christliche Stiftung DE'IGNIS Polen Fred-Hahn-Straße 30 72514 Engelswies Telefon: 0 75 75/9 25 07-0 Telefax: 0 75 75/9 25 07-30 e-Mail: de-ignis-wwv@t-online.de Sparkasse Pforzheim Konto 7 26 05 12 · BLZ 666 500 85 Alle DE'IGNIS-Einrichtungen sind gemeinnützig und arbeiten überkonfessionell. Spendenbescheinigungen werden auf Wunsch gerne ausgestellt.

Es gibt aber dennoch bestimmte Bedürfnisse, Wünsche und Sehnsüchte die wir Menschen gleichermaßen haben. Ist es bei Ihnen nicht auch schon vorgekommen, dass Sie nachts mit einem trockenen Mund aufwachen und einen enormen Durst haben, Sie aufstehen und etwas trinken müssen bevor Sie weiter schlafen können. Jeder von uns kennt körperlichen Durst. Unser Körper besteht schätzungsweise aus achtzig Prozent Flüssigkeit. Wir brauchen nur mit dem Trinken aufzuhören und abzuwarten, was geschieht: Wir können nicht mehr klar denken, wir bekommen Kopfschmerzen und lebenswichtige Organe schrumpfen. Wie ein Reifen Luft braucht, braucht unser Körper Wasser. Gott hat uns mit Durst ausgestattet. Nicht anders ist es mit unserer Seele, sie teilt uns mit, wenn wir uns nicht genügend mit geistlichem Wasser versorgen. Vertrocknete Herzen senden verzweifelte Botschaften aus: Unausgeglichenheit, innere Unruhe, Schuld und Angst. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Gott will, dass wir damit leben! Wir haben das Bedürfnis nach Hoffnung, Schlaf, Gemeinschaft, Ausgeglichenheit und Sicherheit. Ist das bei uns nicht vorhanden, sind das Warnzeichen, Symptome einer inneren Trockenheit. „Am letzten Tag, dem Höhepunkt des Festes, stellte Jesus sich hin und rief der Menge zu: Wenn jemand Durst hat, soll er zu mir kommen und trinken! Wer an mich glaubt, aus dessen Inneren werden Ströme lebendigen Wassers fließen, wie es in der Schrift heißt“. (Johannes 7, 37 - 38)

Claus J. Hartmann Die Menschen hatten Durst. Sie brauchten Wasser, nicht für ihre Kehle, sondern für ihr Herz. Jesus kann für das Herz das tun, was Wasser für Ihren Körper tun kann. Er hält es geschmeidig, bewässert es, erweicht das Krustige und wäscht das Rostige. Johannes erklärt: „Mit dem lebendigen Wasser meint er den Geist, der jedem zuteil werden sollte, der an ihn glaubte“. (Johannes 7, 39) Wie Wasser kommt Jesus nicht, wenn wir ihn nicht aufnehmen. Man kann bis zur Hüfte tief im Wasser stehen und trotzdem verdursten. Solange man das Wasser nicht trinkt, nützt es nichts. Auch Christus nützt uns nichts, wenn wir ihn in uns nicht aufnehmen. So ist es mit jedem unserer Bedürfnisse, wir können sie nur stillen wenn wir auch aktiv sind. Haben Sie Durst? Sehnen Sie sich danach, Ihre Angst, Unsicherheit und Schuld fort zuspülen? Es ist möglich. Achten Sie auf Ihren Durst. Setzen Sie sich nicht über Ihre Einsamkeit hinweg. Streiten Sie Ihren Ärger nicht ab. Ihre Innere Unruhe, Ihre Magenkrämpfe, das Angstgefühl, all das läßt Warnsignale aufleuchten: Wir haben das Bedürfnis nach Wasser! Wir wollen doch unser Herz nicht vertrocknen lassen. Bewässern Sie Ihre Seele, um derer willen, die Ihre Liebe brauchen. Achten Sie auf Ihren Durst. Religion beruhigt, doch sie kann nie Befriedigung schenken. Kirchliche

In dieser Ausgabe möchten wir uns mit verschiedenen Bedürfnissen beschäftigen. Wonach dürstet es uns, wie können wir unseren Sehnsüchten begegnen und wie schaffen wir es regelmäßig unseren Durst zu stillen. Denn nur regelmäßiges trinken, befriedigt unsere Seelen. Ich möchte Ihnen noch vier wesentliche Flüssigkeiten für die Bewässerung der Seele nennen, denen Sie beim lesen der einzelnen Beiträge bestimmt immer wieder begegnen.

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Gottes Werk Gottes Energie Gottes Leitung Gottes Liebe

Nehmen Sie das Werk von Christus am Kreuz, die Energie seines Geistes, seine Leitung in Ihrem Leben, seine unendliche, unerschöpfliche Liebe an. Ich möchte noch auf den Teil „DE´IGNIS Aktuell“ aufmerksam machen, wo von Entwicklungen und Besonderheiten aus den einzelnen DE´IGNIS Einrichtungen berichtet wird. Ich bitte Sie auch herzlichst darum, uns mit Spenden für das Magazin zu unterstützen. Wir bekommen durchweg positive und ermutigende Antworten, dass selbst Menschen durch das lesen des Magazins und der anschließenden praktischen Umsetzung keine Therapie mehr benötigten. Man kann sich jedoch vorstellen, dass bei einer Auflage von inzwischen 16.000 Exemplaren enorme Kosten entstanden sind, obwohl die Autoren immer ehrenamtlich mitarbeiten, bei denen ich mich an dieser Stelle auch ganz herzlich bedanke. Für das Mitttragen unserer Arbeit bedanke ich mich ganz herzlich, und wünsche Ihnen viel Freude und Muse beim Lesen.

Die Herausgeber: Claus J. Hartmann Winfried Hahn

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Sehnsucht nach Spiritualität

VON DR. PHIL. MICHAEL UTSCH

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as Bild von dem ausgezehrten und über alles durstigen Hirschen stammt aus einer fernen Kultur und ist dennoch leicht nachzuempfinden. Wer schon einmal in der Wüste war oder auf einer langen Wanderung ins Schwitzen gekommen ist, kennt das Gefühl, wenn erfrischendes, kühles Wasser die durstige Kehle hinunterrinnt. Schriftsteller und Künstler haben das Bild vom schreienden Hirschen übernommen. Karl Marx benutzte diese Metapher in seiner Kampfschrift „Das Kapital“, um die Geldgier des Bürgertums zu verspotten: „Wie der Hirsch schreit nach dem frischem Wasser, so schreit seine Seele nach dem Geld, dem einzigen Reichtum.“ Und im vergangenen Wahlkampf hat der Vorsitzende der Bundespartei der Grünen ebenfalls dieses eindrückliche Bild verwendet: Wie der Hirsch nach frischem Wasser dürste, schreie unsere Gesellschaft nach Wirtschaftswachstum. Ungestillte Bedürfnisse – gibt es die noch? Der Strom kommt aus der Steckdose, das Wasser aus dem Wasserhahn, per Drehknopf wird die Raumtemperatur reguliert, ein Mausklick, und alle nötigen (und viel zu viele unnötige) Informationen vom gesamten Globus stehen zur Verfügung. Andere hingegen meinen, dass die meisten Menschen so abgelenkt, beschäftigt und übersättigt sind, dass sie ihre wahren Bedürfnisse kaum noch wahrnehmen.

Wie ein Hirsch nach frischem Wasser lechzt, so schreit meine Seele zu dir, mein Gott. Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem wahren, lebendigen Gott. Wann darf ich zu ihm kommen, wann darf ich Gottes Angesicht schauen? Tränen sind meine Nahrung Tag und Nacht, weil man mich ständig fragt: „Wo bleibt er denn, dein Gott?“ Wenn ich an früher denke, geht das Herz mir über: Da zog ich mit der großen Schar zum Hause Gottes, da konnte ich jubeln und danken in der feiernden Menge. Warum bin ich so verstört? Muss ich denn verzweifeln? Auf Gott will ich hoffen! Ich weiß, ich werde ihn noch einmal preisen, ihn, meinen Gott, der mir hilft. (Psalm 42, 2-6)

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Die westlichen Industrienationen haben sich bequem eingerichtet und alles so arrangiert, dass aufkommende Mangelgefühle sofort übertönt und verdrängt werden. Welche lebensnotwendigen Grundbedürfnisse bleiben heute ungestillt? Fast alles ist zu kaufen – und zudem noch auf Kredit! Wer heute noch einen unerfüllten Wunsch hat, so möchte man fast glauben, ist selber schuld – oder sollte schleunigst das Kreditinstitut wechseln! „Ich will alles, und zwar sofort!“ Dieses unverschämte Motto hat die Nachkommen der Wirtschaftswun-

der-Akteure geprägt. Die ausufernde Konsum-Mentalität hat andere Fähigkeiten wie Aufmerksamkeit, Bescheidenheit oder den freiwilligen Verzicht ins Abseits gedrängt. Die zentrale und weiterführende Frage lautet: Kann ich alles, was ich zum Leben benötige, einkaufen? Sind Liebe, Vertrauen, Selbstbewusstsein, Geborgenheit oder Freundschaft käuflich? Eben weil diese Zustände keine Konsumgüter sind und dennoch absolute Mangelware – wo und wie sind sie zu erlernen? Wozu dient dieser quälende Zustand, seinen unerfüllten Wünschen hilflos ausgeliefert zu sein? Kann es vielleicht sogar nützlich und wertvoll sein, wenn Bedürfnisse nicht sofort gestillt werden? Kann bleibende Sehnsucht gar die Weiterentwicklung fördern?

Sehnsucht nach dem größeren Ganzen Eine spirituelle Suche mit neuer Qualität und Intensität geht durch die verweltlichte Kultur. Insbesondere Menschen in Großstädten sind von ihr erfasst. Immer mehr Menschen haben den Irrtum des Konsumdenkens erkannt. Geld macht eben nicht glücklich, und der Spruch „Haste was, dann biste was“ baut nur Scheinpersönlichkeiten auf, die den gegenwärtigen gesellschaftlichen und persönlichen Herausforderungen nicht gewachsen sind. Angesichts vieler

bedrohlicher Unsicherheiten sind heute Wertvorstellungen, eine klare Sinnorientierung und eine erfahrungsgesättigte Spiritualität gefragt. Das erklärt, warum der Dalai Lama, der neue, konservative Papst und asiatische Meditationstechniken so populär sind: Sie bieten ein Weltbild an, das den einzelnen einbettet in ein sinnhaltiges, größeres Ganzes. Hinter der Suche nach tragfähigen Fundamenten für den eigenen Lebensentwurf steckt der Wunsch, die häufig schmerzlich erlebte Deutungsvielfalt („Ja, aber ...“) zugunsten eines einheitlichen, stimmigen Profils aufzugeben. Spiritualität entspringt der Sehnsucht nach Ganzheit und Heil. Der Psalmbeter scheint diesen Spannungszustand zu kennen. Eine drängende Sehnsucht – und keine Erlösung, in diesem Bild das Durst löschende Wasser in Sicht. Das leidenschaftliche Schreien scheint ungehört in der Wüste zu „versanden“. Wer hat heute noch einen Traum, eine Vision, eine Vorstellung davon, was ihn oder sie total erfüllen und glücklich machen würde? Viele Menschen scheinen resigniert und nur noch bemüht, nicht aufzufallen und zu funktionieren. Wer nimmt seine inneren Spannungen wahr, findet sich nicht ab damit setzt sich mit jeder Faser seines Körpers für Verbesserung ein? Die meisten scheinen jedoch satt und

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bequem und haben sich mit den Halbherzigkeiten und Lügen ihres Lebens abgefunden. Der äußerliche Schein wird sorgfältig gewahrt, aber innerlich schreit die zerrissene Seele um Hilfe. Hinter der Angepasstheit und Übersättigung steckt eine tiefe Sehnsucht nach wahrem, unverfälschtem Leben. Es gilt, ungestillte Bedürfnisse wahrzunehmen und auszuhalten. Gott hat den Menschen als Sinnsucher geschaffen und mutet ihm zu, Sehnsucht zu spüren und auszuhalten, auch und gerade wenn diese nicht sofort gestillt wird. Spiritualität könnte damit als Motor für die innere Weiterentwicklung und Antrieb auf dem Weg zur Umgestaltung des inneren Menschen („Heiligung“) angesehen werden. Der Psalmist steht zu seiner Sehnsucht, er schreit sie nach Leibeskräften heraus. Dabei geht es ihm nicht um Besitz, Ansehen oder Reichtum. Er ist von einem anderen, radikalen Wunsch ergriffen – er möchte Gottes Angesicht sehen! Was aus der Sicht des NeuenTestaments vielleicht noch plausibel klingt – der innige und persönliche Kontakt mit Gott – ist für die Zeit des Alten Bundes ungewöhnlich und revolutionär. Damals bestand ein streng geregelter Abstand zwischen dem Allerheiligsten, dem Heiligtum und den gewöhnlichen Gläubigen. Nur über geweihte Mittelsmänner, durch Priester und Hohepriester wurde eine Gottesbeziehung möglich. Die umständliche Beziehung zu Gott war durch klar definierte Opfer und Rituale festgelegt. Und hier ist nun einer, der mit diesem formalen, ritualisierten Glauben nicht mehr zufrieden ist. Die monotonen Gottesdienste, die langweiligen Lesungen, vorgefertigte Gebete und starre, unpersönliche Versammlungen – hier ist einer, der seine Sehnsucht nach Gott und dem innigen Wunsch nach einer persönlichen Gottesbegegnung einfach so herausschreit. Was für eine Anmaßung – und was für ein mutiger Schritt! Auch in der gegenwärtigen Kultur kann man Anzeichen für eine tiefe Gottes-Sehnsucht erkennen – sei es

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in Kinofilmen, dem Meditationsboom oder der Literatur. Neben esoterischen Modetrends und spirituellem Geplapper haben sich immer mehr Menschen auf den Weg gemacht, ernsthaft Gott zu suchen. Dabei ist aber ein klares Unterscheidungsvermögen nötig, weil das Modewort Spiritualität ein Containerbegriff mit vielen Sinngebungen ist – vom euphorischen New Age-Denken bis hin zu christlich-fundamentalistischen Überzeugungen. Beide sind von einem Machbarkeitsdenken geprägt, das in der richtigen Glaubenshaltung den Schlüssel zur grenzenlosen Wunscherfüllung sieht. Begriffsgeschichtlich steht fest, dass der lateinische Begriff „spiritualis“ ursprünglich den vom Geist Gottes erfüllten und geleiteten Menschen meinte. Heute ist der Begriff jedoch weitgehend von der Esoterik vereinnahmt worden. Dabei wird Spiritualität als eine intensive Erfahrung von Verbundenheit mit allem in Gegensatz zur traditionellen Religion gebracht. Oft wird folgende vorschnelle (und unzutreffende!) Unterscheidung gemacht: Religion wird als mittelalterlicher Moralkodex abgewertet und mit weltfremden Normen in Verbindung gebracht. Demgegenüber meine die Spiritualität intensive Erfahrungen eines erweiterten Bewusstseins. Natürlich sind solche Tendenzen in der Kirchengeschichte zu beklagen. Diese These ist aber in ihrer Allgemeingültigkeit schon deshalb nicht haltbar, weil Spiritualität das Herz und die Seele jeder Religion ist – auch der christlichen. Wenige wissen, dass Spiritualität ursprünglich die christliche Lebensgestaltung Kraft des Heiligen Geistes bezeichnete. Es ist traurig, dass dieser zentrale Begriff des christlichen Glaubensvollzugs heute einen massiven Bedeutungswandel erfahren hat. Nicht mehr das Leben aus dem Geist Gottes, sondern esoterische Überzeugungen werden damit in Verbindung gebracht. Eine „spirituelle“ Einstellung, würde sie heute in einer Meinungsumfrage erhoben, enthielte vermutlich deutlich mehr esoterische als christliche Glaubensinhalte.

Die Kappung der biblisch-theologischen Wurzeln hat zu einer dreifachen Verfälschung der Spiritualität geführt:

Sakralisierung der Psyche bzw. der Psychologie: Als ein Gegentrend zur mächtigen Bewegung einer Verweltlichung der Kultur („Säkularisierung“) hat eine nicht zu übersehende Vergötzung der Psychologie („Sakralisierung“) stattgefunden. Das eigene Selbst ist zum Objekt der Verehrung und Anbetung geworden. Das Ausleuchten und ZurSchau-Stellen des eigenen Innenlebens, die intensive Beschäftigung mit Gefühlszuständen, Wünschen, Bedürfnissen und Entwicklungsmöglichkeiten, aber auch seelischen Verwundungen und deren Folgen werden auf dem Psychomarkt mit heiliger Inbrunst betrieben.

Verwechslung von Bewusstseinszustand mit Geisterfüllung: Aus theologischer Sicht gehören veränderte Bewusstseinzustände zum Bereich der Schöpfungsordnung Gottes. Jede außergewöhnliche Wahrnehmung schon als ‚Reden Gottes’ oder ‚übersinnliches Wissen’ zu deuten, verkennt aus biblisch-theologischer Sicht die Unterschiede zwischen dem Reich Gottes und dem menschlichen Bereich. Gottes Wirklichkeit als eine dem Menschen unerreichbare und fremde mag zwar punktuell in ein Menschenleben „einfallen“, entzieht sich aber dem logischen Verständnis und der Kontrolle. Allein Ehrfurcht und Anbetung sind vor dem Geheimnis Gottes angemessen.

Selbstmystik anstelle Christusmystik: Aus biblisch-theologischer Sicht eröffnet sich der menschliche Zugang zum Schöpfergott einzig über Jesus von Nazareth. Mystik meint in der Bibel immer Christusmystik, nicht aber direkte Gottesmystik. Ohne ein Verständnis für Gott als Vater-Sohn-Geist-Einheit gerät die Spiritualität auf den Abweg der Selbstvergottung. Dass der christliche Glaube den Hunger nach Spiritualität stillen kann, erscheint vielen nicht mehr vorstellbar. Aber – wie viele Christen belegen mit ihrer Lebensführung überzeugend, dass Gott ihre tiefe Sehnsucht nach Leben immer wieder stillt? Manche haben sich „Nebenquellen“ erschlossen oder sich abgefunden mit einem langweiligen Christsein voller Kompromisse. Immerhin sind sie keine Heiden mehr und mittlerweile auch ganz versiert in frommen Phrasen und dem christentümlichen Rollenspiel. Wer hat den Mut, sich als Christ mit seiner Unzufriedenheit auseinanderzusetzen und genau hinzuschauen und hinzufühlen, welche Bedürfnisse ungestillt sind? Jesus will die Quelle des Lebens sein und ein Leben im Überfluss bieten – theoretisch ist diese Zusage bekannt. Wer aber setzt diese Zielperspektive vor dem Hintergrund seiner eigenen Lebensgeschichte mit all ihren seelischen Wunden und Verletzungen überzeugend in seinem Alltag um? Leidenschaftlich nach Gott suchen, unruhig und mit aller Kraft eine Gottesbegegnung herbeisehnen – wer kann das denn heute allen Ernstes wollen?! Leidenschaft entsteht nicht durch Pflichterfüllung, sondern durch die Ahnung, dass sich auf dem Weg in diese Richtung eine neue Dimension und Lebensqualität öffnet, auch wenn er steinig und steil ist. Es

macht einen wesentlichen Unterschied, ob man sich Gott aus Verpflichtung nähert oder aus der tiefen Überzeugung, dort Antworten für seine Lebensfragen und Frieden für seine Seele zu erhalten. Von all dieser Skepsis ist bei dem Psalmisten nichts zu spüren. Auch er hat Fragen und Probleme mit Gott. Aber er lässt sich durch nichts abbringen von seinem Ziel, in die Nähe Gottes zu gelangen. Er weiß, wie gefährlich die persönliche Gottesbegegnung ist. Denn vor Gott muss auf alles Rollenspiel verzichtet werden, weil Gott sowieso jeden Menschen durchschaut. Wenn also in der Gegenwart Gottes unausweichlich alle Mängel, Verfehlungen und Schwächen aufdeckt werden – was ist dann das Motiv des Psalmisten, trotzdem an diesem Wunsch festzuhalten? Im Psalmtext sind drei Gründe für die unbeirrbare Sehnsucht nach Gott genannt:

1.

Gott ernährt und befriedet die Seele

Der Psalmist ist von einer tiefen Sehnsucht nach Gott getrieben. Für Außenstehende ist dieser Wunsch nicht nachvollziehbar, im Gegenteil: Sie machen sich darüber lustig. „Wo bleibt er denn, dein Gott?“, fragen sie spöttisch. Über diesen Widerspruch sind schon viele Menschen gestolpert: Warum erscheint Gott, der angeblich ein Interesse an der Gemeinschaft mit seinen Geschöpfen hat, oft so fern, abgewandt und schwer erreichbar? Warum ist von Gottes Stimme nichts zu hören, seine Mimik und Gestik nicht erkennbar, warum wartet und schweigt Gott so oft? Wozu dieses quälende Warten? Gott ist die einzige Quelle des wirklichen Lebens. Die tiefe Sehnsucht nach Leben kann nirgends sonst gestillt werden, bezeugt die Bibel. An

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Suchende mit seiner Herrlichkeit und Macht? Warum mutet Gott den Menschen lange Durststrecken zu und lässt sie so lange im Dunkeln tappen? Weil Gott hartnäckige Dickköpfe verändern möchte.

dieser Wahrheit rüttelt der Psalmist nicht, auch wenn diese Quelle momentan verschlossen ist und er sie nicht anzapfen kann. Wenn Gott nicht sofort sichtbar und spürbar ist, wenn Gebete nicht sofort erhört werden, wenden sich manche enttäuscht ab. Sicher – anderswo wird die menschliche Gier nach Unterhaltung und Zeitvertreib, die Suche nach dem nächsten Kick schnell bedient. Wir sind ja alle so gierig nach Lebendigkeit! Unzählige Menschen haben allerdings ihre Sehnsucht nach Leben längst begraben und begnügen sich mit einer Zuschauerrolle. Sie identifizieren sich mit Filmstars und Sternchen und hängen mit Hoffen und Bangen am Klatsch und Tratsch der Tagespresse. Andere spüren ihre Lebendigkeit am meisten in FantasyRollenspielen oder am Gameboy. Stundenlang verbringen sie in einer Fantasiewelt voller Farben, Gefühle und Aktionen, um dem tristen Einerlei ihres Alltags zu entkommen. Der Psalmist flieht nicht in eine Scheinwelt, sondern hält das Schweigen Gottes aus. Die Gefühle toben, und Gott schweigt. Der Psalmist ruft und brüllt – nichts, nur Stille. Aber das Warten führt zu einer neuen Erkenntnis. Auf einmal beobachtet sich der Psalmist und registriert erstaunt, was er da eigentlich macht. Vielleicht ist manchem dieser Perspektivenwechsel vertraut. Wenn man intensiv emotional reagiert, sich einmal richtig gehen lässt und ganz in seinen Gefühlen aufgeht, erkennt man sich plötzlich nicht mehr wieder. Dieser Tonfall, diese Stimme – ist das nicht ein bisschen übertrieben? Und dann stellt man fest, dass die Gefühle mit einem durchgegangen sind. Man kann sich für einen kleinen Moment neben sich stellen, sich zuschauen und vielleicht sogar ein bisschen über

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sich schmunzeln. „Wer wird denn gleich aus seiner Haut fahren!“ Die Älteren erinnern sich noch an den Werbespot mit dem HB-Männchen .... Ähnlich wird es dem Psalmisten gegangen sein. Wie ein Refrain wiederholt sich in dem Psalm der Vers, wo er sich über seine Gefühle wundert und seiner Seele hoffnungsvoll Mut zuspricht: „Was bist du aufgelöst, meine Seele, und stöhnst in mir? Harre aus, warte auf Gott, denn es kommt die Zeit, da werde ich ihn dafür preisen, dass er mich gerettet hat“. Der Psalmist hält daran fest, dass Gott die Seele ernährt. Auch wenn die Pferde mit ihm durchgegangen sind, merkt er: Ich bin nicht nur Gefühl! Man kann mit seiner Seele sprechen. Was der Psalmist hier beschreibt, haben viele Jahrhunderte später Psychologen als eine hilfreiche Therapiemethode wiederentdeckt und mit einem komplizierten Begriff beschrieben: die De-Identifikation. Man kann lernen, auf Abstand zu sich selber zu gehen, sich zu beobachten und sich nicht gänzlich in seiner Gefühlswelt zu verlieren. Solche Selbstgespräche sind manchmal ganz hilfreich! Wenn man vernünftig überlegt, gibt es stichhaltige Argumente dafür, ruhig zu werden. Was ist ein wesentlicher Grund, nicht hoffnungslos zu werden, auch wenn Gott schweigt?

2.

Erinnerung an Gemeinschaft ermutigt

Der Psalmist ist innerlich aufgewühlt. Er kennt nichts anderes mehr als abgrundtiefe Trauer – Tränen sind seine Nahrung Tag und Nacht. Und jetzt kommen auch noch die klugen Sprüche der Umgebung: „Wo ist denn nun dein Gott?“ Wenn du Christ bist – wo ist denn jetzt in dieser Notlage dein

Allmächtiger? Derart quälende Fragen blieben selbst Jesus nicht erspart: „Wenn Du der Sohn Gottes bist“, so wurde ihm auf Golgatha entgegengehalten, „dann steig doch herab vom Kreuz!“ Wenn du als Christ leidest, krank bist oder Schmerzen leidest – warum hilft dir denn dein Gott nicht! Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten. Gott geht es jedenfalls nicht um Gesundheit und Heilung um jeden Preis. Der Mensch sollte Gott nicht zum Bedürfnisbefriediger und Wunscherfüller erniedrigen. Gott ist der Schöpfer des Universums und frei in allem, was er tut – und unterlässt. Was tut der Psalmist in dieser Situation? Er erinnert sich an die Wohltaten Gottes. Bevor sich Zweifel in ihm ausbreiten, erinnert er sich an die guten Zeiten des Lobpreises und der Gemeinschaft mit anderen Christen, wo Gott gedankt und fröhliche Gottesdienste gefeiert wurden. Jeder hat schon einmal oder auch häufiger Gottes konkretes Eingreifen in die eigene Lebensgeschichte erlebt. Bewahrung, Führung, Befreiung, Erneuerung – warum sind Menschen bloß so vergesslich? Bei Glaubenszweifeln empfiehlt der Psalmist die Kraft der Erinnerung. Das Gedächtnis an Gottes Wunder bewirkt Dankbarkeit. Und dankbare Menschen können froh werden, auch wenn sie sich in einer aktuellen Notlage befinden. Eine reiche, mit Glaubenserfahrungen erfüllte Vergangenheit erhellt eine verdunkelte Gegenwart. Und sie vermittelt Hoffnung und Zuversicht, dass Gott treu ist und auch Menschen aus dem dunkeln Tal der Gottesferne hinausführen wird. Warum ist manchmal ein solch dunkles Tal nötig? Warum reißt Gott nicht den Himmel auf und überwältigt

3.

Das Warten auf Gott verändert

Wer im Dunkeln alleine auf Gott wartet, ist seinen ungestillten Sehnsüchten radikal ausgeliefert. Vielleicht ist genau das die Absicht Gottes, denn erst die ernsthafte Auseinandersetzung führt zu einer nachhaltigen Veränderung. Tiefe Sehnsüchte und quälende Bedürfnisse werden nur dann umgewandelt, wenn man sich ihnen stellt. Das bedeutet, Mangelerfahrungen auszuhalten und vor den damit verbundenen Schmerzen nicht wegzulaufen. Durch den Schmerz hindurch kann man auf dem Grund der eigenen Verletzlichkeit und Wunden Gott begegnen. Dazu gehört es, sich der eigenen Wunde stellen und sie wertschätzen zu lernen (!) als den Bereich, wo Gott Denken und Erleben verändern will. Erst wenn vor Gott Schmerzen und die Sehnsucht konkret ausgedrückt werden, bekommt man die nötige Distanz zu seinen Gefühlen – sie können heilen und sich wandeln. Das Warten auf Gott verändert. Allerdings benötigt man dafür Geduld und muss bereit sein, bisherige Täuschungen als Irrtümer zu entlarven. Immer wieder enttäuscht das Leben. Menschen sind enttäuscht über sich selber, über ihr Versagen und Scheitern. Manche haben darüber resigniert. Sie finden sich halt ab mit dem Leben, so wie es ist. Aber in ihrem Herzen stirbt jede Lebendigkeit ab. Alle Hoffnung ist aufgegeben, die Träume vom Leben werden begraben. Dabei könnte die Enttäuschung zu einem Schatz führen. Vielleicht will sie von den Illusionen befreien, die man sich über die eigene Person und die Zukunft gemacht hat. Vielleicht wurde vieles mit einer rosaroten Brille angeschaut, und jetzt reißt die Enttäuschung die Brille vom Gesicht und zeigt die unschönen Facetten der eigenen Person. Die Enttäuschung ent-

larvt die Täuschung, der man bisher verfallen war, und hebt sie auf. Deutlich weist auf ein falsches Selbstbild hin – die wichtigste Voraussetzung, um es zu korrigieren. So ist die Enttäuschung die Chance, das wahre Selbst zu entdecken, das Bild, das Gott sich von einem Menschen gemacht hat. Ein Sachverhalt der Natur verdeutlicht diesen Zusammenhang auf erstaunliche Weise: Verwundete Austern lassen aus ihren Wunden eine Perle entstehen. Den Schmerz, der sie zerreißt, verwandeln sie in ein Juwel. In seelischen Wunden, in ungestillten Sehnsüchten und enttäuschten Erwartungen wachsen „Perlen“. Sie können aber nur entstehen, wenn die Dunkelheit ausgehalten wird und man sich mit seinen Wunden aussöhnt. Natürlich tut es weh, mit einer Wunde und unstillbarer Sehnsucht in Berührung zu sein. Ohnmacht breitet sich bei dem Bemühen aus, sie loszuwerden. Die Wunde wird zu einem bleibenden Begleiter, selbst wenn sie vernarbt ist. Aber wenn man seine Wunde annimmt, dann kann sie sich zu einer Quelle von Leben und Liebe verwandeln. Das Warten auf Gott verändert. Der Weg zu Gott führt immer über die Erfahrung der eigenen Ohnmacht, schreibt Anselm Grün (Spiritualität von unten, S. 83). Dort, wo ich nichts mehr kann, wo mir alles aus der Hand genommen wird, wo ich nur noch mein Scheitern feststellen muss, gerade dort ist auch der Ort, an dem mir nichts mehr anders übrig bleibt, mich Gott zu ergeben, meine Hände zu öffnen und Gott die leeren Hände hinzuhalten. Eine Gottesbegegnung, nach der sich der Psalmist so heftig sehnt, ist nie eine Belohnung unserer eigenen Mühe, sondern die Antwort auf die eigene Ohnmacht. Erst wenn ich mit meinem Latein am Ende bin und meine Hilflosigkeit zugebe, werde ich offen für Gottes Reden und Handeln. Sehnsucht hat nichts mit äußerlichem Sehen zu tun, wohl aber mit innerer Wahrnehmung. Die Augen sind trügerisch, denn der äußere Anschein täuscht und verwirrt. Gott möchte

Menschen in die Stille führen, die oft der Wüste ähnelt. Die Wüste schärft die Wahrnehmung. Keine Leuchtreklame, keine musikalische Dauerberieselung, auch kein überdimensionaler Plasmabildschirm mit nervösen Videoclips. Nur Stille und Einsamkeit, wo man alleine seinen Bedürfnissen ausgesetzt ist. Dort geht es nicht darum, sich in Selbstmitleid zu baden oder selbstquälerisch alte Wunden aufzureißen. Sondern um ein aufrichtiges Wahrnehmen gegenwärtiger Anspannung, der Bedürfnisse, Schmerzen und Wünsche, aber auch eine Ahnung von tiefem Frieden und der großen Ruhe Gottes. In dem Sich-Öffnen für die Gegenwart Gottes findet die Seele Ruhe und ihre Mitte. Wird der Gottessehnsucht nachgegangen, wird sich ein persönlicher Glaubens- und Frömmigkeitsstil herausbilden, durch den die Seele sich ernährt. Die Beziehung zur Quelle muss offen gehalten werden, damit der Glaube lebendig bleibt und sich das Wesen Gottes immer deutlicher in einem Menschen abbilden kann.

Dr. phil. Michael Utsch

Studium der ev. Theologie, Dipl.- Psychologe, approbierter Psychotherapeut, arbeitet nach klinischer Tätigkeit zum Themenfeld Religionspsychologie bei der Ev. Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin. Aktuelle Veröffentlichung: Religiöse Fragen in der Psychotherapie (Kohlhammer 2005)

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„Der Wille zum Sinn“ Viktor E. Frankl zum 100. Geburtstag (26. März 1905 - 2. September 1997) Begründer der Logotherapie und Existenzanalyse

Biographie Am 26. März 1905 wurde Viktor Emil Frankl in Wien geboren. Seine Kindheit erlebte er als glücklich. Die Sinnfrage beschäftigte ihn schon früh. Als ein Lehrer in der Schule dozierte, das Leben sei „nichts als ein Oxydationsprozess“, also ein Verbrennungsvorgang, sprang Frankl spontan auf und hielt ihm entgegen: „Wenn dem so ist – was für einen Sinn hat denn dann das ganze Leben?“ Der Lehrer blieb ihm die Antwort schuldig. Ein anderes Ereignis, das ihn sehr traf, war der Suizid eines Mitschülers, der mit einem Buch von Nietzsche in der Hand aufgefunden wurde. Frankl erkannte den existentiellen Zusammenhang von Weltanschauung und Lebensgestaltung. Lebenslang

Erst später begegnete er ihm auch. Er achtete ihn stets, wenngleich er ihn auch deutlich kritisierte. Kaum 20-jährig konnte er je einen Artikel veröffentlichen in der Internationalen Zeitschrift für Psychoanalyse und in der Internationalen Zeitschrift für Individualpsychologie. Er schloss sich Alfred Adler an, 1927 kam es aber bereits wegen unterschiedlicher Sichtweisen zum Bruch. Frankl ging seinen Weg. Ab 1928 bemühte er sich als Leiter von Jugendberatungsstellen um Suizidprävention bei Schülern. 1930 schloss er das Medizinstudium ab und arbeitete anschließend in psychiatrischen und neurologischen Kliniken. 1937 eröffnete er eine eigene Praxis für Neurologie und Psychiatrie.

erhielt er das Angebot, nach Amerika auszureisen. Eine seiner schwersten Entscheidungen stand vor ihm: Würde er ausreisen, so würden die Eltern den Deportationsschutz verlieren, den er mit allen Familienmitgliedern als Leiter des Rothschild-Spitals genoss. Andererseits könnte er in Amerika seine logotherapeutischen Theorien weiterentwickeln und verbreiten. Ringend hoffte er um einen „Wink vom Himmel“. An diesem Tag brachte sein Vater einen Marmorstein mit einem goldenen hebräischen Buchstaben nach Hause, den er im Trümmerhaufen der zerstörten Synagoge gefunden hatte. Es stellte sich heraus, dass die Inschrift aus dem 4. Gebot stammte: „Ehre Vater und Mutter, auf dass Du bleibest in dem Lande, das ich Dir geben werde.“ Schlagartig war

1940 wurde ihm die Leitung der Neurologischen Station am RothschildSpital übertragen, wo nur jüdische Patienten behandelt wurden. Unter eigener Lebensgefahr bewahrte er durch gezielte Maßnahmen (u. a. durch gefälschte Gutachten) jüdische Patienten vor der nationalsozialistischen „Euthanasie von Geisteskranken“.1941

Frankl klar, dass sein Weg und Auftrag war, in Wien und bei seinen Eltern zu bleiben. Er ließ das USA-Visum verfallen mit allen Konsequenzen. 1942 wurde das Rothschild-Spital geschlossen, Frankl und seine ganze Familie wurden ins Konzentrationslager deportiert. Er durchlief vier Lager inkl. Auschwitz. Diese Erfahrung

VON DR. MED. HANS RUDOLF PFEIFER

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or hundert Jahren wurde Viktor E. Frankl geboren. Er ist der Begründer der „Logotherapie und Existenzanalyse“, die dritte Wiener Richtung der Psychotherapie nach der Psychoanalyse und Individualpsychologie. Bereits zu Lebzeiten war er eine historische Persönlichkeit, die noch persönlich Umgang mit

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S. Freud und A. Adler hatte, wie auch mit G. Allport, L. Binswanger, M. Buber, R. Cohn, J. Eccles, M. Heidegger, K. Jasper s, F. Künkel, A. Maslow, I. Moreno, F. Pearls, K. Rahner, C. Rogers, P. Watzlawick, u.v.a. – bedeutende Namen aus der Psychotherapie, Philosophie und Psychologie. Mit seinen weltumspannenden Kontakten

war Frankl ein Botschafter der Psychotherapie, der an über 200 Universitäten Vorlesungen gehalten hatte sowie unzählige Vorträge vor Laienpublikum, mit denen er zuweilen sogar Fußballstadien füllen konnte. Im Zentrum seiner Sichtweise und seines therapeutischen Wirkens stand der Mensch mit der Frage nach Sinn.

kämpfte er deshalb auch gegen Reduktionismus und Nihilismus. Schon als Mittelschüler besuchte er nebenbei Kurse über angewandte Psychologie und hielt einen öffentlichen Vortrag über den Sinn des Lebens. Mit 15 Jahren begann er mit Freud zu korrespondieren, wobei jeder Brief von Freud prompt beantwortet wurde.

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wurde für ihn zum unbeabsichtigten „experimentum crucis“ („Schlüsselexperiment“) seiner Logotherapie. Er erfuhr dabei, dass Sinn im Leben nicht nur „lebenswichtig“ ist, sondern in dieser extremen Situation sogar „überlebenswichtig“ war, wie er später zu sagen beliebte. Er war Häftling Nr.119 104. Er nahm keine Sonderposition in den Lagern ein. Die meiste Zeit war er als Erdarbeiter und Streckenbauer im Bahnbau beschäftigt, erst die letzten Wochen konnte er als Arzt tätig sein. Eindrücklich schilderte er, wie er eines morgens zur Arbeit aus dem Lager herausmarschierte und den Hunger, die Kälte und die Schmerzen seiner geschwollenen, halberfrorenen und eiternden Füsse in offenen Schuhen kaum mehr ertragen konnte. Da stellte er sich vor, an einem Rednerpult in einem warmen, hellen Vortragssaal zu stehen und vor interessierten Zuhörern einen Vortrag über die „Psychologie des Konzentrationslagers“ zu halten. Dies half ihm in der Situation, Distanz zu seinem Schmerz und neue Zuversicht in seinem Leid zu finden. Frankl stellte fest, dass auch in der scheinbar absoluten Zwangslage eines KZ ein Rest von geistiger Freiheit, von freier Einstellung des Ich zu den Gegebenheiten der Umwelt fortbesteht. Man könne dem Menschen im KZ alles nehmen, nur nicht die letzte menschliche Freiheit, sich zu den gegebenen Verhältnissen „so oder so“ zu verhalten. Diese geistige Freiheit gibt bis zum letzten Atemzug die Gelegenheit, sein Leben sinnvoll zu gestalten. Frankl sollte aber auch die äußere Freiheit wiederfinden. Nach der Entlassung aus dem KZ 1945 erfuhr Frankl die erschütternden Nachrichten vom Tod seiner erst 25-jährigen Frau Tilly, seines Vaters, seiner Mutter und seines Bruders. Einzig die Schwester, welche nach Australien emigriert war, hatte überlebt. Er fand jedoch wenig später die Kraft, in nur 9 Tagen den bewegenden Bericht zu schreiben: „Trotzdem Ja zum Leben sagen; ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager“. Dieses „Trotzdem Ja zum Leben sagen“ ist das, was er mit

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„Trotzmacht des Geistes“ meint. Das Buch fand große Beachtung und wurde millionenfach gekauft. Als nächstes machte sich Frankl daran, das Werk „Ärztliche Seelsorge“ zu verfassen. Sein bereits fertiges Manuskript war im KZ zerstört worden. Noch im Lager hatte er mittels eines Bleistiftstummels und auf SS-Formularen mit der Rekonstruktion begonnen. 1946 konnte er schließlich die neue Fassung veröffentlichen. Sie wurde ihm als Habilitationsschrift anerkannt. Bezüglich der Aufarbeitung der schrecklichen Ereignisse im 2. Weltkrieg und insbesondere der Judenvernichtungen wehrte er sich stets gegen eine „Kollektivschuld“. Es gab für ihn ein „Auch-anders-können“ und nicht nur das angebliche „Somüssen“ der Einzelnen. Es gab für ihn „solche und andere“ Wärter und „solche und andere“ Häftlinge. Zentrale Frage war für ihn also: Wie hat sich der Einzelne angesichts der vielleicht noch so engen Rahmenbedingungen innerhalb seines verbleibenden Freiraums verantwortlich verhalten? Seine Position brachte ihm vorübergehend nicht wenig Kritik ein, insbesondere von jüdischer Seite. Rückblickend auf die Leidenszeit im Nationalsozialismus sollte er bei einer Gedenkfeier 1988 als Betroffener sagen: „Bitte erwarten Sie von mir kein Wort des Hasses ...“

kommen ist nicht, wo nichts mehr hinzugefügt werden kann, sondern wo nichts mehr weggelassen werden kann. Von der persönlichen Seite ist zu ergänzen, dass Frankl bis ins hohe Alter begeisterter Bergsteiger blieb, dass er Fliegen lernte, eine karikaturistische Begabung hatte und ihn insbesondere auch ein Sinn für Witz und Humor auszeichnete.

Die Nachkriegsjahre waren äußerst fruchtbar. Er heiratete ein zweites Mal, nämlich Eleonore Katharina Schwindt. Sie gebar die einzige Tochter Gabriele, heute Vessely, welche ihrerseits zwei Kinder hat. Frankl wurde Professor für Psychiatrie und Neurologie und leitete während 25 Jahren die neurologische Poliklinik in Wien. Frankl verfasste 28 Bücher, die in über 20 Sprachen erschienen sind. Zahlreiche Ehrendoktorate und weitere Ehrungen wurden ihm verliehen. Er hat an rund 200 Universitäten in 40 Ländern in allen Kontinenten Vorträge gehalten. Seine Vorträge hielt er immer frei und ohne Manuskript. An seinen schriftlichen Veröffentlichungen hingegen feilte er jeweils so lange, bis er zu kristallklaren Formulierungen fand, mit dem perfektionistischen Anspruch: Voll-

Anerkennung fand Frankl zunächst viel mehr im Ausland als in seiner Heimat. Insbesondere in den späten 80er und 90er Jahren entstanden aber viele Institute und Ausbildungslehrgänge in verschiedensten Ländern. Der letzte öffentliche Auftritt war ein Interview am ersten Weltkongress für Psychotherapie in Wien 1996. Frankl vermochte es noch in diesem Alter, Funken seiner rhetorischen Begabung sprühen zu lassen und wurde mit einer Standing Ovation geehrt.

Im Hinblick auf das Erreichte und Gewordene war er von einem gewissen Stolz und von Selbstgefälligkeit nicht ganz freizusprechen, was er jedoch gleichzeitig mit einer Portion Selbstironie verband. Aber die eigene Bilanz seines Lebens ist bemerkenswert: „Wenn jemand im Jahr 1944 auf der Bahnhofsrampe von Auschwitz gestanden hat und überlebt hat, so muss er sich jeden Tag auf’s Neue fragen, ob er sich dieser Gnade auch würdig erwiesen hat. Vieles würde ich anders machen, die Frage ist nur, ob ich es auch anders machen könnte.“ Er glaubte von sich nicht, dass er jemals ein großer Denker war, eher sah er sich als ein „konsequenter Zu-Ende-Denker“. In jedem Fall hat er seine Logotherapie, seine Lehre gegen die Sinnleere, nicht nur gelehrt, sondern gelebt. Seinen Sinn im Leben sah er darin, „andern zu helfen, in ihrem Leben einen Sinn zu sehen“.

Frankl starb am 2. September 1997 infolge eines Herzleidens während einer Herzoperation. Er wurde im Wiener Zentralfriedhof begraben. Sein Tod löste nochmals ein riesiges Presseecho aus, welches die Bedeutung dieses Mannes widerspiegelt.

Person und Sinnfrage im Zentrum Als Mensch und als Arzt, als Psychotherapeut und als Wissenschaftler war Frankl zeitlebens Anwalt des Humanen – dieses „Menschlichsten im Menschen“ oder des „Geistigen“ im Menschen, wie er es nannte. In Form der Logotherapie und Existenzanalyse gab er diesem Anliegen eine wissenschaftliche Ausformulierung und machte es für die Psychotherapie, Beratung, Begleitung und Krisenintervention fruchtbar. Die geistige Dimension war für Frankl ganz eng mit dem Verständnis von „Person“ und Existenz verknüpft. Anthropologisch tief reflektiert und breit fundiert ist aus seiner Sicht die Person einmalig und einzigartig. Der Person kommt unbedingte Würde zu, jenseits allen Nützlichkeitsdenkens, daraus folgt eine unbedingte Ehrfurcht bzw. Wertschätzung. Die Person kann als jene geistige Kraft verstanden werden, die den Menschen sowohl von der Welt abgrenzt zum Sich-selber-Sein als ihn auch auf die Welt hin zum Über-Sich-Hinaus-Sein öffnet. Auf diese Weise ist der Person ein grundsätzliches Vermögen zum Dialog als zentrales Charakteristikum eigen. Interessanterweise weist er in seinen „10Thesen zur Person“ ausdrücklich auf Paul Tournier und dessen Médecine de la Personne. In der Psychotherapie gehe es nicht nur um den Willen zur Lust und den Willen zur Macht, sondern um den Willen zum Sinn. Es gehe nicht nur um einen Kampf ums Dasein oder um gegenseitige Hilfe, sonder auch um das Ringen um den Sinn des Daseins – und gegenseitigen Beistand in diesem Ringen. „Wesentlich solcher Beistand ist nun das, was wir Psychotherapie nennen: Sie ist wesentlich Médecine de la Personne (Paul Tournier).“ (Zitat von Frankl aus einem Referat 1950, später publiziert im Buch „Der Wille zum Sinn“).

Die Person ist zudem „das Freie im Menschen“, die ihn befähigt zu wählen und zu entscheiden. Sein „psychotherapeutisches Credo“ definiert den Frankl auch so: „Den Glauben an die Fähigkeit des Geistes im Menschen unter allen Bedingungen und Umständen abzurücken vom und sich in fruchtbare Distanz zu stellen zum Psychophysikum an ihm.“ Die Person ist somit nicht triebdeterminiert, sondern sinnorientiert, nicht bloß luststrebig, sondern wertstrebig, nicht bloß bewusst, sondern auch

unbewusst. Sie ist letztlich unzerstörbar. Frankl glaubte an das Fortbestehen der geistigen Person auch hinter vordergründiger körperlicher Behinderung oder auch hinter einer Symptomatik psychotischer Erkrankung. Person sein ist sehr konkret (ein „concretissimum“), bleibt aber auch stets Geheimnis, das sich nur teilweise offenbart. Frankl setzte sich zeitlebens und mit Vehemenz gegen alle Formen von Reduktionismus ein, der Mensch sei immer mehr als das was von ihm sichtbar, fassbar, messbar ist, mehr als man ihm potentiell zutraut.

Frankls Anthropologie zeichnet den Menschen als durchdrungen von einem Streben nach Sinn („Wille zum Sinn“), worin er seine wesensgemäße Erfüllung findet. Befähigt dazu wird der Mensch durch die beiden geistigen Grundfähigkeiten der SelbstDistanzierung (zu sich und zu seinen hemmenden Gefühlen auf Distanz gehen und dadurch anders mit sich umgehen können) und der SelbstTranszendenz (sich auf andere und anderes einlassen können, sich hingeben können für jemand oder etwas anderes). Selbstverwirklichung geschehe paradoxerweise erst in der Hingabe und nicht in einer egozentrierten Nabelschau. Der Mensch ist geprägt von Freiheit, welche aber stets mit Verantwortung gepaart ist. Jede Situation birgt neuen Sinn. Sinn kann nicht verschrieben, aber immer wieder neu entdeckt werden. Sinn ist „die beste Möglichkeit zwischen den Zeilen der Wirklichkeit“. Die Sinnverwirklichung kann auf drei Hauptwegen geschehen: über schöpferische Werte (Neues Schaffen), über Erlebniswerte (Genießen) und über Einstellungswerte zu Dingen, die nicht veränderbar erscheinen. Es geht um die Leistungsfähigkeit, Liebesfähigkeit und Leidensfähigkeit des Menschen. Die Trias von Leid, Schuld und Tod führt den Menschen denn auch an die existentiellen Grenzen, wo Frankl auf die priesterliche Seelsorge weiter verweist.

Psychotherapie und Seelsorge Frankl beschrieb das Verhältnis von Psychotherapie und Seelsorge folgendermaßen: Das primäre „Ziel der Psychotherapie ist seelische Heilung – das Ziel der Religion jedoch ist das Seelenheil“. Sekundär könne aber die Psychotherapie für Religiosität offen machen und vice versa könne Religion zur seelischen Heilung beitragen. Wir können „in vereinzelten, beglückenden, begnadeten Fällen sehen, wie

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der Patient im Laufe der Psychotherapie zurückfindet zu längst verschüttet gewesenen Quellen einer ursprünglichen, unbewussten, verdrängten Gläubigkeit“. Er unterschied ärztliche und priesterliche Seelsorge. Ärztliche Seelsorge sei „selbstverständlich kein Ersatz der eigentlichen und die ist und bleibt die priesterliche Seelsorge“. Die Ranghöhe seelischer Gesundheit sei eine andere als die des Seelenheils. „Die Dimension, in die der religiöse Mensch vorstößt, ist also eine höhere, will heißen umfassendere als die Dimension, in der sich so etwas wie Psychotherapie abspielt. Der Durchbruch in die höhere Dimension geschieht aber nicht im Wissen, sondern im Glauben.“ Bei aller Kompatibilität darf aber die Existenzanalyse und Logotherapie nicht als religiöse oder gar christliche Therapierichtung bezeichnet bzw. vereinnahmt werden. Für Frankl muss sich die Psychotherapie „diesseits des Offenbarungsglaubens“ bewegen und sich mit der Sinnfrage diesseits eines theistischen und atheistischen Weltbildes bewegen. Frankl selbst zeigte große Scheu über seine eigene Religiosität zu sprechen. Er machte dafür sein religiöses Schamgefühl, das ihn hinderte, die religiöse Intimität preiszugeben. Beten als Vollzug der Religiosität war für ihn ebenso intim wie Lieben und Sterben. Glaube lebt im Verständnis Frankls aus seiner unmittelbaren Beziehung zu Gott. So wie man eigentlich über eine Person nicht sprechen könne, sondern nur zu ihr, so könne man umso mehr nicht über die „absolute Person“ sprechen sondern nur zu ihr – und zu Gott kann man eigentlich nur beten. Für Frankl ist Gott keine Vaterprojektion sondern das „Urbild aller Vaterhaftigkeit“. Die Erfahrung einer Geborgenheit und Verankerung in der Transzendenz erachtet Frankl als wahres Privileg. Auch die Frage nach Sinn verweist über das „Sinn-Organ Gewissen“ auf eine Verantwortung vor einer anderen Instanz, ja vor einer letzten Instanz. Frankl unterschied den Sinn im Leben (Was ist jetzt dran? Was ist für mich dran?) vom Sinn des Lebens. Den Sinn des Ganzen, den „Über-Sinn“ sieht er an eine

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„Über-Person“ geknüpft. Aber „je umfassender der Sinn ist, desto weniger fassbar ist er“. Gott selbst ist für Frankl nur in einer Paradoxie beschreibbar, nämlich in „der gleichzeitigen Transzendenz und absoluten Intimität Gottes, seiner gleichzeitig unendlichen Ferne und unendlichen Nähe.“ Den Grenzbereich von Psychotherapie und Seelsorge nannte er vorerst noch ein „Niemandsland, aber welch ein Land der Verheißung“.

Weiterentwicklung und Perspektiven Frankl sah die Logotherapie nie als „Ersatz der herkömmlichen Psychotherapie“ an, sondern also die theoretische Verlängerung in den spezifisch geistigen Bereich hinein. Carl Rogers bezeichnete Frankls Gedanken einmal als „outstanding contributions to psychological thought in the last fifty years.” In den letzten 10 - 20 Jahren hat die Existenzanalyse und Logotherapie eine erfreuliche Anerkennung und Ausweitung erfahren. Frankl plädierte stets für eine doppelte Offenheit, hin zur eigenen Weiterentwicklung und hin zu anderen Schulrichtungen. Schülerinnen wie Elisabeth Lukas machten in ihren Büchern die Logotherapie leichter verständlich und breiter zugänglich. Andererseits entwickelte Alfried Längle (Gesellschaft für Logotherapie und Existenzanalyse GLE) den Ansatz Frankls weiter unter der Bezeichnung „Personale Existenzanalyse“, indem er u. a. die Bedeutung der Biographie, der Selbsterfahrung und der Emotionalität sowie der Integration wertvoller Erkenntnisse anderer Schulen mehr gewichtete. Frankl mochte 1991 diesen Schritt nicht mehr mitvollziehen, ohne sich jedoch wirklich auf eine inhaltliche Auseinandersetzung einzulassen, und legte die Ehrenpräsidentschaft der GLE nieder. So entwickelte sich mit Längle und anderen ein starker eigener existenzanalytischer Zweig. Weltweit, aber gerade auch im deutschsprachigen Raum, haben sich zahlreiche Institute und Ausbildungsangebote entwickelt, die von der großen Resonanz und Relevanz für dieses Menschen- und Therapieverständnis zeugen.

Bibliographie V.E. Frankl Hauptwerke: Frankl V. (1987) Ärztliche Seelsorge. Grundlagen der Logotherapie und Existenzanalyse. Fischer TB, Frankfurt. Frankl V. (1990) Der leidende Mensch. Anthropologische Grundlagen der Psychotherapie. Piper TB, München (Neuausg.). Frankl V. (1985) Der Mensch vor der Frage nach dem Sinn. Ein Lesebuch. Piper TB, München. Frankl V. (1986) Die Psychotherapie in der Praxis. Piper TB, München. Frankl V. (1992) Die Sinnfrage in der Psychotherapie. Piper TB, München. Frankl V. (1994) Der unbewusste Gott. Psychotherapie und Religion. Kösel München. Frankl V. (1994) Logotherapie und Existenzanalyse. Texte aus sechs Jahrzehnten. Quintessenz, Berlin. Frankl V. (1994) Der Wille zum Sinn. Ausgewählte Vorträge. Huber Bern. Frankl V. (1985) Psychotherapy and Existentialism. Selected Papers on Logotherapy. Washington Square Press, New York. Weitere verwendete Literatur: Frankl V. (1995) Was nicht in meinen Büchern steht. Lebenserinnerungen. München: Quintessenz Frankl V. (1981) Autobiographische Skizze. In: Die Sinnfrage in der Psychotherapie. München: Piper, 143-172 Längle A. (1998) Viktor Frankl. Ein Porträt. München: Piper Lukas E. (1986) Von der Trotzmacht des Geistes. Freiburg: Herder

Dr. med. Hans-Rudolf Pfeifer

Religiöses Erleben und Gehirn (Teil 2) VON DR. MED. HERBERT SCHEIBLICH Die im letzten Artikel dargestellten Hirnstrukturen arbeiten aus wissenschaftlicher Sicht in einem noch nicht verstandenen Maß zusammen, die Welt und ihr Erleben zu erklären. Sie bilden „innere Landkarten“: Mit Hilfe von Parabeln (Erklären von Widersprüchen in der Realität) werden Mythen aufgebaut, die uns sagen, was es heißt, Mensch zu sein. In den Mythen liegen daher tiefe allgemeingültige, für alle Menschen bedeutsame Themen und Symbole vor, die dann in der weiteren Kulturgeschichte zu >dem religiösen Erleben als solches< führten.

Jahrgang 1956, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie ist psychiatrischer Chefarzt am Bezirksspital Affoltern a. A., Schweiz, Zusatzausbildung in Existenzanalyse und Logotherapie. Dissertation über V. E. Frankl und Paul Tournier. Er ist Präsident des Vereins christlicher Fachleute im Rehabilitationsund Drogenbereich (VCRD) und Vizepräsident der AGEAS (Arbeitsgemeinschaft evangelischer Ärzte der Schweiz).

So erklärt sich auch ein grundlegendes Verhältnis von Wissenschaft zu der Bibel: Die Wissenschaft versucht, die Welt anhand von Modellen – quasi eine „Landkarte“ – zu erklären und daraus vorhersagbare Möglichkeiten zur Beeinflussung menschlichen Handelns abzuleiten. Die Wissenschaftler haben dabei nicht im Sinn, Gott zu erklären oder überflüssig zu machen. Sie folgen schlicht dem Auftrag, den Gott Adam und Eva gab, die Welt sich untertan zu machen, sie zu beherrschen, sich zu vermehren, was

ja der Mensch bekanntlich im überreichen Maße tut: Die Welt durch die Wissenschaft beherrschbar zu machen, sie sich untertan zu machen und sich zu vermehren, nimmt ein Ausmaß an, dass vielleicht eine KlimaKatastrophe entsteht, dass die Ökosphäre so belastet wird, dass sie die Menschen nicht mehr ernähren kann. Die Bibel dagegen ist ein Buch der Weisheit, was es nicht darauf anlegt, uns die Welt und uns zu erklären, sondern

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uns mit Gott als dem Unfassbaren bekannt zu machen in einem Maße, dass wir es fassen können und

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uns Verhaltensrichtlinien vorschlägt, deren Ergebnis immer zu unserem Wohl ist, sodass das Handeln nach biblischen Verhaltensrichtlinien immer zum Besten des Menschen ist.

und schon C. G. Jung erforschte in einer immensen Fleißarbeit diese sogenannten >Archetypen< der Menschheit. Mythen sind immer nach dem selben Muster gebildet. Sie werfen eine kritische existenzielle Frage auf, stellen diese in Form unvereinbarer Gegensätze dar und bieten eine Lösung an, die uns die Ängste nimmt, sodass wir „glücklicher“ auf Erden leben können, d. h. anders ausgedrückt: Wer eine Religion hat, dessen Chance, glücklicher und zufrieden zu leben, ist höher. Diese Erklärung zur Entwicklung der Religionen ist durch Gedanken der Evolutionstheorie bedingt und begründet die vergleichende Religionsforschung. Der „Mythos der Sintflut“ ist in ähnlicher Form in vielen religiösen Überlieferungen, Geschichten und Religionen vorhanden. Er verleitet zur Annahme, ihm lägen keine historischen Fakten zugrunde, sondern Erfahrungen der Menschen, die verallgemeinert worden seien und zum psychischen Erbe der Menschheit in Form der Archetypen wurden, wie etwa C. G. Jung meinte. Nun, die Bibel ist kein Märchenbuch und bis zum heutigen Tage erweist sich zunehmend ihre historische Authentizität: Es werden z. B. Völker in der Bibel genannt, die bisher die Archäologie nicht entdeckte und man nun aufgrund biblischer Hinweise z. B. die Urgeschichte neu schreiben muss, wie man am Beispiel der Hethiter merkt. Eine gegenteilige Erklärung von Mythen ist erkenntnistheoretisch genauso legitim: Die Mythen entstanden aus dem historischen Handeln Gottes und sind ein gemeinsames Erfahrungsgut der Menschen.

Dieser grundlegende Unterschied beruht auf der

Soweit die Übereinstimmung mit C. G. Jung. Die wachsende Distanz des Menschen zu Gott nach dem Sündenfall und der größer werdende zeitliche Abstand zu den historischen Ereignissen ließen aber andere Deutungsmöglichkeiten, wie oben beschrieben, zu.

vordinglichsten Frage des Menschen: Wie kann ich in dieser rätselhaft ungewissen Welt leben, ohne Angst zu haben? Mythen geben eine Antwort auf diese Frage

Diese ‚schwere Kost’ ist nun im Alltag jedes einzelnen Christen anzuwenden. Jeder Mensch macht seine privaten religiösen Erfahrungen; da-

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mit diese persönliche religiöse Erfahrung kommunizierbar wird und jederzeit erlebbar ist, muss sie gemäß der im ersten Teil des Artikels beschriebenen Struktur des menschlichen Körpers in Form von motorischen Erfahrungen, persönlichem Denken und sozialem Verhalten in unserer Persönlichkeit verankert werden: d. h. ohne diese drei Elemente - Körper, Denken, soziale Einbettung - entwickelt sich die private religiöse Erfahrung zu einer deformierten Form der Religion bis zum Wahn hin. Dieser Verankerungsprozess, wie oben beschrieben, geschieht durch Rituale. Das Ritual ist die konkreteste Manifestation vom Sinn eines Mythos: der Begriff der >Transzendenz< z. B. bedeutet zugleich „den Abstand von sich selbst zu sich selbst und die Verschmelzung mit einer höheren Realität, >Gott<. Dieser Vorgang der Verschmelzung mit einem höheren Ganzen ist die wichtigste Zielfunktion eines Rituals, denn rituelles Ver-

halten erzeugt in jedem Gehirn einen gleichen Funktionszustand und vermittelt eine starke emotionale Erfahrung, Erinnerung und die Kommunizierbarkeit mit anderen, also auch eine soziale Einbindung. Diese soziale Einbindung setzt sich im Ritual aus rhythmischen Gesten und Gebärden zusammen, die starke Gefühlszustände bewirken und Einheitserfahrung in der Gruppe hervorrufen. Dies kann z. B. durch ritalisierten Gesang und Tanz geschehen, verbunden mit dem Gedanken, jedes Ritual ist bedeutungsvoll, und macht somit aus seinem Sinn eine fassbare Erfahrung; aus geistig-geistlichen Geschichten werden somit geistlich-geistige Erfahrungen. Hier zeigt sich die „Fähigkeit des Aufmerksamkeitsfeldes“, die Intensität dieser Erfahrung zu steuern. Das autonome Nervensystem vermittelt diese Erfahrung, die im Gehirn sich abspielt, dem Körper und führt zu einer Harmonisierung der Körperabläufe. Dies ist eine Ursache, dass Religionen zu einem entspannteren Lebensstil und zu einer erhöhten psychischen Stressresistenz beitragen können.

das einfache Mitglied führt automatisch zu einer Entleerung des Inhaltes und damit zu einer nur mehr formalen Durchführung des Rituals. Die richtige Durchführung des Rituals ist dann wichtiger als der subjektive Bezug. Diese Entfremdung ist häufig in der Bibel beschrieben und einer der Hauptvorwürfe von Jesus an die Pharisäer; es gibt daher in der religiösen Welt viele sich ähnelnden Rituale, die jedoch jeweils einen vollkommen anderen Inhalt in der Psyche zugrunde liegend haben. Christen sollten sich daher nicht scheuen, Rituale anderer Religionen anzuschauen und sie auf den „Kopf der Religion“ – Christus – zu beziehen. Viele Religionen gewinnen dadurch ihre Akzeptanz, dass sie nicht ein ausgefeilteres philosophisches System, wie es „das Christentum als Religion“ tut, anbieten, sondern viel näher an diesen psychischen und körperlichen Automatismen mit ihren religiösen Riten sind, wie das Christentum.

Die Erfahrung von Mythenbildung und Ritualen führt andererseits aber zu einem tieferen Verständnis unseres religiösen Lebens, denn es bedeutet, dass jedes Gehirn religiös empfinden kann und somit auch religiös organisiert ist. Die oben angedeutete religiöse und somit ‚christliche Einheitserfahrung’ kann aber unterschiedliche Tiefen erreichen. Diese Tiefe ist über verschiedene Wege zu erreichen.

Fortsetzung auf Seite 25

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Die ambulante medizinische Rehabilitation hat ihre Tore geöffnet

Die Alltagserfahrung, dass ein bloßer Gedanke im Kopf dieselben psychischen und physischen Vorgänge auslöst, wie äußere Reize, ist jedem zugänglich. Das visuelle und sprachlichauditive Assoziationsfeld ermöglichen dies; es eröffnet dem Individuum auch Möglichkeiten, Probeverhalten in der Vorstellung, ohne entsprechende körperliche und soziale Aktivitäten zu bilden, durchzuführen. Diese Eigenschaft ist ein großes Geschenk Gottes an den Menschen, genannt >Kreativität< und >Phantasie<. Sie schafft spekulative Erklärungen für die Welt, für den Menschen und über Gott.

Religionen, die viele Rituale in ihrer Liturgie verwenden, sind erfahrungsorientiert und daher immer aktuell für den Alltag des Anwenders. Sie beinhalten jedoch die Gefahr der Manipulation durch religiöse Führer; ihre (Rituale) übermäßige Anwendung durch

FACHKLINIK-NEWS

Die Bilder zeigen aktuelle Arbeiten aus unserer Kunsttherapie fühlten sich verstanden und akzeptiert.

Seit dem 15. Juli 2005 ist es nun soweit: Die ambulante medizinische Rehabilitation im Gesundheitszentrum der DE IGNIS-Fachklinik in Egenhausen hat ihre Tore geöffnet. Bis zu acht Patienten sind im Gesundheitszentrum zur gleichen Zeit in Therapie, dies war auch das angestrebte Ziel des Trägers für das erste Jahr. Das therapeutische Angebot umfasst neben den ärztlichen Gesprächen die Einzel- und Gruppengesprächstherapie, Kunsttherapie, Bewegungstherapie und Gymnastik, Körperwahrnehmung und eine gemeinsame Morgenrunde für alle Patienten. Für die Freizeit gibt es Angebote wie Schwimmen, Sauna, Solarium, Fitnessgeräte und Spaziergänge in den schönen Schwarzwald direkt vor der Haustür. Bisher suchten Patienten mit De-

pressionen, Burnout, Zwängen, Ängsten, Essstörungen und sogenannten psychosomatischen Krankheitsbildern fachliche Hilfe in unserer Einrichtung. Wie wir in Interviews nach der Behandlung erfahren konnten, erlebten alle Befragten eine deutliche Besserung der Symptomatik. Eine Patientin berichtet: Deutlich, sehr deutlich. Durchs Absetzen von den süchtigmachenden Tabletten ist der Nebel, den ich empfunden habe, weg und ich bin klarer. Angst ist nicht mehr mein Grundgefühl, kommt nur noch ab und zu. Heute ist meine Stimmung stabiler. Die Patienten waren laut dieser Umfrage extrem zufrieden mit der Atmosphäre im Gesundheitszentrum und beschrieben sie als familiär, zum wohlfühlen und freundlich. Auch therapeutisch/personell empfanden sie die Therapie hier fachlich und menschlich sehr kompetent und

Am meisten hilfreich waren die Einzel- und Gruppengespräche, die Kunsttherapie und die Entspannung. Einige Patienten kauften sich gegen Ende der Therapie Farben, um zu Hause weiterhin malen zu können, da es ihnen so gut tat: Mir hat das Malen viel geholfen, die Kunsttherapie. Ich konnte da richtig aus mir rausgehen, gerade auch dann, wenn ich nicht so gut drauf war. Nach dem Malen war ich dann viel ruhiger. Alles in Allem ein sehr erfreulicher Start für die teilstationäre Rehabilitation. Die Arbeit macht allen Mitarbeitenden viel Spaß und es ist sehr interessant zu beobachten, wie viele Gründe es gibt, warum Patienten dieses ambulante Angebot so sehr schätzen. Da gibt es die Mutter, die ihr kleines Kind nicht komplett mehrere Wochen verlassen will, Patienten, die nicht gerne auf ihr gewohntes Umfeld verzichten wollen oder die froh sind, abends ihre Lieben um sich zu haben. Ein weiterer Aspekt, der von Patienten wiederholt genannt wurde:

Probleme im Alltag können sofort in der Therapie bearbeitet werden, vorgeschlagene Lösungen sind dann gleich im Alltag erprobbar und können in der weiteren Umsetzung begleitet werden. Eine Patientin unterstrich, dass sie durch die ambulante Behandlung einen wesentlich einfacheren Wiedereinstieg ins Berufsleben hatte, als sie es sich stationär hätte vorstellen können: Ich fand das sehr positiv, weil ich nicht nur in diesem geschützten Raum war, sondern den Bezug zum Alltag nicht verloren habe, somit auch nicht den Bezug zu dem, was im Alltag problematisch war. Außerdem konnte ich manche Dinge aus der Therapie dann gleich umsetzen. Das Modell hat mir den Einstieg in den Alltag und ins Berufsleben erleichtert. Alle Befragten würden die ambulante Rehabilitation in jedem Fall gern weiterempfehlen oder haben es schon getan. Die ambulante/teilstationäre psychosomatische Rehabilitation wird sowohl von den gesetzlichen Krankenkassen, als auch von den Rentenversicherungen finanziert.


DE´IGNIS im Internet: www.deignis.de

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DE´IGNIS-AKTUELL

Fachklinik

Präventionshaus in Altensteig

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Mitarbeiterwechsel in der Verwaltung von Aufnahmeterminen sowie die verwaltungsmäßige Aufnahme und Entlassung von Patienten. Viele Leser werden ihn deshalb von telefonischen oder persönlichen Kontakten kennen.

Seit Mitte Januar 2003 ist Boris Braun ein Mitarbeiter in unserem Verwaltungsteam. Gott führt ihn und seine Frau nun weiter, so dass Boris Braun sein Arbeitsverhältnis zum Jahresende kündigte. Im letzten Magazin haben wir bereits darüber berichtet, dass der Gesetzgeber zu mehr Eigeninitiative und Eigenverantwortung in Bezug auf die eigene Gesundheit motivieren möchte. Die Menschen sollen noch mehr als bisher ihren Anteil dazu beitragen, ihre Gesundheit zu erhalten und Krankheiten zu vermeiden. Präventive Programme, deren Kosten zum Teil auch von Krankenkassen über nommen werden, sollen dabei helfen. Wir haben mit unseren Gesundheitswochen schon seit 1997 ein Präventionsangebot in unserem Programm, das mittlerweile von über 250 Gästen genutzt wurde. Bisher waren diese Gäste in der Klinik untergebracht, was einige von ihnen nicht für optimal hielten.

Ab 2006 stehen für unsere Gesundheitswochengäste in einem separaten Gebäude neue Zimmer bereit. Unser Hausmeisterteam ist kurz vor der Fertigstellung der neuen Räume. Die Nähe zur Klinik ermöglicht den Gästen die Nutzung der dortigen Freizeitangebote, wie z. B. Sauna, Whirlpool und Fitnessgeräte.

Zu seinen Aufgaben in der Klinik gehörten unter anderem die telefonische Beratung, die Vereinbarung

Aufgrund seiner Kompetenz und seinem Interesse an der EDV hat er sich besondere Verdienste bei der Erweiterung und Pflege unserer EDV-Anlage erworben. In den vergangenen 3 Jahren gab es in der Klinik nämlich in diesem Bereich beträchtliche Veränderungen, verbunden mit einer großen Erweiterung unseres EDV-Netzwerkes. Daran hatte Herr Braun einen großen Anteil. Wir sind Herrn Braun für seine Arbeit und sein Engagement sehr dankbar und wünschen ihm für seine Zukunft Gottes reichen Segen. Die Klinikleitung

Fachklinik

Präventionsangebote Wir bieten in unserem neu gestalteten, komfortablen Gästehaus in Altensteig ab 2006 verschiedene GruppenProgramme zur Gesundheitsvorsorge an: n Präventionsangebot für Schulpädagogen n Gesundheitsvorsorge >50+ n Präventionsangebot für Pastoren und andere kirchliche Mitarbeiter n Krisenbewältigung n Ehe-Woche Die individuelle Gesundheitswoche kann natürlich auch weiterhin gebucht werden!

ie u nd b e p a r e h t o h Psyc ist li c h e r G la u ch r

Fachklinik gGmbH auf christlicher Basis für • Psychiatrie • Psychotherapie • Psychosomatik Walddorfer Straße 23 · D-72227 Egenhausen Tel. 0 74 53/93 91- 0 · Fax 0 74 53/93 91- 93 e-mail: info@deignis.de · Internet: www.deignis.de

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Weiterentwicklung des Qualitätsmanagementsystems Für uns als Klinik ist es wichtig, eine transparente gute Qualität zu erbringen. Deshalb haben wir an dem Qualitätsmanagement-Pilotprojekt der gesetzlichen Krankenkassen teilgenommen, was für uns eine große Herausforderung aber auch ein großer Erfolg war. Uns wurde eine hohe Qualität unserer Arbeit bestätigt (siehe Bericht im DE´IGNIS-Magazin Nr. 28 vom Dezember 2004). Sie finden die komprimierten Ergebnisse auch im Qualitätsbericht der DE´IGNISFachklinik auf unserer Homepage www.deignis.de unter Qualitätsmanagement . Dieses Resultat hat uns natürlich sehr gefreut, die Arbeit am Qualitätsmanagement ging und geht aber selbstverständlich weiter. Unser nächstes großes Ziel ist die Zertifizierung unserer Klinik nach IQMP Reha. Unter der Federführung von Prof. Dr. W. Müller-Fahrnow (Charité Berlin) wurde ein Qualitätsmanagementsystem für Rehabilitationskliniken entwickelt, das integrierte Qualitätsmanagement-ProgrammReha (IQMP Reha). In diesem Programm werden die Bedingungen der Rehabilitation berücksichtigt und

die oft zu funktionelle und prozessorientierte QM-Sprache in den Sprachjargon der Psychosomatischen Rehabilitation übersetzt. Die Leitung der DE IGNIS-Fachklinik hat sich deshalb dazu entschlossen, das eigene QM-System nach IQMP Reha aufzubauen. Im Sommer 2004 habe ich meine Ausbildung zum TQM-Auditor erfolgreich bestanden und bin seit dem mit dem Aufbau des besagten QMSystem im Haus beschäftigt. Unser Leitbild, an dem lange Zeit gearbeitet wurde (siehe Magazin Nr. 28 vom Dezember 2004), haben wir 2004 im DE IGNIS-Magazin und auch auf unserer Homepage veröffentlicht. Ein weiterer wichtiger Meilenstein war die Selbstbewertung, welche die bandbreite der Verbesserungspotentiale aufzeigt. Anhand des IQMPReha Manuals wurde eine Ist-Soll Analyse durchgeführt, welche im Anschluss nach einem Punktesystem bewertet wurde. Diese Bewertung ist für externe Auditoren eine Grundvoraussetzung für die Zertifizierung. Die Einführung eines umfassenden Dokumentenmanagements war

Die individuelle Gesundheitswoche

Die Zimmer können auch von Besuchern unserer Patienten für einzelne Übernachtungen gebucht werden. Im nächsten Jahr wollen wir in dem neuen Gebäude für spezielle Gruppen besonders auf sie zugeschnittene Präventionsprogramme anbieten (siehe Anzeige). Ausführlicheres Informationsmaterial ist in Vorbereitung.

DE´IGNIS-AKTUELL

Im Alltag sind wir häufig darauf bedacht, „über die Runden zu kommen“. Solange Körper, Seele und Geist reibungslos funktionieren, kümmern wir uns kaum um sie. Aber gerade in unserem oft anstrengenden und herausfordernden Alltag brauchen sie Pflege, um gesund zu bleiben: Innehalten, zur Ruhe kommen, reflektieren und Pläne für die Zukunft schmieden. Gönnen Sie sich eine individuelle Gesundheitswoche in unserer Fachklinik! Nehmen Sie sich die Zeit für

• eine kurze, aber intensive Erholung und

• eine sorgsame „Wartung und Pflege“ Ihrer Gesundheit zur Prävention, aber auch wenn bereits erste Krankheitszeichen erkennbar sind. Mit unserer langjährigen Erfahrung können wir genau auf Ihre Bedürfnisse eingehen:

eine weitere große Herausforderung. Die Lenkung aller in der Klinik verwendeten Dokumente und Formulare muss von der Ersterstellung bis zur Vernichtung verfolgbar sein, so sind die eindeutigen Vorgaben des QM-Systems. Dazu mussten die über 400 Dokumente in ein einheitliches Format gebracht werden. In dem Zusammenhang haben wir natürlich alle Formulare und Regelungen überarbeitet/aktualisiert. Dabei wurden auch für den Hauswirtschafts- und Reinigungsbereich die Hygiene-Dokumentationsanforderungen überarbeitet und eingeführt. Auch im Küchenbereich wurden alle notwendigen Maßnahmen getroffen, um eine durchgängige Dokumentation zu gewährleisten. Dokumente wurden hier angepasst und auf unser Haus abgestimmt, Anforderungen aktualisiert. Formulare wurden im großen Stil vereinfacht, um mehr Übersicht über die Dokumentation zu bekommen. Alles in allem sehr viel Detailarbeit, welche unsere Hygienefachkraft heute zu schätzen weiß. So kann heute mit wenigen Handgriffen in übersichtlichen Ordnern

Arbeit überprüft und somit sichergestellt werden. Das ist sowohl für uns hausintern als auch für eine externe Überprüfung eine deutliche Verbesserung. Alle Vorlagen für sämtliche Arbeitsbereiche der Klinik stehen jetzt den Mitarbeitern als Dateien im Organisationshandbuch auf dem Server zur Verfügung. So kann jeder Mitarbeiter auf die aktuelle Version zugreifen. Kopiervorlagen am Arbeitsplatz, die teilweise dazu führten, dass völlig veraltete Versionen immer wieder in Umlauf kamen, sind so nicht mehr erforderlich. Zum Jahresende 2005 soll der aktuelle Qualitätsbericht der DE IGNISFachklinik, basierend auf den Vorgaben von IQMP Reha, auf unserer Homepage veröffentlicht werden. Aktuell werden die vorhandenen Ablaufdiagramme von Schlüsselprozessen (das sind die für den Klinikbetrieb wichtigen/kritischen Prozesse) überarbeitet und in Verfahrensanweisungen umgeschrieben, so dass die Schnittstellen und auch die Verantwortlichkeiten klar herausgestellt sind. Jochen Hubschneider, Qualitätsmanager

n t io n e v a r P e h c it li a ld G e s u n dahteu rp a r k Sc h w a r z w im N

Wer betreut Sie? Zu unserem Gesundheitsteam unter chefärztlicher Leitung gehören qualifizierte Fachkräfte, wie (Fach-)Ärzte, Psychologen, Physiotherapeuten, ein Körpertherapeut, eine Ergotherapeutin, eine Musiktherapeutin und Krankenpflegekräfte.

Wir bieten Ihnen:

Seelsorge,

• um aktuelle Lebensfragen zu klären, • um Krisen zu bewältigen, • zur Klärung Ihrer persönlichen Berufung. Ruhe und psychologische Beratung, wenn Sie körperlich-seelische Warnzeichen bei sich beobachten.

Coaching für Ihre Führungsaufgaben,

So melden Sie sich an: Bitte fordern Sie unser Informationsmaterial mit dem Anmeldeformular an und stimmen Ihren gewünschten Termin mit uns ab. Ihr Ansprechpartner: Herr Jürgen Günthner (oder Vertretung) Telefon 0 74 53/95 71- 20

• z. B. für ein persönliches und berufliches Stressmanagement,

• oder um einem Burn Out vorzubeugen oder ihn zu überwinden.

Unterstützung, wenn Sie Ihre Beziehungen als Paar oder als Familie stärken möchten. Sie können sich aber auch einfach nur verwöhnen lassen. Fordern Sie unser Informationsmaterial an und erstellen Sie sich Ihren eigenen Gesundheitsfahrplan aus unserem vielseitigen Angebot!

Haus Ruth eine Einrichtung der DE´IGNIS-Fachklinik gGmbH Markgrafenweg 17 · 72213 Altensteig Tel. 0 74 53/95 71-20 · Fax 0 74 53/95 71-21 e-mail: info@deignis.de · www.deignis.de


DE´IGNIS im Internet: www.deignis.de

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DE´IGNIS-AKTUELL

Institut

Seite 20

INSTITUT-NEWS

Unser III. Therapiekurs – Jahrgang 3/2003 bis 10/2005 – feiert das Finale Nach mehr als 2 ½ Jahren war es schließlich soweit: Unser III. Lehrgang der Fortbildung in Christlichintegrativer Psychotherapie feierte das Finale. Unter dem Thema Supervision der persönlichen Integration von Wissenschaft und Glauben hielten wir Rückblick auf den Wachstumsprozess, der bei jedem einzelnen Kursmitglied stattgefunden hatte. Im Folgenden geben wir ein paar Streiflichter im O-Ton wieder zu den Fragen aus dem Selbsterfahrungsbericht, der zur Zertifizierung u. a. eingereicht werden sollte:

ich es schwierig finde mit einem Patienten, dass das auch oft etwas mit .einer eigenen Problematik zu tun hat..

1.) Wie hat sich dein Weg mit Gott (Identität /persönliche Heilung) entwickelt?

n Wenn ich mich heute an den ersten Eindruck, den ich beim ersten Seminar von jedem Einzelnen hatte, zurückerinnere, wird mir sehr deutlich, wie ungenau und regelrecht dumm doch mancher erste Eindruck sein kann

n Ich konnte mein Bedürfnis nach Sicherheit deutlicher erkennen ., diese Unsicherheit an Gott abgeben und darauf vertrauen, dass er als Vater dafür sorgen wird, dass es gut ausgehen wird. n schlechtes Frauenbild der schwerarbeitenden und unterdrückten Frau brauche ich nicht zu übernehmen . n .die Herangehensweise des

3.) Wie entfaltete sich dein Weg mit der Gruppe? n die Offenheit anderer, eigene Probleme und Unzulänglichkeiten einzubringen, war mir eine große Hilfe, dasselbe tun zu können n Da ich mich mit einer neuen Gruppe schwer tue, war ich sehr froh, dass mit mir X in der gleichen Gruppe war

Bibliodramas bewirkte in mir eine neue, deutlich fühlbar gewordene Liebe zu diesem wertvollen Buch (Anm.: gemeint ist die Bibel) 2.) Was hast du auf dem Weg zum/ zur Christlichen Therapeuten(In) über dich erfahren? n Aus früheren SelbsterfahrungsErfahrungen im säkularen Bereich stand ich dem erst sehr kritisch ge-

genüber. Hier spürte ich nun aber zu meinem eigenen Erstaunen den Wunsch, wirklich offen und ehrlich sein zu dürfen, auch mit meinen Schwächen und Fehlern n prägte mich der Kurs vor allem in meiner Selbstwahrnehmung als Therapeutin n Die letzten Monate ist mir deutlicher geworden, dass, wenn

In einem Festgottesdienst feierten wir die frisch gebackenen (zertifizierten) Therapeuten. Da alle den gleichen weiten Weg zurückgelegt hatten, empfingen sie symbolisch die Doktorwürde in Form der entsprechenden Hüte.

Unsere neuen Partner stellen sich vor: DE’IGNIS-Beratungsstellen Ganz herzlich begrüßen wir an dieser Stelle unsere neuen Kooperationspartner Marion Geißler, Magdalene Schnabel und Sylvia Haufe. Alle drei sind uns schon mittlerweile vertraut geworden, sei es während langjähriger Zusammenarbeit an unserer DE´IGNISFachklink wir berichteten im Magazin Nr. 24 oder im Verlauf des jetzt auslaufenden Fortbildungslehrgangs in Christlich-integrativer Psychotherapie . Sie sollen hier selber zu Wort kommen mit ihrem Werdegang und speziellen Beratungsangebot.

Wärest Du bereit Psychologie zu studieren? Es wird aber nicht ganz einfach werden!

konkretisierte sich noch einmal auf Familienpsychologie) meine Lehrund Wanderjahre und entwickelte mich über die Jahre durch die praktische Tätigkeit und über diverse Fort- und Weiterbildungen zur Psychologischen Psychotherapeutin und Systemischen Familientherapeutin .

Als mir Gott vor 23 Jahren nach dem Abitur und während eines freiwilligen sozialen Jahres diese Frage stellte, konnte ich nicht ahnen, welche konsequente Geschichte er mit mir und dieser Berufung, aber auch mit Ignis e.V. (Kitzingen) und dann DE´IGNIS schreiben würde! Denn dort verbrachte ich nach dem Studium in München (die Berufung

Genaueres zu mir und meiner Person kann hierzu im DE´IGNISMagazin Nr. 24 12/2002 nachgelesen werden: 10 Jahre Mitarbeit in der Fachklinik. Mit dem in diesem Artikel bereits angedeutetem Umzug nach Nordhessen, der 2003 dann auch stattfand, schien zunächst meine Mitarbeit bei DE´IGNIS zu enden.

DE´IGNISBeratungsstelle Kassel

Nun melde ich mich aus Kassel (der documenta -Weltstadt und mitten im Herzen Deutschlands gelegen!) zurück und freue mich, nach einer längeren Phase der Orientierung die Eröffnung einer DE´IGNISBeratungsstelle und Psychologischen Praxis melden zu dürfen! Das Besondere: Die Praxis ist eingebettet im ebenfalls neu eröffneten Christlichen Beratungszentrum Kassel e.V., dem cBZK, dem ich als Leitungsmitglied eng verbunden bin. Neben dem üblichen Angebot einer ambulanten psychotherapeutischen Praxis (wie Depressionen, Ängste, Essstörungen u.v.m.) möchte ich in den kommenden Jahren meinen Schwerpunkt der Familien-

DE´IGNIS-AKTUELL therapie ausbauen, zu diesem Bereich auch Vorträge und Seminare halten und mich selber noch in dem Bereich der Kinder- und Jugendtherapie fortbilden. Nebenbei erwähnt: für privat Versicherte bin ich abrechnungsbefähigt. Gemeinsam mit den 11 Mitarbeitern des cBZK, die qualifizierte Laien und Fachleute aus den Bereichen der Seelsorge, Medizin, Theologie, Kunst und anderen Berufsfeldern sind, ist unser Angebot reichhaltig und enthält u. a. auch Erziehungsberatung, Finanzberatung, Altenarbeit oder auch Kunsttherapie. Danken möchte ich n Gott, der mich durch viele schwierige Zeiten gerade in meinen Anfangsjahren hindurchgetragen hat und mich durch sein mal liebevolles, mal mahnendes Reden Habe Ich nicht gesagt ? immer wieder zum Gehorsam befreite! n Meinem Ehemann Rainer und unseren Töchtern Isabel Joy und Emily Victoria, ohne deren Unterstützung meine berufliche Freisetzung gar nicht möglich wäre! n Meinen vielen Kolleginnen und Kollegen von früher, die mich mitprägten und mitformten und es mir u. a. auch zum Bedürfnis machten, beruflich wieder dort Wurzeln zu schlagen, wo ich gewachsen bin, n Sowie dem gesamtem Team des cBZK, mit dem ich hier in Kassel und Umgebung weiter Reich Gottes bauen darf! Dipl.Psych. Marion Geißler Praxis für Psychotherapie und Beratungsstelle Franz-Vetter-Straße 1 34131 Kassel Telefon 05 61/8 20 33 69

JAHWE RAPHA DE’IGNISBeratungsstelle Köngen/Neckar Wer hätte vor 10 Jahren gedacht, dass ich einmal beruflich christliche Therapie machen würde? Ich jedenfalls war weit davon entfernt, so etwas in Erwägung zu ziehen. Mein Name ist Magdalene Schnabel, ich bin 55 Jahre alt, verheiratet

Institut und Mutter von 5 zum Teil erwachsenen Kindern. Ursprünglich war ich in den 70er Jahren als Grundund Hauptschullehrerin tätig, bevor mein Mann und ich unsere Familie gründeten. 20 Jahre lang war ich im Familienalltag voll beschäftigt. Gerne blicke ich auf diese Zeit zurück. Es begann ein Prozess der inneren Heilung, und in Erfahrung von neuer Freiheit lernte ich meine Gaben kennen. Daher machte ich über mehrere Jahre eine qualifizierte Ausbildung in therapeutischer Seelsorge. Weitere praktische Erfahrungen unter professioneller Begleitung durfte ich in der Arbeit mit Kleingruppen machen. In den letzten Jahren konnte ich verschiedene Arbeitsmöglichkeiten im sozialen Bereich wahrnehmen. Außerdem arbeitete ich ehrenamtlich in unserer evangelischen Kirchengemeinde mit, immer mehr im Bereich Lehre und Seelsorge. Eine Rückkehr in den Schuldienst schloss ich aber inzwischen aus. Ich wollte sehr gerne mehr im seelsorgerlich therapeutischen Bereich arbeiten. Im Rahmen der Ausbildung bei DE´IGNIS zur christlichen Thera peutin erweiterte ich mein seelsorgerliches Angebot und meldete mich offiziell als Beratungsstelle an. Im Juli 2005 schloss ich einen Kooperationsvertrag mit DE´IGNIS ab, und ich bin sehr froh über die Zusammenarbeit mit DE´IGNIS. Derzeit biete ich hauptsächlich Einzelgespräche an nach dem christlich integrativen Konzept von DE´IGNIS zu sehr verschiedenen Problembereichen wie z. B. Beziehungsstörungen in Ehe, Familie, Erziehung depressive Störungen Essstörungen Ängste Selbstwertproblematik, Sinn- und Glaubensfragen, Begleitung in Lebenskrisen und Entwicklung neuer Lebensperspektiven. So bald wie möglich werde ich mein Angebot erweitern auf die Arbeit mit Gruppen in verschiedenen Themenbereichen. Außerdem komme ich gerne zu Vorträgen und Gruppenarbeit in Gemeindegruppen, z. B. zu Themenbereichen über Gebet, hörendes Gebet, Blockaden in der Gottesbeziehung, Vergebung, Berufung. In allem ist mir die Beziehung zu unserem dreieinigen Gott wichtig und ein Anliegen, dass Beziehungen und Verletzungen geheilt werden und dass Menschen in ihre Berufung

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hinein wachsen. Viel an Heilung können wir durch seelsorgerliche und therapeutische Gespräche erleben, aber ich bin dankbar, dass wir durch Gebet Anschluss bekommen an die unsichtbare und heilende Kraft Gottes; denn das ist unsere Verheißung: Jahwe rapha - ich bin der Gott, der heilt.

beim Deutschen Kinderschutzbund zur Elternberaterin am Elterntelefon ausbilden, wo ich auch heute noch ehrenamtlich mitarbeite. Später habe ich an weiteren Fortbildungen teilgenommen, u. a. in Traumabewältigung und Traumatherapie mit EMDR und in Systemischer Paarund Familientherapie. Derzeit befinde ich mich noch im Endstadium der Ausbildung zur Christlichen Therapeutin (DE´IGNIS). Im Herbst diesen Jahres habe ich die Weiterbildung zur Psychologischen Psychotherapeutin an der Universitätsklinik Freiburg begonnen.

Supervisionstage: 17. März 2006

06. Oktober 2006

JAHWE RAPHA Magdalene Schnabel Max-Liebermann-Straße 9 Telefon 0 70 24/8 68 91 69 Telefax 07024/8 65 60 73257 Köngen/Neckar E-Mail: Magdalene.Schnabel@gmx.de

DE’IGNISBeratungsstelle Freiburg – Psychologische Praxis Ich bin 1959 in Freiburg i. Breisgau geboren, wo ich mittlerweile eine eigene psychologische Praxis gegründet habe und mit meinen beiden Kindern wohne. Bis zum Alter von ca. 30 Jahren (Jahrgang 1959) hatte ich leider wenig persönlichen Gottesbezug. Nach einer familiären Krise wandte ich mich verstärkt dem Glauben zu und besuchte regelmäßig die Freie Evangelische Gemeinde in Freiburg. Während meines Psychologiestudiums, das ich 1991 beendete, machte ich eine Gesprächstherapieausbildung (GwG, Köln). Bis ca. 2001 war ich in der Hauptsache für meine Familie zuständig. In der darauf folgenden Zeit liess ich mich

Arbeitsschwerpunkte in meiner eigenen Praxis sind die Behandlung von Ängsten, Depressionen, Zwängen und Persönlichkeitsstörungen sowie die Therapie von traumatisierten Personen. Ferner biete ich präventive Massnahmen zur Gesundheitsförderung an (Gruppenkurse Progressive Relaxation , Raucherentwöhnung in 10 Schritten und Stressbewältigung ). In Planung sind auch Kurse nach dem christlichen 12 Schritte Programm. Mein seelsorgerliches Interesse liegt in der christlichen Ausrichtung therapeutischer Massnahmen; so stehen in der therapeutischen Beziehung nicht nur Therapeut und Klient einander gegenüber, sondern auch der dreieinige Gott ist Teil dieses Beziehungssystems. Eine wichtige Aufgabe sehe ich darin, dem ratsuchenden Klienten die neue Identität in Christus erfahrbar zu machen und seine Gottebeziehung mit neuen Impulsen aufzufrischen. Ich bin sehr froh, meine Ausbildung in christlich orientierter Psychotherapie bei DE´IGNIS durchlaufen zu können und freue mich, in das Netzwerk der DE´IGNISBeratungsstellen aufgenommen worden zu sein. (Weitere Informationen erhalten Sie unter www.christlichetherapie.de) Sylvia Haufe Psychologische Praxis DEIGNIS-Beratungsstelle Freiburg Schützenallee 52 79102 Freiburg Telefon 0761 / 70 11 37 E-Mail: Christliche-Therapie@web.de Internet: www.christlichetherapie.de


DE´IGNIS im Internet: www.deignis.de

DE´IGNIS im Internet: www.deignis.de

DE´IGNIS-AKTUELL

Institut

Ein Hinweis in eigener Sache Liebe Leserin, lieber Leser,

Auf Anregung einiger Leser

bei der Vorbereitung des

möchten wir an dieser Stelle

DE’IGNIS-Magazins bemühen

darauf hinweisen, dass wir für

wir uns, Themen auszusuchen,

Spenden zur Finanzierung die-

die für Sie interessant sind und

ses Magazins sehr dankbar

Autoren anzusprechen, die zu

sind.

den ausgewählten Themen

Die Herausgeber

Seite 22

gelingt und Sie zweimal im Jahr ein Magazin erhalten, das Ihnen

Wohnheim - Haus TABOR

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WOHNHEIM-NEWS

Supervisionstage: 17. März 2006 06. Oktober 2006

An die Freunde des DE´IGNIS Wohnheims - Haus TABOR ... ... voller Dankbarkeit blicken wir auf die Entwicklung des DE IGNISWohnheimes. Als Mitarbeiterschaft wachsen wir mehr und mehr zu einem wirklich sehr guten Team zusammen. So wächst unter uns Teamgeist, Vision und damit eine große Erwartung für Gottes Handeln in unserer Arbeit. Die finanzielle Situation hat sich weiterhin stabilisiert. Vielen Dank für

Eure finanzielle Unterstützung und Eure Gebete. Nach wie vor sind die Herausforderungen groß! Wir arbeiten immer noch intensiv an dem Ziel, unseren Mitarbeitern angemessene Löhne bezahlen zu können. Auch stehen wir vor größeren, notwendigen Renovierungsund Baumaßnahmen. Auch in dieser Hinsicht vertrauen wir unserem Herrn, dass er alle Bedürfnisse nicht

Bericht eines Bewohners - Neue Zuversicht und Freude

Hier gewinne ich Mut und Hoffnung

wirklich „etwas zu sagen haben“. Wir hoffen, dass uns das

DE´IGNIS-AKTUELL

Spendenkonto: DE´IGNIS-Fachklinik Volksbank Nordschwarzwald eG Konto 62168 00 (BLZ 642 618 53)

nur kennt, sondern uns auch hilft. Ganz neu ist das Buch Psychische Erkrankungen im Licht der Bibel im Hänssler-Verlag erschienen. Es ist die Darstellung eines umfassenden, an der Bibel orientierten Seelsorge- und Therapiekonzeptes. Es ist für die Seelsorgekurse ein wichtiges Grundlagenwerk. Die Möglichkeit, wichtige Grundgedanken zusammenhängend darzustellen und

publizieren zu können, ist für unsere Theoriebildung ein großer Fortschritt. So gibt dieses Buch einen zusammenhängenden Einblick in die Grundlagen unserer Arbeit und ist damit ein wichtiger Meilenstein. Bitte, liebe Freunde, tragt uns auch weiterhin im Gebet auf Eurem Herzen, so dass wir unsere Arbeit an notleidenden Menschen im Frieden, aber auch in Vollmacht tun können.

Neuerscheinun

wertvolle Informationen bringt. Die Rückmeldungen, die uns erreichen, lassen jedenfalls darauf schließen. Sie können sich sicherlich vorstellen, dass die Vorbereitung, der Druck und der Versand des Magazins eine Menge Geld kosten.

Neue Termine 2006: 24. - 28. April 2006 25. - 29. Sept. 2006 Suchen Sie nicht erst professionelle Hilfe, wenn es fast zu spät ist!

EhetherapieWoche

Entdecken Sie neue Wege, miteinander zu kommunizieren und mit Ihren gemeinsamen Schwächen umzugehen. Sie haben in dieser Woche die Chance, Ihre Ehepartnerin /Ihren Ehepartner neu wahrzunehmen, kennen und lieben zu lernen. Außerdem erfahren Sie einiges über Rollen und Entwicklungen der PaarDynamik.

Fordern Sie unser Informatio nsmaterial an!

Institut gGmbH für Psychotherapie und christlichen Glauben Sommerstr. 1 · D-72227 Egenhausen Telefon 0 74 53/93 91- 0 · Fax 0 74 53/93 91- 93 E-Mail: institut@deignis.de

Auch wenn es teilweise ein harter Weg war mit immer wiederkehrenden Durststrecken, in denen ich dachte, nichts geht vorwärts, habe ich dann aus den Großgruppen Mut gewonnen, dass die Kämpfe nicht vergebens waren, zum großen Teil aber auch durch andere Bewohner, die auch trotz Leid und Niederlagen nicht aufgeben. Nachdem ich 3 Jahre lang in einem weltlichen Wohnheim gelebt habe, liegt für mich der wesentliche Unterschied darin, dass hier Hoffnung weitergegeben wird. Die Zuversicht, Gott kann uns trotz Beeinträchtigung und Schwäche gebrauchen. Einerseits sind hier die alltäglichen verpflichtenden Aufgaben, die mich davor bewahren, völlig abzusinken, doch vor allem ist es die Möglichkeit, gleich mit jemandem zu reden oder auch beten zu können, für den Fall, dass ich alleine nicht mehr klarkomme. Wesentlich

ist für mich, die Möglichkeit zu haben, mit anderen Christen zusammenzuleben. Seit 5 Monaten wohne ich jetzt in der Außenwohngruppe mit zwei weiteren Frauen zusammen. Dort gefällt es mir ganz gut. Es ist gut zu wissen, dass jemand da ist, wenn man nach Hause kommt, mit dem man reden kann. Immer wenn bei mir Unzufriedenheit aufkommt, weil vieles, was ich mir in meinem Leben erhofft und gewünscht habe, nicht eingetroffen ist, denke ich an das Wort, in dem Gott spricht: Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und euere Wege sind nicht meine Wege, spricht der Herr. Das ist nicht immer einfach zu akzeptieren, doch der Gedanke und der Glaube an einen Gott, der weiser und klüger ist als ich, mich dennoch liebt und es gut meint, gibt mir Hoffnung. N.N.

Dieses Buch versucht, Wege der Veränderung und Heilung nach den Aussagen des Neuen Testaments aufzuzeigen. Es beantwortet deshalb nicht nur Fragen des psychischen Heilungsprozesses, sondern beinhaltet auch Grundsätze für die geistliche Entwicklung und Persönlichkeitsveränderung, wie sie jeden Menschen betreffen. Dass dabei psychische Erkrankungen hauptsächlich im Blickfeld stehen, macht diese Ausführungen zu einer wertvollen Hilfe für den Seelsorger und christlichen Therapeuten. Verkaufspreis EUR 15,95 (zuzüglich EUR 3,00 Versandkosten) Bestellung bei: Christliche Verlagsgesellschaft TABOR Fred-Hahn-Straße 32 72514 Inzigkofen

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DE´IGNIS-AKTUELL

Seite 24 Fortsetzung von Seite 16

Du bist der Herr, unser Gott, auf den wir hoffen; denn du hast das alles gemacht. Jeremia 14,22

Mit diesem Vers blicken wir voller Dankbarkeit zurück, und wünschen Ihnen damit ein besinnliches Weihnachtsfest sowie ein hoffnungsvolles und gesegnetes neues Jahr.

Ambulante Therapie und Beratung DE´IGNIS-Gesundheitszentrum, Sommerstraße 1, 72227 Egenhausen, Telefon 0 74 53/93 91-0 DE´IGNIS-Wohnheim, Fred-Hahn-Straße 32, 72514 Engelswies, Telefon 0 75 75/92 50 70 Ulrike Hauer, Beratungsstelle, Bitscher Straße 20, 66996 Fischbach b. Dahn, Telefon 0 63 93/56 86 Dorothea Reuther, Beratungsstelle, Dillweißensteiner Straße 9, 75180 Pforzheim, Telefon 0 72 31/78 40 88-0 Annett Schmidt & Katrin Lehmann, Beratungsstelle, Trachenbergerstr. 25, 01129 Dresden, Telefon 03 51/8 43 87-77 Dr. med. Doris Schneider-Bühler, Beratungsstelle, Rauhenbergstr. 24, 78262 Gailingen, Telefon 0 77 34/93 59 96 Dagmar Göhring, Beratungsstelle, Auf der Höhe 4, 88636 Illmensee, Telefon 0 75 58/93 85 66 Marion Geißler, Beratungsstelle (im cBZK), Franz-Vetter-Str. 1, 34131 Kassel, Telefon 05 61/8 20 33 69 Sylvia Haufe, Beratungsstelle, Schützenallee 52, 79102 Freiburg, Telefon 07 61/7 07 75 01 Magadalene Schnabel, Beratungsstelle, Max-Liebermann-Str. 9, 73257 Köngen/N., Telefon 0 70 24 /8 68 91 69

Christliche Therapeuten und Berater (DE´IGNIS): Anna Beraldi, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Nußbaumstr. 7, 80336 München Manfred Dersch, Arche e.V., Beratung für Kinder und Jugendliche, Mushecke 19, 35216 Biedenkopf Michael-Christian Diehl, Friedhofstraße 10, 35713 Eschenburg Dr. med. Sibylle Domnick-Lüdke, Breite Straße 103, 76135 Karlsruhe Christel Dürr, Hegenichstraße 30, 69124 Heidelberg Erika Gesper, Alte Jakobstraße 75, 10179 Berlin Dr. med. Jutta Günther, Hermannstraße 23, 75428 Illingen Dr. med. Kirsten Hautmann-Flesch, Kalmitweg 53, 67117 Limburgerhof Andrea Herzog, Susanne-Pfisterer-Straße 6, 69124 Heidelberg Karen Kammler, 16727 Oberkrämer, E-Mail: beratung-K@mmler.net Almut Lindgen, Döbernstr. 10, 25551 Hohenlockstedt Eva-Maria Löffler, Pöhlauerstraße 18, 08066 Zwickau Heike & Mario Reinicke, Am Hungerberg 4, 36272 Niederaula Dr. med. Roland Rauscher, Praxis, Lange Straße 20, 72829 Großengstingen Dr. med. Bernhard Stoll, Hosanna-Beratungsstelle, Feldstr. 77, 45968 Gladbeck Inge Westermann, Bahnhofsallee 56, 26135 Oldenburg

Es gibt die passive Methode in Form einer „inneren Versenkung durch einen Willensakt“ und „Ausschluss der sensorischen Funktionen“, oder den aktiven Weg , in dem wir uns - in christlichen Kreisen bevorzugt - auf einen Gedanken, z. B. ‚das eine’ Wort Gottes konzentrieren. Dadurch können z. B. Christen das Aufmerksamkeitsfeld des Gehirns maximal anspannen und das Orientierungsfeld blockieren. Dies kann zu einer Erfahrung des absoluten Einseins mit Gott führen. Solche Erfahrungen stellen den Ursprung der Religion dar. Sie entwickelten sich in späterer Zeit dazu, dass man quasi in einer Art von „vertraglicher Vereinbarung mit einer höheren Instanz“, sich in Sicherheit wiegt, wenn man Rituale durchführt. Religion wird also nur dann glaubwürdig, wenn sie ein Gefühl existenzieller Sicherheit vermittelt. Die moderne Neurologie erklärt uns eindeutig, wie diese spirituellen Erkenntnisse in der Neurologie des Gehirns und des Körpers – vegetatives Nervensystem – passieren. Es bleibt daher die große Frage: Ist dieser Vorgang ohne Gott möglich oder stellt er ein Fenster zu Gott hin dar? Der neurobiologische Aspekt von spirituellen Erfahrungen erhärtet aus meiner Sicht das Gefühl der Wirklichkeit Gottes, ohne ihn zu beweisen; denn Gott bricht in das Erleben, in die Neurologie des Gehirns von Menschen ein, ohne dass diese sich in ein Ritual oder eine religiöse Einheitserfahrung begeben, wie viele „Erklärungserlebnisse“ beweisen. Unsere moderne Auffassung, dass alles Reale ‚stofflich’ ist, ist falsch. Auch in unseren Gehirnen existiert eine – neurobiologische - >Realität<, die genauso schaffend und real ist, wie wir selber. Wir dürfen daher nicht in den Fehler verfallen, das Gehirn als dasselbe anzusehen wie den >Geist<, und Gott und unser Ich als dasselbe anzusehen wie unseren >Geist<. Ich denke, es ist vielmehr so, dass der Geist Gottes - und somit unser Geist - vor dem Ich und >Selbst< existierten und unserem Gehirn in unterschiedlichster Weise, wie oben beschrieben, Gotteserfahrungen liefern.

Es führt aber auch dazu, dass einige Religionen - aufgrund dieser für alle Menschen gleichen neurologischen Vorgänge, Mythen und sozialen Erfahrungen – wohl miteinander verwandt sind, aber im Grunde keine Einheitserfahrung von Gott darstellen. Von der katholischen Kirche geduldete >Interspiritualität< ist für den christlichen Glauben gefährlich, weil irreführend. Wir können und dürfen uns im Christentum gegenüber anderen Religionen - besser gesagt, anderen transzendenten Erfahrungen - abgrenzen auf die Trinität Gottes hin. Die Gefahr eines einseitigen Gottesbildes von einem personalen Gott, der straft oder zugleich gütig als Vater ist, beinhaltet eine Reduktion von Erfahrungen, die immer zu Einseitigkeiten führt, wie die Religionsgeschichte gezeigt hat. Die Trinität Gottes führt aber dazu, dass wir die verschiedenen religiösen Erfahrungen an verschiedenen ‚Enden’ der Trinität anknüpfen können. Wir erleben Jesus als den Herrn und Freund in Form eines starken Ideals. Wir erleben Gott als den Vater, als den, der alles in der Hand hat und ordnet und somit unsere mehr oder weniger negative Vatererfahrung ‚aufarbeitet’. Und den Heiligen Geist erleben wir als das Allverbindende und Umsorgende, ähnlich der Mutter. Diese tiefenpsychologische Deutung der Trinität soll uns nur die unendliche Komplexität Gottes greifbar machen.

eine Intentionalität ab, die auf Gott ausgerichtet und nicht aus evolutionären Gedankengebäuden zu erklären ist. Wie schon gesagt: Die Bibel will uns nicht darin unterweisen, wie wir funktionieren, sondern wie wir in einer guten Beziehung zu Gott und den Mitmenschen und uns selbst leben können. Die Wissenschaft erhellt uns ein Stück vom „Uhrwerk der Schöpfung“ und ersetzt uns nicht Gott. Neurobiologische Erkenntnisse sollen uns nicht dazu verleiten, uns wie Gott zu fühlen und wie Gott zu handeln, sondern uns demütiger werden zu lassen angesichts der Allmacht und Größe Gottes. Wenn in diesem Sinne alle Wissenschaft die „Magd Gottes“ ist, denke ich, wird sie recht gebraucht.

Literatur: Newberg/Aquill „Der gedachte Gott“ , Pieper-Verlag Zeitschrift Gehirn und Geist „Wozu Religion“ Nr. 12/2005 Horst W. Beck „Biblische Universität und Wissenschaft“ , Gustav-Sievert-Akademie Karen Caplan and Solms „Neuropsychoanalyse“ , Verlag Klett-Gotha

Dr. med. Herbert Scheiblich

Zusammenfassend: Die moderne Hirnforschung liefert uns eine Erklärung für bestimmte religiöse Phänomene; die daraus resultierenden Schlussfolgerungen sollten wir beachten, damit wir unser eigenes religiöses Erleben und Handeln besser verstehen können. Sie erklärt uns manche Phänomene, positiver wie negativer Art, in christlichen Gemeinschaften, die auf Ritualen beruhen und in der Gefahr stehen, bei besonderer Bevorzugung durch Einseitigkeit die Sektenbildung zu fördern. Diese Erklärungen bieten jedoch keinen Beweis für Gott, sondern im Sinn der oben beschriebenen Phänomenologie zeigt sich in unserem religiösen Handeln eine Zielgerichtetheit,

Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie, bis 1994 leitender Arzt der DE´IGNIS-Fachklinik gGmbH, jetzt eigene Praxis in Altensteig.

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gebrandmarkt hat, wurde, obwohl sie wahlkampftaktisch vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen eingesetzt war, von Vertretern vieler Parteien begrüßt. Irgendwie empfinden viele, dass sich die soziale Gerechtigkeit in Deutschland zur Zeit in Schieflage befindet.

VON DR. GERD FLÜGEL

Soziale Gerechtigkeit – ein Grundbedürfnis des Menschen

U

ngerecht! Das ist ungerecht! – Dieser Schrei ertönt nach wie vor in allen Kinder- und Schulstuben. Und auch durch viele Medien und Wohnstuben Deutschlands ist er in den letzten Jahren gehallt: Hartz IV z. B. wird als ungerecht empfunden, viele demonstrierten dagegen. Während die Ärmsten Abstriche machen müssen, sind die Managergehälter exorbitant gestiegen: Der durchschnittliche Vorstandsbezug, z. B. bei der Deutschen Bank, war 1990 32 Mal so hoch wie ein durchschnittlicher Arbeitnehmerverdienst, im Jahre 2003 war er 240 Mal so hoch!1 2003 verdiente Joseph Ackermann, der

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Chef der Deutschen Bank, 7.720.000 Euro; eine 50 Jahre alte Krankenschwester einer Intensivstation müsste dafür ca. 228 Jahre arbeiten; der „gegangen wordene“ Daimler- ChryslerChef Jürgen Schrempp hat nach Berechnungen eines Wirtschaftsprofessors in seiner 10-jährigen Amtszeit eine Gesamtvergütung von etwa 100 Millionen Euro erhalten.2 Während die Gewinne mancher Unternehmen außergewöhnlich stiegen, wurden gleichzeitig Stellen abgebaut; der „einfache Mann“ ist von Arbeitslosigkeit bedroht. Die KapitalismusKritik Münteferings, die manche Investoren als >Heuschreckenschwärme <

Warum werden wir bei ungerechten Zuständen so schnell zornig und fangen lauthals an zu schimpfen? Es liegt natürlich daran, dass uns als Geschöpfen und Ebenbildern Gottes ein starkes Gerechtigkeitsempfinden zu eigen ist. Nach Psalm 97 sind „Gerechtigkeit und Recht...die Grundfeste seines Thrones“ (V. 2) und verkünden die „Himmel...seine Gerechtigkeit“ (V.6). Wir beziehen diese Gerechtigkeit meist auf die Heiligkeit Gottes, die ein völliges Abgesondertsein von jeglicher Sünde und negativer Haltung bedeutet. Aber umfasst sie auch so etwas wie soziale Gerechtigkeit? John Wimber formuliert pointiert: „Soziale Gerechtigkeit ist ein Kernstück des Evangeliums. Jesus zitierte eine bekannte Stelle aus Jesaja 61, um seinen Dienst einzuleiten und seinen Auftrag anzukündigen: „zu verkündigen das Evangelium den Armen...und den Zerschlagenen, dass sie frei und ledig sein sollen, zu verkündigen das Gnadenjahr des Herrn’ (Lk 4, 18-19)“ 3 Mit dem Gnadenjahr bezieht sich Jesus auf das sogenannte Jubeljahr (von „jobel“, Widderhorn) in 3. Mo 25, nach dem alle 50 Jahre die Familien wieder ihr Familieneigentum zurückbekamen. Es fand also eine große Umverteilung jeweils nach einem Lebensalter an Arbeit statt. Gott wollte damit Großgrund-

Das Jubeljahr fand nur jedes 50. Jahr statt, Jesus aber kündigte an, dass das anbrechende Königreich Gottes diese Art von Gerechtigkeit ständig widerspiegeln soll. Sicherlich hat Jesus in erster Linie den geistlichen und seelischen Bereich im Blick, er legt das Sabbat- und Jubeljahr gleichsam weiter aus; aber sein Dienst war immer auch mit einem Dienst an den Ärmsten verbunden. „Wenn wir Gemeinschaft mit Gott haben und wenn wir in seinem Königreich leben, werden wir Gerechtigkeit für alle Menschen um uns herum suchen. Soziale Gerechtigkeit ist keine neue Botschaft, sie entspringt direkt der Botschaft der Vergebung und dem neuen Leben in Jesus.“ 5 Die Kirchengeschichte bestätigt das: Geistliche Erweckungen waren oft mit sozialen Fortschritten verbunden, so die ersten Reformen des

http://www.rubert-online.com

Ist soziale Gerechtigkeit heute eine Illusion?

besitz verhindern, er zielte auf eine gleichmäßige Verteilung des Landes bei den freien Bauern Israels ab, wie überhaupt es unter seinem Volk „keine Armen geben“ (5. Mo 15,4) sollte. Alle 7 Jahre sollten außerdem im so genannten Sabbatjahr die Schulden erlassen werden. Jubel- und Sabbatjahr wurden am Versöhnungstag ausgeblasen, sie waren Gott „heilig“ (3. Mo 25, 12) und zeigten damit, dass Versöhnung und Heiligung schon im AT soziale und gesellschaftliche Auswirkungen beinhalteten. 4

Frühkapitalismus im Anschluss an John Wesley (1703 -1791), die dann auch den Boden bereiteten für den Sozialstaat in Deutschland.

Was ist überhaupt soziale Gerechtigkeit? Eine heutige Definition: „Letztendlich dreht sich die Frage der sozialen Gerechtigkeit immer um die der Gleichheit. Wie gleich müssen die Bürger, wie unterschiedlich dürfen sie sein, damit eine Gesellschaftsordnung als gerecht empfunden wird. Das heißt, soziale Gerechtigkeit hat nicht die Gleichheit aller Gesellschaftsmitglieder zum Ziel, sondern das Maß der sozialverträglichen Ungleichheit. Dass jemand, der viel und fleißig arbeitet, mehr verdient als jemand, der faul und nachlässig ist, dürfte allgemein akzeptiert sein.“6

Neben dieser so genannten Leistungsgerechtigkeit („Option für die Starken“) kann es aber auch eine durch eine unverschuldete Notlage entstandene Bedürftigkeit geben, die zu berücksichtigen ist. („Option für die Schwachen“) Zwischen den Prinzipien der leistungsgerechten Entlohnung und der bedürfnisgerechten Versorgung steht dann noch als drittes Prinzip das der Verhältnismäßigkeit, denn eine unverhältnismäßige Ungleichverteilung muss eine Gesellschaft destabilisieren und mindert zugleich den allgemeinen Wohlstand, da immer mehr Mittel zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit aufgewendet werden müssen. 7 Außerdem ist ja Entlohnung nicht immer leistungsgerecht. Dass ein Model x-mal so viel verdient wie eine Krankenschwester in der Intensivstation hat sicherlich nichts mit Leistungsgerechtigkeit zu tun, sondern mit Glück, gesellschaftlichen Ansichten über Schönheit - und dem Markt. Der Markt als das Aufeinandertreffen von Angebot und Nachfrage schafft z. B. bei Models, Sportlern und Entertainern völlig übersteigerte Einkom-

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men. Der Bundeskanzler verdient viel weniger als ein 22-jähriger Bundesligaspieler. Ist das gerecht? Was wir in Deutschland für sozial gerecht halten, ist immer eine Sache der Bewertung und muss politisch ausgehandelt werden. Im Sozialstaat Deutschland wird diese durch den Markt entstandene Ungerechtigkeit versucht abzumildern, indem höhere Einkommen durch die progressive Steuer nicht nur absolut, sondern auch relativ stärker belastet werden. Das Modell der so genannten „Sozialen Marktwirtschaft“ geht davon aus, dass der reine Markt allein nicht genügt, sondern dass für eine sozial gerechte Gesellschaft der Staat in vielen Bereichen als Regulativ auftreten muss, z. B. durch Sozial- oder Wettbewerbspolitik. Innerhalb dieser staatlichen Rahmenordnung finden dann vielfältige Umverteilungen statt, die auf einen sozialen Ausgleich abzielen. Es gibt aber heute nicht nur große Ungleichheiten zwischen den verschiedenen Berufstätigen (Bundeskanzler, Fußballprofi, Model), sondern auch Ungleichheiten zwischen denen, die einen Job haben, und denen, die arbeitslos sind. Es geht also heute hinsichtlich von sozialer Gerechtigkeit auch um Fragen der gesellschaftlichen Teilhabe. Dazu kommen noch die der Generationengerechtigkeit, wenn z. B. im Zuge des sog. Generationenvertrags heutige Arbeitnehmer für die Renten und Pensionen der älteren Generationen bezahlen oder der Staat durch seine Verschuldung hohe Lasten auf unsere Kinder legt.

Die Schwierigkeiten in globalisierten Zeiten Was bis vor einiger Zeit noch recht gut funktionierte in Deutschland, scheint heute Probleme zu machen. In globalisierten Zeiten ist es möglich, dass hoch besteuerte Arbeitnehmer und Arbeitgeber die Länder als Wohnsitz wechseln „wie die Hemden“. Außerdem steht der stark angewachsene Sozialstaat unter Finanzierungsproblemen wegen der demographischen Entwicklungen (immer mehr alte Men-

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schen, immer weniger junge) und der steigenden Arbeitslosigkeit. Dazu sehen sich die Unternehmen durch die Liberalisierungen im europäischen Binnenmarkt und globalen Welthandel einem verstärkten Wettbewerb ausgesetzt. Dieser trifft vor allem die Staaten hart, die wie Deutschland und Frankreich ihre staatliche Sicherung nach dem so genannten kontinentaleuropäischen Modell strukturiert haben. Die deutsche Sozialversicherung wird nicht über Steuern, sondern über Sozialabgaben finanziert: Renten-, Arbeitslosen-, Kranken- und Pflegeversicherung je zur Hälfte durch Arbeitnehmer (Arbeiter und Angestellte) und Arbeitgeber, die Unfallversicherung ganz durch die Arbeitgeber. Damit liegt ein Großteil unseres Sozialstaats auf den Schultern der Arbeitnehmer und Arbeitgeber; und die Arbeit wird durch die steigenden Beiträge sehr teuer. Die Westdeutschen liegen meist international an der Spitze der Arbeitskosten, die aus Lohn und Lohnnebenkosten (ca. 80 % der Lohnkosten) bestehen. Um das auszugleichen, wurde in Deutschland dort, wo es möglich ist, die Produktivität (z. B. durch verstärkte Rationalisierungen) erhöht, so dass Deutschland trotz höchster Arbeitskosten immer noch eine hohe Wettbewerbsfähigkeit besitzt und oft Exportweltmeister sein konnte – allerdings auf Kosten einer steigenden Zahl von Arbeitslosen! Die hohen Arbeitskosten führen nun dazu, dass Kapital verstärkt abwandert und vor allem geringqualifizierte Arbeit immer mehr nach Osteuropa oder Asien verlegt wird. Das heißt, die deutsche Wirtschaft steht mit der Globalisierung in einer wachsenden Spannung zwischen Wirtschaftlichkeit und sozialer Gerechtigkeit. Die Entstehung eines weltweiten Kapitalismus nach dem Zusammenbruch des Kommunismus und die forcierte Liberalisierung der Märkte, durch EU und WTO (Welthandelsorganisation), schafft vielen Ländern mit erweiterten Märkten erhebliche Wohlstandsgewinne. Auch globalisierte Länder der 3. Welt profitieren (z. B. Südkorea, jetzt China), im Gegensatz zu Ländern (z. B. in Afrika),

die an der Globalisierung nicht teilnehmen bzw. teilnehmen können. Allerdings treten auch erhebliche soziale und ökologische Probleme auf. Ein Beispiel: In China gibt es ca. 200 Millionen Wanderarbeiter, 1,3 Millionen arbeiten in Peking, z. B. am neuen Olympiastadion oder bei der Schienenverlegung für die neue UBahn; doch nur 2 % von ihnen sind unfallversichert, jedes Jahr sterben auf Pekings Baustellen 2.000 Menschen. In China ist nur jeder 6. krankenversichert, Millionen Chinesen müssen jedes Jahr frühzeitig sterben, weil sie für Arzt und Medikamente nicht bezahlen können. 8 In einem Fernsehbericht vom Juni 05 konnte man einen Wanderarbeiter sehen, der vor der Kamera seinen Oberkörper entkleidete: Wegen mangelnden Arbeitsschutzes waren ihm von einer Maschine beide Arme an den Armgelenken herausgerissen worden! Er und seine Familie bekamen nur eine geringe Entschädigung für diesen Unfall. Zwar wächst die Wirtschaft in den meisten Ländern der 3. Welt, aber unter hohen menschlichen Kosten, unter Arbeitsverhältnissen, die den unsrigen im 19. Jahrhundert gleichen. Und insgesamt geht die Schere zwischen reichen und armen Ländern auseinander. Immer noch müssen ca. 1 Milliarde Menschen mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen. Sie gelten als absolut arm, d. h. sie können nicht einmal die grundlegendsten Bedürfnisse wie Ernährung, Kleidung, Wohnung, Gesundheit und Bildung befriedigen und leben unter menschenunwürdigen Bedingungen. In den Entwicklungsländern ist das ca. jeder Fünfte.9 Jeden Tag sterben ca. 20.000 Menschen, weil sie zu arm sind, um am Leben zu bleiben; jedes Jahr sind das nach Berechnungen der UNO etwa 8 Millionen Menschen.10

Lösungsmöglichkeiten Es geht auf internationaler Ebene darum, eine sozialere und gerechtere Globalisierung zu erreichen. Ähnlich wie der Frühkapitalismus in Europa erst durch eine politische und soziale Rahmenordnung seine unmenschli-

chen Auswüchse verlor, ist auf globaler Ebene eine internationale Rahmenordnung vonnöten, z. B. durch WTO und UNO. In dieser Rahmenordnung sollen nicht die sozialen Errungenschaften der reicheren Länder auf die ärmeren übertragen werden – das könnten diese wirtschaftlich nicht verkraften –, sondern es wären soziale und ökologische Mindeststandards zu vereinbaren, wie z. B. gewerkschaftliche Vertretungsrechte, Arbeitsschutz, eine gewisse Kranken- und Unfallversicherung usw. Durch solche Mindeststandards versucht man in der EU, ein sozialeres Europa zu schaffen, und in gewisser Weise spiegelt sich ja in der EU eine Globalisierung im Kleinen, gegenüber der Weltgesellschaft natürlich auf höherem wirtschaftlichem und sozialem Niveau. Obwohl die Konzepte eigentlich vorliegen, wehren sich viele Länder dagegen, auch Entwicklungsländer, weil letztere durch diese Auflagen ihre Standortvorteile im internationalen Wettbewerb schwinden sehen und natürlich auch die Gewinne der Eliten in diesen Ländern geschmälert würden. Ohne solche Mindeststandards und ohne einen Schuldenerlass, den Gott schon im AT für unverzichtbar hält, ist ein menschenwürdiges Leben für die Ärmsten nicht zu verwirklichen. Diese internationale Rahmenordnung bedarf immer der Verbesserung: Wir sehen das z. B. auf europäischer Ebene, wo wir zur Zeit eine Mindestbesteuerung für Unternehmen benötigen. Wenn osteuropäische Länder der EU den ausländischen Unternehmen wenig bis keine Steuern abverlangen, gleichzeitig aber über die reichen Länder der EU Hilfsgelder kassieren, ist das ungerecht und führt insgesamt zu Steuerdumping. Ein anderes Beispiel: Skandalöserweise tragen wir Europäer zur Armut der 3. Welt erheblich bei, indem wir gegen die eigene marktwirtschaftliche Freihandelsdoktrin planwirtschaftliche Agrarsubventionen für die Landwirtschaft bezahlen, die fast die Hälfte des EU-Haushalts ausmachen. Diese Agrarsubventionen behindern den Handel der 3. Welt mit Agrargütern, die Verluste werden auf ein Vielfaches

der weltweit gezahlten Entwicklungshilfe beziffert! Weil auf internationaler Ebene eine Rahmenordnung erst in Ansätzen vorhanden ist und durch nationalstaatliche Egoismen immer wieder verhindert wird, muss natürlich auch auf nationaler Ebene reagiert werden. Dabei geht es vor allem darum, Sozialstaat und Globalisierung kompatibel zu gestalten. Für Deutschland zeigen sich zwei Wege: Der erste liegt eher im angelsächsischen Modell des Sozialstaats, das nur auf eine soziale Grundsicherung setzt und z. B. Gesundheit, Bildung u. a. privat organisieren lässt. Gegenüber unserem heutigen System würde das auf einen Abbau des Sozialstaats hinauslaufen. In den USA z. B. konnten viele neue Jobs geschaffen werden, vor allem im Niedriglohnbereich. Ein kritischer Witz dazu: „Es wurden 100 neue Jobs geschaffen, ich habe 3 davon.“ Verstärkt taucht das Phänomen der „working poor“ auf. Im Film „Bowling for Columbine“ von Michael Moore wird der Fall eines Grundschülers berichtet, der eine Mitschülerin erschossen hat. Bei den Recherchen stellte sich heraus, dass die allein erziehende Mutter zwei Jobs machen musste, um überleben zu können, und nachts immer erst sehr spät nach Hause kam. Der zweite Weg liegt eher im skandinavischen Modell, das es schafft, Globalisierung und hohen Sozialstaat miteinander zu verbinden, und dessen Länder ähnliche Arbeitslosenquoten aufweisen wie USA und GB. Der Grund liegt in einer anderen Struktur des Sozialstaats, der nicht so sehr auf der Arbeit liegt, sondern eher steuerfinanziert wird. Dadurch wird Arbeit in diesen Ländern wesentlich billiger als in Deutschland. „Der zweite Hebel, den die Skandinavier nutzen, ist die duale Einkommenssteuer. Sie besteuert Arbeitslöhne hoch, während Einkünfte aus Kapital – etwa Unternehmensgewinne, Zinsen und Dividenden – kaum belastet werden. So haben Finnland, Norwegen und Schweden in den letzten 15 Jahren ihre Steuersätze für Kapi-

taleinkommen halbiert. Statt bisher 72 Prozent verlangen sie nur noch 28 bis 30 Prozent. Diese Sätze gehören zu den niedrigsten aller Industrieländer. Dafür ist die Steuerbelastung für Arbeitnehmer in Skandinavien, trotz leichter Entlastungen, immer noch sehr hoch. Allerdings trifft es vor allem die Besserverdiener. Die Spitzensteuersätze liegen bei 52 bis 56 Prozent… Anders als die Deutschen schaffen es die Skandinavier auf diese Weise, ihren großzügigen Sozialstaat zu erhalten, ohne Investoren abzuschrecken – und gleichzeitig für sozialen Ausgleich zu sorgen. Nirgendwo sonst in Europa liegen Reich und Arm so nah beieinander wie in Skandinavien.“11 Die Situation Deutschlands ist nach den Autoren des eben zitierten ZeitArtikels „Der wankende Staat“ folgende: Wie der Esel des französischen Philosophen Buridan steht es zwischen zwei Heuhaufen und kann sich nicht entscheiden, von wem es fressen soll – und verhungert! Beiden großen Parteien mangelt es an überzeugenden Konzeptionen und Visionen; sie schwanken zwischen beiden Modellen!11

Was braucht Deutschland am dringendsten? Nochmals zu Hartz IV: Das Prinzip „Fördern und Fordern“ scheint in die richtige Richtung zu weisen, indem versucht wird, über finanzielle Anreize den gegenüber anderen Ländern hohen Anteil an Langzeitarbeitslosen abzubauen – wenn es denn genügend offene Stellen gäbe. Das Fordern von mehr Eigenverantwortung wirkt, vor allem im Osten, überzogen und versickert in bürokratischem Mehraufwand. Da man niemand Stellen vermitteln kann, die es nicht gibt, ist das Schaffen neuer Jobs die vordringlichste Aufgabe von Wirtschaft und Politik. Die Ungerechtigkeiten für die Ärmsten, beispielsweise die zu kurze Laufzeit von Arbeitslosengeld I (obwohl man lange selbst einbezahlt hat), der Zugriff auf mühsam erworbene Altersersparnisse (z. B. bei Lebensversicherungen), der falsche Anreiz, getrennt zu leben (da-

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Lebenshunger - Berichte von Menschen, die mit ihrer Essstörung zu kämpfen haben „VW-Sondermodell Hartz IV“ von Beck aus der Zeit vom 30.12.04

mit die Gelder nicht gekürzt werden), sollten behoben werden. Aber auch das nostalgische Festhalten am alten Sozialstaat, ohne zu sehen, dass die Globalisierung und die Situation alternder Gesellschaften uns in neue Zeiten katapultiert haben, führt nicht weiter. Deutschland braucht Reformen, unter anderem in vielen Bereichen des Sozialstaats.

Wie der Kommunismus ist der Ultrakapitalismus eine zerstörerische Ideologie; und es ist in Zukunft nicht sicher, ob dieser Wildwest-Kapitalismus nicht letztlich doch unsere natürlichen Lebensgrundlagen zerstört. Interessanterweise kündigt Gott in der Offenbarung sein Gericht an über die, „welche die Erde verderben.“ (Offb 11,18; )12

Alle seriösen Parteien sind sich einig: Die Arbeit ist in Deutschland zu teuer, die Lohnnebenkosten sind zu hoch. D. h. es geht in Deutschland um einen klugen Umbau unseres Sozialstaats, etwa hin zu einer stärkeren Steuerfinanzierung, z. B. über eine höhere Mehrwertsteuer bei gleichzeitig sinkenden Sozialbeiträgen. Auch die so genannte „Reichensteuer“ wie in Skandinavien scheint eine Möglichkeit, aber sie kann wegen der Möglichkeit, ins Ausland abzuwandern, nicht die einzige sein.

Soziale und ökologische Gerechtigkeit sind keine Illusionen, sondern Notwendigkeiten für das Überleben von Gesellschaften, national wie global. Sicherlich ist in einer gefallenen Welt Gerechtigkeit nie ganz zu erreichen. In unserer Welt ist es wichtig, den menschlichen Egoismus über Gewinnanreize kreativ werden zu lassen für den Wohlstand aller, Marktwirtschaft und sozial-ökologische Gerechtigkeit stehen dabei immer in einer gewissen Spannung zueinander. Aber damit die Welt überleben kann und demokratische Gesellschaften bestehen bleiben, sind sozial gerechte Rahmenordnungen verschiedenster Art vonnöten!

Soziale Gerechtigkeit – heute eine Illusion? Um nochmals auf die Ausgangsfrage des Artikels zurückzukommen: Soziale Gerechtigkeit ist natürlich auch heute keine Illusion! Dafür ist sie viel zu sehr ein Grundbedürfnis der Menschen, vor allem in demokratischen Gesellschaften; allerdings ist sie in globalisierten Zeiten in starke Bedrängnis gekommen. Sie stellt im Grunde aber immer noch eine pure Notwendigkeit dar, für ein menschenwürdiges Leben der Ärmsten – und für unser aller Überleben.

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4) Vgl. Gerd Flügel: Gottes geniale Sozialgesetze“. In: „Auftrag“, 64/1997 mit dem Titel „Die Erlösung für unsere Gesellschaft“, S. 21- 23 6) Eckhardt D. Stratenschulte: Soziale Gerechtigkeit – Utopie oder Herausforderung. In: Themenblätter zum Unterricht, 2005, Nr.44, Bundeszentrale für politische Bildung, S. 1 7) Vgl. auch R. H. Hasse u. a. (Hrsg): Lexikon Soziale Marktwirtschaft, Paderborn 2002, Kapitel „Soziale Gerechtigkeit“, S. 355ff 8) Vgl. Die Zeit , 21.07.2005, S. 21 9) Vgl. Die Zeit, 13.01.2005, S. 23 10) Vgl. SWP, 30.08.2005 11) Vgl. K. Rudzio und W. Uchatius: Der wankende Staat, in: Die Zeit, 25.05.2005 12) Vgl. auch die Ausführungen über die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse im endzeitlichen Babylon, der großen Stadt, in Offb.18, 10-19

Gerd Flügel

Quelle: Hrsg. Bundeszentrale für politische Bildung.53113 Bonn. Autor: Eckart D. Stratenschulte…….(s. Anm. 6) „VW-Sondermodell Hartz IV“ von Beck aus: „Die Zeit“ vom 30.12.04

Anmerkungen: 1) Vgl. Die Zeit, 12.8.04

3) John Wimber: „Liebe ist kein passives, es ist ein aktives Wort. Das Königreich Gottes und soziale Gerechtigkeit.“ In: „Der Auftrag“, Nr. 64, Sept. 1997, S. 11

Die Autorinnen sind der Redaktion bekannt, ihre Berichte – ohne Namensnennung – sind authentisch gehalten und redaktionell nur geringfügig gekürzt oder sprachlich überarbeitet.

5) John Wimber, ebenda, S. 12

Karikaturen:

2 ) Vgl. FAZ, 03.08.2004, und Südwestpresse, 05.08.2005

Die folgenden Lebensberichte wurden uns von ehemaligen Patienten unserer Fachklinik zur Verfügung gestellt. Sie sollen - wie es eine Absolventin unseres Programms zur Behandlung von Essstörungen formulierte - darauf hinweisen, dass eine intensive Nähe zu Gott notwendig sein kann, um die Augen zu öffnen für den tatsächlichen körperlichen Zustand. Der andere Hinweis zielt darauf ab, das Essverhalten überhaupt als gestört zu erkennen und den Mut aufzubringen, darüber in einer Gruppe Gleichgesinnter zu sprechen, sich zu „outen“.

geboren 1951, tätig als Ehemann, Vater von 4 Kindern, Lehrer und Leiter der ChristusGemeinde Rottenburg.

„Ich weiß nicht mehr, was der Auslöser dafür war, dass ich abnehmen wollte. Weder war ich zu dick, noch hatte irgendeiner zu mir gesagt, ich solle doch etwas abnehmen. Ich fand ganz einfach plötzlich Gefallen daran, den ganzenTag lang über Essen nachzudenken, die Kalorien zu zählen, viel Sport zu treiben und diesen Bereich meines Lebens allein zu beherrschen. Hier konnte mir keiner etwas verbieten, sich niemand nachdrücklich einmischen. Dieser Bereich gehörte mir! Darüber verfügte ich allein. Zugleich versprach er mir Halt und Orientierung im Leben - ja, er gab ihm sogar einen Sinn. Ich hatte alles im Griff. Ich war der Chef. Ich konnte bestimmen, wie viel ich aß und wie viel ich abtrainierte. Doch unbewusst geriet ich immer tiefer in die Sucht. Sie machte mit mir, was sie wollte. Nicht mehr ich hatte sie in der Hand, sondern sie mich. Und je mehr ich hineingeriet, desto mehr zog ich mich aus dem normalen Leben zurück. Ich igelte mich regelrecht ein. Einerseits wusste ich, was ich tat und wie sehr mich diese Abhängigkeit umklammerte. Andererseits wollte ich sie nicht aufgeben. Dazu war ich inzwischen auch nicht mehr fähig. Geradezu verzweifelt fragte ich mich: Was würde geschehen, wenn die Magersucht plötzlich nicht mehr da wäre? Sie war doch mein bester Freund, zugleich aber auch mein schlimmster Feind.

Und es ging weiter mit mir bergab. Wenn ich in den Spiegel blickte, konnte ich mich nicht mehr richtig sehen, alles war wie von einem Nebel zugedeckt - meine Gedanken, meine Gefühle und mein schon skelettartiges Aussehen. Ich erkannte auch nicht die Gefahren, auf die ich langsam zusteuerte. Schließlich brachten mich meine Eltern ins Krankenhaus, mein Gewicht befand sich an der untersten Grenze, ich musste ärztlich überwacht werden. Meine Eltern erlebten das alles schmerzlich mit. Ich wusste, dass sie Gott im Gebet immer wieder anflehten, doch einzugreifen. Sie selbst konnten mir nicht helfen. Hätten Sie mich gedrängt zu essen, hätte ich wahrscheinlich aus Protest noch weniger zu mir genommen. Nach dem Krankenhausaufenthalt fuhr ich mit meiner Cousine in den Urlaub. Nach dem Urlaub hatte ich ein eigenartiges Erlebnis: Als ich wieder einmal in den Spiegel schaute, sah ich zum ersten Mal, wie dürr ich war. Ein Skelett blickte mich an, und ich bekam schreckliche Angst. Wieder wollte ich zunehmen, aber es klappte nicht. Auch als ich nur noch Schokolade aß, weigerte sich der Körper, neu aufzubauen. Ängste und Panikattacken überfielen mich. Ich kämpfte mit meinen Gedanken wie mit Verfolgern, die mir immer wieder zuriefen, dass ich vor lauter Schwachheit gleich umkippen

würde. Erneut brachte man mich ins Krankenhaus, diesmal nur für eine Nacht, aber die Ärzte konnten auch nicht mehr tun. Sie sagten, es sei ein psychosomatisches Problem und rieten mir, eine entsprechende Klinik aufzusuchen. Das wollte ich auf keinen Fall. Schließlich konnte ich nicht mehr. So wollte ich nicht mehr leben. Ich war wie ausgebrannt. Eines Abends betete ich, dass Gott mir doch Frieden schenken möge, damit ich einschlafen könnte. Und plötzlich fühlte ich diesen Frieden wie nie zuvor. Da wusste ich, dass dieser Gott mich liebt und für mich da ist, und ich betete: „Lieber Gott, du siehst, wie es mir geht. Ich kann mir nicht mehr helfen. Ich kann nicht ankämpfen gegen meine Ängste. Ich werde getrieben von dieser Sucht und finde keinen Ausweg. Nur du allein kannst mir noch helfen! Wenn du wirklich da bist und alle Macht hast, dann komm! Ich übergebe dir alles.“ In diesem Augenblick fand ein Machtwechsel in meinem Leben statt. Gott kam und streckte mir seine Hand entgegen. Kurz danach entdeckten meine Eltern in einer christlichen Zeitschrift einen Artikel über eine christliche Klinik im Schwarzwald. Dieser Klinikaufenthalt gehört zu den schönsten Erlebnissen in meinem bisherigen Leben. Dort habe ich eine so wunderbare Gemeinschaft mit Gott erfahren. Ich habe mit den anderen Patienten gebetet, Lobpreislieder gesungen und später, als es mir besser ging, die Lieder auf dem Klavier begleitet. Endlich wurde mein Körper fähig, wieder zuzunehmen. Das war nicht einfach und brauchte seine Zeit. Doch ganz allmählich erfüllten mich neues Vertrauen und Hoffnung. Zum ersten Mal konnte ich wieder richtig leben! Dann erlebte ich, wie Gott meine Sucht auf sich nahm. Ich entdeckte, dass letztlich alles von ihm kommt das Wollen und das Vollbringen. Zum ersten Mal war ich frei von dem Zwang, endlos Sport treiben zu müssen, um abzunehmen. Auch die Ängste kamen seltener. Spürbar erlebte ich, dass Gott mich trägt, dass ich mich nicht mehr selber halten muss.

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Doch gleich nach dem Klinikaufenthalt bekam ich, aufgrund meines noch sehr schwachen Immunsystems, eine lang andauernde Viruserkrankung. Immer wieder war ich so schlapp, dass ich nichts tun und mich kaum bewegen konnte. Ich hatte Kreislaufprobleme, Verdacht auf eine Herzmuskelentzündung und musste lange im Krankenhaus und zu Hause liegen. In diesen Momenten erfuhr ich Gottes Hilfe und die Macht seiner Worte ganz besonders. Lobpreislieder, die ich gehört hatte, bewegten mich so sehr, dass ich weinen musste. Mehr und mehr lernte ich, in solchen Situationen auf Gott zu vertrauen und meine Angst bei ihm abzugeben. Doch nicht nur Immunschwäche ist eine Folge der Magersucht, ich bekam auch starken Haarausfall, Kreislaufprobleme, Gedächtnisstörungen, Ängste und wieder Depressionen. Der Arzt verschrieb Antidepressiva und empfahl eineTherapie. Dann aber traf mich ein Wort der Bibel: „Fürchte dich nicht, denn ich bin bei dir! Weiche nicht, denn ich bin dein Gott. Ich stärke dich, ich helfe dir auch, ich halte dich durch die rechte Hand meiner Gerechtigkeit“ (Jesaja 41,10). Ich wusste, Gott ist bei mir und kennt mich genau. Sobald die Ängste wiederkamen, verwandelten sie sich nach dem Beten in einen inneren Frieden. Im Laufe der Zeit lernte ich mehr und mehr, mich so anzunehmen, wie ich bin, weil Gott mich ja auch so annimmt. Vor ihm muss ich keine Leistungen vollbringen, denn seine Liebe ist bedingungslos. Für ihn bin ich unglaublich wertvoll. Ich bin sein Kind und bleibe es auch. Dass er in den Schwachen mächtig ist, konnte ich gleich zu Beginn des neuen Schuljahres merken: Schnell fand ich eine neue Gemeinde, christliche Freunde, einen Chor. Ich holte den Führerschein nach – und all das, obwohl ich noch mit den Nachwirkungen des Virus und den Depressionen zu kämpfen hatte. All diese Erfahrungen waren für mich wertvoll, denn ich habe durch sie gelernt, mein Vertrauen ganz auf Gott zu setzen, denn er ist treu und lässt mich nicht allein.“ (Kathrin)

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halten nicht verachten oder auslachen würden, Menschen, die wirklich verstehen.

„Vor mehr als einem halben Jahr entschloss ich mich nach – für mein Alter – verhältnismäßig langer Zeit der Depressionen, des selbstzerstörerischen Verhaltens, etlichen angefangenen und wieder abgebrochenen Seelsorgegesprächen und drei relativ erfolglosen Monaten in psychiatrischen Kliniken zu einer stationärenTherapie in der DE’IGNIS-Fachklinik. Neben all den anderen Therapieangeboten in meinem Wochenplan bot man mir zusätzlich die Möglichkeit, an einer Gruppe teilzunehmen, die sich speziell an Menschen mit Essstörungen richtet. Meine erste Reaktion darauf war ein entschiedenes NEIN. Ich wusste zwar, dass mir die Ärzte in den vorangegangenen Kliniken unter anderem die Diagnose „Bulimia nervosa“ (Ess-Brech-Sucht) gestellt hatten. Wirklich registriert hatte ich das aber nicht, noch wollte ich etwas an meinem Essverhalten ändern. Ich hatte nie gelernt, über mich und mein Essverhalten zu sprechen oder es mir selbst überhaupt nur einzugestehen. Ständig habe ich mir eingeredet, dass Gewichtsverluste und/ oder -zunahmen von 20 kg in zwei Monaten doch nichts Besonderes seien. Eigentlich sei es doch völlig normal, wenn man manchmal wochenlang fast gar nichts zu sich nimmt, sich ständig Ausreden überlegt, um nicht mit anderen zusammen zu essen. Aus lauter Scham habe ich mit der Zeit zu verdrängen versucht, wenn man sich absichtlich übergibt, weil man zu viel gegessen oder in einer Heißhungerattacke auch schon mal den halben Kühlschrank auf einmal geleert hat. Daher erschienen mir einzelne Bestandteile der Essgruppe regelrecht unmöglich: Das spezielle Essstö-

rungsprogramm setzt sich nämlich in wesentlichen Bestandteilen zusammen aus dem gemeinsamen Mittagessen der Essgruppe – zusammen mit einer Krankenschwester – mit anschließender Reflektionsrunde, wöchentlichem Kochen in der Lehrküche, Ernährungsberatung, je nach den Gewichtszielvereinbarungen, regelmäßigem Wiegen, der Gruppe „Konzentrative Bewegungstherapie und dem Führen eines persönlichen Essprotokolls. Schließlich beschloss ich allerdings, für eine gewisse Zeit an der Gruppe als „Probegast“ teilzunehmen. Indem ich den Äußerungen der anderen in der Reflektionsrunde zuhörte, merkte ich allmählich, dass auch sie ganz ähnliche Angewohnheiten von sich kannten wie ich selbst. Mit der Zeit begann ich mich zu fragen, ob meine Essgewohnheiten wirklich so normal waren, wie ich es mir vormachte. Ich habe immer geglaubt, dass nur solche Menschen als bulimisch gelten, die extrem untergewichtig sind. Mit der Zeit verstand ich allerdings, dass das niedrige Gewicht eines Menschen nicht der einzige Hinweis auf eine Essstörung ist. Ich habe lange gebraucht, bis ich verstand, dass ich eine Essstörung habe; durch diese Erkenntnis verschlimmerte sich mein Zustand noch, weil zu all den anderen Gedanken nun noch das Empfinden von Schuld und Scham kam. Der Teufelskreis aus Essen, Selbsthass, Erbrechen und erneutem Essen, indem ich mich befand, drehte sich immer und immer weiter. Erst nach und nach begann ich, darüber ein ganz bisschen zu reden, hatte aber zum ersten Mal in meinem Leben das Gefühl, dass es andere Menschen gibt, denen es genauso geht, die mich für mein Ver-

Das therapeutische Team hat mich in der Hinsicht ebenfalls beeindruckt. Ich hatte nie das Gefühl, zum Essen gezwungen oder schief angeschaut zu werden, wenn ich mal nicht alles schaffte, was einem das Küchenteam auf den Teller lud. Ich konnte immer selbst entscheiden, was ich aß – abgesehen von der Vorgabe, sowohl die Vorspeise, als auch ein Hauptgericht zu versuchen – und wann für mich der Punkt kam, an dem ich aufhören wollte. Mit der Rückmeldung in der Reflektionsgruppe, dem Essprotokoll und dem regelmäßigen Wiegen habe ich ganz langsam wieder gelernt, ein zumindest halbwegs realistisches Bild über Menge und Kalorienzahl der Nahrung zu entwickeln. Ich möchte nun nicht so tun, als ob ich seitdem wirklich symptomfrei bin. Das Wissen um die Essstörung macht einige Dinge nur noch komplizierter. Ich erlebe immer wieder, dass mein Essverhalten von dem meiner Mitmenschen noch deutlich abweicht und meine Gedanken um Gewicht und Figur kreisen. Ich trage auch weiterhin noch Hosen und Pullover, die mir 3 Nummern zu groß sind, um mich darin zu verstecken; auch schlage ich immer noch einen großen Bogen um alle Spiegel in meiner Umgebung, weil ich meinen Anblick nicht ertragen kann. Mir fällt es heute noch schwer, regelmäßig und ausgewogen zu essen – ohne Heißhungerattacken oder Hungerphasen – aber die Zeiträume zwischen den Essanfällen werden allmählich immer größer. Ich weiß jetzt, dass ich mit diesen Schwierigkeiten nicht alleine dastehe, dass es andere Menschen gibt, die genau das Gleiche durchleben oder durchlebt haben. Und ich habe erkannt, dass ich ein wirkliches Problem habe, eine Krankheit, aus der ich nur sehr langsam herausfinden kann. Ich kann immer noch nicht sagen, woher diese große Leere kommt, die ich in mir fühle. Doch eines weiß ich jetzt zumindest: Das Essen oder vielmehr das Nicht-Essen ist nicht dazu in der Lage, diese Leere zu füllen.“

Wie Gott unseren Lebensdurst stillt

VON DR. ROLF SONS

E

in Pfarrerskollege erklärte mir vor einiger Zeit seine „Missionsstrategie“: „Ganz schlicht versuche ich in den Leuten die Sehnsucht nach dem Glauben zu wecken.“ Mit diesen Worten brachte er sein Anliegen auf den Punkt. Die Menschen an seinem Ort wollen vom Glauben offensichtlich nicht viel wissen. Doch leitet ihn die Überzeugung, dass hinter aller Ignoranz und Gleichgültigkeit doch eine heimliche Sehnsucht nach Gott in den Menschen lebt. Durch Hausbesuche, Gespräche über den Gartenzaun sowie durch Predigten will er an dieser Sehnsucht anknüpfen oder diese auch ganz neu aufwecken. Die Menschen seiner Gemeinde sollen eine Ahnung davon

bekommen, dass Gott sowohl der Grund als auch das Ziel ihrer Sehnsucht ist. Mit der Frage nach der Sehnsucht des Menschen nach Gott berühren wir ein heißes Eisen, das innerhalb der Theologie kontrovers diskutiert wird. So wird auf der einen Seite die Frage nach einem „Anknüpfungspunkt“, d. h. nach einer im Menschen angelegten Beschaffenheit für den Glauben völlig geleugnet (Position von Karl Barth). Auf der anderen Seite wird dieser Anknüpfungspunkt in der Gottes-Sehnsucht des Menschen gesehen (Position von Emil Brunner, Adolf Schlatter und am markantesten bei Wilhelm Lütgert). Die erste Position geht davon aus, dass der Mensch gleich einem Stein völlig

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taub und hart gegenüber Gott ist und als natürlicher Mensch überhaupt keinen Sensor für Gott besitzt. Die zweite Position, der ich mich anschließe, sieht sehr viel stärker, dass der Mensch ein religiöses, d. h. auf Gott hin angelegtes Wesen ist, das ein Gottesbewusstsein und trotz seinem Sündersein eine „religiöse Anlage“ besitzt. Ich möchte im Weiteren diesen Gedanken entfalten und dabei vom biblischen Befund ausgehen:

A

Der Mensch in seiner Sehnsucht nach Gott

Das in der Bibel mit „Seele“ übersetzte Wort geht in der Regel auf das alttestamentliche Grundwort „nefesch“ zurück. Nefesch meint nun aber mit Seele nicht nur einen Teil des Menschen. Vielmehr bezeichnet es den Menschen als Ganzen und zwar in seiner leibhaften Gestalt. Der Mensch hat daher nicht eine Seele, sondern er ist eine lebendige Seele (vgl. Gn 2,7). Interessant ist nun die Grundbedeutung des Wortes. „Nefesch“ bezeichnet nämlich das Organ der Nahrungsaufnahme und der Sättigung. Der Körperteil also, mit welchem der Mensch Hunger und Durst am intensivsten verspürt, bezeichnet den Menschen als Ganzen. Der Mensch ist seinem Wesen nach eine dürstende Kehle. So kann die Seele des Menschen verschmachten (Ps 107,9) oder nach frischem Wasser lechzen (Ps 42,2). Sie kann austrocknen wie ein dürres Land (Ps 143,6) oder sich vor Verlangen verzehren (Ps 84,3). Der Gegenstand des Seelenhungers bzw. der Sehnsucht ist dabei immer Gott. Er erquickt die Seele (Ps 23,3), stillt sie (Ps 63,2), stützt und erhält sie (54,6). Wir müssen nun einen Moment inne halten. Denn an dieser Stelle zeichnet sich bereits die ganze Tragik des Menschen ab. Was wird der Mensch als ein Bedürftiger, als ein Sehnsüchtiger und als ein Verlangender nicht alles unternehmen, um seine Sehnsucht zu stillen? Wohin wird er sich nicht wenden, um in seiner Seele satt zu werden? Was wird er nicht alles aufsuchen, um den Sinn und Halt seines Lebens zu finden?

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Weit schlimmer noch: auf seiner Suche werden ihm Enttäuschungen nicht erspart bleiben, Hoffnungen werden sich als Trugschlüsse zu erkennen geben und Heilsversprechen werden sich als Surrogate offenbaren. Sein Schicksal ist es, seiner eigenen Bedürftigkeit zwar bewusst zu sein. Vor allem in Krisenzeiten treten ihm die grundlegenden Lebensfragen vor Augen. Gleichzeitig aber ist er nicht in der Lage, diese Grundfragen aus sich heraus zu beantworten bzw. seine Sehnsucht aus eigenen Kräften zu stillen. So bleibt die Sehnsucht: Die Sehnsucht nach erfülltem Leben und dauerhafter Liebe, nach beständiger Treue und nach Heimat. Im Grunde ist es die Sehnsucht nach der Ewigkeit. So bleibt der Mensch sein Leben lang ein Suchender und Sehnsüchtiger, der jenseits von Eden sein Dasein fristet.

B

Die unerfüllte Sehnsucht des Menschen

Kaum ein Buch der Bibel schildert die fehlgeleitete Suche des Menschen so eindrücklich wie das Buch des Predigers Salomon. Dort heißt es: „Er hat alles schön gemacht zu seiner Zeit, auch hat er die Ewigkeit in ihr Herz gelegt; nur dass der Mensch nicht ergründen kann das Werk, das Gott tut weder Anfang noch Ende.“ (Pred 3,11). Die Ewigkeitssehnsucht des Menschen findet hier ihre Bestätigung. Der Mensch besitzt so etwas wie eine Antenne für die Ewigkeit. Alle Religionen und auch die meisten Philosophen werden dies bestätigen. Gleichzeitig aber wird eine Skepsis

laut: Der Mensch kann das Werk Gottes nicht ergründen. So sehr der Mensch um die Ewigkeit Gottes weiß, so sehr liegt sie jenseits einer Grenze, über die er nicht hinauskommt. Weder intellektuell noch moralisch kann er von sich aus diese Grenze überschreiten. Vier solcher vergeblicher Versuche, der Ewigkeit, d. h. dem Sinn und dem Grund des Lebens auf die Spur zu kommen, werden im Predigerbuch ausgeführt. Zunächst zeigt der Prediger den philosophischen Weg auf (1,13-18). Die Menschen aller Zeiten haben versucht, die Urgründe der Welt und was sie im Innersten zusammenhält, gedanklich zu erforschen. Der Prediger erkennt dieses Bemühen an. Gleichzeitig aber sieht er auch, wie unvollkommen und unfertig das menschliche Trachten nach Weisheit ist. Im Grunde ist es ein Haschen nach Wind (1,14). Der philosophische Weg entpuppt sich daher als ein Irrweg. Eine weitere Möglichkeit, dem Leben einen Sinn abzugewinnen, besteht im genießerischen Leben (2,1-2). Ist nicht, wie Epikur sagt, die Lust der Sinn des Lebens? Hat Horaz mit seinem „Carpe diem“ nicht recht? Sollten wir das Leben nicht einfach genießen? Wer weiß schon, was morgen kommt? – Der Prediger sieht tiefer. Auch ein bacchischer Lebensstil (vgl. Bacchus, in der Antike der Gott des Weines und der Lebensfreude) vermag die Sehnsucht nicht zu stillen. Auch die Lust ist eitel. Weiter betrachtet der Prediger den kulturellen Weg, durch Fortschritt und

Technik dem Leben einen Sinn zu geben (2,3-11). Tatsächlich kann der Mensch als Erbauer und Gestalter der Welt eine tiefe Daseinsbefriedigung finden. Doch so sehr dieser Weg in der Menschheitsgeschichte auch erfolgreich beschritten wurde und wird, sieht der Prediger auch hierin nicht die Antwort auf den letzten Sinn des Lebens. Er durchschaut, wie alles Geschaffene unter dem Vorzeichen der Vergänglichkeit steht und er am Ende seines Lebens all seinen Besitz loslassen muss. Am Ende bleibt allein der religiöse Versuch, durch Sitte und Moral dem Leben Sinn und Gehalt zu geben. Aber auch diesbezüglich ist der Prediger ernüchtert. Unter den Menschen herrscht Ungerechtigkeit und Bosheit. Gesetze und Ordnungen werden übertreten. Wie alle Lebewesen wird der Mensch am Ende sterben. Eine Gewissheit gibt es letztlich nicht. Die Tür zum Paradies bleibt verschlossen. So sehr die Einsichten des Predigers auch von Pessimismus gezeichnet sein mögen, so finden sie doch Widerhall in unserer Wirklichkeit. Die Systeme und Gedankengebäude der Philosophen vermögen unserem Leben keinen letzten Halt zu geben. Spaß- und Genussgesellschaften jeder Art hatten und haben keinen Bestand. Die Einsicht, dass allein die Arbeit den Menschen frei macht, ist zur Genüge widerlegt. Unserer eigenen Vergänglichkeit sind wir gewahr. Wir Menschen kommen an unsere Grenzen: sowohl intellektuell als auch ökonomisch, kulturell wie auch existentiell. Was wir brauchen, ist eine tiefere und tragfähigere Antwort auf das Leben. Diese können wir uns allerdings nicht selbst geben. Sie muss uns vielmehr geschenkt werden.

C

Die in Jesus Christus erfüllte Sehnsucht

In einem österreichischen Hausspruch heißt es: „Der Geist des Menschen wird nicht satt von allem, was die Erde hat. Den Menschen sättigt nicht die Zeit. Ihn sättigt nur die Ewigkeit.“

Sollte dieser Hausspruch die Antwort enthalten auf die Frage, was der Mensch im Grunde braucht und seine Bedürftigkeit stillt?

„Der Geist des Menschen wird nicht satt von allem, was die Erde hat.“ Der Mensch ist als Geschöpf auf die Gemeinschaft mit seinem Schöpfer angelegt. Die Schöpfungsgaben, also die Fähigkeit zu arbeiten und zu gestalten, zu forschen und zu genießen, darf er dankbar annehmen und gebrauchen. Doch dürfen sie ihm nicht Ersatz für Gott selbst sein. Der Versuch, die Schöpfungsgaben ohne den Schöpfer zu gebrauchen, führt in die Irre und letztlich in die Verzweiflung. Der Mensch erhebt sich selbst, auch wenn es nur ganz verborgen und subtil geschieht, zu Gott. Dies aber führt ihn in die Krise und Überforderung. Der Grundirrtum liegt dort, wo der Mensch mit dem Geschaffenen und nicht mit Gott selbst seine Grundbedürfnisse stillen möchte. Wo dies geschieht, besteht die Gefahr der Vergötzung des Geschaffenen. Der Mensch wird zum Sklaven seiner Sehnsucht.

„Mein Gott, mein Gott warum hast du mich verlassen.“ Gott begibt sich in seinem Sohn an den Ort der allertiefsten Bedürftigkeit. Hunger und Durst verspürt er nun am eigenen Leib. Nur so aber kann er unsere bedürftige Seele erlösen. Indem Jesus den Seelenhunger aushält, kann er ihn stillen. Indem er das Leiden annimmt, kann er davon befreien. In Jesus, dem Gekreuzigten und Auferstandenen werden die menschlichen Grundbedürfnisse gestillt: das Bedürfnis nach Vergebung und Befreiung genauso wie das Bedürfnis nach Gemeinschaft und Annahme. Aber auch Trost und Geborgenheit werden uns durch ihn geschenkt. Jesus ist das Brot des Lebens (Joh 6,35), welches das hungernde und sehnende Loch im Herzen eines jeden Menschen zu füllen vermag. Im Abendmahl schenkt er sich uns immer und immer wieder aufs Neue. So sättigt er die bedürftige Seele.

Dr. med. Rolf Sons Das Geschaffene kann die Seele des Menschen nur kurzfristig erfüllen und nähren, nicht bleibend. Das Geschaffene kann uns zwar durchaus Freude bereiten. Erfolg kann uns anspornen. Die Liebe zwischen Menschen kann beglücken. Was die Seele jedoch dauerhaft nährt und am Leben erhält, sind nicht die Gaben, sondern allein Gott selbst, wie er sich uns in Jesus Christus gezeigt hat. „Den Menschen sättigt nicht die Zeit, ihn sättigt nur die Ewigkeit.“ Nicht allein der Mensch besitzt eine Sehnsucht nach Gott. Gott besitzt auch eine Sehnsucht nach dem Menschen. Diese Sehnsucht trieb ihn, Mensch zu werden. Der die Seele zu sich hin geschaffen hat, stillt sie auch und zwar dort, wo wir es am wenigsten vermuten: am Kreuz. Am Kreuz wird Gott selbst bedürftig. Am Kreuz schreit der Sohn seine eigene und die Bedürftigkeit der ganzen Welt hinaus in die finstere Nacht:

Rolf Sons, Jahrgang 1961, verheiratet, 5 Kinder zwischen 8 und 18, Pfarrer der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, 10 Jahre Gemeindepfarramt, zur Zeit freigestellt als Studienleiter am Albrecht-Bengel-Haus in Tübingen, Promotion zum Thema „Seelsorge zwischen Bibel und Psychotherapie“ bei Prof. Manfred Seitz in Erlangen.

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Ist die Gottesbeziehung eine psychologische Bindung?

VON DR. PHIL. MATTHIAS RICHARD

I

n der christlichen Literatur wird viel von der Wichtigkeit einer personalen Beziehung zu Gott bzw. Jesus Christus gesprochen. Teilweise wird sogar das Vorhandensein einer solchen „lebendigen“ Beziehung zu dem Kriterium erhoben, ob jemand „richtig gläubig“ ist oder nicht. Was bedeutet jetzt aber „lebendige Beziehung“? Wie sieht so eine Beziehung aus? Wie lässt sie sich beschreiben? Wie funktioniert sie? Was beeinflusst sie? Diese Fragen stellen sich mir als neugierigem Psychologen, und da liegt es nahe, den Blick auf die bereits bestehende Literatur und entsprechende Theorien über menschliche Beziehungen zu werfen. Bei diesem Ausflug in die Fachliteratur stößt man schnell auf die so genannte „Bindungstheorie“, die sich (in ihrem Ursprung) speziell mit der Beziehung zwischen Eltern und Kindern beschäftigt – eine Beziehung, die auch in der

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Bibel häufig als Beispiel oder Bild für die Beziehung zwischen Gott und Mensch genannt wird (z. B. Ps. 103,13; Jes. 66,13; Matth. 18,3). Dieser Beitrag will die Grundgedanken der Bindungstheorie und seine Übertragung auf die Beziehung zwischen Gott und Mensch darlegen, da sie fruchtbare Gedankenanstöße für die Arbeit in Beratung und Therapie liefern kann.

Bindungstheorie Die Bindungstheorie entstand in der Mitte des zurückliegenden Jahrhunderts. Ihr wichtigster Begründer, der englische Psychiater J. Bowlby, beschreibt darin zunächst Unterschiede im kindlichen Verhalten, wie sie sich aus der Interaktion von Kindern mit ihren primären Bezugspersonen (meist den Eltern) entwickeln. Sie verbindet biologische, soziale, kognitive und emotionale Elemente miteinander,

versucht also, sehr viele Aspekte des Menschen zu berücksichtigen. Sie geht davon aus, dass das Kind ein Bedürfnis nach Sicherheit, Geborgenheit und Kontakt hat. Zwischen Eltern und Kindern entsteht ein emotionales Band (Bindung), innerhalb dessen das Kind durch die Nähe zur Bezugsperson Schutz vor Gefahren und Möglichkeiten zum Lernen erhält. Das Kind kann von Geburt an Kontakt und Nähe zur Bezugsperson herstellen, entweder durch aktives Aufsuchen der Bezugsperson (Suchen, Krabbeln etc.) oder indem es die Bindungsperson veranlasst, sich um es zu kümmern (Weinen, Schreien, Mimik etc.). Die Bezugsperson ihrerseits reagiert auf solche Signale in der Regel fürsorglich und geht auf die Bedürfnisse des Kindes ein. Die Bezugspersonen – in der Sprache der Bindungstheorie werden sie „Bindungsfigur“ genannt – haben für die

Kinder eine überlebenswichtige Funktion: einerseits sind sie der Ort, an dem die Kinder Geborgenheit und Schutz erfahren und zu dem sie bei Gefahr fliehen können („sicherer Hafen“), andererseits bilden die Bindungsfiguren einen sicheren Ausgangspunkt („sichere Basis“), die es dem Nachwuchs ermöglicht, die Umgebung zu explorieren. Sie sind der Dreh- und Angelpunkt, zu dem die Kinder Nähe suchen und zu dem sie immer wieder Kontakt aufnehmen, um sich der Sicherheit zu vergewissern. Im Laufe der Zeit merken sich die Kinder, wie die Beziehung zu den Eltern beschaffen ist und was sie unternehmen müssen, um sich sicher und geborgen zu fühlen – die Bindung an die Eltern nimmt bestimmte Formen an, so genannte Bindungsstile (s. u.). Entgegen früherer Meinungen ist der Bindungsstil zur wichtigsten Bindungsfigur nicht so prägend, dass alle weiteren Bindungen den gleichen Bindungsstil aufweisen würden; vielmehr belegen Studien, dass schon 1-jährige Kinder zu Mutter und Vater unterschiedliche Bindungsmuster aufweisen können. Schließlich ist noch wichtig zu erwähnen, dass auch im Erwachsenenalter Bindungen zu anderen Erwachsenen bestehen können, insbesondere in engen freundschaftlichen Beziehungen und in der Partnerschaft. Es ist jedoch notwendig zwischen Beziehungen und Bindungen zu unterscheiden, da Beziehungen nicht gleichwertig sind. Es gibt oberflächliche, deren Verlust eine Person kalt lässt, aber auch tiefe Beziehungen, die mit deutlich mehr Empfindungen einhergehen. Aber auch eine tiefe Beziehung ist noch nicht unbedingt eine Bindung! Von einer tiefen und gefühlsmäßig geprägten Beziehung – einem „emotionalen Band“ – kann nur gesprochen werden, wenn die Beziehung lange andauert, die Bezugsperson nicht einfach austauschbar ist, zu ihr eine gewisse Nähe besteht und die Beziehung „emotionale Wertigkeit“ besitzt; aber erst wenn bei der Bezugsperson zusätzlich noch Geborgenheit und Sicherheit gesucht werden, handelt es sich um eine echte Bindung.

Gibt es eine Bindung an Gott? Können nun Menschen zu Gott eine psychische Bindung aufbauen, so dass Gott für sie – aus psychologischer Perspektive – die Funktion einer Bindungsfigur innehat? In der Fachliteratur wird dies als sehr plausibel angenommen, wenn auch die klaren wissenschaftlichen Belege dafür (noch) fehlen. Es sprechen allerdings eine ganze Reihe von Argumenten dafür: Man kann argumentieren, Gott könne eine geradezu ideale Bindungsfigur darstellen, wenn er als immer erreichbar und absolut verlässlich wahrgenommen werde. Gläubige Menschen schöpfen aus der Beziehung zu Gott Trost und Kraft und erleben intensive Gefühle des Angenommen- und Geliebt-Seins, Gefühle der Ehrfurcht oder auch der Angst. Das Wissen um die Allgegenwart, Allmacht und Fürsorge Gottes lässt sie ihre alltäglichen Aufgaben vertrauensvoll angehen (sichere Basis). Gläubige Menschen vertrauen darauf, dass Gott sie in gefährlichen oder schwierigen Zeiten beschützt und tröstet (sicherer Hafen). Geraten Menschen in Krisen, suchen sie vermehrt Hilfe bei Gott, indem sie beten oder sich zur Besinnung in eine Kirche zurückziehen. Auch Konversionen treten gehäuft in persönlichen Krisenzeiten auf. Die regelmäßige Teilnahme an Gottesdiensten und anderen Veranstaltungen lässt sich als Nähesuchen und Kontaktaufnahme verstehen, um sich der Sicherheit bei Gott wieder neu zu vergewissern. Ausgehend von diesen Beobachtungen sollte es folglich Personen geben, für die die Gottesbeziehung zentral ist, und diese Beziehung kann möglicherweise Qualitäten einer psychologischen Bindung aufweisen. Ebenso ist es plausibel anzunehmen, dass anhand der Erfahrungen mit Gott – ähnlich wie aus den elterlichen Bindungserfahrungen – die Bindung an ihn Gestalt gewinnt und eine bestimmte Form bzw. einen bestimmten Stil annimmt. Zugleich muss auf zwei grundlegende Unterschiede zwischen rein menschlichen Bindungen und einer möglichen Bindung zwischen Gott und

Mensch hingewiesen werden, da ein Mensch – im Gegensatz zu Gott – mit allen Sinnen unmittelbar erlebbar ist. Beziehungen von Mensch zu Mensch unterscheiden sich hinsichtlich der körperlichen Nähe und der direkten beidseitigen Kommunikation von der Beziehung zwischen Mensch und Gott. Wir sagen zwar häufig, dass wir uns Gott nahe fühlen (oder gerade nicht), jedoch kommt dieses Empfinden ohne direkten körperlichen Kontakt zustande. Ebenso reden wir im Gebet mit Gott, jedoch ist Gottes Reaktion darauf nicht in akustisch hörbaren Worten bzw. sichtbarer Gestik und Mimik direkt erkennbar. Gerade dieser Aspekt bringt eine mit Unsicherheit behaftete Facette mit sich: wenn ich Gottes Reden an mich nicht direkt, wie damals zu Lebzeiten Jesu, wahrnehmen kann, muss ich es aus anderen Dingen (z. B. Aussagen anderer, einem Gedanken und/oder Eindruck, einer gerade gelesenen Textpassage, etc...) herleiten und interpretieren. Bei solchen Interpretationen spielen dann wiederum eigene Vorerfahrungen und Erwartungen (also die berühmte rosa oder graue Brille) eine Rolle. Als Ergebnis bleibt also vorläufig, dass es durchaus sinnvoll ist, die Gottesbeziehung als mögliche Bindung aufzufassen, wenn auch die gerade genannten Unterschiede zu beachten bleiben.

Bindungsstile Bereits im Alter von einem Jahr sind bei Kindern verschiedene Bindungsstile in Bezug auf die Eltern zu unterscheiden: der sichere, der ambivalente, der vermeidende und der desorganisierte Stil. Auch bei Erwachsenen lassen sich unterschiedliche dieser Bindungsstile (zu den Eltern wie auch zum Partner) beobachten. Im dem roten Kasten stehen Statements, wie Personen eines bestimmten Bindungsstiles ihre Beziehung zu einer anderen Person X idealtypisch charakterisieren würden. Der sichere Bindungsstil ist durch das Wissen charakterisiert, von der Bezugsperson akzeptiert zu sein und sich auf sie verlassen zu können. Gefühlsmäßige Nähe zur Bezugsperson wie auch das Alleinsein fallen

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sicher gebundenen Personen leicht. Ängstlich-vemeidende Personen empfinden die Nähe zur Bezugsperson als unangenehm. Obwohl sie sich eine enge Beziehung wünschen, fällt es ihnen aus Furcht verletzt zu werden schwer, der Bezugspersonen zu vertrauen oder von ihr abhängig zu sein. Prä-okkupierte (was so viel bedeutet wie „ständig damit beschäftigt“) Personen möchten sich der Bezugsperson dauerhaft sehr nahe fühlen, oftmals mehr, als der Bezugsperson recht ist. Sie signalisieren häufig den Wunsch nach Nähe, und es scheint ihnen ohne enge Beziehung nicht gut zu gehen. Es besteht Angst, von der Bezugsperson abgelehnt zu werden. Vermeidend-distanzierte Personen meiden gefühlsmäßig enge Beziehungen. Ihnen ist es wichtig, sich unabhängig und selbständig zu fühlen und auch niemanden von sich abhängig zu wissen.

sicher: Es fällt mir leicht, X* gefühlsmäßig nahe zu kommen. Es geht mir gut, wenn ich mich auf X verlassen kann und X sich auf mich verlässt. Ich mache mir keine Sorgen, dass ich alleine sein könnte oder dass X mich nicht akzeptieren könnte.

prä-okkupiert: Ich möchte X gefühlsmäßig sehr nahe sein, aber merke oft, dass X mir nicht so nahe sein möchte, wie ich ihm/ihr. Ohne enge Beziehung geht es mir nicht gut. Ich denke manchmal, dass X mich nicht so sehr schätzt, wie ich ihn/sie.

distanziert-vermeidend: Es geht mir auch ohne enge gefühlsmäßige Bindung gut. Es ist sehr wichtig für mich, mich unabhängig und selbständig zu fühlen. Ich ziehe es vor, wenn ich nicht von X abhängig bin und X nicht von mir abhängig ist.

ängstlich-vermeidend: Ich empfinde es manchmal als ziemlich unangenehm, X nahe zu sein. Ich möchte eine Beziehung, in der ich X nahe bin, aber finde es schwierig, ihm/ihr vollständig zu vertrauen oder von ihm/ihr abhängig zu sein. Ich fürchte manchmal,

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dass ich verletzt werde, wenn ich mir erlaube, X nahe zu kommen.

* Für X kann eine nahe stehende Person oder Gott bzw. Jesus eingesetzt werden. Die Bindung enthält eine ganze Reihe von Elementen, die insgesamt die Bindung ausmachen. Sie umfasst für jeden Stil bestimmte Erfahrungen mit und Erwartungen an die Bindungsfigur; sie hat Auswirkungen auf das Selbstbild einer Person, bestimmt die emotionalen Ziele für die Beziehung und enthält die Handlungsstrategien, um diese Ziele zu erreichen. Zwei (frei erdachte) Beispiele für eine sichere und eine distanziert-vermeidende Bindung sollen dies erläutern: Eine sichere Bindung an Gott wäre demzufolge durch folgende Punkte charakterisiert:

1

vorwiegend positive Erinnerungen an Situationen, in denen Gott als schützend oder fürsorglich erlebt wurde. (z. B. wenn jemand trotz Autounfall keine ernsthafte Verletzung erlitten hat oder wenn eine im Gebet vorgebrachte Bitte in Erfüllung gegangen ist).

2

Darauf basieren Erwartungen an das wahrgenommene Verhalten Gottes, z. B. das Vertrauen, dass Gott auch in gefährlichen Situationen beschützt. Diese beiden Punkte beeinflussen wiederum das Selbstbild; etwa in der Aussage: „Ich bin so wertgeschätzt, dass Gott mich beschützt bzw. auf meine Bitten eingeht“.

3

In der Beziehung zu Gott hat die Person das Ziel, sich ihm nahe (weil sicher) zu fühlen und eigenständig Ziele zu verfolgen, weil man den Schutz Gottes im Rücken weiß.

4

Um diese Ziele zu erreichen wird häufig auf Gebet, Stille Zeit oder Gottesdienstbesuch zurückgegriffen bzw. wird eine Person mit viel EigenEngagement aktiv seine Alltagsaufgaben angehen. Was den Kontakt mit Gott angeht, so wäre laut Bindungstheorie bei sicher gebundenen Personen zu erwarten, dass sie sowohl positive (Dank und Bitten) als auch negative Dinge (Enttäuschung oder Ärger) vor Gott bringen.

Eine distanziert-vermeidende Bindung an Gott, könnte ungefähr so aussehen:

1

Einigen positiven Gotteserlebnissen stehen mehr (oder intensivere) negative entgegen (z. B. wenn eine Partnerschaft trotz innerer Gewissheit, die „Richtige“ gefunden zu haben – auch vor Gott – , wieder zerbricht).

2

Dadurch erwartet eine Person nicht nur Positives, sondern fürchtet auch, von ihm enttäuscht zu werden und sich nicht voll auf ihn verlassen zu können. Um sich sicher und geborgen zu fühlen und keine bösen Überraschungen zu erleben, mag die Person es vorziehen, sich eher auf sich selbst zu verlassen, was ein durchaus positives Selbstbild zur Folge haben kann („Ich kann für mich selber sorgen“).

3

Als emotionales Ziel in der Beziehung steht der Wunsch im Vordergrund, unabhängig zu sein und die Beziehung ohne engen Kontakt zu gestalten.

4

Um dieses Ziel zu erreichen mag die Person Gott gegenüber zwar prinzipiell offen sein, aber wird sich kaum an ihn wenden, auch nicht intensiver wenn sie Hilfe braucht. Die Suche nach Kontakt mit Gott ist deutlich seltener als bei sicher gebundenen Personen. Die Person beschäftigt sich weniger mit Gott und verwandten Themen und geht innerlich auf Distanz. Das Besondere daran, die Gottesbeziehung als Bindung aufzufassen, liegt in der Reichweite der psychischen Konsequenzen. Wie oben bereits erwähnt, zeichnet Bindungen ein starkes „emotionales Band“ und die „Suche nach Geborgenheit“ bei der Bezugsperson aus. Beides sind Aspekte mit starker emotionaler Beteiligung, die für die unterschiedlichen Bindungsstile sehr unterschiedliche Gefühlsmuster annehmen können. Wie sie im Einzelnen aussehen, kann aus Platzgründen an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden. Für die Elternbindungen ist diese starke Beteiligung des Gefühls nachvollziehbar (und in vielen Studien auch nachgewiesen), wenn man bedenkt, dass es sich um existenziell wichtige und seit frühester Kindheit bestehende Beziehungen handelt. Ob diese starke

emotionale Beteiligung auch in der Gottesbeziehung bzw. -bindung besteht, ist noch unklar. Schließlich entwickelt sich eine Beziehung zu Gott erst deutlich später.

Gottesbeziehung und Elternbindung Gerade weil sich die Gottesbeziehung später als die Elternbeziehung entwickelt und die Bindungsfigur (also Gott) keine körperlich anwesende Person ist, vermutet man, dass bei der Entwicklung der Gottesbeziehung die Elternbindung als „Vorlage“ dient. Solange also noch keine eigenen Gotteserfahrungen in bestimmten Punkten vorliegen, werden hier möglicherweise die Muster der Elternbindung auf die Gottesbeziehung übertragen, zumal der Vergleich Gott und Vater sehr nahe liegt. In Seelsorgeschulungen und Seminaren wird dieser Zusammenhang häufig erwähnt, weil er in der Beratung eine wichtige Rolle spielt; die Bindungstheorie könnte hierfür den theoretischen Hintergrund liefern. Über die Stärke dieses Zusammenhangs weiß man jedoch wenig. Einige Forscher vermuten, dass es Personen mit sicheren Elternbindungen auch leicht fällt, zu Gott eine sichere Beziehung aufzubauen. Für diese Menschen sollten also Eltern- und Gottesbindung sehr ähnlich ausfallen. Andererseits gibt es auch viele Menschen, die es trotz unsicherer Elternbindungen geschafft haben, zu Gott eine sichere Beziehung zu entwickeln. Für sie stellt die vertrauensvolle Gottesbeziehung eine heilsame Erfahrung (zur Kompensation) von den schwierigen Elternbeziehungen dar; entsprechend gering dürfte die Übereinstimmung zwischen Eltern- und Gottesbeziehung ausfallen. Bei Personen mit einer unsicheren Beziehung zu Gott kann eine unsichere Elternbeziehung vorliegen oder auch eigene negative Gotteserfahrungen (wie im o. g. Beispiel der distanziertvermeidenden Gottesbeziehung).

Bedeutung für Beratung und Therapie Die Bedeutung der Bindungsstile für Beratung und Therapie ist (mindestens) zweifach.

Zum einen bieten sie den Beratenden Schemen an, die ein Verständnis der (Beziehungs-) Probleme erleichtern. Dabei ist es natürlich wichtig sicherzustellen, dass ein bestimmter Stil für einen Ratsuchenden auch tatsächlich zutrifft. Folglich müssen die Erfahrungen mit den Bezugspersonen (Eltern und Gott) gründlich und genau erfragt werden. Ein Zusammenhang zwischen Eltern- und Gottesbeziehung muss, wie oben erwähnt, nicht in jedem Fall vorliegen. Wenn jedoch dieser Zusammenhang besteht – und dies ist die zweite Bedeutung für die Beratung – so ist gerade die gefühlsmäßige Verwurzelung der Bindung für die Beratungssituation wichtig. Dann nämlich sind im Erleben der Gottesbeziehung tiefe emotionale Muster beteiligt, die sich nicht so schnell und nicht so einfach verändern lassen. Wenn also ein Ratsuchender Schwierigkeiten wegen eines zu strengen Gottesbildes hat, das aus einer distanziert-vermeidenden Bindung zum Vater erklärbar ist, so werden in der Beziehung grundlegende emotionalen Muster wirksam, die den Ratsuchenden zu Misstrauen und Rückzug veranlassen. Wie sollte sich der Ratsuchende denn auch Gott plötzlich offen und uneingeschränkt anvertrauen können, wenn er Geborgenheit und Sicherheit von Kindheit an nur dann erfahren hat, wenn er sich möglichst ruhig verhalten und die Dinge selber in die Hand genommen hat? Ein Verweis auf entsprechende Bibelstellen oder angemessene Lehre über positive Gottesbilder wären für diese Person eine Überforderung bzw. wären auch wenig empathisch. Solchen Personen hilft insbesondere die Erfahrung , dass es in Beziehungen auch anders laufen kann. Die Person braucht folglich eigene Gotteserfahrungen, um die Beziehung zwischen ihm und Gott von der Überlagerung der Elternbindungen mehr und mehr abzukoppeln. Dazu kann eine vertrauensvolle therapeutische Beziehung zum Berater den Boden bereiten. Die bindungstheoretische Sicht betont also den Erfahrungscharakter der Beziehung zwischen Mensch und Gott. Eine Beziehung zu Gott von der Qualität einer Bindung ist sehr stark durch eigene Erfahrungen und den

damit verbundenen Gefühlen geprägt. Da aber Gott keine körperlich anwesende Person ist, mit der man ganz einfach wie mit anderen Personen in Kontakt tritt, stellt sich die Frage, wie und wo diese Erfahrungen möglich sind. Neben den Beratungs- oder Therapiegesprächen kann und sollte m. E. dieser Ort die Gemeinde und die Mitchristen sein, wo Gott gegenwärtig ist (Joh. 13, 34f; 1. Kor. 12,12). Ein Mensch sollte etwas von Gottes schützendem und fürsorglichem „Wesen“ erfahren können, wenn er in Gemeindeveranstaltungen und Gottesdienste geht bzw. mit den Gemeindemitgliedern in Kontakt kommt. Wenn ein Mensch erfährt, wie Christen füreinander sorgen, sich unterstützen und trotz unterschiedlichen Meinungen und Ansichten zueinander halten und sich wertschätzen, besteht die Chance, dass die Person dies alles auch selbst am eigenen Leib erleben kann. Dies mag dann für ihn zu einer Gotteserfahrung werden, die die Beziehung zu Gott stärkt. So erinnert uns die Übertragung der Bindungstheorie auf die Beziehung zwischen Gott und Mensch daran, dass es mit in unserer Verantwortung liegt, ob und wie eine andere Person durch unser Verhalten eine heilsame Gotteserfahrung macht – unabhängig davon, ob wir dies selbst mitbekommen oder nicht. Auch so können wir „Botschafter an Christi statt“ sein.

Dr. phil. Matthias Richard

Dipl.-Psych., Psychologischer Psychotherapeut. Institut für Psychotherapie und Medizinische Psychologie, Universität Würzburg.

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