De'ignis Doppelausgabe Magazin Nr. 37 und 38

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Doppelausgabe Nr. 37/38 · Herbst 2009

magazin Kompetenz. Und Gottvertrauen.

Angst und Angststörungen

Der Druck nimmt zu! Die gesellschaftliche Dimension von Angst und Angsterkrankungen

Als Verantwortungsträger gescheitert – was nun? Umgang mit Versagensängsten

Jubiläum

Die Angst vor dem Leben Seite

6

Grenzbereiche als Chancen, die Angst zu besiegen.

Seite

12

Therapiegrundlagen Seite

18

Die verschiedenen Gesichter der Angststörungen und ihre Behandlungen.

Seite

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20 Jahre Fachklinik


Kompetenz. Und Gottvertrauen.

Psychotherapie, Psychiatrie, Psychosomatik. Auf christlicher Basis.

In der de’ignis-Fachklinik behandeln wir psychische und Bei unseren Präventionsangeboten steht die gesundheitliche psychosomatische Erkrankungen, z.B. Depressionen, Ängste Vorsorge im Mittelpunkt: Das Angebot reicht von individuellen Gesundheitswochen bis hin zu Kursen zur Stressbewältigung. und Zwänge; sowohl stationär als auch ambulant. Grundsätzlich können die Kosten für eine Behandlung in unserer Klinik von allen Kostenträgern übernommen werden.

de’ignis-Fachklinik gGmbH auf christlicher Basis für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik Walddorfer Straße 23 · 72227 Egenhausen · Telefon +49(0)7453 9391-0 · info@deignis.de

www.deignis.de

20 Jahre Fachklinik


EDITORIAL

Liebe Leserinnen und Leser, sicher waren Sie erstaunt, dass im Juli nicht wie gewohnt das de’ignis-Magazin in Ihrem Briefkasten steckte. Das hat einen Grund: Pünktlich zum 20-jährigen Bestehen der de’ignis Fachklinik, das wir im Oktober feiern werden, haben wir uns entschieden, unserer Kommunikation ein frischeres Gesicht zu geben. Und heute halten Sie die neue Ausgabe in Händen, die Ihnen neben der aktualisierten Heftstruktur auch den neuen Markenauftritt von de’ignis vorstellt. Das neue, klare Logo und der Claim „Kompetenz. Und Gottvertrauen“ fassen die beiden Hauptaspekte unserer Arbeit und unserer Haltung sehr gut zusammen. Unsere fachliche Kompetenz konnten wir wiederholt, auch im Rahmen des Qualitätsmanagements, erfolgreich unter Beweis stellen: Seit vielen Jahren übernehmen wir Verantwortung für Menschen mit psychischen und psychosomatischen Erkrankungen. Mit einer konsequent auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Philosophie und dem festen Fundament des christlichen Glaubens. In den vergangenen Jahren haben verschiedene Wissenschaftler immer wieder den Zusammenhang zwischen Religiosität und psychischen Erkrankungen untersucht und dabei festgestellt, dass der persönliche Glaube und das Gottvertrauen einen relevant positiven Einfluss auf die psychische Gesundheit haben können. Das wird durch unsere Erfahrungen aus 20 Jahren erfolgreicher Praxis bestätigt. Unsere neu entwickelte Broschüre informiert Sie ausführlich über unsere Fachklinik und die aktuellen Angebote von de’ignis.

Die aktuelle Ausgabe des Magazins beschäftigt sich mit dem Krankheitsbild „Angst“. Ein brandaktuelles Thema, das aufgrund gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Entwicklungen für immer mehr Menschen zum Alltag gehört: Krisen und Schicksalsschläge können das Leben derart durcheinander wirbeln, dass nichts mehr ist, wie es war und alle Sicherheit schwindet. Viele Menschen reagieren darauf mit Angst. Diese Angst verhindert, dass sie die zahlreichen Chancen erkennen, die in jeder Veränderung liegen. Unsere Autoren sind allesamt Experten mit unterschiedlichem fachlichen Hintergrund und beleuchten in dieser Ausgabe die verschiedenen Formen und Auswirkungen von Angst: Wir können Ihnen eine hochinteressante Lektüre versprechen. Jetzt hoffen wir, dass Ihnen das neugestaltete Magazin gefällt – optisch, vor allem aber inhaltlich. Und wir wünschen uns und Ihnen, dass Sie vom de’ignis-Magazin weiterhin profitieren. Wenn Sie mögen, dürfen Sie uns gerne an Ihre Freunde und Bekannten weiterempfehlen, denen wir das Heft gerne auch kostenlos zusenden. Ab jetzt wird das Magazin übrigens zweimal im Jahr erscheinen – jeweils im Oktober und April. Wir wünschen Ihnen beim Lesen viel Freude. Und Gewinn für Ihren Alltag. Im Namen der Herausgeber,

Die Herausgeber: Claus Jürgen Hartmann Geschäftsführer, Fachklinik de'ignis

Winfried Hahn Geschäftsführender Heimleiter, Sozialtherapeutisches Wohnheim de'ignis 3


INHALTSVERZEICHNIS

S. 9 Titelthema: Angst und Angsstörungen TITELTHEMA

S. 6

Simone Marquardt

Der Druck nimmt zu! Die gesellschaftliche Dimension von Angst und Angsterkrankungen Michael Klessmann

S. 9

Ständiger Wandel – Ursachen für die Zunahme von Ängsten Desintegrationsängste und Orientierungslosigkeit

S. 12

Johannes Stockmayer

Die Angst vor dem Leben Grenzbereiche als Chancen, die Angst zu besiegen Winfried Hahn

S. 19

Angstbewältigung und christlicher Glaube

S. 18

IMPULS

Als Verantwortungsträger gescheitert – was nun? Umgang mit Versagensängsten

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S. 26


IMPRESSUM

Redaktion: Rainer Oberbillig, Winfried Hahn, Claus J. Hartmann Layout, Gestaltung & Druckvorstufe: JoussenKarliczek GmbH Jubiläum

20

Druck: Gedruckt auf Luxosamt Offsetpapier von Konradin Druck GmbH, Leinfelden-Echterdingen

Jahre Fachklinik

S. 40

ZUR DISKUSSION

Winfried Hahn

S. 24

Verantwortungslose Verantwortungsträger machen Angst Gedanken über Gesellschaft, Kirche und Gemeinde THERAPIEGRUNDLAGEN

S. 26

Dr. Benjamin Zeller

Die unterschiedlichen Gesichter der Angststörungen und ihre Behandlung: Soziale Phobie – Generalisierte Angststörung – Agoraphobie – Panikstörung – spezifische Phobien

S. 30 S. 32

Dr. Benjamin Zeller

Fallberichte Dipl. Psych. Reiner Oberbillig

Zwangserkrankungen: Ein fehlgeleiteter Versuch, Bedrohliches abzuwehren – Ein Fallbericht DE’IGNIS AKTUELL

S. 40 S. 44

Claus Jürgen Hartmann

20 Jahre de’ignis Fachklinik Termine · Berichte · Neues aus den Einrichtungen

Jubiläum

20 Jahre Fachklinik

Auflage 16.000 Herausgeber: de’ignis-Fachklinik gGmbH auf christlicher Basis für Psychiatrie – Psychotherapie – Psychosomatik Waldorfer Straße 23 72227 Eggenhausen Telefon: 07453-9391- 0 Telefax: 07453-9391-93 E-Mail: info@deignis.de Volksbank Nordschwarzwald eG Konto 62 168 002 BLZ 642 618 53 de’ignis Wohnheim gGmbH – Haus TABOR zur außerklinischen psychatrischen Betreuung Fred-Hahn-Straße 30 72514 Engelswies Telefon: 07575-92507-0 Telefax: 07575-92907-30 E-Mail: de-ignis-www@t-online.de Sparkasse Pfullendorf-Meßkirch Konto 105 338 BLZ 690 516 20 de’ignis – Institut gGmbH für Psychotherapie und christlichen Glauben Markgrafenweg 17 72213 Altensteig Telefon: 07453-9494-0 Telefax: 07453-9494-96 E-Mail: institut@deignis.de Volksbank Nordschwarzwald eG Konto 66 624 002 BLZ 666 500 85 Christliche Stiftung de’ignis Polen Fred-Hahn-Straße 30 72514 Engelswies Telefon: 07575-92507-0 Telefax: 07575-92907-30 E-Mail: de-ignis-www@t-online.de Sparkasse Pforzheim Konto 7 26 05 12 BLZ 666 500 85 Alle de’ignis-Einrichtungen sind gemeinnützig und arbeiten überkonfessionell. Spendenbescheinigungen werden auf Wunsch gerne ausgestellt.

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TITELTHEMA

Der Druck nimmt zu! Foto: photocase, Red Man

Die gesellschaftliche Dimension von Angst und Angsterkrankungen VON SIMONE M ARQUARDT

eit Monaten ist sie das Thema in den Nachrichten: die Finanzkrise und die damit verbundenen Auswirkungen. Firmenpleiten, Betriebsinsolvenzen, Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit stellen eine existenzielle Bedrohung für viele dar. Armut oder drohende Armut ist auch in Deutschland ein Thema. Die Finanzkrise hat die gesellschaftliche Tendenz nur noch verschärft – und sie trifft den Menschen an einer seiner empfindlichsten Stellen: dem Wohlstand. Die Selbstverständlichkeit eines geregelten Einkommens fällt weg, die Sicherheiten werden reihenweise erschüttert. Plötzlich kann es jeden treffen, und plötzlich betrifft uns ein Thema, von dem keiner weiß, wie es ausgehen wird. Die Prognosen sind vage und die Wirtschaftsweisen eben auch nur Menschen: Wir spekulieren mit Entwicklungen, möglichen Stabilisierungen des Marktes oder zuweilen auch damit, welche Vorkehrungen wir jetzt schon treffen können, im Fall, dass die Systeme vollständig kollabieren. Eine tief greifende Verunsicherung breitet sich innerhalb der Gesellschaft aus. Ein sicherer Arbeitsplatz ist längst keine Selbstverständlichkeit mehr. Existenz- und Verlustängste prägen den Arbeitsalltag deutlicher, als wir es wahrhaben wollen. Die Belastung für die Arbeitnehmer hat sich drastisch verändert. Nicht nur, dass der Leistungsdruck und die Anforderungen an den Einzelnen stetig höher werden, sie werden zusätzlich immer stärker an kognitive und psychische Ressourcen gekoppelt. Neben Aus-

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dauer, Belastbarkeit und Durchhaltevermögen werden für den Arbeitnehmer Fähigkeiten wie Konzentrationsvermögen, eine schnelle Auffassungsgabe, Kreativität und das sogenannte „Multitasking“ immer wichtiger. Konfliktund Teamfähigkeit werden vorausgesetzt. Die Flexibilisierung und Projektorientierung der Arbeit, die durch die Kommunikations- und Informationstechnologie möglich wurde, konfrontiert den Arbeitnehmer zudem mit neuen Herausforderungen und damit auch mit neuer Unsicherheit. Mitarbeiter müssen sich binnen kürzester Zeit mit den innovativen Technologien vertraut machen, um mithalten zu können. Wettbewerb bedeutet jetzt nicht mehr nur, auf dem Markt bestehen zu können – der Wettbewerb findet nun auch innerhalb der Belegschaft statt. Für das allzu Menschliche gibt es bei allen sozialen Kriterien kaum noch Raum. Die aufkommende Angst isoliert zusätzlich, da sie den Blick des Einzelnen auf das reduziert, was er nicht leisten kann. Sie wird zudem dadurch verstärkt, dass jeder im Prinzip jederzeit austauschbar bzw. ersetzbar bleibt – Arbeitssuchende gibt es ja genug. Vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise erhält die aktuelle Arbeitsmarktsituation eine zusätzliche Brisanz.

Funktion statt Angst Der Anfang 2009 veröffentlichte Gesundheitsreport der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK)1 spiegelt


ANGST UND ANGSSTÖRUNGEN

die Angst der Arbeitnehmer in der Form, dass immer mehr Menschen bereit sind, leistungssteigernde Substanzen oder Beruhigungsmittel einzunehmen, um dem steigenden Druck in der Arbeitswelt gewachsen zu sein: 5% der Arbeitnehmer greifen bereits zu Psychopharmaka und anderen Mitteln, 20% bekunden zumindest die Bereitschaft dazu. Die Störfaktoren am Arbeitsplatz heißen Angst, Nervosität und Unruhe, Depressivität, Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen. Medikamente haben bei der Bekämpfung dieser Symptome einen großen Vorteil: Sie ermöglichen den Erhalt der Funktionsfähigkeit ohne auffällige Begleiterscheinungen wie sie z.B. beim Konsum von Alkohol auftreten, helfen beim Spannungsabbau oder stellen eine innere Distanz zu Erfordernissen, Kollegen und Vorgesetzten her, indem sie die negativen Gefühle dämpfen. Kurz: Sie simulieren, dass man alles unter Kontrolle hat, indem sie die störenden Signale des Körpers oder der Psyche überlagern. Nebenwirkungen oder die Gefahr einer Entwicklung von körperlichen oder psychischen Abhängigkeiten – gerade bei Angst lösenden und beruhigenden Substanzen wie z.B. Benzodiazepinen oder Drogen werden hierbei in Kauf genommen. Neben den Zukunfts- und Existenzängsten der Arbeitnehmer treten aber auch sogenannte irrationale Ängste in unserer Gesellschaft immer stärker auf. Generell steigen die psychischen Erkrankungen stärker an als andere Krankheitsbilder. Die weggedämpfte, unbewusste, zensierte oder nicht geäußerte Angst kann sich in verschiedenen Krankheitsbildern wie z.B. Panikattacken oder Phobien äußern. Die Angst findet Wege – sie begleitet uns. Auch wenn wir im Gegensatz zu unseren Vorfahren längst nicht mehr darauf angewiesen sind, vor wilden Tieren zu flüchten, bleibt die Angst ein Warnsignal, das auch heute noch eine sinnvolle Funktion für unser Leben hat und sich in irgendeiner Form bemerkbar macht. In gesellschaftlich unruhigen Zeiten steigt die Angst an und konfrontiert den Menschen mit seiner Abhängigkeit und Sterblichkeit. Der alte Traum von Machbarkeit und Kontrolle zerplatzt.

Flucht statt Angst Und dennoch wird es meist vermieden, der Angst ins Auge zu sehen und sich mit ihr und ihren Inhalten auseinanderzusetzen. Wir spielen mit der Angst – und wir machen ein gutes Geschäft mit ihr. Aber wir nehmen sie 1

im Grunde nicht ernst. Nicht nur die Pharmaindustrie profitiert von den zunehmenden Ängsten der Menschheit, auch die Medien machen ein gutes Geschäft mit der gesellschaftlichen Verunsicherung. Der Wunsch, mehr zu wissen, lässt uns nicht nur immer mehr Forschung und Wissenschaft betreiben. Die Frage nach Gut und Böse stellt sich neu und der Wunsch nach Orientierung, Kontrolle und verlässlichen Sicherheiten bewegt die Menschen. Das Elitär-Wissen und die Machenschaften geheimer Organisationen gibt es in den Medien instant aufbereitet und zwischen Werbepausen: Verschwörungstheorien werden cineastisch und medienwirksam inszeniert. Die Illusion, dass jahrhundertelang gehütetes Geheimwissen plötzlich im Abendprogramm der Privatsender für die Öffentlichkeit zugänglich ist, lockt viele an die Bildschirme und weg von den eigentlichen Fragen, denen wir uns stellen müssten. Die Welt wird von gut aussehenden Geheimagenten souverän in Spielfilmlänge gerettet, Verbrechen bekämpft und Recht und Ordnung wieder hergestellt. Virtuelle Scheinwelten sowie Reality- und DokuSoaps helfen uns, uns mit den Problemen anderer auseinanderzusetzen – statt mit unserem eigenen Leben und unseren eigenen Ängsten, seien sie nun berechtigt oder eben scheinbar unbegründet. Die Frage, ob Angst berechtigt ist oder nicht, stellt sich jedoch meiner Ansicht nach nicht. Wer könnte die Angst verbieten? Wer bewertet, was in diesem Bereich erlaubt oder gesellschaftlich akzeptiert ist? „Berechtigt“ würde vielleicht bedeuten, dass die Angst faktisch nachweisbar, überprüfbar oder zumindest nachvollziehbar ist. Die Angst von Menschen, die am Existenzminimum leben gegenüber steigenden Preisen und Inflation, würden wir als berechtigte Angst ansehen. Die Belastung des mehrfachen Familienvaters, der soeben seine Arbeit verloren hat und nicht weiß, wie er seine Familie ernähren soll, ebenso. Die irrationale Angst um den Wohlstand spiegelt sich wohl eher darin, dass wir wirklich auf hohem Niveau jammern und doch immer noch bemüht sind, möglichst hohen Profit aus allem zu schlagen, die meisten Zinsen auf unsere Geldanlagen zu bekommen oder das beste Geschäft zu machen. Keiner möchte auf den gewohnten Lebensstandard verzichten und Einschränkungen – in welcher Form auch immer – sollten weitgehend vermieden werden. Eine existenzielle Bedrohung ist noch nicht absehbar, aber allein die Möglichkeit, dass es zu einer solchen kom-

Vgl. Statement zum DAK-Gesundheitsreport von Prof. Dr. h. c. Herbert Rebscher auf www.dak-mitgliedergemeinschaft.de/aktuelles/dak-gesundheitsreport-finanzkrise-wirtschaftskrise-88

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TITELTHEMA

men könnte, beunruhigt uns mehr als uns lieb ist. Wir sind mit den unterschiedlichsten Formen der Angst konfrontiert. Bei anhaltender und zu schwerer Belastung kann die Angst dann auch krank machen – und es kommt zu den Störungsbildern, die wir diagnostisch als Angsterkrankungen klassifizieren. Bei allen objektiven Kriterien bleibt jedoch: Angst ist etwas individuelles, unabhängig von der Absolution der Fachleute oder sozial erwünschtem Verhalten. Sie mag existenziell, verzerrt, peinlich, unglaublich, übertrieben, berechtigt, verdrängt, lähmend oder unheimlich sein, psychiatrische Diagnose oder ein den Lebensstil bestimmender Faktor sein: Fakt ist, sie ist da. Unabhängig von Geschlecht, Alter, Kultur oder Mentalität. Sie wird auch nach der Stabilisierung der Weltmärkte nicht aufhören, sondern in anderen Formen wieder auftreten. Die Geschichte der Angst ist so alt wie die Menschheit selbst: Sie begann nur unwesentlich später nach der Erschaffung des Menschen. Seitdem ist der Mensch bemüht, Umgangsformen und Bewältigungsstrategien für die Angst zu finden. Fritz Riemann, der bekannte Psychoanalytiker, schreibt in der Einleitung zu seinem Buch „Grundformen der Angst“: „Die Geschichte der Menschheit lässt immer neue Versuche erkennen, Angst zu bewältigen, zu vermindern, zu überwinden oder zu binden. Magie, Religion und Wissenschaft haben sich darum bemüht. Geborgenheit in Gott, hingebende Liebe, Erforschung der Naturgesetze oder weltensagende Askese und philosophische Erkenntnisse heben zwar die Angst nicht auf, können aber helfen, sie zu ertragen und sie vielleicht für unsere Entwicklung fruchtbar zu machen.“ 2

Hoffnung statt Angst Um die Angst für unsere Entwicklung fruchtbar zu machen, könnte es ein Ziel für uns sein, die Nachricht der Angst zu verstehen anstatt Schlagzeilen mit ihr zu füllen. Im Grunde wissen wir eigentlich, dass es in unserer Gesellschaft auf Dauer so nicht weitergehen kann und das System irgendwann an sein Ende kommen wird. Erschütterungen werden auch bei uns oft selektiv in bestehende Denkmuster und Vorstellungen eingeordnet; in angespannten Situationen – sei es jetzt gesellschaftlich, wirtschaftlich oder privat – erfordert Umdenken grundsätzlich mehr Kraft. Die innere und äußere Umprogrammierung und Umgestaltung ist ein mühsamer, aber möglicher 2

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Weg, der alle Beteiligten etwas kostet und sich nicht auf bestimmte Hierarchie- oder Gesellschaftsebenen begrenzen lässt. In Betrieben werden in solchen Situationen oft Präventions- und Coachingprogramme angeboten, die bei aller Zielorientierung jedoch nicht den Menschen aus dem Blick verlieren sollten. Ebenso wenig sollte die Umsatzsteigerung das primär formulierte Ziel dieser Maßnahmen sein. Neben diesen arbeits- und organisationsbezogenen Methoden ist die Psychotherapie heute eine der häufigsten Formen, individuelle Bewältigungsstrategien für Ängste zu entwickeln. Allerdings gilt auch hier: Ohne sich der Angst zu stellen, gelingt keine Veränderung. Das Vertuschen der Angst durch pharmazeutische Symptomkosmetik ist auf Dauer keine Lösung, auch wenn sie zuweilen sinnvoll und notwendig ist. Im Nebel der Tranquilizer oder im künstlich erzeugten Allmachtsgefühl lassen sich Probleme vielleicht ertragen oder ausblenden, aber nicht lösen. Weltuntergangsstimmung und Apathie retten uns genauso wenig vor einer bedrohlich erscheinenden Zukunft wie Panikmache oder Egoismus. Unsere Hoffnung beginnt bei anderen Ausgangspunkten. Sie fängt da an, wo das Denken in unserer Gesellschaft oft aufhört bzw. bei dem, den sie auszuklammern versucht. Sie hat viel mit aktivem, verantwortungsbewussten Handeln und einer realistischen Einschätzung der eigenen Gegebenheiten jenseits von Weltverbesserungswahn und Selbstbezug zu tun. Sie beginnt zwar in dem Bereich, den der Einzelne wirklich beeinflussen kann, gründet aber auf den Möglichkeiten und dem Versprechen Gottes, das er bereits seinen Jüngern gegeben hat. „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden … […] Und siehe, ich bin bei Euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ (Mt. 28,18.20). •

ÜBER DIE AUTORIN Simone Marquardt, Dipl. Sozialpädagogin (BA), verheiratet, eine Tochter, ist seit 1999 Mitarbeiterin im de’ignis Wohnheim

Riemann, Fritz: Grundformen der Angst. Eine tiefenpsychologische Studie. München; Basel: E. Reinhardt, 31. Aufl. 1999; S. 23


ANGST UND ANGSSTÖRUNGEN

Ständiger Wandel – Ursachen für die Zunahme von Ängsten Foto: photocase, minimalism

Desintegrationsängste und Orientierungslosigkeit VON MICHAEL K LE SSM ANN

ie Jahre des ungebrochenen wirtschaftlichen Wachstums und verbreiteter Prosperität, verbunden mit Gefühlen von Sicherheit und Gelassenheit im Blick auf die nationale und individuelle Zukunft bei großen Teilen der Bevölkerung, sind in Deutschland lange vorbei – trotz des wirtschaftlichen Aufschwungs, der 2006 eingesetzt hat. Die Phase der Vollbeschäftigung mit Arbeitslosenquoten von 1,3 – 2 % ging bereits 1974 zu Ende. Seit den 90er Jahren stieg die strukturelle Arbeitslosigkeit (d.h. die weitgehend von konjunkturellen Schwankungen unabhängige Arbeitslosigkeit) auf etwa durchschnittlich 10 % (in den neuen Bundesländern auf 15–19 %).3 Die Zahl der Sozialhilfeempfänger wuchs von 0,5 Mill. in den 50er Jahren auf 3 Mill. im Jahr 2002; inzwischen sind ca. 5,14 Mill. Menschen auf die Zahlungen aus Hartz IV angewiesen.4 Ein Viertel bis ein Fünftel der Kinder in unserem Land wächst unter Bedingungen von Armut auf. Die Anzahl prekärer Arbeitsverhältnisse (Teil-

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zeitarbeit, befristete Arbeitsverträge, Minijobs, Honorarverträge, Scheinselbständigkeit, mangelnde soziale und rechtliche Absicherung, Niedriglöhne) nimmt weiterhin zu. Das Stichwort von der „Zwei-Drittel-Gesellschaft“ ist inzwischen weit verbreitet: Danach stehen zwei Dritteln der erwerbstätigen Bevölkerung, die über relativ sichere und gut bezahlte Arbeitsplätze verfügen, einem Drittel gegenüber, das auf Grund von Arbeitslosigkeit oder Unterbeschäftigung an oder unter der Armutsgrenze lebt und mehr oder weniger von der gesellschaftlich-kulturellen Teilhabe ausgeschlossen bleibt.5 Wilhelm Heitmeyer, Leiter des Instituts für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld, führt seit 2002 jedes Jahr umfassende Umfragen in der deutschen Bevölkerung durch, deren Ergebnisse in der Reihe „Deutsche Zustände“ veröffentlicht werden. In einem die Erkenntnisse bündelnden Artikel in der Süddeutschen Zeitung resümieren Heitmeyer und Sandra Hüpping: „Die Ergebnisse zeigen also ein Konglomerat aus

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Hradil, Stefan, Soziale Ungleichheit in Deutschland, Opladen 2001, 187ff. Statistik der Agentur für Arbeit vom November 2007: www.lpb-bw.de/aktuell/hartz_iv.php Der Präsident des Deutschen Landkreistages spricht von 7,4 Mill. Hilfeempfängern und stellt fest, dass die Zahl der Hartz-IV-Empfänger trotz der positiven Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt gestiegen sei: http://images.zeit.de/text/news/artikel/2007/07/31/ 2349240.xml. 5 Diese Zustandsbeschreibung bleibt auch gültig angesichts des wirtschaftlichen Aufschwungs, der 2006 in Deutschland eingesetzt hat. In einer nicht-repräsentativen OnlineUmfrage der Westdeutschen Zeitung vom 14.4.07 beantworten 78,4 % der Antwortenden die Frage „Geht der wirtschaftliche Aufschwung an Ihnen vorbeit?“ mit „Ja“. Die Süddeutsche Zeitung titelt am 24.4.07: „Die Kinderarmut in Deutschland wächst.“ 4

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TITELTHEMA

Selbstwertes, die mit solchen Ängsten einhergeht, kann abgewendet werden, „indem andere Personengruppen abgewertet werden.“9

ck Foto: isto

Pluralisierung und Individualisierung

Angst, Unsicherheit und Machtlosigkeit, das von wachsender Orientierungslosigkeit begleitet wird. Für viele scheint eine gesellschaftliche Orientierung verloren, der Handlungsspielraum unübersichtlicher, die Sehnsucht nach vergangenen Zeiten erhöht … Die Ergebnisse zeigen, dass Desintegrationsängste in der Bevölkerung weit gestreut sind und sich keinesfalls nur auf Personen der unteren [s.c.: sozialen, M.K.] Lage beschränken. Sie werden im Laufe der Jahre auch zunehmend von Befragten aus der sozialen Mitte geäußert.“6 Eine Folge der Krisenwahrnehmung ist zunehmende Orientierungslosigkeit. „So bejahen die Aussage ‚Heute ist alles so in Unordnung geraten, dass niemand mehr weiß, wo man eigentlich steht‘ 41,9 % der Befragten in unterer, 25,2 % in mittlerer und 12,2 % in gehobener Soziallage uneingeschränkt.“7 Dazu trägt bei, dass die Regeln, nach denen die Gesellschaft funktioniert, nicht mehr einsichtig und nachvollziehbar erscheinen: Während Manager, die ein Unternehmen in den Ruin treiben, Millionenbeträge als Abfindung erhalten, werden Tausende von Arbeitnehmern, die schon über Jahre Lohnkürzungen in Kauf genommen haben, um den Betrieb zu retten, in die Arbeitslosigkeit entlassen. Der statistisch signifikante Anstieg von Depressionen, Ängsten und psychosomatischen Erkrankungen ist in diesem Zusammenhang zu sehen.8 Und die Forschungsergebnisse Heitmeyers weisen darauf hin, dass die zunehmenden Desintegrationsängste und Orientierungslosigkeit mit steigender „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ kompensiert werden: Die Beschädigung des

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Dass sich das Leben in den westlichen Gesellschaften in allen Bereichen pluralisiert hat, erleben wir tagtäglich. Seien es Lebensstile oder Geschmackspräferenzen, politische oder religiöse Anschauungen, Werte und Normen: Vielfalt und Wahlmöglichkeiten wachsen, Verbindlichkeit und Klarheit nehmen ab. „Individualisierung bedeutet in diesem Sinne, dass die Biographie der Menschen aus vorgegebenen Fixierungen herausgelöst, offen, entscheidungsabhängig und als Aufgabe in das Handeln jedes Einzelnen gelegt wird. Die Anteile der prinzipiellen entscheidungsverschlossenen Lebensmöglichkeiten nehmen ab und die Anteile der entscheidungsoffenen, selbst herzustellenden Biographie nehmen zu“. Wahlbiographie ist schon seit einiger Zeit an die Stelle von Normalbiographie getreten: „Gefordert ist ein aktives Handlungsmodell des Alltags, das das Ich zum Zentrum hat, ihm Handlungschancen zuweist und eröffnet und es auf diese Weise erlaubt, die aufbrechenden Gestaltungs- und Entscheidungsmöglichkeiten in Bezug auf den eigenen Lebenslauf sinnvoll kleinzuarbeiten.“10 Die Chancen zunehmender Freiheit gehen einher mit wachsenden Möglichkeiten der Überforderung und des Scheiterns. Die Phänomene der Pluralisierung und Individualisierung haben also tief greifende Auswirkungen auf Lebenswelten und Lebensstile: • Individuelle Sinnsuche und Sinnfindung haben sich pluralisiert: Nicht mehr nur Religion stiftet Sinn, auch Kunst, Moral, Sport, Konsum, Liebe werden als sinnstiftende Elemente mit quasi-religiöser Wertigkeit aufgeladen. Zeitgenossen suchen und finden nicht mehr den einen, umfassenden Sinn ihres Lebens, sondern konstruieren ein Sinnpatchwork, das sich aus den verschiedensten Elementen zusammen setzt. Erlebnisorientierung steht dabei im Vordergrund; sie allein wird schon vielfach als sinnhaft erlebt.11 Sinnangebote mit einem eher geringen Erlebniswert (dazu zählen auch

Heitmeyer, Wilhelm / Hüpping, Sandra, Auf dem Weg in eine inhumane Gesellschaft. Süddeutsche Zeitung 21./22.10.2006 Mansel, Jürgen / Endrikat, Kirsten / Hüpping, Sandra, Krisenfolgen. Soziale Abstiegsängste fördern feindselige Mentalitäten, in: Heitmeyer, Wilhelm (Hg.), Deutsche Zustände, Folge 4, Frankfurt a.M. 2006. 51f. 8 Vgl. dazu ausführlicher Waller, Heiko, Gesundheitswissenschaft. Eine Einführung in Grundlagen und Praxis, Stuttgart/Berlin 1996, 68ff. 9 Ebd., 55 10 Beck, Ulrich, Risikogesellschaft, Frankfurt a.M., 1986, 216f. 11 Vgl. Schulze, Gerhard, Die Erlebnisgesellschaft, Frankfurt a.M. 1995. 7

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an e, Red M ocas Foto: phot

kirchliche Angebote) finden wenig Resonanz. • Auch das religiöse Sinnangebot hat sich durch die Begegnung mit anderen Religionen, mit Esoterik und der Popluralisierung von Psychotherapie und Psychologie pluralisiert und muss entsprechend individuell ausgewählt und angeeignet werden. • Lebensläufe haben sich entstandardisiert. Identität bezeichnet nicht mehr eine kontinuierliche, geschlossene Entwicklung vom Kind zum Erwachsenen, sondern eher die Fähigkeit, disparate biographische Elemente und Erfahrung zusammenzuhalten. Biographien sind in zunehmendem Maß von Brüchen gekennzeichnet: Immer mehr Kinder wachsen mit allein erziehenden Müttern oder Vätern oder in sogenannte Patchworkfamilien auf; Jugendliche und junge Erwachsene realisieren völlig andere Lebensentwürfe als die, die ihre Eltern ihnen vorgelebt haben; eine einmal durchlaufene Ausbildung bestimmt keineswegs immer die tatsächlich Berufstätigkeit; die Zahl der Fern- und Wochenendbeziehungen hat deutlich zugenommen; Trennungen und Scheidungen sind inzwischen alltäglich. Diese Brüchigkeit des Lebens geht einher mit Erfahrungen von Entwurzelung, Sinnverlust, Kontaktabbruch und Einsamkeit. Für viele Menschen steigt damit der Orientierungsbedarf. • Beruflich bedingter Leistungsdruck und Gefühle von Überforderung (z.B. bei Arbeitnehmern in prekären Arbeitsverhältnissen) nehmen zu. Das Magazin „Karriere“ spricht davon, dass Arbeitnehmer in der neuen Jobwelt „gnadenlos biegsam“ sein müssten, hohe Flexibilität also als eine entscheidende Voraussetzung gilt, um auf dem Arbeitsmarkt bestehen zu können.12 Der Zwang zur Flexibilität erzeugt Angst, die Kontrolle über das eigene Leben zu verlieren. Die Entwicklung einer Persönlichkeit, der Aufbau von Beziehungen und Freundschaften wird erschwert. Denn: „Lang fristiges ist ein verhängnisvolles Rezept für die Entwicklung von Vertrauen, Loyalität und gegenseitiger Verpflichtung.“13 • Mit zunehmendem Druck wachsen Gefühle und Erfahrungen von Unsicherheit, Versagen und Scheitern.

ck Foto: isto

ANGST UND ANGSSTÖRUNGEN

Scheitern ist jedoch in einer vom Leistungsgedanken bestimmten Gesellschaft das große Tabu. Wo ist Raum, Scheitern einzugestehen und darüber zu reden? • Als Gegenbewegung gegen die genannten Erfahrungen wächst bei vielen Menschen die Sehnsucht nach Halt und Orientierung: Suche nach einfachen Antworten und die Flucht in Fundamentalismen, in zweifelsresistente feste Gewissheiten, stellen die Freiheit der Pluralität wieder in Frage. • Aus dem sehr empfehlenswerten Buch von Prof. Dr. theol. Michael Klessmann: „Seelsorge – Begleitung, Begegnung, Lebensdeutung am Horizont des christlichen Glaubens. Ein Lehrbuch.“ (2008), Seiten 12–16, Neukirchener Verlag

ÜBER DEN AUTOR Michael Klessmann, geb. 1943, Dr. theol. habil., Theologiestudium, Ausbildung in Pastoralpsychologie und Gestalttherapie in den USA und Deutschland, KSA-Kursleiter, Lehrsupervisor (DGfP), viele Jahre als Seelsorger und in der Seelsorgeausbildung tätig, seit 1998 Professor für Praktische Theologie an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal mit dem Forschungsschwerpunkten Seelsorge, Pastoralpsychologie und Supervision.

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Domke, Britta/Obmann, Claudia, Flexibilisierung, in: Karriere. Das junge Job- und Wirtschaftsmagazin, 02/2006, 48–57. 13 Sennett, Richard, Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus. Berlin, 1998, 27f.

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TITELTHEMA

Die Angst vor dem Leben Grenzbereiche als Chancen, die Angst zu besiegen.

VON JOHANNES STOCK M AYER

Tödliche Angst

Pessimistische Grundhaltung

In unserer Gesellschaft nimmt die untergründige Angst zu, die tödliche Angst vor der eigenen Schwachheit und abgrundtiefen Einsamkeit. „Nach der ungeheuren Menge der eingenommenen angstlösenden Medikamente zu urteilen, muss in der aktuellen gesellschaftlichen Situation oder im menschlichen Leben schlechthin sehr viel Angst vorhanden sein.“ 14 Der Mensch hat die Welt, die er sich erschaffen hat, nicht mehr im Griff, sie ist unkontrollierbar geworden.15 Das erzeugt ein tiefes Gefühl von Ohnmacht und Hilflosigkeit und daraus entstehen Angst und Aggression, denn Gewalt ist die Waffe der Ohnmächtigen. Zygmunt Bauman spricht von einem spezifischen „Angstmilieu“, in dem viele Menschen leben, eine „Atmosphäre uns umgebender Furcht“.16 Heute ist die Hauptfrage vieler Menschen nicht die nach dem Sinn des Lebens, sondern wie es gelingt, mit der Grundangst des Lebens fertig zu werden, und wie mit der die Existenz bedrohenden Unsicherheit umgegangen werden kann.

Viele Kinder und Jugendliche werden mit den perversesten und unmenschlichsten Praktiken im Internet, per Handy, durch DVDs oder im Fernsehen von klein auf konfrontiert. Sie erleben die negative Seite der Existenz, Tod und Zerstörung spielen eine größere Rolle als Leben und Lieben. Die Lebensverneinung erzeugt eine zerstörerische Verunsicherung und Ablehnung allen Lebens. In Gewalt und Hass gegen das Leben äußert sich Wut über das nicht gelebte Leben. Immer mehr Jugendliche leben mit dem Gefühl, dass sie keine Chance haben, ihr Leben zu leben. Die geburtenstarken Jahrgänge 1955 bis 1965 haben alles mit Beschlag belegt, für die nachkommende Generation ist nichts mehr übrig geblieben. Und heute rauben sie den jungen Menschen als „Generation Optimismus“17 sogar das letzte Quäntchen Hoffnung, so bleibt ihnen nichts als Resignation und Verneinung, eine pessimistische Grundhaltung als Lebensentwurf übrig. Kein Wunder sind sie bestimmt von der Angst vor dem Scheitern, der Angst zu versagen, der Angst nicht aner-

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Gerd Rudolf in: Gerd Rudolf, Peter Henningsen, Psychotherapeutische Medizin und Psychosomatik, Stuttgart, 2008, S. 184 „Ich möchte diese Eigentümlichkeit der modernen Krisis das Zurückbleiben des Menschen hinter seinen Werken nennen. Der Mensch vermag die durch ihn selbst entstandene Welt nicht mehr zu bewältigen, sie wird stärker als er, sie macht sich von ihm frei, sie steht ihm in einer elementaren Unabhängigkeit gegenüber, und er weiß das Wort nicht mehr, das den Golem, den er geschaffen hat, bannen und unschädlich machen könnte.“ (Martin Buber, Das Problem des Menschen, S. 83) nach Johannes Fiebig, Abschied vom Egokult, S. 58 Diesen Begriff wählt Doris Weber in einem Artikel in Publik-Forum (Nr.6, 2007, S. 60) in Anlehnung an einen Artikel der „Zeit“ vom April 2004.


ANGST UND ANGSSTÖRUNGEN

Foto: photocase, skyla80

kannt zu werden und abgelehnt zu sein. Dazu kommt die Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren (oder erst gar keinen zu bekommen), nicht den Lebensstandard führen zu können, der genügend Geltung und Renommee verschafft. Und tiefer spielt die Angst vor Beziehungen mit: Muss ich mich aufgeben? Werde ich vom anderen „gefressen“? Es ist die Angst vor dem Staat, der Ordnungsmacht, den Regeln: Werde ich entmündigt, fühle ich mich verraten und verkauft? Aber genauso spielt die Angst vor der Offenheit, der Freiheit und Beliebigkeit eine Rolle; bin ich einem unbestimmten Schicksal ausgeliefert? Dazu kommt die Angst vor einer Krankheit, vor Behinderung und Siechtum, die abgrundtiefe Angst vor unbeeinflussbaren Faktoren wie Erderwärmung, Klimaschock, Vogel- oder Schweinegrippe, Ozonloch, Rohstoffverknappung, Krisen und Kriegen. Die Angst setzt sich aus vielen Teilaspekten zusammen (mehr als ich es hier aufzählen kann) und äußert sich in einem grundsätzlichen und tiefen Gefühl von Bedrohung und Ohnmacht. Es ist die Angst vor dem Leben: „Ich pack’ das Leben nicht!“ Aber gleichzeitig wächst die Angst vor dem Tod – und so gibt es keinen Ausweg: weder Leben noch Sterben. Vor allem Jugendliche und junge Erwachsene hängen zwischen Lebensangst und Todesfurcht fest.18 Was tun sie? Entweder sie machen andere für diesen Zustand verantwortlich (zum Beispiel Eltern, Lehrer, Politiker) und werden aggressiv bis gewalttätig oder blenden sich aus und verabschieden sich in die Ahnungslosigkeit: Ich weiß nichts! Ich will nichts! Es ist mir alles egal! Wenn ich nicht auffalle, werden mich Leben und Tod in Ruhe lassen, so hoffen sie. Sie sind aus dem Leben gefallen und befinden sich nun allein in den unendlichen Weiten des Weltalls (StarTreck lässt grüßen). Verzweifelt tippen sie Telefonnummern in ihr Handy: „Ist da jemand? Kann mich irgend jemand hören?“ Sie wünschen sich eine Reaktion, jemand,

der antwortet. Und am meisten hoffen sie, dass jemand zu ihnen persönlich sagt: „Ich hab dich lieb!“ Oder sogar: „Hdgdl!! (Hab dich ganz doll lieb!!“).19

Gefühllosigkeit Da das Leben nicht machbar ist, aber der Tod, wählen zunehmend mehr Menschen lieber den Tod. Sie empfinden ein Ressentiment gegen das Leben und sie rächen sich für das ungelebte Leben, indem sie es zerstören – bei sich und bei anderen. Nach meiner Beobachtung werden es immer mehr Menschen, die sich ganz bewusst für den Tod entscheiden, er scheint berechenbarer zu sein als das Leben. Das Leben wird verworfen, denn der Tod ist mächtiger und besiegt das Leben. Das drückt sich aus in Destruktivität und Gewalt. Die Liebe zum Tod (Nekrophilie) gibt Macht und das Gefühl unverletzbar zu sein – die Angst wird eliminiert. Aber der Mensch wird dabei kalt und unbarmherzig, gefühllos, berechnend und zerstörerisch, er unterwirft sich alles Leben und tötet, was ihn verunsichert.20

Unterschwellige Angst Woher kommt diese Angst? Wenn wir ihr auf den Grund gehen wollen, müssen wir die unmittelbare Vergangenheit unseres Volkes anschauen: Im Dritten Reich galt der Einzelne nichts („Du bist nichts, dein Volk ist alles“). Gefühle wurden unterdrückt, Angst hatte keinen Platz („hart wie Krupp-Stahl“). Das „Ich“ hatte keine Möglichkeit, sich in seiner Tiefe zu finden und zu entfalten. Nach der Niederlage des verheerenden Zweiten Weltkrieges war ebenfalls keine Zeit für Gefühle – obwohl es angebracht gewesen wäre, das Trauma von Zerstörung, Vergewaltigung, Mord und Erniedrigung zu bearbeiten. Zunächst ging es um das nackte Überleben, um die primären Lebensvollzüge. Dann kam unvermittelt die

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Erik H. Erikson weist darauf hin, dass der Verlust an gewachsener Ich-Integrität durch Todesfurcht gekennzeichnet ist: „Der einzige, einmalige Lebensablauf wird nicht als die Ultima Ratio des Lebens anerkannt. Verzweiflung entspricht einem Gefühl, dass die Zeit zu kurz ist, zu kurz für den Versuch, ein anderes Leben zu beginnen und andere Wege der Integrität zu suchen.“ (Erik H. Erikson, Kindheit und Gesellschaft, S. 263) 19 Zur Vertiefung: Stephan Grünewald, Deutschland auf der Couch, Heyne-Verlag 20 Ausführlich in: Erich Fromm, Die Seele des Menschen, ab Seite 33: Die Liebe zum Toten und die Liebe zum Lebendigen 21 siehe Klaus Kordon, Krokodil im Nacken, Weinheim 2002, S. 219

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Die Träume des Lebens

Währungsreform und der Wohlstand, nun ging es um Aufbau, Geldverdienen, Fortschritt. Die Gefühle wurden weiterhin im Keller eingeschlossen, Angst hatte keinen Raum. Im Gebiet der DDR galt erneut die Prämisse: „Vom Ich zum Wir“21, wobei das „Ich“ mit seinen Bedürfnissen dem „Volkskörper“ untergeordnet wurde und sich ohne eigene Ansprüche anpassen musste. Die Gefühle waren da, aber sie fanden keinen Ausdruck, wurden nicht geäußert. Und je länger die Gefühle abgespalten und verdrängt wurden, desto weniger konnten sie konkreten Ereignissen zugeordnet werden, desto diffuser und unleserlicher wurden sie (Alexithymie). So wurde in unserem Volk der Gefühlsbereich immer unklarer, ein latenter Wust von undefinierbarer, negativer Energie, der ständig präsent war. Man musste sie nur antippen und erfuhr eruptive Reaktionen: Jähzorn, unkontrollierte Wut, unbeherrschte Äußerungen waren die äußeren Anzeichen eines inneren Druckes. Die Angst war wie heißes Magma unter einer dünnen Oberfläche, ständig bereit auszubrechen. Die Studenten der 68er-Generation wussten das und provozierten zielsicher und genau. Mit der Revolte dieser Zeit ging jedoch das Gefühl einher: Es bringt ja doch nichts! Die Nachkriegsgeneration zog sich in depressive Weltflucht oder in utopische Weltverbesserungsideen zurück, litt unter der Sinnlosigkeit des Seins („Geworfenheit alles Seienden“, wie Martin Heidegger sagte), diskutierte über das Überleben in der Zeit des Kalten Krieges oder verabschiedet sich in der Hippiebewegung in eine schöne Welt, in der es nur gute Gefühle gab.22

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Die unverarbeitete Angst sammelte sich in unserem deutschen Volk im Untergrund wie in einem großen Speicher, heute scheint dieser Behälter voll zu sein und droht überzulaufen. Der Boden, unter dem die Angst lauert, ist brüchig geworden, trägt nicht mehr. Die Werte, die Orientierung vermitteln, müssen neu erfunden werden. Es braucht den sicheren Rahmen, der nötig ist, um auch mit latenten Ängsten umgehen zu können. Immer wieder begegnen mir in der Seelsorge vor allem junge Männer mit Träumen, die sich sehr ähnlich sind. Sie träumen von Herausforderungen, Abenteuern, sie sehen sich als Ritter der Gerechtigkeit oder als Rächer der Enterbten. Sie sehen sich als Cowboys und als Helden mit unüberwindbarer Stärke. Tatsächlich jedoch führen sie eher ein stilles und unauffälliges Leben. Aber in ihnen steckt noch etwas anderes. Ich rate den jungen Menschen, die zu mir in die Seelsorge kommen, den Weg zum Ich zu gehen über die vielen mühevollen, erniedrigenden Stationen hinauf zum Ziel, zur Erfüllung der Träume. Nur wer warten kann und bereit ist, seine Träume zu opfern, erlebt ihre Erfüllung in guter Weise. Nur wer den Mut und den langen Atem hat, den ganzen Weg zu gehen und sich dabei auch den eigenen Ängsten und Abgründen zu stellen, wird mit einem starken Ich beschenkt. Als Seelsorger gebe ich Unterstützung für einen solchen Weg und helfe, dranzubleiben und sich nicht zu früh Ersatz-Träume zu erfüllen, mit Surrogaten zu leben, in die bequeme Selbstzufriedenheit auszuweichen oder resigniert aufzugeben, wenn die Angst alles zunichte machen möchte. Denn die Gefahr des Träumers ist, dass er sich nicht im Heute bewegt, sondern in einem fiktiven Morgen lebt – und dabei das Heute verpasst. Er

siehe: Ulla Hahn, Unscharfe Bilder; Wolfgang Schmidbauer, Ich wusste nie, was mit Vater ist; Christoph Amend, Morgen tanzt die ganze Welt; Günter Grass, Beim Häuten der Zwiebel 23 Otto Friedrich Bollnow, Existenzphilosophie, S. 57 24 „Die Angst offenbart das Nichts“, sagt der Philosoph Martin Heidegger (Martin Heidegger, Was ist Metaphysik, Bonn, 1931, S.16 nach Otto Friedrich Bollnow, Existenzphilosophie S. 61) 25 „Denn es gibt nach Kierkegaard keine andere Möglichkeit für den Menschen, Wahrheit, menschliche, d.h. bedingte Wahrheit zu werden, als die, der unbedingten oder göttlichen Wahrheit gegenüberzutreten und in die entscheidende Beziehung zu ihr einzugehen; dies aber vermag man nur als einzelner, wenn man ein personhaftes Wesen mit ganzer selbständiger eigener Verantwortung geworden ist.“ (Martin Buber, Das Problem des Menschen, S. 111)

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träumt sich vom Hier und Jetzt in eine andere Welt. Nur wenn sich die Träume mit dem Heute verbinden, bekommen sie lebenspendende Kraft. Nur wenn der Mensch bereit ist, seine Ängste wahrzunehmen, anzuschauen und auszuhalten, wird er stark.

Grenzerfahrungen Die eigene Stärke wird vor allem in den Grenzbereichen des Lebens erfahrbar: Widersprüche des Daseins werden deutlich und müssen ins Leben integriert werden. Dadurch wird der Mensch ganz und vermag zu lieben, gewinnt er Toleranz, begreift sich als Teil einer umfassenden Geschichte, wird geläutert und damit echt. „In den Grenzsituationen wird der Mensch vor die volle Unheimlichkeit seines Daseins gestellt.“ 23 Der Mensch schreckt aus seinen Träumen auf und wird wach. Das „Ich“ zeigt sich dort schärfer, wo wir mit unseren Vorstellungen scheitern und in Konflikte und Krisen geraten, denn das Scheitern stellt die Frage nach der eigenen Existenz, seinen Möglichkeiten und Unmöglichkeiten, konfrontiert mit der eigenen Realität. Dabei erleben wir: Die Grenze setzt der andere. Auf dem Weg zum „Ich“ stoßen wir auf das „Ich“ des Mitmenschen, der eigene Wille wird durchkreuzt von dessen Willen. Wir scheitern am „Du“, das eine andere Sichtweise hat und die eigene blauäugige Selbstverständlichkeit durchkreuzt, indem es sagt: „Ich sehe das ganz anders!“ Machen wir dann dem Gegenüber Vorwürfe für die andere Sichtweise, weil wir nicht bereit sind, unseren Blickwinkel zu ändern – oder setzen wir uns so auseinander, dass unser „Ich“ dabei auf gute Weise wachsen kann (indem sich zum Beispiel der eigene Horizont weitet)? Es bleibt uns nichts anderes übrig, als uns auf den anderen und seine Meinung einzulassen – um zu lernen und zu wachsen!

Es ist wichtig auf dem Weg der „Ich-Werdung“, bis zur Grenze zu gehen, um sich selbst kennen zu lernen. Denn der Mensch setzt nicht die Grenze, sondern er ist sie. Nur wenn er sich selbst kennt, kann er sie (und sich) überwinden. Grenzbereiche sind Orte, an denen Angst aufbricht. Sie weckt auf, die Aufmerksamkeit wächst: Was ist los? Die Angst ist ein nötiges Instrument, ohne sie kann niemand abschätzen, wie weit er gehen kann, spürt nicht die Bedrohung seiner Existenz und dadurch die Verletzlichkeit des Lebens. Durch sie wird das Leben lebendig und kostbar. Die Angst macht deutlich, dass es die Abgründe des „Nichts“ gibt.24 Diese Angst führt zu Gott, der das genaue Gegenteil vom „Nichts“ ist. Trotzdem bleibt Gott der ganz Andere, unfassbar, nicht zu verstehen. Er macht uns Angst – aber das ist ganz normal, denn er ist das gewaltige, unbegreifliche „Du“.25 Ohne die Angst wäre Gott nur ein Kumpel, aber so begegnen wir ihm mit Ehrfurcht und Respekt vor seiner Größe. Die Angst signalisiert auch, wie gefährdet und verletzlich das Leben ist, wie sehr wir auf Gottes Hilfe und seinen Schutz angewiesen sind, den wir um Hilfe bitten, weil Er größer ist als wir. Durch die Angst finden wir einen Zugang zu den Ordnungen Gottes (vgl. Psalm 119).

Mut gewinnen Damit ich nicht missverstanden werde: Gott erzeugt nicht Angst, er will uns keine Angst einjagen – aber wir vermögen uns ihm nur mit Furcht und Zittern zu nahen, weil das „Ich“ dem großen „Du“ begegnet, durch das es geschaffen wurde. Das ist vergleichbar mit dem Respekt vor den Eltern: eine natürliche Furcht und Scheu vor den Erzeugern des eigenen Lebens. Heute ist mit der Angst der Respekt vor sämtlichen Autoritäten verloren gegangen und damit auch die Kraft, die entsteht, wenn sich ein großes „Du“ und ein kleines „Ich“ im Bewusstsein der unterschiedlichen Größe begegnen.

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Aus dieser Begegnung erwächst der Mut, über sich hinauszuwachsen, Grenzen zu überwinden, neue Wege zu gehen. Nur wer Angst hat, kann auch Mut haben, und nur wer Mut hat, bekommt die Kraft zu großen Taten, die alle falsche Selbstbezogenheit überwinden. Zu jeglichen Begegnungen des Lebens gehört der Mut, sich zu zeigen, sich dem anderen auszusetzen und dabei auch kritische Reaktionen zu bekommen, die schmerzhaft sind, weil ich erkannt wurde. Ich werde unweigerlich mit meiner Bedürftigkeit konfrontiert. Mut ist nötig, um sich ganz für den anderen einzusetzen, die eigene Bequemlichkeit zu überwinden und ihm zu helfen, zu sich zu finden. Wir brauchen den Mut, uns einander auszuliefern, die Demut, uns voreinander zu öffnen! Dabei machen wir unweigerlich die Erfahrung, dass wir immer wieder schuldig werden aneinander, weil wir dem anderen etwas schuldig bleiben, oder weil wir trotz aller Bemühungen um den anderen bei uns selbst landen. Wir setzen uns einander aus und spüren dabei die eigenen Schwachstellen. Wir machen die Erfahrung, dass wir trotz guten Zuhörens einander nicht verstehen, aneinander vorbeireden oder uns verletzen. Wenn wir uns einander nähern, verletzen wir uns. Statt mit oberflächlichen Floskeln abzuwiegeln, gilt es nun per „Ich“ zu reden, die ganze Persönlichkeit gibt sich hinein in die Abgründe meines Lebens, die sich jetzt auftun. Wie sieht es mit den eigenen Erfahrungen von Leid, Angst und dem Umgang mit eigenen Grenzen, dem eigenen Scheitern aus? Ein Gesprächspartner, der sich selbst mit seinen Fehlern offenbart, signalisiert Verständnis und Offenheit, auch über heikle Punkte zu reden. Wer mit seinen eigenen Ängsten nicht versöhnt ist, tut sich hier schwer, wer

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bisher Leiden und Grenzen ausgewichen ist, hat nun wenig Möglichkeit, den anderen zu verstehen. Weichen wir deshalb oft tiefen persönlichen Gesprächen aus, weil wir fürchten, in Bereiche vorzustoßen, wo wir uns unsicher fühlen, weil wir uns nicht auskennen? Rächt sich hier der oberflächliche Lebensstil unserer Tage, das Ignorieren und Übertönen der Schwierigkeiten des Lebens? Kann ich nicht mitleiden, weil ich die eigene Angst nicht gespürt habe? Fehlt mir die Empathie, weil ich mir selbst aus dem Weg gehe?

Barmherzig werden Es bleibt nicht aus, dass wir immer wieder das zerstören, was uns eigentlich am meisten guttut: die Beziehung zum Nächsten. Die einzige Möglichkeit, um miteinander wieder ins Reine zu kommen, ist, sich zu sagen, wo man sich verletzt, missverstanden oder missachtet fühlt, einander um Entschuldigung zu bitten und immer wieder zu vergeben. Nicht aufhören, neu anzufangen. Sich nie beleidigt in einen Schmollwinkel zurückziehen. Nicht nachtragend sein und die kleinsten – oder auch größeren – Kränkungen permanent aufwärmen wie den Eintopf von gestern, in den auch alle weiteren Missliebigkeiten gerührt werden, die noch im Gedächtnis sind (und dort gepflegt werden). Unendlich oft dem anderen vergeben (nämlich siebzigmal siebenmal, vgl. Matthäus 18,22). Wo es nicht gelingt zu vergeben, kann ich die Schuld des anderen bei Gott abladen, damit er sich um mich und meine Rechte kümmert. Genauso kann ich all das, wo ich am anderen schuldig geworden bin, Gott bekennen und ihn um Vergebung bitten – wenn mir der andere nicht vergeben will oder ich es nicht schaffe, ihn um Vergebung zu bitten.


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Ruhe in der Angst

Wenn wir ehrlich sind – auch uns selber gegenüber –, dann werden wir barmherzig. Und auch das ist ein Schlüssel für gelingende Beziehungen: Nur wenn wir einander mit Barmherzigkeit begegnen, können wir uns ertragen. Ich bin nicht besser als du, ich lebe genauso wie du vom Erbarmen Gottes. Weil das so ist, nehmen wir uns an – auch in aller Fehlerhaftigkeit und in den Bereichen, wo wir uns auf die Nerven gehen. Ich beobachte eine zunehmende Unbarmherzigkeit, auf härteste Weise wird das eigene Recht eingefordert und der andere „fertig“-gemacht. Will man damit vom eigenen Versagen ablenken? Da der andere ja viel schlimmer ist als ich, muss ich mich nicht um mich kümmern, sondern kann vom andern fordern, dass er sich endlich ändert. Wir müssten lockerer sein – uns selbst und anderen gegenüber. Probleme mit Humor bewältigen, sich selbst nicht so ernst nehmen, über sich lachen können und damit dem anderen zeigen: Ich bin auch nur ein Mensch! Lächeln ist eine einfache, aber wirkungsvolle Möglichkeit, um die Brücke zum anderen zu schlagen – sogar über tiefe Abgründe hinweg. Ein Lächeln entspannt den, der lacht, und den, der es empfängt. Lachen signalisiert Freude und wo Freude wohnt, verziehen sich drohende Wolken. Durch ein Lächeln wird den Umständen die bedrohliche Seite genommen. Wir lächeln meistens in Situationen, die uns verunsichern, oder Menschen gegenüber, die uns nicht sehr freundlich begegnen. Damit ändert sich die Atmosphäre. Das Lächeln ist ein Friedensangebot und öffnet die Tür zu einer Beziehung.

Weil Gott treu ist, können wir treu in unseren Beziehungen zueinander stehen; weil er durchhält, können wir verbindlich leben. Er ist der sichere Garant in einer unruhigen Zeit, zu ihm können wir kommen mit unserer Angst. Hier finden die negativen Mächte unseres Lebens ihren Meister. Bei ihm kommt unsere Seele zur Ruhe, bei ihm erfahren wir Heilung von unseren tiefen Verwundungen. Wir können wegschauen von dem, was uns Angst macht, müssen nicht auf das Unheil starren, das uns in seinen Bann ziehen will. Im Anschauen Gottes werden wir frei von allem, was uns bindet, dadurch verändern sich die Umstände. Niemand muss den Kopf in den Sand stecken, wir können den Schwierigkeiten erhobenen Hauptes begegnen. Wir müssen nicht ins Dunkel starren, sondern dürfen ins Licht treten: Gott ist gegenwärtig. Das verändert alles! Es lohnt sich tatsächlich, zuerst nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit zu trachten, um dabei festzustellen, dass sich alles andere dann in seine natürliche Ordnung fügt (vgl. Matthäus 6,33). Im Spiegel des ewigen, unveränderbaren Gottes erkennen wir uns selbst und sehen, was in unserem Leben Bestand hat und was nicht, was wertvoll ist und was wertlos. •

ÜBER DEN AUTOR Johannes Stockmayer, Sozialpädagoge und Diakon, arbeitet freiberuflich als Gemeindeberater, Coach und Seelsorger und ist Autor verschiedener Bücher. (s.u.) www.onesimus-dienste.de

Bücher zum Thema vom selben Autor: Aufbruch aus der Krise, Leiten in schwierigen Zeiten, Oncken Verlag, Kassel, 2008 Gemeinsam Wege finden, Zur Konfliktbewältigung in der Gemeinde, Evangelische Verlagsanstalt Leipzig, 2008 17


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IMPULS

Als Verantwortungsträger gescheitert – was nun? Umgang mit Versagensängsten ch besuchte einen Leiter im Krankenhaus – ein Häufchen Elend. Ganz anders als damals bei der Einführung in sein Amt. Stolz hatte er seine Aufgabe übernommen, viele Ideen ließen ihn sprudeln, mit seiner Begeisterung wurden seine Mitarbeiter angesteckt. Er hatte sich ein großes Pensum vorgenommen und wollte seinen Arbeitsbereich kräftig umkrempeln. Dann war er auf Widerstände gestoßen. Die Veränderungen hatten sich komplizierter erwiesen, als er gedacht hatte, persönliche Schwierigkeiten mit einigen Mitarbeitern waren dazu gekommen und zuletzt hatte ihn eine kräftige Krise in ihren Fängen – so kräftig, dass er schließlich mit einer Erschöpfungsdepression im Krankenhaus landete. Dort lag er nun, von Gott (scheinbar) und von den Menschen (tatsächlich) verlassen, verzweifelt und verzagt. „Ich habe als Leiter versagt“, flüsterte er mühsam, als ich mich an sein Bett setzte. „Ich bin unfähig“. „Du hast an diesem einen Punkt versagt“, berichtigte ich vorsichtig, „aber das heißt noch lange nicht, dass du ein schlechter Leiter bist.“ Er schaute mich erstaunt an. „Ich habe alles falsch gemacht“, beharrte er müde.

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„Das mag sein“, gab ich zu, „aber du hast überhaupt etwas getan. Du hast es gewagt, die Dinge in die Hand zu nehmen, zu gestalten und zu verändern. Da war klar, dass Fehler nicht ausbleiben. Du weißt doch: Wer nichts tut, macht keine Fehler, wer viel in Angriff nimmt, macht viele Fehler, wer als Leiter eine Krise bewältigen will, kommt aus dem Fehlermachen gar nicht heraus.“ Der Kranke lächelte mühsam. In der nächsten halben Stunde redeten wir darüber, wie er Leiter wurde. Ihm war so deutlich, dass es Gott gewesen war, der ihn in diese Aufgabe berufen hatte. Dann kam der Abbruch. Er verstand nicht wieso. „Schau, Gott ist für die Berufung zuständig, wir für die Fehler“, sagte ich zuversichtlich, „und wenn wir Fehler machen, steht er trotzdem zu uns und zu unserer Berufung. Er nimmt sie nicht zurück. Wenn dir klar ist, dass du als Leiter berufen wurdest, dann bist du auch jetzt noch Leiter, auch wenn du versagt hast. Für Gott spielt das keine Rolle, er wusste ja, was er dir zumutet, er kannte dich und deine Grenzen.“ Ich sah den Hoffnungsschimmer in den Augen meines Freundes. Deshalb wagte ich es, noch einen Schritt weiterzugehen.

„Nimmst du heute deine Berufung als Leiter für diese Arbeit neu an? Sagst du noch einmal dein Ja zu diesem Ruf Gottes?“ Er zögerte und überlegte lange, ob er noch einmal in die Last dieser Verantwortung einwilligen sollte. Ich hatte den Eindruck, als würde ich einem Menschen, der unter dem Sack auf seinem Rücken zusammengebrochen war, die Last erneut aufladen. „Ja“, sagte er schließlich fest und bestimmt. Und mit diesem zweiten, erneuerten Ja wurde der richtige Leiter geboren. Denn wer Ja zu dieser Aufgabe sagt, obwohl er weiß, was er sich auflädt, der ist tatsächlich in seinem Herzen ein Leiter. Er wird allerdings in Zukunft ein anderer Leiter sein als vorher, denn er hat sein Scheitern erlebt, er ist an seine Grenzen gestoßen und hat in seine Abgründe geblickt. Er wird von nun an seine Aufgabe als Leiter gelassener, freier und barmherziger mit sich und seinen Mitmenschen ausüben. Und so kann er neue Krisen bestehen, die bestimmt jetzt schon auf ihn warten.

Aus: Bettina und Johannes Stockmayer, Aufbruch aus der Krise, Leiten in schwierigen Zeiten, Oncken Verlag, Kassel, 2008, Seite 169


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Angstbewältigung und christlicher Glaube VON WINFRIED HAHN

ngst: Jeder kennt sie, keiner will sie. Und dennoch: Jeder hat sie. Sie ist so weit verbreitet, dass sie als Grundbefindlichkeit des Menschen bezeichnet werden kann. Sie gehört anscheinend unvermeidlich zum Leben des Menschen. Für den einen mehr, für den anderen weniger. Existenzangst begleitet den Menschen von der Wiege bis zur Bahre: Angst vor dem Alleinsein, Angst, nicht akzeptiert zu werden, Angst vor inneren und äußeren Verletzungen, Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, Angst, ein Versager zu sein. Ja, letztlich steht hinter allen Ängsten die Angst vor dem Verlust der eigenen Existenz, die Angst vor dem Tod. Wie ein roter Faden zieht sie sich durch alle Lebensalter und Lebensbereiche. Typisch ist die Angst vor dem Unbekannten, dem Unerwarteten.

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So machen viele Menschen besonders dann, wenn Veränderungen im Leben anstehen, die Erfahrung der Angst. Das kleine Kind fürchtet sich vor fremden Menschen, vor dem Neuen, das zum Beispiel beim Eintritt in den Kindergarten oder die Schule auf es zukommt. Der heranwachsende Mensch erlebt die Herausforderung, erwachsen zu werden, oft besonders bedrohlich, weil er aus dem Schutzraum der Familie mehr und mehr herauswächst und damit allein im Leben stehen muss. Das Sich-bewähren-müssen im Berufsleben, die Rolle als Ehemann und Familienvater: All das sind Verantwortlichkeiten, die Angst einflößen können. Aber auch die Angst vor dem Älterwerden ist schon bei jungen Leuten weit verbreitet. Angst, nicht mehr so schön zu sein, Falten oder Haarausfall zu bekommen, nicht mehr gebraucht zu werden, nicht 19


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mehr mitreden zu können. Mit zunehmendem Alter spielt dann die Angst vor Krankheiten eine wichtige Rolle. So schreibt der Psychologe Fritz Riemann in seinem Buch „Grundformen der Angst“ folgendes: „Wenn nun Angst unausweichlich zu unserem Leben gehört, will das nicht heißen, dass wir uns dauernd ihrer bewusst wären. Doch sie ist gleichsam immer gegenwärtig und kann jeden Augenblick ins Bewusstsein treten, wenn sie innen oder außen durch ein Erlebnis konstelliert wird. Wir haben dann meist die Neigung, ihr auszuweichen, sie zu vermeiden, und wir haben mancherlei Techniken und Methoden entwickelt, um sie zu verdrängen, sie zu betäuben oder zu überspielen und zu leugnen. Aber wie der Tod nicht aufhört zu existieren, wenn wir nicht an ihn denken, so auch nicht die Angst.“

Angst auch im 21. Jahrhundert Es scheint wohl normal zu sein, dass jeder Mensch Angst hat, auch wenn er es nicht zugibt. Zu bedroht, zu zerbrechlich ist das körperliche, aber auch das psychische Leben des Menschen. Auch der Stolz im Menschen des einundzwanzigsten Jahrhunderts muss sich selbst eingestehen, die Angst nicht besiegt zu haben. Denn Angst ist die psychische Reaktion auf Bedrohung. Gerade der moderne Mensch empfindet trotz aller Fortschritte eine Vielzahl an Bedrohungen: Überforderung im Beruf durch ständige Innovation und steigenden Leistungsdruck, psychischer Stress durch zunehmenden Egoismus im Umgang miteinander, Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen und weltweiten Terrorismus. Vor allem aber das Ringen um die eigene Identität, weil die zentralen Fragen des Lebens unbeantwortet bleiben: Woher komme ich? Wozu lebe ich? Wohin gehe ich? Die Sinnentleerung, das heißt der Verlust an Orientierung, macht den modernen Menschen anfällig für Ängste jeder Art. Statt Ängste zu verringern, leidet der moderne Mensch trotz Fortschritte in Medizin und Technik, trotz aufgeklärtem und emanzipiertem Bewusstsein an einer ständigen Zunahme 20

der Angstbereitschaft – sehr zur Freude der Pharmaindustrie, die mit Beruhigungsmitteln und Tranquilizern riesige Gewinne einfährt. Bei allen gesellschaftlichen und entwicklungspsychologischen Gegebenheiten ist Angst jedoch ein sehr persönliches und individuelles Problem. Jeder hat seine ganz persönliche Angst und ist mit ihr allein. Der eine hat Angst vor Einsamkeit. Der andere hat Angst vor Menschen oder Menschenansammlungen. Ein anderer bekommt Angstanfälle, wenn er mit dem Lift oder einer Seilbahn fahren will. Ein anderer kann sich nicht in geschlossenen Räumen oder gar auf Plätzen aufhalten. Wieder ein anderer hat Angst vor harmlosen Tieren. Die Aufzählung verschiedener Ängste ließe sich beliebig fortsetzen. Millionen von Menschen, man spricht von 15 Prozent der Bevölkerung, werden von ihr befallen. Dann ist da noch die Angst nach schlimmen Erfahrungen. Tiefe Kränkungen, wie zum Beispiel Mobbingerfahrungen, Schockerlebnisse, wie zum Beispiel bei Vergewaltigungen oder Unfällen, erzeugen oft jahrelang anhaltende Angstzustände. Es handelt sich dabei oftmals um Zustände unbeschreiblicher Qual. Der Mensch fühlt sich ausgeliefert, entwürdigt, verletzt, preisgegeben. Dunkelheit bemächtigt sich seiner. Eine kalte Hand legt sich ihm ins Genick und drückt ihn zu Boden. Dabei können Atemnot, Beklemmungsgefühle, Schwindel, Benommenheit, Herzrasen, Zittern und Beben, Schwitzen, Übelkeit, Hitzewallungen oder Kälteschauer und vieles andere mehr empfunden werden. Besonders quälend ist das Empfinden, all diesem ausgeliefert zu sein, keine Chance zu haben, vielleicht sogar verrückt zu werden. Tiefe Kränkungen, wie zum Beispiel bei Vergewaltigungen oder sexuellem Missbrauch können so starke Empfindungen der Entwürdigung und des Grauens hervorrufen, dass der Mensch es in seiner Person nicht mehr aushält und er das Gefühl bekommt, nicht mehr er selbst zu sein und gleichsam neben sich zu stehen, sich wie von außerhalb beobachtet, als wäre er ein Fremder gegenüber sich selbst. Zustände, bei denen der Einzelne den Eindruck hat, nicht mehr sich selbst zu sein, sich nicht mehr erleben, nicht mehr spüren, nicht mehr kontrollieren und steuern zu können, erzeugen Angst und Hilflosigkeit. Auch wenn nicht jeder Ängste dieser Ausprägung und Intensität erlebt, so beschäftigt doch jeden denkenden und bewusst lebenden Menschen die Frage: Wer bin ich


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eigentlich? Warum handle ich so, wie ich es tue, was ist meine Identität? Nur wer eine Standortbestimmung vollzogen hat, nur wer die Frage nach dem Sinn und Ziel seinen Lebens beantworten kann, hat das Stehvermögen, die Herausforderungen des Lebens so zu bewältigen, dass er seine Angst in den Griff bekommt.

Hilfreiche innere Einstellungen Um die unterschiedlichen Bedrohungen, Herausforderungen und Ängste unseres Lebens bewältigen zu können, brauchen wir die richtige innere Einstellung. Einige dieser Einstellungen möchte ich an dieser Stelle (in Anlehnung an Fritz Riemann, Grundformen der Angst) kurz ausführen. 1. Wir brauchen ein gesundes Maß an Öffnung und Hingabebereitschaft, um mit anderen in Kommunikation, Freundschaft und Partnerschaft treten zu können. 2. Wir brauchen andererseits auch die Fähigkeit, uns gegenüber anderen Personen abgrenzen zu können, um sich selbst nicht zu verlieren, aber nur in dem Maße, dass man sich nicht isoliert oder zum Einzelgänger und Rechthaber wird. 3. Benötigen wir, um unser Leben meistern zu können, Zielstrebigkeit, Stetigkeit, Verlässlichkeit, Kontinuität und ein gewisses Maß an Beharrungsvermögen, um Verantwortung für uns selbst und andere Menschen übernehmen zu können. 4. Im Gegensatz dazu steht die Notwendigkeit und Bereitschaft, das Erreichte, Gewohnte und Vertraute immer wieder loszulassen und seine Angst vor Veränderung zu überwinden. Nur wer loslassen kann, ist in der Lage, seine Existenzangst, ein Vorbote oder in uns allen schlummernden Todesangst, zu bewältigen. Diese vier in manchen Bereichen gegensätzlichen Einstellungen, befähigen uns, Ängste unterschiedlichster Art in den Griff zu bekommen und damit umzugehen. Allerdings ist dies ein Weg, der dem Einzelnen oftmals nicht leicht fällt, vor allem, wenn sein Innerstes getrieben und von Unsicherheit erfüllt ist. Hier die Balance zu finden zwischen Hingabebereitschaft und der Fähigkeit, sich abzugrenzen, ist für den verunsicherten Menschen nicht leicht. Dasselbe gilt für den Balanceakt zwischen Ziel-

strebigkeit, Stetigkeit und Verantwortungsbewusstsein auf der einen Seite und andererseits die Fähigkeit, alles loszulassen, um immer wieder flexibel reagieren zu können. So bewegt sich unser Leben einerseits zwischen den Gegensätzen von Hingabebereitschaft und Fähigkeit, sich abzugrenzen, andererseits zwischen Zielstrebigkeit und Loslassen. Auch wenn dies hohe Anforderungen an den Einzelnen, vor allem an den schwachen und ängstlichen Menschen stellt, so ist es dennoch möglich. Hier bietet sich Jesus als Helfer und Zufluchtsort an. Er ruft dem ängstlichen Menschen zu: „In der Welt habt ihr Angst, aber fürchtet euch nicht: Ich habe die Welt überwunden.“ Es gibt jedoch auch berechtigte Ängste, die uns wie ein Warnsignal auf Gefahren aufmerksam machen und eine wichtige Schutzfunktion haben. Andererseits gibt es quälende, überzogene und situationsunangemessene Ängste, bei deren Bewältigung und die Bibel Wege zeigt und Jesus uns helfen will. Viele Menschen leiden unter religiösen Ängsten. Dabei spielt die Angst vor Gott eine entscheidende Rolle: Angst verdammt zu werden, weil man ein Sünder ist, und erkennt, dass man versagt hat. Diese Angst macht uns auf einen wichtigen Aspekt der göttlichen Wahrheit aufmerksam und hat durchaus ihre Berechtigung. Der natürliche Mensch ist erlösungsbedürftig und geht, auch wenn das heute unmodern klingt, in die ewige Verdammnis, wenn er nicht Jesus als seinen Heiland und Retter annimmt. Somit ist diese Angst für selbstgerechte Menschen ein durchaus ernstzunehmendes Alarmsignal.

Wege des Glaubens Allerdings gibt es auch dafür eine Lösung. Jesus bietet uns Vergebung für unsere Schuld an, und jeder, der an Ihn glaubt, seine Sünden bekennt und mit Ihm lebt, darf die Gewissheit haben, dass ihm alles vergeben und Gott ihm zum Vater und Jesus zum Freund geworden ist. Wenn dann noch Verdammungsängste auftreten, darf und soll der Mensch diesen in Glaubenszuversicht und Entschlossenheit entgegentreten und für sich die Erlösung in Anspruch nehmen. Hier sind wir bei einem wichtigen Punkt der Angstbewältigung. Die Botschaft der Angst lautet oftmals: Du schaffst es nicht; du hast keine Chance; alles ist sinnlos. Diese Botschaften müssen entkräftet werden. Gott ruft 21


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es wichtig, den angsterfüllten Menschen behutsam zu ermutigen, er braucht Veständnis in seiner Not. Er braucht unsere ermutigende, geduldige Begleitung.

uns in Seinem Wort zu, dass wir mutig und entschlossen

Illustrationen: Matthias Gieselmann, JoussenKarliczek GmbH

sein dürfen im Vertrauen auf Ihn. Gott ermutigt uns und verspricht uns Hilfe. Die Angst lähmt, ist bedrohlich und pessimistisch. Die Botschaft Gottes und die Botschaft der Angst sind einander entgegengesetzt. Nun geht es darum, dass die göttliche Wahrheit das Innere des Menschen erreicht und die Lügen der Angst entkräftet. Wie kann dies geschehen? Denn der angsterfüllte Mensch ist ja zutiefst von der Wahrheit der Angstbotschaften überzeugt: Du schaffst es nicht; du wirst niemals herauskommen; die Sache geht ganz bestimmt schief; ich mache ja immer alles falsch; der Schmerz ist zu groß; ich werde mich nie mehr freuen können; ich bin zu schwach und zu unbegabt, um leben zu können; und und und. Nun, wie gesagt, der angsterfüllte Mensch sollte die Zusagen Gottes trotz des inneren Widerspruchs ernst nehmen und sich sagen: Wenn ich in Jesus Christus eine neue Schöpfung, ein neuer Mensch geworden bin, dann gibt es einen Weg für mich. Vielleicht spüre oder erkenne ich diesen Weg noch nicht, aber er ist da und ich will lernen, ihn zu entdecken. Hier geht es um die Herausforderung des Glaubens. Es ist nicht leicht, an das Licht zu glauben, wenn man es nicht sieht und nur von Dunkelheit umgeben ist. Hier ist

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Es sind zwei Gefahren, die es zu beachten gilt: Der angsterfüllte Mensch darf nicht überfordert werden, denn wenn er bei dem Versuch, seine Situation zu ändern, scheitert, ist die Verzweiflung und Resignation größer als zuvor. Dennoch muss die Herausforderung bleiben, damit der Mensch nicht in seiner Angst hängen bleibt. Niemand kommt aus seiner Angst heraus, wenn er sich ihr nicht stellt. Angst muss bewältigt werden, in kleinen Schritten und geschützter Atmosphäre. Man muss sich seiner Angst stellen, sie anschauen. Wird sie beim Anschauen übermächtig, dann besser wegschauen und sich nicht mit etwas anderem beschäftigen, aber nicht verdrängen. Zu gegebener Zeit wieder hinschauen, bis die Angst, der Schmerz, das bevorstehende Ereignis, die Angst erzeugende Situation ihren Schrecken verliert. Das Ungeheuer Angst wird oftmals in Etappen besiegt. Wichtig ist, dass man dran bleibt. Hier spielt das Vertrauen eine entscheidende Rolle. Ein Mensch hat es leichter, wenn er weiß: Ich bin nicht allein, meine Familie steht hinter mir, mein Seelsorger versteht mich, mein Therapeut begleitet mich. Entscheidend ist jedoch das Wissen: Jesus geht mit mir, Er ist bei mir in der Angst, Er geht mit mir durch die Angst, ich brauche nicht zu fliehen. Oftmals übertragen sich Autoritätsängste, zum Beispiel Probleme mit dem Vater oder das Gefühl, von der Familie oder von Freunden allein gelassen worden zu sein, auf Gott: Unterdrückt der mich auch? Lässt Er mich auch im Stich? Da dürfen wir voller Hoffnung sein in dem Wissen: Gott ist anders, Er steht zu uns; Er ist unser sicherer Ort, eine Burg der Zuflucht und des Schutzes.

Angst als Herausforderung Allerdings nimmt Er uns aus der Herausforderung, uns den Dingen


ANGST UND ANGSSTÖRUNGEN

sich als der gute Hirte, der seinen Schafen nachgeht und sich für sie aufopfert.

Wiederherstellung der zerbrochenen Vertrauensfähigkeit

des Lebens, auch unseren Ängsten zu stellen, nicht heraus, weil Er uns zu mündigen Menschen und Persönlichkeiten formen will. Er ersparte es dem Volk Israel nach dem Auszug aus Ägypten nicht, die Feinde selbst zu vertreiben. Dieses Volk, das nur Schläge und Unterdrückung kannte, forderte Er heraus, selbst zu kämpfen, selbst das Schwert in die Hand zu nehmen, auch wenn die Feinde übermächtig waren. So wurde aus diesem unterdrückten Sklavenvolk ein kämpfendes Volk. Er will auch uns aus der Sklavenmentalität gegenüber unseren Ängsten befreien. Und so wie Er damals dem Volk Israel auf Schritt und Tritt zeigte: Ich bin bei euch in der Nacht als Feuersäule, am Tag als Wolkensäule, ich versorge euch mit Speise mitten in der Wüste, so ruft Er heute noch jedem ängstlichen Menschen zu: Ich bin dein Trost, fürchte dich nicht vor mir, ich helfe dir in deiner Angst, vertraue mir, ich stehe dir bei, wenn es um die Bewältigung von Bedrohung und Überforderung geht. Durch die sanfte Berührung meines Geistes will ich dich heilen von deinem Schmerz. Ich will die Wunden der Kränkung, der Entwürdigung, der Respektlosigkeit gegenüber deiner Person heilen. Öffne dich mir und meinem Heiligen Geist. Aber Er fordert uns auch heraus, indem Er uns aufruft, Seinem Wort und Seinen Verheißungen zu glauben. Er möchte nicht, dass wir durch Unglauben der Resignation die Oberhand lassen. Er zeigt uns deutlich, dass Angst letztendlich Misstrauen und mangelnder Glaube ist. Aber Er verurteilt uns deswegen nicht, sondern Er erweist

So stellt Er die zerbrochene Vertrauensfähigkeit auf eine zweifache Weise wieder her. In Seiner Gnade begegnet Er uns geduldig und liebevoll durch Seinen Geist, durch Zuwendung und Trost. Durch Seinen Geist fordert Er uns auf, der Wahrheit zu glauben und die Lügen der Angst zu entlarven und zurückzuweisen. So entwickelt sich im angsterfüllten Menschen eine neue geistliche Identität, die nach und nach auch mit dem Herzen die Worte begreift: In Christus bin ich wirklich eine neue Schöpfung. Das Alte ist vergangen, Neues ist geworden. Christus in mir ist größer als alles Zerstörerische, Negative und Dunkle. Auch ich bin dazu berufen, im Leben mit Christus zu herrschen und brauche mich nicht beherrschen zu lassen. Es ist die alles überragende Botschaft: Weil Gott mich liebt, darf ich sein. Nichts kann mich scheiden von Seiner Liebe, weder Hohes, noch Tiefes, noch Mächtiges. Weil Er „Ja“ zu mir sagt, darf ich leben. Wenn diese Botschaft das Innere eines Menschen erreicht, schmilzt die Angst wie ein Eisberg oder wie Wachs in der Sonne. Die durch die Angst zerstörte Vertrauensfähigkeit wird wieder hergestellt und er wird heil im Vertrauen zu Gott. •

ÜBER DEN AUTOR Winfried Hahn, ist Pastor und Pädagoge. Der Vater von zwei erwachsenen Kindern, Damaris und Daniel, war Pastor in mehreren freikirchlichen Gemeinden, studierte Pädagogik und machte eine Ausbildung zum Christlichen Therapeuten. Heute leitet er das de’ignis Wohnheim – Haus TABOR zur außerklinischen psychiatrischen Betreuung und ist Vorsitzender der Christlichen Stiftung de’ignis Polen. Als Pastor im übergemeindlichen Dienst und Buchautor hält er Predigten, Vorträge und Seminare im In- und Ausland.

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Die hier getroffenen Aussagen spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider. Ihre Meinung ist gefragt. Antworten Sie uns an E-Mail:wohnheim@deignis.de

Zur Diskussion

Verantwortungslose Verantwortungsträger machen Angst Gedanken über Gesellschaft, Kirche und Gemeinde VON WINFRIED HAHN

mmer mehr Menschen scheinen in Staat und Gesellschaft sich davor zu scheuen, Verantwortung zu übernehmen. Oftmals ist es schwierig, Positionen, die hohe Qualifikation und persönliche Reife voraussetzen mit befähigten Verantwortungsträgern zu besetzen. Nicht wirkliche Qualifikation, sondern das Mittelmaß scheint in wichtigen Führungsebenen Einkehr zu halten. Menschen, für die nicht das Wohl der Allgemeinheit im Vordergrund steht. Menschen, die ihrer Aufgabe nicht mit Idealismus Kompetenz und Sachverstand wahrnehmen. Verantwortungslose Dilettanten führen Banken, Unternehmen und andere Organisationen. In erschreckender Blindheit und zügelloser Gier, werden gesunde Unternehmen, die über Generationen mühevoll aufgebaut wurden, ruiniert, Arbeitsplätze hemmungslos vernichtet. Übernahme von Verantwortung oder gar Reue oder wenigstens peinliches Schweigen? Fehlanzeige! Mit hohen Abfin-

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dungen und Bonuszahlungen (bonus heißt eigentlich auf lateinisch gut und man sollte meinen, es handle sich um eine Belohnung für gute Arbeit) lassen sie sich ihr Versagen mit Steuergeldern vergolden! Man reibt sich schon die Augen und fragt: Wie ist so etwas möglich? Der normale Bürger wird wütend, die Politiker scheinen hilflos und versuchen zu retten was zu retten ist. Philosophen, Theologen, Psychologen und andere Intellektuelle versuchen die Hintergründe von solch dilettantischem und charakterlosem Verhalten zu ergründen. Wolfgang Huber (Vorsitzender der EKD) hat schon richtig analysiert, wenn er in seinem jüngsten Buch (Der christliche Glaube – Eine evangelische Orientierung S. 70 f.) ausführt: Die narzistischen Persönlichkeitsstörungen breiten sich aus! Menschen mit narzistischer Persönlichkeitsstruktur sind in der Regel auf ihren eigenen Vorteil bedacht, sind in sich selbst verliebt und handeln nach der Devise: Gut ist, was mir nützt. Diese krankhafte Persönlichkeitsentwicklung scheint weite Teile der Gesellschaft erfasst zu haben. Nicht Werte, nicht das Gemeinwohl, nicht charakterlich faires Verhalten zählt, sondern nur was für einen selbst

nützlich ist. Das christliche Abendland verlässt mehr und mehr seine geistlichen und kulturellen Wurzeln. Es gibt kaum noch Orientierung an Werten oder gar biblischen christlichen Aussagen. Zwar ist das Interesse an religiösen Fragen wieder gestiegen, aber jede Form von normativer Kompetenz der christlichen Religion wird abgelehnt. So entscheidet letztlich die Mehrheit, die Quote. Eine Gesellschaft ohne Orientierung, ohne Werte, ausschließlich auf dem Mehrheitswillen aufgebaut, ohne Moral, kann sich, wie die Geschichte zeigt, sehr verirren. Mehrheitsmeinung – wer prägt sie? Nicht selten Demagogen, Diktatoren und andere Scharlatane. Auch die Massenmedien sind von der Quote bestimmt. Gut ist, was ankommt, auch wenn es niveaulos, häufig blöd und oberflächlich daherkommt. Eigentlich echt peinlich, was viele Entertainer so abziehen. Aber weil’s Quote bringt, merken sie gar nicht, wie entwürdigend sie sich da präsentieren. Verheerend der Einfluss auf Kinder und Jugendliche! Verantwortungsbewusstsein? Fehlanzeige! Hauptsache Quote! Fast fühlt man sich an das Bibelwort erinnert: Wo keine Offenbarung ist, wird das Volk wild und wüst;


ZUR DISKUSSION

aber wohl dem, der auf Weisung achtet (Sprüche 29,18). Und die christlichen Kirchen und Gemeinden? Gilt auch dort die Quote oder die Orientierung an christlichen biblischen Maßstäben? Ich denke diese Frage kann nicht einheitlich beantwortet werden. Eine Tendenz scheint auch dort erkennbar zu sein: Auch christliche Verantwortungsträger tun sich schwer, sich an den Worten und zentralen Aussagen der Bibel zu orientieren. Gut ist, was dem Menschen gut tut. Gut ist, was bei der Gemeinde ankommt. Gut ist, was modern, zeitgemäß und akzeptabel erscheint. Mut erfordert es, zu biblischen Werten und Wahrheiten zu stehen. Mit Opferbereitschaft, Engagement und Hingabe Reich Gottes zu bauen, ist für viele eine Überforderung. Sich wohlfühlen, Events und Streicheleinheiten scheint das Evangelium zu sein, nach dem vielen „die Ohren jükken“ (Originalton Luther). Als freikirchlicher Pastor, der in seiner nun fast 30-jährigen Dienstzeit viele Trends auch in den freikirchlichen Gemeinden kommen und gehen sah, schaut man doch in mancher Beziehung etwas neidisch auf seine katholischen Kollegen, die in vielen Fra-

gen mit mehr Mut und Kompetenz dem Zeitgeist mit all seinen negativen Begleiterscheinungen die Stirn zu bieten scheinen. Wenn auch in Kirchen und Gemeinden die Verantwortungsträger sich immer weniger an biblischen Grundaussagen orientieren und deshalb anfällig für den Zeitgeist werden, entsteht Orientierungslosigkeit. Orientierungslosigkeit aber macht Angst! Wo keine Orientierung ist, entgleist der Mensch. Gott will Orientierung geben durch sein Wort und Begeisterung durch seinen Geist. Sind wir als Christen bereit, darauf einzugehen? • Ihn suchen im Gebet, bis wir Wegweisung durch seinen Geist empfangen? • Lesen und Forschen in der Bibel, um seinen Willen zu erkennen? Das bedeutet Arbeit und Konzentration und hat keinen Eventcharakter. • Ringen im Gebet für die Ziele unseres Herrn gemäß dem Vaterunser: Dein Wille geschehe wie im Himmel, so auf Erden. • Bereit sein, Opfer an Zeit, Geld und Kraft für die Ziele des Reiches Gottes zu bringen, auch wenn das auf den ersten Blick nicht den Wohlfühlcharakter in der Gemeinde zu erhöhen scheint?

• Brennen ohne Auszubrennen, im Feuer der Begeisterung, mit Opferbereitschaft und Hingabe. Kirche Jesu Christi – Quo Vadis?

Meine Gedanken:

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Therapiegrundlagen

Foto: photocase, eyeofsamara

Die unterschiedlichen Gesichter der Angststörungen und ihre Behandlung Soziale Phobie – Generalisierte Angststörung – Agoraphobie – Panikstörung – spezifische Phobien VON DR . BENJAMIN ZELLER

erzrasen, Schweißausbrüche, Schwindel, Engegefühl in der Brust und die Angst, jeden Moment die Kontrolle zu verlieren, vielleicht sogar zu sterben – das sind typische Symptome einer Panikstörung – eine Erkrankung, die vor einigen Jahrzehnten noch weitgehend unbekannt war. Nicht immer allerdings sind Ängste für die Betroffenen so massiv und körperlich spürbar. Die Angst vor einer Blamage, Höhenangst, Ängste vor schweren Erkrankungen, vor dem Flugzeug-Fliegen oder vor Spinnen sind weit verbreitet und nicht immer behandlungsbedürftig. Angst übt zunächst einmal eine gesunde Warnfunktion vor Gefahren aus. Wenn Ängste jedoch das Leben stark einschränken und eigentlich ungefährliche Situationen nur unter intensiver Anspannung durchlebt werden können

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oder ganz vermieden werden, hat die Angst ihre Funktion als „Wachhund“ verloren und kann behandlungsbedürftig werden. Der „Wachhund“ hat Panik bekommen! Die international verbindliche Norm ICD-10 (International Classification of Diseases) unterscheidet in ihrem Kapitel F zu seelischen Störungen verschiedene Arten von Angsterkrankungen. Die gängigsten dieser Angsterkrankungen sind die Agoraphobie mit oder ohne Panikattacken, isolierte Panikattacken, die sozialen Phobien, spezifische Phobien und die generalisierte Angststörung. Im weitesten Sinne zählen dazu auch noch die Zwangsstörung, die Hypochondrie und Dysmorphophobie, die posttraumatische Belastungsstörung und einige kindliche Angststörungen. Im Folgenden sollen diese Erkrankungen mit Ausnahme der letztgenannten in aller Kürze dargestellt werden


THERAPIEGRUNDLAGEN

sowie ein lerntheoretisches (kognitiv-verhaltenstherapeutisches) Konzept zur Behandlung dieser Störungen erläutert werden. Auf die vielfältigen genetischen, lebensgeschichtlichen und geistlichen Ursachen von Ängsten kann an dieser Stelle nicht ausführlich eingegangen werden. Es sei jedoch kurz angerissen, dass die gängigsten Ängste (z.B. Höhe, hohe Geschwindigkeit, soziale Entwertung, gefährliche Tiere, Schmerz, Krankheit, Enge) in uns sinnvollerweise schon vorangelegt sind – bereits Säuglinge kennen diese Ängste. Diese Tatsache nennt sich „biological preparedness“. Es besteht oft auch eine familiäre Erbgeschichte besonders ausgeprägter Ängste (z.B. Höhenangst oder Schüchternheit/soziale Angst). Durch unangenehme Erfahrungen im Laufe der Lebensgeschichte (z.B. Hundebiss, Auslachen durch Klassenkameraden, Autounfall) werden solche Ängste dann durch die Lernprozesse der sogenannten klassischen und operanten Konditionierung bestätigt und intensiviert. Auch die reine Beobachtung einer unangenehmen Erfahrung eines anderen Menschen kann Ängste erzeugen (Modelllernen). Vielfältige Überzeugungen über die Gefährlichkeit bestimmter Lebensumstände und über unsere Hilflosigkeit ihnen gegenüber werden ausgebildet – natürlich auch manche hilfreiche Überzeugungen und Angewohnheiten wie z.B. den Sicherheitsgurt anzulegen. Schließlich werden dann häufig vielfältige Strategien entwickelt, um einer Angst auslösenden Situation aus dem Weg zu gehen. Dies führt zwar zu einer kurzfristigen Beruhigung, jedoch zur langfristigen Verschlimmerung und Ausbreitung der Ängste, da ein solches Vermeidungsverhalten keine positiven Bewältigungserfahrungen ermöglicht und Hilflosigkeitsüberzeugungen bestärkt. Durch positive Bewältigungserfahrungen und Reifung hingegen werden Ängste überwunden – so z.B. die kindliche Angst vor Dunkelheit oder vor der Trennung von der Mutter. Kern einer jeden Angst ist die Furcht vor dem Kontrollverlust. Egal welche Angst betrachtet wird: Es geht immer um den Kontrollverlust bezüglich eines unangenehmen Ereignisses. Unsere Urangst betrifft den ultimativen Kontrollverlust: Die Angst vor dem Tod, die uns Jesus am Kreuz von Golgatha durch die Hoffnung auf die Auferstehung nehmen kann. Dennoch sagt Jesus „In der Welt habt ihr Angst“ und nicht etwa „Als gute Christen habt ihr keine Angst zu haben“. Er fügt allerdings hinzu: „Seid getrost, ich habe die Welt (und alles in ihr, was Angst macht) überwunden“. Angst hat also neben den biologischen und psychologischen Ursachen auch eine geistliche Komponente.

Agoraphobie Die Agoraphobie umfasst eine klar umrissene Gruppe von Ängsten, wie Befürchtungen, alleine das Haus zu verlassen, Geschäfte zu betreten, in Menschenmengen und auf öffentlichen Plätzen zu sein, alleine mit Bahn, Bus oder Flugzeug zu reisen. Oft wird sie begleitet von einer Panikstörung (s.u.). Die Vermeidung der phobischen Situation steht oft im Vordergrund und einige Agoraphobiker erleben nur wenig Angst, da sie den phobischen Situationen erfolgreich ausweichen. Gemeinsames Merkmal der agoraphobischen Ängste ist die Befürchtung, in einer bestimmten Situation intensive Hilflosigkeit zu empfinden, evtl. eine Panikattacke zu erleiden und entweder keine Hilfe zu erhalten (außer Haus, ohne Telefon, alleine auf Reisen, kein Arzt in der Nähe) oder durch Angstsymptome großes Aufsehen bei anderen zu erregen und/oder nicht schnell genug die Flucht antreten zu können, um sich in Sicherheit zu bringen bzw. die peinliche Situation zu beenden (in Menschenmengen, beim Schlangestehen, in überfüllten Kaufhäusern, in Kino, Theater und Kirche – aber auch im Stau oder Tunnel).

Panikstörung Das wesentliche Kennzeichen einer Panikstörung sind wiederkehrende schwere Angstattacken, welche für den Betroffenen nicht kontrollierbar und vorhersehbar sind. Panikattacken treten häufig bei der Agoraphobie auf, können aber auch spezifische, soziale und weitere Phobien begleiten oder ganz „frei flottierend“ auftreten, d.h. völlig unvorhersagbar und an keine konkreten Auslöser gekoppelt. Auch Panikattacken aus dem Schlaf heraus sind ein häufiges Phänomen. Plötzlich auftretendes Herzklopfen, Brustschmerz, Erstickungsgefühle, Schwindel und Unwirklichkeitsgefühle gehören zu den Kernsymptomen, oft treten auch Hitze- oder Kältewallungen, wachsweiche Knie, Zittern, Todesangst, Übelkeit, Hyperventilation (schnelles, flaches Atmen) und Taubheit und Kribbeln in Händen oder Füßen auf. Eine Panikattacke klingt meist nach kurzer Zeit wieder ab, es kann jedoch eine dauerhafte, stark schwankende Nervosität als Angst vor der nächsten Panikattacke („Angst vor der Angst“) verbleiben. Häufig wird eine Panikattacke zunächst mit einem Herzinfarkt verwechselt – eine 100% sichere Unterscheidung gibt es auch nur bei ärztlicher Untersuchung, wenngleich der Herzinfarkt im Gegensatz zur Panikattacke häufig mit Intensivierung der Druck- und Schmerzgefühle bei körperlicher Anstrengung einhergeht. 27


Foto: istock

Defäkieren auf öffentlichen Toiletten, der Genuss bestimmter Speisen oder der Anblick von Blut, Spritzen oder Verletzungen. Es gibt hier eine Vielzahl von möglichen Ängsten, welche allesamt mit gelehrt klingenden lateinischen Namen bezeichnet werden können (Arachnophobie, Klaustrophobie etc.) – wodurch sie aber auch nicht besser erträglich werden. Viele dieser Ängste haben auf den ersten Blick eine sinnvolle Warnfunktion, sind jedoch meist stark überzeichnet und schränken so das Leben manchmal gravierend ein. Obwohl die auslösende Situation streng begrenzt ist, kann sie Panikzustände wie bei Agoraphobie oder sozialer Phobie hervorrufen.

Generalisierte Angststörung Soziale Phobie Eine milde Form sozialer Angst kennt wohl jeder Mensch – oder waren Sie noch nie aufgeregt vor einem Vortrag oder haben befürchtet, bei anderen „nicht gut anzukommen“? Die Furcht vor prüfender Betrachtung und negativer Bewertung durch andere Menschen führt, wenn sie stark ausgeprägt ist, zur Vermeidung sozialer Situationen. Welche Situationen vermieden werden, kann je nach Ausprägung sehr unterschiedlich sein. Wenn Angst machende soziale Situationen nicht vermieden werden können, treten häufig Beschwerden wie Aufregung, Scham, Erröten, Schwitzen, Zittern, Schwankungen der Stimmmelodie, Sprachlosigkeit und innerliche Erstarrung (Blackout), Übelkeit oder Drang zum Wasserlassen auf. Umfassendere soziale Phobien sind in der Regel mit niedrigem Selbstwertgefühl und starker Furcht vor Kritik und Entwertung verbunden. Häufig meinen Betroffene, dass eines der Angstsymptome wie z.B. das Erröten das primäre Problem darstellt („Würde ich nicht immer rot werden, hätte ich keine Scheu“). Der kausale Zusammenhang ist jedoch eher anders herum zu sehen.

Spezifische Phobien Ängste, die auf eng umschriebene Situationen beschränkt sind, nennt man spezifische Phobien. Häufige Auslösereize sind die Nähe zu Tieren wie z.B. Insekten, Schlangen, Ratten, Mäuse, Hunde und Vögel, Zahnärzte/Zahnbehandlungen, Höhe, Fliegen, Dunkelheit, Donner, geschlossene oder enge Räume, Aufzüge, Urinieren oder 28

Wie der Name bereits sagt, handelt es sich hierbei um Ängste, die eine Vielzahl von Auslösern kennen. Generalisierte Ängste sind nicht auf bestimmte Umgebungsbedingungen beschränkt. Häufig besteht eine starke und mindestens etliche Monate bestehende Neigung zu Sorgenverhalten – verbunden mit der Unfähigkeit, sich von Sorgen abzulenken. Insbesondere wird die Befürchtung geäußert, der Patient selbst oder ein Angehöriger könnten demnächst erkranken oder einen Unfall haben. Vermeidungsverhalten im Sinne von Sicherheit herstellen (z.B. Angehörige anrufen, ob es ihnen gut geht) ist weit verbreitet, ebenso psychosomatische Beschwerden wie ständige muskuläre Anspannung, Nervosität, Zittern, Schwitzen, Benommenheit, Herzklopfen, Schwindelgefühle oder Oberbauchbeschwerden. Nicht immer ist diese Erkrankung einfach von einer Zwangserkrankung mit vorwiegend Zwangsgedanken zu trennen.

Behandlung von Ängsten Es gibt vielfältige Möglichkeiten, Ängste zu überwinden. Das Erleben göttlicher und menschlicher Geborgenheit in der Seelsorge wie auch die tiefenpsychologische Einsicht in bisher verborgene innerseelische Konflikte und die (systemische) Analyse und Lösung sozialer Konflikte sind allesamt gute Ansätze, um Angsterkrankungen zurückzudrängen. Die kognitive Verhaltenstherapie betont darüber hinaus noch die Reduktion von Alltagsstress, die Verminderung der Reizdichte, das Einüben von Entspannungstechniken und Ruhezeiten (unspezifische Er-


THERAPIEGRUNDLAGEN

Schon Goethe wusste jedoch, dass letztlich immer auch die erfolgreiche Bewältigung der Angstsituation an sich notwendig ist, um eine Angst zu überwinden.

regung und Anspannung verstärkt Ängste), die Analyse von Lebensskripten/Lebenslügen und Grundüberzeugungen, Ausdauersport (Endorphinausschüttung wirkt angstlindernd) sowie das Training von (sozialen) Kompetenzen. Auch Medikation kann bei chronischen Angsterkrankungen gelegentlich eine sinnvolle Option sein. Medikamente aus der Gruppe der sogenannten Benzodiazepine (z.B. Diazepam / Valium® oder Lorazepam / Tavor®) wirken binnen weniger Minuten angstlindernd, jedoch sind sie nur für den vorübergehenden Einsatz geeignet, da sie die Gefahr schwerster Abhängigkeit bei Daueranwendung beinhalten. Nicht selten werden Angststörungen durch unkritisch hausärztlich verschriebene Benzodiazepine erst richtig gravierend, da nun noch der Entzug hinzukommt. Moderne Antidepressiva vor allem der SSRI- und SNRIGruppe (z.B. Escitalopram/Cipralex®, Sertralin / Zoloft® oder Venlafaxin/Trevilor®) und einige trizyklische Antidepressiva (z.B. Opipramol/Insidon®) wirken ebenfalls gegen Ängste und teils auch Zwänge und sind insbesondere bei schweren, generalisierten oder frei flottierenden Ängsten als langandauernde Medikation zusätzlich zur Psychotherapie einsetzbar. Schon Goethe wusste jedoch, dass letztlich immer auch die erfolgreiche Bewältigung der Angstsituation an sich notwendig ist, um eine Angst zu überwinden. Der Dichter litt unter Höhenängsten und Ängsten vor lauten Geräuschen. Seine Eigentherapie bestand darin, auf Türme und Gerüste zu steigen und sich lauten Geräuschen auszusetzen. Die kognitive Verhaltenstherapie hat diesen Ansatz zum Schwerpunkt ihrer Angstbewältigungstherapie ausgebaut und unterscheidet dabei mehrere, unterschiedlich gestufte Vorgehensweisen. Eine gute Erarbeitung eines individuellen und lerntheoretischen Angst- und Behandlungsmodells, die Erstellung einer gestuften Angsthierarchie und unbedingte Freiwilligkeit sind wichtige Vorbedingungen für diese Art der Therapie. Medikation kann dabei manchmal sogar hinderlich für den Erfolg sein, insbesondere Benzodiazepine: Nur wenn ich die Angst in der Übung deutlich spüre, kann ich sie überhaupt erfolgreich bewältigen. Und wenn ich die Angstsituation nur mit Tablette bewältige, traue ich sie mir vielleicht ohne Medikament dann doch nicht zu. Die systematische Desensibilisierung beruht auf einer ganz langsamen Heranführung an einen phobischen Reiz, meist verbunden mit Entspannungstechniken. Es wird mit der niedrigsten Angststufe, z.B. einem Foto von einer Spinne in 2 m Entfernung, begonnen. Dieser Reiz wird so

lange wechselnd mit Entspannung präsentiert (also 20 sek phobischer Reiz, dann 30 sek Entspannung etc.), bis der Patient (fast) keine Angst mehr empfindet. Dann erst wird die nächste Stufe präsentiert (z.B. ein großes Foto von einer Spinne). Nach vielen Sitzungen erst geht es darum, beispielsweise eine lebendige Spinne anzufassen. Durch die immer wieder erzielten Erfolge ist dies am Ende gut möglich. Man klettert also sozusagen Stufe für Stufe ein Podest hinauf. Da jede Stufe gleich hoch ist, ist am Ende auch die letzte Stufe nicht viel schwieriger, als es am Anfang die erste Stufe war. Manche Ängste werden auch mangels Möglichkeit nur in Vorstellungsübungen konfrontiert (z.B. Prüfungsängste, Zahnarztbesuche, Katastrophensorgen). Die Reizüberflutung (Flooding) ist da etwas direkter. Der Phobiker springt direkt zur obersten Stufe – steckt also z.B. die Hand in einen Behälter mit Spinnen und behält sie so lange im Behälter, bis die Angst sich deutlich gelegt hat (dies kann in seltenen Fällen mehrere Stunden am Stück dauern). Der Vorteil dieser Methode ist die Schnelligkeit und Effizienz der Angstbewältigung – man hat es schnell hinter sich. Die Rückfallquoten sind ebenso nachgewiesenermaßen geringer als bei der Desensibilisierung. Der Stolz über den eigenen Erfolg ist oft viel größer und damit auch die Selbstwertstärkung. Der Nachteil besteht im hohen Stress und der potentiellen Verweigerung vieler Patienten selbst bei guter Aufklärung. Für Kinder, traumatisierte Menschen, herzkranke Personen, Epileptiker und Schwangere ist diese Methode ungeeignet. Bei falscher Anwendung kann sie Ängste gravierend verschlimmern, sie gehört also immer in die Hand eines professionellen und erfahrenen psychologischen oder ärztlichen Psychotherapeuten. Die graduierte Exposition ist ein oft gut gangbarer Mittelweg zwischen diesen beiden Vorgehensweisen. Hier werden manchmal mehrere Stufen auf einmal gegangen, auf jeden Fall aber wird mit der Stufe angefangen, die sich der Betroffene zu Beginn schon zutraut. Im ersten Schritt werden also manchmal schon 50 % der Stufen erklommen, danach geht es dann meist langsamer zu. Es wird nicht auf jeder Stufe verharrt, bis sich die Angst vollständig gelegt hat (eine Reduktion der Angst um jeweils 50–75 % reicht aus, um die nächste Herausforderung anzugehen) und es werden keine Entspannungstechniken eingesetzt.

Fallberichte hierzu siehe folgende Seiten

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THERAPIEGRUNDLAGEN

Fallberichte Im Folgenden soll nun das Vorgehen der graduierten Exposition an zwei Fallbeispielen aus meiner Praxis geschildert werden.

Agoraphobie mit Panikstörung Die Patientin berichtete von Panikattacken, insbesondere beim Autofahren (hier vor allem bei hohem Tempo, im Tunnel und im Stau), in Kino, Kirche und Theater (vor allem beim Sitzen in der Mitte) und in Menschenmengen (Weihnachtsmarkt, überfüllte Kaufhäuser) sowie Aufzügen. Mittlerweile waren diese Ängste so stark geworden, dass sie zeitweise mehrmals wöchentlich eine Panikattacke erlitt, obwohl sie sich alle Mühe gab, jegliche „gefährliche“ Situationen zu vermeiden. Die Angehörigen waren umfangreich eingespannt, ihr dieses Vermeidungsverhalten überhaupt erst zu ermöglichen und reagierten nach anfänglichem Mitgefühl zunehmend genervt, was die Patientin erst recht unter Druck setzte. Die Ehe war durch das Angstverhalten stark belastet. Manche Vermeidungsverhaltensweisen bestanden schon 30 Jahre lang. In der Behandlung wurde zunächst ein gründliches, auch biographisches Modell erstellt, die Patientin wurde umfangreich aufgeklärt, die Angst auslösenden Situationen und Vermeidungsverhaltensweisen wurden genau exploriert und der Schwere nach aufgelistet. Aufgrund des Vertrauens zum Therapeuten und zum Bewältigungsmodell ließ sich die Patientin dann schrittweise darauf ein, den Kontakt mit der Angstsituation zu erproben. Über etwa ein Dreivierteljahr Psychotherapie wurden nun Übungen durchgeführt, in welchen es darum ging, mit dem Therapeuten zusammen externe Angstsituationen zu konfrontieren. Dies bedeutete, gemeinsam Autobahn zu fahren, Tunnel mehrfach hintereinander zu durchfahren, Menschenmassen aufzusuchen, immer engere und ältere Aufzüge zu nutzen etc. Vor jeder Übung wurde das geplante Vorgehen transparent besprochen und das Einverständnis abgewartet, so dass es immer die Entscheidung der Patientin war, sich einer konkreten Angstsituation zu stellen. Nach einer erfolgreichen Übung ging es dann als Hausaufgabe darum, diese Herausforderung nun alleine zu meistern – anfangs noch mit einem Handy mit der Telefonnummer des Therapeuten in der Hand. Auch innere Angstauslöser wurden konfrontiert, z.B. Herzklopfen, Atemnot oder Schwindel als ankündigende Auslöser von Panikattacken, indem die Patientin Sport betrieb, durch enge Strohhalme atmete, oder sich auf einem Drehstuhl drehen ließ. 30

Am Ende der Behandlung konnten alle gängigen Herausforderungen bewältigt werden, die meisten davon weitgehend ohne Ängste, manche noch mit gelegentlichem Unwohlsein. Ein halbes Jahr nach der Therapie bemerkte die Patientin, dass sie in vielen Situationen überhaupt nicht mehr darüber nachdachte, dass sie ja Angst haben könnte, sondern diese Situationen ganz automatisch in den Alltag integrierte.

Soziale Phobie Der Patient war selbständiger Unternehmensberater und führte überwiegend Schulungen für Unternehmen durch. Trotz fast wöchentlicher Konfrontation mit der Situation, vor Gruppen Vorträge zu halten und eines lockeren, selbstsicheren Auftretens litt er unsägliche Ängste vor seinen Präsentationen, welche dazu führten, dass er die 2–3 Nächte vor der nächsten Schulung kaum schlafen konnte und diverse psychosomatische Anspannungssymptome aufwies. Langsam fragte er sich, ob er für diesen Job überhaupt geeignet war. Privat hingegen hatte er keinerlei Scheu vor sozialen Begegnungen. Auch hier wurde ein umfangreiches Angstentstehungsund Angstbewältigungsmodell erarbeitet. Relativ schnell kam die Frage auf, warum er denn seine Ängste noch nicht überwunden hatte, obwohl er doch ohnehin schon wöchentlich „Eigentherapie“ durch seine beruflichen Herausforderungen betrieb und jedes Mal sehr gute Rückmeldungen der Kursteilnehmer bekam. Es wurde herausgearbeitet, dass er subtile Vermeidungsverhaltensweisen einsetzte: Er bereitete sich weit übertrieben sorgfältig vor und versuchte in extremer Weise, alles daran zu setzen, dass seine Schulungen perfekt gelangen. Er hatte immer ein kleines „Gimmick“ in der Anzugjacke, welches er für eine kleine auflockernde Übung einsetzen konnte, falls er einmal den Faden verlieren sollte (was jedoch nie vorkam). Er suchte während der Schulungen ständig nach „Gefahrenreizen“ wie kritischen Blikken oder Wortmeldungen, um auf solche vorbereitet zu sein und reagieren zu können. Durch sein Perfektionsbemühen und die erzielten Erfolge hatte er also ständig vermieden, sich einer „wirklich peinlichen Situation“ auszu-


Foto: photocase, Jewe!

THERAPIEGRUNDLAGEN

setzen und konnte deshalb auch seine Angst vor dem Versagen nicht überwinden. Er war der Blamage einfach immer aus dem Weg gegangen. Es wurde besprochen, diese Verhaltensweisen zu unterlassen und sich im Gegenteil für seine Schulungen besonders nachlässig vorzubereiten, künstlich den Faden zu verlieren, kein „Notfall-Spielzeug“ in der Jackettasche zu tragen etc. Weiter wurden diverse sogenannte SchamAngst-Übungen eingesetzt – Patient und Therapeut setzten sich gemeinsam schamhaften, blamablen Situationen auf der Straße aus: Wir fragten Passanten auf der Straße, wo es denn nach Stuttgart gehe (wir waren bereits mitten in der Stadt), wir hielten spontane 30-Sekunden Vorträge zu einem vorher unbekannten Stichwort vor Passanten, wir ließen uns mit einem Schild „Achtung, ich bin bekloppt“ von Fremden fotografieren, boten Mitmenschen eine Massage an oder fuhren gemeinsam U-Bahn und begrüßten alle Einsteigenden mit Handschlag und freundlichen Worten. Während dieser Übungen konnte der Patient erfahren, dass die beteiligten Passanten weit weniger abwertend reagierten, als er befürchtet hatte – viele reagierten entspannt humorvoll oder auch ganz ernst nehmend auf unsere Darbietungen. Manche waren verunsicherter als er selbst. Zum anderen bemerkte er schrittweise eine Reduktion der Ängste vor der Blamage („ist ja gar nicht so schlimm, sich zu blamieren, man kann es aushalten und das Gefühl wird mit jeder Wiederholung schwächer“). In der Folge reduzierten sich seine beruflichen sozialen Ängste und psychosomatischen Beschwerden relativ schnell und dauerhaft. Nach einigen Monaten Psychotherapie konnte diese symptomfrei beendet werden. Ein Nachkontrolltermin einige Zeit später bestätigte den Erfolg.

Mehr Lebensqualität als Folge der Angstbewältigung Letztlich können Sie sich als Betroffener darauf verlassen, dass Angst vor tatsächlich ungefährlichen Situationen immer weicht, wenn Sie ihr offensiv entgegenlaufen. Nicht immer verschwindet sie sofort und vielleicht benötigen Sie die Unterstützung eines erfahrenen Psychotherapeuten – denn manchmal gibt es bestimmte „Tricks“ zu beachten. Am Ende aber siegen Sie und nicht die Angst! Und es ist einfach schön, angstfrei durch das Leben zu gehen. •

ÜBER DEN AUTOR Dr. Benjamin Zeller ist Diplom-Psychologe und Psychologischer Psychotherapeut in privater Praxis. Er lebt mit seiner Familie im Raum Stuttgart. Seine Behandlungsschwerpunkte sind Ängste, Zwänge, Depressionen und Trauma-Erkrankungen. Internet: http://www.praxis-zeller.de

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Foto: photocase, mikee

Zwangserkrankungen: Ein fehlgeleiteter Versuch, Bedrohliches abzuwehren – Ein Fallbericht


THERAPIEGRUNDLAGEN

Im Folgenden möchte ich in einen Dialog mit einer Patientin (Vera1) aus der de’ignisBeratungsstelle treten, die seit Jahrzehnten an einer Zwangserkrankung gelitten hat. Sie war so freundlich, ihre Erfahrungen mit ihrer Krankheit für andere Betroffene mittels dieses Artikels weiterzugeben. Ergänzend füge ich aus der psychotherapeutischen Perspektive Erkenntnisse über Zwangsstörungen und deren Behandlung – auch im hier skizzierten Beispiel hinzu.

VON DIPL.PSYCH. R . OBERBILLIG

1. Was waren Ihre ersten Erkundungen, Hilfe zu suchen: Lektüre, welche? Vera: Ein richtiger Anstoß, meiner schmerzvollen Vergangenheit auf die Spur zu kommen, geschah bei einem Frühstückstreffen für Frauen mit dem Thema: „Der tägliche Kleinkrieg und die Sehnsucht nach Frieden“. Danach las ich weiterführende seelsorgerliche Literatur zu dieser Thematik, zum Beispiel: „Heilung der Gefühle“ (D. Seamands) – „Der sensible Mensch“ (S. Pfeifer) – „Wenn Zwänge das Leben beherrschen“ (R. Ruthe). Auch standen mir in dieser schwierigen Zeit zwei Freundinnen bei. Bei ihnen lernte ich Schritt für Schritt das Reden über mein belastetes und unfreies Leben. Ich suchte auch, so oft als möglich, das Gespräch mit meinen Eltern, um unsere belastete Familiensituation aufzuarbeiten; dabei, und allein in meiner Wohnung, weinte ich sehr viel. Eine ganz wichtige Station auf dem Weg zu meiner äußeren und inneren Heilung war ein Gebet um „innere Freisetzung“, das ein Seelsorger über mir sprach. Zwar ging es mit meiner seelischen Gesundheit und meiner Arbeitskraft weiter bergab, aber dennoch in die richtige Richtung. So musste ich im Sommer 2004 krankheitsbedingt meine Berufstätigkeit als Lehrerin zunächst beenden, durfte mich aber nun (endlich) in ärztliche und psychotherapeutische Behandlung begeben. Nach Beratung und Erkundigungen in der psychiatrischen Klinik „Sonnenhalde“ in Riehen/Basel (Dr. med. S. Pfeifer) und bei der Informationsstelle der de’ignisFachklinik durfte ich im Herbst 2004 eine ambulante psychotherapeutische Behandlung an der de’ignis-Beratungsstelle beginnen.« RO: Zwänge werden von den Betroffenen meist sehr spät als etwas ‚Krankhaftes‘ oder als ein von der Norm abweichendes Verhalten erkannt, da unser soziales Leben von einer Fülle von sog. Alltagszwängen geprägt ist. Unter die Rubrik ‚zwanghaftes Verhalten im alltäglichen Sinne‘ kann man z.B. Rituale „immer denselben Weg gehen“ oder

„Verabschiedungszeremonien mit mehrmaligem Händeschütteln“ zählen. Verbreitet ist die Neigung wiederholt genau zu überprüfen oder zu kontrollieren: ist die Haustür wirklich abgeschlossen, sind alle Fenster zu? Vielleicht denken wir hier auch an den verbreiteten „Sammelzwang“ in der Überzeugung „das könnte ich ja irgendwann noch mal brauchen“? Darunter fallen etwa zahllose Artikel aus Zeitschriften oder Gebrauchsgegenstände, die den beschränkten Speicherplatz in der Wohnung zum überquellen bringen können. Je stärker allerdings das zwanghafte Verhalten von dem sonst üblichen Verhalten abweicht und je mehr es den Betroffenen in seinem alltäglichen Leben behindert und einengt, um so eher wird man von einer Störung oder Erkrankung sprechen. Ist das Ritual dem Betroffenen peinlich – wie bei Vera – wird es schambehaftet verschwiegen; das Leiden kann sich jahrelang hinziehen. So „testete“ sie bspw. meine „christlich-seelsorgerliche Kompetenz“ mit der klaren Anfrage, ob ich die o. g. Bücher gelesen habe oder zumindest die Autoren bekannt seien. Indem ich dies bejahen konnte, war zunächst ein religiös vermittelter Vertrauensraum geschaffen.« 2. Wie kamen Sie auf den Gedanken, dass es sich um eine Krankheit handeln könnte und nicht um eine charakterliche Fehlentwicklung? Vera: Dass ich sehr krank war, das wusste ich schon lange: Ich fühlte, dass ich anders war als die anderen Menschen. Gesunde Menschen waren freier, lockerer, schneller … Ich fühlte mich überfordert, krank, unglücklich … Die Symptome waren sehr belastend. Immer weniger war ich in der Lage, meinen beruflichen und privaten Anforderungen gerecht zu werden.« RO: Ängste und Zwänge werden anfangs als eine Art „persönlichen Aberglaubens“ betrachtet: „Ich bekomme mehr Schutz vor Verunreinigung – kann unangenehme Berührungen abstreifen, wenn ich die Hände genau fünf 33


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mal wasche nach vorgeschriebenem Muster.“ Wenn massives Leiden an Ängsten und Zwängen einsetzt – wenn ein Patient sein Verhalten als unsinnig empfindet, sich aber nicht dagegen wehren kann – sobald die Ausführung der Zwangsrituale erheblich zeitaufwändig wird … dann ist der Verdacht einer Zwangserkrankung nahe liegend. Wenn gedankliche Zwangsimpulse für die Person erschreckend „einschießen“ oder sich dem Bewusstsein „mit Vehemenz“ ungewollt „aufdrängen“, ist die Person in der Regel über sich selbst erschreckt: „Typischerweise nehmen die Zwangsgedanken inhaltlich eine außerordentlich extreme Form an. Es geht nicht darum, ob ich ein Sünder bin, sondern ob ich ein solch verrottetes und abgrundschlechtes Wesen bin, dass ich unwiederbringlich der Verdammnis verfallen werde.“ 2 Die Häufigkeit von Zwangserkrankungen wird in der Regel unterschätzt, sodass die Einschätzung des Abnormen eher einer persönlichen (Fehl-) Veranlagung zugeschrieben wird; dabei erkrankt 1–2 % der Bevölkerung in der BRD statistisch im Verlauf ihres Lebens. Als Geschlechtsspezifische Unterschiede kann man beobachten, dass Männer gehäuft Kontrollzwänge, Frauen im Vergleich gehäuft Reinigungszwänge entwickeln.«

3. In welchem(r) Lebensabschnitt / familiären Konfliktsituation traten zum ersten Mal Zwangsimpulse auf ? Wie muss man sich das Zwanghafte vorstellen? Vera: Nachdem ich zwischen dem 15. und 17. Lebensjahr einige Zeit an einem Waschzwang der Hände litt, verlagerten sich die Zwänge in späteren Jahren auf die Gedanken. Ganz schreckliche Gedanken quälten mich Tag und Nacht, „drehten sich im Kreis“ und ließen mir keine Ruhe. Da ich in einer sehr strengen religiösen Erziehung gelernt hatte, dass man solche schlimmen Gedanken nicht haben darf, fühlte ich mich immer schuldig. Ich versuchte die Gedanken „gutzumachen“, zu neutralisieren, bat Gott um Vergebung, aber sofort tauchten weitere schlimme Gedanken auf. Oft war mein Kopf so „voll“, dass ich das Gefühl hatte, dass er bald platzen würde. Natürlich brauchten diese Vorgänge viel Zeit, sie störten meinen Arbeitsablauf, und meine Konzentration litt erheblich darunter.« RO: Die verschiedenen Gesichter der Zwangsstörung müssen beachtet werden und das Gemeinsame in dem Be34

mühen, das Bedrohliche zu „bannen“. Was Zwänge allgemein charakterisiert ist: Ein Gefühl „erzwingen“ wollen, dass wirklich alles in Ordnung ist – ein ausgeprägtes Sicherheitsbedürfnis bei allen Zwangskranken – „abergläubische“ Elemente im Verständnis der Handlungskompetenz bis zu „magischen“ Vorstellungen im Weltbild.

Zu unterscheiden wären: Berührungsvermeidungszwänge (Reinigungs- und Waschzwänge): „Bei dieser Gruppe von Störungen handelt es sich um Zustände, bei denen der potentielle oder effektiv erfolgte Kontakt, meist in Form einer Berührung mit bestimmten Substanzen als Inbegriff des Übels erlebt wird … Das Gefühl, dass Ekliges an Dingen, aber v. a. auch an unserem Körper und besonders an den Händen kleben bleibt, bietet Nahrung für die „Gesetzmäßigkeiten“ zwanghaften Denkens: Die „Ekelmaterie“ ist durch Berührung endlos übertragbar und verliert auch in „endloser Verdünnung“ nicht ihr Ekelpotential. Damit werden auch die für den Zwangskranken „naturgegebenen“ Mittel deutlich, die geeignet sind, um Ekliges zu eliminieren. Es sind Waschen und Wischen.“ 3 Kommentar: Vera ‚ekelte‘ sich in der Adoleszenz – in dieser Phase der Zwangserkrankung – vor Verunreinigung. Anlass waren vermutlich die überhöhten religiösen Anforderungen in moralisch-ethischer Hinsicht. „Du sollst aufs Wort folgen!“ Diese wurden vor allem durch den streng religiös gesetzlich orientierten Vater vermittelt. Möglicherweise waren auch Vorstellungen von ,Stellvertretertum‘ für die ‚unreinen Eltern‘ (ungelöste Partnerkonflikte) mit gegenwärtig bei der Entwicklung des Waschzwangs, i. S. v. „Sünde abwaschen“. Kontrollzwänge Im Hintergrund können Ängste stehen, durch Unachtsamkeit und Versäumnisse eine Katastrophe auszulösen. Kontrollen sind nun für jede Handlung unabdingbar; sie werden in unserem Gehirn quasi automatisch vollzogen als „Qualitätsprüfung“ mittels eines „Fehlernachweisreglers“. Zwangserkrankte Menschen erweisen sich allerdings als „unfähig, nach einer Kontrolle Halt zu machen, sie zu beenden und sich davon abzulösen. Sie fühlen sich gezwungen, jeweils noch „etwas“ hinzuzufügen …. Die Handlungen sind diffus und unorganisiert oder aber starr unflexibel. Vor allem mangelt es an Beendigungskriterien.“4 Das


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Gefühl bleibt: „Es war unvollständig, irgendwas fehlt noch“. Beim Abschließen einer Tür bleibt das Gefühl „zu“ in der Wahrnehmung aus. Nichts wird als abgeschlossen erlebt, das „Unvollständigkeitsgefühl“ bleibt. Angehörige werden darum oft in das System der Kontrolle einbezogen. Auch Wiederhol- und Zählzwänge (gedanklich und/ oder als Verhalten nach außen sichtbar) können darunter eingeordnet werden – in gewissem Sinne ist auch die Zwanghafte Langsamkeit einer Person Ausdruck eines Kontrollzwangs. Zwanghaftes Sammeln und Horten Meist handelt es sich hier um Gegenstände, die angeschafft und aufbewahrt werden, die in den Augen anderer eher als geringwertig gelten. Die Wohnräume tendieren dazu, so voll gestopft zu sein über die Zeit, dass sie für ihren jeweiligen Zweck nicht mehr brauchbar sind. Es besteht eine übermäßige emotionale Beziehung zu vielen gehorteten Gegenständen, sodass ihnen gleichsam eine Seele zugeschrieben wird: Die Lieblingstasse könnte „weinen“, wenn sie „lieblos“ weggeworfen würde. Die Betroffenen wenden sich nach ihrem Selbstbild oft gegen die „allgemein herrschende Verschwendungssucht“, sie fühlen sich ggf. als Bewahrer von Werten oder vergangener Traditionen. Zwangsgedanken ohne Zwangshandlungen Alle Zwangsgedanken betreffen die eigene Person, die möglichen negativen Auswirkungen eigener Handlungen oder Einstellungen. Sie tauchen oft im Bewusstsein als Fragen auf: „Könnte es sein, dass ich die Dinge beim Arzt nicht richtig dargestellt habe und er jetzt einen falschen Eindruck von mir bekommen hat? Hat er mich deshalb krank geschrieben und bekommt auch noch Probleme mit der Krankenkasse?“ Bei gewaltvollen gedanklichen Vorstellungen („Ich könnte meinen Partner mit dem Küchenmesser angreifen“) ist die größte Angst sicher die, jemanden durch Ausführen der Gedanken zu schädigen („Bin ich nicht dazu fähig, so was zu tun?“). Auch „magische Beeinflussungsideen“. („Er merkt das bestimmt, was mit mir los ist und könnte einen Herzinfarkt bekommen“) können panische Ängste auslösen. Kommentar: Die von Vera beschriebene innere Qual und der religiöse Wiedergutmachungsversuch – Bitte an Gott um Vergebung – gibt uns

einen wichtigen Hinweis auf die zwei Anteile eines Zwangssystems: Die Bedrohungsseite und die Abwehrseite. „Auf der einen Seite treten neben Fragen, Gedanken und Erwartungen auch Gefühle auf, deren Gemeinsamkeit darin besteht, dass der Betroffene sich bedroht fühlt … Auf der anderen Seite liefert ihm die Erkrankung aber auch gleich die „Mittel“ mit, die angewandt werden „müssen“, damit das Bedrohliche erst gar nicht eintritt oder in seinen Auswirkungen neutralisiert werden kann … Bestimmte Situationen und Anlässe werden vermieden, weil angenommen wird, dass dort die befürchteten Momente mit hoher Wahrscheinlichkeit auftreten könnten. Andererseits verfügt der Zwangskranke aber zusätzlich über zahlreiche Maßnahmen, die eine aktive Abwehr, d. h. Bannung oder Eliminierung der Bedrohung versprechen … Sie bestehen aus Reaktionen, die auf einer symbolischen Ebene zu der Bedrohung „passen“. So wird z. B. Unreines abgewaschen oder die negativen Auswirkungen von „bösen“ Gedanken werden durch „positive“ Gegengedanken neutralisiert.“ 5«

4. Wie haben Sie das Jahrzehntelange „Zwangsgefängnis/Gefängnis von Vorschriften“ erlebt? Inwiefern war die Zwangsstörung bei Ihnen mit der Religiosität verknüpft? Vera: Vorschriften einhalten, ja das war für mich auch ganz wichtig, hatte ich in meiner strengen religiösen Erziehung doch so viele Gesetze und Regeln gelernt. Die galt es nun alle einzuhalten! Wehe, wenn ich es nicht tat! Dann bestrafte mich mein Gewissen so sehr, dass ich erneut unter den schrecklichen Zwängen litt. Und Gott – ja, er war auch nicht mit mir zufrieden, und er half mir nicht mehr, er bestrafte mich jetzt auch. Und schämen – ja, schämen musste ich mich auch so sehr. Wenn das jemand wüsste, was in meinem Kopf vorgeht! Natürlich konnte ich es niemandem sagen. So lebte ich Jahrzehnte lang in einem äußeren und inneren Gefängnis. Die Angst war mein ständiger Begleiter. Ich hatte Angst, im Beruf zu versagen, dass ich durchdrehe, dass ich etwas ganz schlimmes mache, dass ich die Kontrolle über mich verliere, dass ich nicht in den Himmel komme. Oft ergriffen mich auch Gedanken, dass ich meinem Leben ein 35


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„ DER Z WANGS GEDANKE IST IMMER S O ANGELEGT, DA SS DA S, WA S EINEM DA S HEILIGS TE UND TEUERSTE IS T, DUR CH EIGENES VERS AGEN VERLET Z T ODER VERNI CHTET ZU WERDEN DROHT. “

Ende setze. Was war mein Leben noch wert in solch einem Gefängnis? Ich hätte gerne neue Aufbrüche gewagt: meinen Arbeitsplatz (Schule) wechseln – eventuell den Wohnort wechseln – heiraten, ja, das war immer schon mein Wunsch gewesen, aber all das ging nicht, es wäre mit zu vielen Risiken verbunden gewesen. So musste ich dort bleiben, wo ich war, immer weiter, immer länger. Diese Wegstrecke schien kein Ende zu nehmen, da war kein Land in Sicht. Ich musste weiter in einem Gefängnis aus Zwängen, religiösem Leistungsdruck, Ängsten und Vorschriften bleiben.«

RO: Wie Vera so treffend beschreibt hat die Welt, in der Zwangskranke leben, jede Harmlosigkeit verloren: „Angst einflößendes, Widerwärtiges, Gefährliches und Unheimliches kann in jeder Lebenssituation plötzlich auftauchen und das Bewusstsein überschwemmen … Dadurch verändert sich auch radikal das „In-der-Welt-Sein“. Es gibt kaum noch längere Momente der Ruhe oder der friedvollen Gelassenheit. Zwangskranke sind in einem permanenten Zustand der Alarmbereitschaft, immer auf das Schlimmste gefasst.“ 6 Die in Zwangssystemen dafür vorgesehenen Abwehrmaßnahmen nutzen sich in der Wiederholung ab, die Abwehrsysteme und/oder Neutralisierungsversuche „müssen“ umfangreicher gestaltet werden. So war Vera nach dem Schulunterricht an den Nachmittagen immer zeitintensiver beschäftigt, die „bösen“ Gedanken vom Vormittag zu bannen durch z.B. ‚stundenlanges‘ Gebet um Vergebung („Sündenbekenntnis Ritual“), ohne indes wirklichen „Inneren Frieden“ zu finden, dass jetzt alles in der Beziehung zu Gott bereinigt wäre. Das bereits vor der Erkrankung eher strenge leistungsorientierte Gottesbild mit „hypertrophierter“ Gewissensfunktion nahm nun beinahe „sadistisch kalte“ Züge an; die Religiosität der Patientin wurde ihr neben der immer noch haltenden Funktion andererseits mehr und mehr zur Last. Die Phänomene der Zwangsgedanken werden in ihrer Bedeutung für eine sehr gewissenhafte, in ihrer christlichen Religiosität am Gutsein und Gutes tun orientierte Person (wie Vera) verständlich, wenn wir allgemein Inhalte solcher Gedanken betrachten. 36

Es gibt nur ganz wenige fundamentale Ideen, die sich in Zwangsgedanken niederschlagen: 7 – Gedanken an Gotteslästerung und andere „Sünden“ wie Suizid – Gedanken, die eigenes Versagen und schwere eigene Vergehen betreffen – Scham über die eigene Person – Scham über den eigenen Körper … – Zwanghafte Gedanken an eigene Erkrankungen, auch die möglichen Folgen von Verschmutzung und Kontamination betreffend Ganz typisch für Zwangsgedanken ist auch, dass sie inhaltlich eine außerordentlich extreme Form annehmen: 8 „Der Zwangsgedanke ist immer so angelegt, dass das, was einem das Heiligste und Teuerste ist, durch eigenes Versagen verletzt oder vernichtet zu werden droht.“ Kommentar: Im Fall von Vera fiel ihr Blick bspw. auf die Seifenschale im Badezimmer, der Gedanke „Seifengott“ bedrängte sie unvermittelt und ängstigte sie in Richtung einer möglichen religiösen Gotteslästerung. Oder sie befand sich unter Menschen und wurde von dem plötzlichen Gedanken „Stell dir alle Menschen nackt vor“ beschämt. Zu ganz besonderen Selbstzweifeln an ihrer moralischen Integrität trugen aggressiv-sexuelle gedankliche Intrusionen (= Eindringen/Bedrängungen/Einschießungen) mit perversem Inhalt bei. So wurde sie etwa während einer gottesdienstlichen Veranstaltung von dem Gedanken „überfallen“ „Schneide den Penis des Predigers ab“. Man kann sich dieses Gefängnis von Scham und Selbstzweifel bei den Betroffenen vorstellen!«

5. Wie haben Sie die „Neutralisierungsversuche“ durchlebt/durchlitten – auch während der Berufstätigkeit/ Unterricht? Vera: Auch bei Begegnungen mit Menschen war ich sehr verkrampft. Am meisten fürchtete ich die Frage: „Wie geht es dir/ihnen?“ Wie gerne hätte ich auf diese Frage ehrlich geantwortet. Aber dies ging nicht. Ich konnte doch niemandem sagen, wie schlecht es mir geht, bspw. woran ich leide. Es war für mich einfach unmöglich, über meinen Zustand meinen Mitmenschen zu berichten. So war ich auch bei meinen Kollegen in der Schule und in meiner Kirchengemeinde sehr, sehr einsam. Vor der Erledigung vieler, auch einfacher Tätigkeiten hatte ich oft Angst, da ich nicht wuss-


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te, wie ich diese Aufgaben erledigen sollte. Ich wusste, es würden mich wieder so viele Gedanken plagen, dass ich sehr lange Zeit für diese Arbeiten benötigen würde. Viel zu viel Zeit! Viel Kraft und Anstrengung würde ich benötigen und anschließend wenig Freizeit haben. So schwand meine Kraft physisch und psychisch immer mehr.« RO: Über sich selbst oder familiäre Angelegenheiten offen zu sprechen war für Vera seit der elterlichen Konfliktsituation in ihrer Herkunftsfamilie mit einem Tabu belegt: Die implizite (nicht laut kommunizierte, unbewusste) „Familienregel“ lautete etwa: „Sprich nicht mit Fremden über private Dinge“. So hatte Vera in ihrer Therapie Mühe, belastende Dinge überhaupt anzusprechen; andererseits stand sie unter dem „Zwang“, alles wortgetreu und vollständig erzählen zu „müssen“. Hatte sie Vorkommnisse „nicht richtig“ oder in ihrem Gewissenssystem nicht wahrhaftig wiedergegeben, musste sie auch diesen „Fehler“ wieder neutralisieren. Daher benötigte sie viel Zeit, um die Geschehnisse zu überprüfen, rekonstruieren zu wollen, was abgelaufen ist, keine „Erinnerungslücken“ zu riskieren. Gelegentlich kam es in den Sitzungen – zu Beginn der Therapie die Regel – zu Vergewisserungsreaktionen, ob sie ‚alles richtig‘ dargestellt hätte in der vorangegangenen Gesprächseinheit. Als Therapeut wurde ich so „in das Zwangssystem einzubauen“ versucht.«

6. Wie war die Art Ihrer Behandlung? Was hat Ihnen am meisten geholfen in der Behandlung (allgemein)? Vera: Gott fügte es nun so gut für mich, dass ich sowohl in meiner ambulanten Behandlung, als auch in der teilstationären/ambulanten medizinischen Rehabilitation in sehr gute Hände kam. Insgesamt benötigte ich eineinhalb Jahre, um wieder dienstfähig zu werden. Meine Behandlungszeit gliederte sich in zwei Abschnitte: Ein Jahr lang ambulante Psychotherapie (Verhaltenstherapie), ergänzt von regelmäßigen Terminen bei meinem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie. Ab Januar 2005 war ich bereit, zur Unterstützung auch Psychopharmaka einzunehmen. Im zweiten Abschnitt der Behandlung (insgesamt fünf Monate) nahm ich an einer Tagesklinischen Behandlung im Gesundheitszentrum der de’ignis – Fachklinik teil. Ab Ende März 2006 wurde ich schrittweise wieder in den Beruf eingegliedert. Diese eineinhalb Jahre intensive Behandlung- und Genesungszeit waren für mich die bisher schönsten Jahre in meinem Leben: Endlich ging es um mich, endlich wurde

ich ernst genommen, war bei Fachleuten, die mich verstanden und mir helfen konnten. In der medizinischen Rehabilitation war ich unter „gleich gesinnten“ Menschen, wir verstanden uns, es sind Freundschaften entstanden. Ich konnte mich fallen lassen, musste nichts leisten, brauchte mich nicht mehr zu verstecken. Langsam aber sicher durfte ich wieder Fuß fassen, sah wieder „Licht am Ende des Tunnels“. Obwohl die Krankheit noch nicht ganz besiegt ist, habe ich jetzt wieder viel Freude am Leben, freue mich auf jeden neuen Tag, nehme gerne wieder Herausforderungen an und kann jetzt das Leben auch genießen. Meinen Eltern habe ich vergeben, so dass auch hier Beziehungen heil werden durften. Ja, ich durfte genesen, heil werden an Leib, Seele und Geist! Ja, ich spüre Freude und Leichtigkeit in mir! Gott sei Dank für alles!« RO: Die ungeheure Erleichterung des Zwangskranken, ein „Coming – out“ gewagt zu haben und sich als krank wahrnehmen zu können, ohne sich dafür wieder selbst verurteilen zu „müssen“, wird an Veras euphorischem Beispiel deutlich. Ebenso wird spürbar, welche psycho-physischen und sozialen Belastungen die Zwangserkrankung für sie mit sich gebracht hatte bis zur erheblichen Gefährdung der Erwerbsfähigkeit. Deshalb erschien es uns angebracht, eine tagesklinische Behandlung in Kombination mit der ambulanten Therapie zu organisieren. Damit beabsichtigten wir, Vera mithilfe einer Milieu-Veränderung korrigierende Beziehungserfahrungen zu ermöglichen und psychophysische Stabilisierung hinsichtlich der zusätzlich eingetretenen depressiven Entwicklung zu erreichen. Als eine korrigierende Erfahrung wird von psychisch Kranken die enorme Entlastung erwähnt, über die Krankheitssymptome sprechen zu können als etwas zum Leben Zugehöriges (nicht Absonderliches) und von anderen Betroffenen verstanden zu werden. Als mittelfristiges Ziel sollte natürlich die Dienstfähigkeit wiederhergestellt bzw. in der med. Rehabilitation eine diesbezügliche Wiedereingliederungsperspektive erarbeitet werden. Auch ein verhaltenstherapeutisches Expositionstraining – d.i. Aussetzung der Gefahr/Angst oder Konfrontation mit den Zwangsgedanken statt Abwehrmaßnahmen – konnte sie sich unter diesen stützenden Rahmenbedingungen vorstellen. Kommentar: Ein Merkmal der Zwangserkrankung kann die „abergläubische“ Scheu sein, über die Rituale nicht sprechen zu sollen: Das Bedrohliche muss schließlich abgewehrt werden. So dauerte es mindestens 20 Std. der ambulanten Verhaltenstherapie, bis Vera sich in der Lage 37


Expositionstraining

Der Umgang mit den Zwangsgedanken in den Übungen und Expositionen, die wir mit Vera durchführten, lässt sich so schematisieren: Identifizieren als bedrohliches Gedankengebilde In seiner Bedeutung einordnen als Zwangsgedanke oder Produkt des Gehirns

➜ „Aussteigen“ aus dem Gedanken oder die ‚Gangschaltung manuell betätigen‘

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für das Denken im Nucleus Caudatus – außer Funktion ist; es wird ein schleifenförmiger Regelkreis zwischen dem „Fehlernachweisregler“ und dem „Regler für tief sitzende Ängste und Schrecken“ in den entsprechenden Hirnregionen des Orbitalen Kortex und des Gyrus Cinguli gebildet. Es kommt nicht zu einem beruhigenden Ergebnis der Prüfung; es geht nicht weiter zur nächsten Aktion im Denken und Handeln.

fühlte, eine Auswahlliste der Zwangsgedanken im „O-Ton“ zu erstellen. Danach sollte eine Skalierung der Zwangsgedanken vorgenommen werden nach ihrer Bedrohlichkeit für sie; zunächst „durften“ diese wieder nicht von ihr selbst ausgesprochen werden, sondern nur von mir gelesen. Eine medikamentöse Unterstützung mit SSRI („Serotonin“ Wiederaufnahmehemmer) anzunehmen erforderte einiges an Überzeugungsarbeit. Hier stand u. a. die Furcht entgegen, mit einer Medikamenten Einnahme eine Gewichtszunahme zu riskieren. Mit wachsendem Leidensdruck wurde sie schließlich bereit für die psychopharmakologische Behandlung. Entlastend wurde von Vera erlebt, die Zwangsgedanken einer „Fehlproduktion“ ihres Gehirns zuordnen zu können und in ihrer Bedeutung einzuordnen „das bin nicht ich, das ist mein Gehirn; der „wahnsinnige“ quälende Gedanke ist Ausdruck meiner Zwangskrankheit“. Jeffrey M. Schwarz 9 stellt dazu fest: „Unsere Forschungsarbeiten mit Zwangsstörungspatienten haben uns zu dem Ergebnis geführt, dass diese Störungen fraglos eine neuropsychiatrische Erkrankung darstellen, die von einer Funktionsstörung in den Gehirnabläufen herrührt.“ Von den Autoren wird das hilfreiche Bild einer „blokkierten Gangschaltung“ verwendet, indem die automatische Kraftübertragungsanlage – Übertragungsanlage

Absicherungsverzicht oder Beendigung der Episode Aufmerksamkeitsumlenkung.

Illustration: Matthias Gwinner, JoussenKarliczek GmbH

THERAPIEGRUNDLAGEN


THERAPIEGRUNDLAGEN

„ DU BEREITES T VOR MIR EINEN TIS CH IM ANGESI CHT MEINER FEINDE. “ Das Expositionstraining, das die religiöse Orientierung der Patientin und deren Verquickung mit der Zwangsproblematik berücksichtigte, war folgendermaßen aufgebaut (s. Illustration): Vera wurde an einem Tisch platziert, auf dem Brot und Wein als Symbol des Abendmahls sowie der 7-armige Leuchter als „Zeichen der Gegenwart Gottes“ aufgestellt waren; sie saß also im Angesicht des für sie „Heiligen“, hatte mit ihren Sinnen Anteil daran, realisierte aus Psalm 23 die von mir rezitierte Einladung Gottes: „Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde.“ In ihrem Blickfeld dahinter befand sich der Videoscreen, auf den ihre Zwangsgedanken per PC-Präsentation (s. u.) projiziert wurden, darüber ein Holzkreuz. Es sollte symbolisieren, dass ihre Zwangsgedanken Platz haben in der Erlösung durch Christus am Kreuz. Um besser aussteigen zu können aus jedem projizierten Zwangsgedanken, gab es einen Papierkorb neben ihrem Stuhl, in den sie als gedankliches Symbol ein zerrissenes Blatt Papier zum Ende jeder Episode als „Zwangsmüll“ werfen konnte. Der Aufmerksamkeitsumlenkung diente ein Igelball, den sie während des „Habituations Trainings“ in die Hand nahm.

Die hier vorgestellten Poster von Zwangsgedanken entstammen der verwendeten Präsentation. Sie wurden von Vera vorgelesen und nach dem o.g. Schema bearbeitet. Dabei wurde sie angeleitet, sich zu entspannen mittels Atmung. Ebenso wurde ihre Wahrnehmung geschult für die Abnahme der inneren Unruhe und Angst mit zunehmender Dauer jeder einzelnen Exposition und Habituation an die Serie. Die gedanklichen Intrusionen wurden als allgemeine Zwangsbomben eingeteilt, die religiöse Unterabteilung bildeten die Lästergedanken. Zwangsgrübeln wurde als Zwanghaftes Gewissenssyndrom mit dem Symbol Tyrannosaurus Rex – beißender aggressiv quälender Vergewisserungszwang – chiffriert. • Wir danken Vera herzlich, dass sie sich für diesen Bericht aus der Praxis bereit erklärte.

Literatur: Nicolaus Hoffmann / Birgit Hofmann (2004): Expositionen bei Ängsten und Zwängen. Praxishandbuch. Beltz Verlag, PVU Jeffrey M. Schwartz (2000): Zwangshandlungen und wie man sich davon befreit. Fischer TB Verlag. Legende: 1 Vera: der richtige Name ist der Redaktion bekannt 2 Nicolaus Hoffmann/ Birgit Hofmann (2004): Expositionen bei Ängsten und Zwängen. Praxishandbuch. Beltz Verlag, PVU. S. 194 3 Hoffmann/Hofmann (2004) S. 152/156 4 Hoffmann/Hofmann S. 130 5 Hoffmann/Hofmann S. 110 6 Hoffmann/Hofmann S. 111/112 7 Hoffmann/Hofmann S. 194 8 Hoffmann/Hofmann S. 195 9 Jeffrey M. Schwartz (2000): Zwangshandlungen und wie man sich davon befreit. Fischer TB Verlag. S. 110

ÜBER DEN AUTOR Rainer Oberbillig ist Dipl.-Psychologe und Psychologischer Psychotherapeut, er ist als Supervisor für Verhaltenstherapie an der Landespsychotherapeutenkammer akkreditiert und Leitender Psychologe an der de’ignis-Fachklinik.

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DE’IGNIS AKTUELL

20 Jahre Fachklinik

Kompetenz. Und Gottvertrauen.

Ein Rückblick von Claus J. Hartmann

W

enn ich so darüber nachdenke, kann ich es kaum glauben: Seit Eröffnung der Klinik sind schon 20 Jahre vergangen. Die Zeit verging wie im Flug.

1986 traf ich den Diplom-Psychologen Rainer Oberbillig bei einer Tagung. Er vermittelte ein Treffen mit Dr. Herbert Scheiblich, der zu der Zeit als Oberarzt in München tätig war. Das war die Grundsteinlegung für die de’ignis-Arbeit. Dabei ist noch zu erwähnen, dass mein Schwiegervater, Willi Gänssle, das jetzige Klinikgebäude in Egenhausen schon einige Jahre vorher als Kurhotel gebaut hatte, mit der Vision, dass in diesem Haus erkrankte Menschen Hilfe finden sollen.

1986

Fotos: privat C. Hartmann

Bei dem ersten Treffen zwischen Dr. Herbert Scheiblich und mir war noch nicht zu erahnen, was in 20 Jahren aus

unserer Zusammenarbeit werden sollte. Erstaunlich, wenn nicht schon fast ein wenig verrückt: Bei einem nächsten Treffen von Rainer Oberbillig, Dr. Herbert Scheiblich, dem neu dazugekommenen Gottfried Kirschner (er ist Diplom-Psychologe und ev. Theologe) und mir wurde verabredet, eine Gesellschaft zu gründen. Wenige Monate später, im Juni 1987, war die gemeinnützige Gesellschaft mit fünf Gesellschaftern, Werner May kam noch dazu, gegründet. Es war für die Gesellschafter nicht einfach, das dafür erforderliche Kapital privat aufzubringen. Nun fanden regelmäßige Gesellschaftertreffen in UlmOst statt, wo die Konzeption und das weitere Vorgehen geklärt wurden. Der Weg, den wir nun eingeschlagen hatten, war nicht einfach; doch glücklicher weise wussten wir das im vorhinein nicht. Schwierige Verhandlungen mit den Kostenträgern hatten begonnen. Parallel dazu führten wir Gespräche mit der Bank, um eine Finanzierung für die er-

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20 JAHRE DE’IGNIS

forderlichen Baumaßnahmen aufzustellen. Erst nachdem die Gesellschafter eine zusätzliche private Bürgschaft gegenüber der Bank zugesichert hatten, wurde das Darlehen bewilligt, sodass mit dem Umbau des jetzigen Klinikgebäudes in Egenhausen begonnen werden konnte. Soweit es uns möglich war, haben wir Arbeiten selber ausgeführt. Einige Freunde und ehrenamtliche Helfer haben uns dabei nach Kräften unterstützt. Es war eine sehr anstrengende Zeit, da alle Beteiligten ja auch noch einer Hauptbeschäftigung nachgingen und nur nach Feierabend und am Wochenende beim Umbau helfen konnten. Dann folgte für uns alle ein Schock: Mitten im Umbau, wir hatten mittlerweile einen großen Teil des Darlehens verbraucht, lehnten die Krankenkassen ab, mit uns einen Vertrag zu schließen. Nach einem sehr intensiven Austausch zwischen den Gesellschaftern und Gebet waren wir uns einig, weiter zu machen. Wir empfanden, dass wir Gottes Auftrag ausführen sollen und er mit uns sein wird. Den Claim „Kompetenz. Und Gottvertrauen.“ kannten wir damals noch nicht, der Inhalt hat unsere Arbeit aber von Anfang geprägt. In dieser Krise bekam ich Kontakt zum Verband der Krankenanstalten in privater Trägerschaft, damals mit Sitz in Freiburg. Von dieser Organisation erhielten wir wichtige Unterstützung. Unter anderem wurde uns ein Anwalt empfohlen, der sich mit und für uns um einen Versorgungsvertrag mit den Krankenkassen bemühte. Im Oktober 1989 haben wir die Klinik nach umfangreichen Umbaumaßnahmen eröffnet. Zu dem Zeitpunkt lag die Zulassung durch die Krankenkassen aber noch nicht vor und nur wenige der 33 Betten waren belegt. Sechs Wochen später war die Klinik mit Privatzahlern voll belegt und es entstand eine Warteliste. Nach einer Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) bekamen wir dann 1990 die Zulassung der Krankenkassen. Das war für uns eine gewaltige Entlastung.

1989

1991 lernten wir Winfried Hahn und Haus Tabor e. V. kennen. Er war damals Pastor mehrerer freikirchlicher Gemeinden und hatte in seinem Haus (Haus Tabor) eine Arbeit mit psychisch kranken Menschen begonnen. Wir schlossen uns nach einiger Zeit zusammen und gründeten die de’ignis-Wohnheim gGmbH.

1991

Nachdem Krankenkassen eine Behandlung in unserer Klinik bezahlten, wuchs die Nachfrage immens; die Wartezeit stieg auf über 18 Monate an. Schließlich erweiterten wir die Klinik in Egenhausen 1992, nicht zuletzt auch aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten, auf 52 Betten und begannen mit der Zweigstelle in Altensteig, dort zunächst mit 12 Betten. Da wir häufig zu Vorträgen und Schulungen eingeladen wurden, gründeten wir im Dezember 1992 die de’ignis-Institut gGmbH für Aus-, Fort- und Weiterbildung und begannen mit verschiedenen Schulungsangeboten.

1992

Nach einer Entwicklungshilfe-Reise nach Albanien im Jahre 1993, bei der ich mit dem Zustand des dortigen Gesundheitswesen konfrontiert wurde, konnten wir nicht anders als im November 1993 eine Stiftung in Albanien für den Aufbau einer Poliklinik zu gründen.

1993

Die Klinikarbeit entwickelte sich kontinuierlich weiter, sodass wir 1994 , 1996 und 1999 weitere Erweiterungen vornahmen. In Altensteig kamen 11 Betten dazu und in Egenhausen zusätzliche Funktionsräume.

1994

1997

1997 waren wir auch von der damaligen RehaKrise betroffen, unsere Auslastung sank drastisch. Glücklicherweise mussten wir die Personalkapazität nicht reduzieren. In der Zeit Fortsetzung nächste Seite

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DE’IGNIS AKTUELL

begannen wir mit Gesundheitswochen, aus denen mittlerweile der Arbeitszweig „Prävention“ gewachsen ist. 2000 haben wir dann zur weiteren Qualitäts2000 verbesserung einen Anbau für die Ergotherapie realisiert. Um den Patienten den Aufenthalt angenehmer zu gestalten wurden in dem Zusammenhang auch ein Wintergarten als Aufenthaltsraum sowie ein weiterer Wintergarten als Ruhebereich neben dem Schwimmbad gebaut. Im Jahr 2001 konnten wir in Altensteig ein wei2001 teres Gebäude erwerben, durch das wir eine Bettenerweiterung um 9 Betten auf dann 32 Betten in Altensteig realisieren konnten. Ein wichtiger Kostenträger forderte uns auf, 2003 eine Sporthalle für unsere Klinik zu bauen. Nachdem schon Pläne für einen teuren Anbau gemacht wurden, ergab sich erfreulicher Weise in unserer direkten Nachbarschaft in Egenhausen die Möglichkeit, eine Speditionshalle zu kaufen. Die Halle wurde 2003 zu einer Sporthalle mit Therapeutenbüros umgebaut. Finanziell war das eine sehr große Herausforderung. 2004 wurde eine Stiftung für ein Gesundheitszentrum in Polen gegründet, nachdem Winfried Hahn durch seine Schulungstätigkeit Kontakt zu dem Ehepaar Plohr bekommen hatte. Sie hatten in Polen mit ihrem Verein Ichthys ein Tagungszentrum errichtet. Der Wunsch nach einer solchen Arbeit kam aus Polen und Winfried Hahn sowie Ehepaar Plohr sahen sich gerufen, diesem nachzugehen. 2004 erklärten sich meine Schwiegereltern, bereit das Haus, in dem wir damals gemeinsam wohnten und das unmittelbar an das Klinikgelände in Altensteig angrenzte, zu verlassen, falls die Klinik das Gebäude benötigte.

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Nach intensiven Überlegungen entschlossen wir uns dann schweren Herzens auszuziehen. Zunächst wurde es unser „Präventionshaus“, mit dem wir neue Präventionskonzepte realisieren konnten. Auch Aufenthaltsräume für Patienten und Büroräume konnten in dem Gebäude untergebracht werden. n jüngster Vergangenheit konnten wir weiter Gebäude unmittelbar angrenzend an unsere Grünanlage in Altensteig erwerben. Aus einer Doppelhaushälfte entstand mit einem Anbau unser neuer Wellnessbereich, von dem unsere Gäste begeistert sind. Das Zweifamilienhaus daneben wurde zum neuen Präventionshaus umgebaut. Im bis dahin als Präventionshaus genutzten Gebäude stehen nun weitere Patientenzimmer zur Verfügung. Die Grundlage unserer gesamten Arbeit beruht darauf, dass wir ein Herz für Menschen mit psychischen Erkrankungen haben, gewillt und bemüht sind, uns ständig weiter zu entwickeln und zu verbessern, ja aus Fehlern zu lernen; und das immer auf der Basis von Gottvertrauen. Den Gesellschaftern als Träger ist der persönliche Bezug zu Jesus Christus Verpflichtung. Ohne Ihn können wir nichts tun! Die Gesellschafter und Mitarbeiter gehören nicht einer bestimmten Glaubensrichtung an, sondern sind in unter-

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20 JAHRE DE’IGNIS

schiedlichen Kirchen und Gemeinden integriert. Für uns steht in unserer Arbeit nicht die Glaubensausrichtung im Mittelpunkt, sondern der Mensch als von Gott geschaffen und geliebt. Wir arbeiten mit allen Kirchen und Gemeinschaften zusammen und stehen in regem Austausch. Für uns ist es selbstverständlich, auch intensiv in Verbänden und Arbeitsgruppen der medizinisch-therapeutischen und theologischen Fachwelt mitzuarbeiten und mit ihnen zusammenzuarbeiten. Zahlreiche Mitgliedschaften haben sich entwickelt und persönliche Beziehungen sind entstanden. Auf eine hohe Qualität in unserer Arbeit legen wir sehr viel Wert. Das bedeutet auch, dass sich unsere Mitarbeiter ständig fort- und weiterbilden. Uns ist auch wichtig, neue Konzepte zu entwickeln, um Menschen mit psychischen Erkrankungen noch besser, nachhaltiger, effektiver und damit auch für die Gesellschaft wirtschaftlicher helfen zu können. So haben wir ein neues Konzept mit einer Krankenkasse und der Politik zusammen entwickelt. In diesem Assessment-Verfahren mit umfassender Diagnostik und Probebehandlung kann Menschen aus unserer Region, die unter einer depressiven Erkrankung leiden, schneller und effektiver geholfen werden.

Um eine so sehr komplexe und anspruchsvolle Arbeit tun zu können, braucht es in erster Linie hervorragende, engagierte Mitarbeiter, die sich mit der Arbeit und der Konzeption identifizieren können. Und das kann ich für unser Team bescheinigen. Auch die von einem Institut im Rahmen der externen Qualitätssicherung durchgeführte Mitarbeiterbefragung hat das sehr deutlich zum Ausdruck gebracht. Die Kostenträger sind für uns sehr wichtige Partner. Wir erleben sie immer als verlässliche Kooperationspartner, die um das Wohl ihrer Mitglieder hart ringen und fair sind. Die Zusammenarbeit ist sehr gut; für neue Konzepte und Entwicklungen haben wir immer sehr kompetente und engagierte Gesprächspartner. So geht es uns auch mit der Politik: In unserer Region haben wir mit Bundestags-, Landtags- und Kreistagsabgeordneten sowie den Bürgermeistern hervorragende kompetente Persönlichkeiten, die uns in unseren Anliegen und Bedürfnissen zum Wohle der Bürger immer wieder, wo notwendig und möglich, unterstützen. o kann ich nur bestätigen, dass wir nach 20 Jahren immer noch voller Freude und Engagement unsere Arbeit tun, um mit „Kompetenz. Und Gottvertrauen.“ den Menschen zu helfen, die psychisch und psychosomatisch erkrankt sind. Wir möchten die Menschen, die zu uns kommen, herzlich willkommen heißen, ihnen in der Zeit, in der sie bei uns sind, mit den uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten in Respekt und Liebe dienen und sie auf dem Weg der Gesundung begleiten. An dieser Stelle danke ich auch all denen sehr herzlich, die uns in den 20 Jahren mit Rat und Tat beigestanden und uns unterstützt haben. •

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Claus J. Hartmann, Geschäftsführender Gesellschafter 43


de'ignis aktuell Termine · Berichte · Neues aus den Einrichtungen

INSTITUT AKTUELL

Von Gott gefunden, ‚hoch gepäppelt’ und zur Würde gebracht …

Eindrücke vom Supervisionstag am 6. März 2009 u unserem traditionellen Supervisionstag „Psychotherapie & Lebensberatung mit Patienten/Klienten mit religiöser Werteorientierung“ im Frühjahr konnten wir diesmal mehr als 20 Teilnehmer begrüßen. Der Vormittag stand unter dem Motto „Wiederherstellung nach Gottes Weise – Impulse aus dem Propheten Hesekiel“. Anlass dazu war für mich das Erlebnis einer sehr religiösen Patientin aus der stationären Behandlung in unserer Fachklinik gewesen, mit diesem Text von einer Mitpatientin sehr treffend mit ihrer persönlichen Lebensgeschichte „abgeholt“ worden zu sein. Zunächst gab es einen ersten Impuls mit einer Textbetrachtung zu Hesekiel 16, 1–14 aus „Therapeutenaugen“: Von Gott gefunden, von ihm nach Geist, Seele u. Leib aus einer hochgradig bedürftigen Verfassung aufgepäppelt und wieder zu Würde gebracht zu werden – ist das nicht

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eine Beschreibung des langwierigen Prozesses jeglicher Psychotherapie? Oder gilt dies vor allem für die Psychotherapie und Lebensberatung mit religiösen Klienten? Man muss für die „Christliche Beratung“ – und nicht nur für diese Spezialisierung von Beratung – wissen, wie man Lebensmüde ermutigt: „Da kam ich vorbei und sagte zu dir: Du sollst leben!“ – Dieser Zuspruch Gottes wird von vielen unserer Klienten benötigt; die Berechtigung zu leben, die von überforderten Eltern ausgeblieben war, muss nun in der Therapie, in der therapeutischen Beziehung in einem Nachreifungsprozess vermittelt werden. Auch die Intensität der therapeutischen Beziehung – die Blöße des Klienten bedecken – konnte aus dem Text herausgelesen und bewusst gemacht werden. Wie kann ein Tiefgreifender Veränderungsprozess aus einem traumatisierten Klienten einen

Menschen werden lassen, der sich aus erlebten Erniedrigungen erhebt und eine neue Schönheit und Würde ausstrahlt? Auch hierzu wurden Anregungen aus dem Text erarbeitet. Danach gab es Zeit für Assoziationen zu eigenem Erleben in der therapeutischen Praxis. In Drama Gruppen durften sich die Teilnehmer Textabschnitte heraussuchen, die sie mit szenischen Mitteln im sog. „Bibliodrama“ vor dem Plenum darstellen sollten. Die Selbsterfahrung mit Tiefgreifenden Heilungsprozessen im „Spiel“ wurde von allen Teilnehmern in der Auswertung als sehr dicht und berührend erlebt; sie eröffne ein besseres Verständnis auf das Erleben der Klienten im therapeutischen Prozess, in der therapeutischen Beziehung. Der Nachmittag stand dann im ersten Abschnitt zur Interaktiven Fallarbeit zur Verfügung: Methodisch verwendeten wir dazu eine System-


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aufstellung des vorgestellten Falles (1), die die Supervisandin – Therapeutin der Fall-Klientin, einer etwa 17-jährigen türkischen Jugendlichen – mithilfe von Stellvertretern aus dem Teilnehmerkreis gestaltete. Dabei wurden rasch Verwicklungen der beteiligten Helfer/Betreuer deutlich, interkulturelle Verständnisprobleme sowie die Beziehungsbedeutung der aufstellenden Therapeutin für die Klientin. Die zweite interaktive Fallarbeit gestalteten wir im Stil einer sog.

Balintgruppe, die die emotionalen Reaktionen und unbewussten Übertragungen der Teilnehmer auf den Fall (Klient – Therapeut – Prozess – Thema) zum Inhalt hat. In beiden Fällen war es wieder einmal enorm hilfreich und spannend, den Erfahrungsreichtum einer größeren Expertengruppe in der interaktiven Supervision zur Entwicklung von Lösungen zu nutzen. Das biblische „Motto“ vom Vormittag („Du sollst leben!“) klang dabei noch nach.

Auch die interaktive Fallarbeit in kleinen problemlöseorientierten Intervisionsgruppen kam schließlich nicht zu kurz. •

W EITERE SUPERVISIONSTAGE: 02. OKTOBER 20 09 12. MÄRZ 2010

de'ignis-Beratungsstellentag im Frühjahr raditionen haben etwas Beruhigendes – man weiß, worauf man sich einlässt. So erwarteten wir eine rege Teilnahme aus unseren Beratungsstellen wie in den vorigen Jahren, doch leider mussten einige unserer Partner im Land absagen. Mit einem kleinen Kreis von Teilnehmern genossen wir dafür den persönlichen Erfahrungsaustausch ausgedehnt und intensiv. Schließlich lebt jede Arbeit

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von gelebten Beziehungen! Inhaltlich diskutierten wir die neu erstellte Konzeption für Beratungsstellen im de’ignis Verbund, die notwendige Weiterqualifizierung nach dem HPG zum „Heilpraktiker für Psychotherapie“ bspw. Mit einer Gebetszeit für die Beratungsarbeit und das persönliche Wohlergehen schlossen wir den diesjährigen Beratungsstellentag ab. •

Fortbildung in „Christlich-integrativer Psychotherapie“ m September 2008 hatten wir nach langer Vorbereitung unseren fünften Lehrgang der Fortbildung zum „Christlichen Therapeuten / Christlich-psychologischen Berater“ mit vierundzwanzig Teilnehmern feierlich eröffnen können. Bisher gab es erfreulicherweise nur geringfügige Veränderungen in der Teilnehmerzusammensetzung, der Kurs blieb konstant in der Teilnehmerzahl. Inzwischen haben einige auch schon eine

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große Bereicherung ihrer therapeutischen / beraterischen Kompetenz nach eigenem Bekunden erfahren können; dazu trugen die bereits absolvierten klinischen Praktika bei als auch die frisch gestarteten regional aufgeteilten Supervisionsgruppen. In ihnen werden die Impulse und Selbsterfahrungen mit der Methodik einer „Christlich-integrativen Psychotherapie“ an Fallbezogenen Fragestellungen vertieft. Übungsweise bezogen

wir dazu auch „Hörendes Gebet“ mit ein, Gott um wegweisende Eindrücke oder Einfälle zu bitten, die Fragen des Vorgehens im betreffenden Beratungsfall zu erhellen. Daraus wurden manche überraschenden Impulse zur Beantwortung unserer fachlichen Fragen „geboren“. Für die eine oder andere Teilnehmerin hat sich auch in der Frage der Weiterentwicklung der eigenen Beratungsarbeit schon ein neues Profil ergeben. Wir sind gespannt darauf, wie Gott die Berufung zur Christlichen Therapie bei den einzelnen weiter bestätigt, sei es in einem inneren Prozess, sei es auch in äußeren Veränderungen der Berufstätigkeit oder Arbeitsweise. Hier haben sich auch schon ermutigende Entwicklungen für einige ergeben. •

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INSTITUT AKTUELL

Impressionen aus der Institutsambulanz

mmer wieder werde ich bestätigt, dass kreative Elemente wie die bildnerische Gestaltung von Lebensthemen oder persönlichen Konflikten in einer „Christlich-integrativen Psychotherapie“ einen gewichtigen Platz einnehmen sollten. Werden hierdurch doch neurobiologisch betrachtet „neuronale Netzwerke“ geknüpft, die dem Klienten ein erweitertes oder

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verändertes Verstehen bisheriger Lebenskonzepte ermöglichen. Ein modifiziertes emotionales Lernen kann daraus erfolgen. So stiftete ich einen emotional wenig zugänglichen Patienten aus der ambulanten psychotherapeutischen Beratungsstelle an, ein Bild anzufertigen zum Thema „Geheimnis der Ehe – Liebe zur eigenen Frau?“ In zwei Stufen des Malens entstand schließlich dieses Gemälde. Folgende Erklärung wurde dazu von ihm verfasst, z. T. ergänzt von mir: „Die unterschiedlichen Persönlichkeitsfarben stellen die zwei Wesensstrukturen von Mann und Frau in der Ehe dar, die sich vermischen, ohne sich allerdings aufzulösen. Es findet eine Begegnung zweier Menschen statt, die eine Dynamik entfalten, die in der Welle aus geradlinigen Begrenzungen von ‚ich & du‘ ihren Widerhall findet. Die allmähliche

Verschmelzung der Wesensarten der Partner kann Angst auslösen – in der Welle in den sonst geradlinigen Begrenzungen wird hierzu auf ein göttliches Geheimnis hingewiesen: Auf Verzicht (meiner abgegrenzten Primärfarbe) und Gewinn vieler Sekundärfarben oder Mischfarben in meiner Persönlichkeit, meinem Leben.“ • Kommentar: Das Bild spiegelt etwas von Dankbarkeit wieder, die der Patient gegenüber seiner Ehefrau empfindet, das erleben einer Bereicherung seines ansonsten eher ‚rechteckig‘ und geradlinig starren Lebenskonzepts. Sich in der Vermischung neu zu entdecken oder identifizieren als erweitertes Ich – eine Individuation zu vollziehen, zu einer Initiation als ‚farbiger‘, liebesfähiger Mann zu gelangen, das wird zu einer herausfordernden Aufgabe in der Therapie werden. R. O.

Seelsorge mit allen Sinnen erleben Auf der Nordalb

Veranstaltungsort: Kirche im Aufbruch e.V., 73326 Deggingen

6. –8. November 2010 Identität – Der ICH BIN sagt mir wer ich bin

8.– 10. Januar 2010 Gott deckt mir einen Tisch – Die Fürsorge Gottes entdecken

5.–7. März 2010 Gott gibt mir Wert und Würde (Seminar für Frauen)

Jede/r TeilnehmerIn darf erleben, was es heißt, für Gott so wertvoll zu sein, dass ER ihm/ihr ganz persönlich begegnen möchte, um ihm/ihr dabei behilflich zu sein, zur gottgegebenen Identität zu finden und zu stehen.

Die TeilnehmerInnen dürfen für sich ganz persönlich die Fürsorge Gottes entdecken. Das angestrebte Ziel ist, den gedeckten Tisch Gottes – seine Liebe, Fürsorge und Versorgung – auch im Alltag im Blickfeld zu behalten.

An diesem Seelsorge-Wochenende für Frauen werden Wert und Würde für jede Teilnehmerin erlebbar gemacht. Ziel des Seminars ist es, dass jede Frau durch neue kreative Methoden zu ihrer gottgegebenen Identität findet.

Seminarleitung: Dagmar Göhring und Alexandra Pfeifer mit Team

Seminarleitung: Dagmar Göhring und Alexandra Pfeifer mit Team

Seminarleitung: Dagmar Göhring und Alexandra Pfeifer mit Team

de’ignis Wohnheim gGmbH – Haus Tabor zur außerklinischen psychiatrischen Betreuung in Kooperation mit Kirche im Aufbruch e.V. · Tel.: 07575 92507-0 oder 07570 951967; E-Mail: seelsorgekurs@deignis.de

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www.deignis.de


DE’IGNIS AKTUELL

INSTITUT AKTUELL

eit Anfang 2009 leite ich eine Beratungsstelle in Kooperation mit der de’ignis-Fachklinik/de’ignis Institut. Ich freue mich sehr, in der Christlich-psychologischen Beratung meine Berufung von Gott gefunden zu haben. Aufgewachsen bin ich in Nordengland, Jahrgang 1953. Bereits während meines Studiums in England – Lehrerausbildung – habe ich zwei Auslandssemester in Tübingen zwecks Verbesserung meiner Deutschkenntnisse verbracht. Nach meinem Sprachstudium in England mit dem Abschluss zum Bachelor of Arts, University of Reading (GB), kam ich 1975 ganz nach Deutschland, wo ich dem Herrn und meinem Mann begegnet bin. Inzwischen habe ich 4 erwachsene Kinder. Gemeinsam mit meinem Mann Gerd und anderen bin ich in der Leitung der Christus Gemeinde Rottenburg engagiert, mit besonderer Leidenschaft im Musikdienst mit Lobpreis & Anbetung. Schon längere Zeit hatte ich mich mit Fragen der Seelsorge und Christlichen Lebensberatung auseinander-

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„Er hat mich gesandt, um den Armen gute Botschaft zu verkündigen: Sie sollen einen Kopfschmuck anstelle von Asche, Freudenöl anstelle von Trauerkleidern und Lobgesang anstelle eines betrübten Geistes bekommen. Ihre gebrochenen Herzen sollen geheilt, wenn sie gefangen und gefesselt sind, sollen sie in die Freiheit geführt werden“. Jesaja 61

de’ignis-Beratungsstelle Rottenburg gesetzt, bis für mich feststand, die Fortbildung in „Christlich-integrativer Psychotherapie“ am de’ignis Institut zu absolvieren. Im Sommer 2008 habe ich dann den Abschluss als Christliche Therapeutin (de’ignis) gemacht und mich Anfang 2009 weiterqualifiziert zur Heilpraktikerin (Psychotherapie/HPG). In der Beratungsstelle biete ich auf der Grundlage eines ganzheitlichen biblischen Menschenbildes ambulante psychologische Lebensberatung und Psychotherapie nach dem Konzept der christlich-integrativen Psychotherapie an. Das Angebot richtet sich deshalb in erster Linie an Menschen mit christlichem Hintergrund, weiterhin an Ratsuchende, die aus christlicher Perspektive Hilfe in Konfliktsituationen finden möchten. Ich möchte u. a. Menschen helfen, aus depressiven Episoden, psychosomatischen Beschwerden, BurnoutSyndrom, Ängsten, Phobien, Essstörungen herauszukommen; auch denen Unterstützung geben, die an den Folgen sexuellen, emotionalen oder

geistlichen Missbrauchs oder Beziehungsproblemen leiden. Für Ratsuchende auf der Suche nach Identität und Selbstwert oder Patienten mit psychischen Erkrankungen leitet mich eine Passage aus der Bibel in besonderer Weise: Jesaja 61 . Meine Tür steht Ihnen offen! •

DIE AUTORIN Gillian Flügel „Auch der weiteste Weg beginnt mit einem ersten Schritt“ Tel. 07472/7833 Email: gillfluegel@hotmail.de Internet: www.deignis.de

Tage seelsorgerlicher Begleitung

Schulung für Seelsorge

9. –11. April 2010 Raum für meine Seele Ausspannen vom Alltag

Termine:

Auf der Nordalb Veranstaltungsort: Kirche im Aufbruch e.V., 73326 Deggingen

in Langenhart bei Engelswies 23. – 24.10.2009 22. – 23.01.2010 19. – 20.03.2010

Ein Team von Seelsorgern und Seelsorgerinnen wird die Teilnehmer und Teilnehmerinnen in diesen Tagen bei Lobpreis, Gebet, Lehre, Kleingruppe, Stillezeiten und in Einzelseelsorge begleiten. Seminarleitung: Dagmar Göhring mit Team de’ignis Wohnheim gGmbH – Haus Tabor zur außerklinischen psychiatrischen Betreuung in Kooperation mit Kirche im Aufbruch e.V. · Tel.: 07575 92507-0 oder 07570 951967; E-Mail: seelsorgekurs@deignis.de

09. – 10.07.2010 22. – 23.10.2010 Eingeladen sind Christen, die einen inneren Ruf zur Seelsorge verspüren. Interessierte sind ebenfalls eingeladen. Gerade in unserer Zeit suchen immer mehr Menschen mit psychischen Problemen in christlichen Gemeinden Hilfe. Veranstaltungsort: Heu-Hotel Brigel-Hof, Meßkirch-Langenhart mit dem Angebot von Seminarräumen, freundlichen Zimmern, Heu-Hotel und Verpflegung vom Bio-Hof

www.deignis.de 47


FACHKLINIK AKTUELL

Erweiterung in Altensteig mit Wellnessbereich und Präventionshaus

ber die Baumaßnahmen haben wir ja schon im Magazin berichtet. Im März 2009 war es dann endlich so weit und wir konnten den

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Wellnessbereich in Altensteig eröffnen. Unsere Gäste äußern sich sehr begeistert über dieses neue Angebot. Neben einer klassischen Sauna stehen unseren Gästen ein Sanarium (Kombination aus Sauna und Dampfbad), eine Infrarotkabine, zwei Whirlpools und eine Sonnenwiese (eine Neuheit in der Solariumstechnologie) zur Verfügung. Verschiedene Duschen und ein großzügiger Ruhebereich ergänzen das Angebot. Die Terrasse mit weiteren Ruheliegen wurde vor wenigen Wochen auch fertig gestellt. Fast parallel zum Ausbau des Wellnessbereiches wurde auch das neue Präventionshaus umfassend re-

noviert. Durch einen Leitungswasserschaden wurden die Arbeiten verzögert. Ein Teil der Zimmer konnte Mitte Mai, der Rest Ende Mai erstmals bezogen werden. Auf zwei Etagen stehen nun insgesamt sechs große, modern und behaglich gestaltete Doppelzimmer (die natürlich auch als Einzelzimmer belegt werden können) zur Verfügung. Die Zimmer werden von unseren Präventionsgästen, die zu einer individuellen Gesundheitswoche oder zum Kompaktkurs „Stressbewältigung lernen“ zu uns nach Altensteig kommen (siehe Bericht über unsere Präventionsangebote) sehr positiv beurteilt. •

die große Bedeutung der Prävention deutlich. Von de’ignis gibt es zwei Präventions-Angebote, mit denen wir Sie dabei unterstützen wollen, gesund zu bleiben. Neben den seit über 10 Jahren bewährten „individuellen Gesundheitswochen“, bei denen Sie sich ihr individuelles Präventionsprogramm mit verschiedenen Bausteinen selber zusammenstellen können, bieten wir seit Mai einen Kompaktkurs „Stressbewältigung lernen“. Chronischer Stress ist neben Übergewicht, Rauchen, etc. ein sehr großer Risikofaktor für die Gesundheit. In

dem neuen Kurs möchten wir Sie dabei unterstützen, ihre bewussten und unbewussten Stressverstärker zu erkennen und zu verändern, Stresssituationen wahrzunehmen, anzunehmen und zu verändern. Natürlich haben Sie in den 4 Tagen auch Zeit zum Erholen, Entspannen und Genießen. •

Präventionsangebote ei der Eröffnungsveranstaltung der „Gesundheitsstrategie BadenWürttemberg“ wurde darauf hingewiesen, dass viele Erkrankungen (dazu gehören beispielsweise auch Depressionen) durch eine Änderung der Lebensgewohnheiten vermeidbar wären. Insbesondere weil damit zu rechnen ist, dass zukünftig einige Behandlungen nicht mehr von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen werden, wird

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Weitere Informationen über unsere Präventionsangebote finden Sie auf unserer Homepage (Fachklinik – Angebot – Prävention) oder in den Flyern, die wir Ihnen gerne zusenden.


DE’IGNIS AKTUELL

Mit dem Messestand unterwegs uch in diesem Jahr waren wir wieder mit dem Messestand unterwegs. Erster Termin war der Kongress christlicher Führungskräfte im Februar in Düsseldorf. Der Kongress findet alle zwei Jahre statt und stand wieder unter dem Motto „Mit Werten in Führung gehen“. Am Kongress haben ca. 3.800 Personen teilgenommen. Über 270 Fachaussteller informierten parallel zu Plenums-Programm, Seminaren, Seelsorgeangeboten etc. über ihre Leistungen. Danach hatten wir unseren Messestand auf zwei regionalen Gesundheitstagen in Nagold und Altensteig aufgebaut. Der letzte Messetermin für dieses Jahr und voraussichtlich auch für diesen Messestand war der

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32. Deutsche Evangelische Kirchentag in Bremen. Unter der Losung „Mensch, wo bist du?“ kamen im Mai mehr als 100.000 Menschen in Gottesdiensten, Bibelarbeiten, Vorträgen, Gesprächsforen und Workshops zusammen. Viele nutzten auch die Ausstellungen „Markt der Möglichkeiten“ und „Messe im Markt“. Unser Stand war sehr gut besucht. Neben der Beratung über unsere Behandlungs- und Präventionsangebote gab es auch ein paar Süßigkeiten (wir mussten vor Ort mehrfach größere Mengen nachkaufen), etwas zu trinken und die Möglichkeit, sich vom vielen Trubel

und Rumlaufen etwas auszuruhen. Obwohl wir schon sehr viel Informationsmaterial mitgenommen hatten, war das aktuelle Magazin zum Thema „Depression“ am letzten Nachmittag nicht mehr vorrätig. •

Christliche Stiftung de'ignis Polen

POLEN AKTUELL

Baugenehmigung für Christliche Klinik in Polen in greifbarer Nähe s war schon ein denkwürdiger Tag, als wir von der Christlichen Stiftung de’ignis Polen mit einer kleinen Abordnung vom Bürgermeister und dem Stadtbaumeister von Bytow im Frühjahr diesen Jahres empfangen wurden. Sie legten sich definitiv darauf fest, dass sie innerhalb von zwei Jahren den gesamten Flächennutzungsplan ändern werden um so die Möglichkeit zu schaffen, unser Klinikprojekt bei dem bestehenden Tagungshaus Ichthys zu verwirklichen! Eine wahrhaft unglaubliche Wende! Nachdem uns vor etlichen Jahren definitiv versichert wurde, es könne und werde keine Möglichkeit geben, auf unserem großen, wunderschönen Grundstück unser Bauvorhaben zu verwirklichen, (die Flächennutzung

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wurde nachträglich geändert), schien alles unmöglich. Jetzt sieht alles ganz anders aus! Beständigkeit, Ausdauer unsererseits, ein neuer Bürgermeister und andere unzufriedene Bürger führen nun zu einer völlig veränderten Situation. Wenn nun die Türen aufgehen, brauchen wir viel Mut, Glauben, Geld und vor allem fachlich qualifizierte Mitarbeiter aus Polen. Das sind wichtige Gebetsanliegen. Aber im Vertrauen auf unseren Herrn bleiben wir dran. In der Zwischenzeit läuft unser bisheriges Programm weiter: • Schulungen, Seminare, Freizeiten im Tagungshaus Ichthys • Seelsorgekurs in der Nähe von Warschau

• Therapieaufenthalte in den Wintermonaten in unserer Winterklinik im Haus Ichthys. Für dies alles brauchen wir intensives Gebet und umfassende Unterstützung. Winfried Hahn, Erhard und Christa Plohr

Spendenkonto: Christliche Stiftung de’ignis-Polen Konto 7 260 512 BLZ 666 500 85 Sparkasse Pforzheim

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de'ignis WOHNHEIM – HAUS TABOR

de'ignis-Wohnheim Spenden sichern hohe Qualität – Haus Tabor e.V. weiterhin zur Unterstützung bereit eit seiner Eröffnung im Jahr 1992 konnte das de’ignisImmer mehr Heimbewohner werden mittlerweile von Wohnheim durch einen ständigen Zustrom von Spen- öffentlichen Kostenträgern finanziert. den seine Angebote und Qualität ständig verbessern. So Allerdings sichern die Spendeneinnahmen etlichen bietet die Einrichtung neben verschiedenen Arbeitstrai- Menschen, die keinen Kostenträger haben, den für sie ningsbereichen ein qualifiziertes, an der Berufswelt ori- oft lebensnotwendigen Aufenthalt. • entiertes EDV-Training an. Viele freizeitpädagogische Aktivitäten wie Ausflüge, Reiten, Segeln auf dem Bodensee, Ski fahren im Winter etc. runden das Programm ab. InUnterstützerverein Haus Tabor e.V. tensiv trainiert werden jedoch schwerpunktmäßig FähigKto. 8317232 · BLZ 693 620 32 keiten zur Alltagsbewältigung, damit die Bewohner so bald wie möglich wieder selbständig leben können. Darde’ignis-Wohnheim über hinaus wird durch die pädagogisch-therapeutische Kto. Nr. 105338 · BLZ 690 516 20 Begleitung mit fachlich geschultem und ausgebildetem Sparkasse Pfullendorf-Messkirch Personal die Persönlichkeitsentwicklung und Aufarbeitung von inneren Konflikten begleitet.

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de'ignis-Wohnheim entwickelt Stufenprogramm für Wohntraining – Neubau erforderlich it den Außenwohngruppen stehen derzeit 36 Plätze im de’ignis-Wohnheim zur Verfügung. Um noch besser die Eigenständigkeit unserer Heimbewohner fördern zu können, ist es geplant, sie schrittweise an eine höhere Verselbständigung heranzuführen. Sehr eingeschränkte Personen werden im vollstationären Bereich mit allem Nötigen versorgt: zentrale Verpflegung, zentrale Waschküche, etc. In einem weiteren Schritt findet das Wohntraining Stufe I statt. Hier wird in einer speziellen Lehrküche jedem einzelnen das Kochen beigebracht. Auch seine Wäsche selbst zu waschen und zu bügeln wird in dieser ersten Stufe eingeübt. Ein weiterer Schritt ist das Wohntraining Stufe II.

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Hier sollen die Bewohner in einer Wohngruppe das Zusammenleben einüben. Unter Anleitung sollen sie möglichst selbständig den Haushalt (Kochen, Waschen, Bügeln, Putzen etc.) führen lernen und soziale Verhaltensweisen einüben, die ein Leben in der Gemeinschaft mit anderen ermöglichen. In der Wohntrainingsstufe III soll das selbständige Wohnen mit möglichst wenig Anleitung von außen gefestigt werden, so dass die Bewohner, die diese Entwicklung durchlaufen haben, dann in die ambulanten Angebote ihrer Herkunftslandkreise entlassen werden können. Um dieses Wohntrainingsprogramm verwirklichen zu können, ist ein umfangreicher Neubau erforderlich, dessen Planungsarbeiten uns im Moment intensiv beschäftigen. Wir sehen jedoch in Anbetracht der Veränderungen im Sozialbereich und mit Blick auf eine sinnvolle Weiterentwicklung unserer Arbeit keine andere Alternative. So werden wir uns dieser Herausforderung stellen und rechnen auch weiterhin mit der Unterstützung unseres Freundeskreises. •


ADRESSEN

Adressen Ambulante Therapie und Beratungsstellen (de’ignis) de’ignis – Gesundheitszentrum Sommerstraße 1 72227 Egenhausen Telefon 07453-9391-0

Dagmar Göhring Ulmenweg 22 88605 Meßkirch-Langenhart Telefon 07570-951967

Sylvia Haufe, Beratungsstelle Schützenallee 52 79102 Freiburg Telefon 0761-7077501

de’ignis – Wohnheim Fred-Hahn-Straße 32 72514 Engelswies Telefon 07575-925070

Dr. med. Martina Dickhaut, Beratungsstelle Ahornweg 2 25365 Kl. Offenseth-Spornieshoop martinadickhaut@gmx.de

Magdalena Schnabel, Beratungsstelle Max-Liebermann-Straße 9 73257 Köngen/N. Telefon 07024-8689169

Katrin Lehmann & Annette Kuhn Beratungsstelle Großenhainer Straße 137 01129 Dresden Telefon 0351-84387-77

Erika Gasper, Beratungsstelle Alte Jakobstraße 75 10179 Berlin Telefon 030-27591782

de’ignis – Institut, Beratungsstelle Lerchenstraße 40 72213 Altensteig Telefon 07453-9494310 Ulrike Hauer, Beratungsstelle Bitscher Straße 20 66996 Fischbach b. Dahn Telefon 06393-56 86 Dorothea Reuther, Beratungsstelle Dillweißensteiner Straße 9 75180 Pforzheim Telefon 07231-784088-0

Dr. med. Doris Schneider-Bühler, Beratungsstelle Alpenstr. 13 78262 Gailingen Telefon 07734-9369848 Marion Geißler, Beratungsstelle Elisabeth-Selbert-Straße 7 34253 Kassel-Lohfelden Telefon 0561-8203368

Lothar Gies, „Noordlicht“, Beratungsstelle Sailerstraße 2 26676 Barßel Telefon 04499-9269977 Gillian Flügel, Beratungsstelle Am Bauschbergle 45 72108 Rottenburg Telefon 07472-7833

Christliche Therapeuten und Berater (de’ignis): Anna Beraldi Anna.Beraldi@med.uni-muenchen.de Telefon 089-70957716

Dr. med. Kirsten Hautmann-Flesch Kalmitweg 53 67117 Limburgerhof

Heike & Mario Reinicke Am Hungerberg 4 36272 Niederaula

Manfred Dersch Leiter des Missions- und Soialwerks die Arche e. V. Mushecke 19 35216 Biedenkopf

Andrea Herzog Susanne-Pfisterer-Straße 6 69124 Heidelberg

Bernita Schreiner Pappelweg 2 88697 Bermatingen

Charlotte Hummel Mühlhaldenstraße 12 70567 Stuttgart

Dr. med. Rosemarie Schultheiß Beratungsstelle „Wegweiser“ Talweg 19/1 72218 Wildberg/Sulz a. Eck

Michael-Christian Diehl Friedhofstraße 10 35713 Eschenburg Dr. med. Sibylle Domnick-Lüdke Breite Straße 103 76135 Karlsruhe Gilian Flügel, B.A. Am Bauschbergle 45 72108 Rottenburg-Dettingen Ulrike Franke Beratungsstelle „Rundum“ Auf dem Graben 8 71083 Herrenberg Dr. med. Jutta Günther Hermannstraße 23 75428 Illingen

Karen Kammler 16727 Oberkrämer beratung-K@mmler.net Sabine Ley Drei Eichen 16 25368 Kiebitzreihe Almut Linden Döbernstraße 10 25551 Hohenlockstedt Eva-Maria Löffler Pöhlauerstraße 18 08066 Zwickau Francesca Pellerito Beratungsstelle „Sonnenlicht“ Tulpenstraße 39 71394 Kernen i. R. ( bei Stuttgart)

Dr. med. Bernhard Stoll Beratungsstelle „Hosanna“ Feldstraße 77 45968 Gladbeck Inge Westermann Perspektive Glauben und Leben Bilunger Weg 25 26131 Oldenburg Elisabeth Wiedmann Amselweg 7 88271 Wilhelmsdorf-Pfrungen Dr. B. Zeller, Praxis, Diplom-Psychologe Hohenheimer Straße 21 70184 Stuttgart Telefon 0711-860299977

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Bei Unzustellbarkeit oder Mängeln in der Anschri senden Sie bitte eine Benachrichtigungskarte an diese Adresse: de’ignis Institut gGmbH · Markgrafenweg 17 72213 Altensteig

Kompetenz. Und Gottvertrauen.

de'ignis Fachklinik auf christlicher Basis für Psychiatrie – Psychotherapie – Psychosomatik • stationäre medizinische Vorsorge- und Rehabilitationsmaßnahmen • ambulante/teilstationäre Rehabilitation • Anschlussrehabilitation • Sanatoriumsbehandlungen • ambulante Behandlungen • Angebote zur gesundheitlichen Prävention/Vorsorge de'ignis Wohnheim – Haus TABOR Sozialtherapeutisches Wohnheim nach biblischen Grundsätzen mit Einzel-und Gruppenangeboten: • Gesprächstherapie • Sozialtraining • Arbeitstraining (z.B. im eigenen Verlag) • Freizeitpädagogik und individuelle Betreuung de'ignis Institut für Psychotherapie und christlichen Glauben • Fortbildung in christlich-integrativer Psychotherapie • Seelsorgeschulung • Vernetzung von Fachleuten • Ambulante Dienste: – Supervision – Referenten zu diversen Themen für Ihre Veranstaltungen – Seminare für Ehepaare – Beratungsstellen für ambulante Beratung und Therapie – Weitere Angebote zur Prävention und Rehabilitation Christliche Stiftung de'ignis Polen • Schulung • Freizeit • Ambulante und stationäre Therapie (in Planung) de'ignis Partner • Beratungsstellen Fotos von oben nach unten: de’ignis Fachklinik Egenhausen de’ignis Wohnheim – Haus Tabor Engelswies de’ignis Institut Altensteig de’ignis Ichthys Tagungs- und Begegnungsstätte in Pomysk, Polen


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