Ein fotografisches Experiment von Jens Neumann
RHEINHESSEN+ 2015 MEHR IM WENIGER
Rheinhessen – bekannt als Land der tausend Hügel gehört zu den wärmsten und trockensten Gebieten Deutschlands, also ideal für Wein- und Obstanbau. Dieser Kulturbau prägt auch die Landschaft, aber nicht nur: Da gibt es Flüsse, sanft-geschwungene Erhebungen, lineare Strukturen und eine Fernsicht, die sich vor allem in der Weitwinkel-Aufnahme besonders gut wiedergeben lässt. Gerade diese unbegrenzt wirkende Weite lässt mich aufatmen. Wenn ich mich eingeengt fühle. Die Betonwände zu dicht und zu nah erscheinen. Wenn ich einfach mal loslassen möchte. Ich habe fotografische Spaziergänge gemacht um mich zu entspannen. Die schönsten Momente habe ich 2
LESS IS MORE
versucht herauszufiltern. Besonders eben die minimalistischen Motive waren es, bei denen ich das Gefühl hatte, entspannt Bilder machen zu können. Über 10 Jahre habe ich hier gelebt. So ein ländliches Leben kann auch öde sein. Aber gerade nach hektischer Zeit bin ich gerne wieder zurückgekommen und habe eben jene Ecken gesucht, die eine besondere Ruhe für mich austrahlen. Beim Fotografieren habe ich mich auf das Experiment eingelassen, keine Ergebnisse zu erwarten. Also bin ich losgezogen, zu rheinhessischen Orten, die mir gefielen. Und habe es dem Zufall überlassen, ob ich es schaffe eine vielfältige Bilderreihe zu finden. Am Ende entstand ein ganzer Kalender. 3
JANUAR
Neustart Anfang jedes Jahr ist es in Rheinhessen meist sehr karg und leer. Was aber gerade in dieser Zeit auffällt, ist die häufig sehr weite Sicht. Sie läd ein zu interessanten Weitwinkelaufnahmen. Schön, wenn dabei die Sonne, ein erster, saftiger Grünstreifen und ein paar markante Details mitspielen.
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Ko r n f e l d e r z w i s c h e n M a i n z - He c h t s h e i m u n d Bo d en h ei m.
FEBRUAR
Neues Leben Wie erfrischend neues Grün auf noch winterlichem Boden aussieht. Gerade bei den jungen Rübenäckern sieht es witzig aus, wenn auf den breiten braunen Feldern plötzlich neues Leben in Reih und Glied auftaucht. Interessant ist auch die Perspektive der Linien, die nochmal den Schwung des Feldes hervorhebt.
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F r ü h e r R ü b e n a c k e r, a u f g e no mmen in Klein-Winternheim
MÄRZ
Zauberland Diese Szenerie erinnert mich an die japanischen Zeichentrickfilme des Künstlers Hayao Miyasaki. In dem Film »Das Wandelnde Schloss« reist ein Schloss in Form eines maschinenartigen, mobilen Gebäudes zwischen den Welten umher wie eine Art Zeitmaschine und landet teilweise an den abenteuerlichsten Orten, wo es eigentlich nicht so recht hingehört. Und doch findet es seinen Platz. Ähnlich scheint es mit diesem Windrad(detail), in der vertäumten Feldlandschaft an einem Frühjahrsmorgen. Mystisch.
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Ko r n f e l d m i t W i n d ra d b e i Kl ei n W i n t e r n h e i m , He c h t s h e i m er Berg
APRIL
Savanne bei Mainz Nein, dieses Bild ist nicht aus der afrikanischen Savanne. Es entstand im Hinterland von Mainz. Toll, wie sich der einzelne Baum selbstbewusst und schwungvoll in das rauhe Feld einfĂźgt. Vielleicht erinnert es auch ein bischen an die Toskana?
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Fe l d e r v a r i a t i o n i n d e r N ä h e v o n Mainz-Ebersheim.
MAI
Raps Overdose Ein besonders großes, weites Rapsfeld an einer Hanglage lud mich im Mai zum Bildermachen ein. Ein regelrechtes »Rapsmeer« offenbarte sich. Man beachte die Tiefe im Bild und die sanften Wellen im »Meer«. Gerade im Mai findet man in Rheinhessen quasi an jeder Ecke ein Rapsfeld. Doch selten eines, das einen so ungestörten Moment bietet, wie dieses.
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R a p s f e l d a m »W ä d l c h e n « z wi s ch en K l e i n - W i n t e r n h e i m u n d N i ed er- Ol m.
JUNI
Zwei Welten An dem Tag, als dieses Bild entstand, war es besonders heiß. Selbst am Spätnachmittag noch. Diese intensiven Begebenheiten. Habe ich durch die Kontrastverstärkung ins Bild gebracht. Ansonsten ein tolles Ergebnis minimalistischer Bildkomposition: Farben, Kontraste und sanfte Linien, die sich klar abgrenzen. War ein intensiver Tag.
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Ko r n f e l d u n d W e i n b e rg o b erh al b d er »Ge i e r s h ö l l e « b e i K l e i n - W i n t ern h ei m.
JULI
A New Hope Maximale Reduzierung. Himmel und Erde. Keine halben Sachen. Oder doch zwei Hälften? Spßrst Du das weite Land? Man kann das trockene Getreide schon fast riechen. Derselbe gute Tag. Irgendwie erinnert es mich auch an den Planeten Tatooine aus einer bekannten Sternen-Saga.
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Ko r n f e l d e r z w i s c h e n M a i n z - He c h t s h e i m u n d - E bers h ei m.
AUGUST
Sustainable Himmel, Felder, Windräder. Das war's. Denkt man vielleicht. Doch meist ist ja doch noch irgendetwas »störendes« im Bild. Eine Szene, wie man sie hier sieht, ist in Rheinhessen, so gesehen, doch nicht so einfach zu finden. Mit Tricksen vielleicht. Aber hier wurde quasi nichts entfernt. Reduziert, wie vorgefunden.
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Ko r n f e l d u n d W i n d r ä d e r b ei Klein-Winternheim.
SEPTEMBER
Heimat Einen Weinberg zu pflegen ist eine wahre Kunst. Viele kleine Details spielen dabei eine Rolle: Etwa das Zusammenbinden der Reben oder das regelmäßige Schneiden der Äste trägt unter anderem dazu bei, dass regelmäßig gute und konstante Weinqualität entsteht. Und das schmeckt man. Zumindest beim Klein-Winternheimer Wein kann ich das bestätigen. Prost!
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W e i n re b e n i n d e r »Ge i e r s hö l l e« bei Klein-Winternheim.
OKTOBER
Roter Hang Der »Rote Hang« zwischen Nierstein und Nackenheim ist ein ziemlich weinreicher Steilhang. Charakteristisch durch seine in der Region besondere, rote Erde. Besonders ist auch die atemberaubende Aussicht längs des Rheinhöhenweges über die Bundestraße 9, Rhein, Frankfurt, Darmstadt bis hin zu den Bergen der Odenwaldregion. Meine Empfehlung für eine Tour auf dem Mountainbike. Gute Fahrt!
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De r »R o t e Ha n g « z w i s c h e n Ni ers t ei n u n d N a c k e n h e i m – B l i c k a u f d en R h ei n .
NOVEMBER
Trullo im Herbst Die sehr eigenförmigen Wingertshäuschen, sogenannte »Trulli« gibt es vor allem im hinteren Rheinhessen zwischen Alzey, Worms und Bad-Kreuznach zu sehen. Gleich mehrere trifft der aufmerksame Wanderer am sogenenntan TrulloWanderweg in einem Weinbergsbezirk nahe Flonheim. Frisch weiß gestrichen machen sind sie weit sichtbar im inzwischen kunterbunten Herbstlaub. Ihr Ursprung reicht mehrere Jahrhunderte bis nach Italien zurück.
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W i n g e r t s h ä u s c h e n , s o g . »Tru l l o « i n d e r N ä h e v o n F l o n h e i m (b ei A l z ey ).
DEZEMBER
Night Lights Wenn man nachts durch das Hinterland Rheinhessens fährt, begegenet man hier und da schon fast eine unheimlich anmutende Atmosphäre. Gerade in den weniger besiedelten Ecken, wirken die unzähligen Warnleuchten der Windräder wie eine Formation kleiner Gespenster. Der winterliche Nebel verstärkt den Effekt kombiniert mit dem Einfall des Lichts eines vorbeifahrenden Autos.
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W i n d ra d f o r m a t i o n u n d Ko r n fel d b ei W ö l l s t e i n ( K re i s Al z e y ) .
EIN WORT VOM FOTOGRAFEN
Wenn unser Geist die Ruhe findet, verschwindet er von selbst. Das war einer dieser schlauen Sprüche, über die ich bei der Recherche im Internet stolperte. Tatsächlich war es die zumindest ungefähre Aussage eines ZenMeisters. Ruhe finden und vielleicht auch ein wenig Ruhe weitergeben. Das wollte ich mit dem Fotografieren dieser Bilder erreichen. Nach der Schule, durch die ich mich mehr oder weniger durchgeschleppt habe, bin ich das für meine Persönlichkeit geradezu leichtsinnige Wagnis eingegangen, etwas mit Medien zu machen (so wie das inzwischen ja gefühlt fast alle machen). Dies führte unter anderem dazu, dass ich heute einen Job ausübe, den die meisten als kreativ einstufen würden. Grafiker, (Junior-)Art-Director, 28
Pixelschubser, Gestalter und wenn man es irgendwann zu etwas gebracht hat dann Creative-Director (sprich: kriädif). Eigentlich ein sehr schöner Job. Man muss ihn allerdings wirklich lieben. Es gibt ruhige Zeiten. Aber auch sehr oft hektische Zeiten. In der meist nicht viel Zeit bleibt, sich einfach mal nur auf Form und Farbe zu besinnen und gute Momente festzuhalten, zu sammeln, zu arrangieren. Da man hin und wieder damit Geld verdienen muss, lässt man sich oft auf Kompromisse ein, bestehend aus engen Zeitfenstern, schnellen Ergebnissen und möglichst gleichbleibend hohe Kundenzufriedenheit. Da kann die Leidenschaft schon mal auf der Strecke bleiben, was
man früher als Hobby gemacht hat, wird zur fast schon leidigen Pflicht. Also beschloss ich 2015, dass ich das ändern möchte. Ich habe wieder mit dem angefangen, was ich vor meinem Beruf schon immer gern gemacht habe: Ins Feld gehen und fotografieren. Und so banal das klingt, es hat mir wieder Bestätigung gegeben, gerade weil ich keine Ergebnisse von diesen Spaziergängen erwartet habe. Ich habe es einfach mal ausprobiert. Einziges Gesetz: Die Grundidee beibehalten. Ruhe, Feldern und Minimalismus. Mehr wollte ich nicht. Und nun habt ihr gesehen, was dabei rauskam.
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www.demhorstseinsohn.de
demhorstseinsohn Š 2016 by Jens Neumann