curated by_vienna 2012: kunst oder leben. ästhetik und biopolitik

Page 1

curated by_vienna ist ein Projekt von departure, der Kreativagentur der Stadt Wien, zur Förderung der Zusammenarbeit zwischen führenden Wiener Galerien zeitgenössischer Kunst und international renommierten Kuratorinnen und Kuratoren. The point of origin for Kunst oder Leben: Ästhetik und Biopolitik (Art or Life: Aesthetics and Biopolitics) is an investigation of the interconnections between work, economy, knowledge, and politics. The focus is trained on the question of how art approaches the interplay between work and life and what role it plays in the process. In the context of curated by_vienna, curators were invited to develop special exhibitions for galleries, all of which are documented in this publication. An essay by Beatrice von Bismarck on the issue of curatorial agency and Isolde Charim’s exploration of the concept of biopolitics create the framework for this unique collaborative project. curated by_vienna is a project by departure, the creative agency of the City of Vienna, promoting collaboration between Vienna’s leading contemporary art galleries and internationally renowned curators.

kunst oder leben

Den Ausgangspunkt von Kunst oder Leben. Ästhetik und Biopolitik bildet die Untersuchung der Zusammenhänge von Arbeit, Ökonomie, Wissen und Politik. Im Zentrum steht die Frage, in welchem Verhältnis die Kunst zu Arbeit und Leben steht bzw. welchen Anteil sie daran hat. Kuratorinnen und Kuratoren wurden im Rahmen von curated by_vienna eingeladen, für Galerien Ausstellungen zu entwickeln, die in dieser Publikation dokumentiert sind. Der Aufsatz von Beatrice von Bismarck über das kuratorische Handeln und Isolde Charims Auseinandersetzung mit dem Begriff der Biopolitik bilden den diskursiven Rahmen für dieses außergewöhnliche Kooperationsprojekt.

kunst oder leben ästhetik und biopolitik


Why Painting Now?


kunst oder leben 채sthetik und biopolitik


Die Publikation erscheint anlässlich des Galerienprojekts curated by_vienna 2012, das von departure, der Kreativagentur der Stadt Wien, koordiniert und gefördert wird. This publication accompanies the gallery project curated by_vienna 2012, which is coordinated and supported by departure, the City of Vienna’s creative industries agency.



Inhalt Contents

6 8

10

16

22 34

46 52

Vorwort Foreword Bettina Leidl Kunst oder Leben Ästhetik und Biopolitik Kunst oder Leben Ästhetik und Biopolitik Eva Maria Stadler

58

Alexander Streitberger Prozesse Processes Galerie Raum mit Licht

64

Katya García-Antón Interieurs, Modelle Galerie Krinzinger, Schottenfeld

70

Suzy M. Halajian | Marlies Wirth IMPEdEd TIME Galerie Hubert Winter

76

Simina Neagu Täglich Arbeit, nächtlich Freizeit Kunst als Unterbrechung des Alltags days of Labour, Nights of Leisure Art as the disruption of Everyday Life Knoll Galerie Wien

82

José Luis Blondet Stephen Prina Galerie Mezzanin

88

Karel Císaˇr The Lovers Krobath Wien

94

Thomas d. Trummer Alina Szapocznikow | Ryan Gander | Lara Favaretto Galerie Martin Janda

Curating Curators Curating Curators Beatrice von Bismarck Homo oeconomicus? Homo Oeconomicus? Isolde Charim

100

Will Benedict Anita Leisz | Nora Schultz Galerie Meyer Kainer


106

Julien Robson Mel Chin: It’s Not What You Think Galerie Steinek

160

Katya García-Antón the pieces earth took away Galerie Krinzinger, Seilerstätte

112

Thomas Locher Von Zeichen und Körpern On Signs and Bodies Georg Kargl Fine Arts

166

Michael Scott Hall Sequence: Gender: death Galerie Elisabeth & Klaus Thoman

172 118

Christoph doswald Cosmology, Aesthetics, and Atrophy Kerstin Engholm Galerie

Lóránd Hegyi Jan Fabres Welt The World of Jan Fabre Mario Mauroner Contemporary Art Vienna

124

Adam Carr detective Galerie Andreas Huber

178

130

Marius Babias Thomas Kilpper | Jimmie durham Christine König Galerie

Agata Jastrząbek | dirk Snauwaert No touching No Galerie nächst St. Stephan Rosemarie Schwarzwälder

184

Margrit Brehm Prinzip Baustelle Men at Work Gabriele Senn Galerie

Florence derieux das Körperargument The Body Argument Galerie Emanuel Layr

190

Niekolaas Johannes Lekkerkerk Artists of the No Projektraum Viktor Bucher

196

Galerienübersicht Overview of Galleries Biografien der Kuratorinnen und Kuratoren Curators’ Biographies Impressum Imprint

136

142

Felicitas Thun-Hohenstein Aesthetics of Risk Charim Galerie Wien

148

Claire Breukel die Politik von Kunst als Leben The Politics of Art as Life Galerie Hilger Contemporary

198

202 154

david Harper | Martha Kirszenbaum der versteinerte Fluss The Petrified River Lukas Feichtner Galerie

206


Bettina Leidl Vorwort

curated by_vienna ist ein Kooperationsprojekt, das an der Schnittstelle von Galerien und Kuratorinnen und Kuratoren ansetzt, das Kuratieren selbst zum Thema macht und das Arbeitsverhältnis von Galerien und Kuratorinnen und Kuratoren thematisiert. So einfach diese Zusammenarbeit erscheint, so besonders ist sie, weil sich die Galerien für eine Produktionsform engagieren, deren Nutzen aus ökonomischer Sicht nicht an erster Stelle steht. Die Praxis des Kuratierens gilt landläufig als den Biennalen, Museen, Kunsthallen und Kunstvereinen vorbehalten, während die Arbeit der Galerien in erster Linie dem Markt zugeordnet wird. Sorgsam wird darauf geachtet, dass die Sphäre des Marktes der kuratorischen nicht zu nahe kommt, um eine Vereinnahmung durch den Markt zu vermeiden. Aber die Galerien sind wichtige Partner, nicht nur für die von ihnen vertretenen Künstlerinnen und Künstler, sondern insbesondere für die Museen und Kunstinstitutionen. Im Zentrum von curated by_vienna steht das gemeinsame Engagement der Galerien, sich für eine bestimmte Zeit einem Thema, einer Fragestellung zu widmen und die eigene Arbeit zu reflektieren. Der Austausch mit internationalen Kuratorinnen und Kuratoren, die Kontakte mit Künstlerinnen und Künstlern, Museen und Kunstinstitutionen, die sich daraus ergeben, sind von nachhaltiger Wirkung. Sie schaffen ein Netzwerk, das für die zeitgenössische Kunst wichtiger ist denn je. Denn durch diese Form der Zusammenarbeit entstehen jene Bindungen, die sowohl für die Information als auch für die Kommunikation über zeitgenössische Kunst eine entscheidende Rolle spielen. 6

curated by_vienna ist mittlerweile zu einer Marke geworden, die internationale Anerkennung genießt. Wien nimmt mit dem Projekt eine Sonderstellung unter mannigfaltigen Initiativen ein, die bestrebt sind, der zeitgenössischen Kunst die größtmögliche Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. An dieser Stelle möchte ich mich besonders bei Christoph Thun-Hohenstein, meinem Vorgänger bei departure, bedanken, dem es nicht zuletzt durch sein hartnäckiges Bemühen, inhaltliche Schwerpunkte zu setzen, gelungen ist, curated by_vienna zu einem der meistbeachteten Ausstellungsformate zu entwickeln. Genauso wichtig wie die Wirkung von curated by_vienna nach außen ist jedoch die Rückbindung an die Stadt Wien sowie die Künstlerinnen und Künstler und die Kuratorinnen und Kuratoren, die hier leben und arbeiten. Für sie bietet das Kooperationsprojekt Möglichkeiten, sich auszutauschen, Debatten zu entfachen und Kontakte zu knüpfen. Das diesjährige Thema Kunst oder Leben. Ästhetik und Biopolitik wurde von departure gemeinsam mit der Kuratorin Eva Maria Stadler und den an curated by_vienna beteiligten Galerien festgelegt. Im Mittelpunkt steht die Frage, welche Rolle die Kunst für ein Leben spielt, das mehr und mehr von Kreativität und einer Optimierung des Selbst bestimmt ist. Dem viel diskutierten Begriff der Arbeit kommt hier zentrale Bedeutung zu. Was ist Arbeit in einer Gesellschaft, die jegliche Regulierung dem Selbst überantwortet, wodurch die Arbeit nicht mehr vom Leben unterschieden werden kann? In 22 Wiener Galerien werden Fragen zu dem Verhältnis von Kunst und Leben auf vielseitige und differenzierte Weise aufgeworfen.


curated by_vienna richtet sich an das Fachpublikum und ist darüber hinaus bemüht, sein reiches und vielfältiges Programm einem möglichst großen Personenkreis zugänglich zu machen. Neben zahlreichen Führungen bieten wir in diesem Jahr mit curated by_im Gespräch eine Diskussionsreihe auf der Viennafair an, bei der möglichst viele an dem Projekt Beteiligte zu Wort kommen sollen. An dieser Stelle möchte ich mich bei allen bedanken, die an unserem Kooperationsprojekt mitgearbeitet haben, in erster Linie bei den Galeristinnen und Galeristen, die sich ihm mit großer Leidenschaft, mit Offenheit und Engagement widmen und damit einen enormen Beitrag zu seinem Gelingen und seiner internationalen Wirkungskraft leisten. Ganz besonders möchte ich mich bei Eva Maria Stadler, der Kuratorin von curated by_vienna 2012, bedanken, die das Thema Kunst oder Leben mit großer Kompetenz und Umsicht entwickelt hat und sich sehr für die Abstimmung verschiedener Interessen und Bedürfnisse eingesetzt hat. Mein Dank gilt auch den Kuratorinnen und Kuratoren, die die Einladung angenommen haben, sich mit dem herausfordernden Thema auseinanderzusetzen, und brisante Ausstellungen dazu konzipiert haben. Ohne die Arbeit der Künstlerinnen und Künstler ist natürlich keine Form der Präsentation und Kommunikation möglich. Ihnen gebührt daher der größte Dank, auch wenn sie bei diesem Projekt für einen Moment – wenngleich nur scheinbar – hinter die Kuratorin, den Kurator zurücktreten. Bei Beatrice von Bismarck und Isolde Charim möchte ich mich sehr herzlich für ihre äußerst interessanten Katalogbeiträge bedan-

ken, die sich zum einen mit der Frage des kuratorischen Handelns und zum anderen mit dem Begriff der Biopolitik aus heutiger Sicht auseinandersetzen. Insbesondere möchte ich mich bei MVD (Michael Rieper und Christine Schmauszer) für die grafische Konzeption und Umsetzung des Kataloges und aller nötigen Drucksorten bedanken, und vor allem auch bei Dorothea Schellhorn für ihre kompetente, umsichtige und engagierte Arbeit für curated by_vienna.

Bettina Leidl ist seit Dezember 2011 Geschäftsführerin von departure, der Kreativagentur der Stadt Wien GmbH. Zuvor war Leidl von 1997 bis 2011 Geschäftsführerin der Kunsthalle Wien. Von 2008 bis 2011 leitete sie die KÖR Kunst im öffentlichen Raum GmbH, Wien.

7


Bettina Leidl Foreword

curated by_vienna is a cooperative project that is positioned at the interface between galleries and curators. It thematizes the working relationship among curators and galleries, but also the act of curating itself. As natural as this collaborative relationship may seem, it is unique in that galleries are involved in a production form whose value, from an economic standpoint, is not of primary importance. The practice of curating is commonly reserved for biennials, museums, and art associations, while the work of galleries is first and foremost equated with the art market. Diligent care is taken that the sphere of the market does not too closely approximate the curatorial realm, the aim being to avoid being swallowed up by the market. But galleries are important partners, not only when it comes to the artists they represent, but most especially for museums and other art institutions. The focal point of curated by_vienna is the mutual commitment of galleries to dedicate their efforts to a specific topic or explorative question for a set limit of time, and to subject their own work to outside reflection. The exchange taking place among international curators and the contacts made to various artists, museums, and art institutions all have a lasting impact. They create a network that today more than ever proves crucial for contemporary art. For it is through this form of collaboration that those liaisons arise that play a decisive role both for disseminating information and enhancing communication on contemporary art. curated by_vienna has already become a name that enjoys international recognition. 8

In hosting this project, Vienna occupies a special position amidst manifold initiatives, all of which strive to devote as much attention as possible to contemporary art. So here I would like to take a moment to express my gratitude to my predecessor at departure, Christoph ThunHohenstein, who succeeded—by setting priorities in content, not least through tenacious ef efforts—in turning curated by_vienna into one of the most respected exhibition formats. Yet just as important as the presence radiated by curated by_vienna to the outside is its integral relationship to the City of Vienna, as well as to the artists and curators who live and work here. This collaboration possibility offers these individuals opportunities to engage in exchanges, to kindle debates, and to make new contacts. This year’s theme, Kunst oder Leben: Ästhetik und Biopolitik (Art or Life: Aesthetics and Biopolitics) was conceptualized by departure together with curator Eva Maria Stadler and the galleries participating in curated by_vienna. The central question here is which role art plays within a life that is increasingly determined by creativity and an optimization of the self. The much-discussed concept of work is assigned an absolutely pivotal significance here. What is work in a society that signs over to the self all regulatory practices, thus making work no longer distinguishable from life itself? In twenty-two galleries in Vienna, questions exploring the relationship between art and life are fielded through omnifarious, dif differentiated approaches. curated by_vienna is addressed to an expert audience and moreover endeavors to make


its rich and discerning program accessible to as broad of a group as possible. Next to numerous tours, this year we are presenting a discussion series called “curated by_in conversation” at the Viennafair, with an aim to lend voice to a wide range of project participants. Here I would like to take the opportunity to extend my warm thanks to everyone who has contributed to realizing this cooperation project, especially to the gallerists who have dedicated themselves to this undertaking with great passion, openness, and commitment—and have thus made an enormous contribution to its success and impact on an international scale. My special thanks are reserved for Eva Maria Stadler, the curator of curated by_vienna 2012, who developed the theme Kunst oder Leben with great competence and care, and who has championed the synergy between divergent interests and needs. My gratitude is also owed to the curators who accepted the invitation to tackle the challenging thematic issue, thus creating brilliantly charged exhibitions. Contributions by the artists are of course essential for any form of presentation and communication. They therefore deserve the highest gratitude, even if they are usually standing—just for a moment, and only seemingly—behind the curators, as in this project. My sincere thanks go to Beatrice von Bismarck and Isolde Charim for their fascinating essays penned for this catalogue, which respectively explore the issue of curatorial agency and the concept of biopolitics from a present-day perspective. I would like to expressly thank MVD, Michael Rieper, and Christine Schmauszer

for the graphic design and realization of this catalogue and all related printing matters, as well as Dorothea Schellhorn for her competent, prudent, and committed work for curated by_ vienna.

Bettina Leidl has been the director of departure, the creative agency of the City of Vienna, since December 2011. Previously, from 1997 through 2011, Leidl was director of the Kunsthalle Wien. From 2008 to 2011, she also headed KÖR Public Art Vienna.

9


Eva Maria Stadler

Kunst oder Leben Ästhetik und Biopolitik

Eva Maria Stadler, geboren 1964, ist Kuratorin für zeitgenössische Kunst und lebt in München. Seit 2011 leitet sie die Galerie der Stadt Schwaz. Sie unterrichtet an der Akademie der Bildenden Künste in München, der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart und an der Universität für angewandte Kunst in Wien. Von 1994 bis 2005 war sie Leiterin des Grazer Kunstvereines, von 2006 bis 2007 „curator in residence“ an der Akademie der bildenden Künste in Wien und von 2007 bis 2011 Kuratorin für zeitgenössische Kunst am Belvedere in Wien.

10


„Ist natürlich der viel logischere Zugang: Das Leben an seiner öffentlichen Wirkungsgeschichte zu messen (und nicht umgekehrt), also das Semiographische über das Biographische zu stellen, denkt sich Josephine, die (für ihren Aufenthalt in Salvador da Bahia) einige Bücher über ihr enigmatisches Idol eingepackt hat; auch neuere ihr noch nicht bekannt gewesene Veröffentlichungen, nicht zuletzt um bei ihren im Sommer und Herbst in Berlin und Wien anstehenden großen Shootings möglichst up to date zu sein.“1 Thomas Meinecke Das diesjährige Ausstellungsprojekt von curated by_vienna widmet sich dem Komplex der Arbeit als Lebensform. Arbeit dient in diesem Zusammenhang als Dispositiv für das Leben selbst, um die Durchdringungen des Körpers mit seinen Fähigkeiten und seinem Nutzen, mit den Formen der Organisation, in die er eingeschrieben ist, nicht nur als Produktivkräfte auszumachen, wie es die Theorien der Biopolitik zeigen, sondern der sozialen Dimension von Arbeit im Leben Ausdruck zu verleihen. Mehr und mehr fallen Leben und Arbeit in eins. Arbeit und Leben können in diesen Zeitläufen immer weniger voneinander unterschieden werden. Was als Flexibilisierung der Arbeitswelt beginnt, führt zu einer Totalisierung von Arbeit und Leben und bringt zunehmend prekäre Arbeitsverhältnisse hervor. Unter Arbeit wird nicht allein jene Tätigkeit verstanden, mit der der Lebensunterhalt bestritten wird, Arbeit ist vielmehr der Garant für gesellschaftliche Anerkennung, der Garant für eine soziale Existenz. Das „Recht auf Arbeit“ wird immer

mehr von den Strategien der Liberalisierung und Ökonomisierung durchdrungen. Das prägt nicht nur die Organisation und Gestaltung von Arbeit, sondern auch die Organisation und Gestaltung von Leben. Es gilt zu fragen, zu welchen Einschlüssen und Ausschlüssen es kommt und ob sie veränderbar sind. Wie gestaltet sich die Teilhabe am Sozialen für diejenigen, die begrenzten Zugang dazu haben, und wie kann der Zugang gewährleistet werden, wenn jegliche Anforderungen hinsichtlich sozialer Kompetenz an das Selbst delegiert werden? Von den Anforderungen des Sozialen an das Selbst ist die Formung von Körpern ebenso wie jene von menschlichen Beziehungen betroffen. Die „Technologien des Selbst“2, in denen Verhaltensregeln und Normen vom Subjekt selbst festgelegt und modifiziert werden, sind längst zu einem gesellschaftlichen Instrument der Überantwortung geworden. In dem Spannungsverhältnis von selbstbestimmten und regierenden Kräften kommt dem von Michel Foucault geprägten Begriff der „Biomacht“, dem Isolde Charim ihren Beitrag in diesem Buch gewidmet hat, eine besondere Bedeutung zu. In der Diskussion um die Verstrickungen von „Leben“ (gr. „bios“) und Strategien von Politik und ihren wechselseitigen Effekten auf

__________ 1

Thomas Meinecke: Lookalikes, Suhrkamp Verlag, Berlin 2011, S. 84.

2

Michel Foucault: Sexualität und Wahrheit 2. Der Gebrauch der Lüste, Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main 1993.

11


Eva Maria Stadler | Kunst oder Leben. Ästhetik und Biopolitik

Körper, Wahrnehmung und die ästhetische Produktion zielen Michel Foucaults Untersuchungen auf die Klärung von Machtmechanismen und auf konkrete Möglichkeiten, das Leben zu gestalten. Zur Diskussion steht, auf welche Weise die Praxen von Kunst und Politik einander bedingen und inwieweit analytische und kritische Formen nicht nur in der Lage sind, Zusammenhänge zu erkennen, sondern sie auch produktiv zu machen. Dass die Kunst im Verhältnis von Arbeit und Leben eine entscheidende Rolle spielt, wird spätestens seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts offensichtlich. Auf die Zumutungen der ersten Industrialisierungen mit ihren Normierungen und schlechten Produktionsbedingungen reagierte die Kunst, indem sie die Arbeit als Gegenpol zum Leben in Stellung brachte. Eine Reihe von Lebensreformen sollten im 19. Jahrhundert und in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts der Entfremdung von Arbeit und Leben entgegenwirken, indem sie Kunst und Leben zusammenführten. „Es lebe das Leben, wie es ist!“3, rief Dziga Vertov Anfang der 1920er-Jahre aus. Die Losung bildete nicht nur die Grundlage für seine eigenen Filme, sondern mehr noch, diese Haltung brachte mit dem Dokumentarfilm ein eigenes Genre hervor, das bis heute um Darstellungsformen für die Wirklichkeit ringt. Die Kluft zwischen der Echtheit des Lebens und dem Schein der Kunst zu überwinden kann als eines der grundlegenden Motive der Kunst überhaupt gesehen werden. Der Kraft der Imagination und Fiktion steht die Sehnsucht nach einer unumstößlichen Form der Wahrheit gegenüber, die im Realen vermutet wird. 12

Eine wichtige Rolle spielen in diesem Zusammenhang neben Film und Fotografie, deren Bilder über weiter reichende Distributionsformen verfügen und die – nicht zuletzt auf aufgrund ihrer Produktionsmöglichkeiten – dem Leben auf die Spur zu kommen versuchen, aktionistische, performative, prozessuale und partizipative Praktiken, die zu einem veränderten Verständnis der Kunst, aber auch der Kulturproduktion führen. Ein der Utopie von Kunst und Leben als Einheit geschuldeter Begriff von Arbeit hat die Grenzen von Arbeit und Leben aufgehoben, hat sie immaterialisiert. Arbeit ist nicht länger eine Produktionsform, viel mehr ist es das Leben selbst, das nach den Regeln der Produktion organisiert wird. Die Arbeit ist im Leben aufgegangen und daher immer weniger gestaltbar. Denn in der bedingungslosen Hingabe an das Leben, an die Arbeit wird es schwerer, Rechte zu verteidigen oder einzufordern. 24 Stunden sind kein Tag hat der Dramatiker und Regisseur René Pollesch seine vierteilige Serie betitelt, die er in Anlehnung an Rainer Werner Fassbinders Fernsehserie Acht Stunden sind kein Tag, in der die Begrenzung der Arbeitszeit als Errungenschaft gilt, als Zustandsbeschreibung affektiver Rollenarbeit anlegt. Seine Protagonistinnen und Protagonisten verstricken sich in eine durch die Ökonomisierung aller Lebensbereiche geprägte Warenwelt der Gefühle. Sie suchen nach einem Ausweg aus den prekären Verhältnissen, die sie eben noch als Scheinselbstständige verteidigt haben. In der sich seit der Avantgarde differenzierenden Medienlandschaft gewinnt schließlich das Format der Ausstellung an Bedeutung. Die


zeitlich begrenzte Ausstellungssituation erlaubt spezifische ästhetische Konstellationen, die stets neue Zusammenhänge hervorbringen können. Mit dieser Entwicklung betritt neues Personal die Bühne des Kunstbetriebs – die Kuratorinnen und Kuratoren sowie Kulturproduzentinnen und -produzenten, die aus dem heutigen Kunstgeschehen nicht mehr wegzudenken sind. Beatrice von Bismarck beschäftigt sich in ihrem Beitrag mit der Rolle der Kuratorin, des Kurators und beschreibt Möglichkeiten, in dem Geflecht von institutionellen, politischen, ökonomischen und künstlerischen Bedingungen Verantwortung nicht nur für die Produktion selbst, sondern für die Art und Weise der Produktionsverhältnisse zu übernehmen. Dabei geht es um die Gestaltung der Bedingungen und nicht allein um ihre Analyse und Dekonstruktion, wie sie von der institutionellen Kritik in Gang gesetzt wurde. Die Rolle der Kuratorin, des Kurators, die sich, wie Beatrice von Bismarck zeigt, in den letzten Jahren stark verändert hat, ist nach wie vor umstritten. So werden Kuratorinnen und Kuratoren häufig mit dem Vorwurf konfrontiert, ihre Subjektposition gerate in Wettstreit mit der Künstlerin, dem Künstler. Einzelne Kuratorinnen und Kuratoren sind tatsächlich geradezu Stars geworden, und in ihrem Licht stehen heißt an der Wertschöpfung teilhaben, zu der sie scheinbar imstande sind. Bedeutender jedoch als die Frage nach der Vorrangstellung von Künstlerin, Künstler oder Kuratorin, Kurator erscheinen die Möglichkeiten, die sich durch die Zusammenarbeit auftun. In ihnen bündeln sich künstlerische und institutionelle Konzeptionen, deren Diskussion und Umset-

zung über die einzelnen Arbeiten und Thesen hinausgehen, die ein Beziehungsgeflecht zu schaffen imstande sind und die sich in den Produktionsverhältnissen niederschlagen. Hier nach dem Stellenwert der Produktionsbedingungen zu fragen, ist insofern relevant, als mit einem zunehmenden Aufsplitten der Produktionsschritte, zumindest im institutionellen Bereich, die Verantwortung für die jeweiligen Entscheidungen mehr und mehr delegiert bzw. verschoben anstatt übernommen wird. Weil die künstlerische Arbeit wegen der medialen Ausdifferenzierung nicht mehr auf das Werk reduziert werden kann, sind Fragen der Präsentation und Kommunikation entscheidend und können nicht vom Inhalt der Arbeit getrennt werden. Dies kann als weitere Dimension des kuratorischen Handelns gesehen werden – sie umfasst nicht nur die Präsentation der Ausstellung, sondern auch ihre Vermittlung. Damit sind nicht die gängigen Formate der Öffentlichkeitsarbeit gemeint, sondern jene Diskursivität, die es braucht, um Ausstellungskonzeptionen lesbar zu machen. Obgleich die Kunst bereits seit dem Ende des 19. Jahrhunderts daran arbeitet, Produktionsschritte offenzulegen, um damit nicht nur auf die Konstruiertheit der Kunst, sondern auch auf die zunächst von ihr behauptete Einheit mit

__________ 3

Dziga Vertov: „Vorläufige Instruktion an die Zirkel des Kinoglaz“, in: Eva Hohenberger (Hg.): Bilder des Wirklichen. Texte zur Theorie des Dokumentarfilms, Vorwerk 8, Berlin 1998, S. 90.

13


Eva Maria Stadler | Kunst oder Leben. Ästhetik und Biopolitik

dem Leben zu verweisen, vermag sie kaum Kriterien für eine Kunstproduktion jenseits des klassischen Kreislaufs der Wertsteigerung zu entwickeln. Mehr noch, gerade die vermeintliche Befreiung der Kunstproduktion von den Bedingungen der Ökonomie ist vielfach einer der Gründe für die prekären Arbeitsformen, in die Künstlerinnen und Künstler oft verstrickt sind. Denn die Ästhetisierung der Produktion, die zu einem Teil der Wertschöpfung wird, trägt nicht zuletzt dazu bei, ein Ideal von Autonomie hochzuhalten, an das sich die Vorstellung von einem reinen, authentischen Leben knüpft und das es ursprünglich zu kritisieren galt. Künstlerische Produktionsformen, die sich der Logik des Marktes zu entziehen suchen, übersehen häufig ihre Involviertheit in ein Beziehungsgefüge von Aktion und Reflexion, von Produktion und Rezeption. An der Ablösung des Werkbegriffs durch den Terminus der künstlerischen Arbeit lässt sich ein Verständnis der Kunst ablesen, das mehr dem beständigen Tun als der Alleinstellung des Werks geschuldet ist und sich in die Produktionslogik der Arbeit einschreibt, um den Stellenwert der Kunst als soziale Praxis zu untermauern. Die Kunst mit der Frage „Kunst oder Leben?“4 vermeintlich in Opposition zum Leben zu bringen, bietet nun die Möglichkeit, die Kriterien für eine kritische Betrachtung dieser Bereiche zu schärfen. Wie steht die Kunst zum Leben? Und wie steht die Kunst zu den gesellschaftlichen Verhältnissen und damit zu den Produktionsverhältnissen? Oder sagt man mit Walter Benjamin, nicht wie die Kunst zu den Produktionsverhältnissen steht, ist relevant, sondern wie sie in ihnen steht?5 14

curated by_vienna versammelt in 23 Ausstellungen, die von 25 Kuratorinnen und Kuratoren in Wiener Galerien gestaltet wurden, spezifische Projekte, die sich mit Fragen von Ästhetik und Biopolitik und mit der Gestaltbarkeit des Sozialen auseinandersetzen. Im Wesentlichen haben sich drei größere Themenkomplexe herauskristallisiert. Zum einen steht der menschliche Körper im Mittelpunkt der künstlerischen Arbeiten. In einer Gesellschaft, die dem Leben als Produktivkraft eine hegemoniale Stellung verleiht, wird der Körper mit seiner existenziellen Endlichkeit und seiner Verwundbarkeit bei gleichzeitiger Ausblendung des Todes konfrontiert. Perfektion und Gestaltbarkeit des Körpers wurden zum gesellschaftlichen Programm und bestimmen damit auch seine soziale Verfügbarkeit. Fortschritte in Biotechnologie und Gentechnik, die scheinbar unendliche Möglichkeitsräume eröffnen, sowie ein permanenter Bildabgleich, der in den Medien produziert wird, stellen den Körper in einen Wettstreit der Optimierung und Ökonomisierung und setzen ihn damit sozialen Zurichtungen aus. Mit der Frage nach den Produktionsbedingungen werden zum einen die ästhetischen Konzeptionen reflektiert, denen sie unterliegen. Das geschieht mit Bezug auf Strategien der Avantgarde, wie Konstruktion und Dekonstruktion. Zum anderen wird die politische Dimension des Prozesshaften und Vorläufigen bis hin zur Verweigerung bzw. zum Abstandnehmen von einer Produktion um der Produktion willen zum Thema gemacht. In einem dritten Themenkomplex werden Fragen der Geschichte, der Vorgeschichte und


ihrer Verbindungen und Verbindlichkeiten mit der Gegenwart gestellt. Erst in der Historisierung aktueller Argumentationen zum Verhältnis von Kunst und Leben können Beziehungen und Verhältnisformen befragt und hergestellt werden. Erinnern und Vergessen sind dabei Produktivkräfte, die Geschichtsbilder erst hervorbringen. Mit ihnen geht nicht zuletzt die Frage der Sichtbarkeit und Repräsentation einher, die Zugängigkeit und Darstellbarkeit von sozialen Gefügen betrifft. Sich in einem Kooperationsprojekt wie diesem mit dem Komplex der Ästhetik im Verhältnis zu Formen der Biopolitik zu beschäftigen, ermöglicht es, eine Bandbreite von Haltungen und Konzeptionen zusammenzuführen, ohne sie einem einheitlichen Ganzen unterzuordnen. Gerade die Unterscheidbarkeit der einzelnen Ausstellungen und Projekte zeichnet einen Diskurs aus, der Kunst oder Leben als Disposition für ein reflexives Handeln begreift.

__________ 4

So lautet der Titel eines Aufsatzes von Hito Steyerl in: Sabeth Buchmann, Helmut Draxler und Stephan Geene (Hg.): Film, Avantgarde und Biopolitik, Schlebrügge Editor, Wien 2009.

5

Vgl. Walter Benjamin: „Der Autor als Produzent“, in: ders.: Gesammelte Schriften, Bd. II/2: Aufsätze, Essays, Vorträge, hg. v. Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser, Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main 1977, S. 683–701.

15


Eva Maria Stadler

Kunst oder Leben Ă„sthetik und Biopolitik

Eva Maria Stadtler, born 1964, is a curator for contemporary art who resides in Munich. Since 2011 she has been running the Galerie der Stadt Schwaz. She teaches at the Academy of Fine Arts Munich, the Stuttgart State Academy of Art and Design, and at the University of Applied Arts Vienna. From 1994 to 2005 she served as director of the Grazer Kunstverein, from 2006 to 2007 as curator-in-residence at the Academy of Fine Arts Vienna, and from 2007 to 2011 as curator for contemporary art at Belvedere in Vienna.

16


“Of course, the more logical approach would be to measure life according to its public history of reception (and not the other way around), meaning to prize the semiographic aspects above the biographical ones, as Josephine is thinking, who has packed several books about her enigmatic idol (for her upcoming stay in Salvador da Bahia); including more recent publications unfamiliar to her, not least so that she will be up-to-date for her important shoots planned for summer and autumn in Berlin and Vienna.”1 —Thomas Meinecke This year’s curated by_vienna exhibition project is dedicated to the complex of work as a way of life. In this context, work operates as a dispositif for life itself, so as to perceive the penetrations of the body—with its abilities and its usefulness, as well as with the forms of organization in which it is inscribed—not only as productive forms, like theories of biopolitics demonstrate, but also to lend expression to the social dimension of work within the scope of life. Life and work increasingly coincide, with changes in the way our time is structured making it ever harder to distinguish between the two. What began as a rising trend toward a more flexible working environment has grown into a totalization of work and life that is fostering more and more precarious labor conditions. “Work” no longer describes only the activities in which humans engage to earn a living. It now also guarantees social recognition and an existence in the social sphere. The “right to work” is increasingly permeated by liberal-

ization and commoditization and thus remolds not only the organization and shape of work but also the organization and shape of life. The question thus arises as to which inclusions and exclusions are produced, and whether these are permeable and malleable? How may participation in the social realm be arranged for those who have limited access? And how might access be secured when all demands for social competency are delegated to the self? Resulting from the demands placed on the self by the social realm is the formation of bodies like those involved in interpersonal relationships. The technologies of the self,2 where behavioral rules and norms are set and modified by the subjects themselves, have long become an instrument for fostering commitment within society. Within this charged relationship between self-determined and self-ruling forces, the term “biopower”—as coined by Michel Foucault and to which Isolde Charim has dedicated her essay in the publication at hand—is assigned special meaning. In discourse on the entrapments of “life bios” and the strategies employed in the political realm and their reciprocal effects on body, perception, and aesthetic production, Michel Foucault’s investigations aim to illuminate mechanisms of power and to discover con-

__________ 1

Thomas Meinecke, Lookalikes (Berlin: Suhrkamp Verlag, 2011), p. 84.

2

Michel Foucault, The History of Sexuality, vol. 2: The Use of Pleasure (New York: Vintage Books, 1990), p. 11.

17


Eva Maria Stadler | Kunst oder Leben: Ästhetik und Biopolitik

crete avenues for living life. Up for discussion is the manner in which the practices of art and politics are mutually dependent, but also the extent to which analytical and critical forms are capable not only of localizing correlations but also of making them productive. Since the beginning of the twentieth century at the latest it has been obvious that art plays a decisive role in the relationship between work and life. Reacting to the expectations of the first manifestations of industralization, including the associated standardization tendencies and poor production conditions, art positioned work as a counterpole to life. A series of life reforms in the nineteenth century and the early decades of the twentieth century endeavored to counteract the estrangement of work and life by bringing art and life together. “Long live life as it is!”3 cried Dziga Vertov in the early 1920s. This solution not only provides the basis for his own films. What is more, this stance toward the documentary film spawns its own genre, one that still today strives to achieve forms of depicting reality. Overcoming the chasm between the reality of life and the illusion of art may be considered as absolutely one the most fundamental motifs of art. The power of imagination and fiction confronts the yearning for an irrefutable form of truth as is presumed to be embodied by reality. Playing an important role in this context—along with film and photography, whose images command even broader forms of distribution and which, not least because of their production opportunities, attempt to trace life—are actionist, performative, processual, and participative 18

practices that bring to bear a shifted understanding of art, but also of cultural production. A concept of work that is owed to the utopia of art and life as a cohesive unit has suspended the boundaries between work and life, having immaterialized them. Work is no longer to be considered a production form; instead, it is life itself that is being arranged according to the principles of production. Work has emerged from within life and, for this reason, has increasingly become unmalleable. For in unconditionally devoting oneself to life, to work, it becomes more difficult to defend or claim one’s rights. 24 Stunden sind kein Tag (Twenty-Four Hours Are Not a Day) is the title given by author and director René Pollesch to his four-part series, which he developed based on Rainer Werner Fassbinder’s television series 8 Stunden sind kein Tag (Eight Hours Are Not a Day) where the limitations placed on working hours are considered an achievement, a clear reflection of affective role-playing. His protagonists are tangled up in a consumer world influenced by economization in all areas of life. They are searching for a way out of these precarious conditions, which they had so recently defended as the bogus self-employed. Along a media landscape that has been dif differentiated since the avant-garde, it is the exhibition format that ultimately gains in importance. The temporally limited exhibition situation allows specific aesthetic constellations to develop, ones that are able to foster ever new contexts. This progression involves new staff stepping onto the stage of the art world: the curators and the cultural producers who have become an integral part of today’s art scene.


In her essay, Beatrice von Bismarck explores the role of the curator and thereby traces the potententialities of curatorial action in assuming—amidst the relational fabric of institutional, political, economic, and artistic terms—responsibility not only for the artistic production itself, but also for the state of the production conditions. Of issue here is the constellation of the conditions and not just the analysis and deconstruction thereof, as the approach taken by institutional critique. The idea that the role of the curator, as touched upon by Beatrice von Bismarck, has radically changed in recent years remains a point of dispute. Curators for instance frequently face the claim that the subject-position of the curator ends up rivaling the artist. Certain curators have indeed almost risen to the status of stars, and standing in their light means partaking in the creation of value that they seem to be capable of generating. Yet what appears to be more pertinent than the question of the primacy of artists vs curators are the possibilities that open up as a result of their collaboration. Harbored therein are artistic and institutional conceptions, with their discourse and execution reaching beyond the individual artistic works and theories that are capable of creating a web of relationships and through which production conditions become established. Questioning the significance of production conditions is relevant here insofar as—considering the heightened compartmentalization of production steps, at least in an institutional setting—the responsibility for the respective decisions is increasingly delegated, or shifted,

instead of being adopted. Since the artistic work can no longer be reduced to the individual artwork thanks to mediatic differentiation, issues of presentation and communication become more vital and cannot be isolated from the content of the artwork. This might be viewed as a further dimension of curatorial agency, for it not only pertains to the presentation of the exhibition, but also the way the exhibition is conveyed. Implied are not only the established formats used in public relations, but also the discursivity that is necessary for making the exhibition concepts readable. Although art has been working on openly adding production steps since the late nineteenth century—with an aim to reference both the constructiveness of art and art’s asserted unity with life—it has hardly been able to develop criteria for art production beyond the classic cycle of appreciation value. What is more, today’s perceived removal of art production from the strings of the economy is of often one of the reasons behind the precarious working states in which artists frequently find themselves enmeshed. For the aestheticization of production, which becomes a part of value creation, not least contributes to the upholding of an ideal of autonomy (as is tied to the

__________ 3

Dziga Vertov, “Provisional Instructions to Kino-Eye Groups,” in Kino-Eye: The Writings of Dziga Vertov (Berkeley: University of California Press, 1984), p. 71.

19


Eva Maria Stadler | Kunst oder Leben: Ästhetik und Biopolitik

idea of a purely authentic life) which had originally been viewed critically. Artistic forms of production that seek to elude the logic of the market often disregard their involvement in the relational fabric of action and reflection, of production and reception. To be discerned from the detachment of the work concept, by way of the terminus of artistic work, is an understanding of art that is owed more to consistent action than to the unique positioning of the artwork, thus becoming inscribed in the production logic of the work so as to underpin the significance of art as a social practice. Using the question “art or life”4 to position art in supposed opposition to life now inserts into the equation the potential for honing the criteria involved in critically addressing these two realms. What is art’s relationship to life? And how does art relate to the conditions within society and thus to the conditions associated with productivity? Or must we not rather consider, as per Walter Benjamin, how art resides within productive conditions in lieu of how art relates to these conditions?5 With twenty-three exhibitions curated by twenty-five curators at Viennese galleries, curated by_vienna brings together specifics projects that fathom explorative questions of aesthetics and biopolitics, but also the malleability of the social sphere. Three large thematic complexes have essentially crystalized from the above. First, the human body plays a dominant role in the artistic works. In a society that lends life, as a productive power, a hegemonic standing, the body is confronted with its existential mortality and its vulnerability while death is simulta20

neously suppressed. Perfection and the malleability of the body have become a societal program and thus also determine its social availability. Strides in biotechnology and genetic engineering, which have opened up seemingly endless realms of potentiality, but also a perpetual juxtapositing of images produced by the media place the body into competition for optimization and economization, thus exposing it to social modifications. Reflected in a second thematic area—involving the question of production conditions—are, on the one hand, the underlying aesthetic conceptions; this is approached by taking reference to strategies of the avant-garde, such as construction and deconstruction. On the other hand, the political dimension of processual and tentative aspects are thematized, or even the denial or backing away from a production for the sake of production. In a third thematic complex, issues of history, prehistory, and their relationship to and engagement with the present are addressed. Only in pursuing the historicization of current argumentations related to the interconnection between art and life can relationships and behavioral forms be surveyed and produced. In this respect, remembering and forgetting are productive forces that are able to first engender conceptions of history. Accompanying this is, not least, the question of visibility and representation related to accessibility to and representability of social fabrics. Becoming involved in a cooperative project like this one, and thus exploring the complex of aesthetics in relation to forms of biopolitics, has allowed us to bring together a gamut of


stances and conceptions without being compelled to subordinate them to a coherent whole. Precisely the distinctiveness of the individual exhibitions and projects distinguishes a discourse that recognizes art or life as a disposition for reflexive agency.

__________ 4

“Art or Life” is the title of an essay by Hito Steyerl published in Sabeth Buchmann, Helmut Draxler, and Stephan Geene, Film, Avantgarde, Biopolitik, ed. Akademie der bildenden Künste (Vienna: Verlag Schlebrügge, 2009).

5

See Walter Benjamin, Gesammelte Schriften, vol. II, part 2: Aufsätze, Essays, Vorträge, ed. Ralf Tiedemann and Hermann Schweppenhäuser (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1977), pp. 683–701.

21


Beatrice von Bismarck

Curating Curators

Beatrice von Bismarck (Leipzig/Berlin), geboren 1959, Professorin für Kunstgeschichte und Bildwissenschaft an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig (HGB). Von 1989 bis 1993 Städel Museum, Frankfurt/Main, Abteilung 20. Jahrhundert. Von 1993 bis 1999 Leuphana Universität Lüneburg, Mitbegründerin und -leiterin des Kunstraums der Universität Lüneburg. 2000 Mitbegründerin und -leiterin des /D/O/C/K-Projektbereichs der HGB. Initiatorin des Studiengangs Kulturen des Kuratorischen. Von 2003 bis 2011 Prorektorin der HGB.

22


d documenta – konferenz auf dem weg zur documenta 13 – so war eine Konferenz übertitelt, die am 19. und 20. September 2009 im Turiner Castello di Rivoli stattfand. Auf Einladung der designierten Leiterin der Documenta 13, Carolyn Christov-Bakargiev, und mit Unterstützung des Turiner Goethe-Instituts und des Instituts für Auslandsbeziehungen trafen sämtliche noch lebenden Documenta-Leiterinnen und -Leiter und in Vertretung der bereits verstorbenen auch deren ehemalige Mitstreiterinnen und Mitstreiter oder Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zu einem Austausch im Vortragsformat zusammen. Von Heiner Georgsdorf, Vorstandssprecher der Arnold-Bode-Stiftung und enger Vertrauter des Documenta-Gründers, über den Kunsthistoriker und Documenta-Chronisten Walter Grasskamp und Jean-Christophe Ammann, Mitglied der Arbeitsgruppe um Harald Szeemann für die Documenta 5, bis zu den vormaligen Leiterinnen und Leitern ab 1977, Manfred Schneckenburger, Rudi Fuchs, Jan Hoet, Catherine David, Okwui Enwezor und Roger M. Buergel, waren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gebeten, „ihre“ Großausstellung vorzustellen und sie gegebenenfalls auch einer Revision zu unterziehen.1 In dieser Konzeption kommt ein Veranstaltungsformat zum Tragen, das in den vergangenen gut 20 Jahren in der Auseinandersetzung mit Fragen des Kuratorischen eine gewisse Dominanz gewonnen hat: die Sequenz individualisierter Erfahrungsberichte mit Celebrity-Touch. Kuratorinnen und Kuratoren sprechen stellvertretend für die teilnehmenden Künstlerinnen und Künstler und alle anderen Mitwirkenden, gewinnen den Status von Autorinnen und Autoren der von ihnen

verantworteten Ausstellungen und übernehmen noch dazu deren maßgebliche Interpretation. Der historische Hintergrund, vor dem sich diese Fokussierung auf die Kuratorinnen und Kuratoren entwickelt hat, mag in seinem Ursprung institutionsreflektierend gewesen sein. Zwei 1992/1993 initiierte Veranstaltungen können stellvertretend für eine solche kontextorientierte Auseinandersetzung genannt werden: zum einen die Tagung A New Spirit in Curating?, die, konzipiert von Ute Meta Bauer, vom 24. bis 26. Januar 1992 im Künstlerhaus Stuttgart stattfand, und zum anderen die vierteilige, von Christian Meyer angeregte Ausstellungsreihe curated by_ im Heiligenkreuzerhof, dem damaligen Ausstellungsraum der Universität für angewandte Kunst in Wien (vormals Hochschule für angewandte Kunst).2 Beide Konzep-

__________ 1

http://www.artdaily.com/index.asp?int_sec= 11&int_new=31859&int_modo=2 (gesehen am 16. Mai 2012).

2

Für die Tagung A New Spirit in Curating? hatte Ute Meta Bauer, künstlerische Leiterin des Künstlerhauses Stuttgart, unter anderem Liam Gillick, John Miller, Helmut Draxler, Laura Cottingham, Frank Perrin und Hans-Ulrich Obrist zu Gast. Vgl. auch Ute Meta Bauer (Hg.): Meta 2. A New Spirit in Curating?, Stuttgart 1992. Bei den vier Ausstellungen, die von Christian Meyer (Galerie Metropol) angeregt wurden, handelte es sich um Live in Your Head, 9. Januar bis 12. Februar 1993, kuratiert von Robert Nickas; Travelogue/Reisetagebuch, 25. Februar bis 27. März 1993, kuratiert von Jackie McAllister; Future Perfect, 7. April bis 15. Mai 1993, kuratiert von Dan Cameron; Das Bild der Ausstellung, 27. Mai bis 17. Juli 1993, kuratiert von Markus Brüderlin.

23


Beatrice von Bismarck | Curating Curators

te wollten den Blick darauf lenken, dass Ausstellungen keine neutralen Zeigewerkzeuge sind, die im Dienst an der Kunst, die sie präsentieren, aufgehen, sondern dass sie ihrerseits an der Bedeutungsstiftung von Kunst und Kultur beteiligt sind. Insofern wurde die Rolle der Kuratorin, des Kurators ebenso hinterfragt wie eine mögliche professionelle Legitimation und disziplinäre Zuordnung, die Position im Verhältnis zu den übrigen Akteurinnen und Akteuren im Kunstfeld, das unterschiedliche Praxisverständnis und auch die zugeschriebene oder in Anspruch genommene Macht.3 Die vier Wiener Ausstellungen ließen sich exemplarisch im Sinne nachdrücklicher Ausweise jeweils subjektivierter kuratorischer Perspektiven verstehen. Gefördert mit Mitteln des Bundeskurators Robert Fleck4 konnten sie als Versuch aufgefasst werden, der seit den 1970ern vorgebrachten Kritik an der dominanten definitorischen Macht der Kuratorin, des Kurators gerade von Gruppenausstellungen offensiv zu begegnen, indem die Bedingungen und Möglichkeiten von Ausstellungen um ihrer selbst willen Beachtung fanden. Anstatt die Ausstellung in Konkurrenz zu künstlerischen Arbeiten zu verstehen, klingt hier eher an, sie als gleichrangiges kulturelles Medium zu behandeln. Wie Markus Brüderlin schreibt, war das Ziel, im Vergleich der vier die Rolle der Kuratorin, des Kurators „neu zur Diskussion zu stellen“5. Dabei machten sie vor allem das Format Ausstellung selbst zum Aufhänger: Während Robert Nickas in Live in Your Head eine historische Achse zu Harald Szeemanns legendärer Schau When Attitudes Become Form herstellte – die Ausstellung, die jene kuratorische Haltung etablierte, auf die Szeemann sei24

nen Ruf und seine Arbeitsweise als freier Kurator gründete –, sprengten die beiden folgenden Präsentationen die zeitlichen Konventionen des Mediums Ausstellung. Jackie McAllister unterstrich in Travelogue/Reisetagebuch die Prozessualität und Mobilität künstlerischer Praxis, Future Perfect, kuratiert von Dan Cameron, ließ Perspektiven von Zukunft und Vergangenheit ineinander übergehen. Der letzte Beitrag der Reihe, Markus Brüderlins Das Bild der Ausstellung, verstand sich als „Stellvertreterausstellung“6, eine Ausstellung von Ausstellungen, die ihrerseits die vorangegangenen drei in die Betrachtung einbezog. Der Katalog umkreist dementsprechend die Bedingungen, unter denen verschiedene Akteurinnen und Akteure an einer Ausstellung mitwirken, die Betrachterinnen und Betrachter etwa, die Kunstinstitutionen und vor allem die Künstlerinnen und Künstler, die diese Auseinandersetzung wiederum zum ausstellbaren Bild werden lassen.7 Im historischen Rückblick bezeugten diese Formate die Übertragung der soziologischen Feldtheorie, insbesondere derjenigen Pierre Bourdieus8, die die unterschiedlichen Akteurinnen und Akteure – Individuen wie Institutionen – in dynamische, relationale Positionierungsprozesse eingebunden sieht. Im Ergebnis jedoch demonstrierten sie ganz maßgeblich auch eine Verschiebung der Auf Aufmerksamkeit, die den Kuratorinnen und Kuratoren den Vorrang gab vor der Kunst, den Künstlerinnen und Künstlern, aber auch Ausstellungen, die ihre Bedeutung erst als Werke ihrer Macherin, ihres Machers gewannen. Sie trugen damit zur Herausbildung einer Subjektposition im Kunstfeld bei, die es seitdem zu


einer herausragenden Stellung gebracht hat. Eine Subjektposition, die gegenüber anderen Positionen, wie denen von Kritikerinnen und Kritikern oder Theoretikerinnen und Theoretikern, an Gewicht gewonnen hat und im Diskurs vor allem in ein kompetitives Verhältnis zu Künstlerinnen und Künstlern selbst getreten ist. Hierin gründen die Debatten, in wessen Dienst welche Rolle im Kunstfeld agiert, die Polemiken über die „Kunst ohne Künstler“, die Verteidigungsszenarien, um die Künstlerinnen und Künstler gegenüber den vereinnahmenden und eigengesetzlichen Kuratorinnen und Kuratoren in Schutz zu nehmen, die provokant-katalysatorische Frage, ob in Zukunft nicht Kuratorinnen und Kuratoren, sondern Künstlerinnen und Künstler die Documenta kuratieren sollten, die Strategien von Verweigerung, Aneignung und Überschreitung, mit denen Künstlerinnen und Künstler auf den Arbeitsbereich von Kuratorinnen und Kuratoren reagieren – kurz, das gesamte Repertoire einer nicht selten auf emotionalisierten professionellen Allianzen basierenden Auseinandersetzung um den Anspruch auf Subjektivierungen, auf Bedeutung stiftende Macht, auf Kreativität und die gesellschaftlichen Privilegien von Autorschaft.9 Anstatt die Rolle von Kuratorinnen und Kuratoren in ihrem binären Antagonismus zu Künstlerinnen und Künstlern fortzuschreiben, soll es im Folgenden darum gehen, nach ihren spezifischen Handlungsmöglichkeiten im Kunstfeld angesichts der besonderen Stellung, die sie in den vergangenen 20 Jahren gewonnen haben, zu fragen. Einschränkend gilt es anzumerken, dass die gestiegene Anerkennung nicht alle ku-

ratorisch Tätigen gleichermaßen betrifft, sondern vor allem denjenigen vorbehalten ist, die als „freie Kuratorinnen/Kuratoren“ oder doch mit einer gewissen institutionellen Unabhängigkeit arbeiten, und dass es unter diesen wiederum lediglich Einzelbeispiele – Harald Szeemann

__________ 3

In der Reihenfolge der Nennung vgl. Liam Gillick: „The Bible, the Complete Works of Shakespeare and a Luxury Item“, in: Bauer, S. 5–8; Helmut Draxler: „Der institutionelle Diskurs“, ebd., S. 17–18; Frank Perrin: „Minimal Curating“, ebd., S. 42–45; HansUlrich Obrist: „Deltacurating“, ebd., S. 46–51.

4

Vgl. Kuratorenbericht von Robert Fleck aus dem Jahre 1993, http://www.bmukk.gv.at/medienpool/ 18437/kunstbericht1993_194_213.pdf, S. 204–205.

5

Markus Brüderlin: „Zur Ausstellung/On the Exhibition“, in: Das Bild der Ausstellung/The Image of the Exhibition, Hochschule für angewandte Kunst in Wien, Institut für Museologie, Wien 1993, S. 7–9, hier S. 7.

6

Ebd.

7

Vgl. etwa Markus Brüderlin: „Das Bild der Ausstellung und die List des Bildes/The Image of the Exhibition and the Ruse of the Image“, in: Das Bild der Ausstellung, S. 36–53; Wolfgang Kemp: „Verstehen von Kunst im Zeitalter ihrer Institutionalisierung/Understanding Art in the Age of Its Institutionalization“, ebd., S. 54–67; Ulf Wuggenig und Vera Kockot: „Soziologie des Publikums/ Sociology of the Audience“, ebd., S. 82–90.

8

Vgl. Brüderlin: „Zur Ausstellung“, S. 7.

9

Vgl. etwa Anton Vidokle: „Art Without Artists?“, in: e-flux journal, Nr. 16, Mai 2010; Susan Hiller und Sarah Martin (Hg.): The Producers. Contemporary Curators in Conversation, Baltic, Gateshead 2000; Jens Hoffmann (Hg.): The Next Documenta Should Be Curated by an Artist, Revolver, Frankfurt/Main 2004.

25


Beatrice von Bismarck | Curating Curators

oder Hans-Ulrich Obrist etwa – zu einem Celebrity-Status bringen konnten, wie er traditionell bislang eher Künstlerinnen und Künstlern vorbehalten war.10 Es ist aber nicht von der Hand zu weisen, dass ebendieser herausragende, wenn auch rare soziale Status zu der Attraktivität des Berufs Kurator beigetragen hat, wie sie sich weltweit in der Gründung von Ausbildungsprogrammen der Curatorial Studies niederschlägt. Da ich selbst in den Aufbau eines solchen Programms involviert bin11, stellt den Hintergrund des Folgenden nicht zuletzt die Frage dar, wie eine Subjektivierungsform im Feld des Kuratorischen aussehen könnte, wenn sie sich nicht auf die Herausbildung einer individualisierten Handschrift des Ausstellens, die Bildung globaler Netzwerke oder eine größtmögliche öffentliche Sichtbarkeit beschränkt. Anders ausgedrückt: Welche Optionen bietet der Sonderstatus der Rolle „Kurator“ für kuratorisches Handeln, wenn man ihn als symbolisches Kapital im Sinne Pierre Bourdieus versteht, als ein „Kapital an Anerkennung“, das der- oder demjenigen, der oder dem es zuerkannt wird, erlaubt, symbolische Wirkung innerhalb einer Gruppe auszuüben, die über die gleichen Wahrnehmungs- und Bewertungskategorien verfügt.12 Mit dieser Perspektivierung soll der Akzent letztlich von der Profession der Kuratorin, des Kurators auf den Handlungsaspekt des „Kuratierens“ verlagert und die Zuordnung der beiden Begriffe zueinander als mögliche, aber nicht notwendige Option innerhalb der im Feld vollzogenen Aushandlungen und Kämpfe um die Teilhabe an der Bedeutungsstiftung behandelt werden. Denn sowohl in seiner historischen 26

Genese als auch in seiner zeitgenössischen Ausprägung erweist sich das Kuratorische als ein Feld, in dem vonseiten ganz unterschiedlicher Professionen Ansprüche erhoben werden. Um entsprechend das Kuratieren zunächst getrennt von der Profession zu betrachten, lässt es sich als ein Handlungsmodus im Feld des Kuratorischen beschreiben, das diejenigen Techniken, Verfahren und Fertigkeiten umfasst, die auf das Öffentlichwerden von Kunst und Kultur gerichtet sind. Unter den Bedingungen von Präsentationalität bindet Kuratieren das Zusammenstellen von Subjekten, Objekten, Orten und Informationen und die Bestimmung ihres Verhältnisses zueinander ein. Insofern umfasst es ein breites Spektrum möglicher Aktivitäten, die deutlich über die Ursprungsbedeutung des lateinischen „curare“ im Sinne von „sorgen“ und „pflegen“ hinausgehen, um vermehrt den Aspekt der Vermittlung in den Vordergrund zu rücken. Administrative und organisatorische Anteile sind dabei aufs Engste verschränkt mit gestalterischen und interpretativen; Fertigkeiten des Auswählens, Ordnens und Präsentierens sind ästhetisch wie auch sozial oder ökonomisch konditioniert. Die Aktivität des Kuratierens manövriert an der Schwelle öffentlichen Erscheinens und lässt dabei die Unterscheidung zwischen einem künstlerischen Exponat, das sowohl sich selbst als auch „,etwas‘ zeigt“13, und einer Ausstellung als Werk, die über die Exponate auch immer sich selbst zu sehen gibt, verschwimmen. Von dieser Schwelle aus besitzt kuratorisches Handeln ein selbstreflexives, prozessuales Potenzial, das das Zusammengestellte in den Zustand des Werdens versetzt.


Wer aus welcher Position heraus Anteil am Prozess des Zeigens und Sichzeigens, des Auf Auftretens von Kunst hat, setzt Entscheidungen und Aushandlungen der verschiedenen Akteurinnen und Akteure im Feld voraus. Diese gewinnen ihr Profil und ihre Ausrichtung im Verhältnis zu den jeweiligen gesellschaftlichen Vorgaben und Entwicklungen. Im historischen Rückblick zeigt sich die Entstehung einer kuratorischen Instanz eng verknüpft mit der Herausbildung der grundsätzlich auf Vermittlung angelegten institutionellen und professionellen Strukturen im Kunstfeld, die Cynthia und Harrison White 1965 in ihrer grundlegenden Studie zur Entwicklung der französischen Kunstinstitutionen im 19. Jahrhundert als „dealercritic system“ beschrieben haben.14 Im Laufe des 19. Jahrhunderts entfaltete sich kuratorische Arbeit zu einer profilbildenden Tätigkeit für Museumsdirektoren und Mitarbeiter, die sich diesen Bereich von Anfang an mit Galeristen, Händlern und vor allem Künstlern teilten. Die Formate für die Präsentation von Kunst entwickelten und veränderten sich entsprechend bis weit in das 20. Jahrhundert hinein unter selbstverständlicher Einbindung der verschiedenen professionellen Rollen. Künstlerinnen und Künstler von Thomas Gainsborough über Gustave Courbet bis Marcel Duchamp oder Edward Steichen, Galeristinnen und Galeristen wie Paul Durand-Ruel und Herwarth Walden sowie Museumsleiterinnen und -leiter wie Charles Eastlake, Alexander Dorner und Alfred Barr leisteten in unterschiedlicher Weise Beiträge zur Ausweitung, zur Verschiebung und zur Neuformulierung der Möglichkeiten, mit denen Kunst der Öffentlichkeit begegnet.

Dass die Aktivitäten, die mit dem Öffentlichwerden von Kunst verbunden sind, vorrangig von der Profession der Kuratorin, des Kurators in Anspruch genommen werden, dass sich eine solche Profession überhaupt erst herausbildete und zu Prominenz gelangte, verdankt sich wesentlich zwei Entwicklungsetappen des Kunstfeldes in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die erste ergab sich im Zuge der Ausweitung des Kunstbetriebs im Laufe der 1960er-Jahre, mit der neben dem sich stark erweiternden Kunstmarkt auch eine schnell wachsende Zahl sammelnder und ausstellender Kunstinstitutionen und publizistischer Organe und damit ein gestiegener Personalbedarf sowie das Aufkommen neuer Berufe einhergingen. Zu diesen zählte der freie Kurator – für den seither Harald Szeemann

__________ 10

Auf den Celebrity-Status Harald Szeemanns bin ich an anderer Stelle ausführlicher eingegangen: „Celebrity Shifts. Curators, Individuals and Collectives“, in: Mona Schieren und Andrea Sick (Hg.): Look at me. Celebrity Culture at The Venice Art Biennale, Verlag für moderne Kunst, Nürnberg 2011, S. 180–191.

11 An der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig besteht seit dem Oktober 2009 das post graduale Masterprogramm Kulturen des Kuratorischen (http://www.kdk-leipzig.de/). 12 Vgl. Pierre Bourdieu: Praktische Vernunft. Zur Theorie des Handelns, Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main, S. 171, 173. 13 Vgl. Martin Seel: Die Ästhetik des Erscheinens, Hanser Verlag, München 2000, S. 176. 14 Vgl. Harrison C. White und Cynthia A. White: Canvases and Careers. Institutional Change in the French Painting World, Wiley, New York 1965.

27


Beatrice von Bismarck | Curating Curators

immer wieder als prototypisch angeführt wird – ebenso wie die auf Bildung und Vermittlung ausgerichteten Professionen innerhalb der Kultureinrichtungen. Aber versteht man das Kuratorische als ein kulturelles Subfeld15, das auf die Bedingungen und Potenziale der Präsentation von Kunst ausgerichtet ist, so begannen im Zuge dieser Ausweitung und Ausdifferenzierung auch die Verhandlungen darüber, wer wie und in welchem Maße an der Bedeutungsstiftung beteiligt ist, die sich im Prozess des Öffentlichwerdens abspielt. Die Übertritte zwischen den professionell designierten Aufgabenbereichen von Künstlerinnen und Künstlern einerseits und denjenigen von Kritikerinnen und Kritikern, Kunsthistorikerinnen und -historikern, Kunstsoziologinnen und -soziologen oder Kuratorinnen und Kuratoren andererseits kennzeichnen die sich in den 1960er-Jahren entwickelnden Formen der kulturellen Praxis. Bezogen auf Fragen des Ausstellens markieren die institutionskritischen Strategien etwa von Marcel Broodthaers, Daniel Buren oder Lawrence Weiner stellvertretend die künstlerische Aneignung von Veröffentlichungspraktiken, die in der Aufgabenverteilung bis dahin vorrangig Kuratorinnen und Kuratoren zugedacht waren. Demgegenüber waren die kuratorischen Experimente von Lucy R. Lippard, Lawrence Alloway, Marcia Tucker, Seth Siegelaub, Germano Celant und eben auch Harald Szeemann auf die mit (künstlerischem) Werkcharakter behafteten Gestaltungen des Ausstellungsformats gerichtet. Als Gegenbewegung zur Ausdifferenzierung des Feldes vollzog sich damit, wenn man so will, eine Entdifferenzierung nicht nur der Künste, sondern auch der professionellen Arbeitstei28

lung: ein produktiver Wettstreit letztlich um den Anspruch auf Kreativität, Autorschaft und die daran gebundenen Privilegien. In seinem Verlauf löste sich die Ausstellung als traditionelles Medium des öffentlichen Auftritts von Kunst sowohl aus ihrer institutionellen Anbindung als auch aus ihren angestammten raumzeitlichen Strukturen. Events im öffentlichen Raum, Kataloge, Einladungskarten oder Interviews etablierten sich als mit der Präsentation im institutionellen Ausstellungsraum gleichrangige kuratorische Publikationsformate, deren Ausgestaltung von Künstlerinnen und Künstlern ebenso wie von Kuratorinnen und Kuratoren betrieben wurde.16 Die gegenseitige Aneignung von Aufgaben und Verfahren, die über die Weise des öffentlichen Auftritts bestimmen, zielte letztlich darauf ab, an der Erzeugung von Aufmerksamkeit teilzuhaben, die der jeweiligen institutionskritischen Ausrichtung Resonanz und Effekte verlieh und der künstlerischen Haltung zu Anerkennung verhalf. Mit der zweiten Etappe der an der Stellung des Kurators beteiligten Entwicklung des Kunstfeldes findet sich diese Durchsetzungsstrategie dann vor allem eingebettet in die vielfältigen Vermarktungsansätze, die sich als Reaktion auf die Anforderungen der Globalisierung herausbildeten. Gestützt durch Mobilisierung von Personen, Gütern und Informationen sowie die weltweite Ausbreitung der Märkte, entwickelte sich insbesondere die „Biennalisierung“ zu einem Symptom des Ausstellungswesens17, zu dem die Subjektposition der international anerkannten Kuratorin, des international anerkannten Kurators synergetisch passte: Als durch die Reputation ihres/seines Namens bereits aus-


gewiesene und beglaubigte Instanz kann sie/er die Sondierung, Auswahl und Bündelung von künstlerischen Einzelpositionen innerhalb einer ansonsten unübersichtlich gewordenen Kunstwelt übernehmen. Die ihr/ihm zugeschriebenen Kompetenzen der Netzwerkbildung machen sie/ ihn zum Garanten des Erfolgs von auf internationale Beachtung ausgelegten Ausstellungsprojekten, unabhängig von Austragungs- oder Herkunftsort. An ihre/seine Reputation können Veranstalter zur Nobilitierung der eigenen Lokalität anknüpfen, ohne dass die Eigenschaften oder Qualitäten des zu Zeigenden oder Gezeigten bereits Erwähnung gefunden hätten. Anstatt (wie in den 1960er- und 1970er-Jahren) als Propagatorinnen und Propagatoren, Verteidigerinnen und Verteidiger und zugleich Mitentwicklerinnen und -entwickler spezifischer ästhetischer und gesellschaftspolitischer Neuausrichtungen in der Kunst zu agieren, finden sich Kuratorinnen und Kuratoren seit Beginn der 1990er nicht selten in der Rolle von Handlungsreisenden, die das Veranstaltungsformat Ausstellung im Sinne des Exports westlicher Kulturkonzepte und im Dienste der Ökonomisierungsstrukturen von weltweitem Kunsthandel, Tourismus und Städtemarketing zum Einsatz bringen. Dabei erweist sich die Subjektivierungsform als hybrid: Einerseits exemplifiziert die Position der Kuratorin, des Kurators ebenjene Sichtbarkeit, die sich von der gelungenen Realisierung eines „Projekts“ ableitet, wie sie Luc Boltanski und Ève Chiapello für die „projektbasierte Polis“ beschrieben haben; die Tätigkeiten des Kuratierens bündeln darin die Eigenschaften „immaterieller Arbeit“ und über-

nehmen damit auch die prekären Arbeitsbedingungen, die mit einer solchen postfordistischen Arbeitsform nicht selten einhergehen.18 Zugleich aber greift die Subjektposition der Kuratorin, des Kurators andererseits in ihrer Partizipation an auktorialen Privilegien, wie sie ansonsten vor allem Künstlerinnen und Künstlern zugestanden werden, auf eine modernistische Zuschreibung von Individualität und Originalität zurück. Damit treten vermittelnde Tätigkeiten (erneut) gegenüber solchen der Produktion zurück. Die Attraktivität, die die Position der Kuratorin, des Kurators auch

__________ 15 Zum Feldbegriff nach Pierre Bourdieu vgl. Pierre Bourdieu und Loïc J. Wacquant: Reflexive Anthropologie, Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main 1996. 16 Ausführlich zum Verhältnis der Künstler um Seth Siegelaub und zu Veröffentlichungsstrategien und -formaten vgl. Alexander Alberro: Conceptual Art and the Politics of Publicity, MIT Press, Cambridge, Mass./London 2003. 17 Diesem Phänomen sind die Auseinandersetzungen in folgendem Werk gewidmet: Elena Filipovic, Marieke van Hal und Solveig Øvstebø (Hg.): The Biennial Reader. An Anthology on Large-Scale Perennial Exhibitions of Contemporary Art, Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2010. 18 Vgl. Luc Boltanski und Ève Chiapello: Der neue Geist des Kapitalismus, UVK Verlagsgesellschaft, Konstanz 2003, S. 147 ff.; Toni Negri, Maurizio Lazzarato und Paolo Virno: Umherschweifende Produzenten. Immaterielle Arbeit und Subversion, ID-Verlag, Berlin 1998; übertragen auf das kurato rische Feld: Beatrice von Bismarck: „Kuratorisches Handeln. Immaterielle Arbeit zwischen Kunst und Managementmodellen“, in: Marion von Osten (Hg.): Norm der Abweichung, Edition Voldemeer/Springer Verlag, Zürich/Wien/New York 2003, S. 81–90.

29


Beatrice von Bismarck | Curating Curators

für die benachbarten Disziplinen des Tanzes oder Theaters besitzt, leitet sich – über die kollektiven und verzeitlichten Strukturen hinaus, die Ausstellung und Aufführung in Beziehung zueinander setzen – nicht zuletzt aus diesem aus der Unsichtbarkeit vermittelnder Rollen heraushebenden Potenzial ab. Der CelebrityStatus, der so auf die Rolle der Kuratorin, des Kurators übergegangen ist, bietet diese für professionelle Aneignungen im weiter gefassten kulturellen Feld an und bindet sie in identitätsstiftenden Prozessen im globalisierten Kulturtransfer an.19 In dieser doppelspurigen Akkumulation symbolischen Kapitals – als ideale Verkörperung postfordistischer Kompetenzen und Handlungsweisen einerseits und in der Partizipation am außeralltäglichen Künstlerstatus andererseits – liegt ein wesentlicher Auslöser für die von Künstlerinnen und Künstlern geäußerte Kritik an Kuratorinnen und Kuratoren, in der sich die eingangs erwähnten Ansprüche auf Subjektivierungen, auf Bedeutung stiftende Macht, auf Kreativität und die gesellschaftlichen Privilegien von Autorschaft konkretisieren. Diese Kritik beklagt, wie Daniel Buren bereits 1972 bemängelt hat, dass sie, die Künstlerinnen und Künstler, nur mehr Farbtupfen seien im Kunstwerk der Kuratorinnen und Kuratoren, die ihrerseits, so Buren mehr als 30 Jahre später noch einmal, doch letztlich Nachahmerinnen und Nachahmer der künstlerischen Praxis seien;20 dass sie ihre eigentliche Aufgabe, für Kunstwerke zu sorgen, aus dem Blick verloren hätten;21 dass Auswahl an die Stelle von Schöpfung trete22 und dass Kuratorinnen und Kuratoren die Rolle von Koautorinnen, -autoren, wenn nicht 30

alleinigen Autorinnen, Autoren, im Verhältnis zu den Künstlerinnen und Künstlern übernähmen, zu „Metakünstlerinnen“, „Metakünstlern“ würden und aus einer durch größere ökonomische Sicherheit abgestützten Machtposition die Souveränität der Künstlerinnen und Künstler und ihr kritisches Potenzial einschränkten.23 Während solche Vorwürfe das den Kuratorinnen und Kuratoren zugewiesene symbolische Kapital zwar angreifen, dadurch aber letztlich erst bestätigen und unterstreichen, stellen andere Stimmen von Künstlerinnen und Künstlern eher die kunstfeldinterne soziale Dynamik in Rechnung, mit der sich Kuratorinnen und Kuratoren in den vergangenen 20 Jahren innerhalb der professionellen und institutionellen Veränderungen des Postfordismus positioniert haben.24 Sie gehen von der Produktivität der Aufhebung vorgegebener Rollen und der Vervielfachung von Stimmen in kuratorischen Prozessen aus. Beide Haltungen bringen zwar die von Positionierungsprozessen strukturierte Anlage des kuratorischen Feldes zum Ausdruck; die zweite aber versteht diese Anlage darin als in spezifischer Weise fruchtbar. Denn als eine Tätigkeit, die Zusammenhänge herstellt und gestaltet, kann eine kuratorische Arbeit, wenn sie selbstreflexiv ausgelegt wird, nicht zuletzt auch auf die Positionen gerichtet sein, von denen aus sie ausgeführt wird. Kollektiv strukturiert, setzt sie nicht nur eine Vielzahl von Personen mit unterschiedlichen professionellen und disziplinären Hintergründen, Kompetenzen und Interessen in Beziehung zueinander, sondern darin eingebunden auch Aufgaben, Objekte, Räume und Informationen, die an


dem jeweiligen Format des Öffentlichwerdens teilhaben. Die an die Personen, Aufgaben, Objekte, Räume und Informationen gebundenen Kapitalsorten – seien sie, um erneut Bourdieus Differenzierung zu folgen, ökonomisch, sozial, kulturell oder eben symbolisch bestimmt – haben an der dynamischen Ausgestaltung dieser Verhältnisse Anteil, die das kuratorische Handeln ermöglicht und formt, in die es aber auch selbst eingebunden ist. Im Aufbau, in der Definition und im Einsatz einer Subjektposition kann kuratorisches Handeln mithin entscheidend mitwirken. Im Kontext der auf Kollaboration dringenden Rhetorik zeitgenössischer Arbeitsverhältnisse gewinnt dieses Potenzial zusätzliches Profil, zeichnet sich hier doch eine Verschiebung der Aushandlungsprozesse im Feld ab. Denn hatte sich in den 1960er- und 1970er-Jahren die gegenseitige Übernahme von Aufgaben und Rollen vor allem zwischen Individuen – einzelnen Künstlerinnen, Künstlern und Kuratorinnen, Kuratoren – ereignet, so scheint der Trend zu Kuratorenteams oder -gruppen, der in der Mitte der 1990er-Jahre einsetzte, diese vormalige professionelle Konkurrenz durch Einbindung aufheben zu wollen. Von den Teams der Manifesta von der ersten Ausstellung 1996 bis heute über die 1. Berlin Biennale (1998) von HansUlrich Obrist, Klaus Biesenbach und Nancy Spector, die 6. Caribbean Biennial (1999) von Jens Hoffmann und Maurizio Cattelan, Okwui Enwezors Documenta 11 (2002) in Kassel, Francesco Bonamis 50. Biennale di Venezia (2003) und die dort begonnene Ausstellung Utopia Station von Molly Nesbit, Hans-Ulrich Obrist und Rirkrit Tiravanija bis hin zu der von

WHW geleiteten Istanbul Biennial 2009 haben sich Leitungsteams mit Mitgliedern verschiedener Berufsgruppen in den vergangenen gut 15 Jahren zum tragenden Modell für Großausstellungen etabliert. Nur scheinbar tritt dabei die Frage nach der Autorschaft an Ausstellungen hinter die Fragen „Was, wie und für wen?“ zurück25; die Verbindung von Künstlerinnen und Künstlern, Kuratorinnen und Kuratoren und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern entwickelt vielmehr in Funktion, Einsatz

__________ 19

Vgl. Carlo Michael Sommer: „Stars als Mittel der Identitätskonstruktion. Überlegungen zum Phänomen des Star-Kults aus sozialpsychologischer Sicht“, in: Werner Faulstich und Helmut Korte (Hg.): Der Star. Geschichte – Rezeption – Bedeutung, Wilhelm Fink Verlag, München 1997, S. 114–124; Peter Ludes: „Aufstieg und Niedergang des Stars als Teilprozess der Menschheitsentwicklung“, ebd., S. 78–98.

20

Vgl. Daniel Buren: „Ausstellung einer Ausstellung“, in: Documenta 5, Ausst.-Kat., Museum Fridericianum/ Neue Galerie, Kassel 1972, S. 29; ders.: „Where Are the Artists“, in: Hoffmann, S. 26–31.

21 Vgl. Hiller und Martin, S. 14. 22 Vgl. Martha Rosler: „Someone Say …“, in: Hoffmann, S. 66–67. 23 Vgl. Vidokle. 24 Vgl. Morgan Fisher: „Documenta, a Show of Shows“, in: Hoffmann, S. 34–37; Liam Gillick: Untitled Statement, ebd., S. 38 f. 25

Magali Arriola sieht in dem kollektiven kuratorischen Ansatz die Möglichkeit, zumindest vorübergehend die Frage der Autorschaft verschwinden zu lassen; vgl. „Towards a Ghostly Agency. A Few Speculations on Collaborative and Collective Curating“, in: Manifesta Journal, Nr. 8, 2009/2010, S. 21–31, hier S. 31.

31


Beatrice von Bismarck | Curating Curators

der jeweiligen Kapitalsorten und inhaltlicher Ausrichtung jedes Mal deutlich unterschiedene Erscheinungsformen von Kollektivität, die ihrerseits die Subjektivierungsform „Kurator“ unterschiedlich ausschöpfen. Für die oben genannten Beispiele sei dabei zwischen temporären, anlass- oder projektgebundenen Formen der Zusammenarbeit zum einen und Gruppen oder Kollektiven zum anderen unterschieden. Zusammenschlüsse, die – wie etwa Jens Hoffmanns Kooperation mit Maurizio Cattelan und Francesco Bonamis Verteilung der kuratorischen Verantwortung auf viele Kuratorinnen und Kuratoren sowie Kuratorenteams in Venedig – durch eine bestimmte Veranstaltung motiviert sind, setzen den Typus des Teams oder der „Projekt“basierten Kooperation fort, der sich seit den 1970er-Jahren immer stärker in künstlerischen wie auch erzieherischen und wirtschaftlichen Zusammenhängen formiert hat. Er verlässt sich auf Synergieeffekte gebündelter Expertenschaft und variierter Methoden und Verfahren und nicht zuletzt auf die Multiplikation bereits vorhandenen symbolischen Kapitals, an dessen Wachstum die Teammitglieder auch nach Beendigung der Zusammenarbeit partizipieren. Kollektive wiederum, die in wiederkehrender Formation unter gemeinsamem Namen sowohl kuratorisch als auch künstlerisch aktiv sind – wie WHW für ihre erste gemeinsam organisierte Ausstellung 2000 in Zagreb, ihre ausstellende Teilnahme an Collective Creativity in der Kunsthalle Fridericianum in Kassel 2005 und die kuratorische Leitung der Istanbul Biennial 2009 oder auch Raqs Media Collective für ihre künstlerische Teilnahme etwa an der Documenta 11 in Kassel oder die kuratorische Konzeption des 32

Bozener Ausstellungsteils The Rest of Now der Manifesta 7 (2007) –, machen sich als Gruppe einen Namen mit auktorialen Eigenschaften und Privilegien, agieren in ihrem gemeinschaftlichen Rollenwechsel zwischen kuratorischen und künstlerischen Auftritten, vergleichbar den individualisierten wechselseitigen Aneignungen zwischen Kuratorinnen/Kuratoren und Künstlerinnen/Künstlern der 1960er- und 1970erJahre. Vordergründig nutzen beide Varianten kooperativer Strukturen die postfordistische Anforderung kollektiver projektförmiger Arbeit; das Verständnis kuratorischer Arbeit und der daran geknüpften inhaltlichen Zielsetzungen differiert jedoch. Im einen Fall liegt der Ausstellung ein arbeitsteiliges Modell zugrunde, im anderen eine individuell nicht mehr eindeutig zuordenbare Kompetenz, die einmal stärker künstlerisch, einmal kuratorisch ausgerichtet ist. Was für die einen eine multiprofessionelle Absicherung und Ausweitung der Perspektiven bedeutet, stellt sich bei den anderen als eine Form der Zuspitzung der konzeptionellen Ausrichtung dar. Eine dritte Form kuratorischer Kollektivität schließlich integriert die Frage nach dem symbolischen Kapital der Kuratorenrolle strukturell und exponiert damit nicht zuletzt Anerkennungszuschreibungen selbst. Sie kuratiert die Position der Kuratorin, des Kurators. Im Zentrum stehen Sprecherpositionen, die sich im Verhältnis zu den von ihnen übernommenen Aufgaben und den professionellen Zugehörigkeiten kontinuierlich kontextbedingt und relational verschieben. Sowohl von einem Projekt zum nächsten als auch innerhalb von Projekten wechseln sie zwischen den Rollen von


Kuratorin, Kurator und Künstlerin, Künstler, übernehmen aber auch solche, die anderen gesellschaftlichen Feldern entstammen, etwa diejenigen der Moderatorin, des Moderators, der Kritikerin, des Kritikers, der Schauspielerin, des Schauspielers, der Interviewpartnerin, des Interviewpartners, der Aktivistin, des Aktivisten, der Lehrerin, des Lehrers, der Regisseurin, des Regisseurs, der Produzentin, des Produzenten, der Gestalterin, des Gestalters, der Dokumentaristin, des Dokumentaristen oder der Ethnologin, des Ethnologen. Innerhalb des Tätigkeitsspektrums kuratorischen Handelns setzen diese Ansätze darauf, die sozialen Wertzuschreibungen – Ruhm, Reputation, Status – mit den Regeln, nach denen ihre Verteilung in den unterschiedlichen professionellen Feldern erfolgt, zu nutzen und gegeneinander auszuspielen. Mit je unterschiedlicher sozialer Organisationsstruktur und gesellschaftspolitischen Akzentsetzungen behandeln die Praxisformen etwa von Maria Lind oder Marion von Osten die eigene Rolle ebenso wie jene der anderen an ihren Projekten Mitwirkenden und stellen dabei die Vorannahmen und Voraussetzungen dieser Rollen genauso zur Disposition wie die an sie geknüpften sozialen Hierarchien, Machtstrukturen und ökonomischen Bedingungen. In der Konstellation, die ihre Projekte konstituieren, bestimmen sie die Verhältnisse der Kuratorin, des Kurators zu allen anderen Akteurinnen und Akteuren sowie Aktanten. Sie weisen diese Position damit nicht nur als temporär und gestaltbar aus, sondern sie verändern das operative Potenzial des der Rolle zugewiesenen symbolischen Kapitals. Insofern hängen seine Konstitution und seine

Effekte von den Regeln und Bedingungen innerhalb des jeweiligen Feldes ab, die sich ihrerseits gleichsam in ihm abbilden. Das Aufbrechen des in den vergangenen 50 Jahren immer wieder naturalisierten Zusammenhangs zwischen der Rolle der Kuratorin, des Kurators einerseits und den Aufgaben andererseits, die das Kuratieren umfassen kann, ermöglicht, die jeweils mit ihnen assoziierte symbolische Kapitalisierung zu exponieren. Neben den Tätigkeiten und den professionellen Rollen treten damit auch die unterschiedlichen Formen des Renommees in Beziehung zueinander, aber auch zu den globalisierten Austragungsorten und -kontexten mit ihren jeweiligen Erwartungen und Bedingungen sowie den verschiedenen in die kuratorische Konstellation eingebundenen Materialien. So wie ihr Einsatz in verschiedenen gesellschaftlichen Feldern die jeweiligen Kategorien des Glaubens, der geteilten Wahrnehmungs- und Bewertungskategorien freilegt, auf deren Basis die Anerkennung verliehen wird und die Nobilitierung, aber auch die Diskreditierung erfolgt, nehmen sie teil an der Gestaltung der Relationen innerhalb einer kuratorischen Situation. Die Kuratorin, den Kurator zu kuratieren bedeutet somit, den Fokus von der Subjektposition auf eine Handlungsweise zu verschieben, die weniger auf quantitative Verknüpfung als auf qualitative Ausformulierung kontinuierlich entstehender Verhältnisse im Sinne eines selbstreflexiven Kritikbegriffs besteht.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um eine erweiterte und leicht veränderte Fassung des Textes „Curating Curators“, der zuerst in Texte zur Kunst, Heft 86, Juni 2012, S. 43–61, veröffentlicht wurde.

33


Beatrice von Bismarck

Curating Curators

Beatrice von Bismarck, born 1959, lives in Leipzig and Berlin and is a professor at the Academy of Visual Arts Leipzig for Art History and Visual Culture (HGB). 1989–1993: Städel Museum, Frankfurt/Main, curator of twentieth-century art. 1993–1999: Leuphana University Lüneburg, cofounder and co-director of the project-space “Kunstraum der Universität Lüneburg.” 2000: co-founder of the project-space “/D/O/C/K-Projektbereich” at the Academy of Visual Arts Leipzig and initiator of the study program “Cultures of the Curatorial.” 2003–2011: vice-director of the Academy of Visual Arts Leipzig.

34


“d documenta – konferenz auf dem weg zur documenta 13” (conference on the way to documenta 13) was the title of a conference held at Castello di Rivoli in Turin on September 18 and 19, 2009. On the invitation of the appointed director of documenta 13, Carolyn Christov-Bakargiev, and supported by the Goethe-Institut Turin and the Institut für Auslandsbeziehungen (Institute for Foreign Cultural Relations, ifa), all living documenta directors (and, if they had already passed away, their former colleagues or contemporary witnesses) convened for an exchange in the form of lectures. Ranging from Heiner Georgsdorf, speaker of the board of trustees of the ArnoldBode Foundation and a close friend of the documenta founder, to art historian and documenta chronicler Walter Grasskamp; from Jean-Christophe Ammann, member of Harald Szeemann’s work group for documenta 5, to the previous directors since 1977, Manfred Schneckenburger, Rudi Fuchs, Jan Hoet, Catherine David, Okwui Enwezor, and Roger M. Buergel—all participants were asked to present and, if necessary, revise “their” largescale shows.1 This concept brings to bear an event format that in the past twenty or more years has gained a certain dominance in dealing with curatorial issues: the sequence of individualized, first-hand reports with a celebrity touch. Curators appear on behalf of the participating artists and everyone else involved, attaining the status of authors of the exhibitions they are in charge of and, what is more, interpreting them themselves. The historical background against which this focus on the curators has emerged may

have originally been one that reflects on the institutions. Two events initiated in 1992–93 may be considered representative of such contextoriented thematic explorations: first of all, the “A New Spirit in Curating?” conference that Ute Meta Bauer organized at Künstlerhaus Stuttgart in 1992 and the curated by exhibition series initiated by Christian Meyer at Heiligenkreuzerhof in Vienna, the former exhibition venue of the University of Applied Arts Vienna.2 Both concepts intended to draw attention to the fact that exhibitions are not simply neutral display tools at the service of the art they present, but that they contribute to endowing art and culture with meaning. In this respect, the role of the

__________ 1

See http://www.artdaily.com/index.asp?int_sec= 11&int_new=31859&int_modo=2 (accessed May 16, 2012).

2

Ute Meta Bauer, artistic director of the Künstlerhaus Stuttgart, invited Liam Gillick, John Miller, Helmut Draxler, Laura Cottingham, Frank Perrin, and HansUlrich Obrist, among others, to the conference “A New Spirit in Curating?” See also Ute Meta Bauer, ed., Meta 2: A New Spirit in Curating? (Stuttgart: Künstlerhaus, 1992). The four exhibition projects presented by Christian Meyer (Galerie Metropol) include: Live in your Head, January 9 to February 12, 1993, curated by Robert Nickas; Travelogue, Reisetagebuch, February 25 to March 27, 1993, curated by Jackie McAllister; Future Perfect, April 7 to May 15, 1993, curated by Dan Cameron; Das Bild der Ausstellung, May 27 to July 17, 1993, curated by Markus Brüderlin.

35


Beatrice von Bismarck | Curating Curators

curator was explored, but also possible professional legitimation and disciplinary correlation, the curator’s position in relationship to other players in the art world, the different conceptions of practice, as well as attributed or assumed power.3 The four exhibitions in Vienna were each quintessentially understood, in the sense of urgent expression, to offer a subjectivized curatorial perspective. Financially supported by federal curator Robert Fleck,4 they lent themselves to interpretation as attempts to offensively counter the critique (as first arose in the 1970s) of the dominant definitional power of the curator, especially when it comes to group exhibitions, by focusing on the conditions and potential of exhibitions in and of themselves. Instead of viewing exhibitions as engaging in competition with artistic works, it sounds more as if they were being treated as an equal cultural medium. As Markus Brüderlin noted, the objective in contrasting the four exhibitions was to once again put the role of the curator up for discussion.5 Here the format “exhibition” itself was used as a vehicle: whereas Robert Nickas, with his Live in Your Head, spanned a historical axis to the legendary show of Harald Szeemann’s When Attitudes Become Form—the exhibition that established the curatorial stance upon which Szeemann built his reputation and his working approach as a freelance curator—the two following presentations burst the temporal conventions of the exhibition medium. In Travelogue, Reisetagebuch, Jackie McAllister underscored the processuality and mobility of artistic practice, while Future Perfect, curated by Dan Cameron, allowed perspectives of future and past to intermingle. The last contribition 36

to the series, Markus Brüderlin’s Das Bild der Ausstellung, was conceived as a substitute exhibition,6 an exhibition of exhibitions that for its part integrated the preceding three exhibitions into the vantage point assumed here. The catalogue accordingly revolves around the conditions under which various players collaborate to create an exhibition, but also around the audience, the art institution, and most especially the artists themselves, who turn this thematic exploration into an exhibitable sight.7 Looking back into history, these formats testified to the conveyance of sociological field theory, especially the theories put forth by Pierre Bourdieu,8 whereby the various players—both individuals and institutions—are understood to be involved in dynamic, relational processes of positioning. In the end, however, such event formats demonstrated a shift in attention, giving curators priority over art, the artists, and the exhibitions that garnered significance only as works of their organizers. They thus contributed to forming a subject position in the field of art that since then has won outstanding status. A subject position that vis-à-vis other positions, such as that of the critic or theorist, has gained in importance and entered into a competitive relationship to the artists themselves in the discursive field. This is the reason for debates on the question of which role in the art field is at the service of whom, for the polemics on “art without artists,” for the defense scenarios seeking to protect artists against monopolizing curators who act according to their own logic, for the provocatively catalyzing question of whether artists and not curators should curate the documenta


in the future, for the strategies of refusal, appropriation, and transgression with which artists respond to the curators’ area of work—in short, the reason for the entire repertory of debate, not seldom based on emotionalized, professional alliances, addressing the claim to subjectivities, the power to endow meaning, creativity, and the social privileges of authorship.9 Instead of continuing to define curators in their binary antagonism to artists, what I would like to do in the following is to question their specific scope of action in the art field in light of the special status they have attained in the past twenty years. It must be noted, however,

that the heightened recognition does not equally apply to all curators but is mainly reserved to those who work as “freelance curators” or are at least to a certain extent independent of institutions, and that among those curators only a few—Harald Szeemann or Hans-Ulrich Obrist—have attained the kind of celebrity status traditionally reserved for artists.10 Yet it cannot be denied that precisely this exceptional, albeit rare, social status has contributed to the attractiveness of “curator” as a profession, as it manifests itself worldwide in the establishment of “curatorial studies” programs. Since I myself am involved in developing such a program,11

__________ 3

In the order mentioned, see: Liam Gillick, “The Bible, the Complete Works of Shakespeare and a Luxury Item,” Helmut Draxler, “Der Institutionelle Diskurs,” Frank Perrin, “Minimal Curating,” Hans-Ulrich Obrist, “Deltacurating,” in Bauer, Meta 2: A New Spirit in Curating?, pp. 5–8, 17–18, 42–45, and 46–51.

4

See the curatorial report by Robert Fleck from the year 1993, pp. 204–5: http://www.bmukk.gv.at/ medienpool/18437/kunstbericht1993_194_213.pdf (accessed August 10, 2012).

5

Markus Brüderlin, “On the Exhibition,” in The Image of the Exhibition, ed. University of Applied Arts Vienna, Institute for Museology (Vienna: Hochschule für Angewandte Kunst, 1993), pp. 7–9, esp. p. 7.

6

Ibid.

7

On the contributions to the catalogue, see for instance: Markus Brüderlin, “The Image of the Exhibition and the Ruse of the Image,” Wolfgang Kemp, “Understanding Art in the Ages of Its Institutionalization,” Ulf Wuggenig and Vera Kockot, “Sociology of the Audience,” in ibid., pp. 36–53, 54–67, and 82–90.

8

See Brüderlin, “On the Exhibition,” p. 7.

9

See, for example, Anton Vidokle, “Art Without Artists?” in e-flux journal 16 (May 2010); Susan Hiller and Sarah Martin, eds., The Producers: Contemporary Curators in Conversation (Newcastle: BALTIC Centre for Contemporary Art, 2000); Jens Hoffmann, The Next Documenta Should Be Curated by an Artist (Frankfurt am Main: Revolver, 2004).

10

I have gone into more detail on the celebrity status of Harald Szeemann elsewhere. See Beatrice von Bismarck, “Celebrity Shifts: Curators, Individuals and Collectives,” in Look at Me: Celebrity Culture at The Venice Art Biennale, ed. Mona Schieren and Andrea Sick (Nuremberg: Verlag für moderne Kunst, 2011), pp. 180–91.

11

At the Academy of Visual Arts Leipzig (HGB), there has been a postgraduate Master’s program in place titled “Cultures of the Curatorial” since October 2009; see: www.kdk-leipzig.de.

37


Beatrice von Bismarck | Curating Curators

the background of the following is formed not least by the question of what the form of subjectivization in the curatorial field might look like if it were not limited to establishing an individualized signature of exhibiting, the formation of globalized networks, or the highest possible public visibility. In other words, what options does the special status of the role of the “curator” have to offer for curatorial action if it is understood as symbolic capital in the sense of Pierre Bourdieu, as a “capital of recognition” that allows the person to whom it is attributed to have a symbolic impact within a group possessing the same categories of perception and evaluation?12 Setting this perspective is ultimately meant to shift the focus from the profession of curator to the aspect of “curating” as an activity and to treat the connection of both terms to each other as a possible but not necessary option within the field of negotiations and struggles for participating in the endowment of meaning. Regarding both its historical genesis and contemporary manifestations, the curatorial field proves to be one in which demands are raised by the most varied professions. When first taking a look at curating apart from the profession, it can be described as a mode of action in the curatorial field, which includes techniques, methods, and skills aimed at making art and culture public. Under the conditions of presentationality, curating integrates the compilation of subjects, objects, places, and information, as well as the determination of their interrelations. In this respect, it comprises a broad range of possible activities that clearly goes beyond the original meaning of the Latin word curare, in the sense 38

of looking after and preserving, to increasingly bring the aspect of mediation to the fore. Administrative and organizational activities are tightly interwoven with creative and interpretative ones; the skills of selecting, sequencing, and presenting are aesthetically but also socially or economically conditioned. The activity of curating maneuvers at the threshold of publicity and blurs the distinction between an artistic exhibit, which also displays itself as “something,”13 and an exhibition as an artwork, which always also visibly presents itself via the exhibits. From this threshold, curatorial action possesses a selfreflexive, process-oriented potential that places that which is compiled in a state of becoming. Who takes part from which position in the process of presentation and self-presentation of the appearance of art is based on decisions and negotiations among the different players in the field. They gain their profile and orientation in relation to respective social standards and developments. Looking back in history, one can see that the origin of curatorial authority is closely tied to the formation of basically mediating institutional and professional structures in the art field, the way Cynthia and Harrison White described them in their seminal study from 1965 on the development of French art institutions in the nineteenth century as a “dealercritic system.”14 Over the course of the nineteenth century, curatorial work developed into a profile-creating activity for museum directors and staff who from the very start shared this area with gallerists, dealers, and especially artists. The formats for presenting art developed and changed accordingly until well into the twentieth century, quite naturally involv-


ing various professional roles. Artists such as Thomas Gainsborough, Gustave Courbet, Marcel Duchamp, and Edward Steichen; gallerists such as Paul Durand-Ruel and Herwarth Walden; and museum directors including Charles Eastlake, Alexander Dorner, and Alfred Barr all contributed in different ways to expanding, shifting, and reformulating the possibilities of art’s encounter with the public. That the activities connected to the publicity of art are predominantly carried out by the profession of the curator, and that such a profession emerged and became prominent in the first place, is owed considerably to two development stages of the art field that evolved in the second half of the twentieth century. The first unfolded in the wake of the growth of the art world in the 1960s, with the strongly expanding art market accompanied by a rapidly growing number of collecting and exhibiting art institutions, the increase in art magazines, the attendant increase in the need for professional staff, and the emergence of new professions. Among the latter was the independent curator—for whom Harald Szeemann is repeatedly mentioned as a prototype—but also professions within cultural institutions oriented toward education and mediation. But if curating is grasped as a cultural subfield15 geared to the conditions and potentials of presenting art, then what also commenced in the wake of these expansions and differentiations were the negotiations on who participates in which way and to what extent in the endowment of meaning as takes place in the process of publicity. The mutual crossing between the professionally designated fields of activities of artists, on the one

hand, and those of critics, art historians, art sociologists, or curators, on the other, is characteristic of the cultural forms of practice that developed in the 1960s. Regarding the question of exhibiting, the institution-critical strategies of a Marcel Broodthaers, Daniel Buren, or Lawrence Weiner exemplarily mark the artistic appropriations of publicity practices, which in the assignment of tasks had until then been predominantly meant for curators. On the other hand, the curatorial experiments of Lucy R. Lippard, Lawrence Alloway, Marcia Tucker, Seth Siegelaub, Germano Celant, and also Szeemann were directed toward the designs of the exhibition format bearing the character of an (artistic) work. As a countermovement to the differentiation of the field, a “de-differentiation,” if you will, took place not only of the arts but also of the professional division of labor—ulti-

__________ 12 Pierre Bourdieu, Practical Reason: On the Theory of Action (Stanford: Stanford University Press, 1998), p. 111. 13 See Martin Seel, Die Ästhetik des Erscheinens (Munich: Carl Hanser Verlag, 2000), p. 176. 14 Harrison C. White and Cynthia A. White, Canvases and Careers: Institutional Change in the French Painting World (Chicago and London: University of Chicago Press, 1965). 15 On the concept of field according to Pierre Bourdieu, see Pierre Bourdieu and Loïc J. Wacquant, An Invitation to Reflexive Sociology (Chicago: University of Chicago Press, 1992).

39


Beatrice von Bismarck | Curating Curators

mately a productive competition for the claim to creativity, authorship, and the privileges associated with them. Throughout this competition, the exhibition as the traditional medium for the publicity of art detached itself from both its institutional ties and its traditional spatiotemporal structures. Events in public space, catalogues, invitation cards, or interviews—developed by artists as well as curators—established themselves as curatorial publication formats on a par with the presentation in institutional exhibition spaces.16 The mutual adoption of tasks and methods determining the mode of publicity were ultimately aimed at partaking in the creation of attention that lent the respective institution-critical orientation resonance and effectiveness and helped grant recognition to artistic positions. With the second stage in the development of the art field having to do with defining the status of the “curator,” this strategy of assertion can then mainly be found embedded in the diverse marketing approaches that emerged in response to the demands of globalization. Supported by the mobilization of persons, goods, and information, and the global expansion of the markets, “biennialization,” in particular, became a symptom of the exhibition business,17 to which the subject position of the internationally acknowledged curator fit quite well in terms of synergy. As an authority qualified and accredited through the reputation of his or her name, the curator can take charge of sounding out, selecting, and bundling individual artistic positions in an otherwise confusing art world. The competences of networking attributed to the curator make him or her the guarantor of success 40

in exhibition projects seeking international recognition, regardless of the venue or place of origin. Organizers can latch on to the curators’ reputations to ennoble their own locality without even having to mention the features or qualities of what will or has been shown. Instead of acting (as in the 1960s and 1970s) as propagators and defenders, but also co-developers of specific aesthetic and sociopolitical reorientations in art, curators since the early 1990s often find themselves in the role of traveling salespersons, implementing the event format “exhibition” in the sense of exporting Western cultural concepts, and at the service of economization structures of the global art trade, of tourism and city marketing. In the process, the form of subjectivization proves to be hybrid: on the one hand, the position of the curator exemplifies the visibility derived from successfully realizing a “project,” as Luc Boltanski and Ève Chiapello described it for the “project-based polis.” Here, the activities of curating bundle the features of “immaterial labor” and simultaneously acquire the precarious working conditions that not seldom come with such post-Fordist forms of labor.18 But on the other hand, the curator’s subject position—in his or her enjoyment of authorial privileges that are otherwise conceded foremost to artists—simultaneously reverts to a modernist attribution of individuality and originality. The attractiveness that the position of the curator also possesses for the neighboring disciplines of dance and theater is derived—beyond the collective and temporalized structures that set exhibition and performance in relation to each other—not least from the potential of stepping out of the invisi-


bility of mediating roles. The celebrity status, which in this manner has passed on to the role of the “curator,” offers this role for professional appropriations in the broader cultural field and ties it into identity-forging processes in globalized cultural transfer.19 Precisely this two-track accumulation of symbolic capital—as the ideal embodiment of postFordist competences and procedures, on the one hand, and its participation in the extraordinary status of the artist, on the other—is what triggers artists’ criticism of curators, with which

the mentioned claims to subjectivization, the power to endow meaning, creativity, and the social privileges of authorship, become concrete. As Daniel Buren already faulted in 1972, this criticism complains that they, the artists, are now merely spots of color in the artwork of curators, who in turn are actually imitators of artistic practice, as Buren stated again thirty years later;20 that artists have lost sight of their true task, namely, to create artworks;21 that selection has replaced creation;22 and that curators are taking on the role of co-authors, if not

__________ 16 For more details on the relation of the artists surrounding Seth Siegelaub to publicity strategies and formats, see Alexander Alberro, Conceptual Art and the Politics of Publicity (Cambridge, MA, and London: MIT Press, 2003). 17 Discourse is dedicated to this phenomenon in Elena Filipovic, Mareike van Hal, and Solveig Øvstebø, eds., The Biennial Reader: An Anthology on Large-Scale Perennial Exhibitions of Contemporary Art (Ostfildern and Bergen: Hatje Cantz, 2010). 18 See Luc Boltanki and Ève Chiapello, The New Spirit of Capitalism (London and New York: Verso, 2005); Toni Negri, Maurizio Lazzarato, and Paolo Virno, Umherschweifende Produzenten: Immaterielle Arbeit und Subversion (Berlin: ID Verlag, 1998); and, applied to the curatorial field, Beatrice von Bismarck, “Kuratorisches Handeln: Immaterielle Arbeit zwischen Kunst und Managementmodellen,” in Norm der Abweichung, ed. Marion von Osten (Zurich et al.: Springer Verlag, 2003), pp. 81–89.

19 See Carlo Michael Sommer, “Stars als Mittel der Identitätskonstruktion: Überlegungen zum Phänomen des Star-Kults aus sozialpsychologischer Sicht,” in Der Star: Geschichte – Rezeption – Bedeutung, ed. Werner Faulstich and Helmut Korte (Munich: Wilhelm Fink Verlag, 1997), pp. 114–24; and Peter Ludes, “Aufstieg und Niedergang des Stars als Teilprozess der Menschheitsentwicklung,” in ibid., pp. 78–98. 20 Daniel Buren, “Ausstellung einer Ausstellung,” in documenta 5, exh. cat. Museum Fridericianum and Neue Galerie (Kassel: documenta, 1972), pp. 17–29; and Daniel Buren, “Where are the Artists,” in Hoffmann, The Next Documenta, pp. 26–31. 21 Hiller and Martin, The Producers, p. 14. 22 See Martha Rosler, “Someone Say…,” in Hoffmann, The Next Documenta, pp. 66–67.

41


Beatrice von Bismarck | Curating Curators

sole authors, in relation to the artists, becoming “meta-artists” and limiting the sovereignty of artists and their critical potential from a position of power supported by greater economic security.23 While such accusations do attack the symbolic capital attributed to curators, and in doing so confirm and highlight it in the first place, other artists take into account the social dynamism inherent to the art field, with which curators have positioned themselves within the professional and institutional changes of post-Fordism in the past twenty years.24 Their point of departure is the productivity unleashed by the abolition of predetermined roles and the multiplication of voices in curatorial processes. Both stances express the disposition of the curatorial field structured by positioning processes, but the latter grasps this disposition as fruitful in a specific way. For as an activity that establishes and shapes connections, curatorial work, if it is self-reflexive, can be directed toward those positions from which it is conducted. Collectively structured, it sets not only a number of individuals with different professional and disciplinary backgrounds, competences, and interests in relation to each other, but also the attendant tasks, objects, spaces, and information that are part of the respective format of publicity. The types of capital tied to the people, tasks, objects, spaces, and information—whether they are economic, social, cultural, or symbolic, to once more follow Pierre Bourdieu’s differentiation—participate in the dynamic shaping of these relations, which enables and forms curatorial action but in which it is also involved. Curatorial action can contribute in a decisive 42

way to establishing, defining, and employing a subject position. In the context of the rhetoric of contemporary labor conditions pressing for collaboration, this potential gains an even higher profile, because there are signs of a shift in the field’s negotiating processes. While in the 1960s and 1970s, mutual assuming tasks and roles took place primarily between individuals, artists, and curators, the trend toward teams or groups of curators that began in the mid-1990s seems intent on abolishing this earlier professional competition through involvement. From the teams of the Manifesta starting with the first show in 1996 until today to the first Berlin Bienniale (1998) by Hans-Ulrich Obrist, Klaus Biesenbach, and Nancy Spector; the 6th Caribbean Biennial (1999) by Jens Hoffmann and Maurizio Cattelan to Okwui Enwezor’s documenta 11 (2002) in Kassel; Francesco Bonami’s 50th Biennale di Venezia (2003), and the Utopia Station exhibition by Molly Nesbit, Hans-Ulrich Obrist, and Rirkrit Tiravanija that began there, all the way to the Istanbul Biennale 2009 directed by WHW—directorial teams with members of various professional groups have established themselves as the basic model for large-scale exhibitions in the past fifteen years. Only seemingly does the question of the authorship of exhibitions recede to the background behind the questions of “what, how, and for whom.”25 Rather, the connection of artists, curators, and scholars in each instance develops clearly different manifestations of collectivity regarding function, employment of the respective types of capital, and content-related orientation, which the subjectivization form of “curator” in turn utilizes in different ways. For the


examples mentioned above, we must distinguish between temporary, occasion- or project-based forms of collaboration, and groups or collectives. Alliances motivated by a specific event—like Hoffmann’s cooperation with Cattelan and Bonami’s distribution of curatorial responsibility to a number of curators and teams of curators in Venice—are a continuation of the type of teams or “project”-based cooperation that had increasingly emerged since the 1970s in artistic as well as educational and economic contexts. It relies on the synergy effects of bundled expertise, varied methods and procedures, and not least on the multiplication of already existing symbolic capital, in whose growth the team members also participate after their cooperation has ended. Collectives, in turn, that are curatorially and artistically active in a recurring formation and under a common name—like WHW for their first jointly organized show in Zagreb in 2000, their exhibiting participation in Collective Creativity at the Kunsthalle Fridericianum in Kassel in 2005, and the curatorial direction of the Istanbul Biennale 2009, or also the Raqs Media Collective for their artistic participation in the documenta 11 in Kassel or the curatorial conception of the Bolzano section of the seventh Manifesta The Rest of Now in 2007—make names for themselves as groups with auctorial qualities and privileges, acting in their collective role reversals between curatorial and artistic appearances in a way comparable to the individualized, reciprocal adoption between curators and artists in the 1960s and 1970s. Ostensibly, both variants of cooperative structures fulfill the post-Fordist requirement of collective project-like work, but the un-

derstanding of curatorial work and the associated content-related aims differ. In one case, the exhibition is based on a model of division of labor; in the other, it is based on competences, no longer individually clearly attributable, with an orientation that is either more artistic or more curatorial. What in the first case entails multiprofessional security and a broadening of perspectives is in the other a form of making the conceptual orientation more pointed. Finally, a third form of curatorial collectivity integrates the question of the symbolic capital of the curator’s role in a structural manner and thus exposes the recognition-attributions themselves. It curates the position of the curator. The focus is on speaker positions that continuously shift in relation to the assumed tasks and professional affiliations depending on the context. Both from project to project and within one project, they alternate between the roles of curator

__________ 23 See Vidokle, “Art Without Artists?” 24 See Morgan Fisher, “Documenta, a Show of Shows,” and Liam Gillick, “Untitled Statement,” in Hoffmann, The Next Documenta, pp. 34–37 and 38–39. 25

In the curatorial approach, Magali Arriola sees the possibility of having the question of authorship at least temporarily disappear; see: “Towards a Ghostly Agency: A Few Speculations on Collaborative and Collective Curating,” in MJ. Manifesta Journal. Journal of Contemporary Curatorship 8 (2009–2010), p. 31.

43


Beatrice von Bismarck | Curating Curators

and artist, but also take on roles from other social fields such as that of the moderator, critic, actor/actress, interviewee, activist, teacher, director, producer, designer, documentarian, or ethnographer. Within this range of curatorial activities, these approaches rely on using and playing off against each other the social value attributions—fame, reputation, status—with the rules according to which they are distributed in various professional fields. Each with a different social organization structure and different sociopolitical accentuations, the practice forms of Maria Lind or Marion von Osten, for example, process their own role and the roles of others involved in their projects, putting the presuppositions and preconditions of these roles as well as the social hierarchies, power structures, and economic conditions connected to them up for consideration. In the constellation constituting their projects, they determine the curator’s relations to all other actors and agents. They thus identify this position not only as temporary and shapeable; they also alter the operative potential of the symbolic capital attributed to this role. In this respect, its constitution and effects depend on the rules and conditions within the respective field, which themselves are represented therein, as it were. Breaking the connection between the curator’s role and the tasks that curating can consist of, a connection which in the past fifty years has been repeatedly naturalized, allows exposing the symbolic capitalizations associated with them. Thus, in addition to the activities and professional roles, the various forms of reputation are also set in relation to each other, as are the globalized exhibition venues and contexts with their 44

respective expectations and conditions, as well as the different materials involved in the curatorial constellation. To the extent to which their utilization in different social fields exposes the respective categories of belief, the shared categories of perception and evaluation, on the basis of which recognition is granted, and ennobling or discrediting takes place, they participate in shaping the relations within a curatorial situation. Therefore, curating the curator means shifting the focus from the subject position to a mode of action that insists less on quantitative linking than on the qualitative formulation of continuously emerging relations in the sense of a selfreflexive concept of critique.

“Curating Curators” was originally published in the journal Texte zur Kunst 22, no. 86 (June 2012), pp. 42–61. It has been revised and expanded for the publication at hand.



Isolde Charim

Homo oeconomicus?

Isolde Charim, geboren 1959 in Wien, langjährige Lehrtätigkeit an der philosophischen Fakultät der Universität Wien, arbeitet als freie Publizistin und taz taz-Kolumnistin (2006 Publizistik-Preis der Stadt Wien) sowie als wissenschaftliche Kuratorin der Reihen Diaspora. Erkundungen eines Lebensmodells und Demokratie reloaded am Kreisky Forum. Gerade erschienen: Lebensmodell Diaspora. Über moderne Nomaden (transcript Verlag, Bielefeld).

46


Es ist vielleicht kein Zufall, dass derzeit Theorien Konjunktur haben, die in den späten 1970er-Jahren entwickelt wurden. Gerade im Moment der Krise tauchen Konzepte wieder auf, die noch vor dem Boom der 1980er- und 1990er-Jahre, also vor dem Siegeszug des Neoliberalismus, entstanden. Konzepte, die sich nachträglich nicht nur als prophetisch erwiesen haben, sondern auch und gerade heute wertvolle Erkenntnisressourcen sind. In diesem Sinne ist es kein Zufall, dass wir heute wieder von „Biomacht“ sprechen. Michel Foucault hat den Begriff der „Biomacht“ für eine neue Art von Macht entwickelt, die neben, unter, über – jedenfalls zusätzlich zu den bekannten Arten von Machtausübung entstanden ist. Biomacht ist Lebensmacht im doppelten Sinn: Leben ist sowohl ihr Gegenstand als auch ihre Funktionsweise – also die Art, wie sie sich auf ihren Gegenstand bezieht. Denn die Lebensmacht funktioniert darüber, dass sie die Kräfte ihres Objekts, die Kräfte der Individuen, eben nicht hemmt, nicht beugt, nicht vernichtet, nicht unterdrückt, sondern sie vielmehr hervorbringt, steigert, befördert. Die Lebensmacht ist belebend. Sie ist keine repressive, sondern eine produktive Macht. Sie bezieht sich dabei auf alle Kräfte: Ihr Objekt ist das Individuum als arbeitendes, als produzierendes, als Leben spendendes, als genießendes Wesen – kurzum als lebendes Individuum in seiner ganzen Bandbreite. Wobei Leben zugleich unbestimmt und bestimmt ist. Unbestimmt ist es insofern, als der Bereich, den dieser Lebensbegriff umfasst, dehnbar ist und etwa auch das Glück, das „Etwas-mehr-als-nur-

leben“1, einbegreift. Bestimmt ist es aber insofern, als seine Parameter die biologischen Tatsachen sind und es sich damit jedem emphatischen oder vitalistischen Lebensbegriff verweigert. Diese Lebensmacht bezieht sich, so Foucault, auf die Bevölkerung – also weder auf die Nation noch auf Untertanen, sondern vielmehr auf Bevölkerung als Gesamtheit einzelner Lebewesen. Die Bevölkerung ist keine natürliche Gegebenheit, sondern wird von der Biomacht als eine solche Gesamtheit erst konstruiert. Diese Konstruktion der Bevölkerung hat eine doppelte Stoßrichtung. Zum einen funktioniert sie über die verschiedensten Kontrolltechniken, von landwirtschaftlichen Techniken über Statistiken bis hin zu Hygienevorschriften – also über die Rationalisierung der Beobachtungen, über die messbare und darüber lenkbare Erfassung großer Gruppen. Zum anderen aber funktioniert die Lebensmacht über den Zugriff auf die einzelnen Individuen nach dem Modell des christlichen Pastorats – so Foucaults berühmte Entdeckung. Die Besonderheit der Biomacht liegt nicht nur in ihrem speziellen Objekt, sondern auch in dem speziellen Zugang, den sie zu diesem Objekt hat. Biomacht ist eine Macht, die weder über Zwang noch über Ideologie ausgeübt wird. Sie funktioniert weder über Befehle, die Gehorsam erfordern, noch über Moral, die Überzeugungen braucht. Der Zugriff der Biomacht auf den Einzelnen ist vielmehr – nach dem christli__________ 1

Michel Foucault: Geschichte der Gouvernementalität I. Sicherheit, Territorium, Bevölkerung, Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main 2004, S. 470.

47


Isolde Charim | Homo oeconomicus?

chen Vorbild – jener einer Anleitung zur Lebensführung, jener eines „permanenten Eingreifens beim täglichen Verhalten“2. Das geschieht nicht von außen, sondern durch Selbsttechniken, wie Foucault das Set von Praktiken nennt, durch die das Individuum als „Buchhalter seiner selbst“3 sein tägliches Leben reguliert, ordnet und beobachtet, mit der Intention, es zu verbessern, zu steigern, zu intensivieren. Die Biomacht ist also nicht begrenzend, sondern regulierend. Und sie befindet sich jenseits der Unterscheidung zwischen Fremd- und Selbstregierung. Dieses zentrale Moment ist ein verbreitetes Thema in der politischen Theorie der Zeit, das Thema der freiwilligen Unterwerfung. Dazu braucht es eben eine produktive Macht, eine Macht, die selbst Subjektivitätsformen hervorbringt. Und die Subjektivität, die die Biomacht erzeugt, ist jene, „auf der der moderne Staat und die kapitalistische Gesellschaft auf aufbauten“4. Die Selbsttechniken können also an Regierungsziele angekoppelt werden. Wie aber hat es das christliche Pastorat – eine Führungstechnik, die vom Klosterleben bis zur Beichte über Jahrhunderte entwickelt wurde – zum Modell der Regierungstechnik im Spätkapitalismus gebracht? Entscheidend für diese Entwicklung war der Liberalismus, insbesondere sein Begriff des Humankapitals. Die politische Ökonomie des Liberalismus hat sich dem Faktor Arbeit in seiner ganzen Bandbreite, also auch einer umfassenden Vorstellung der Arbeitskraft, zugewandt. Was dabei in den Blick geriet, war die Arbeitskraft als gesamte Person. Aufgrund der liberalen Ausdehnung des Ökonomischen auf alle Lebensbereiche, das heißt der neoliberalen Verabso48

lutierung des ökonomischen Rasters zum allgemeinen Analysemodell, das alles in ökonomischen Begriffen interpretiert, wird diese, also die Arbeitskraft als gesamte Person, in Humankapital „übersetzt“. Als Humankapital, als menschliches Kapital, sind wir „Kompetenzmaschinen, die Einkommen produzieren“5. Dies war die Rückkehr, die Wiederentdeckung des Homo oeconomicus durch die politische Ökonomie. Während aber der Homo oeconomicus im klassischen Verständnis das tauschende Subjekt war, also das Subjekt, insofern es Handel betreibt, so ist der Homo oeconomicus in seiner neoliberalen Interpretation das Modell für jeden sozialen Akteur, insofern er Unternehmer ist. Wobei Unternehmertum nicht mehr einen Erwerbsstatus anzeigt, sondern „eine Lebenseinstellung“6. So ist auch der Arbeiter, so sind wir alle „Unternehmer unserer selbst“7. Und als solche gilt es – eingedenk der ökonomischen Kolonisierung aller Lebensbereiche –, in dieses Unternehmen zu investieren: Es braucht Investitionen in Elemente, die das Humankapital verbessern, Investitionen also in Pflege, Medizin, Hygiene, bis hin zur Zuwendung, Investitionen ins Leben also. Da ist das Leben, das die Biomacht im Blick hat: Leben als lebendige, als aktive, als produzierende Kraft. Und Steigerung, Intensivierung des Lebens bedeutet Verbesserung der Kräfte, Erhöhung des Humankapitals. In diesem Sinne ist der Imperativ der Biomacht, Lebensoptimierung, zu verstehen. Das Element, über das dieser selbst laufende Motor des Individuums funktioniert, der entscheidende Handlungsantrieb des


Homo oeconomicus, ist die Begierde. Im klassischen Diskurs liegt der Begierde die Selbstliebe zugrunde, der politisch-ökonomische Diskurs übersetzt diese in Interesse, das Streben nach dem eigenen Vorteil. Und wenn der Neoliberalismus eine wirkmächtige Ressource entdeckt hat, dann ist es das Interesse. Man muss sich vorstellen, was es für eine Gesellschaft bedeutet, wenn nicht mehr Tugenden für das Gemeinwohl gefordert sind, sondern es eingedenk von Adam Smiths „unsichtbarer Hand des Marktes“ nur notwendig ist, das Eigeninteresse möglichst nicht zu behindern, um – „wie von unsichtbarer Hand gelenkt“ – eine brummende Maschine, einen funktionierenden Gesamtprozess des Ökonomischen zu erhalten. Eine Maschine, die vor einigen Jahren ins Stottern geraten ist. Aber das war aus neoliberaler Perspektive nicht vorgesehen. Vorgesehen war, das Eigeninteresse als zentrale ökonomische und gesellschaftliche Ressource zu postulieren, eine Ressource, die sich möglichst ungehindert entfalten soll – ohne Eingrenzung der Selbstliebe, ohne Hindernis für das Interesse. Damit sich das Interesse ungebremst entfalten kann, darf es – so das liberale Postulat – von keiner Macht eingeschränkt werden. „Unsichtbare Hand des Marktes“ heißt demnach Absage an politische Projekte des Eingriffs, der Regulierung des Ökonomischen in allen Bereichen – also auch im Subjekt. Das aber heißt, Absage an Moral als subjektregulierendes Prinzip. An ihre Stelle tritt eben die pastorale Lenkung durch die Biomacht. Selbsttechniken und Biomacht konvergieren darin, das Interesse (ebenso wie das Produkt) zu steigern. Das neoliberale Subjekt

ist „der Partner einer Regierung, deren Regel das Laisse[r]-faire ist“8 – eine Regel, die aber nicht Freiheit bedeutet, sondern eben Regieren durch Lenken. Laisser-faire, Gewährenlassen, ist somit eine Regierungstechnik, ein Modus der Lenkung der Subjekte, der – wie eingangs erwähnt – einen anderen, einen indirekten Zugriff auf das Subjekt hat. Dazu braucht es eine „genügsame Regierung“9, eine Regierung, die nur spärlich eingreift, ein Regime, das durch Freiheit regiert. Das funktioniert aber nur, wenn das Subjekt nicht mehr Außen, nicht mehr Gegenüber, nicht mehr Widerstandspunkt gegen eine entfremdende Macht ist. Das funktioniert nur, wenn die Subjektivität selbst – mit all ihren Attributen von Kreativität über Eigensinn bis hin zu Autonomie – als Humankapital zur

__________ 2

Ebd., S. 226.

3

Michel Foucault: Dits et Ecrits, Bd. IV, Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main 2005, S. 983.

4

Ulrich Bröckling, Susanne Krasmann und Thomas Lemke (Hg.): Gouvernementalität der Gegenwart, Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main 2000, S. 11.

5

Michel Foucault: Geschichte der Gouvernementalität II. Die Geburt der Biopolitik, Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main 2004, S. 319.

6

Bröckling et al., S. 155.

7

Ebd., S. 135.

8

Foucault: Geschichte II II, S. 371.

9

Ebd., S. 51.

49


Isolde Charim | Homo oeconomicus?

Ressource der Regierung, zur Ressource des ökonomischen Regimes wird. Dann bedeutet jede Steigerung der Subjektivität eine Vertiefung der Verstrickung; dann wird das, was uns befreit, zu dem, was uns unterwirft. Die Biomacht eröffnet einen „paradoxen Raum“10, wie Michel Pêcheux das genannt hat, einen Raum, der nach dem Judoprinzip wirkt: Er nutzt die Kräfte des Gegners, indem er sie einfach umwendet. Er verkehrt das, was gegen die Herrschaft gerichtet war, in ihr eigenes Instrument. So ist Autonomie nicht mehr subversiv, sondern ein Rationalisierungsinstrument, ebenso wie Selbstbestimmung, Verantwortung oder das Leben nach eigenem Entwurf zu gestalten Verinnerlichungen von Marktmechanismen sind. Selbstermächtigung wird zum Empowerment des neoliberalen Subjekts. Die in den Subjektivitätslabors der Kunst entwickelten Konzepte wurden im Neoliberalismus verzerrt realisiert. Das volle authentische Leben hat sich als ökonomisches Leben „verwirklicht“. Das totgesagte autonome Subjekt ist als selbst optimierte neoliberale Subjektivität wiederauferstanden. Und doch ist die Biomacht, ist der Neoliberalismus kein totalitärer Zusammenhang, auch wenn ihre Wirkmächtigkeit selbst in Krisenzeiten erstaunlich zählebig ist. Die Biomacht ist trotz ihres spezifischen Zugriffs auf das Subjekt, trotz der Verhaltensführung, nicht ausweglos – nur müssen für mögliche Auswege andere Begriffe ins Treffen geführt werden als jene, aus denen die Macht selbst sich speist, etwa Konzepte von Lebensintensität oder authentischer Erfahrung. Rebellionen gegen diese Art von Macht sind politische Rebellionen, 50

aber sie entsprechen nicht klassischen politischen Konzepten von Widerstand. So wie ökonomische Revolten gegen Ausbeutung andere Kämpfe sind als politische Rebellionen gegen Herrschaft, so ist auch die Auflehnung gegen eine Pastoralmacht eine eigene Form von Auf Auflehnung. Die Unterschiede ergeben sich nicht nur aus den verschiedenen Machtformen, gegen die sich der Widerstand richtet, sondern auch aus den verschiedenen Subjekttypen, die involviert sind. Bei Foucault finden sich in diesem Zusammenhang zwei Subjekttypen: das Rechtssubjekt und der Homo oeconomicus, die nebeneinander existieren. Das Rechtssubjekt, das Subjekt des Vertrags, ist das Subjekt des Politischen im klassischen Sinn. Es hat das „Prinzip der Übertragung akzeptiert“, es hat „einer Begrenzung seiner Rechte zugestimmt“11. Deshalb konstituieren Verzicht und Negativität diesen Subjekttypus. Der neoliberale Homo oeconomicus hingegen, das Interessensubjekt, gehorcht, so Foucault, einer ganz anderen Mechanik: Statt über die Abtretung von Rechten und über Verzicht funktioniert er über die egoistische Verfolgung seiner Interessen. „Der Markt und der Vertrag funktionieren auf genau entgegengesetzte Weise.“12 Durch die Verallgemeinerung des Marktmodells, durch die daraus folgende Umwertung, die das egoistische Interesse von seiner negativen Konnotation befreit hat, hat es der Homo oeconomicus zum vorherrschenden Subjekttypus gebracht. Wir alle sind weit mehr Homo oeconomicus, als wir glauben. Das aber heißt, dass der Raum des Politischen von Wirtschaftssubjekten bewohnt wird.


Wenn diese Subjekte einem anderen Machtregime angehören, wenn sie also anders regiert werden, sind auch ihre Revolten spezifisch. Foucault nennt ein solches Dissidententum „Verhaltensrevolten“. Verhaltensrevolten sind die Ablehnung von Verhaltensführung: Dies sind Bewegungen, „die eine andere Verhaltensführung zum Zielobjekt haben, das heißt Anders-geführt-werden-wollen“13. Verhaltensrevolte scheint eine ziemlich treffende Bezeichnung für jene Widerstandsformen, mit denen wir es heute zu tun haben: Von Occupy bis zu den Träumen von Liquid Democracy und selbst zum sogenannten Wutbürgertum handelt es sich um Verhaltensrevolten von Wirtschaftssubjekten, die eine Verhaltensführung ebenso ablehnen, wie sie sich der politischen Übertragung, dem politischen

Repräsentationsprinzip verweigern. Die gegenwärtige Krise der politischen Repräsentation ist unmittelbar an den Subjekttypus des Homo oeconomicus gebunden, dessen Prinzip gerade in der Ablehnung jeglicher Übertragung – was ja immer Verzicht und Eingrenzung des Ichs bedeutet – besteht. Die Revolten des Homo oeconomicus lehnen Repräsentation aber nicht nur im Bereich der Macht, sondern auch im Bereich der Revolten selbst ab. Wir haben es heute mit einem Aufbegehren zu tun, das versucht, jede Repräsentation zu umgehen und die Einzelnen als solche zu Wort kommen zu lassen. Es ist genau dieses Bedürfnis nach direkter Beteiligung, diese Utopie der „Vollpartizipation“, die die Revolten zu Verhaltensrevolten macht.

__________ 10 Michel Pêcheux: „Ideologie – Festung oder paradoxer Raum?“, in: Das Argument, Nr. 139, 1983, S. 379–389. 11 Foucault: Geschichte II II, S. 377. 12 Ebd., S. 379. 13 Foucault: Geschichte II, S. 282.

51


Isolde Charim

Homo Oeconomicus?

Isolde Charim, born 1959 in Vienna, spent many years teaching in the Faculty of Philosophy at the University of Vienna. She now works as a freelance journalist, taz columnist (awarded the City of Vienna’s Journalism Prize in 2006), and scholarly curator of the series Diaspora: Erkundungen eines Lebensmodells and Demokratie reloaded at the “Kreisky Forum.” Just published: Lebensmodell Diaspora: Über moderne Nomaden (transcript Verlag).

52


Perhaps it is no coincidence that theories from the late 1970s have once again attained relevance. Especially in such present moments of crisis, concepts reemerge that had first arisen prior to the boom of the 1980s and 1990s, hence prior to the triumphal prevalence of neoliberalism—concepts which, in retrospect, have proven presageful, but which also represent valuable resources for insight, especially today. In this sense, it is no coincidence that we are now again speaking of “biopower.” Michel Foucault coined the term “biopower” for a new type of power that is engendered next to, under, above—at any rate, above and beyond—the conventional ways power is exercised. Biopower is a vital power in a dual sense: life is both its subject and its functional principle, that is, the way biopower references its subject. For vital power operates without inhibiting, deflecting, crushing, or suppressing the power of its object, the power of individuals, but instead yields, enhances, and fosters this power. Vital power is en-livening. It is not a repressive power, but a productive one. Here biopower refers to all forces: its object is an individual in that it works, produces, spawns life, and enjoys—in short, the individual as a living individual in all its diversity. Life, in this context, may be said to be simultaneously determinate and indeterminate. Life is indeterminate in that the area encompassed by this life concept is malleable and for instance also involves something “more than just living.”1 But it is determinate insofar as its parameters reflect biological facts and it thus denies any emphatic or vitalistic life concept. According to Foucault, this vital force applies to the popu-

lation—so to neither the nation nor the subjects, but indeed to the population as the sum of all individual living beings. The population is not a given condition but is first established by biopower as this collectivity. This construction of the population has a twofold direction of impact. On the one hand, it functions by means of the most divergent control technologies, from agricultural engineering to statistics to hygiene regulations—so, by means of a rationalization of observations, or the measurable and thus guidable assessment of large groups. Yet on the other hand, this vital force functions by accessing the constituent individuals according to the model of the Christian pastorate—as Foucault so famously discovered. What makes biopower exceptional is not just its specific object, but rather also the special way it has of accessing this object. Biopower is a force that is exercised neither through coercion nor through ideology. It functions neither through commands that require obedience nor through morals that necessitate persuasion. The approach biopower takes in addressing the individual is rather—as aligned to a Christian paragon—that of offering guidance on living life, that of a “permanent intervention in everyday conduct (conduite).”2 This ensues not from the outside but rather through

__________ 1

Michel Foucault, Security, Territory, Population: Lectures at the Collège de France, 1977–1978, trans. Graham Burchell (Basingstoke and New York: Palgrave Macmillan, 2007), p. 327.

2

Ibid., p. 154.

53


Isolde Charim | Homo Oeconomicus?

techniques of the self,”3 as Foucault calls the practices used by the individual, as a bookkeeper of the self: regulating, structuring, and observing his daily life with the intention of improving, enhancing, and intensifying precisely this life. Therefore, biopower serves to regulate instead of to confine. And it exists beyond the differentiation of governing oneself and being governed from the outside. This pivotal moment is a prevalent topic in present-day political theory, the topic of voluntary subjugation. For this to come about, a productive power is necessary, a power that begets the forms of subjectivity of the self. And the subjectivity engendered by biopower is one that “builds on the modern state and capitalist society.”4 Thus the techniques of the self can also be coupled with governing objectives. But how did the Christian pastorate—a leadership technique developed over the centuries from monastic life to confessionals—become a model of governmental technique in late-capitalism? Decisive for this development was liberalism, and especially its conception of human capital. The political economy of liberalism embraced the factor of work in its entire breadth, also meaning a comprehensive idea of manpower. What became apparent here was manpower in reflection of the whole person. Owing to the liberal expansion of economic influences in all areas of living—meaning the neoliberal absolutization of the economic grid for the general model of analysis that interprets everything in economic vocabulary—this (manpower as an entire person) is “translated” into human capital. And as human capital, we are “abilities-machines which will produce income.”5 This signified the 54

reversion to, or rediscovery of, the homo oeconomicus by the political economy. But while the homo oeconomicus, in his original understanding, was the bartering subject, that is, the subject immersed in trade, the homo oeconomicus of neoliberal interpretation is the model for any social agent who is an entrepreneur. Here entrepreneurship is not considered indicative of employment status but rather of “an attitude toward life,”6 which implies that workers, as we all are, equate to “entrepreneurs of the self.”7 And, as such—bearing in mind the economic colonialization permeating all realms of life—we are to invest in this business: it requires investments in elements for improving human capital, meaning investments in nursing, medicine, hygiene, and even devotion, so investments in life. This is the life that biopower is targeting: life as a lively, active, productive force. The enhancement and intensification of life lead to improved strength and thus to an aggrandizement of human capital. The imperative of biopower, or optimization of life, is to be understood in this way. The element via which this self-propelling motor of the individual person functions—the decisive impetus for action of the homo oeconomicus—is desire. In classic discourse, desire forms the basis for self-love, but then politicaleconomic discourse translates this into interest, into a quest for personal gain. And if neoliberalism can really be said to have uncovered a potent resource, then this would be interest. We have to imagine the impact on a society when virtues benefiting the common good are no longer deemed noteworthy and it instead suffices—recalling Adam Smith’s “invisible hand


of the market”—to let personal interest run wild and free with an aim to keep a humming machine well-oiled, to maintain a functioning overall economic process—as if directed by an “invisible hand.” This is a machine that has been sputtering along for years, something that had not been in the cards from the neoliberal perspective. Envisaged was the postulating of personal interest as a central economic and social resource, one that should evolve as freely as possible—without any limitations set on self-love, without any obstacles in the path of interest. So that interest may develop in an unfettered way, it must not be constrained by power of any kind, according to the liberal postulate. Here, the “invisible hand of the market” equates to the cancellation of political projects of intervention and economic regulation in all areas—including that of the subject. But this also means renunciation of the moral as a subject-regulating principle. Entering in its place, then, is the pastoral guidance of biopower. Techniques of the self and biopower converge in heightening interest (and also products). The neoliberal subject is the partner of a government ruled by the laissez-faire principle—a principle which, however, does not mean liberty, but actually governing by guiding. Laissez-faire, or noninterference, is hence a governing technique, a mode of guiding the subject, one that—as mentioned at the outset—of outset—offers a different, more indirect approach to addressing the subject. To this end, it presupposes a “frugal government,”8 a government that only tenuously intervenes, a regime that rules by way of freedom. But this is only successful when the subject is no longer posited on the outside as an opposing pole of resistance against an alienat-

ing power. It only works when the subjectivity itself—with a whole gamut of attributes like creativity, obstinacy, and autonomy—becomes human capital to be used as a resource of the government, as a resource of the economic regime. Then every rise in subjectivity represents a deepening of entrapment: what was once liberating us ends up subjugating us. Biopower opens up a “paradoxical space,”9 as Michel Pêcheux has termed it, one that operates according to the judo principle: it uses the strength of its opponent by simply inverting it. It reverses that which was directed against the ruling powers, using its own instrument. As such, autonomy is no longer subversive but instead emerges as an instrument of rationalization, just as self-determination,

__________ 3

Ibid., p. 371.

4

Ulrich Bröckling, Susanne Krasmann, and Thomas Lemke, eds., Gouvernementalität der Gegenwart: Studien zur Ökonomisierung des Sozialen (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2000), p. 11.

5

Michel Foucault, The Birth of Biopolitics: Lectures at the Collège de France, 1978–1979, trans. Graham Burchell (Basingstoke and New York: Palgrave Macmillan, 2008), p. 229.

6

Bröckling et al., p. 155.

7

Ibid., p. 135.

8

Foucault, The Birth of Biopolitics, p. 37.

9

Michel Pêcheux, “Ideology: Stronghold or Paradoxical Space?,” Minnesota Review 23 (Fall 1984), pp. 154–66.

55


Isolde Charim | Homo Oeconomicus?

responsibility, or life end up as internalizations of market-driven mechanisms that have been configured according to one’s own design. Selfempowerment becomes the empowerment of the neoliberal subject. The concepts developed within the subjectivity laboratory of art have experienced a distorted reality in neoliberalism. Full, authentic life has “materialized” as economic life. The autonomous subject, long written off, has been resurrected as self-optimized neoliberal subjectivity. And still biopower (and still neoliberalism) is not a totalitarian context, although its potency is surprisingly hardy, even in times of crisis. Unlike concepts of life intensity or authentic experience, biopower is not a dead end, despite its specific access to the subject, despite its management of behavior—nonetheless, other concepts on possible alternatives must be brought to bear in contrast to those concepts off of which power itself feeds. Rebellions against this kind of power are political rebellions, but they do not correspond to the classic political concepts of resistance. Just as economic revolts against exploitation are different battles than political rebellions against hegemony, insurgencies against pastorale power represent a unique form of insurgency. The differentiations result not only from the distinct forms of power against which the resistance is directed, but also from the various types of subjects who are involved. In Foucault’s writings, two types of subjects can be found in this context: the “subject of right” and the “homo oeconomicus,” existing side by side. The legal subject (the contract-bound subject) is the political subject in the classic sense. He has “ac56

cepted the principle of the transfer” and has subscribed to the limitation of these rights.10 For this reason, renunciation and negativity are characteristic for this subject type. In contrast, the neoliberal homo oeconomicus (the subject of interest) is bound, according to Foucault, to a totally different mechanism: instead of surrendering rights and succumbing to self-renunciation, he operates by egoistically pursuing his personal interests. “The market and the contract function in exactly opposite ways.”11 Thanks to the generalization of the market model, to the resulting revaluation, which liberated the egotistical interest from its negative connotations, homo oeconomicus has become the prevalent type of subject. Homo oeconomicus is much more dominant within us than we may care to believe, which hence means that political space is inhabited by economic subjects. When these subjects belong to a different regime of power, when they are therefore ruled in a different way, then their revolts have a more specific nature. Foucault calls this dissidence “revolts of conduct.” Revolts of conduct reflect a rejection of conduct being managed: these are “movements whose objective is a different form of conduct, that is to say: wanting to be conducted differently.”12 Revolts of conduct seem to be a rather fitting designation for those forms of resistance that we encounter today: from the Occupy Movement to the dreams of “liquid democracy,” for instance—all are revolts of conduct undertaken by economic subjects who reject the idea of having their conduct governed, just as they resist any transfer thereof into the political realm and the political principle of representation. The


current crisis of political representation is directly linked to the subject type of the homo oeconomicus, whose guiding principle exists precisely in the repudiation of any manner of transfer—as of course always implies renunciation and limitation of the ego. However, the revolts enacted by homo oeconomicus reject representation not only in the realm of power, but also in the realm of the revolts themselves. Today we are dealing with rebellion that attempts to avoid any form of representation, one that in its stead allows individuals as such to have a say. It is exactly this hankering for direct involvement, this utopia of “full participation,” that turns these revolts into revolts of conduct.

__________ 10 Foucault, The Birth of Biopolitics, pp. 274–75. 11 Ibid., p. 276. 12 Foucault, Security, Territory, Population, p. 194.

57


Alexander Streitberger Aliki Braine (*1976 | FR/GB), Käthe Hager von Strobele (* 1981 | IT), John Hilliard (* 1945 | GB), Markus Hofer (* 1977 | AT), Ernst Koslitsch (* 1977 | AT), Edgar Lissel (* 1965 | DE), Michael Mastrototaro [MACHFELD] (* 1970 | AT), Anna Mossman (* 1963 | GB), Gregor Neuerer (* 1970 | AT), Klaus Pamminger (* 1967 | AT), Roman Pfeffer (* 1972 | AT), Rini Tandon (* 1956 | IN/AT) Prozesse

„… so nur hervorheben Sollt ihr den Augenblick und nicht verbergen dabei Das, aus was ihr ihn da hervorhebt. Eurem Spiel verleiht Jenes Hintereinanderweg, jenes Gehabe des Aufarbeitens des Vorgenommenen. So Zeigt ihr den Fluß des Geschehens zugleich mit dem Ablauf Eurer Arbeit und gestattet dem Zuschauer Dieses Jetzt vielfältig zu erleben …“ (Bertolt Brecht: Darstellung von Vergangenheit und Gegenwart in einem)

Bertolt Brechts Konzeption eines Theaters, in dem das Gegenwärtige nicht isoliert, sondern innerhalb seines Entstehungsprozesses zu verstehen ist, soll als Ausgangspunkt der Ausstellung Prozesse dienen. In diesem Sinne wird das Bild nicht als Resultat, als das Werk abschließende künstlerische Setzung verstanden, sondern als Teil einer Praxis, in der prozessuale Offenheit und das Ungewisse und noch nicht Konkrete im Zentrum stehen. Die Konfrontation der Kunstwerke mit Spuren ihrer Konzeption – Dokumenten, Texten, Entwürfen etc. – wie auch mit Arbeiten anderer Künstlerinnen und Künstler soll die Betrachterin und den Betrachter dazu einladen, das einzelne Werk im Sinne Brechts als ein im „Fluss des Geschehens“ stehendes „vielfältig

Galerie Raum mit Licht ›› 01 58

zu erleben“. Verstanden als strukturverändernde Vorgänge werden Prozesse dabei in doppeltem Sinne reflektiert. So werden in den Werken repräsentierte soziale, mentale und ästhetische Entwicklungen mit den Bedingungen der Kunstproduktion selbst konfrontiert. Lebensspuren, Denk- bzw. Erinnerungsräume und mediale Schnittstellen sind die drei Achsen, entlang deren das Wechselverhältnis von Kunst und Leben als offen, transitorisch und dynamisch präsentiert wird.


Processes

“So you should simply make the instant Stand out, without in the process hiding What you are making it stand out from./Give your acting That progression of one-thing-after-another,/That attitude of Working up what you have taken on. In this way You will show the flow of events and also the course Of your work, permitting the spectator To experience this Now on many levels …” (Bertolt Brecht, Portrayal of Past and Present in One)

Serving as a point of departure for the exhibition Prozesse (Processes) is Bertolt Brecht’s idea of a theater in which the present state is not isolated but is instead to be understood within the context of its generative process. With this in mind, the image is not to be considered an outcome, an artistic statement completing the work, but rather a part of a practice where processual openness and uncertain, “not-yet-concrete” states are the focal points. The way in which the artworks confront both the traces of their conception (documents, texts, drafts, etc.) and other artists is designed to invite the beholder to “experience” the individual work, along the lines of Brecht, “to experience on many levels” through a “flow of events.” Conceived as structure-altering modi,

here processes are reflected upon in a dual sense. For instance, the social, mental, and aesthetic developments represented in the works of art are confronted with the actual conditions of art production. Traces of life, spaces of thought and memory, and mediatic points of intersection are the three axes along which the interrelationship between art and life is presented as one that remains open, transitory, and dynamic.

59


Michael Mastrototaro (MACHFELD), EFFIGI #3, 2009 C-Print, 14-teilig, 13 × 18 cm C-print, 14 parts, 13 × 18 cm Klaus Pamminger, remains – guggenheim new york, 2008 C-Print, 66 × 70 cm C-print, 66 × 70 cm

Gregor Neuerer, o. T., 2012 Mappe mit 78 Seiten, verschiedene Materialien, 63 × 45 cm ring binder with 78 pages, mixed media, 63 × 45 cm

Ernst Koslitsch, Arbeitsskizzen zum Wandobjekt sketches for the wall object Yellowprint, 2010

60


61


62


63


Katya García-Antón Ulrike Lienbacher (* 1963 | AT)

Interieurs, Modelle

Brief an Ulrike Zürich, 15. Juli 2012 Liebe Ulrike, gibt es den optimalen Sex? Meine Frage bezieht sich auf deine neue Serie von Zeichnungen, die du in der nächsten Ausstellung Interieurs, Modelle zeigen wirst. Die Zeichnungen nehmen Motive aus einem Sexhandbuch für junge Paare aus dem Jahr 1965 auf. Ist es nicht ein diabolischer Gedanke, dass wir alle Sex auf eine einzige, die effizienteste Art haben könnten? In den Werken davor hast du das Eindringen von Wertvorstellungen aus dem Geschäftsleben – z. B. des Leistungsgedankens – in den Leistungssport und unsere Ich-Vorstellungen behandelt. Und du hast Strategien gesucht, wie man dagegen rebellieren könnte, zum Beispiel indem man sich nicht wäscht. An deiner neuen Ausstellung fällt auf, dass du nun eine introspektive Sicht des Körpers und seiner Funktionsweise einbringst. Im Video Run laufen Zwillinge so nebeneinander, dass sie als Schatten voneinander gesehen werden können. Damit ist die Bühne für den im Ausstellungstitel angedeuteten Denkraum bereitet. Die Zeichnungen zur individuellen sexuellen Beschränkung werden neben Objekten hängen, die an die Stangen von Go-go-Tänzerinnen erinnern. Normalerweise finden Go-go-Aufführungen ja im halbprivaten Raum von Clubs statt. Die Besucherinnen und Besucher dort suchen gesunde Körper, die perfekt funktionieren. Von ihren Sexfantasien abgesehen ist das Go-go-Tanzen nicht weniger strikt geregelt als Sportarten. Sexualität und Erotik sind vielleicht die letzten Freiräume für individuelle Experimente. Sind sie bereits beseitigt? Herzlich deine Katya

Galerie Krinzinger, Schottenfeld ›› 02 64


Interieurs, Modelle

A Letter to Ulrike Zurich, July 15, 2012 Dear Ulrike, Is there an optimal way to have sex? I ask you this in the light of a new series of drawings that you told me you will include in your next exhibition Interieurs, Modelle. They refer to a sex manual published in 1965 for young couples. It’s a rather sinister thought, is it not, to consider the possibility that we should all be uniform and efficient sex performers? In previous works you have looked into the infiltration of business values, such as high performance, into elite sports training as well as into our public perceptions of self. And you have explored modes of rebellion against this, through the idea of personal filth. What is striking about this new exhibition is that you propose a more introspective mapping of the body and its performance. In the video Run, two racing twins could be interpreted as shadows of each other’s performance, thereby setting the scene for the mental space implicit in the title of the show. The drawings that point to private sexual regulation will be hung next to a new set of objects reminiscent of go-go poles. Usually pole dancing takes place in the semi-private space of the club, where the customer is looking for a fit body and an optimal performance. Notwithstanding the fantasy of transgression, go-go dancing is as regulated as sport itself. The sexual and the erotic were perhaps the last spaces left for experimenting with individuality. Perhaps they have already fallen? Yours cordially, Katya

65


Ulrike Lienbacher, Nippes, 2012 Pigmentdruck auf Fotopapier, 30 × 24 cm carbon print on photographic paper, 30 × 24 cm

Ulrike Lienbacher, Interieur, 2012 Pigmentdruck auf Fotopapier, 35 × 52 cm carbon print on photographic paper, 35 × 52 cm

Ulrike Lienbacher, aus: Vorlagen [from: Patterns], 2012 Tusche, 76 × 107 cm ink, 76 × 107 cm

66





Suzy M. Halajian | Marlies Wirth Lawrence Weiner (* 1942 | US)

Impeded TIme

Betrachtet man die Frage, wie sich Kunst und Leben zueinander verhalten, vor dem Hintergrund von Weiners Arbeit, wird offenbar, was er selbst in seiner Bezugnahme auf Wittgenstein zitiert: „Ein Ausdruck hat nur im Strome des Lebens Bedeutung.“ Die Verknüpfung von Kunst und Leben ist in Lawrence Weiners Arbeit eingeschrieben. Seinen Skulpturen begegnen wir, oft unerwartet, auch außerhalb von Galerien und Museen, im öffentlichen Raum, an den Orten, wo das Leben und die Kunst aufeinandertreffen. In seinen Statements zeigt er, immer anspruchsvoll, aber nie belehrend, Fragestellungen, die wir selbst anhand unserer Erfahrungen und unserer Wahrnehmung von Arbeit, Kultur und Lebenswelt interpretieren können; er bietet Möglichkeiten an, nicht Meinungen. Die Bedeutung bleibt immer im Fluss; sie wird niemals statisch oder eindimensional, sondern eröffnet zu jeder Zeit neue Wege, die materielle Realität und die aktuelle soziale und politische Umgebung zu begreifen und zu hinterfragen. Weiner lebt seine Kunst und erlaubt zugleich den Betrachterinnen und Betrachtern, seine Arbeit zu beleben; die Sprache ist sein Material, ebenso das Leben. Seine Arbeiten tra-

Galerie Hubert Winter ›› 03 70

gen eine selbst verliehene Ambiguität in sich und setzen sich einer endgültigen Bestimmtheit entgegen, indem sie einen subjektiven Zugang zu ihrer Bedeutung, ihren Bezügen und dem Umfeld schaffen, in dem sie wahrgenommen werden. Durch die Zeitlichkeit der Sprache, und in ihren wechselnden Erscheinungsformen, rekontextualisiert sich auch die Zeit: Sie eröffnet denen, die schauen und wahrnehmen, eine Vielzahl unterschiedlicher Zugangsweisen und Blickwinkel; in ihrer poetischen Aktualität wird Weiners Sprache immer wieder gegenwärtig und macht uns den Aspekt der Zeitlichkeit seines Konzepts und des Lebens an sich bewusst. SOME. THING. DOES NOT LOSE VALUE JUST BECAUSE THERE SEEMS TO BE LOT OF IT. N’EST-CE-PAS? VALUE & PRICE ARE NOT RELATED. XXXXXXXLAWRENCE (Lawrence Weiner) [Etwas verliert nicht an Wert, nur weil es den Anschein hat, dass genug davon da ist, nicht wahr? Wert und Preis stehen in keinem Zusammenhang.]


Impeded TIme

In working through the relationship of art and life in response to Lawrence Weiner’s practice, his own reference to Ludwig Wittgenstein allows us to make the correlation manifest: “words have meaning only in the stream of life.” The impossibility of separating art and life is inscribed in the work of Weiner. We may encounter his sculptures unexpectedly, outside of museums and galleries, in the places we pass through and enter, where art and life intertwine. With his statements, always challenging yet never authorial, Weiner continues to propose questions for us to interpret through our own experience and perception of work, culture, and the world at large. He offers us options, but never just opinions. Meaning remains fluid. Staying neither static nor one-dimensional, meaning reveals new ways to perceive and confront material reality and the current social and political landscape at any given time. Weiner lives his art and simultaneously allows the viewer to bring his work to life. The language is the material; reality is the material. As such, the works lend themselves to an ambiguity that rejects determinativeness and allows a subjective approach to their meanings and the materials referred to, as well as to the

spaces they are found in. Through the temporality of language—in its perpetual shifts and manifestations—time, too, is recontextualized. Time allows multiple points of access and dif different lenses for those who are looking and experiencing. Time unfolds and reinvents Weiner’s language, and through its poetic currency makes us aware of the transitional aspect of his concept, and that of life itself. SOME. THING. DOES NOT LOSE VALUE JUST BECAUSE THERE SEEMS TO BE LOT OF IT. N’EST-CE-PAS? VALUE & PRICE ARE NOT RELATED. XXXXXXXLAWRENCE (Lawrence Weiner)

Lawrence Weiner, IMPEDED TIME, Catalogue #1065, 2012 Lawrence Weiner, SMASHED TO PIECES (IN THE STILL OF THE NIGHT), Catalogue #670, 1990 Flakturm, Esterházypark, Wien Vienna Foto photo Christian Wachter Lawrence Weiner, DIE EBBE UND DER STROM, 2009 Lawrence Weiner, HANDLED WITH CARE & SO WEITER, Catalogue #1024, 2010 Sprache und Material variabel language and material referred to

71



73


74



Simina Neagu Anca Benera (* 1977 | RO) / Arnold Estefan (* 1978 | RO), Olga Chernysheva (* 1962 | RU), Berry Patten (* 1986 | GB), Antje Peters (* 1979 | DE)

Täglich Arbeit, nächtlich Freizeit Kunst als Unterbrechung des Alltags

Wie könnte man mit der endlosen Abfolge von Arbeit und Freizeit, die unseren Alltag prägt, brechen? Können wir im scheinbar undurchdringbaren Kreislauf unserer täglichen Existenz so etwas wie Fluchtwege festlegen? Und schließlich: Können wir der „Verkümmerung der Erfahrung“ in der Moderne, wie es Walter Benjamin nannte, überhaupt entkommen? Zeitgenössische Kunstpraxen können dann ein Gegenmittel für unser verarmtes Alltagserleben sein, wenn sie nicht nur den Strom von Arbeit und Freizeit, sondern auch die etablierten Blickregimes zu brechen vermögen. Der Alltag ist zugleich banal und profund, authentisch und unauthentisch, und gerade durch dieses Doppelwesen birgt er ein Potenzial, eine Spontaneität und einen Spielraum, den die Kunst dem Gewöhnlichen abzuringen helfen kann. Mit Michel de Certeau erkennen wir die entscheidende Rolle spielerischer und subversiver Aneignungsmodi. Diese zielen zwar nicht unbedingt auf eine neue Ordnung, weisen aber neue Wege, wie man zu leben und mit dem Gegebenen umzugehen vermag. Spielerische Aneignung ist auch die Methode, die die meisten Künstlerinnen und Künstler in der Ausstellung zur Spiegelung

Knoll Galerie Wien ›› 04 76

und Aufhebung des Alltagserlebens verwenden. Die Kunst fungiert dabei als Zerrspiegel, der unsere Körper und Verhaltensweisen verfremdet. Dadurch entsteht ein Reflexionsraum – ein Terrain, auf dem neue Ausdrucksmittel getestet und verifiziert werden können. Die übrigen teilnehmenden Künstlerinnen und Künstler nutzen die Kunst als Plattform, um die latenten Konflikte und Widersprüche des Alltags zu untersuchen. Dadurch kommen jene tief verwurzelten Unvereinbarkeiten erst ans Tageslicht, die aufgelöst werden müssten. Anstatt der üblichen Formeln „Kunst = Leben“ oder „Kunst + Leben“ entsteht eine Praxis oder besser gesagt eine Neuformulierung des Gewöhnlichen. Es geht um die Kunst des Lebens.


Days of Labour, Nights of Leisure Art as the Disruption of Everyday Life

How could we envision a break in the endless succession of work and leisure that constitutes our everyday lives? Are we able to identify the “lines of flight” embedded in the seemingly impenetrable cycle of daily existence? And ultimately, can we truly escape the “atrophy of experience” induced by modernity, as Walter Benjamin suggested? Perhaps contemporary artistic practice could provide an antidote to our impoverished experience of everydayness, by disrupting the flow of work/leisure and the established regimes of visibility. Simultaneously a space of platitude and profundity, authenticity and inauthenticity, everyday life incorporates potentiality, spontaneity, and play, which art can help flesh out from this double dimension of the ordinary. With Michel de Certeau, we can identify the crucial importance of ludic and subversive modes of appropriation that may foster not necessarily a completely new order, but rather new ways of living and using the given. Playful appropriation is also the tactic adopted by most of the artists in the exhibition, as a means of mirroring and suspending daily experience. Art thus acts as a distorting mirror, defamiliarizing our own bodies and practices,

becoming a space of reflection, a terrain where new modes of articulation are tested and verified. Other artists, however, choose to use the platform of art as a zone where the latent conflicts and confusions inherent in everyday life are explored. Ingrained inconsistencies are brought to light in an attempt to resolve them. What emerges is a praxis or, more accurately put, a rearticulation of the ordinary—not the common equations of “art=life” or “art+life,” but rather an art of life.

77


Berry Patten, Ham Rose, 2012 Fuji-Gloss-Digitaldruck, 118,9 × 84,1 cm Fuji Gloss digital print, 118.9 × 84.1 cm

Berry Patten, Surfs, 2012 Fuji-Gloss-Digitaldruck, 118,9 × 84,1 cm Fuji Gloss digital print, 118.9 × 84.1 cm

78


79


Berry Patten, Pure Sure, 2012 Fuji-Gloss-Digitaldruck, 118,9 Ă— 84,1 cm Fuji Gloss digital print, 118.9 Ă— 84.1 cm

Antje Peters, 01/05 (VI. The Breakfast), 2008 C-Print, unterschiedliche Dimensionen C-print, variable dimensions

80


81


José Luis Blondet Stephen Prina (* 1942 | US)

Stephen Prina 1

On the Grass

Sobre la hierba Un picnic nocturno sobre la cama. Arriba del mantel la computadora encendida. La he traído para leerte un poema La luz malvada de la pantalla vela la lectura. Titubeo. Parecemos un cuadro de tu amigo George de Latour en esta penumbra pixelada. Es un exceso escribirte un poema. Leo con lentitud impostada pronuncio cada palabra cien veces gesticulo con los labios soy un mal mimo Tu sonríes y escuchas, los ojos cerrados, alerta. Me pides que repita un verso, dos.

Galerie Mezzanin ›› 05 82

Hablas de un ritmo y una música lejana que escuchas en lo que digo No entiendes. No vas a entender este poema escrito en mi lengua materna. Tenemos madres distintas, créeme, aunque nos hayan abandonado en el mismo lugar. Confía en la saliva esa agua impura que arruinó la torre de babel. Hay una roca inmensa que no se abre con palabras pero como el pan duro se ablanda y cede con saliva. Toma mi voz y háblame, Cubre mi lengua con tu lengua, arropa a mi madre con la tuya. Ven, volvamos en silencio al gozo, que no quepa ni siquiera un nombre entre nosotros.

A nocturnal picnic on the bed. Above the mantel the computer on. I brought it to read you a poem The evil light screen candle reading. I stutter. We look like a painting Your friend George de Latour in this twilight pixelated. Is an excess write you a poem. I read with artificial slowness I pronounce each word hundred times gestured with my lips I am a bad mime You smile and listen, eyes closed, Alert. You ask me to repeat a verse, two.


1

Auf der Grass You talk about a rhythm and distant music you hear in what I say You do not understand. You will not understand this poem written in my mother tongue. We have different mothers, believe me, although they abandoned us in the same place. Trust saliva that impure water that ruined tower of babel. There is a huge rock that does not move with words but as hard bread softens and yields with saliva. Take my voice and talk to me, Cover my tongue with your tongue, warm my mother with it. Come back in silence to joy, avoid even a name between us.

1

Eine Nacht Picknick auf dem Bett. Über dem Kaminsims der Computer auf. Ich brachte Lesen Sie ein Gedicht Der böse Licht Bildschirm Kerze Lesen. Zögern. Wir sehen aus wie ein Gemälde Ihr Freund George de Latour in diesem Zwielicht pixelig. Ist ein Überschuss ein Gedicht schreiben. Löwe mit Langsamkeit impostada ausgeprägt jeder Wort hundert mal gestikulierte Lippe Ich bin ein schlechter Mime Ihr Lächeln und hören, Augen geschlossen, aufmerksam zu machen. Du fragst mich zu wiederholen, ein Vers, zwei.

Sie sprechen von einer Rate und ferne Musik Sie hören, was ich sage Du verstehst das nicht. Sie werden es nicht verstehen Dieses Gedicht geschrieben in meiner Muttersprache. Mütter haben unterschiedliche glauben Sie mir, obwohl wir noch haben an der gleichen Stelle. Das Vertrauen in Speichel dass unreines Wasser, das zerstörte Turm zu Babel. Es gibt eine riesige Felsen das heißt nicht in Worte zu öffnen aber wie das Brot erweicht und liefert mit Speichel. Nehmen Sie meine Stimme und mit mir reden, Es deckt meine Zunge mit der Zunge, Kleider meiner Mutter mit ihr. kommen wieder in der Stille zur Freude, die Vermeidung sogar ein Name unter

Verwendung der Übersetzung mit freundlicher Genehmigung von Google Übersetzer The translation of these poems is courtesy of Google Translate

83


1

1

Uno

One

One

Arribó, exhausto, al extremo de la cama.

He arrived, exhausted, at the end of the bed.

angekommen, erschöpft, das Ende des Bettes.

No fueron siglos, comprobó aliviado.

There were not centuries he found relief.

Es gab Jahrhunderte gefunden Erleichterung.

Apenas seis días, una sola noche.

Just six days, a single night.

Nur sechs Tage, eine einzige Nacht.

Debió cerrar los ojos pero se entretuvo largamente bebiendo tu barba.

He must have closed his eyes but was long distracted drinking your beard.

Er muss die Augen schließen sondern unterhalten lange Trinken Sie Ihren Bart.

Hiló fino entre sus hebras. Llovió baba y miel. No encontró ni dejó cabos sueltos en el pelaje espumoso. Sobre las líneas de tu barba tejió con su lengua un texto opaco y sin ternura donde no se reconocía. Cubierto de saliva saliste a respirar: – You are like a puppy. No le importó combatir con armas prestadas. – Si soy un cachorro, Tú, Señor, ¿quién eres? – A filthy rat. Eso dijiste. Las líneas de la barba abiertas, deshaciendo cada palabra sin deshacer el sentido.

spun fine between the threads. It rained baba and honey. He found no loose ends left in sparkling coat. Lines on your beard wove with his tongue an opaque text and no tenderness where he did not recognized. Covered with saliva you went out to breathe: – You are like a puppy. He did not care combat with borrowed weapons. – If I am a puppy, You, Lord, who are you? – A filthy rat. That is what you said. The lines of the beard open unmaking each word without unmaking the sense.

Spun fein zwischen ihren Fäden. Es regnete Baba und Honig. Er fand keine losen Enden links in funkelnden Mantel. In den Zeilen Ihren Bart wob mit seiner Zunge eine opake Text und keine Zärtlichkeit Diese Methode wurde nicht anerkannt. Bewölkt Speichel ging hinaus, um zu atmen: – Du bist wie ein Welpe. Es kümmerte ihn nicht Bekämpfung mit geliehenen Waffen. – Wenn ich noch ein Welpe bin, Du, Herr, wer bist du? – Eine schmutzige Ratte. Das sagte. Die Linien des Bartes öffnen Lösen Sie jedes Wort ohne Zerstörung der Sinne.


Stephen Prina, Haberdashery, 2002 Ein Paar silberne Manschettenknöpfe, Schmuckschachtel, 10 × 8,5 × 3 cm one pair of silver cuff links, jewelry box; 10 × 8.5 × 3 cm Foto photo Stephen Prina, Lothar Schnepf

85


Stephen Prina, Untitled: Exquisite Corpse: The Complete Paintings of Manet, 2011 Installationsansicht installation view Foto photo Stephen Prina, Simon Vogel

86


1

1

Londres

London

London

El lujo blanco del hotel lo cubre todo, sin bruma.

The white luxury of the hotel covers everything no haze.

Das Luxushotel weiß deckt alles kein Dunst.

Vestimos las batas y las pantuflas que encontramos en el baño, como si vistiéramos el mismo disfraz.

We wear robes and slippers found in the bathroom, like if wearing the same costume.

Wir tragen Kleider und Hausschuhe gefunden im Bad, gern die gleiche Tracht gekleidet zu werden.

Descorres la cortina como si removieras un lienzo de Brice Marden de esta habitación. Sobre el largo ventanal cuelga una tela aun más fina. Nuestras espaldas contra la pared, las piernas extendidas sobre la cama. Tenemos ya un largo rato esperando. La ciudad se despereza deja el rio atrás y sube lenta hasta la cama. La vemos echarse a nuestros pies ya sin asombro. El paisaje se mete entre las sabanas y ya nada es personal. Las ventanas tienen un solo lado. Darme cuenta me ha tomado cuarenta años y una noche. Dos. Tendría miedo sino estuviera contigo. Abajo, el Támesis se desmadeja en una barba rala. casi tan imperfecta como la tuya gris y reina.

Descorres curtain like a painting by Brice Marden of this room. Over the long window hangs an even finer cloth. Our backs against the wall, legs extended on the bed. We already have a long time waiting. The city stretches leaves the river and climbs slowly back to the bed. We see it lie at our feet no mysteries. The landscape gets between the sheets and nothing is personal. The windows have one side only. This realization has taken me forty years and one night. Two. But I would be afraid if you were not around. Down desmadeja the Thames in a thin beard. almost as flawed as yours gray and queen.

Descorres removieras Vorhang wie ein Gemälde von Brice Marden in diesem Raum. Im Laufe der langen Fenster hängt eine noch feinere Tuch. Unser Rücken zur Wand, Beine ausgestreckt auf dem Bett. Wir haben bereits eine lange Zeit warten. Die Stadt erstreckt sich verlässt den Fluss und steigt langsam zum Bett zurück. Wir sehen es an unseren Füßen liegen und kein Wunder. Die Landschaft wird zwischen den Blättern und nichts ist persönlicher. Die Fenster auf der einen Seite. Erstellen Sie ein Konto Ich bin seit 40 Jahre und eine Nacht. Zwei. Aber würden Sie Angst haben. nach unten desmadeja der Themse in einen dünnen Bart. fast so wie deine fehlerhaft Grau und Königin.


Karel Císaˇr Dominik Lang (* 1980 | CZ)

The Lovers

Auf den ersten Blick könnte man die Arbeit des jungen tschechischen Künstlers Dominik Lang als Intervention in Ausstellungsräumen und, metaphorisch, in der Zeitdimension der Kunstgeschichte verstehen. Doch das wahre Ziel Langs ist zu untersuchen, wie die Sichtbarkeit von Kunst verteilt ist. Seine Kunstwerke greifen entweder in die Raumarchitektur ein, in die neue Bauteile einfügt werden, oder sie präsentieren eine strategische Deutung der Kunstgeschichte. So verhält es sich zum Beispiel bei jenen Arbeiten, bei denen Lang die Werke anderer Künstlerinnen und Künstler oder ihre Rekonstruktionen in die Ausstellung einbezieht. Damit will er indes nicht – wie die Proponentinnen und Proponenten der Institutionskritik – bloß die verdeckten Mechanismen des Kunstbetriebs bloßlegen oder – wie beim „archival turn“ – eine unabgeschlossene Vergangenheit in die Gegenwart transferieren. Langs Hauptintention ist stattdessen, einen bestimmten Kontext zu schaffen, in dem die Aufmerksamkeit des Publikums angeregt wird, um die räumliche, historische und institutionelle Konditionierung all dessen sichtbar zu machen, was es faktisch wahrnehmen kann.

Krobath Wien ›› 06 88

Am deutlichsten kommt diese Intention wohl in der Installation The Sleeping City für den tschechisch-slowakischen Pavillon auf der 54. Biennale von Venedig 2011 zum Ausdruck. Dort zeigte Lang eine radikale Interpretation der spätmodernistischen Skulpturen seines Vaters Jiří Lang (1927–1996). Das Ziel war dabei weder die schiere Präsentation der abstrakt angehauchten figurativen Plastiken aus den kommunistischen 1950er-Jahren, noch die Rekonstruktion des musealen Settings, in dem sie damals ausgestellt wurden. Vielmehr sollte sich das Publikum die Frage stellen, welche Umstände die Sichtbarkeit von Kunst überhaupt gewährleisten. Was sind die Gründe dafür, dass manche Kunst in Vergessenheit gerät? Was wird, weiter gefragt, mit der so aufdringlichen Kunst von heute in 50 Jahren passieren? Mit The Sleeping City lenkt Lang mithin – auf der Grundlage einer großen Sammlung von Skulpturen seines Vaters – die Aufmerksamkeit auf das Nachleben der Kunst allgemein. In The Lovers, seinem neuesten Projekt, verwendet er mehrere Varianten des Liebespaarsujets, um damit das bloße Leben darzustellen.


The Lovers

When encountering the work of the young Czech artist Dominik Lang, it might well seem that its main goal is an intervention into the gallery space and, figuratively, into the temporality of the history of art. However, the real focus of Lang’s attention is an inquiry into the distribution of visibility. His works either intervene in the architecture of the gallery, wherein he installs or constructs new structural elements, or else they present a strategic interpretation of the history of art. This is so, for instance, in the numerous cases where he, as an artist, has included in his exhibitions a reconstruction of other artists’ work or even their originals. His purpose in doing so is not merely to reveal the hidden assumptions of the administration of exhibits (as do the proponents of institutional critique), nor to examine the possibility of bringing the unfinished past into the present (as attempted by the so-called archival turn). His primary intent is instead to create a certain context for the attention of the viewers, and to demonstrate to them the spatial, historical, and institutional conditioning of all that they can actually see. Lang’s most explicit achievement in this direction is probably the installation Sleeping

City, commissioned for the Pavilion of the Czech and the Slovak Republics at the 54th Venice Biennale in 2011. Here, Lang offered a radical interpretation of the late modernist sculptures of his own father, Jiří Lang (1927– 1996). The artist’s primary goal was not a simple presentation of the figurative sculptural works, tinged by abstraction, which Jiří Lang created in the communist 1950s, nor did he intend a reconstruction of the museum architecture where the works could have been exhibited in their own day. Rather, this particular installation incited the viewers to ask themselves what conditions guarantee the visibility of art, what are the causes of it falling into oblivion, and by extension, what will happen with the highly, unavoidably visible art of today in fifty years’ time. In The Sleeping City, Lang’s focus—based on a large collection of his father’s sculptures—was the afterlife of art; in The Lovers, his latest project, he employs several variants of the motif of loving couples for the purpose of inquiring into the representation of bare life.

89


90


91


Dominik Lang, Private Collection, 2011/2012 Installationsansichten installation views Galerie Krobath Berlin Foto photo Jens Ziehe

Dominik Lang, The Sleeping City, 2011 Installationsansicht aus dem tschechisch-slowakischen Pavillon bei der 54. Biennale von Venedig installation view of the Czech and Slovak Pavilion at the 54th Venice Biennale

92


93


Thomas D. Trummer Lara Favaretto (* 1973 | IT), Ryan Gander (* 1976 | GB), Alina Szapocznikow (1926–1973 | PL)

Alina Szapocznikow | Ryan Gander | Lara Favaretto

Die Gegenwart ist angespannt. Notmaßnahmen werden allerorts getroffen. Doch helfen fiskalische Steuerung und globale politische Maßnahmen gegen eine tiefer empfundene Verwundbarkeit des Lebens, die Sterblichkeit inbegriffen? Wie steht es um die existenzielle Verfasstheit? In der gegenwärtigen Conditio humana scheinen Zurechtrückung und Perfektionierungsdrang nicht weniger zu dominieren. In vielen Wissenszweigen und Alltagsfibeln geht es darum, den Menschen über Selbsttransformation mit einem wirksamen Immunstatus auszustatten. Aus Ratgebern erfahren wir, wie wir uns vor unwillkommenen Zudringlichkeiten und Eigengefährdungen bewahren. Die empfohlenen Maßnahmen reichen von physischen Übungsverfahren, sozialen Techniken und medizinisch-physischen Optimierungen bis zu spirituellen Vorkehrungen – alle dazu erdacht, den Menschen vor sich selbst zu schützen. Der österreichischamerikanische Biotechnologe Erwin Chargaff gehörte zu jener Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die seit den 1950er-Jahren durch die Dechiffrierung der Erbausstattung des Menschen die Bedingungen seiner künstlichen Gestaltung erforschte

Galerie Martin Janda ›› 07 94

und förderte. Dennoch äußerte Chargaff selbst tiefe Zweifel an dieser Vorgangsweise. Denn die Ermächtigung des Menschen zeitigt kulturelle und ethische Konsequenzen. Menschen werden zu Designerinnen und Designern anderer Menschen. Eine asymmetrische Beziehung ist die Folge, in der ein Exemplar der menschlichen Spezies unter Anwendung technischer Mittel aus dem kulturellen Lernprozess und seinen Wechselwirkungen herausgenommen und stur erforscht wird. Es entsteht ein Autor, der sich weder Gott noch Künstlerin oder Künstler nennt und dennoch eine künstliche Kreation für sich beansprucht. Alina Szapocznikow, Lara Favaretto und Ryan Gander schaffen eine Kunst der unbequemen Unmittelbarkeit. Mentale Rüstungen und Immunsysteme scheinen in ihren Werken heilsam wirkungslos. Es geht um die direkte körperliche Erfahrung und eine greifbare Begegnung. Imaginäre Vorwegnahmen und empfindliche Rücksichten ersetzen die Leistungsanforderungen an den Körper. Heikle Seinszustände, Weltbegegnung und Daseinsschlüssel kommen wieder zum Vorschein.


Alina Szapocznikow | Ryan Gander | Lara Favaretto

The present-day world is tense. Emergency measures are being taken everywhere. Yet can fiscal controls and global political measures truly ward off the more deeply felt vulnerability of life, including mortality? What about the existential constitution? Just as dominant in the present “conditio humana� is the need to get it right along with the drive for perfection. Many disciplines and books about everyday life are concerned with equipping people with an effective immune status by way of selftransformation. Self-help books guide us in avoiding unwelcome intrusions and self-imposed endangerment of our selves. The recommended measures range from physical exercises, social techniques, and medical-physical optimizations to spiritual precautions—all of which are designed to protect people from themselves. The Austrian-American biotechnologist Erwin Chargaff counted among a group of scientists who, starting in the 1950s, were exploring and furthering the conditions that govern the factitious nature of man by deciphering the human genotype. Chargaff himself has nevertheless expressed deep misgivings about this approach, for the empowerment of man goes hand in hand with cultural

and ethical consequences. It implies that people may become the designers of other people. This results in an asymmetrical relationship whereby technological means are employed to separate one exemplar of the human species from the cultural learning process and its state of reciprocal action and to willfully study this person. An author thus emerges who is designated neither God nor artist, yet who claims the right to factitious creation. Alina Szapocznikow, Lara Favaretto, and Ryan Gander provoke an art of uncomfortable immediacy. In their works, mental armaments and immune systems appear to lack healing effect. They are concerned with direct physical experience and tangible encounters. Imaginary anticipation and sensitive deference supersede the performance requirements placed on the body. Delicate states of being, worldly encounters, and existential keys again rise to the fore.

95


96


Lara Favaretto, Screwing, 2011 Beton und Eisen, 110 × 70 × 70 cm concrete and iron, 110 × 70 × 70 cm Foto photo Guillaume Ziccarelli

Ryan Gander, Come on! Think!, 2011 44 Fotografien, auf Plexiglas montiert, Holzregale, 330 × 168 × 10 cm 44 photographic prints face-mounted onto Plexiglas, wooden shelves, 330 × 168 × 10 cm

97


Alina Szapocznikow, Ventre-Coussin (Belly Cushion), 1968 Polyurethanschaum, 30 × 31 × 16,5 cm polyurethane foam, 30 × 31 × 16.5 cm

Alina Szapocznikow, Don Quixote, 1959 Bronze, 23 × 12 × 7 cm bronze, 23 × 12 × 7 cm

98



Will Benedict Anita Leisz (* 1973 | AT), Nora Schultz (* 1975 | DE)

Anita Leisz | Nora Schultz

Anita Leisz und Nora Schultz verbindet ihre Beschäftigung mit der Beziehung zwischen dem bildhauerischen Verfahren und dem menschlichen Körper samt seinen Alltagsroutinen. Ihrer beider Arbeit an skulpturalen Problemen wie Balance, Volumen, Masse, Innen und Außen divergiert indessen bei der entscheidenden Frage: Wann ist eine Skulptur vollendet? Wie an ihrer zweiteiligen Skulpturengruppe mit dem Titel Freaks kenntlich wird, feilt Leisz minutiös an den Details. So könnte man sagen, eine der beiden Skulpturen habe einen Kopf und einen Hintern, die andere hingegen zwei Hintern. Geometrisch ausgedrückt überlappen die sechs schmaleren der insgesamt acht horizontalen Kanten der beiden rechtwinkeligen Formen die längere Breite um zwei Millimeter, was drei Hintern ergibt. Die übrigen zwei horizontalen Kanten sind nach außen abgeschrägt und ergeben damit zwei Köpfe. Schultz dagegen lässt das Verfahren für sich selbst sprechen, indem sie das Werk als rekonstruierbare (oder modifizierbare, oder beides?) Anhäufung belässt. In Out Press zum Beispiel besteht aus zwei Skulpturen aus großen rechtwinkeligen Platten auf Scharnieren. Aus einer Platte wurde das Wort „In“ ausge-

Galerie Meyer Kainer ›› 08 100

schnitten, aus der anderen das Wort „Out“. So entstehen zwei große buchförmige Druckerpressen, mit denen Drucke gegensätzlicher Bedeutung hergestellt werden können. Im Gegensatz zu den Arbeiten von Leisz sind die Skulpturen von Schultz derb und scheinbar provisorisch. Das Material bleibt der Idee untergeordnet, an genaue Maße werden so wenig Gedanken wie möglich verschwendet.


Anita Leisz | Nora Schultz

The artists Anita Leisz and Nora Schultz share an interest in how procedures of construction relate to the human body and to daily activity, but their shared concern for the sculptural issues of balance, volume, mass, interiority, and exteriority diverge at the crucial point of determining what it is that makes a finished object. Leisz labors over minute details, as in the case of two sculptures titled Freaks, where it might be said that one of the sculptures has a head and a behind, while the other has two behinds. Or expressed in literal terms: of the total eight horizontal edges of the two rectangular forms, six have the shorter width of the material overlapping the longer breadth by two millimeters, forming three behinds; while two horizontal edges are finished with a beveled cut facing outward, forming one head. Schultz, on the other hand, lets the process speak for itself, often leaving the artwork in a reconstructible (or modifiable? or both?) heap. In the case of In Out Press, a work also composed of two sculptures, large rectangular panels set on hinges—with the word “In” cut into one and the word “Out” cut into the other—create large book-shaped printing presses producing prints with diametrically opposed meaning. In con-

trast to the works by Anita Leisz, their construction is rough-hewn and seemingly provisional. The material is in service to the idea, with as little thought to precise measurement as possible.

101


102


103


Nora Schultz, Listening-Printing-Performance, 2012 Ausstellungsansicht exhibition view Portikus, Frankfurt/Main

Anita Leisz, bag, 2009 Plastiktasche, Nitroverdünnung, 35 × 47 cm plastic bag, diluent for cell lacquer, 35 × 47 cm

Nora Schultz, Predicament of Culture, 2011/2012 Druckmaschine mit Drucken, Metall, Isomatten, Papier, Farbe Printing machine with prints, metal, sleeping pad, paper, color Installation, Ausstellungsansicht installation, exhibition view MoMA, New York

104



Julien Robson Mel Chin (* 1951 | US)

Mel Chin: It’s Not What You Think

„Schafft man Objekte oder andere künstlerische Spuren, schafft man zugleich auch neue Möglichkeiten und Alternativen. Das ist eine der letzten Freiheiten, die uns geblieben sind, und eine der Funktionen von Kunst.“ Am bekanntesten ist Mel Chin für interdisziplinäre Gemeinschaftsprojekte, die gesellschaftlich, politisch und ökologisch aufgeladene Fragen künstlerisch untersuchen. Seine Kunst findet dabei nicht nur in der freien Landschaft oder im öffentlichen Raum statt, sondern auch in Galerien und Museen. Durch die Verbindung von Kunst und Leben versucht Chin, den gesellschaftlichen Giftmüll und die Umwelttoxizität um uns herum aufzudecken und so einen Beitrag zu ihrer Beseitigung zu leisten. Chin begreift seine Kunst als Katalysator für Aktionen und mehr soziales Verantwortungsbewusstsein. Damit erfasst und nutzt Chin die komplizierten Verflechtungen des Ästhetischen mit politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Belangen. Seine Werke sind ebenso analytisch wie poetisch. Sie schöpfen die Möglichkeiten der Kunst aus, das Bewusstsein der Menschen durch die Sichtbarmachung andernfalls unsichtbarer Strukturen und Zusammenhänge zu verändern.

Galerie Steinek ›› 09 106

Mit seiner Ausstellung untersucht Chin die derzeitigen Zerfallserscheinungen des amerikanischen Alltags, unter dessen unumschränkten Mythen von Freiheit, Patriotismus und sozialem Zusammenhalt Spannungen und Konflikte lauern. Seine Objekte, Videos und Zeichnungen behandeln Wunschproduktion und Wunschenttäuschung in der Konsumgesellschaft, das Drama geheimer Machtmanipulation, den Verlust geschichtlichen Bewusstseins, die unsichtbaren Giftrückstände der Industrialisierung, die Vereinzelung der Menschen in der Gesellschaft und die institutionellen Mächte, die unser Leben bestimmen.


Mel Chin: It’s Not What You Think

“Making objects and marks is also about making possibilities, making choices—and that is one of the last freedoms we have. To provide that is one of the functions of art.” Mel Chin is best known for his collaborative, cross-disciplinary artistic investigations into social, political, and ecologically charged topics. In a practice that can variously be found in the landscape and in public spaces, as much as in the gallery or museum, he weaves art and life together to disclose and help remedy the social and environmental toxicity surrounding us. Viewing his art as a vehicle to catalyze action and provoke greater social awareness and responsibility, Chin acknowledges and embraces the complex entanglement of the aesthetic political, economic, and social concerns. In works of art that are both analytic and poetic, he employs art’s ability to effect changes in human consciousness by revealing structures and connections that cannot always be seen. In this exhibition Chin explores the dissociative aspects of contemporary American life, where tension and conflict ferment beneath the repressive myths and contradictions surrounding ideas of freedom, patriotism, and

social unity. In objects, videos, and drawings he speaks to the production and frustration of desire in consumerism, the tragedy wreaked by the covert manipulation of power and loss of historical memory, the hidden toxic residues of industrialization, and the disconnect between individuals in society and the institutional powers that shape their lives.

107


Filmstills aus film stills from Mel Chin, SOS: RELOADED, 2012 Film, 17 Min. film, 17 min. Produziert mit produced together with No Longer Empty, Bronx, NY

Animationsfilmstills aus animation film stills from Mel Chin, 9-11/9-11, 2007 Handgezeichneter Animationsfilm, 24 Min. hand-drawn animated film, 24 min. Drehbuch und Regie written and directed by Mel Chin

Mel Chin, Toaster from the set Ill-Posed Inverse Problemware, 2012 Umgebautes Modell eines Sunbeam Toastmaster, 19,05 × 14,60 × 29,21 cm converted vintage Sunbeam Toastmaster, 19.05 × 14.60 × 29.21 cm

108


109


110


111


Thomas Locher Yael Bartana ( *1970 | IL), Gianfranco Baruchello (* 1924 | IT), Clegg & Guttmann (M. Clegg, * 1957 | IE; M. Guttmann, * 1957 | IL), Peter Fend (* 1950 | US), Matt Mullican (* 1951 | US), Henrik Olesen (* 1967 | DK), Anna Oppermann (1940–1993 | DE), Katya Sander (* 1970 | DK), Dierk Schmidt (* 1965 | DE), Andreas Siekmann (* 1961 | DE), Costa Vece (* 1969 | CH), Stephen Willats (* 1943 | GB) Von Zeichen und Körpern

Die gegenseitige Durchdringung von Kunst und Leben als Wunschvorstellung der Avantgarden, ausgerichtet auf ein „anderes Leben“, das ein besseres sein sollte, scheint sich vor allem in ökonomischer und sozialer Hinsicht vollzogen zu haben. Vormals emanzipatorische Begriffe haben ein fröhliches Nachleben in der Welt des Managements, der Arbeitswelt, in versicherungstechnischen Direktiven oder geschichtspolitischen Fiktionen. In dieser Ausstellung soll es um künstlerische Projekte gehen, die sich analytisch mit Visualisierungsstrategien befassen, gegen, entlang oder mit diesen Entwicklungen. Techniken der Macht, die die Optimierung und Regulierung von Lebensbedingungen in Massengesellschaften anstreben, berühren die Grenze der Darstellbarkeit. Ursächliche Verhältnisse, die auf partikulare Interessen verweisen, also individuelle Schicksale beschreiben, tauchen nicht mehr in informationsgrafischen Verlautbarungen auf; Subjekte erscheinen als Figuren statistischer Reduktion, als sich wiederholende Repräsentantinnen und Repräsentanten oder als diagram-

Georg Kargl Fine Arts ›› 10 112

matisch gesichtslose Statthalterinnen und Statthalter … sie werden zu abstrakten Zeichen. Künstlerische Projekte, die sich dieser Darstellungsformen bedienen oder sich auf sie beziehen, wissen um diesen Widerspruch zwischen dem Universalen und dem Singulären. Singuläres ist nur dann abbildbar, wenn es numerisch eine Gemeinschaft bildet, die eine Identität oder eine klare Zugehörigkeit verkörpert. Menschen bilden die Bevölkerung, können aber nur dann dargestellt werden, wenn sie über eine begriffliche und visuelle Identität verfügen und sie mit anderen teilen. Es geht um Zugehörigkeit zu einer Gesellschaft; staatliche Regulierungsmacht kann nicht dulden, dass es Subjekte jenseits dieses Repräsentationsverhältnisses gibt. Nicht der gesellschaftliche Zusammenhalt ist es, der Staatlichkeit ausmacht, sondern seine Aufhebung, die staatliche Regierungsmacht untersagt.


On Signs and Bodies

The interpenetration of art and life as avantgardist wishful thinking—aligned to a supposedly better “other life”—appears to have taken effect in economic and social realms in particular. Concepts that were once of emancipatory nature have a cheerful afterlife in the world of management, in the working environment, in actuarial directives, or in historical-political fictions. This exhibition focuses on artistic projects that analytically address visualization strategies against, along, or in accordance with these developments. Technologies of power that strive to optimize and regulate living conditions within mass society come up against the boundaries of representability. Causal relations that reference particular interests, hence describing individual destinies, no longer appear in informational, graphical statements; subjects appear as statistically reduced figures, as repetitive representatives, or as diagrammatically faceless vicegerents; they become abstract symbols. Artistic projects that reference or avail themselves of these representational forms are

aware of this contradiction between universal and unique aspects. The latter are only then depictable if a collective is formed, in terms of numbers, which embodies an identity or a clear affiliation. People make up the population, yet they only lend themselves to representation when possessing a conceptual and visual identity and sharing it with others. This involves being affiliated with a society; the regulatory power of the state cannot tolerate subjects that inhere on the far side of these representational relations. Accounting for solidarity within society are not issues of state but rather a suspension thereof that counters governmental power.

113


Andreas Siekmann, Trickle down. Der öffentliche Raum im Zeitalter seiner Privatisierung, 2007 Ausdruck auf Papier, 84 × 118,8 cm, Detail ink on graphic paper, 118.8 × 84 cm, detail

Gianfranco Baruchello, Pas la couleur, mais la NUANCE, 2009 Holz, Glas, verschiedene Materialien, 50 × 70 × 16 cm wood, glass, mixed media, 50 × 70 × 16 cm Filmstill aus film still from Yael Bartana, Entartete Kunst lebt (Degenerate Art Lives), 2010 16-mm-Film, Animation, Einkanalvideo, Ton, 5 Min., Loop 16mm film, animation, one-channel video, sound, 5 min., loop

114



Peter Fend, World to be, 1998 Filzstift und Bleistift auf Papier, 76 × 57 cm marker and pencil on paper, 76 × 57 cm

Matt Mullican, Steam Machine, 1984 Ölkreide auf Leinwand, 182,5 × 122 cm oilstick on canvas, 182.5 × 122 cm

116



Christoph Doswald Daniele Buetti (* 1956 | CH), Björn Dahlem (* 1974 | DE), Hanspeter Hofmann (* 1960 | CH), Tanja Roscic (* 1980 | CH), Tatiana Trouvé (* 1968 | IT)

Cosmology, Aesthetics, and Atrophy Einige Stichworte zur komplexen Beziehung von Kunst und Leben

Die Ästhetisierung der Alltagswelt durch Werbung und Massenmedien hat seit der Erfindung der Drucktechnik und zuletzt der digitalen Bildindustrie sukzessive zugenommen und in der Jetztzeit eine geradezu unerträgliche Dominanz entwickelt. Als Folge davon befindet sich das menschliche Subjekt im Zustand eines permanenten Bildabgleichs: die Vermessung der Distanz zwischen medialem Vorbild und realem Wirklichkeitsbild. Die Auslotung dieser Differenzen steht im Zentrum der Arbeit von Tanja Roscic, Tatjana Trouvé, Daniele Buetti und Björn Dahlem, die eigenständige kosmologische Systeme, ja, regelrechte Gegenwirklichkeiten entwickelt haben. Die Diskurse über Oberflächen und Ästhetik sind längst schon in Dimensionen des Alltags und der Wissenschaft vorgestoßen, die die Unversehrtheit des Individuums grundsätzlich infrage stellen. Genetische Manipulationen, chirurgische Eingriffe, pharmazeutische Forschungen oder neue Ernährungsformen haben es sich zum Ziel gesetzt,

Kerstin Engholm Galerie ›› 11 118

den Menschen zu mehr Schönheit und zu mehr Leistung zu verhelfen. Im Rahmen dieser Entwicklungen werden in der Ausstellung die Fragestellungen von Mangelerscheinungen und Überfluss im Rahmen ästhetischund gesellschaftlich-normativer Konzepte verhandelt.


Cosmology, Aesthetics, and Atrophy Several Catchwords on the Complex Relationship between Art and Life

The aestheticization of the everyday world through advertising and mass media, seen most recently in the digital photo industry, has successively increased since the invention of printing technology, having developed a virtually intolerable dominance in the present era. As a result, the human subject is immersed in a state of perpetual comparison of imagery—gauging the distance between mediatic standards and the actual picture of reality. Fathoming these discrepancies is a focal aim of the artwork of Tanja Roscic, Tatjana TrouvÊ, Daniele Buetti, and BjÜrn Dahlem, who have developed distinct cosmological systems, indeed, veritable counter-realities. Discourse on surfaces and aesthetics have long pushed forth into dimensions of everyday life and science, into dimensions that fundamentally challenge the integrity of the individual. Genetic manipulation, surgical interventions, pharmaceutical research, or new forms of nourishment have been conceived

with the objective of helping people attain heightened beauty or enhanced performance. In view of these developments, the exhibition negotiates issues of deficiency and abundance in the framework of aesthetic and normativesocial concepts.

119


Daniele Buetti, oh boy oh boy XXIII, 2011 Pigmentdruck hinter Laserkonturschnitt-Acrylglasmosaik, 180 × 140 cm pigment print behind laser contour-cut acrylic glass mosaic, 180 × 140 cm

Björn Dahlem, Aus fernen Welten, 2010 Installationsansicht installation view

120


121


Tanja Roscic, Untitled (from the Gloria series #24), 2012 Filzstift, Kugelschreiber, Bleistift, Schellack, Acrylfarbe, Latex, Stoff, Papier auf Holz, 53,3 × 42,6 × 5 cm (Dimensionen gerahmt) felt pen, pen, pencil, shellac, acylic, latex, cloth, paper on wood, 53.3 × 42.6 × 5 cm (framed dimensions)

Hanspeter Hofmann, Ohne Titel, 2010 Öl und Acryl auf Leinwand, 130 × 100 cm oil and acrylic on canvas, 130 × 100 cm

122


123


Adam Carr Meriç Algün Ringborg (* 1983 | TR), Christian Burnoski (* 1979 | US), Sean Edwards (* 1980 | GB), Ryan Gander (* 1976 | GB), Leopold Kessler (* 1976 | AT), Jonathan Monk (* 1969 | GB), Alek O. (* 1981 | AR), Kirsten Pieroth (* 1970 | DE), Wilfredo Prieto (* 1978 | CU) Detective

Während des Aufbaus der Ausstellung Detective besucht ein wirklicher Privatdetektiv die Galerie. Er examiniert die Kunstwerke der ausstellenden Künstlerinnen und Künstler aus dem In- und Ausland und beschreibt dann in schriftlichen Berichten, welches Ereignis ihnen zugrunde liegt und wie und von wem sie wohl gemacht worden sind. Sämtliche Werke nutzen den Detektiv und seine Ermittlungen als Kunstvermittlung – als Lupe, durch die sie betrachtet und letztlich verstanden werden sollen. Damit ermöglicht die Ausstellung ein neues und außergewöhnliches Kunsterlebnis. Der eigentliche Prozess sowie die Kriterien des Wahrnehmens, Deutens und Beurteilens von Kunstwerken kommen in den Blick. Die Ausstellung thematisiert, wie sich andere in unser Kunsterleben einschreiben und wie wir Kunstwerke neu wahrnehmen können, wenn wir uns der Sichtweise anderer anvertrauen. Der Detektiv versetzt uns somit selbst in die Rolle von Detektivinnen und Detektiven.

Galerie Andreas Huber ›› 12 124

Detektiv Galerie Andreas Huber Verdächtige Künstlerinnen und Künstler Meriç Algün Ringborg, Christian Burnoski, Sean Edwards, Ryan Gander, Leopold Kessler, Jonathan Monk, Alek O., Kirsten Pieroth, Wilfredo Prieto und Alfred Rupf, Detektiv, und ehemaliger Oberstleutnant und Leiter der Kriminalpolizei auf dem Flughafen Wien-Schwechat Kuratiert von Adam Carr


Detective

For the “installation” of the exhibition Detective, a real-life detective will be visiting the gallery. This figure will investigate artworks shown by a number of international artists, describing, through written reports, what might have occurred in each piece, how they might have been created, and by whom. All of the artists are participating in the exhibition with artworks that find (through the detective and his or her interpretation) a guide for the viewer—a lens through which they might need to be viewed and ultimately understood. In so doing, the exhibition imparts a unique and alternative exhibition experience, bringing into sharp focus the very process of reading, interpreting, and investigating works of art, but also the criteria we adopt in the process. It examines how somebody else might write and form our own experience; how we can encounter artworks from a new perspective and be guided through an exhibition via somebody else’s eyes, yet with our own selves also being positioned as detectives.

Detective Galerie Andreas Huber Suspected Artists Meriç Algün Ringborg, Christian Burnoski, Sean Edwards, Ryan Gander, Leopold Kessler, Jonathan Monk, Alek O., Kirsten Pieroth, Wilfredo Prieto And with Alfred Rupf, detective and former head colonel of the Police Department of Airport Vienna, Schwechat. Curated by Adam Carr

125


Videostill aus video still from Leopold Kessler, Lucky Day, 2009 Video, 2 Min., 22 Sek., Farbe, Ton video, 2 min., 22 sec., color, sound Gefilmt mit versteckter Kamera filmed by hidden camera

126


127


Wilfredo Prieto, Spark, 2011 Glas, unterschiedliche Dimensionen glass, variable dimensions

128


129


Marius Babias Jimmie Durham (* 1940 | US), Thomas Kilpper (* 1956 | DE)

Thomas Kilpper | Jimmie Durham

Zuletzt machte Thomas Kilpper mit seinem Projekt State of Control (2009) im ehemaligen Ministerium für Staatssicherheit der DDR in Berlin und seinem Pavilion for Revolutionary Free Speech (2011) im dänischen Pavillon bei der 54. Biennale von Venedig von sich reden. Besucherinnen und Besucher konnten über großformatige, direkt in den Boden geschnittene Porträts von Persönlichkeiten aus Geschichte und Gegenwart schreiten – etwa Silvio Berlusconi, Ulrike Meinhof, Rosa Luxemburg oder Karl Marx. Kilpper nimmt Bodendrucke von seinen geschnitzten Motiven und hängt sie in den Ausstellungsraum. Er setzt sich mit Geschichte und den ideologischen Konzepten von Überwachung und Repression auseinander. Kilpper erzählt aus radikal subjektiver Sicht gewissermaßen die Vorgeschichte der „Geschichte“, bricht Vorstellungen und Bilder auf, die sich in uns zu historischen Wahrheiten verfestigt haben. Der Künstler montiert die Figuren aus der Geschichte zu einer Historienmalerei mit den

Christine König Galerie ›› 13 130

Mitteln des Linol- und Holzdrucks – fragmentarisch, scharfkantig und beziehungsreich. „Geschichte“ ist Montage. Jimmie Durhams Skulpturen, Objekte, Bilder und Gedichte thematisieren Welterfahrung aus der Perspektive des Minoritären und des Außenseiters. Durham, Angehöriger des Cherokee-Stammes in den USA, hat für die Rechte der amerikanischen Ureinwohnerinnen und Ureinwohner gekämpft und war Vertreter der indigenen Völker bei den Vereinten Nationen. Er lebt seit 25 Jahren als Künstler und Dichter in Europa und vertritt unbeirrbar eine humanistische Haltung, fern von Ideologie und Pathos. Seine künstlerische und poetologische Stärke liegt darin, den Dingen und der Sprache durch Umdeutung neue Wendungen zu geben und unsere Erfahrungswelt zu verändern.


Thomas Kilpper | Jimmie Durham

Thomas Kilpper most recently attracted attention with his project State of Control (2009), set at the former Ministry for State Security of the GDR in Berlin, and also with his Pavilion for Revolutionary Free Speech (2011) at the Danish Pavilion of the 54th Venice Biennale. Exhibition visitors could step along large-format portraits of historical and present-day figures, such as Silvio Berlusconi, Ulrike Meinhof, Rosa Luxemburg, or Karl Marx, that had been carved into the flooring. Kilpper makes prints of these wood and linoleum works in the floor, taking the carved motifs and hanging them in the exhibition space. He explores historical themes and the ideological concepts of surveillance and repression. Taking a radically subjective perspective, Kilpper narrates, as it were, the prehistory of “history,” disrupting the ideas and images that have solidified within us as historical truths. The artist assembles the historical figures in a history painting using linocuts and woodcuts—fragmentary, cultrate, and suggestive. “History” as montage.

Jimmie Durham’s sculptures, objects, images, and poems thematically explore worldly experience from the perspective of the minority and the outsider. Durham, a member of the Cherokee Tribe in the USA, has long fought for the rights of Native Americans and has served as a representative of indigenous peoples at the United Nations. Having lived in Europe as an artist and poet for twenty-five years, he unswervingly advocates a humanistic stance that eschews ideology and pathos. His artistic and poetological strengths lie in reframing things and language to lend them new expression and to change our world of experience.

Thomas Kilpper, State of Control, 2009 Linolschnitte linocut Ausstellungsansicht Kantine im ehemaligen Ministerium für Staatssicherheit der DDR exhibition view, canteen of the former Ministry for State Security of the GDR Foto photo Neuer Berliner Kunstverein (n.b.k.)/Jens Ziehe

Jimmie Durham, Even after so many years have passed so strangely I still cannot explain adequately what happened that night, 2012 Vitrine, unterschiedliche Materialien, Holzsockel, 50 × 120 × 50 cm vitrine, mixed media, wooden base frame, 50 × 120 × 50 cm Foto photo Margherita Spiluttini

131


132


133


134


135


Margrit Brehm Georg Herold (*1947 | DE), Bob and Roberta Smith (*1964 | GB)

Prinzip Baustelle

Die Baustelle markiert einen abgegrenzten Ort der aktiven Veränderung. Die konstitutiv offene Situation – was fertig ist, ist keine Baustelle mehr –, der damit verbundene Ausnahmezustand und die dadurch ausgelösten Irritationen lassen die Baustelle als tragfähige Metapher erscheinen, um einen Aspekt im Bezugssystem Kunst/Leben/Arbeit zu beleuchten. Allgegenwärtig, wie sie ist – als Stolperfalle vor dem Haus ebenso wie als Beschreibung eines gesellschaftlichen oder persönlichen Zustands –, erscheint die Baustelle geradezu als Ausdruck des Zeitgeistes. Im übertragenen Sinn steht „Baustelle“ heute gleichermaßen für einen konstatierten „Veränderungsbedarf“ und grundlegende Zweifel an einem möglichen Ende des Ausnahmezustandes. Diese veränderte Betrachtungsweise stellt nicht nur eine Bedrohung für eine effektivitätsbesessene Gesellschaft dar, die Baustellen ausschließlich als temporäre Hindernisse auf dem Weg zu einer „Verbesserung“ akzeptiert, sondern lenkt die Aufmerksamkeit auf die Tatsache, dass Künstlerinnen und Künstler spätestens seit den 1960er-Jahren genau aus diesen Gründen die Baustelle als Abbild der

Gabriele Senn Galerie ›› 14 136

eigenen Lebenssituation erkannt, als Modell für eine auf Veränderung der herrschenden Zustände zielende Kunst genutzt und als Materialdepot geplündert haben. Die Ausstellung in der Gabriele Senn Galerie zeigt Werke von Georg Herold und Bob and Roberta Smith, denen sperrige Konstruktionen aus „armen“ – gerne der Baustelle oder dem Sperrmüll zugeordneten – Materialien als Schrift- und Bedeutungsträger dienen. Kompromisslose Geistesgegenwart und anarchischer Humor kennzeichnen diese Werke. Als irritierende Wanderbaustellen sind sie durchaus geeignet, den einen oder die andere beim Wettlauf auf der Siegerstraße aus dem Gleichschritt zu bringen … Men at Work!


Men at Work

Construction sites indicate a delineated area of active change. The constitutively open situation (a finished site is of course no longer under construction), the state of exception that this entails, and the related irritations seem to make the construction site reflect a viable metaphor for illuminating a facet of the reference frame of art/life/work. As ubiquitous as it may be—a tripping hazard in front of a building just as a description of a social or personal state—the construction site well-nigh appears to be an expression of the zeitgeist. In a figurative sense, the “construction site” today stands for an established “need for change,” but also for deeply rooted doubts about a potential conclusion to this state of exception. This altered vantage point not only represents a threat to a society obsessed with efficacy, which views construction sites solely as temporary obstacles on the path to “improvement.” It also shifts attention to the fact that, starting in the 1960s, artists recognized the construction site as a mirror of their own life situations precisely for this reason; they have used it as a model for creating art that endeavors to change the prevailing circumstances and have plundered it as a materials depository.

The exhibition at the Gabriele Senn Galerie is showing works by Georg Herold as well as Bob and Roberta Smith, bulky constructions made of “poor” materials—originating from construction sites or bulky waste—that serve as carriers of the written word and meaning. Uncompromising quick-wittedness and anarchic humor distinguish these works of art. As irritating traveling construction sites, they are certainly suited to tripping up someone or other in the race along the road to success … Men at Work!

137


Georg Herold, Kaffe, welcher angeblich niemals schmeckt, 1982 Öl auf Leinwand, 90 × 70 cm oil on canvas, 90 × 70 cm

Georg Herold, Holz ohne Raum, 1988 12 Dachlatten mit schwarzem Aufdruck (Titel) versehen, Schrauben, Klebestreifen, Latten je 260 × 4,5 × 2 cm 12 timber batten with black imprint (title), screws, glue strip, batten 260 × 4.5 × 2 cm each Foto photo fluid archives

Bob and Roberta Smith, Hiding Places, The Magnanimous Cuckold reworked including a Piss Bar and an Apathy Workshop, 2007 Plattform, Tisch, Stuhl, Schilder und andere Materialien, ca. 500 × 800 × 400 cm platform, table, chair, signs, and other materials, approx. 500 × 800 × 400 cm Installationsansicht installation view ZKM, Karlsruhe, 2008 Foto photo Jan Windszus

138


139


140


141


Felicitas Thun-Hohenstein Roberta Lima (* 1974 | BR)

Aesthetics of Risk

Risiko ist, von jeher, Begleiterin der (Kunst-) Produktion in ästhetischer, konzeptueller, ökonomischer und sozialer Hinsicht. Was wird jedoch aus dem Risiko als Komplement künstlerischen Denkens und Handelns, wenn die ganze Gesellschaft – nach Ulrich Beck – zur Risikogesellschaft geworden ist? Wenn das ganze Leben zum Material der Verwertung wird und solchermaßen Tag für Tag aufs Spiel gesetzt werden muss, als Prekarisierung nicht nur der Arbeit, sondern des „nackten Lebens“? Die Galerie Charim stellt diese Zuspitzung von „Kunst und Leben“ mit einer Ausstellung der Künstlerin Roberta Lima zur Disposition. Ursprünglich als ausgebildete Architektin Teil des populärkulturellen Undergrounds, erkundet Lima seit 2006 in Liveperformances die Bedingungen, Eindrücke und Folgen variabler performativer Settings ihres Körper-Selbst, anwesend und abwesend, im sozialen Raum. Roberta Limas subjektiver Ansatz entwickelt sich in zwei Elementen: einerseits der Phase der Besetzung und individuellen Verortung des vorhandenen Raumes durch die sich in ihm ereignende Performance, andererseits den dabei entstehenden Objekten und Artefakten, die später arrangiert werden und so den

Charim Galerie Wien ›› 15 142

Schauplatz medial und skulptural über den „Liveact“ hinaus verlängern. Aesthetics of Risk kartografiert diesen Werkkomplex der letzten Jahre, insofern als die Künstlerin jene „erfahrenen Objekte“, die den „alten Raum“ ausmachten und definierten, in situ wiederbelebt und vergegenwärtigt. Das transformatorische Potenzial von Differenz als Gegenstück zu Macht im Blick, oszilliert die performative Installation zwischen Vergangenem/Gegenwärtigem, Entzogenem/ Begehrtem, Großem/Kleinem, Alltäglichem/ Ungewöhnlichem, Nahem/Fernem, Kunst/ Leben. Dabei durchläuft und analysiert Lima die „Physis der Gegenstände“, wie in ihren Körperinterventionen – schneidet den Körper auf, hebt Häute und Schichten ab, versteckt sie, entblößt sie, einem pornografischen Akt der Freilegung gleich, und dringt so mit Foucault zum „giftigen Herz der Dinge“ vor.


Aesthetics of Risk

Risk has always accompanied (artistic) production in aesthetic, conceptual, economic, and social ways. Yet what will become of risk, in its complementary role to artistic thought and action, when the entire society—as per Ulrich Beck—has become a risk society? When life as a whole becomes the fabric of exploitation and, as such, must be compromised day after day—as a casualization not only of work, but also of the “bare life”? Galerie Charim puts up for negotiation this intensification of “art and life” with an exhibition by artist Roberta Lima. Originally a trained architect working in the pop-culture and underground scenes, since 2006 Lima has been exploring, through live performances, the contingencies, impressions, and outcomes of variable performative settings of her body-self, both present and absent, in social space. Roberta Lima’s subjective approach is developed through two elements: on the one hand, the phase of occupation and individual localization of existing space through her performance occurring there; on the other, the objects and artifacts engendered in the process, which are later arranged so as to extend the scene beyond the “live act” in mediatic and sculptural ways.

Aesthetics of Risk charts this work complex of recent years, inasmuch as the artist revives and lends presence to those “experienced objects” that were stipulating and defining the “old space.” The transformational potential of difference, as the counterpart of power inherent to the view, this installation is oscillating between aspects that are past/ present, revoked/desired, large/small, prosaic/unusual, close/far, that relate to art/life. Along the way, Lima traverses and analyzes the “physique of objects”—such as in her corporeal interventions, where she cuts and open bodies, lifts skin and layers, hiding them, disclosing them, similar to a pornographic act of exposure—and thus advances forward to “the poisonous heart of things” (Foucault).

143


Roberta Lima, Cut it Out! – Needles, 2007 Chromogenabzug, 70 × 80 cm chromogenic print, 70 × 80 cm Videostill aus video still from Roberta Lima, synchronicity, 2008

Roberta Lima, The Rings, 2005 Chromogenabzug, 90 × 70 cm chromogenic print, 90 × 70 cm

144


145


146


Roberta Lima, Three Stages of Consciousness – Second Stage, 2012 Foto photo Ana Paula Franco Roberta Lima, Three Stages of Consciousness – Third Stage, 2012 Foto photo Ana Paula Franco

Roberta Lima, ReBirth – Standing Up/Self-Portrait, 2012 Silbergelatineabzug, 48 × 37,5 cm gelatin silver print, 48 × 37.5 cm

147


Claire Breukel Peterson Kamwathi Waweru (* 1980 | KE), Simon Vega (* 1972 | SV)

Die Politik von Kunst als Leben

Die Politik von Kunst als Leben: Peterson Kamwathi Waweru „Es herrscht große Einigkeit darüber, dass die Politik in Entwicklungsländern eine sehr große Rolle spielt.“1 (Allan Drazen) Peterson Kamwathi Wawerus Ausstellung Hymn for the Republic untersucht politisch brisante Routinen der sozialen und kulturellen Konformität, die im zunehmend freieren Kenia von heute auf bizarre Weise deplatziert wirken. So war die britische Sitte des Anstellens dem Gesellschaftsgefüge Kenias früher fremd. Waweru nimmt zugleich die Rolle des Beobachters und des Gesellschaftskritikers ein und analysiert so den „Zwischenraum“, in dem Menschen Schlange stehen und warten. Mit dicken Kohlestrichen skizziert er die bedrohliche Aura der Uniformen, die Autorität mimen und damit die Bewegungen und Freiräume der Menschen diktieren. Welches Verhalten erwarten politische Ideologien eigentlich von uns? Und was würde passieren, wenn wir nicht gehorchten?

Galerie Hilger Contemporary ›› 16 148

Biopower: Simon Vega Angelehnt an Jeremy Benthams „Panoptikum“ aus dem 18. Jahrhundert und Foucaults Philosophie der Macht und Überwachung schafft Simon Vega einen kaskadenförmigen Luster aus defekten alten Überwachungskameras. Vegas Geste, Macht- und Kontrollapparate in funktionslose Skulpturen umzubauen, ist antiarchitektonisch und subversiv. Die Kamera wird vom „Beobachter“ zum „Beobachteten“.

__________ 1

Allan Drazen: „Is There a Different Political Economy for Developing Countries? Issues, Perspectives, and Methodology“, S. 1. Der Artikel wurde auf der Plenarsitzung des African Economic Research Consortium über politische Öko nomie und die Wirtschaftsentwicklung Afrikas am 28. Mai 2006 in Nairobi präsentiert.


The Politics of Art as Life

The Politics of Art as Life: Peterson Kamwathi Waweru “There is wide agreement that politics matters a lot in developing countries.”1 —Allan Drazen Peterson Kamwathi Waweru’s exhibition Hymn for the Republic explores politically charged systems of social and cultural conformity as bizarrely out of place in an increasingly liberated, contemporary Kenya. The British system of queuing was once alien to the social fabric of the Kenyan landscape. Appropriating the role of both observer and social commentator, Waweru studies the “in-between space” of people waiting in line and in transit, using thick black charcoal to describe the oppressive aura of uniforms that masquerade as authority figures who dictate movement and define social freedom. How do political ideologies expect us to behave? And what would ultimately happen if we didn’t?

Biopower: Simon Vega Taking inspiration from Jeremy Bentham’s eighteenth-century design of the panopticon and Foucault’s philosophy of the powers of surveillance, Simon Vega creates a cascading chandelier of surveillance cameras made of functionless found objects. Vega’s gesture to recreate technologies associated with power and control in the form of functionless, aesthetic sculptures is deeply anti-architectural, subverting the camera from “watcher” to “watched.”

__________ 1

Allan Drazen, “Is There a Different Political Economy for Developing Countries? Issues, Perspectives, and Methodology,” p. 1. This paper was presented at the plenary session on “Political Economy and African Economic Development,” African Economic Research Consortium, Nairobi, Kenya, May 28, 2006.

149


Simon Vega, Inverted Surveillance Systems, 2006–2012 Holz, Karton und Plastikkamera-Imitationen wood, cardboard, and plastic fake cameras Intervention am Zona Maco in Mexiko-Stadt intervention at Zona Maco in Mexico City, 2007

150


151


Kamwathi Waweru, Door I, 2012 Kohle auf Papier, 123 × 155 cm charcoal on paper, 123 × 155 cm

Kamwathi Waweru, „Study“ for Border series, 2012 Kohle und Pastell auf Papier, 152,5 × 183 cm charcoal and pastel on paper, 152.5 × 155 cm

152


153


David Harper | Martha Kirszenbaum Paolo Chiasera (* 1978 | IT), Aleksandra Domanović (* 1981 | SI), Timothy Hull (* 1979 | US), Iman Issa (* 1979 | EG), Shahryar Nashat (* 1975 | IR), Ruby Sky Stiler (* 1979 | US) Der versteinerte Fluss

The Petrified River soll den Widerspruch zwischen den Relikten historischer Wirklichkeiten und den mit ihnen zusammenhängenden Erinnerungen zum Ausdruck bringen. Wie verändern Künstlerinnen und Künstler die Vorstellung von Monumenten durch deren Verkleinerung auf ein menschliches Maß, neue Materialien und die Wechselwirkung mit dem sie umgebenden Raum? Unsere pluralistische Welt entledigt sich zusehends der Geschichte. Damit verlieren auch Monumente als „lieux de mémoire“ und Verkörperungen historischer Episoden an Wirkung. Von der Geschichte getrennt tritt die monumentale Formensprache in den Vordergrund, weil sie die kollektiven Ideen von historischem Ringen und Triumph ausdrückt. Die sechs eingeladenen Künstlerinnen und Künstler schaffen mit ihrer Kunst soziale und politische „détournements“ der Funktion von Monumenten als „lieux de mémoire“ oder Erinnerungsorten, die der französische Historiker Pierre Nora einmal als „materiell, symbolisch und funktional eingebunden in das Möbiusband des Kollektivs und des Einzelnen, des Heiligen und des Profanen, des Unveränderlichen und des Veränderlichen“1 bezeichnet hat. Aleksandra Domanović’ Skulpturen, Fotografien und Videos thematisieren kulturelle Artefakte, öffentliche Monumente und nationale Identität im postkommunistischen Kontext sowie die ausufernde Nutzung des Internets. Iman Issa wiederum baut in ihrer Serie Material Monumente in intime Installationen im menschlichen Maß um, die nichtexistente oder missglückte Monumente zu ersetzen vermögen. Shahryar Nashat deutet in seinen Fil-

Lukas Feichtner Galerie ›› 17 154

men und Installationen den Begriff der Monumentalität in Richtung Performativität und Macht. Zugleich bezieht er sich auf museale Ausstellungsnormen, indem er die Funktion des Sockels in der Monumentalkunst infrage stellt. Timothy Hull untersucht in seinen Zeichnungen die Ikonografie von klassischer Skulptur und Architektur als ikonischen Monumenten, die durch ihre Flachheit und die Gewöhnlichkeit des Materials gewissermaßen banalisiert und verpfuscht werden. Auch Ruby Sky Stiler ahmt mit ihren Skulpturen Formen mit klar kenntlichen historischen Bezügen nach. Diese werden aber durch eine Perspektivverschiebung dekonstruiert, und zwar vor dem geschichtlichen wie einem zeitgenössischen Hintergrund. Paolo Chiasera schließlich ist von historischen Ikonen und kulturellen Symbolen fasziniert. Durch die Präsentation seiner Archive und einzelner Projekte rückt er kollektives Gedächtnis und Mythologie zurecht. Nach Robert Smithsons Theorie der Entropie sind diese neuen Monumente nicht für die Ewigkeit gedacht. Sie stehen „gegen die Zeit“2, bestehen sie doch – wie die ganze Ausstellung – aus künstlichen Materialien und unauthentischen Geschichten. __________ 1

Pierre Nora: „Between Memory and History: Les Lieux de Mémoire“, in: Representations, Nr. 26 (Spezialausgabe: Memory and Counter-Memory), Frühjahr 1989, S. 7–24.

2

Robert Smithson: „Entropy and the New Monuments“ (1966), in: Robert Smithson. The Collected Writings, hg. v. Jack Flam, University of California Press, Berkeley/London 1996, S. 11–13.


The Petrified River

The Petrified River attempts to express a paradox that exists between what remains of historical realities and their associated memories and how artists redirect ideas of monumentality through domestic scale, material, and interaction between objects and space. As our increasingly pluralistic world removes itself further from history, these lieux de mémoire become less powerful as individual narratives. However, the language of monuments, when divorced from historical moments, becomes relevant as it reflects collective notions of both struggle and triumph. Within their practices, these six invited artists create social and political détournements of the role of monuments—lieux de mémoire, or places of memory—which French historian Pierre Nora has coined as “material, symbolic and functional, enveloped in the Möbius strip of the collective and the individual, the sacred and the profane, the immutable and the mobile.”1 Aleksandra Domanović’s sculptures, photographs, and videos relate to cultural artifacts, public monuments, and national identity within the postcommunist context and the extended use of the Internet. Iman Issa, on the other hand, rematerializes monuments in her series Material, creating private, human-scale installations that propose alternative solutions for nonexistent or failed monuments. In his films and installations, Shahryar Nashat reinterprets notions of monumentality in its relationship to performativity and power, while referencing museological displays and questioning the function of the pedestal. In his drawing practice,

Timothy Hull investigates the iconography of classical sculpture and architecture as iconic monuments, yet somehow vulgarized and corrupted by their flatness and their common material. Similarly, in her sculptures Ruby Sky Stiler recreates forms that clearly reference history, yet which are, through the shifting perspectives created in their deconstruction, both historical and contemporary. Finally, fascinated by historical icons and cultural symbols, Paolo Chiasera puts into perspective collective memory and mythology through a presentation of his archives and specific projects. Following Robert Smithson’s theory on entropy, these new monuments are not built for but rather “against the ages,”2 since they are made, as is the case in this exhibition, of artificial materials and falsely constructed histories.

__________ 1

Pierre Nora, “Between Memory and History: Les Lieux de Mémoire,” Representations (Spring, 1989), special issue: Memory and Counter-Memory, pp. 7–24.

2

Robert Smithson, “Entropy and the New Monuments” (1966), in Robert Smithson: The Collected Writings, ed. Jack Flam and Robert Smithson (Berkeley and London: University of California Press, 1996), pp. 11–13.

155


Iman Issa, Material for a sculpture commemorating a singer whose singing became a source of unity of disparate and often opposing forces, 2011 Ein Holzsockel mit Foto unter Glas, 49 × 49 × 77 cm; ein Holzsockel mit Holzskulptur und Beschriftung mit Klebefolie, 49 × 49 × 33 cm one wooden plinth with photo under glass, 49 × 49 × 77 cm; one wooden plinth with wooden sculpture and vinyl writing, 49 × 49 × 33 cm Foto photo Serkan Taycan

Ruby Sky Stiler, No title (wall relief, horizontal pattern), 2011 Schaumstoff, Acrylharz, Polymerkleber, Sprayfarbe, 25 × 20 cm foam, acrylic resin, polymer adhesive, spray paint, 25 × 20 cm

156


157


Videostill aus video still from Aleksandra Domanovi´c, Turbo Sculpture, 2010–2012 HD-Video, Farbe, Ton, 22 Min. HD video, color, sound, 22 min.

Shahryar Nashat, Back View of Cloaked Boy Standing on Drag Bench’s Sister, 2011 Tintenstrahldruck auf Papier, 160 × 120 cm inkjet print on paper, 160 × 120 cm Foto photo Serkan Taycan

158


159


Katya García-Antón Sudarshan Shetty (* 1961 | IN)

the pieces earth took away

Brief an Sudarshan Zürich, 14. Juli 2012 Lieber Sudarshan, heute Morgen erfreute ich mich an Quellwolken, Regenschauern und dann wieder blinzelndem Sonnenlicht. Es war, als führten die Götter eine zyklische Wettervorhersage auf. Doch je mehr sie aufführten, desto undeutlicher wurde des Tages Gestalt. Dies brachte mich auf deine neue Ausstellung in Wien. Du gehst vom Zusammenhang zwischen Tod und Kunstmachen aus. Die Ausstellung ist als fiktive Bühne angelegt, auf der du beides verbindest, wobei fiktive mit echten Todesriten (aus der indischen Theologie) kombiniert werden. Ironisch hast du Holzschnitzer Zenotaphe aus falschen Antiquitätenläden in Mumbai nachschnitzen lassen. Diese werden von Kaskaden der gängigen Begräbnisbeigaben Reis und Wasser „kinetisiert“. Tontöpfe werden, das Ritual des Topfzerbrechens aufgreifend, in Zeitlupe jongliert. Du spielst sozusagen Himmel und Hölle mit Ritual und Spektakel. Wir können das Entstehen und Vergehen von Bedeutung, wir können beider Künstlichkeit erkennen. Mir fällt auf, dass deine sehr unromantische Thematisierung des Todes durch Kunst eine Provokation der westlichen Vorstellung der Moderne ist, der du ja auch zugehörst. Dort hängen die Begriffe von Leben, Produktion und Fortschritt absolut, als ultimative Bedeutungseinheit also, zusammen. Du hingegen evozierst eher die Idee des Todes als „Bewährungsstrafe“. Der Tod ist bloß eine Erholung vom Leben.1 Die Welt ist nur eine Bühne voll sinnloser Bedeutungen, jede Zuschreibung stellt sich als Fiktion heraus. In deiner Vorstellung gibt es keinen „Zeitpfeil“ wie in der Moderne, der auf eine eindeutige Bedeutung zielt. Die Zeit ist bei dir eine offene Kategorie, Bedeutung ein konstruierter, multipler und variabler Raum. Vom heutigen Tag bleibt nicht viel. Die Wetterzyklen gehen weiter. Mein lieber Sudarshan, ich befürchte, dass ich die vielen Bedeutungen dieses Tages nicht begriffen habe. Herzlich deine Katya __________ 1

Zitat eines Künstlers in Louis Malles Phantom Indien. Reflexionen (1969).

Galerie Krinzinger, Seilerstätte ›› 18 160


the pieces earth took away

A Letter to Sudarshan Zurich, July 14, 2012 Dear Sudarshan, This morning I have been regaled by a cyclical puffing of clouds, pouring rain and emerging sunshine, as if the gods were rehearsing the day’s meteorology as an endless chain of events. Yet, the more these are performed, the less defined the outline of the day is becoming. Somehow, this inspired me to think about your new exhibition in Vienna. Your premise relates death to artistic production. The exhibition is proposed as the fictional stage in which you perform both, combining invented and real rituals of death [from Indian theological thought]. Cenotaphs are ironically re-created by wood-carvers from the fake antique markets in Mumbai and “kineticized” by cascades of staple funereal elements: rice and water. Earthenware pots are juggled in slow motion: a theatrical extrapolation of the pot-throwing ritual. You are in effect hopscotching between ritual and spectacle, bringing to our attention the filling and emptying of meaning, and the artifice of its production. It strikes me that your consideration of death within artistic production, far from any romanticism, dialogues provocatively with the Western proposal of modernity that you are also very much a part of. In modernity’s interlinked concepts of life, production, and progress, death represents a full stop: a final verdict of signification. You suggest rather the idea of the “suspended sentence”; death as regeneration.1 The world is a stage of empty meanings, with every act of ascription revealing its fakeness. There is no space here for the modernist “arrow of time” pinpointing a specific comprehension. Rather, time is an ongoing category, meaning a constructed, multiple, and regenerative space. There is little that remains of today. The cyclical weather pattern continues. I suspect, dear Sudarshan, that I have failed to glean the various meanings of the day. Yours cordially, Katya

__________ 1

Quote suggested by the artist from Louis Malle’s seven-part television series of 1969, L’Inde fantôme: Réflexions sur un voyage (Phantom India).

161


162


163


Sudarshan Shetty, the pieces earth took away, 2012 Verschiedene Materialien, unterschiedliche Dimensionen mixed media, dimensions variable

164


165


Michael Scott Hall Jürgen Klauke (* 1943 | DE)

Sequence: Gender: Death

Sequence: Seit den 1970er-Jahren arrangiert Jürgen Klauke methodisch Fotoelemente zu komplexen narrativen Sequenzen. Ähnlich wie ein Morphem in der Sprachwissenschaft steht jedes Bild für sich, korrespondiert aber zugleich mit dem nachfolgenden, um so eine immer komplexere Bedeutung zu schaffen. Der Hauptunterschied zur Linguistik ist, dass ein Morphem allein stehen kann oder nicht, während Worte immer eine isolierbare Bedeutungseinheit bilden. Klaukes Arbeiten sind von links nach rechts oder von oben nach unten zu lesen. Manche mehrteilige Werke ermöglichen, je nach ihrer Aufstellung, unterschiedliche Lesarten. Klauke selbst gibt an, dass sie möglicherweise gar keine Sequenz ergeben, sondern einen Raum oder ein Areal, in dem man dieselbe Sache unter verschiedenen Aspekten gedacht werden kann. Gender: Klauke stellt die Beziehung zwischen Körper und sozialem Geschlecht oder Gender infrage, indem er gängige Gesellschaftsund Sprachnormen unterläuft. Durch die Schaffung „sozialer Bilder“, die die Reflexion des anderen und zugleich den Blick – der diesen konstituiert – inkorporieren, sprengt er unseren Begriff des Selbstporträts. Soziale und psychische Entstellungen, die bisweilen groteske Formen annehmen, werden in die Bildsprache einbezogen.1 Durch die Ausarbeitung dieser „queeren“ Strategien sträubt sich Klaukes Werk gegen die Assimilation an den dominanten kulturellen Blick. Als Reaktion auf seine Arbeit

Galerie Elisabeth & Klaus Thoman ›› 19 166

äußerte Slavoj Žižek: „Wenn unser Innerstes unmittelbar externalisiert wird, ist das Ergebnis abstoßend …“2 Death: Klaukes Tableau Schlachtfelder (2010) besteht aus zwölf Teilen, die ihrerseits aus zwölf Unterteilungen mit Gegensätzen wie An-/Abwesenheit oder Leben/Tod bestehen. Diesen Gegensätzen sind ausgenommene Tierkörper und ihr Ausgenommenes zugeordnet. Klauke wollte damit zeigen „In den Bildern wird das Innere, Formlose, Amorphe, der funktionslose Rest durchkreuzt […] Bilder für fremde Territorium des Todes und die Kälte des Seins.“3 Die Arbeit verweist auf Batailles Vorstellung des Formlosen („l’informe“): ““): Es „hat keine Rechte in irgendeinem Sinne und lässt sich überall wie eine Spinne oder wie ein Wurm zertreten […], [ist] nicht nur ein Adjektiv, das einen Sinn hat, sondern auch ein Ausdruck, der der Deklassierung dient und im Allgemeinen erfordert, dass jedes Ding seine Form hat“4.

__________ 1

Klaus Honnef.

2

Slavoj Žižek, „Jürgen Klauke oder Abschirmung des Realen“, in: Absolute Windstille, Ausst.-Kat., Kunstund Ausstellungshalle der BRD, Bonn 2001.

3

Fietta Jarque, „Jürgen Klauke, un esteta existencial“, in: El Pais, 7. Mai 2012.

4

Georges Bataille, „L’Informe“ (1929), deutsch „Formlos“, in: Kritisches Wörterbuch, hg. von Rainer Maria Kiesow und Henning Schmidtgen, Merve, S. 44.


Sequence: Gender: Death

Sequence: Jürgen Klauke’s work, starting from the 1970s and continuing until today, uses the methodology of building photographic sequences to form complex narrative units. Much like linguistic morphemes, each image stands alone—but is dependent upon the next to form a more complex meaning, whereas a word is a freestanding unit. The works are read either left to right or up and down and some multipanel works allow various readings depending on their positioning. Klauke himself suggested that perhaps they are not a sequence, but a space or an area to develop different ways of thinking about the same thing. Gender: Klauke questions the relationship between body and gender by subverting socially and linguistically established norms. He disrupts our notions of the self-portrait by creating “social pictures” that incorporate both reflections of the other and the gaze that takes them in, containing social and psychological distortions, sometimes carried to the point of the grotesque,1 by developing “queer” strategies for resisting assimilation into the dominant cultural view. In response to Klauke’s work, Slavoj Žižek stated that “when our most internal part is immediately externalised, the result is abhorrent …”2 Death: In Klauke’s Schlachtfelder (2010) tableau, the work is structured into twelve units, each containing twelve sub-units of binary opposites, such as presence/absence and life/death. These units are again paired

with disemboweled animals and their aftermath, forcing what is normally inside to the outside. Klauke’s intention was to show how “In the pictures the innards become formless, amorphous and the functionless remains are crossed out … Pictures for the foreign territory of death and the coldness of being”3—much like Bataille’s concept of the formless (l’informe), which “has no rights in any sense and gets itself squashed everywhere … Thus formless is not only an adjective having a given meaning, but a term that serves to bring things down in the world, generally requiring that each thing have its form.”4

__________ 1

Klaus Honnef.

2

Slavoj Žižek, “Jürgen Klauke oder Abschirmung des Realen,” in Absolute Windstille, exh. cat. Kunst- und Ausstellungshalle der BRD (Ostfildern: Hatje Cantz, 2001).

3

Fietta Jarque, “Jürgen Klauke, un esteta existencial,” in El Pais, May 7, 2012.

4

Georges Bataille, “L’Informe” (1929), in Visions of Excess: Selected Writings 1927–1939 (Minneapolis: University of Minnesota Press, 1985), p. 31.

167


Jürgen Klauke, Self Performance, 1972–1973 S/W-Fotografien auf Barytpapier, 13-teilig, je 57 × 42 cm b/w photographs, thirteen parts, 57 × 42 cm each

168


169


Jürgen Klauke, Durchsicht, 1972–1973 Farbige Fotoarbeit, 3-teilig, je 30 × 45 cm color photographs, three parts, 30 × 45 cm each

170


171


Lóránd Hegyi Jan Fabre (* 1958 | BE)

Jan Fabres Welt

Das gesamte gigantische, vielschichtige, multidisziplinäre, komplexe Œuvre des belgischen Künstlers Jan Fabre mit seiner literarischen und visuell-plastischen Arbeit, mit seinem Theater und seinem Tanz lässt sich als eine äußerst kohärente, in ihrer grundsätzlichen ästhetischen und philosophischen Orientierung vollkommen homogene, intellektuell und emotional konsistente Vision von den tief liegenden, verborgenen Mechanismen der menschlichen Handlungen und Konstellationen, Motivationen und Wünsche beschreiben – also von den Energien und Kräften, die unser Leben, unsere Reaktionen auf Ereignisse, unsere Entscheidungen, unsere Beziehungen zu anderen Menschen, Ablehnung, Ängste, destruktive Neigungen und selbstzerstörerische Prozesse in den dunklen Bereichen des Unbewussten bestimmen. Obwohl die künstlerische Arbeit von Jan Fabre ständig Überraschungen und unerwartete Neuerungen bereithält, obwohl seine radikale Fantasie, seine Neugier, seine Virtuosität und seine teilweise obsessive Arbeitsenergie einer Naturkraft gleich zu immer neuen Werken aus allen schöpferischen Gebieten führen, steht sein grundsätzliches Engagement für die mutige, uneingeschränkt kompromisslose Ver-

Mario Mauroner Contemporary Art Vienna ›› 20 172

gegenständlichung der dramatischen, zerstörerischen und zugleich kreativen, fruchtbaren Komplexität des Menschlichen im Zentrum seiner Arbeit und seines Lebens. Jan Fabres Leben ist seine Arbeit; er existiert als Mensch nur in dieser vitalen, wilden, schöpferischen Aufregung und ständigen Intensität, wobei Leben und Werk vollkommen untrennbar sind. In diesem Sinne scheint Jan Fabre einer der letzten „Universalkünstler“ zu sein, die die wunderschöne rationale Utopie der transparenten Vollkommenheit der Renaissance mit der mächtigen Vitalität der irrationalen, widersprüchlichen, unkontrollierbaren Prozesse der psychischen Tiefenstrukturen des Menschen verbinden. Leben und Arbeit, Kunst, Theater, Literatur, politisches Engagement, einsame schöpferische Stunden im Atelier und die Leitung einer Theatergruppe – das alles ist der Künstler und Mensch Jan Fabre.


The World of Jan Fabre

The whole gigantic, multifaceted, interdisciplinary, complex oeuvre of Belgian artist Jan Fabre, comprising his literary and visualsculptural work, his theatrical performances and his dancing, fosters an exceptionally coherent vision that is wholly and completely homogeneous, intellectual, and emotional in terms of its basic aesthetic and philosophical orientation. This vision sheds light on the deeply rooted, covert mechanisms of human activities and constellations, motivations, and wishes—that is, a vision of the energies and forces that are determinative for our lives, our reactions to events, our decisions, our relations to other people, rejection, anxiety, calamitous tendencies, and self-destructive processes within the dark corners of the subconscious. The artistic work of Jan Fabre consistently tenders surprises and unexpected innovations, with his radical fantasy, his curiosity, his virtuosity, and an energetic approach to his work that occasionally borders on obsession, akin to a natural force, leading to ever new works from all creative realms. All the same, his fundamental commitments to the courageous, unconditionally intransigent reification of the dramatic, destructive, and simultaneously

creative, fruitful complexity of human aspects are posited at the center of his work and his life. Jan Fabre’s life is his work; his existence as a person is inextricably linked to this vital, wild, fertile excitement and constant intensity, whereby life and work are wholly inseparable. In this sense, Jan Fabre appears to be one of the last “universal artists” who unite the wondrous, rational utopia of transparent Renaissance perfection with the powerful vitality of the irrational, contradictory, uncontrollable processes of the deep psychic structures of human beings. Life and work, art, theater, literature, political dedication, solitary hours of creation in the art studio, and running a theater group—the artist and person Jan Fabre is all of this, and more.

173


Jan Fabre, Zeno Brains and Oracle Stones, 2012 Carrara-Marmor, 150 Ă— 150 cm Carrara marble, 150 Ă— 150 cm Foto photo Pat Verbeuggen

174


175


176


177


Agata Jastrząbek | Dirk Snauwaert Ruth Buchanan (* 1980 | NZ), Theo Cowley (* 1976 | GB), Simon Hempel (* 1975 | DE), Imi Knoebel (* 1940 | DE), Olga Raciborska (* 1983 | PL), Joëlle Tuerlinckx (* 1958 | BE)

No touching No

Der Wunsch, den negativen Raum der Dinge zu fassen. Das zu materialisieren und also zubenennen, was nicht gänzlich klar ist. Dies ist eine bewusste Entscheidung.

Präsentiert:2 Ruth Buchanan Theo Cowley Simon Hempel Imi Knoebel Olga Raciborska Joëlle Tuerlinckx

__________ 1

Zitiert nach Furniture, Plan, Rival Brain (2011), Ruth Buchanan.

2

Als Entgegnung auf die Einladung von Dirk Snauwaerts und der Galerie nächst St. Stephan Rosemarie Schwarzwälder sowie auf das Konzept von curated by_vienna 2012: Kunst oder Leben. Ästhetik und Biopolitik.

Galerie nächst St. Stephan Rosemarie Schwarzwälder ›› 21 178


No touching No

The desire to capture the negative space of things. Materializing, and hence naming what is not fully apprehended. It is a conscious decision to do so.

Presented by:2 Ruth Buchanan Theo Cowley Simon Hempel Imi Knoebel Olga Raciborska Joëlle Tuerlinckx

__________ 1

Taken from Ruth Buchanan, Furniture, Plan, Rival Brain, 2011.

2

In response to the invitation by Dirk Snauwaert and the Galerie nächst St. Stephan Rosemarie Schwarzwälder, as well as in response to the concept of curated by_vienna 2012: Kunst oder Leben: Ästhetik und Biopolitik.

179


Theo Cowley, Compo de Rheto, 2011

Imi Knoebel, Anima Mundi 17, 2011 Acryl auf Aluminium, 46 × 36 × 6,8 cm acrylic on aluminum, 46 × 36 × 6.8 cm

Simon Hempel, Images from the ongoing project XTCs, seit since 2008 Analoge S/W-Fotografien analogue b/w photographs

180


181


182


183


Florence Derieux Agnes Denes (* 1938 | US), Lili Reynaud Dewar (* 1975 | FR), Clément Rodzielski (* 1979 | FR), Emily Wardill (* 1977 | GB)

Das Körperargument

„Zuerst erbaueten sie den Panionischen Apollo, einen Tempel wie sie sie in Achaja gesehen hatten, und nannten ihn einen Dorischen Tempel, weil sie dergleichen zuerst in den Städten der Dorier hatten verfertigen sehen. Da es ihnen aber bey Errichtung der Säulen zu diesem Tempel an dem Verhältnisse derselben fehlte, so geriethen sie beym Nachforschen, wie selbige am füglichsten einzurichten seyn, um nicht allein Last zu tragen, sondern auch ein gefälliges Ansehen zu gewähren – auf den Einfall, die Länge eines Männerfußes zu messen; und da ergab sich, daß diese gerade den sechsten Teil der Mannsgröße ausmache, so trugen sie dieses Maaß auf die Säule über, und gaben dieser sechsmal ihre untere Schaftstärke – basis scapi – zur Höhe, das Kapitäl mit inbegriffen. Und so begann die Dorische Säule des männlichen Körpers Verhältniß, Festigkeit und Schönheit in dem Gebäude darzustellen. Ingleichen errichteten sie darauf der Diana einen Tempel. Indem sie darauf sannen ihm ein Ansehen von neuer Art zu geben, folgten sie derselben Spur. Sie nahmen die weibliche Schlankheit zum Vorbilde, und machten Anfangs die Dicke der Säulen von einem Achtel

Galerie Emanuel Layr ›› 22 184

ihrer Länge, damit sie desto höher aussehen möchten; legten ihnen unten Basen unter, gleichwie Schuhe; brachten am Kapitäle Schnecken an, gleich Haarlocken, die zu beyden Seiten hernieder hangen, und zierten die Stirn mit Wulst – cymatium – und Fruchtschnur – encarpi – anstatt der Haare; am Stamme aber ließen sie Streife – striae – gleich wie Falten am weiblichen Gewande, von oben bis untern herablaufen; dergestalt, daß sie, bey Erfindung der beyden verschiedenen Gattungen der Säulen, in der Einen den nackten schmucklosen männlichen Körper, und in der Anderen die feine, zierliche weibliche Gestalt, vermittelst der Verhältnisse nachahmten.“1

__________ 1

Marcus Vitruvius Pollio, De Architectura, Viertes Buch, übers. v. August Rode, 1796.


The Body Argument

“First of all, [they built] a temple to Panionion Apollo such as they had seen in Achaea, calling it Doric because they had first seen that kind of temple built in the states of the Dorians. Wishing to set up columns in that temple, but not having rules for their symmetry, and being in search of some way by which they could render them fit to bear a load and also of a satisfactory beauty of appearance, they measured the imprint of a man’s foot and compared this with his height. On finding that, in a man, the foot was one sixth of the height, they applied the same principle to the column, and reared the shaft, including the capital, to a height six times its thickness at its base. Thus the Doric column, as used in buildings, began to exhibit the proportions, strength, and beauty of the body of a man. Just so afterwards, when they desired to construct a temple to Diana in a new style of beauty, they translated these footprints into terms characteristic of the slenderness of women, and thus first made a column the thickness of which was only one eighth of its height, so that it might have a taller look. At the foot they substituted the base in place of

a shoe; in the capital they placed the volutes, hanging down at the right and left like curly ringlets, and ornamented its front with cymatia and with festoons of fruit arranged in place of hair, while they brought the flutes down the whole shaft, falling like the folds in the robes worn by matrons. Thus in the invention of the two different kinds of columns, they borrowed manly beauty, naked and unadorned, for the one, and for the other the delicacy, adornment, and proportions characteristic of women.”1

__________ 1

Marcus Vitruvius Pollio, De Architectura, Book IV.

185


Emily Wardill, The Pips, 2011 16-mm-Film, 端bertragen auf DVD, 3 Min., 39 Sek. 16mm film transferred to DVD, 3 min., 39 sec. Installationsansicht installation view

Videostill aus video still from Lili Reynaud Dewar, Why Should Our Bodies End at the Skin, 2012 Performance

186


187


188


Agnes Denes, Handled, 1971 Tinte auf grafischem Papier, 28 × 22 cm ink on graphic paper, 28 × 22 cm

Clément Rodzielski Ausstellungsansicht exhibition view FRAC Champagne-Ardenne, Reims, 2012

189


Niekolaas Johannes Lekkerkerk Nina Beier (* 1976 | DK) / Marie Lund (* 1975 | DK), David Raymond Conroy (* 1978 | GB), Ryan Gander (* 1976 | GB), Dora García (* 1965 | ES), Dave Sherry (* 1974 | IE), Pilvi Takala (* 1981 | FI)

Artists of the No

In einer Gesellschaft, die von einem Imperativ der Leistung gekennzeichnet ist, einem Zwang zur Produktivität, zur Teilnahme an einer unter Hochdruck stehenden Kultur der Performance, sehen sich Künstlerinnen und Künstler mehr denn je dazu gedrängt, sich den Anforderungen der Professionalität zu fügen und entsprechend zu arbeiten. Das muss nicht so sein. Wir können fragen: Wollen wir wirklich so arbeiten? Wie handhaben Künstlerinnen und Künstler das Ungleichgewicht von Leben und Arbeit? Können wir den Taktiken der Verweigerung, der Passivität, der Prokrastination oder des Müßiggangs kreative Möglichkeiten abgewinnen? Die Ausstellung Artists of the No setzt sich mit einer Reihe von künstlerischen Positionen und Arbeiten auseinander, die allesamt ein „Nein“ vortragen (eine Verweigerung, einen Mangel an Kooperation, eine Verzögerung, ein Zögern und so weiter) – als Reaktion auf eine Forderung, die in Gestalt eines Leistungsgebots daherkommt, das zugleich auferlegt und mitgeteilt wird. Dabei – und an diesem Punkt weicht die Ausstellung von der Behauptung ab, dass es besser sei, nichts zu schaffen, als etwas zu schaffen (der Fundamentalismus des Scheiterns) – erheben sich die Arbeiten über die gesellschaftlich-ökonomische Forderung (und

Projektraum Viktor Bucher ›› 23 190

zugleich über das konventionelle Denken und Verhalten), indem sie sämtliche Erwartungen enttäuschen: indem sie nämlich eine Situation und eine Anzahl von Szenarien herstellen, in denen das Potenzial für eine Differenz anhand der Vorstellungskraft und der ästhetischen Erfahrung greifbar wird. Anstatt zu einem unzulänglichen Ersatzgestus zu werden, zu einem künstlerischen Akt, der als Stellvertreter eines anderen fungiert, gelingt der Ausstellung vielleicht ein Moment, ein Augenblick, in dem spezifische Lösungen und konkrete Antworten provozierend latent bleiben, und zwar aus den richtigen Gründen. Wie könnten wir es uns – finanziell wie existenziell – überhaupt leisten, nicht zu arbeiten, nichts zu leisten? Was die Ausstellung vorführt, ist, dass die Möglichkeit, sich „nicht dem Programm anzupassen“, sich nicht der Entwicklung zu unterwerfen, vielmehr den Bann zu brechen, etwas um der Produktion willen produzieren zu müssen, für einen Moment das überwältigende und übersättigte System der infrakünstlerischen Mediationen beiseitezuschieben, um so eine Atempause zu gewinnen, für und mit sich selbst, zu denken – dass diese Möglichkeit verwirklicht werden könnte durch Arbeit als Form des performativen Dissenses. Lassen Sie sich Zeit.


Artists of the No

In a society characterized by an imperative to perform, to be productive, to take part in a time-pressured culture of high performance, artists are now more than ever pressured to work and conform to the demands of professional activity. This is not the only way. In other, more questionable words: Is this the way we really want to work? How do artists manage the imbalance between work and life? Are there creative possibilities in refusal, passivity, procrastination, and idleness? The exhibition Artists of the No ultimately engages with a number of artistic propositions and works that propose a “No”—refusal, uncooperativeness, diversion, postponement, reluctance, and so forth—as a response to an existing demand to perform that takes shape in the imperative, both imposed and imparted. In doing so—and this is the point at which the exhibition deviates from the claim that creating nothing is better than creating something (“failure fundamentalism”)—the works of art rise above socioeconomic demand (as well as common thinking and behavior) by frustrating all expectations: provoking a situation and a number of scenarios in which the potential for difference becomes tangible through imagination and aesthetic experience. Rather than

becoming an insufficient gestural proxy to put another artistic act into action, perhaps the exhibition creates a moment in which specific solutions and answers remain provocatively latent, for the right reasons. How could we possibly afford not to work, to perform—financially and existentially? What it does show is that not “getting with the program”—breaking the spell of the pressure to produce for the sake of production, putting aside for a moment the overwhelming and saturated system of infra-artistic mediations, createing some space to breathe, being and spending some time with oneself, thinking—could equally be reached and established through artwork as a kind of performing dissent. Take your time.

191


Nina Beier/Marie Lund, All the Best, 2008 Verschiedene Materialien, unterschiedliche Dimensionen mixed media, dimensions variable Dave Sherry, Just Popped Out, 2012 (erstmals präsentiert 2008 first performed in 2008) Performance

Dora García, Today I Wrote Nothing (Hommage an Daniil Charms homage to Daniil Kharms), 2009 Filzstift auf Papier, 21 × 29 cm pen on paper, 21 × 29 cm

192


193


194


Ryan Gander

David Raymond Conroy, All the books I own but haven’t read, stacked up in my house, in a place where the pile reaches from the floor to the ceiling, 19/10/2006, 2006 Tintenstrahldruck, 102 × 51 cm inkjet print, 102 × 51 cm Videostill aus video still from Pilvi Takala, The Trainee, 2008 Videoinstallation video installation

195


6

2

6 2

6

03

02 01 3 3 3/6

01

Galerie Raum mit Licht Kaiserstraße 32 1070 Wien Vienna www.raum-mit-licht.at

05

Galerie Mezzanin Getreidemarkt 14/Eschenbachgasse 1010 Wien Vienna www.galeriemezzanin.com

09

Galerie Steinek Eschenbachgasse 4 1010 Wien Vienna www.galerie.steinek.at

02

Galerie Krinzinger, Schottenfeld Schottenfeldgasse 45 1070 Wien Vienna www.galerie-krinzinger.at/projekte

06

Krobath Wien Eschenbachgasse 9 1010 Wien Vienna www.galeriekrobath.at

10

Georg Kargl Fine Arts Schleifmühlgasse 5 1040 Wien Vienna www.georgkargl.com

03

Galerie Hubert Winter Breite Gasse 17 1070 Wien Vienna www.galeriewinter.at

07

Galerie Martin Janda Eschenbachgasse 11 1010 Wien Vienna www.martinjanda.at

11

Kerstin Engholm Galerie Schleifmühlgasse 3 1040 Wien Vienna www.kerstinengholm.com

04

Knoll Galerie Wien Gumpendorfer Straße 18 1060 Wien Vienna www.knollgalerie.at

08

Galerie Meyer Kainer Eschenbachgasse 9 1010 Wien Vienna www.meyerkainer.com

12

Galerie Andreas Huber Schleifmühlgasse 6–8 1040 Wien Vienna www.galerieandreashuber.at

4

2/3


23 1/4

3 1/3

16 15

21

18

22

3 3/4

19 20

17

09 08 05 06 07

2

4

1/2/4

04

10 11 12 13 14

4

13

Christine König Galerie Schleifmühlgasse 1A 1040 Wien Vienna www.christinekoeniggalerie.com

17

14

Gabriele Senn Galerie Schleifmühlgasse 1A 1040 Wien Vienna www.galeriesenn.at

18

15

Charim Galerie Wien dorotheergasse 12/1 1010 Wien Vienna www.charimgalerie.at

Galerie Krinzinger, Seilerstätte Seilerstätte 16 1010 Wien Vienna www.galerie-krinzinger.at

19

16

Galerie Hilger Contemporary dorotheergasse 5 1010 Wien Vienna www.hilger.at

Galerie Elisabeth & Klaus Thoman Seilerstätte 7 1010 Wien Vienna www.galeriethoman.com

20

Galerie Mario Mauroner Weihburggasse 26 1010 Wien Vienna www.galerie-mam.com

Lukas Feichtner Galerie

19 1 Seilerstätte 1010 Wien Vienna

21

Galerie nächst St. Stephan Grünangergasse 1 1010 Wien Vienna www.schwarzwaelder.at

22

Galerie Emanuel Layr An den Hülben 2 1010 Wien Vienna www.emanuellayr.com

23

Projektraum Viktor Bucher Praterstraße 13/1 1020 Wien Vienna www.projektraum.at

www.feichtnergallery.com


Biografien der Kuratorinnen und Kuratoren

Marius Babias ›› 13 * 1962 in Suceava, Rumänien; lebt und arbeitet in Berlin

Margrit Brehm ›› 14 * 1960 in Karlsruhe, lebt und arbeitet in Karlsruhe

Marius Babias ist Kurator, Kunsttheoretiker und Hochschuldozent. Seit 2008 ist er direktor des Neuen Berliner Kunstvereins (n. b. k.). 2005 war er Kommissar des Rumänischen Pavillons bei der 51. Biennale von Venedig. Von 2001–2003 war Babias künstlerischer Ko-Leiter der Kokerei Zollverein, Zeitgenössische Kunst und Kritik in Essen. Von 1997–2001 hatte Babias Gastprofessuren für Kunsttheorie und Kunstvermittlung an der Städelschule Frankfurt/Main und am Center for Contemporary Art Kitakyushu, Japan, inne. 1996 erhielt Babias den Carl-Einstein-Preis für Kunstkritik.

Margrit Brehm promovierte 1991 (Der Fall Caravaggio); von 1992–2002 war sie Kuratorin an der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden und von 2003–2005 Chefkuratorin am Museum der Moderne Salzburg. Seit 2006 Ausstellungen und/oder Publikationen für das Belvedere, Wien, das ZKM, Karlsruhe, die Sammlung Falckenberg, Hamburg, den me Collectors Room, Berlin, u. a. Texte zur zeitgenössischen japanischen Kunst, zu Post-Minimal, John M. Armleder, Chuck Close, George Condo, Mat Collishaw, John Isaacs, Füsun Onur, Tobias Rehberger, Cindy Sherman, Paul Thek, Richard Tuttle u. v. a.

Will Benedict ›› 08 * 1978 in Los Angeles, lebt und arbeitet in Wien

Claire Breukel ›› 16 * 1979 in Südafrika, lebt und arbeitet in New York und Miami

In den letzten Jahren hat Benedict als professioneller Fotograf, Maler und Kurator gearbeitet. Mit Lucie Stahl betreibt er den Ausstellungsraum und die Bar Pro Choice/L’Ocean Licker, wo er sich mit den vergänglicheren Aspekten seiner normalen Arbeit im Studio auseinandersetzt. Soziale Beziehungen werden als anregend oder destruktiv gesehen, sie zwingen Benedict in Situationen, die er sonst vermeiden würde und bieten Möglichkeiten, die er nie erwartet hätte. Benedict meinte bei mehr als einer Gelegenheit: „die Geschichte eines Objekts kann man manchmal auswickeln und manchmal wickelt dich das Objekt ein, übernimmt deinen Körper und du bist nur mehr eine Art Zombie.“ Er gibt allerdings zu, dass es großteils seine Schuld sei, wenn er sich in so einer Lage wiederfindet – ein wenig gedämpft, umschlungen von etwas und Teil davon. Auch wenn er sich in einer Machtposition befindet, meint er, er selbst sei dafür verantwortlich.

Claire Breukel begann ihre Karriere als Kuratorin der Cape Town Month of Photography Biennale 2002 und des Vision Fotofestivals, ehe sie durch die Rubell Family Collection nach Miami kam. In Miami war Breukel Geschäftsführerin von Locust Projects, einem bekannten, alternativen Non-ProfitAusstellungsraum. Im Anschluss daran wurde sie in ihrer Rolle als Koordinatorin bei PUMAVision und Kuratorin für PUMA zur Nomadin. Sie ist kreativ und trägt zur Entwicklung der Kunst insbesondere in Afrika und im karibischen Raum bei. Sie hat Ausstellungen in Südafrika, New York, Miami, El Salvador und Wien kuratiert und schreibt für ArtPulse, Arte al Dia und das Magazin Eikon sowie wöchentlich für den New Yorker Online-Blog Hyperallergic.

José Luis Blondet ›› 05 * 1968, Caracas, lebt und arbeitet in Los Angeles José Luis Blondet ist seit 2010 als Kurator für das Los Angeles County Museum of Art – LACMA tätig. davor arbeitete er als Kurator für das Boston Center for the Arts, wo er Ausstellungen und Projekte mit Künstlern wie Liliana Porter, Vasco Araujo, Helen Mirra, Andrew Witkin etc. organisierte. Von 2003–2007 war er bei der dia Art Foundation in New York beschäftigt. Zu seinen Aufgaben zählte die Entwicklung von Vermittlungsprogrammen und Veranstaltungen für dia:Beacon. 2010 war er Ko-Kurator der Ausstellung Marta Minujin: Minucodes in der Americas Society in New York. Er verfasst Artikel und Essais über Kunst und Literatur und ist der Autor zweier Bücher: MBA, Obra Reciente und Sastre.

198

Adam Carr ›› 12 * 1981 in Chester, GB; lebt und arbeitet in Chester und London Adam Carr ist Kurator, Kritiker und dozent. 2010 war er Gastkurator im Castello di Rivoli, Museum zeitgenössischer Kunst, Italien. Kürzlich wurde er zum Kurator des Mostyn, Llandudno, Wales, ernannt. Er kuratierte zahlreiche Ausstellungen für Museen, Institutionen und Galerien und schreibt regelmäßig für Zeitschriften, wie Spike Art Quarterly, Flash Art, Mousse und Cura. Karel Císaˇr ›› 06 * 1972 in Prag, lebt und arbeitet in Prag der Kurator und Autor ist dozent für Ästhetik und Kunsttheorie an der Akademie für Kunst, Architektur und design in Prag. Er kann Abschlüsse in Philosophie von der Universität Genf und der Karls-Universität Prag vorweisen. Er ist Herausgeber von Markéta Othová, Walther König 2010, und hat Beiträge in zahlreichen Publikationen veröffentlicht, darunter Ján Mančuška: Against Interpretation, Hatje Cantz 2011, und MAM Project: Kateřina Šedá, Mori Art Museum 2010. Zu seinen neuesten Projekten als Kurator zählen 50% Grey am MoCP, Chicago 2010, sowie Any-instant-whatever bei Bunkier Sztuki, Krakau 2009.


Florence Derieux ›› 22 * 1973 in Nîmes, lebt und arbeitet in Reims

Katya García-Antón ›› 02/18 * 1966 in London, lebt und arbeitet in Zürich

Florence derieux ist Kunsthistorikerin und Kuratorin und seit 2008 in Reims als direktorin des FRAC Champagne-Ardenne tätig. davor war sie Kuratorin im Palais de Tokyo in Paris, stellvertretende direktorin des Picasso-Museums in Antibes, Kuratorin für zeitgenössische Kunst am Musée cantonal des Beaux-Arts und Kuratorin im Le Magasin – Centre National d’Art Contemporain. 2007–2008 unterrichtete sie Kunstgeschichte und Ausstellungsgeschichte an der Ecole Supérieure des Beaux-Arts in Montpellier und an der Ecole cantonale d’art in Lausanne. Am FRAC Champagne-Ardenne organisierte sie u. a. folgende Ausstellungen: Anna + Peter, Tom Burr, Julien Carreyn, dexter dalwood, Latifa Echakhch, Cyprien Gaillard, Nicola Martini, Nick Mauss, Ciprian Mureșan, Lili Reynaud dewar, Clément Rodzielski, Sterling Ruby und Emily Wardill.

Katya García-Antón ist als freie Kuratorin für Kunst, design und Architektur tätig. Sie arbeitete im The Courtauld Institute of Art in London; bei BBC World Service, London; im Museo Reina Sofia, Madrid; im Institute of Contemporary Art, London; Museu de Arte Moderno, Sao Pãulo; IKON, Birmingham, und Centre d’Art Contemporain, Genf, wo sie von 2002–2011 direktorin war. Sie war Mitglied der redaktionellen Kommission für Third Text (2000–2002). Sie kuratierte den Spanischen Pavillon der Biennalen von Venedig (2011) und São Paulo (2004) und war Ko-Kuratorin des Projekts Days Like These der Biennale von Prag (2005). Im November 2012 wird Katya GarcíaAntón gemeinsam mit Lara Khaldi mit der Ausstellung Gestures in Time die Qalandia International, ein neues Biennale-Festival für internationale bildende Kunst in Palästina (direktor Jack Persekian), starten.

Thomas D. Trummer ›› 07 * 1967 in Bruck an der Mur, lebt in München

Suzy M. Halajian ›› 03 * 1982 in Los Angeles, lebt und arbeitet in New York

Thomas d. Trummer ist seit August 2012 Künstlerischer Leiter der Kunsthalle Mainz. davor war er Projektleiter für bildende Kunst beim Siemens Arts Program und der Siemens Stiftung, München (2007–2012). Er war Visiting Scholar am Massachussetts Institute of Technology, Cambridge, USA (2010–2011) und Hall Curatorial Fellow am Aldrich Museum of Contemporary Art, Ridgefield, USA (2006–2007). Zuvor war er als Kurator für moderne und zeitgenössische Kunst am Belvedere Wien und als Gastkurator am Grazer Kunstverein tätig. Zu seinen zuletzt kuratierten Ausstellungen zählen Coral Visual, Casa de la Cultura, Buenos Aires (2009); The Science of Imagination, Ludwig Muzéum Budapest (2010); Displaced Fractures, migros museum Zürich (2010); Artistic Research, MIT Cambridge, USA (2010–2011); Vor dem Gesetz, Museum Ludwig Köln (2012); Attila Csörgö & Roman Signer, Kunsthalle Mainz (2012).

Suzy M. Halajian ist unabhängige Kuratorin und schloss mit einem MA am Center for Curatorial Studies am Bard College, New York, ab. 2007–2010 war sie Mitbegründerin und Leiterin von Eighteen Thirty Collaborations, eines experimentellen Kunstraums für Performance in Los Angeles. 2008 entwickelte sie Concept Store, ein kollaboratives Projekt zwischen Skulptur und Fashion, welches sie während ihrer Residency in SOMA in Mexico City weiterentwickelte. Weitere Projekte erarbeitete sie für das Urban Future Initiative Fellowship Program (2008–2009) gemeinsam mit dem MAK Center for Art and Architecture, Los Angeles. 2011 entstand das jüngste Projekt These are not obligations but I want to (a response in two parts) gemeinsam mit den Künstlern Simon Fujiwara and dawn Kasper. Außerdem fungierte sie als Co-Kuratorin für Matters of Fact, einer Ausstellung im Hessel Museum of Art, Bard College.

Christoph Doswald ›› 11 * 1961 in Baden, lebt und arbeitet in Zürich

Michael Scott Hall ›› 19 * 1965 in den USA, lebt und arbeitet in Wien

Christoph doswald ist freier Kurator, Publizist und Vorsitzender der Arbeitsgruppe Kunst im öffentlichen Raum der Stadt Zürich. Sein jüngstes Projekt Art and the City – u. a. mit Ai Weiwei, Maurizio Cattelan, Paul McCarthy, Marjetica Potrc, Lara Almarcegui, Valentin Carron, Oscar Tuazon, Roe Ethridge – thematisiert die Wechselwirkung von Kunst und Stadt. Seit Mitte der 1980er Jahre publiziert doswald zu Themen und Ausstellungen der Gegenwartskunst und kuratierte verschiedene thematische Ausstellungsprojekte wie Missing Link. Das Menschen-Bild in der Fotografie (Kunstmuseum Bern/Kunsthaus dresden) oder Nonchalance (CentrePasquArt, Biel/Akademie der Künste, Berlin 1997/1998) oder Press Art (Kunstmuseum St. Gallen/Museum der Moderne, Salzburg 2010).

Michael Scott Hall studierte Fotografie/Kunsttheorie an der Cranbrook Academy of Art (detroit) und arbeitet derzeit als freier Kurator. Hall gründete den Chicago Project Room (mit daniel Hug) in Chicago und später in Los Angeles (1996–2002). Im Jahr 2003 eröffnete er die Galerie Michael Hall in Wien und im Jahr 2007 die Contemporary Bar, einen Raum für Künstler und Veranstaltungen. Seit 2008 liegt Halls kuratorischer Fokus auf temporären Interventionen mit Projekten für KÖR (Kunst im öffentlichen Raum) und INSTITUT (Wien). Hall hat Texte über Kunst und Fotografie für Camera Austria und diverse Magazine sowie Künstler- und Museumskataloge geschrieben.

199


David Harper ›› 17 * 1982 in Hackensack, New Jersey, USA; lebt und arbeitet in Brooklyn, New York david Harper ist Kurator des Bereichs bildende Kunst der Brooklyn Academy of Music (BAM) in New York und ist derzeit auch als freier Kurator und Autor tätig. Zu seinen neueren Projekten zählen Ausstellungen im Österreichischen Kulturforum in New York, darunter The Seen and the Hidden (2009) und NineteenEightyFour (2010), mit Co-Kuratorin Martha Kirszenbaum, und Fünf Räume (2011); er arbeitet auch als erster Curatorial Fellow für den Blog Art Fag City (2011) und als Gastkritiker und Katalog-Essayist an der Indiana University (2012). Seine aktuellsten Ausstellungen waren Pariset, Steciw & Wilson bei toomer labzda und Bcc#7 in der Galerie STAdIUM, gemeinsam mit Co-Kuratorin Karen Archey (2012). Lóránd Hegyi ›› 20 * 1954 in Ungarn, lebt und arbeitet in Saint-Etienne Lóránd Hegyi ist einer der führenden Kuratoren und Kunsthistoriker Europas und derzeitiger direktor des Musée d’Art Moderne de Saint-Etienne Métropole. Von 1990–2001 war er direktor des museums modernern kunst stiftung ludwig wien und künstlerischer Berater und späterer direktor des PAN, Palazzo delle Arti Napoli in Neapel (2002–2006). Hegyi war weiters Co-Kurator der Biennale von Venedig 1993, künstlerischer direktor der Skulpturen Triennale von Stuttgart 1995 und Kurator der Biennale von Valencia 2003. Neben seiner kuratorischen Tätigkeiten schrieb er zahlreiche Bücher und Artikel über zeitgenössische Kunst und Kulturkritik, soziale und politische Zusammenhänge des künstlerischen Schaffens in Zentral- und Osteuropa sowie über den diskurs von Zentrum und Peripherie. Agata Jastrząbek ›› 21 * 1983 in Stargard Szczeci´nski, Polen; lebt und arbeitet in Brüssel Agata Jastrzabek ist eine in Brüssel lebende Kuratorin. Zu den Projekten, an denen sie bislang mitwirkte zählen Chanting Baldessari im Bonnefantenmuseum (NL) in Zusammenarbeit mit der Jan van Eyck Akademie (NL); (un)easy together, eine Gruppenausstellung, Hedah (NL); Friendship of Nations: Polish Shi’ite Showbiz mit Slavs and Tatars, Argos (BE); Y€$ I See Stars or Learning a Language in the Heart of Europe (BE) mit Kenneth Andrew Mroczek, Villa Tokyo (JP), sowie eine Einzelausstellung von Agency, einer Brüsseler Initiative, die von Kobe Matthys gegründet wurde. Seit 2009 ist Agata als Kuratorin für KOMPLOT (BE), eine Produktionsplattform für Künstler und Kuratoren, tätig. Sie ist Autorin der Publikation Chanting Baldessari (2008), schreibt für die Zeitschrift Artpunkt (PL) und ist Mitglied des Redaktionsteams von YEAR, einer Zeitschrift, die jährlich von KOMPLOT herausgegeben wird.

200

Martha Kirszenbaum ›› 17 * 1983 in Vitry-sur-Seine, lebt und arbeitet in Paris Martha Kirszenbaum ist freie Kuratorin in Paris. Sie arbeitete am department of Media and Performance Art des Museum of Modern Art, am Cabinet de la Photographie des Centre Georges Pompidou und als Forschungsassistentin am New Museum. Freiberuflich organisierte Kirszenbaum Ausstellungen, Projekte und Filmvorführungen in den USA (Österreichisches Kulturforum New York, Harris Lieberman Gallery), Europa (Institute of Contemporary Arts in London, European Culture Congress in Wrocław, Galerie Crèvecoeur in Paris) und bei der Biennale in Marrakesch. Sie war Hauskuratorin des Center for Contemporary Art in Warschau und arbeitet derzeit als Gastkuratorin am Belvedere in Wien, wo sie zwei Interventionen organisiert. Sie schreibt regelmäßig für Kaleidoscope, L’Officiel und Voxpop und leitete Seminare über kuratorische Praxis an der Universität Paris 8 und an der Parsons Paris. Niekolaas Johannes Lekkerkerk ›› 23 * 1988 in Rotterdam, lebt und arbeitet in London und Rotterdam Niekolaas Johannes Lekkerkerk ist Autor und Kurator. Er besitzt einen Bachelorabschluss in Kunstgeschichte und Visual Culture der Universität Utrecht sowie einen Masterabschluss in Kuratieren der London Metropolitan University in Zusammenarbeit mit der Whitechapel Gallery. Seither hat er an Institutionen wie SMBA (Stedelijk Museum Bureau Amsterdam) und dRAF (david Roberts Art Foundation) gearbeitet. Zu seinen aktuellsten Ausstellungsprojekten gehören Reading Complex (Seventeen Gallery/The Government Art Collection/The Showroom) in London, Swedenborg Epic. in London sowie The Event of Reality Applied Knowledge/Fiction. Er bearbeitete die Anthologie und den hypothetischen Katalog None of the Above (2011) über das Kuratieren und das Kuratorische im Zusammenhang mit der Fiktion. Zu seinen Veröffentlichungen gehören “Untitled” (Constants Are Changing) aus dem Jahre 2010 über die Werke von Felix Gonzalez-Torres. Thomas Locher ›› 10 * 1956 in Munderkingen, lebt und arbeitet in Berlin und Kopenhagen Thomas Locher ist Künstler und Kurator. Aus dem Neokonzeptualismus der 1980er-Jahre kommend, zeigt er anhaltendes Interesse an der Sprache und ihrem Verhältnis zur Schrift, verortbar an der Schnittstelle von Textualität und Visualität, sowie kontinuierliches Interesse am Subjekt und dessen Verhältnis zum Objekt. Er beschäftigt sich mit der deutschen Verfassung und den Menschenrechten sowie ihrer Wirklichkeit, ihren Begriffen, Postulaten und ihrem geschichtlich-ideologischen Hintergrund. Ebenso setzt er sich mit den peripheren Fragen des Ökonomischen anhand von Themenfeldern wie Tausch und Gabe, Fetischismus im Warenobjekt sowie Begriffen wie Kredit, Glaubwürdigkeit oder Arbeit auseinander.


Simina Neagu ›› 04 * 1988 in Bukarest, lebt und arbeitet in London und Bukarest

Felicitas Thun-Hohenstein ›› 15 lebt und arbeitet in Wien

Simina Neagu war als stellvertretende direktorin für den Pavilion Unicredit tätig, für Pavilion–journal for politics and culture und für die 4. Bucharest Biennale. 2011 kuratierte sie die Ausstellung Just Do It. Biopolitical Branding im Pavilion Unicredit und war Mitbegründerin des Kuratorenkollektivs AAA+. Mit AAA+ kuratierte sie eine Reihe von Vorträgen und Filmvorführungen am Centre for Visual Introspection und wirkte am Projekt UN-education bei subRahova mit. Sie schrieb Beiträge für eine Reihe von Online-Plattformen, so z. B. Swedish Travelling Exhibitions und hielt Vorträge beim First Congress of Spectral Institutions. Zurzeit schließt sie ihr MAStudium in Aesthetics and Art Theory am Centre for Research in Modern European Philosophy an der Kingston University London ab.

die Kunsthistorikerin und Kuratorin leitet seit 2011 das Institut für Kunst- und Kulturwissenschaften an der Akademie der bildenden Künste Wien. Sie hat zahlreiche internationale Ausstellungen kuratiert, unter anderem Dieter Roth. Gedrucktes, Gepresstes, Gebundenes, Grafische Sammlung Albertina und Moore College of Art & design in Philadelphia (2000), SynChroniCity, Cairo Biennale 11 (2008) und Deep Water Horizon, University Art Gallery San Diego, UCSD (2010). Sie ist Autorin und Herausgeberin zahlreicher Texte und Publikationen, u. a. Performanz und ihre räumlichen Bedingungen, Perspektiven einer Kunstgeschichte, Böhlau 2012.

Julien Robson ›› 09 * 1955 in Schottland, lebt und arbeitet in Philadelphia, USA

Marlies Wirth studierte Kunstgeschichte in Wien und ist seit 2006 Kuratorin im MAK – Österreichisches Museum für angewandte Kunst/Gegenwartskunst. Sie kuratiert die Veranstaltungsreihe MAK NITE Lab als angewandtes Experimentierfeld für zeitgenössische Positionen aus Kunst, (Mode-) design, Performance, Architektur und Medienkunst sowie die Ausstellungsreihe ANGEWANDTE KUNST. HEUTE mit Einzelpräsentationen von Absolventen der Universität für angewandte Kunst Wien aus den Bereichen design und Architektur. Weitere Projekte umfassen Projektkoordination und kuratorische Mitarbeit an Ausstellungen und Publikationen des MAK Center for Art and Architecture, Los Angeles.

Julien Robson ist als Kurator für zeitgenössische Kunst an der Pennsylvania Academy of the Fine Arts (PAFA) tätig. Zu seinen Ausstellungsprojekten zählen here., welches sich mit der Rolle der Region in einer globalen Kunstwelt befasste, und Presence, ein Projekt, das u. a. Arbeiten von Franz Gertsch, Bill Henson, Mark Wallinger, Gerhard Richter und Berni Searle präsentierte. Zur Zeit arbeitet er an einer david-LynchRetrospektive, welche sich mit den vielseitigen Facetten seines künstlerischen Schaffens auseinandersetzt.

Marlies Wirth ›› 03 * 1980 in Neunkirchen, lebt und arbeitet in Wien

Dirk Snauwaert ›› 21 * 1963 in Tielt, Belgien; lebt und arbeitet in Brüssel dirk Snauwaert ist direktor des WIELS. davor war er Ko-direktor des IAC in Villeurbanne und des Kunstvereins München sowie Kurator im Palais des Beaux-Arts, Brüssel. Für das WIELS kuratierte er unter anderem Ausstellungen von van Kerckhoven, Serralongue, Tuymans, Wekua, Alÿs, Claerbout, Trockel, Augustijnen, Tuerlinckx sowie die Ausstellungen Expats/Clandestines und Rehabilitation. Er fungierte auch als Kurator von Jef Geys Beitrag zur 53. Biennale von Venedig. Alexander Streitberger ›› 01 * 1971 in Heilbronn am Neckar, lebt und arbeitet in Brüssel und Louvain-la-Neuve Alexander Streitberger ist Professor für moderne und zeitgenössische Kunst an der Université catholique de Louvain (BE) mit einem Forschungsschwerpunkt im Bereich der Fotografie. Seit 2008 ist er direktor des Lieven Gevaert Research Centre for Photography und Mitherausgeber der Buchreihe Lieven Gevaert Series mit Veröffentlichungen zu Künstlern wie Allan Sekula und Victor Burgin. Sein jüngstes, vom belgischen Forschungsfonds gefördertes Projekt untersucht Bildformen zwischen Fotografie und Film in der zeitgenössischen visuellen Kultur.

201


Curators’ Biographies

Marius Babias ›› 13 * 1962 in Suceava, Romania, lives and works in Berlin

Margrit Brehm ›› 14 * 1960 in Karlsruhe, lives and works in Karlsruhe

Marius Babias is a curator and arts theorist. Since 2008 he has been director of Neuer Berliner Kunstverein (n. b. k.). In 2005 he was commissioner of the Romanian Pavilion at the 51st Venice Biennale. From 2001–2003 he was artistic codirector at Kokerei Zollverein, Zeitgenössische Kunst und Kritik in Essen. Between 1997–2001 Babias was visiting professor at the Städelschule Frankfurt/Main and at the Center for Contemporary Art Kitakyushu, Japan. In 1996 he won the Carl Einstein Prize for Art Criticism.

Margrit Brehm was awarded her doctorate in 1991 (Der Fall Caravaggio); from 1992–2002 she was a curator for the Staatliche Kunsthalle Baden-Baden and from 2003–2005 she worked as chief curator for the Museum der Moderne Salzburg. Since 2006 she has been taking care of exhibitions and/or publications for the Belvedere in Vienna, the ZKM in Karlsruhe, the Falckenberg Collection in Hamburg, the me Collectors Room in Berlin, etc. She has published on contemporary Japanese art, post-minimalism, John M. Armleder, Chuck Close, George Condo, Mat Collishaw, John Isaacs, Füsun Onur, Tobias Rehberger, Cindy Sherman, Paul Thek, Richard Tuttle and many others.

Will Benedict ›› 08 * 1978 in Los Angeles, lives and works in Vienna For the past several years Benedict has been working professionally as a photographer, painter and curator. Along with Lucie Stahl he runs the exhibition space and bar Pro Choice/ L’Ocean Licker, which he uses to elaborate the more ephemeral aspects of his regular studio work. Social relations are treated as stimulating and destructive; they force Benedict into situations he would normally avoid and provide opportunities he never expected. Benedict has said on more than one occasion that “sometimes an object’s history can be unfolded and sometimes the object enfolds you, takes over your body and you’re just a kind of zombie.” But he does admit that it’s mostly his fault if he ends up in this position—a bit mute, surrounded and a part of something. Or if he’s in an empowered position, he says that’s his fault too. José Luis Blondet ›› 05 * 1968 in Caracas, lives and works in Los Angeles José Luis Blondet has been associate curator for special initiatives at Los Angeles County Museum of Art (LACMA) since 2010. Prior to moving to Los Angeles, Blondet was curator at the Boston Center for the Arts, where he organized exhibitions and projects with artists such as Liliana Porter, Vasco Araujo, Helen Mirra, Andrew Witkin, among others. From 2003–2007, Blondet worked at the dia Art Foundation, New York, where he developed educational and public programs for dia:Beacon. In 2010, he co-organized the exhibition Marta Minujin: Minucodes at the Americas Society in New York City. He writes articles and essays on art and literature and is the author of two books MBA, Obra Reciente and Sastre.

202

Claire Breukel ›› 16 * 1979 in South Africa, lives and works in New York and Miami Claire Breukel began her career curating the 2002 Cape Town Month of Photography biennale and the Vision Photography Festival before being introduced to Miami by the Rubell Family Collection. In Miami, Breukel was Executive director of Locust Projects, a renowned alternative non-profit exhibition space. Following this she became nomadic in her role as Coordinator of PUMAVision and Curator of PUMA. As a creative person she is developing the arts specifically within Africa and the Caribbean region. She has curated exhibitions in South Africa, New York, Miami, El Salvador and Vienna. She writes for ArtPulse, Arte al Dia and Eikon magazine, and weekly for the online New York blog Hyperallergic. Adam Carr ›› 12 * 1981 in Chester, GB, lives and works in Chester and London Adam Carr is a curator, writer and lecturer. In 2010 he was a guest curator for Castello di Rivoli, Museum of Contemporary Art, Italy. He was recently appointed Chief Curator of Mostyn, Llandudno, Wales. He has curated numerous exhibitions for museums, institutions and gallery spaces and is a regular contributing writer for a number of magazines including Spike Art Quarterly, Flash Art, Mousse and Cura. Karel Císaˇr ›› 06 * 1972 in Prague, lives and works in Prague The curator and writer is an assistant professor of aesthetics and art theory at the Academy of Arts, Architecture and design in Prague. He holds degrees in philosophy from the University of Geneva and the Charles University, Prague. He is an editor of Markéta Othová, Walther König 2010, and contributor to numerous publications including Ján Mančuška: Against Interpretation, Hatje Cantz 2011, and MAM Project: Kateřina Šedá, Mori Art Museum 2010. His recent curatorial projects include 50% Grey, MoCP, Chicago 2010 and Anyinstant-whatever, Bunkier Sztuki, Krakow 2009.


Florence Derieux ›› 22 * 1973 in Nîmes, lives and works in Reims

Katya García-Antón ›› 02/18 * 1966 in London, lives and works in Zurich

Florence derieux is an art historian and curator based in Reims since 2008 when she became director of the FRAC ChampagneArdenne. She was previously Curator at the Palais de Tokyo in Paris, deputy director of the Picasso Museum in Antibes, Curator for Contemporary Art at the Museum of Fine Arts in Lausanne and Associate Curator at Le Magasin – Centre National d’Art Contemporain. In 2007–2008 she taught Art History and History of Exhibitions at the Ecole Supérieure des Beaux-Arts in Montpellier and the Ecole cantonale d’art de Lausanne. At the FRAC Champagne-Ardenne, she organized, among others, the following exhibitions: Anna + Peter, Tom Burr, Julien Carreyn, dexter dalwood, Latifa Echakhch, Cyprien Gaillard, Nicola Martini, Nick Mauss, Ciprian Mureșan, Lili Reynaud dewar, Clément Rodzielski, Sterling Ruby and Emily Wardill.

Katya García-Antón is an independent curator working with art, design and architecture. She worked at The Courtauld Institute of Art, London; BBC World Service, London; Museo Reina Sofia, Madrid; Institute of Contemporary Art, London; Museu de Arte Moderno, Sao Pãulo; IKON Birmingham, GB; and Centre d’Art Contemporain Genève (director 2002–2011). She was in the editorial committee for Third Text (2000–2002). She curated the Spanish Pavilions of the Venice Biennale 2011 and the São Paulo Biennale 2004, and co-curated Days Like These, Prague Biennale 2005. In November 2012 Katya GarcíaAntón will launch Gestures in Time (curated with Lara Khaldi), the flagship exhibition of Qalandia International, a new biennial festival for international visual arts in Palestine (directed by Jack Persekian).

Thomas D. Trummer ›› 07 * 1967 in Bruck an der Mur, AT, lives in Munich Thomas d. Trummer has been director at the Kunsthalle Mainz since August 2012. From 2007–2012 he was curator for Visual Arts at the Siemens Arts Program and Siemens Stiftung, Munich. He was Visiting Scholar at Act, MIT Program in Art, Culture and Technology, Cambridge, MA (2010–2011); Hall Curatorial Fellow at The Aldrich Contemporary Art Museum, Ridgefield, CT (2006–2007). Previously he worked as curator for modern and contemporary art at Belvedere, Vienna and as guest curator at Graz Kunstverein. His recently curated shows comprise: Coral Visual, Casa de la Cultura, Buenos Aires (2009); The Science of Imagination, Ludwig Muzéum Budapest (2010); Displaced Fractures, migros museum Zurich (2010); Artistic Research, MIT Cambridge, MA (2010–2011); Before The Law, Museum Ludwig, Cologne (2012); Attila Csörgö & Roman Signer, Kunsthalle Mainz (2012). Christoph Doswald ›› 11 * 1961 in Baden, lives and works in Zurich Christoph doswald is an independent curator, publisher and chairman of the department for Art in Public Space of the City of Zurich. His latest project Art and the City—with contributions by Ai Weiwei, Maurizio Cattelan, Paul McCarthy, Marjetica Potrc, Lara Almarcegui, Valentin Carron, Oscar Tuazon, Roe Ethridge—deals with the interactions between art and the urban space. Since the mid-1980s doswald has published on various contemporary art subjects and exhibitions and has curated many exhibition projects such as Missing Link. Das MenschenBild in der Fotografie (Missing Link: The Human Image in Photography) at Kunstmuseum Bern and Kunsthaus dresden as well as Nonchalance at CentrePasquArt, Biel/Akademie der Künste, Berlin 1997/1998 or Press Art at Kunstmuseum St. Gallen/Museum der Moderne, Salzburg 2010.

Suzy M. Halajian ›› 03 * 1982 in Los Angeles, lives and works in New York Suzy M. Halajian is an independent curator who holds an MA from the Center for Curatorial Studies at Bard College, New York. From 2007–2010, she co-found and directed Eighteen Thirty Collaborations, an experimental performance arts space in Los Angeles. In 2008, she developed Concept Store, a collaborative sculptural and fashion project which she further explored during a residency at SOMA in Mexico City. Other work includes her involvement as program coordinator of the Urban Future Initiative Fellowship Program (2008–2009) with the MAK Center for Art and Architecture, Los Angeles. Her most recent projects in 2011 include These are not obligations but I want to (a response in two parts) with artists Simon Fujiwara and dawn Kasper and Matters of Fact, a cocurated exhibition at the Hessel Museum of Art, Bard College. Michael Scott Hall ›› 19 * 1965 in the USA, lives and works in Vienna Michael Scott Hall studied Photography/Theory at Cranbrook Academy of Art (detroit) and currently works as an independent curator. Hall founded Chicago Project Room (with daniel Hug) in Chicago and later in Los Angeles (1996–2002). In 2003, he opened Galerie Michael Hall in Vienna and in 2007 the Contemporary Bar, a space for artists and events. Since 2008 Hall’s curatorial focus has been on temporary interventions including projects for KÖR (Public Art Vienna) and INSTITUT (Vienna). Hall has written texts about art and photography for Camera Austria and various magazines and artists/museum catalogues.

203


David Harper ›› 17 * 1982 in Hackensack, New Jersey, lives and works in New York

Martha Kirszenbaum ›› 17 * 1983 in Vitry-sur-Seine, lives and works in Paris

david Harper is the curator of the visual art program at the Brooklyn Academy of Music (BAM) in New York and also currently works as a freelance curator and writer. Recent projects include exhibitions at the Austrian Cultural Forum New York including The Seen and the Hidden (2009) and NineteenEightyFour (2010), co-curated with Martha Kirszenbaum, and Fünf Räume (2011); he is also serving as the first Curatorial Fellow for the blog Art Fag City (2011) and serving as visiting critic and catalogue essayist at Indiana University (2012). His most recent exhibitions include Pariset, Steciw & Wilson at toomer labzda and Bcc#7 at STAdIUM gallery, co-curated with Karen Archey (2012).

Martha Kirszenbaum is an independent curator based in Paris. She has worked at the department of Media and Performance Art of the Museum of Modern Art, the department of photography of the Centre Georges Pompidou and as a research assistant at the New Museum. Independently, Kirszenbaum has organized exhibitions, projects and screenings in the United States (Austrian Cultural Forum New York, Harris Lieberman Gallery), Europe (Institute of Contemporary Arts in London, European Culture Congress in Wrocław, Galerie Crèvecoeur in Paris) and at the Marrakech Biennale. She was a curator-in-residence at the Center for Contemporary Art in Warsaw and is currently guest curator at the Belvedere Museum in Vienna, where she will organize two interventions. She regularly contributes to Kaleidoscope, L’Officiel and Voxpop and has led seminars on curatorial practices at the Université Paris 8 and Parsons Paris.

Lóránd Hegyi ›› 20 * 1954 in Hungary, lives and works in Saint-Etienne Lóránd Hegyi is one of the foremost European curators and art historians. He is currently the director of the Musée d’Art Moderne de Saint-Etienne Métropole. From 1990–2001 he directed the museum moderner kunst stiftung ludwig wien and was artistic adviser and later artistic director of the PAN, Palazzo delle Arti Napoli, in Naples (2002–2006). Hegyi was co-curator of the Venice Biennale in 1993, artistic director of the Sculpture Triennial of Stuttgart in 1995 and curator of the Valencia Biennale in 2003. Besides his curatorial activity he has written numerous books and articles about contemporary art and cultural criticism, social and political context of artistic praxis in Central and Eastern Europe as well as about the center and periphery discourse. Agata Jastrząbek ›› 21 * 1983 in Stargard Szczeci´nski, Poland, lives and works in Brussels Agata Jastrzabek is a Brussels based curator. Some previous projects she participated in include Chanting Baldessari at Bonnefantenmuseum (NL) in collaboration with the Jan van Eyck research institute (NL); (un)easy together, a group show at Hedah (NL); Friendship of Nations: Polish Shi’ite Showbiz with Slavs and Tatars for Argos (BE); Y€$ I See Stars or Learning a Language in the Heart of Europe (BE) with Kenneth Andrew Mroczek, Villa Tokyo (JP) and a solo show of Agency, a Brussels based initiative founded by Kobe Matthys. Since 2009 Agata has been an associate curator of KOMPLOT (BE), a production platform for artists & curators. She is an author of the publication Chanting Baldessari (2008), she contributes to Artpunkt (PL) magazine, and she is part of the editorial team of YEAR magazine published by KOMPLOT.

204

Niekolaas Johannes Lekkerkerk ›› 23 * 1988 in Rotterdam, lives and works in London and Rotterdam Niekolaas Johannes Lekkerkerk is a writer and curator. He holds a BA in Art History and Visual Culture from the University of Utrecht, and an MA in Curating from the London Metropolitan University, delivered in conjunction with the Whitechapel Gallery. He has worked at a number of institutions including SMBA (Stedelijk Museum Bureau Amsterdam) and dRAF (david Roberts Art Foundation). Recent exhibition projects include Reading Complex (Seventeen Gallery/ The Government Art Collection/The Showroom) in London; Swedenborg Epic. in London; as well as The Event of Reality Applied Knowledge/Fiction. He edited the anthology and hypothetical catalogue None of the Above (2011) on curating and the curatorial in the key of fiction. His publications include, among others, “Untitled” (Constants Are Changing) on the works of Felix Gonzalez-Torres, published in 2010. Thomas Locher ›› 10 * 1956 in Munderkingen, lives and works in Berlin and Copenhagen Thomas Locher is an artist and curator with roots in the neoconceptualism of the 1980s. His continual interest in language and its relation to writing can be placed at the interface of textuality and visuality; he has also always been interested in the subject and its relation to the object. In his work he has dealt with the German constitution and with human rights and their reality, their concepts, postulates and historical and ideological basis. He has also looked into peripheral economic issues by way of topics such as barter and gift, fetishism of commodity objects as well as terms such as loan, credibility or work.


Simina Neagu ›› 04 * 1988 in Bucharest, lives and works in London and Bucharest Simina Neagu has worked as assistant director for Pavilion Unicredit, Pavilion–journal for politics and culture and Bucharest Biennale 4. In 2011, she curated the exhibition Just Do It: Biopolitical Branding at Pavilion Unicredit and co-founded the curatorial collective AAA+. With AAA+ she curated a series of lectures and screenings at the Centre for Visual Introspection and participated in the project UN-education at subRahova. She has written for several online platforms, such as Swedish Travelling Exhibitions and lectured at the First Congress of Spectral Institutions. Currently, she is completing her MA in Aesthetics and Art Theory at the Centre for Research in Modern European Philosophy, Kingston University London. Julien Robson ›› 09 * 1955 in Scotland, lives and works in Philadelphia, USA Julien Robson is curator of Contemporary Art at the Pennsylvania Academy of the Fine Arts (PAFA). His many exhibition projects include here., which explored the role of the regional in a globalized art world, and Presence, a two year long project that included works by Franz Gertsch, Bill Henson, Mark Wallinger, Gerhard Richter and Berni Searle among others. He is currently working on a retrospective exhibition exploring the many aspects of artist and filmmaker david Lynch’s practice.

Felicitas Thun-Hohenstein ›› 15 lives and works in Vienna An art historian and curator, she has been the chair of the Institute for Art Theory and Cultural Studies at the Academy of Fine Arts Vienna since 2011. She has curated numerous international exhibitions, amongst them Dieter Roth: Printed, Pressed, Bound, Graphic Arts Collection of the Albertina and Moore College of Art & design in Philadelphia (2000), SynChroniCity, Cairo Biennale 11 (2008) and Deep Water Horizon, University Art Gallery San diego, UCSd (2010). She is the author and editor of a large number of texts and publications, e.g. Performanz und ihre räumlichen Bedingungen, Perspektiven einer Kunstgeschichte, Böhlau 2012. Marlies Wirth ›› 03 * 1980 in Neunkirchen, lives and works in Vienna Marlies Wirth studied Art History in Vienna; since 2006 she has been a curator at MAK – Austrian Museum of Applied Arts/Contemporary Art. She curates the public program MAK NITE Lab, an applied experimentation zone for contemporary positions of art, (fashion) design, performance, architecture and media art as well as the exhibition series APPLIED ARTS: NOW featuring solo shows of alumni of the University of Applied Arts Vienna from the fields of design and architecture. Further projects include project coordination and curatorial assistance for exhibitions and publications of the MAK Center for Art and Architecture, Los Angeles.

Dirk Snauwaert ›› 21 * 1963 in Tielt, Belgium, lives and works in Brussels dirk Snauwaert is director of WIELS in Brussels. Previously he was co-director of IAC in Villeurbanne, of the Kunstverein München and curator at the Palais des Beaux-Arts, Brussels. At WIELS he curated i.a. exhibitions of van Kerckhoven, Serralongue, Tuymans, Wekua, Alÿs, Claerbout, Trockel, Augustijnen, Tuerlinckx as well as the exhibitions Expats/ Clandestines and Rehabilitation. At the 53rd Venice Biennale he curated the Jef Geys entry. Alexander Streitberger ›› 01 * 1971 in Heilbronn am Neckar; lives and works in Brussels and Louvain-la-Neuve Alexander Streitberger is professor of Modern and Contemporary Art at the Université catholique de Louvain (BE) with a research focus in photography. Since 2008, he has been director of the Lieven Gevaert Research Centre for Photography and co-editor of the Lieven Gevaert Series, with publications about artists including Allan Sekula and Victor Burgin. His most recent project examines types of images between photography and film in contemporary visual culture.

205


Impressum Imprint

Publikation Publication Herausgeber Editor ARGE curated by_vienna Redaktion Editing Eva Maria Stadler dorothea Schellhorn MVd Austria – Michael Rieper, Christine Schmauszer www.mvd.org Grafische Gestaltung Graphic design MVd Austria – Michael Rieper, Christine Schmauszer Texte Texts Wenn nicht anders angegeben, wurden die Texte zu den Ausstellungen von den Kuratorinnen und Kuratoren verfasst. Texts on the exhibitions were written by the curators, unless otherwise noted. Soweit in der Publikation auf geschlechtsspezifische Endungen verzichtet wurde, erfolgte dies aufgrund der besseren Lesbarkeit. Übersetzung Translation dawn Michelle d’Atri, Thomas Raab Lektorat Proofreading dawn Michelle d’Atri, Birgit Trinker Bildbearbeitung Image editing MVd Austria Druck Printed by Remaprint, Wien Vienna 1. Auflage 2012 1st edition 2012 1500

206

Courtesy – Dank an die Leihgeberinnen und Leihgeber Thanks to the lenders Altman-Siegel Gallery, San Francisco (S. p. 186), Angelos bvba (S. pp. 175–177), Laura Bartlett Gallery, London (S. p. 192, oben above), Nicelle Beauchene, New York (S. p. 157), Galerie Gisela Capitain, Köln Cologne (S. pp. 85–86), david Raymond Conroy (S. p. 194, oben above), Theo Cowley (S. p. 180), Galerie Chantal Crousel, Paris (S. p. 188), Agnes denes (S. p. 189), Aleksandra domanovi´c (S. p. 158), Kerstin Engholm Galerie (S. p. 123), Lara Favaretto (S. p. 97), Freymond-Guth Fine Arts, Zürich (S. p. 122), dora García (S. p. 193), Annet Gelink Gallery, Amsterdam (S. pp. 96, 115, 128–129), Glasgow Life (Glasgow Museums) im Namen von on behalf of Glasgow City Council (S. p. 192, unten below), Simon Hempel (S. pp. 182–183), Galerie Hilger Contemporary (S. p. 120), Hanspeter Hofmann (S. p. 123), Galerie Andreas Huber, Wien (S. pp. 126–127), Iman Issa (S. p. 156), Galerie Michael Janssen (S. p. 115, oben above), Christine König Galerie, Wien Vienna (S. pp. 132–135), Krobath Wien | Berlin (S. pp. 90–93), dominik Lang (S. pp. 90–93), Tanya Leighton, Berlin (S. p. 158), Mary Mary Gallery, Glasgow (S. p. 187), Shahryar Nashat (S. p. 159), Galleria Franco Noero, Turin (S. p. 97), Berry Patten (S. pp. 78–80), Antje Peters (S. p. 81), Stephen Prina (S. pp. 85–86), Boyd Raimond Collection, Amsterdam (S. p. 193), Lili Reynaud dewar (S. p. 187), ROdEO, Istanbul (S. pp. 156, 159), Clément Rodzielski (S. p. 188), Tanja Roscic (S. p. 122), dave Sherry (S. p. 192, unten below), STANdARd, Oslo (S. p. 186), Starmach Gallery (S. pp. 98–99), Galerie diana Stigter, Amsterdam (S. p. 194, unten below), Ruby Sky Stiler (S. p. 157), Leslie Tonkonow Artworks + Projects, New York (S. p. 189), Jonathan Viner Gallery, London (S. p. 186), Emily Wardill (S. p. 186), Lawrence Weiner (S. pp. 72–75), Galerie Barbara Weiss (S. p. 114), Galerie Hubert Winter (S. pp. 72–75)


Unterstützt von Supported by

Erschienen im Published by Verlag für moderne Kunst Nürnberg Königstraße 73, d-90402 Nürnberg Nuremberg www.vfmk.de

© 2012 ARGE curated by_vienna, Verlag für moderne Kunst Nürnberg © 2012 für die Texte bei den Autorinnen und Autoren sowie den Künstlerinnen und Künstlern for the texts by the authors and artists © 2012 für die Abbildungen bei den Künstlerinnen und Künstlern sowie den Fotografinnen und Fotografen for the images by the artists and the photographers © VBK Wien Vienna, 2012: daniele Buetti, Jan Fabre, Georg Herold, Jürgen Klauke, Imi Knoebel*, Michael Mastrototaro (MACHFELd), Andreas Siekmann, Alina Szapocznikow, Lawrence Weiner

Bibliografische Information der deutschen Nationalbibliothek: die deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Bibliographic information published by the deutsche Nationalbibliothek: The deutsche Nationalbibliothek lists this publication in the deutsche Nationalbibliografie; detailed bibliographic data are available in the Internet at http://dnb.d-nb.de.

Alle Rechte, auch die der Übersetzung, der fotomechanischen Wiedergabe und des auszugsweisen Abdrucks, vorbehalten. All rights reserved, including those of translation, photomechanical reproduction, or selective reprinting. Printed in Austria ISBN 978-3-86984-371-1

Vertrieb Großbritannien distribution in the United Kingdom Cornerhouse Publications 70 Oxford Street, Manchester M1 5 NH, UK Tel.: +44 161 2001503 Fax: +44 161 2001504 Vertrieb außerhalb Europas distribution outside of Europe d.A.P. distributed Art Publishers, Inc. 155 Sixth Avenue, 2nd Floor, New York, NY 10013, USA Phone +1 (212) 627-1999 Fax +1 (212) 627-9484

207


Ausstellungsreihe Exhibitions

die Publikation erscheint anlässlich des Galerienprojekts curated by_vienna, das von departure, der Kreativagentur der Stadt Wien, koordiniert und gefördert wird. Nach einem erfolgreichen Start im Jahr 2009 findet curated by_vienna vom 20. September bis 25. Oktober 2012 zum vierten Mal statt. curated by_ vienna 2012 ist dem Thema Kunst oder Leben. Ästhetik und Biopolitik gewidmet. This publication accompanies the gallery project curated by_vienna, which is coordinated and supported by departure, the City of Vienna’s creative industries agency. Successfully launched in 2009, curated by_vienna takes place for the fourth time from September 20 to October 25, 2012. The subject of curated by_vienna 2012 is Kunst oder Leben: Ästhetik und Biopolitik. www.curatedby.at Projektinitiative und Finanzierung Project initiative and funding

wirtschaft, kunst und kultur gmbh Hörlgasse 12, 1090 Wien Vienna www.departure.at


curated by_vienna ist ein Projekt von departure, der Kreativagentur der Stadt Wien, zur Förderung der Zusammenarbeit zwischen führenden Wiener Galerien zeitgenössischer Kunst und international renommierten Kuratorinnen und Kuratoren. The point of origin for Kunst oder Leben: Ästhetik und Biopolitik (Art or Life: Aesthetics and Biopolitics) is an investigation of the interconnections between work, economy, knowledge, and politics. The focus is trained on the question of how art approaches the interplay between work and life and what role it plays in the process. In the context of curated by_vienna, curators were invited to develop special exhibitions for galleries, all of which are documented in this publication. An essay by Beatrice von Bismarck on the issue of curatorial agency and Isolde Charim’s exploration of the concept of biopolitics create the framework for this unique collaborative project. curated by_vienna is a project by departure, the creative agency of the City of Vienna, promoting collaboration between Vienna’s leading contemporary art galleries and internationally renowned curators.

kunst oder leben

Den Ausgangspunkt von Kunst oder Leben. Ästhetik und Biopolitik bildet die Untersuchung der Zusammenhänge von Arbeit, Ökonomie, Wissen und Politik. Im Zentrum steht die Frage, in welchem Verhältnis die Kunst zu Arbeit und Leben steht bzw. welchen Anteil sie daran hat. Kuratorinnen und Kuratoren wurden im Rahmen von curated by_vienna eingeladen, für Galerien Ausstellungen zu entwickeln, die in dieser Publikation dokumentiert sind. Der Aufsatz von Beatrice von Bismarck über das kuratorische Handeln und Isolde Charims Auseinandersetzung mit dem Begriff der Biopolitik bilden den diskursiven Rahmen für dieses außergewöhnliche Kooperationsprojekt.

kunst oder leben ästhetik und biopolitik


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.