Subkultur

Page 1

In neun Analysen skizziert Jörg-Steffen Claß die Theorie der „Kulturindustrie“ und zeigt dabei auf, wie Global Player die Protestbotschaften und Subversionsstrategien von Kritikern adaptieren und im Sinne eines ironisch selbstreferentiellen „Anti-Marketing“ in ihre Werbung integrieren: von der Revolution zur ästhetischen Subversion. Anhand von Kampagnen des Unternehmens Nike („I’m not a target market, I’m an athlethe“) und der Jeansmarke Diesel („Brand O“) macht der Autor deutlich, wie die Werbeindustrie die Intentionen des Culture Jammer parodiert und auf De-Branding und situationistische Verfremdung setzt, frei nach dem Motto Dekonstruiere dich selbst, bevor es andere tun. Legten die Situationisten als Subversionsstrategie noch Werbegirlies Marx-Zitate in den Mund, so ist heute aus Che Guevara längst ein Pop-Idol geworden. Aus Baader-Meinhof wird Prada Meinhof, Nike wirbt mit Street-Art und Diesel setzt historische Bilder in ironischen Kampagnen für das „successful living“ ein. Die Subkultur wird zum Markenartikel, der Rebell zum Star und die alternative Szene zum Motor der Unterhaltungsindustrie.

„Ein wunderbar quer gedachtes und visuell nicht stromlinienförmig gestaltetes Buch. Herausragend.“ Uta Schneider, Geschäftsführerin der Stiftung Buchkunst

ANEIGNUNGSSTRATEGIEN DER POSTMODERNE

VON DER SUBKULTUR ZUR KULTURINDUSTRIE

JÖRG - STEFFEN CLASS

Jörg-Steffen Claß Von der Subkultur zur Kulturindustrie Aneignungsstrategien der Postmoderne

JÖRG-STEFFEN CLASS

VON DER SUBKULTUR ZUR KULTURINDUSTRIE ANEIGNUNGSSTRATEGIEN DER POSTMODERNE


zur lutionion r Revobv Von de ? ästhetischen Su ers Als Gestalter und Autoren sind wir ständig von „Codes“ umgeben. Wir arbeiten mit ihnen und gegen Sie. 6

Codes können konstruiert und dekonstruiert werden. In dieser Arbeit möchte ich herausstellen, wie in den Bereichen Kunst, Kultur und Politik mit Zeichen umgegangen wird – und insbesondere, wie diese im Marketing der globalen Weltfirmen funktionieren. Meine Motivation ist es, durch diese Arbeit ein kommunikatives Phänomen zu durchleuchten und den historischen Zusammenhang herzustellen. Wie gehe ich mit Bildern um und wie nehme ich an diesem Diskurs teil? Soll ich Dinge einfach negieren, direkt bekämpfen und zerstören bzw. wie funktioniert dieser Umgang mit den „Codes“? Die Strategien der Kommunikationsguerilla bewegen sich auf einem Gebiet, die bereits Eco in seinem programmatischen Text „Für eine semiologische Guerilla“1 herausstellte. Er nennt die Versuche, herrschende Diskurse anders als durch Argumentation und Agitation zu kritisieren, „Guerilla“. Wie bei Ecos semiologischer Guerilla geht es in Bezug auf die visuelle Kommunikation um einen abweichenden Gebrauch von Zeichen auf der Ebene der „Bedeutungs“-Subversion. Die seit ungefähr 1970 operierende Bewegung der Culture Jammer versucht durch die Umdrehung und Verfremdung von Werbebotschaften auf Missstände im konsumorientierten Kapitalismus hinzuweisen. Die Aktivitäten der Culture Jammer beinhalten u. a. das Umgestalten und Entfremden von Werbeplakaten und Anzeigen, das Fälschen, Hacken und Imitieren von Websites und die gezielte Desinformation der Medien. Frei nach dem Zitat von Barthes: „Ist die beste Subversion nicht die, Codes zu entstellen, statt sie zu zerstören?“

1 Eco, Umberto. Für eine semiologische Guerilla. In: Eco, U. & Kroeber, B.: Über Gott und die Welt. Essays und Glossen. München 1985

7


zur lutionion r Revobv Von de ? ästhetischen Su ers Als Gestalter und Autoren sind wir ständig von „Codes“ umgeben. Wir arbeiten mit ihnen und gegen Sie. 6

Codes können konstruiert und dekonstruiert werden. In dieser Arbeit möchte ich herausstellen, wie in den Bereichen Kunst, Kultur und Politik mit Zeichen umgegangen wird – und insbesondere, wie diese im Marketing der globalen Weltfirmen funktionieren. Meine Motivation ist es, durch diese Arbeit ein kommunikatives Phänomen zu durchleuchten und den historischen Zusammenhang herzustellen. Wie gehe ich mit Bildern um und wie nehme ich an diesem Diskurs teil? Soll ich Dinge einfach negieren, direkt bekämpfen und zerstören bzw. wie funktioniert dieser Umgang mit den „Codes“? Die Strategien der Kommunikationsguerilla bewegen sich auf einem Gebiet, die bereits Eco in seinem programmatischen Text „Für eine semiologische Guerilla“1 herausstellte. Er nennt die Versuche, herrschende Diskurse anders als durch Argumentation und Agitation zu kritisieren, „Guerilla“. Wie bei Ecos semiologischer Guerilla geht es in Bezug auf die visuelle Kommunikation um einen abweichenden Gebrauch von Zeichen auf der Ebene der „Bedeutungs“-Subversion. Die seit ungefähr 1970 operierende Bewegung der Culture Jammer versucht durch die Umdrehung und Verfremdung von Werbebotschaften auf Missstände im konsumorientierten Kapitalismus hinzuweisen. Die Aktivitäten der Culture Jammer beinhalten u. a. das Umgestalten und Entfremden von Werbeplakaten und Anzeigen, das Fälschen, Hacken und Imitieren von Websites und die gezielte Desinformation der Medien. Frei nach dem Zitat von Barthes: „Ist die beste Subversion nicht die, Codes zu entstellen, statt sie zu zerstören?“

1 Eco, Umberto. Für eine semiologische Guerilla. In: Eco, U. & Kroeber, B.: Über Gott und die Welt. Essays und Glossen. München 1985

7


Teil dieser Bewegung ist auch die kanadische adbusters media foundation, die in diesem Bereich ein großes Medienecho erlangt hat. Das spontane, aktionistische und oft auch humorvolle Handeln im Namen der Kapitalismuskritik und der Glaube, dass nur selbstverantwortliches Verhalten im alltäglichen Leben das System verändern kann, bringt die Culture Jammer, wie auch Klein2 schreibt, in inhaltliche Nähe zu der Situationistischen Internationalen. Die zwischen 1957 und 1971 operierende Situationistische Internationale und ihr Vorläufer, die Lettristische Internationale, die ab 1950 aktiv war, waren darum bemüht, die Grenzen zwischen politischer Aktion, experimenteller Kunst und kritischer Theorie aufzulösen. Den theoretischen Kern fasste Debord, der schon früh zu einem Motor der Bewegung wurde, in „Die Gesellschaft des Spektakels“3 zusammen.

Projiziert man aber all das auf die Marketingstrategien der global handelnden Firmen heutzutage, „wirken die Subversionsstrategien der Culture Jammer oft lächerlich.“4 Beispiele für dieses extrem coole, weil ironisch selbstreferentielle „Anti-Marketing“ gibt es in letzter Zeit immer häufiger. Klein nennt das „nichtlineare Werbung“ und gibt folgende Beispiele: 1997 wirbt Nike mit dem Slogan: „I’m not a target market, I’m an athlete.“5 Sprite stößt mit seiner weltweiten „Image is nothing“-Kampagne in dasselbe Horn: „Image ist nichts, Durst ist alles.“ Die hippe Jeansmarke Diesel setzt mit seiner Submarke „Brand 0“ genau auf den Trend zum Debranding und ahmt in parodistischen Plakatwerbungen bereits die Interventionen des Culture Jamming nach, frei nach dem Motto: Dekonstruiere dich selbst, bevor es andere tun. Wie weit diese Form repressiver Toleranz mittlerweile geht, erfuhr die US-Band Negativeland, die gewissermaßen der musikalische Arm der Culture Jamming-Bewegung ist und diesen Begriff überhaupt erst geprägt hat. 1997 erhielt 8

9

Mark Hosler, Kopf der Band, einen Anruf der Werbeagentur Wieden & Kennedy mit der Anfrage, ob die Band den Soundtrack für einen Spot für die Biermarke Miller beisteuern würde. Hosler gab danach zu Protokoll: „Sie haben überhaupt nicht begriffen, dass unsere gesamte Arbeit in fundamentaler Opposition zu allem steht, womit sie befasst sind, und es hat mich sehr deprimiert, weil ich bis dahin dachte, dass unsere Ästhetik sich nicht ohne weiteres in Marketing übersetzen lassen würde.“6

2 Klein, N.: No logo! Der Kampf der Global Players um Marktmacht; ein Spiel mit vielen Verlierern und wenigen Gewinnern. München 2002. S.111

3 Vgl.: Debord, G.: Die Gesellschaft des Spektakels. Berlin 1996

4 Vgl.: Blissett, L.. & Brünzels, S.: Handbuch der Kommunikationsguerilla. Berlin 2001

5 Klein, N.:

No logo! Der Kampf der Global Players um Marktmacht; ein Spiel mit vielen Verlierern und wenigen Gewinnern. München 2002. S. 308

6 Friebe, H.: taz Magazin Nr. 6393 vom 10.3.2001


Teil dieser Bewegung ist auch die kanadische adbusters media foundation, die in diesem Bereich ein großes Medienecho erlangt hat. Das spontane, aktionistische und oft auch humorvolle Handeln im Namen der Kapitalismuskritik und der Glaube, dass nur selbstverantwortliches Verhalten im alltäglichen Leben das System verändern kann, bringt die Culture Jammer, wie auch Klein2 schreibt, in inhaltliche Nähe zu der Situationistischen Internationalen. Die zwischen 1957 und 1971 operierende Situationistische Internationale und ihr Vorläufer, die Lettristische Internationale, die ab 1950 aktiv war, waren darum bemüht, die Grenzen zwischen politischer Aktion, experimenteller Kunst und kritischer Theorie aufzulösen. Den theoretischen Kern fasste Debord, der schon früh zu einem Motor der Bewegung wurde, in „Die Gesellschaft des Spektakels“3 zusammen.

Projiziert man aber all das auf die Marketingstrategien der global handelnden Firmen heutzutage, „wirken die Subversionsstrategien der Culture Jammer oft lächerlich.“4 Beispiele für dieses extrem coole, weil ironisch selbstreferentielle „Anti-Marketing“ gibt es in letzter Zeit immer häufiger. Klein nennt das „nichtlineare Werbung“ und gibt folgende Beispiele: 1997 wirbt Nike mit dem Slogan: „I’m not a target market, I’m an athlete.“5 Sprite stößt mit seiner weltweiten „Image is nothing“-Kampagne in dasselbe Horn: „Image ist nichts, Durst ist alles.“ Die hippe Jeansmarke Diesel setzt mit seiner Submarke „Brand 0“ genau auf den Trend zum Debranding und ahmt in parodistischen Plakatwerbungen bereits die Interventionen des Culture Jamming nach, frei nach dem Motto: Dekonstruiere dich selbst, bevor es andere tun. Wie weit diese Form repressiver Toleranz mittlerweile geht, erfuhr die US-Band Negativeland, die gewissermaßen der musikalische Arm der Culture Jamming-Bewegung ist und diesen Begriff überhaupt erst geprägt hat. 1997 erhielt 8

9

Mark Hosler, Kopf der Band, einen Anruf der Werbeagentur Wieden & Kennedy mit der Anfrage, ob die Band den Soundtrack für einen Spot für die Biermarke Miller beisteuern würde. Hosler gab danach zu Protokoll: „Sie haben überhaupt nicht begriffen, dass unsere gesamte Arbeit in fundamentaler Opposition zu allem steht, womit sie befasst sind, und es hat mich sehr deprimiert, weil ich bis dahin dachte, dass unsere Ästhetik sich nicht ohne weiteres in Marketing übersetzen lassen würde.“6

2 Klein, N.: No logo! Der Kampf der Global Players um Marktmacht; ein Spiel mit vielen Verlierern und wenigen Gewinnern. München 2002. S.111

3 Vgl.: Debord, G.: Die Gesellschaft des Spektakels. Berlin 1996

4 Vgl.: Blissett, L.. & Brünzels, S.: Handbuch der Kommunikationsguerilla. Berlin 2001

5 Klein, N.:

No logo! Der Kampf der Global Players um Marktmacht; ein Spiel mit vielen Verlierern und wenigen Gewinnern. München 2002. S. 308

6 Friebe, H.: taz Magazin Nr. 6393 vom 10.3.2001


Wie sich (...) neue Formen des Widerstands entwickeln können, ist bisher weitgehend unklar. Gilles Deleuze, der den Maulwurf als das Tier der Disziplinargesellschaft und die Schlange als das der Kon20

21

trollgesellschaft bezeichnete, schrieb zu Recht: „Die Windungen einer Schlange sind noch viel komplizierter als die Gänge eines Maulwurfsbaus.“

Holert, T. & Terkessidis M.: Mainstream der Minderheiten. Berlin 1996. S. 19


Wie sich (...) neue Formen des Widerstands entwickeln können, ist bisher weitgehend unklar. Gilles Deleuze, der den Maulwurf als das Tier der Disziplinargesellschaft und die Schlange als das der Kon20

21

trollgesellschaft bezeichnete, schrieb zu Recht: „Die Windungen einer Schlange sind noch viel komplizierter als die Gänge eines Maulwurfsbaus.“

Holert, T. & Terkessidis M.: Mainstream der Minderheiten. Berlin 1996. S. 19


n in Ad ap tio i schel-K ÄsthetDie en gn pa se am den

62

Über den Weg der Culture Jammer nun zu einer anderen Art von Aneignung – der Aneignung von Bildern in der Werbung der global agierenden Modefirma Diesel. Sie agiert auf dem Feld der „ironischen Werbung“ seit über 10 Jahren und wurde dafür auch vielfach ausgezeichnet. Die Kampagnen sind sehr ausgereift und geben vielfach Anlass zur Analyse und Kritik. Letztendlich sind es sehr unterschiedliche Themen, die innerhalb der Kampagnen angesprochen werden und beinhalten komplexe Ideen und Aussagen innerhalb des Bereiches „ironische Werbung“. Primäre Quellen zu Diesel sind sehr eingeschränkt, da sie, außer den Informationen auf ihrer Website, keine weiteren bekannt geben. So ist auch auf der Kontaktseite notiert: „Please note that Diesel cannot provide financial results, marketing strategies or help with individual college projects.“57 Wahrscheinlich ist es Teil des Firmenkonzeptes und als ironisch anzusehen, „die Zielgruppe der Firma“ nicht mit zusätzlichen firmenpolitischen Informationen zu versorgen. So gibt es keinerlei Veröffentlichungen zu Produktionsstandorten und Produktionsbedingungen, noch beteiligt sich Diesel an Umfragen und Analysen unabhängiger Institutionen hierzu.

Der Standpunkt, dass Werbung Einfluss auf soziale Gegenheiten hat, wird kontrovers diskutiert. Die Kampagnen der italienischen Modefirma Benetton haben Debatten auf soziologischer wie psychologischer Ebene entfacht. Ebenso wird die ökonomische Auswirkung solcher Kampagnen diskutiert. Die Fragen sind: sollen ethische Themen in der Werbung aufgegriffen werden und wo beginnt und endet die soziale Verantwortung der Werbung? 58 In den letzten zwei Jahrzehnten gab es das kontrovers diskutierte Phänomen der Schockwerbung. Insbesondere die Anzeigen von Benetton seit 1984 spielen hier eine wichtige Rolle. Die im Jahre 1989 veröffentlichte Kampagne Contrasts in Black and White, die die soziale Wahrnehmung von „Anders-

Diesel-Kampagne. Happy Valley Is Now Sponsored By Diesel. 2002 57 http://www.diesel.com/contact_diesel/html/company.html

58 Burrows, S.: Should Advertising Concern Themselves

With Ethics? A Study Into The Perception of Advertising In Today’s Society. Kingston University 2001. S. 7

63


n in Ad ap tio i schel-K ÄsthetDie en gn pa se am den

62

Über den Weg der Culture Jammer nun zu einer anderen Art von Aneignung – der Aneignung von Bildern in der Werbung der global agierenden Modefirma Diesel. Sie agiert auf dem Feld der „ironischen Werbung“ seit über 10 Jahren und wurde dafür auch vielfach ausgezeichnet. Die Kampagnen sind sehr ausgereift und geben vielfach Anlass zur Analyse und Kritik. Letztendlich sind es sehr unterschiedliche Themen, die innerhalb der Kampagnen angesprochen werden und beinhalten komplexe Ideen und Aussagen innerhalb des Bereiches „ironische Werbung“. Primäre Quellen zu Diesel sind sehr eingeschränkt, da sie, außer den Informationen auf ihrer Website, keine weiteren bekannt geben. So ist auch auf der Kontaktseite notiert: „Please note that Diesel cannot provide financial results, marketing strategies or help with individual college projects.“57 Wahrscheinlich ist es Teil des Firmenkonzeptes und als ironisch anzusehen, „die Zielgruppe der Firma“ nicht mit zusätzlichen firmenpolitischen Informationen zu versorgen. So gibt es keinerlei Veröffentlichungen zu Produktionsstandorten und Produktionsbedingungen, noch beteiligt sich Diesel an Umfragen und Analysen unabhängiger Institutionen hierzu.

Der Standpunkt, dass Werbung Einfluss auf soziale Gegenheiten hat, wird kontrovers diskutiert. Die Kampagnen der italienischen Modefirma Benetton haben Debatten auf soziologischer wie psychologischer Ebene entfacht. Ebenso wird die ökonomische Auswirkung solcher Kampagnen diskutiert. Die Fragen sind: sollen ethische Themen in der Werbung aufgegriffen werden und wo beginnt und endet die soziale Verantwortung der Werbung? 58 In den letzten zwei Jahrzehnten gab es das kontrovers diskutierte Phänomen der Schockwerbung. Insbesondere die Anzeigen von Benetton seit 1984 spielen hier eine wichtige Rolle. Die im Jahre 1989 veröffentlichte Kampagne Contrasts in Black and White, die die soziale Wahrnehmung von „Anders-

Diesel-Kampagne. Happy Valley Is Now Sponsored By Diesel. 2002 57 http://www.diesel.com/contact_diesel/html/company.html

58 Burrows, S.: Should Advertising Concern Themselves

With Ethics? A Study Into The Perception of Advertising In Today’s Society. Kingston University 2001. S. 7

63


84

85

L R

Diesel-Kampagne. Diesel Society Of Nature Lovers. 2004

Ausschnitt aus Bosch, H.: The Garden of Earthly Delight. 1504


84

85

L R

Diesel-Kampagne. Diesel Society Of Nature Lovers. 2004

Ausschnitt aus Bosch, H.: The Garden of Earthly Delight. 1504


www.google.de Bild 1 – 40 von ungefähr 6.200 Ergebnissen für Che Guevara


www.google.de Bild 1 – 40 von ungefähr 6.200 Ergebnissen für Che Guevara


diese ermöglichen eine vielschichtige Leseart. Es ist also der „aktive Rezipient“ nötig, um die „medialen Texte“ zu verstehen. Historisch gesehen führt dieser „aufgeweichte“ Gebrauch der Zeichen aber auch zur Verklärung und Kontextverschiebung und ist somit kritisch zu sehen. Insbesondere die Reduktion von Bildern auf eine Metapher, wie das Beispiel des „Panzerkreuzers Potemkin“ in der T-Mobile-Werbung und die Nutzung des „Pop-Stars“ Che Guevara, halte ich für mehr als fraglich. Aber diese Interpretation ist subjektiv und kann für jeden Leser anders ausfallen. Auch muss man die von Eco vorgeschlagene Haltung des emanzipatorisch handelnden Konsumenten einnehmen, um für sich eine eigenständige Kritik formulieren zu können. Anknüpfend an die systemtheoretische Argumenationsweise ist es auch nicht verwunderlich, dass die Werbung selbst die „neue Ästhetiken“ des Culture Jamming und der Street-Art für sich entdeckt und nutzt. Dies wird heute als Methode eingesetzt, um den gegen Werbung immunisierten Konsumenten für eine Kampagne zu interessieren. Eine ähnliche Strategie verfolgte auch das Bekleidungsunternehmen Benetton mit seinen zahlreichen gesellschaftskritischen und schockierenden Kampagnen der letzten Jahre, die häufig in der Kritik der Medien, wie auch der Konsumenten standen. Die zitierte Funktion der Aufmerksamkeitsgenerierung erfüllen sie sicherlich. Das Phänomen der Aneigung und Wiederaneignung kann nicht allgemeingültig nach den Qualitäten „gut“ oder „schlecht“ bewertet werden, sondern nur nach Halls Encoding / Decoding-Konzept eingeordnet werden. Je nach sozialem Ausgangspunkt und Hintergrundwissen wird die Nachricht verschieden kodiert und gelesen. Somit gibt es die Möglichkeit eine die Werbung einbeziehende Medienkompetenz zu entwickeln. Daraus lässt sich ableiten, dass der Betrachter sich in den Medien wiederfinden kann, obwohl er weiß, dass das nicht das wahre Leben ist. Vielleicht ist es ja auch eine Frage des Glücks, Spass an gelungenen Kampagnen zu haben und es ist nichts schlimmes daran, 182

das Leben mit einer gewissen Ironie zu sehen – als Satire mit andernen Mitteln.

Weitergehende Beispiele für Möglichkeiten der Medienaneignung und des kreativen Umgangs mit vorgegebenen Informationen gibt es auch für die elektronischen Medien. Medosch beschreibt in seinem Aufsatz „The Kids are out to play“ sogenannte Script Kiddies, die sich in Homepages einhacken um dort ihre „eigenen“ Information zu platzieren. Die Gruppe Critical Art Ensemble arbeitet sowohl auf theoretischer als auch auf praktischer Ebene im Bereich der Mediensubversion. Ihr Konzept des „elektronischen zivilen Ungehorsams“ liegt inhaltlich nahe zum der Culture Jammer. Doch auch diese Ansätze werden wohl wieder in den Mainstream zurückgeführt werden – so sind die früheren Hacker der Computerszene heute wichtige Berater der Industrie. Nüchtern betrachtet sind viele Innovationen auf dem Markt der Popkultur und der Werbung durch eine Einbindung des Subversiven entstanden. Der Kampf gegen den bürgerlichen Chic endet wieder im Mainstream. Der Außenseiter oder Revolutionär wird zum Pop-Idol und die alternative Subkultur ist der Think Tank in der Evolution des Massengeschmacks.

183


diese ermöglichen eine vielschichtige Leseart. Es ist also der „aktive Rezipient“ nötig, um die „medialen Texte“ zu verstehen. Historisch gesehen führt dieser „aufgeweichte“ Gebrauch der Zeichen aber auch zur Verklärung und Kontextverschiebung und ist somit kritisch zu sehen. Insbesondere die Reduktion von Bildern auf eine Metapher, wie das Beispiel des „Panzerkreuzers Potemkin“ in der T-Mobile-Werbung und die Nutzung des „Pop-Stars“ Che Guevara, halte ich für mehr als fraglich. Aber diese Interpretation ist subjektiv und kann für jeden Leser anders ausfallen. Auch muss man die von Eco vorgeschlagene Haltung des emanzipatorisch handelnden Konsumenten einnehmen, um für sich eine eigenständige Kritik formulieren zu können. Anknüpfend an die systemtheoretische Argumenationsweise ist es auch nicht verwunderlich, dass die Werbung selbst die „neue Ästhetiken“ des Culture Jamming und der Street-Art für sich entdeckt und nutzt. Dies wird heute als Methode eingesetzt, um den gegen Werbung immunisierten Konsumenten für eine Kampagne zu interessieren. Eine ähnliche Strategie verfolgte auch das Bekleidungsunternehmen Benetton mit seinen zahlreichen gesellschaftskritischen und schockierenden Kampagnen der letzten Jahre, die häufig in der Kritik der Medien, wie auch der Konsumenten standen. Die zitierte Funktion der Aufmerksamkeitsgenerierung erfüllen sie sicherlich. Das Phänomen der Aneigung und Wiederaneignung kann nicht allgemeingültig nach den Qualitäten „gut“ oder „schlecht“ bewertet werden, sondern nur nach Halls Encoding / Decoding-Konzept eingeordnet werden. Je nach sozialem Ausgangspunkt und Hintergrundwissen wird die Nachricht verschieden kodiert und gelesen. Somit gibt es die Möglichkeit eine die Werbung einbeziehende Medienkompetenz zu entwickeln. Daraus lässt sich ableiten, dass der Betrachter sich in den Medien wiederfinden kann, obwohl er weiß, dass das nicht das wahre Leben ist. Vielleicht ist es ja auch eine Frage des Glücks, Spass an gelungenen Kampagnen zu haben und es ist nichts schlimmes daran, 182

das Leben mit einer gewissen Ironie zu sehen – als Satire mit andernen Mitteln.

Weitergehende Beispiele für Möglichkeiten der Medienaneignung und des kreativen Umgangs mit vorgegebenen Informationen gibt es auch für die elektronischen Medien. Medosch beschreibt in seinem Aufsatz „The Kids are out to play“ sogenannte Script Kiddies, die sich in Homepages einhacken um dort ihre „eigenen“ Information zu platzieren. Die Gruppe Critical Art Ensemble arbeitet sowohl auf theoretischer als auch auf praktischer Ebene im Bereich der Mediensubversion. Ihr Konzept des „elektronischen zivilen Ungehorsams“ liegt inhaltlich nahe zum der Culture Jammer. Doch auch diese Ansätze werden wohl wieder in den Mainstream zurückgeführt werden – so sind die früheren Hacker der Computerszene heute wichtige Berater der Industrie. Nüchtern betrachtet sind viele Innovationen auf dem Markt der Popkultur und der Werbung durch eine Einbindung des Subversiven entstanden. Der Kampf gegen den bürgerlichen Chic endet wieder im Mainstream. Der Außenseiter oder Revolutionär wird zum Pop-Idol und die alternative Subkultur ist der Think Tank in der Evolution des Massengeschmacks.

183


In neun Analysen skizziert Jörg-Steffen Claß die Theorie der „Kulturindustrie“ und zeigt dabei auf, wie Global Player die Protestbotschaften und Subversionsstrategien von Kritikern adaptieren und im Sinne eines ironisch selbstreferentiellen „Anti-Marketing“ in ihre Werbung integrieren: von der Revolution zur ästhetischen Subversion. Anhand von Kampagnen des Unternehmens Nike („I’m not a target market, I’m an athlethe“) und der Jeansmarke Diesel („Brand O“) macht der Autor deutlich, wie die Werbeindustrie die Intentionen des Culture Jammer parodiert und auf De-Branding und situationistische Verfremdung setzt, frei nach dem Motto Dekonstruiere dich selbst, bevor es andere tun. Legten die Situationisten als Subversionsstrategie noch Werbegirlies Marx-Zitate in den Mund, so ist heute aus Che Guevara längst ein Pop-Idol geworden. Aus Baader-Meinhof wird Prada Meinhof, Nike wirbt mit Street-Art und Diesel setzt historische Bilder in ironischen Kampagnen für das „successful living“ ein. Die Subkultur wird zum Markenartikel, der Rebell zum Star und die alternative Szene zum Motor der Unterhaltungsindustrie.

„Ein wunderbar quer gedachtes und visuell nicht stromlinienförmig gestaltetes Buch. Herausragend.“ Uta Schneider, Geschäftsführerin der Stiftung Buchkunst

ANEIGNUNGSSTRATEGIEN DER POSTMODERNE

VON DER SUBKULTUR ZUR KULTURINDUSTRIE

JÖRG - STEFFEN CLASS

Jörg-Steffen Claß Von der Subkultur zur Kulturindustrie Aneignungsstrategien der Postmoderne

JÖRG-STEFFEN CLASS

VON DER SUBKULTUR ZUR KULTURINDUSTRIE ANEIGNUNGSSTRATEGIEN DER POSTMODERNE


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.