Deutsche Oper Berlin: Tischlerei-Zeitung No. 7 (September 2016 - Februar 2017)

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Raum fĂźr experimentelles Musiktheater der Deutschen Oper Berlin


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Schwerpunkt in dieser Zeitung

Musiktheater und Pop 4 Vom Underground ins Opernhaus Anja Caspary im Leitartikel über die neuen Freund­ schaften zwischen Musiktheater und Pop 8 Schüsse aus dem Hinterhalt Late-Night-Performances zu COSI FAN TUTTE und DIE HUGENOTTEN © Stephan Bögel

12 Schlangenhaar und Tempelsex GIANNI: Musiktheater im Zeichen des Medusenhaupts 18 Fragen des Lebens Das neue Herbstferienprojekt der Jungen Deutschen Oper mit geflüchteten und Berliner Jugendlichen

Die Magie der Plastikschläuche 22 Aus der Werkstatt für die Kinderproduktion DAS GEHEIMNIS DER BLAUEN HIRSCHE

Alles auf einen Blick 30 Alle Premieren und Wiederaufnahmen bis Ende Dezember 2016

Editorial Auch für diese Ausgabe kooperiert die Deutsche Oper Berlin mit­ der OSTKREUZSCHULE für Fotografie Berlin. Studierende aus der Klasse von Sibylle Fendt haben sich mit zwei Themen der kommenden Tischlerei-Produktionen fotografisch auseinander gesetzt: „Pop und Theater“ und „Objekte und Theater“.

Die Tischlerei-Zeitung der Deutschen Oper Berlin ist eine Beilage der taz, die Tageszeitung © 2016 Herausgeber Deutsche Oper Berlin – Stiftung Oper in Berlin; Dietmar Schwarz [Intendant]; Thomas Fehrle [Geschäftsführender Direktor] Redaktion Dramaturgie / verantwortlich Dorothea Hartmann Gestaltung Jens Schittenhelm Produktion A. Beig Druckerei und Verlag GmbH & Co. KG; Die Rechtschreibung folgt den Vorlagen Fotografie Claudia Bühler, Annemie Martin und Linus Müllerschön

Musiktheater und Pop – der Schwerpunkt dieser Ausgabe könnte auf den ersten Blick anbiedernd wirken, wenn man darunter verstünde: U-Musik und E-Musik begegnen sich in einem Opernhaus zum massentauglichen „Crossover“. Was so viel hieße wie: Wohlklang und Unterhaltung, Trivialität und Einfachheit, Marktorientiertheit und Mainstream des Pop treffen auf die Komplexität des Musiktheaters und machen es einem breiteren Publikum zugänglicher. Soweit die Klischees. Denn natürlich wird ein derartiges Schubladendenken dem Phänomen „Pop und Popmusik“ nicht gerecht. Pop war von Beginn an eine Bewegung der Sub- und Gegenkulturen und hatte ihren ersten Höhepunkt gerade in der Verweigerung des Etablierten während der antiautoritären Bewegungen der 60er Jahre. So unterschiedliche Künstler wie Frank Zappa, Bob Dylan, Bob Marley, Rio Reiser oder viel früher Pete Seeger standen für Provokation, Subversion und eine radikale Kunst, sowohl in den Inhalten als auch in der Kreation von ­musikalischem Material und neuen Sounds. Auch wenn die Popmusik in der Masse inzwischen ein kommerzielles Phänomen geworden ist, existieren die Unabhängigen, Experimentierfreudigen und künstlerischen Rebellen nach wie vor. Dies zeigen nicht zuletzt auch die gestiegenen gegenseitigen Interessensbekundungen von avantgardistischer Popmusik und Neuer

Musik, die derzeit vielerorts aufleben, in Berlin etwa beim Atonal Festival oder in der lebendigen echtzeitmusik-Szene. Und auch ein Festival wie Donaueschingen wirbt in diesem Jahr mit dem Titel „Avantgarde greift nach Popmusik“.

und seine Muse, die Pop-Ikone Peaches, auf den Klassiker COSI FAN TUTTE und haben gut 200 Jahre später vielleicht nicht ganz un­ ähnliche Fragen an Mozarts Lebensthema des „So machen’s alle“.

Auch die Tischlerei als „Raum für experimentelles Musiktheater“ lädt immer wieder Künstler der Berliner und internationalen Pop-Szene ein: Sie alle eint eine gewisse künstlerische Radikalität, mit der sie gesellschaftliche Fragen in Musik umsetzen. Tritt diese in Spannung mit den Kräften eines Opernhauses, kann im besten Fall eine produktive Verunsicherung aller entstehen. Die Eröffnungsproduktion GIANNI der Berliner Band Brandt Brauer Frick etwa amalgamiert einander Fremdes wie Operngesang, Clubmusik, klassisches Instrumentarium und Elemente des Voguing-Balls zu einem Pop-Musiktheater über Glanz und Glamour der Modewelt – und die Absturzgefahren hinter ihren trügerischen Kulissen. Fünf Premieren der großen Bühne nimmt sich die neue Late-Night-Reihe „Aus dem Hinterhalt“ vor und nähert sich ihnen hinterrücks: DJs, Komponisten, Bildende Künstler, Autoren und Performer „beschießen“ mit ihren eigenen künstlerischen Mitteln das Opernrepertoire von Mozart, Meyerbeer oder Wagner – gemeinsam mit Ensemblemitgliedern des Hauses. Im ersten „Hinterhalt“ treffen der Rapper Black Cracker

Wir laden ein: Gehen Sie mit uns fremd! Wir freuen uns auf Sie.

© Bettina Stöß

26 Mehr Kraft, als man denkt Puppenspielerin Bernadett Kis im 1. Tischlereikonzert

Dorothea Hartmann ist seit 2012 Künstlerische Leiterin der Tischlerei an der Deutschen Oper Berlin.


Vom Underground ins Opernhaus Über die neuen Freundschaften von Musiktheater und Pop Bands als Novelty-Acts eingeladen, um einen Imagetransfer zu bewerkstelligen. Im Grunde ein schnöder Marketinggedanke, ein Mittel zum Zweck, das fehlenden Respekt vor der Popmusik bezeugte. Zum Glück sind wir weg von der Zirkusnummer, mittlerweile sind die Künste vom gleichberechtigten Wechselspiel durchdrungen: Es ist ein Geben und Nehmen, die U-Musik hat Einzug gefunden in die Intellektuellenkultur, die gesamte Kulturszene ist POP, eine Trennung scheint es nicht mehr zu geben, wenn Tocotronic-Songs zu Theatertexten werden und sich jeder auf jeden bezieht. Gefällt mir, die Entwicklung. Theater und populäre Musik gehören für mich zusammen, denn Popmusik ist genauso Kunst wie alle anderen Sparten. Deren Macher halten etwas auf sich. Zu Recht werden ihre Konzerte auch in Theatern veranstaltet. Die schöne Entwicklung der letzten Zeit ist aber, dass sich Popmusiker nicht nur den Paycheck von den „Fleischtöpfen“ der Hochkultur abholen, sondern sich ihrerseits vom Theater inspirieren lassen. Ist doch verständlich, dass talentierte Rock/Pop/Elektronikmusiker wie The Notwist, FM Einheit, Cobra Killer, Die Goldenen Zitronen, The Bianca Story, Kante oder Brandt Brauer Frick zum Theater wollen: Sie nehmen doch auch etwas mit, sie spielen nicht nur, sie agieren szenisch, sie lernen die zusätzliche Komponente des Sich-Ausdrückens, werden wandelbarer in ihrer Musik und ihrer Selbstdarstellung. Manche wagen vorsichtige Annäherungen, eine wie Peaches stürzt sich schon seit Jahren kopfüber in die Musiktheaterwelt, was in Genialem [PEACHES CHRIST SUPERSTAR, PEACHES DOES HERSELF] oder in Peinlichem [L’ORFEO] endet, aber alles ist besser, als die traditionsstarre, schwerfällige Wiederholung des Gewohnten. Sich kreativ, experimentell und interdisziplinär zu bewegen, bedeutet nämlich auch, dass dem Ergebnis etwas Spontanes, Unfertiges anhaftet, das man als Zuschauer weiterdenken kann. Und die Dinge, die ich in diesem 350 Zuschauer

fassenden Saal der Deutschen Oper, der als „Tischlerei“ bekannt ist, gesehen habe, schwelen noch lange nach. Weil sie das Gegenteil sind von Berieselung und Guckkastenbühne. Ich denke an die Körperlichkeit von Jakop Ahlboms HOFFMANN-Inszenierung, wo Coppelia-Puppe und Mensch kaum auseinanderzuhalten waren und die Autoscooter fahrenden Sänger der ersten Reihe fast die Füße plattrollten. Ich denke an die mitreißenden Abende von The Bianca Story mit Berliner Jugendlichen zum Thema „Unsterblichkeit“. Oder an den blutüberströmten Bariton Seth Carico, der als Kassandra in der ORESTEIA open air auf dem Parkdeck mit seiner unberechenbaren raw power an Iggy Pop erinnerte. Ich begrüße die Lockerheit, mit der nun DIY-Underground-Popmusiker neben Ensemblemitgliedern des Hauses gleichberechtigt agieren dürfen und freue mich auf diese neuen Kooperationen „aus dem Hinterhalt“. Anja Caspary Zahlreiche junge Künstler treibt es nach Berlin. Sie verfolgen ein gemeinsamens Ziel: mit ihrer Kunst den Durchbruch zu erlangen. Eine neue Generation von Musikern schaut sich um in der Welt der Popmusik, mit wenigen Mitteln, aber großem Vorhaben. Linus Müllerschön

© rbb Jim Rakete

Auch wenn ich es eigentlich besser weiß, gerade wo es doch von der Tischlerei kommt, dieser spannenden Alternativbühne, die es seit 4 Jahren an der Rückseite der Deutschen Oper Berlin gibt und die sogar schon die New York Times anerkennend als „innovative Opern-Antithese“ beschrieb, so war doch mein erster Gedanke beim Stichwort Musiktheater und Pop: Musical! Oh Gott. Zweiter Gedanke: ISABELLE’S DANCE. In den 80ern, ich war 19 oder 20, habe ich dieses Dreieinhalbstunden-Musical von William Forsythe in der Oper Frankfurt gesehen. Der damals kurz vor dem Durchbruch stehende Ausnahmechoreograf hatte sich einen quietschbunten Zwitter aus [Pop]Musik, Gesang, Text und Tanz ausgedacht. Für mich damals ein Novum: Aufgebrochene Strukturen, die Grenzen, was ein Schauspieler auf der Bühne tut, und was ein Sänger, Tänzer oder Musiker, waren verwischt – beileibe kein typisches Musical. Leider war ISABELLE’S DANCE ein Flop und wurde nach wenigen Aufführungen abgesetzt, Forsythe machte nie mehr den Versuch eines abendfüllenden Pop-Events, aber ich hatte etwas Neues gesehen. Etwas Interdisziplinäres, Experimentelles mit einer gewissen unverständlichen, aber mitreißenden Crazyness. An einem Ort, wo ich normalerweise wegen des elterlichen OpernAbos klassisches Musiktheater absaß, natürlich mit ernster Musik. ISABELLE’S DANCE war meine Initiation, der Moment, der sich richtig anfühlte. Denn ich gehöre einer Generation an, die mit U-Musik aufgewachsen ist. Die Benutzung und Einflussnahme „meiner“ Musik im Theater war deshalb ein begrüßenswerter Prozess in den letzten Jahrzehnten. Schlauberger-mäßiges, trockenes Intellektuellen-Sprechtheater, das nach Reclamheft klang, wurde infiltriert von Popkultur und Popdiskurs. Wobei die Entwicklung anfangs ihre Schattenseiten hatte: Es gab eine Zeit in den Achtzigern, als die Häuser um Aufmerksamkeit beim jungen Publikum heischten und zum Beispiel Peter Zadek in Hamburg die Toten Hosen engagierte. Wilde Rocker sollten ein jugendliches Element ins altehrwürdige Deutsche Schauspielhaus bringen. Damals wurden

Anja Caspary geboren 1964 in Frankfurt/ Main hat nach einer Ausbildung zur Physiotherapeutin an der FU Berlin Theaterwissenschaft und Germanistik studiert. 1989 machte sie ein Praktikum in der SFB2-Musikredaktion und war im Anschluss Moderatorin bei den rbb-Rundfunkwellen radio4U, Fritz und radioeins. Seit September 2015 ist sie Musikchefin von radioeins.



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Schüsse aus dem Hinterhalt Late-Night-Performances zur Großen Oper Konzept, Künstlerische Leitung Alexandra Holtsch Raumkonzept Sabine Mader Dramaturgie Sebastian Hanusa Aus dem Hinterhalt: COSI FAN TUTTE 22. Oktober 2016, 21.00 Uhr Mit u. a. Black Cracker and the Muse [Peaches], Elda Laro, Thomas Lehman, Ronnita Miller, Matthew Newlin

Late-Night-Performances zu COSI FAN TUTTE und DIE HUGENOTTEN Auf einen Blick: Mit AUS DEM HINTERHALT startet eine neue Reihe von Musiktheaterabenden in der Tischlerei. An fünf Abenden legen wir uns auf die Lauer, um es mit fünf scheinbar übermächtigen Gegnern aufzunehmen, die so schnell nichts erschüttert: fünf Premieren der großen Bühne, allesamt Säulen des klassisch-romantischen Repertoires. Gemeinsam mit Sängern und Musikern der Deutschen Oper Berlin sowie Gastkünstlern aus den verschiedensten Sparten und Genres werden unter der Künstlerischen Leitung von Alexandra Holtsch die Stücke neu befragt. Dabei können die bekanntesten Arien ebenso Ausgangspunkt und Material sein wie eine Bühnenfigur, ein Sujet, ein Text oder ein Requisit. Es entsteht ein neues Musiktheater, das ergänzt oder widerspricht, es findet sinnliches Forschen und [Unter]Suchen als Reform, Denkanstoß und Late-Night-Show statt. In der ersten Spielzeithälfte sind es die Neuproduktionen von Mozarts COSI FAN TUTTE sowie Meyerbeers DIE HUGENOTTEN, die in den Hinterhalt geraten.

Aus dem Hinterhalt: COSI FAN TUTTE Mozarts COSI FAN TUTTE ist eine der Mozart-­ Opern mit dem höchsten Anteil an Secco-Rezitativen im Verhältnis zu Arien und Ensembles. Es wird sehr viel diskutiert und philosophiert in dieser, so der Untertitel des Stückes, „Schule der Liebenden“. Und da ist das Secco-Rezitativ mit dem nur vom Tasteninstrument begleiteten Sprechgesang die besser geeignete musikalische Form, in kurzer Zeit mit vertonter Sprache Inhalte zu transportieren, als die eher den poetischen oder emotionalen Momenten nahe stehende Arie. Es „aus dem Hinterhalt“ mit einem Meisterwerk wie COSI FAN TUTTE aufzunehmen, kann nur funktionieren, wenn man dem Stück mit den eigenen Mitteln begegnet. Um aus der Gegenwart heraus den Blick auf Inhalt und Musik zu werfen, hat das Team der HINTERHÄLTE sich mit dem Dichter, Rapper, Video- und Performancekünstler Black Cracker verbündet. Der in Berlin lebende und arbeitende US-Amerikaner steht quer zu dem, was man gemeinhin mit Rap verbindet: Er kultiviert nicht die Machogesten des Hip Hop-Mainstream mit seiner aggressiv zur Schau getragenen heterosexuellen Männlichkeit. Wenngleich seine Texte, die er zu treibenden Beats und mit beeindruckender Bühnen­ präsenz vorträgt, scharf, knapp und mit ihrer

rhythmischen wie sprachlichen Präzision Rap von höchster Qualität sind. Doch werden bei ihm Machogesten nicht kultiviert, sondern thematisiert. Seine Texte handeln von Rollenklischees wie von deren Überschreitung, von Trans- und Homosexualität. In AUS DEM HINTERHALT wird er sie zusammen mit seiner Muse, der Electroclash-Ikone Peaches, der Musik Mozarts gegenüberstellen. Es wird scharfe Kontraste geben aber auch fließende Übergänge zu Arien und Rezitativen aus COSI FAN TUTTE, gesungen von den Ensemblemitgliedern Ronnita Miller, Matthew Newlin und Thomas Lehman und gespielt von einem Streichquintett aus Mitgliedern des Orchesters der Deutschen Oper Berlin – am Hammerklavier begleitet und unter der musikalischen Leitung von Elda Laro. Don Alfonso ist in COSI FAN TUTTE der Wortführer in jenen ausgedehnten Rezitativen. Er bezeichnet sich selbst als Philosoph und vertritt die Position eines radikalen Materialismus: Der Mensch sei, gemäß dem französischen Materialisten LaMettrie, eine „Maschine“, er gehorche psychophysikalischen Gesetzen von Reiz und Reaktion, Ursachen und Wirkung, und der freie Wille sei nur Fiktion. Diesen letztlich nur versteh- aber nicht veränderbaren Gegebenheiten menschlicher Existenz widerstehen zu wollen,

Aus dem Hinterhalt: DIE HUGENOTTEN 19. November 2016, 21.00 Uhr Mit u. a. Sonja Bender, Silke Buchholz, Matthew Ottenlips, Irene Roberts, Tim Staffel, Siobhan Stagg

sei vergeblich. Dies zu demonstrieren überredet er Ferrando und Guglielmo – indem er mit ihnen wettet –, die Treue ihrer beiden Verlobten Fiordiligi und Dorabella auf die Probe zu stellen. Sein Ziel ist, auch die Liebe als eine psychophysischen Gesetzen unterworfene Körperfunktion zu entlarven – mit bei Mozart und seinem Librettisten Lorenzo da Ponte letztlich offenem Ausgang jenes auf der Bühne durchgespielten „Menschenexperiments“ des Partnertauschs. Don Alfonso fand direkt aus den philosophischen Diskussionen der Aufklärung heraus seinen Weg auf die Opernbühne. Er vertritt eine der radikalsten Positionen innerhalb jener Epoche, die das Bild des Menschen, sein Denken, seine Moralvorstellungen und die politische Ordnung neu und grundlegend zu hinterfragen und zu definieren versuchte. Die politische Sprengkraft des aufklärerischen Denkens zeigte sich zeitgleich zur Entstehung der 1790 uraufgeführten COSI FAN TUTTE in der französischen Revolution. Auf der Opernbühne wird hierzu ein neues Verständnis von Liebe auf seine Möglichkeiten hin untersucht. Während die vor über 200 Jahren begonnene Diskussion der erotischen Conditio Humana nichts an Aktualität verloren hat, hat sich die Art des Umgangs mit ihr im Alltag der von der digitalen Revolution geprägten Wirklichkeit gewandelt. Hier setzt Black Cracker an, wenn er in AUS DEM HINTERHALT performativ

COSI FAN TUTTE ins Visier nimmt und zu seinen Überlegungen schreibt: „Die Affären der virtuellen Liebe, Facebook, Grinder, Tinder, Snapchat, Skype und all die Dramen, die mit der ‚Status‘-Kultur, mit Clicks und Likes aufblühen und vergehen: Das Thema von COSI FAN TUTTE hat brillant die Sorgen und Nöte von Liebesbeziehungen unserer Zeit vorweggenommen. Ich werde zusammen mit meiner Muse innerhalb dieses HINTERHALTS die Funktion von Don Alfonso übernehmen. Als ein Anstifter, der eng verbunden ist mit dem Verbotenen und mit diesem zusammenarbeitet. Es wird nicht in der Form eines Theaterstücks stattfinden, sondern als eine performative Installation, die auf Video und Texten aufbaut, eine rhythmisierte Abfolge verschiedener Ereignisse. Der Abend wird reduziert und zugleich übervoll sein. Direkt und unmittelbar – und an seinen Rändern zugleich eine energiegeladene Untersuchung dieser Schule der Liebenden.“

AMBUSHED FROM BEHIND On five separate evenings the Tischlerei will be the setting for a musical-theatre skirmish in which a new production is grafted from the main stage of the Deutsche Oper Berlin and subjected to an artistic stick-up. The ensuing roughhousing will focus on individual arias, a character, a theme, a text, a musical fragment, an important prop or a particular item of clothing. Artistic director Alexandra Holtsch will work with singers and musicians of the Deutsche Oper Berlin and guest artists from a variety of fields to develop forms of expression for presence, ritual, orgy and severe, through-composed material, forms that facilitate a fresh interrogation of works of the repertoire. Amidst a welter of changing musical styles and techniques, commentaries emerge that bolster or contradict the established forms; reformation, inspiration and late-night show elements are the mediums of organic exploration, examination and questing.


Die Berliner Musikerin, Komponistin und Regisseurin Alexandra Holtsch hat an der Deutschen Oper Berlin bereits 2012 /13 mit ihrer Auftragskomposition DER RING: NEXT GENERATION frei nach Richard Wagner für Aufsehen gesorgt. Es folgten die Projekte SONG IN A BOTTLE [2014] und GIVE-A-WAY [2015]. Seit 1992 komponiert sie Theatermusiken und ist auch live [Gitarre, Gesang, Sampler und Plattenspieler] an zahlreichen Projekten, u. a. an Theatern in Köln, Frankfurt, Weimar, Freiburg, Basel, Linz, Konstanz, am Berliner Ensemble und an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz beteiligt. In den letzten Jahren konzentrierte sich Alexandra Holtsch auf Produktionen, in denen sie Komposition und Regie übernahm, u. a. am Theater Bremen, am Jungen Theater Heidelberg im Zwinger 3 und am Staatstheater Saarbrücken.

Sebastian Hanusa ist seit 2014 Dramaturg an der Deutschen Oper Berlin.

Regisseurin Alexandra Holtsch knüpft hier an. Auch der HINTERHALT zu den HUGENOTTEN wird von der Fülle künstlerischer Ausdrucksmittel geprägt sein, wie sie das 21. Jahrhundert zur Verfügung stellt. Aus dem Ensemble der Deutschen Oper Berlin sind Irene Roberts und Siobhan Stagg dabei, beide mit Teilen ihrer hochvirtuosen Gesangpartien aus Meyerbeers Oper. Hinzu kommen Schlagzeuger aus dem Orchester der Deutschen Oper,

Ellison Renee Glenn alias Black Cracker lebt in Berlin sowie Lausanne und ist darüber hinaus auch in New York City tätig. Er arbeitet als Produzent, MC sowie Schriftsteller und kollaborierte u. a. mit Musikern und Bands wie Cocorosie, Creep, Bunny Rabbit und Grand Pianoramax. Seine Musik ist von den Bands Dipset und Blackbox beeinflusst. Er ist vor allem durch seine energetischen Bühnenauftritte bekannt geworden und trat bereits mit Slick Rick, Grimes, Trust auf. Seine Arbeit wurde in der New York Times und dem Vice Magazine besprochen. In Berlin war er zuletzt unter anderem im HAU / Hebbel am Ufer in DIE REVUE und T/HE/Y und am Maxim Gorki Theater mit der Boiband zu erleben.

Peaches, geboren unter dem bürgerlichen Namen Merrill Beth Nisker, stammt aus Toronto und startete ihre Karriere in der Band The Shit. Als sie kurz darauf eine Groovebox in den Händen hält, nennt sie sich Peaches und beginnt selbst, Musik zu produzieren. Bald erschien ihr erstes Album „The Teaches of Peaches“ beim Berliner Label Kitty-Yo, weitere erfolgreiche Alben folgten. Ihre Bühnenshows, eine Mischung aus Punk-Konzert und Sexshow, werden zu ihrem Charakteristikum. Außerdem hat sie Remixe für Daft Punk, Le Tigre und Basement Jaxx erstellt und Duette mit Künstlern wie Iggy Pop, Gonzales oder Pink aufgenommen. Im Jahr 2010 hatte Peaches’ One-Woman Show PEACHES CHRIST SUPERSTAR am HAU Premiere. Seitdem arbeitet sie immer wieder auch an der Schnittstelle von Konzert, Theater und Performance, zuletzt u. a. mit PEACHES DOES HERSELF und L’ORFEO.

Tim Staffel, geboren 1965 in Kassel, studierte in Gießen Angewandte Theaterwissenschaft. Seit 1994 lebt er in Berlin. 2011 verfilmte er seinen Roman „Jesùs und Muhammed“ unter dem Titel „Westerland“ [Edition Salzgeber] in Eigenregie. Der Film lief auf der 62. Berlinale in der Reihe Perspektive Deutsches Kino. Zuletzt veröffentlicht wurden die Stücke „Macht der Wölfe“ [Theater Heidelberg 2013] „Camp Cäsar“ [junges theater basel 2014], „Im Netz“ [Theater Heilbronn 2016], die selbst inszenierten Hörspiele „Levins Abschied“ [WDR 2015] und „Sandräuber“ [RBB, NDR 2016] sowie die Radio-Features „Der Jockey“ [DLF 2015] und „Eine ziemlich weite Reise nach Europa“ [DLF; RBB; BR 2016]. Unter www.tim-staffel.de kann man seinen Blog verfolgen.

© privat

[Heiner Müller]

Sonja Bender ist eine Künstlerin, die mit den verschiedensten Medien und Formen wie Musik und Performance, Multiple, Klang- und Videoinstallation, Kurzfilm und Live-Improvisationen mit Klang und Video arbeitet. Sie hat Videoarbeiten zusammen mit Musikern und Künstlern wie Frieder Butzmann, Michael Renkel, hans w. koch, Gudrun Gut, Paul Plamper, Alexandra Holtsch und Terre Thaemlitz realisiert. Unter anderem waren ihre Arbeiten im Borusan Music House Istanbul, der Kölner Philharmonie, der Kunsthalle Wien, im Saarländischen Staatstheater, in der Schirn Kunsthalle Frankfurt, bei der Transmediale Berlin, in der Volksbühne Berlin und beim WDR3 – Studio Akustische Kunst zu erleben. Darüber hinaus arbeitet Sonja Bender im Bereich ephemerer Kunst im öffentlichen Raum.

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Die Oper ist dem Formalisierungszwang und Traditionsdruck stärker unterworfen als das Schauspiel. Sie braucht den stärkeren Materialwiderstand. Die Schwierigkeit ist eine Möglichkeit: Distanz, als Funktion der Musik; die Oper kann in höherem Grad als das Schauspiel ein operatives Genre sein: Was man noch nicht sagen kann, kann man vielleicht schon singen … Zusammensehen kann man nur, was getrennt präsentiert wird.

© Fabian Spuck

© Marek Kruszewski

Die Bartholomäusnacht ist synonym für durch religiösen Fanatismus motivierte Gewalt, aber auch für die zynische Indienstnahme der Religion für weltliche Machtinteressen und die Instrumentalisierung niederer Beweggründe

AUS DEM HINTERHALT greift die Inhalte des Stückes mit ihrer Brisanz und Aktualität auf, aber auch die Form von Meyerbeers Bühnenwerk: Es war das Prinzip der Grand Opéra, unter Einsatz aller verfügbaren Theatermittel große Tableaux zu bauen, in denen wie auf einem historischen Monumentalgemälde Geschehnisse und handelnde Personen sukzessiv beleuchtet werden, um einen komplexen historischen Zusammenhang genauso wie die Einzelschicksale hierin verstrickter Personen auf die Bühne zu bringen.

die Videokünstlerin Sonja Bender, der Dichter Tim Staffel, 20 junge Menschen als Chor und Gegenchor und die Schauspielerin Silke Buchholz. Die Musik Meyerbeers erklingt dabei genauso wie historische Texte aus der Zeit der Bartholomäusnacht – etwa aus den Memoiren jener Margarete von Valois, deren Hochzeit den Rahmen der blutigen Ereignisse abgab. Der physischen Präsenz des Chores stehen die verstörenden Videowelten Sonja Benders gegenüber. Tim Staffel wird im Videoblog zum Live-Kommentator der Ereignisse.

© privat

Die Bartholomäusnacht ist, nicht zuletzt durch den gleichnamigen Film von Patrice Chéreau, eines der bekanntesten Massaker innerhalb der an Gräueltaten nicht armen Geschichte der Glaubenskriege zwischen Katholiken und Protestanten in Europa. Sie ist der blutige Höhepunkt des über Jahrzehnte andauernden Kampfes der beiden Religionsgruppen innerhalb Frankreichs. Ihr Anlass war die geplante Versöhnung der beiden Parteien mit der Hochzeit von Margarete von Valois, der Schwester des katholischen Königs von Frankreich, mit Heinrich von Navarra, dem Anführer der protestantischen Partei, der Hugenotten. Zu diesem Anlass war ein Großteil ihrer politischen und militärischen Führung in das katholisch dominierte Paris gekommen, wo sie in der Nacht vom 23. auf den 24. August 1572 von Teilen der katholischen Gegenpartei ermordet wurden. Es folgten in ganz Frankreich Massaker an Hugenotten, und der vierte der insgesamt acht Hugenottenkriege, die zwischen 1562 bis 1598 in Frankreich tobten, brach aus.

in kollektivem Wahn. In Zeiten von religiösem Fundamentalismus und dem Erstarken von Populisten und Demagogen liegt die Aktualität des Sujets ebenso auf der Hand wie die der Oper DIE HUGENOTTEN, Giacomo Meyerbeers über die Bartholomäusnacht geschriebener Grand Opéra.

© Vivek Vadoliya

Aus dem Hinterhalt: DIE HUGENOTTEN


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Schlangenhaar und Tempelsex Oper in zwei Teilen von Brandt Brauer Frick und Martin Butler. Auf Texte von Martin Butler, DC Miller und Amber Vineyard Musikalische Leitung Brandt Brauer Frick Inszenierung Martin Butler Bühne Shan Blume Kostüme And Beyond Dramaturgie Sebastian Hanusa Choreografische Beratung Susanne Marx Pythia Claron McFadden Medusa  / John Alexander Geist House mother Amber Vineyard Andrew Seth Carico Weitere Rollen / Tänzer: Tarren Johnson, Alexander Cephus, Fredrik Quinones Band Brandt Brauer Frick

Auf einen Blick: Die Berliner Band Brandt Brauer Frick hat zusammen mit dem Regisseur Martin Butler ihre erste Oper geschrieben. GIANNI ist ein Stück über Glanz und Glamour der Modewelt, aber auch über deren Schattenseiten. Es geht um das Versprechen von Reichtum, Glück und Schönheit wie um das individuelle Scheitern in jenem Spiel, das die Grenzen zwischen Schein und Realität verschwimmen lässt und das nur eine Währung als Einsatz akzeptiert: sexuelle Attraktivität. Basis der Oper sind das Leben Gianni Versaces sowie das Schicksal seines Mörders, des ehemaligen Callboys Andrew Cunanan. Auf die Bühne gebracht wird GIANNI in Form eines Voguing-Balls, jener Subkultur aus den 80er Jahren, die aktuell ihr großes Revival erlebt und in der sich Urban Dance und Clubkultur mit spielerisch inszenierten Wettbewerben um die beste Präsentation eines Outfits, einer Rolle oder eines bestimmten Charakters verbinden.

Als Firmenlogo von Gianni Versace ist das Medusenhaupt Teil der Pop- und Modewelt unserer Tage. Dabei hat sich der Stardesigner aus Kalabrien, das in der Antike über Jahrhunderte hinweg als „Magna Graeca“ Teil des griechischen Kulturraumes war, einer höchst ambivalenten Gestalt der griechischen Mythologie bedient: Medusa ist eine der drei Gorgonen, zusammen mit ihren Schwestern Sthenno und Euryale. Ihr Vater ist der Meeresgott Phorkys, ihre Mutter dessen Schwester Keto, ein furchteinflößendes Seeungeheuer. Die beiden sind Eltern einer ganzen Reihe von Ungeheuern und Dämonen, die als Personifikation bedrohlicher maritimer Naturund Wetterphänomene Teil einer archaischen Götterwelt sind, die deutlich älter ist als die der olympischen Götter mit ihrem Hauptgott Zeus. Mit ihren dröhnenden Stimmen sind die Gorgonen ursprünglich Donnergottheiten, als ihre Heimat gilt eine Insel weit draußen im westlichen Ozean. Und so sind die ersten Darstellungen der Medusa auch die eines Dämons mit geöffnetem Mund, symbolisch den Donner herausbrüllend. Sehr bald kommen als Attribut Medusas die Schlangenhaare hinzu. Erst im Verlauf der griechischen Antike wandelt sich das Bildnis der Medusa von dem einer sehr hässlichen zu einer sehr schönen Frau, der aber weiterhin die Eigenschaft zugesprochen wurde, jeden Betrachter sofort in Stein zu verwandeln.

Mit der Metamorphose in eine schöne, wenngleich schlangenbehaarte Frau wurde Medusa von der Personifikation einer bedrohlichen und übermächtigen Naturgewalt zu einem Wesen, das gleichermaßen für Verführung und Verderben stand. Der Anblick Medusas war nicht mehr nur zu vermeiden, um nicht in Stein verwandelt zu werden. Vielmehr war ein Akt aktiven Widerstands gegen die Verführungsgewalt göttlicher Schönheit nötig. Versaces Wahl des Medusenhaupts zum Logo gewinnt zumindest in der Rückschau eine Dimension, die weit über ein Kokettieren mit antiken Versatzstücken und das Suchen nach einem an der klassischen Antike orientierten Schönheitsideal hinausgeht. Versace war einer der ersten, der die Welt der Mode mit der des Pop verband. Nicht nur, indem er mit zahlreichen Popstars wie Eric Clapton, Michael Jackson, Sting, Madonna oder Elton John befreundet war und dann und wann für sie Bühnenoutfits entwarf. Vielmehr war er einer der ersten, der mit seinen Entwürfen nicht nur modische, elegante, zeitgemäße oder stilvolle Kleidung entwarf. Gerade die Regeln des guten Geschmacks oder eines vermeintlich stilsicheren Entwurfs wurden durch seine Kleidung oft genug in geradezu provokanter Art verletzt, etwa, indem sie Muster, Formen und Materialien miteinander verbanden, die eigentlich nicht zueinander passten.

Uraufführung: 1. Oktober 2016, 20.00 Uhr Weitere Vorstellungen: 2., 7., 8., 12., 13., 14. und 15. Oktober 2016 Präsentiert von

Versace gelang es, über Kleidung Haltungen und Lebensgefühl zum Ausdruck zu bringen – etwas, das in der Popwelt mit den verschiedenen Jugendkulturen und ihren jeweiligen Dresscodes längst üblich war, nun aber von der Modewelt adaptiert, überhöht, zur Kunst erklärt und zugleich kommerzialisiert wurde. Versace verkaufte nicht einfach nur Kleidung. Er ließ seine Kunden an der „Welt der Medusa“ teilhaben mit der Vision, durch Mode im Besitz jener unwiderstehlichen, göttlichen Verführungskräfte zu sein, wenn nicht gar Herr über das Leben selber zu sein. Die Geschichte von Medusa und Perseus gehörte für die Menschen der griechischen Antike einer durch den Mythos überlieferten Vorvergangenheit an. Das Orakel von Delphi war hingegen Teil ihrer unmittelbaren Gegenwart. Mit seinen Weissagungen versprach es jenen eigentlich nur göttlichen Mächten vorbehaltenen Blick in die Zukunft. Die wichtigste Botschaft des Orakels war jedoch das „Erkenne dich selbst!“, der Hinweis auf die Begrenztheit des menschlichen Lebens und Erkenntnisvermögens. Dies war die grundlegende Weisheit, die jeder Rat Suchende von seinem Besuch in Delphi mitnahm. Sollte ihm zudem Pythia, Medium der Weissagungen des Orakelgottes Apollon, einen Orakelspruch mit auf den Weg geben, so verbarg sich der Blick in die Zukunft hier in einer poetisch

verschlüsselten, ambivalent auslegbaren Form. Orakelsprüche waren ein Spiel mit Sprache, keine eindeutige Botschaft, sondern ein poetisch überhöhtes Jonglieren mit Worten, mit Wünschen, Erwartungen und Realitäten. Ebenfalls aus einem Spiel mit Wünschen und Realitäten entstand in den 80er Jahren in der New Yorker Subkultur der farbigen Homo- und Transsexuellen mit „Voguing“ eine Bewegung, die über einen bestimmten Tanzstil weit hinausging. Auch hier war es ein Lebensgefühl, das zu einer ganz eigenen Form künstlerischen Ausdrucks führte. Ausgehend von der Erfahrung gesellschaftlicher Ausgrenzung war es der Wunsch, einmal zu jener Welt der Supermodels und Stardesigner zu gehören, wie sie über die Modezeitschrift Vogue vermittelt wurde. Für eine Nacht erfüllte sich dieser Wunsch im Rahmen eines Voguing Balls. Unter einem bestimmten Thema und in verschiedenen Kategorien spielte man innerhalb eines inszenierten Wettkampfs eine Rolle. Unter den Augen einer Jury ging es darum, zunächst wie auf dem Catwalk einer Modenschau sein Outfit zu präsentieren und die Präsentation bewerten zu lassen. In einer weiteren Runde traten die Teilnehmer in virtuosen, improvisierten Tanzduellen gegeneinander an, in einem Tanzstil, der Elemente des Hip Hop und Break

© Gautier Pellegrin

Musiktheater im Zeichen des Medusenhaupts

Brandt Brauer Frick stehen für die vielleicht aufregendste Verbindung von klassischem Instrumentarium und Clubmusik. Das Verwischen von Grenzen ist ihr Markenzeichen geworden und hat ihnen erlaubt, weltweit in den unterschiedlichsten Szenen zu agieren. Nachdem Daniel Brandt, Jan Brauer und Paul Frick zunächst als Trio im Clubkontext auftraten, gründeten sie 2010 das zehnköpfige „Brandt Brauer Frick Ensemble“ und veröffentlichten in dieser Formation das Album „Mr. Machine“, dessen Erscheinen sie gleichermaßen auf große Festivalbühnen und in klassische Konzerthäuser brachte, während auch die Technoclubs dieser Welt weiterhin bereist werden. 2013 und 2014 erschienen weitere Alben, das nächste ist für Herbst 2016 geplant. In GIANNI werden Brandt Brauer Frick als Quartett, erweitert um den Schlagzeuger Matthias Engler, auftreten.

Martin Butler ist ein in England geborener, interdisziplinär arbeitender Künstler und Regisseur. Er studierte Schauspiel an der Manchester University sowie Choreografie und Performance in Amsterdam. In seiner Arbeit verbindet er die verschiedenen Disziplinen Tanz, Theater, Musik, Film, Performance, New Media und Mode. Durch diesen interdisziplinären Ansatz erkundet er mit seinem Werk neue Theaterformen in der Verbindung der verschiedenen Genres und ihrer Eigenheiten. Seit 1998 entstanden performative Arbeiten für verschiedene Theater und Festivals. Von 2004 bis 2014 hat Martin Butler als künstlerischer Berater von Mediamatic Amsterdam gearbeitet. Seit 2003 ist Martin Butler zudem als künstlerischer Leiter, Konzeptentwickler und Regisseur für Veranstaltungen in der Modewelt tätig.


Eros Spartan 300 One Bound like an angel Flesh like a god Olympian snake Wrapped around his thighs Smell the sweat The scent of sex

Virile Viral Wanton Bold Forceful Prowess Hardened gold A vision of excess A Warrior To borrow Action man Smell the sweat The scent of sex

Dance mit geometrischen Formen aus dem Bewegungsrepertoire der Models, Martial Arts und Modern Dance verband. Voguing erlebt seit einigen Jahren international seine Renaissance. Und ein Voguing Ball ist auch der Rahmen, innerhalb dessen Regisseur Martin Butler und die Band Brandt Brauer Frick in GIANNI Aufstieg und Fall des berühmten Modeschöpfers ebenso erzählen werden wie das Schicksal seines Mörders, des ehemaligen Callboys und Serienmörders Andrew Cunanan, der Versace als Schlusspunkt einer blutigen Reise quer durch die USA 1997 vor seiner Villa in Miami erschoss. Dies ist der Rahmen für ein Spiel mit Fiktion und Verkleidung, mit Rollen und Wirklichkeiten. In ihm treten reale Figuren wie etwa Andrew Cunanan, verkörpert durch Seth Carico, Ensemblemitglied der Deutschen Oper Berlin, ebenso auf wie mythologische Figuren: Claron McFadden, die aus den USA stammende und in den Niederlanden lebende Sopranistin, die in der Alten Musik ebenso zu Hause ist wie im Jazz, wird als Pythia in die Zukunft blicken und zugleich als Jury über den Voguing Ball wachen. Der Popsänger Alexander Geist, androgyne Glamrock-Ikone aus London, betritt die Bühne, wenn Medusa als schillernder Dämon der Verführung beschworen wird. Die Voguing-Tänzer Tarren Johnson, Alexander Cephus und Fredrik

Quinones werden in Götter- wie Menschenrollen schlüpfen, und Voguing-Queen Amber Vineyard spielt sich selbst als Gastgeberin des Voguing Balls. Sebastian Hanusa

Enjoy Discard A pleasure shard Eject Dismiss Muscles ripped Ego shattered. Body stripped Soul in tatters Body bold Hardened gold A vision of excess [Aus dem Stück]

GIANNI Gianni Versace: There have been few other cases of star designers where such a meteoric rise has been followed by such an abrupt and tragic end. His path from Calabrian tailor and buyer of fabrics to fashion empire mogul ended with his murder by male prostitute and serial killer Andrew Cunanan outside Versace’s villa on Ocean Drive, Miami. English director Martin Butler teams up with Berlin band Brandt Brauer Frick to present this parable of Versace’s rise and fall using the format of a vogue ball, typical of the vogueing subculture that arose in 1980s New York, in which people dressed as celebrities from the world of glamour or fantasy and performed dance routines based on a synthesis of urban-dance moves and catwalk elements. The performance will be hosted by Amsterdam vogueing queen Amber Vineyard. The GIANNI ensemble will also feature soprano Claron McFadden and Seth Carico, a member of the ensemble of the Deutsche Oper Berlin.

Berlin – Kurfürstendamm, Frühling 2016 Beobachtungen: Das Schaulaufen auf der „Einkaufsstraße des Westens“ offenbart sich im Detail und wie flinke Blumen sprießen junge Frauen aus murmelnden Massen. Alle gleich – jede anders. Annemie Martin



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Fragen des Lebens

Auf einen Blick: Im Projekt WAS ICH SCHON IMMER SAGEN WOLLTE kommen etwa 20 Jugendliche, die erst seit kurzem, bereits länger oder schon immer in Berlin leben, in den Herbstferien 2016 zusammen. Unter der Leitung von Regisseurin Bernarda Horres begegnen sie sich zehn Tage lang in der Tischlerei. Sie erzählen sich voneinander, sie diskutieren, spielen und kochen zusammen. Es ist ein Theaterexperiment über den Alltag und seine Rituale. An drei Abenden steht die Tischlerei für das Publikum offen: Die Zuschauer werden dann zu Mitspielern, wenn sie sich mitten im Geschehen eines gemeinsamen Abendessens, eines Spieleabends und einer Übernachtung in der Tischlerei befinden. Tamara Schmidt, Leiterin der Jungen Deutschen Oper sprach mit Bernarda Horres und den Jugendlichen Hanna Müller und Cabdiqaadir Muuse über Erwartungen an dieses Projekt und darüber, was sie schon immer sagen wollten.

Schmidt Was habt ihr in dem Projekt „Was ich schon immer sagen wollte“ vor? Horres Wir wollen erforschen, worüber wir uns verständigen. Dabei spielt Sprache eine wichtige Rolle. Bei dem Vorgängerprojekt NEULAND, bei dem Geflüchtete und Berliner Jugendliche in der Tischlerei einen eigenen Staat mit eigenen Regeln und der Sprache „Blabla Blomagal“ entwickelt haben, habe ich als Zuschauerin deutlich gespürt, wie essentiell Sprache für ein Gemeinschaftsgefühl und Ausgrenzung ist. Wenn ich die Sprache der Gruppe nicht spreche, gehöre ich nicht dazu. Umgekehrt ist es genauso: Wenn ich dich nicht verstehe, habe ich Angst vor dir. Wir gehen im Herbstferienprojekt einen Schritt weiter: Mich interessieren die Schnittstellen, an denen man sich in der Verständigung trifft. Müller Manchmal fühle ich mich fremd in dieser Welt oder nicht zugehörig zu meiner Generation. Zum Beispiel, wenn ich mich mit Leuten auseinandersetze, denen im Leben ganz andere Dinge grundsätzlich wichtig sind. Das hängt mit Erfahrung und Alter zusammen, aber auch mit Sättigung. Das sehe ich zum Beispiel bei meinem Vater und mir. Wenn ich denke „Da muss man doch etwas ändern. Sofort! Los, raus! Revolution!“, denkt mein Vater „Ach ja, ist doch eigentlich ganz okay, so, wie es ist“. Ich empfinde mich als stark, woraus eine große Kraft oder

Wut entstehen kann. Man muss gar nicht so weit gehen, um fremd zu sein. Das kann in der eigenen Familie sein. Muuse Ich denke, dass es nicht nur mit dem Alter zu tun hat. Man kann sich auch nicht zugehörig fühlen, wenn man die Sprache, die einen umgibt, nicht versteht. Als ich neu in Deutschland war, hatte ich in der U-Bahn ein unangenehmes Gefühl, wenn mir Leute gegenüber saßen und sprachen, vor allem wenn sie dann noch gelacht und zu mir geschaut haben. Ich wusste nicht, worüber sie redeten. Vielleicht über mich? Ich war nicht in der Lage zu reagieren. Jetzt verstehe ich deutsch, und ich weiß nach ein paar Sätzen, über was sie reden, oder ich kann reagieren, wenn sie tatsächlich über mich sprechen. Sprache ist ein wesentlicher Bestandteil von Zugehörigkeit.

Einblicke am 25., 28., 30. Oktober 2016 in der Tischlerei

Aufstehen, aber auch Sterben. Dabei könnt ihr Teilnehmer euch äußern. In welcher Form, das werden wir mit euch gemeinsam entwickeln. Vielleicht sind es Fragen an das Publikum, die ihr euch sonst nicht trauen würdet, auszusprechen! Alles ist immer eingebettet in die konkrete Situation des Essens, des Schlafens oder des Spielens. Müller Stelle ich die Fragen als Privatperson Hanna oder als Figur auf der Bühne?

Schmidt Bernarda, wie wirst du praktisch vorgehen? Was erwartet die Teilnehmer, was die Zuschauer?

Horres Das kommt darauf an. „Was ich schon immer sagen wollte“ kann sich auf Verschiedenes beziehen. Es kann sein, dass du einen Brief an deine Mutter schreibst und eine andere Person ihn vorliest. Damit hast du etwas entäußert, was du schon immer wolltest. Oder du gibst dem Zuschauer, der mit dir isst, ein Stück von deinem Brot ab und dafür zieht er eine Frage aus einem Kästchen, die er dann vorliest. Eine Art Tausch. Er ist eingeladen. Er darf kostenlos essen. Dafür schenkt er dir eine Antwort auf deine Frage.

Horres Ich will theatral untersuchen, welchen Ablauf Rituale haben, in denen Begegnungen stattfinden. Beispielsweise „Gemeinsames Essen“ – im Sinne von Brot, Speisung, Geselligkeit, Tischritualen. Das nächste Thema ist „Spiel“, das dritte wäre „Schlafen“: Rituale der Nacht, Rituale des Abends, Einschlafen,

Muuse Das Thema „Gemeinsam Essen“ interessiert mich besonders. Bei euch hier gibt es zum Frühstück verschiedene Getränke und Brot mit Wurst oder Nutella. Bei uns in Somalia gibt es nur ein Brot, das man nur morgens machen kann, das Laxoox. Der Teig muss die ganze Nacht über aufgehen. Morgens kann man ihn auf einem

heißen Stein oder in einer Pfanne zubereiten. Man isst Laxoox mit Butter und mit Tee. Überall frühstückt man das, niemand isst etwas anderes, egal ob reich oder arm. Und auch zu keiner anderen Tageszeit. Denn dieses Brot enthält einen Stoff, der bis zum Mittag wachhält. Das hat für mich bis zum Mittagessen in der Schule gereicht. Bei mir zu Hause essen oft viele Leute zusammen. Hier in Deutschland beobachte ich, dass man oft alleine oder in kleinem Kreis isst, man dafür aber eine große Auswahl an Speisen auf dem Tisch hat.

Hanna Müller ist 17 Jahre alt und Schülerin aus Berlin. Sie nahm im Frühjahr 2016 an NEULAND der Jungen Deutschen Oper teil.

Schmidt Das Proben- und Aufführungsformat leiten wir aus dem Inhalt ab: An jeweils drei Tagen forschen wir mit den Jugendlichen zu einem der drei Settings und formulieren Fragen. Am jeweils dritten Tag öffnen wir unseren theatralen Versuchsraum und erweitern ihn um Gäste, mit denen wir in realen, teilinszenierten Situationen über die Fragen in Austausch treten. Hanna, warum nimmst du an dem Projekt teil? Müller Man kann so viel ausprobieren und bewirken. Beispielsweise saßen wir nach einer NEULAND-Vorstellung in der Kantine. An vielen Tischen haben sich Zuschauer über das, was sie erlebt haben, ausgetauscht. Wir haben uns an einen Tisch dazugesetzt. Am Ende sagte Einer „Ich habe mich noch nie so lange über eine Oper unterhalten“.

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Das Herbstferienprojekt mit geflüchteten und Berliner Jugendlichen lädt ein zu Begegnung und Kommunikation

Regie Bernarda Horres Ausstattung Sarah-Katharina Karl Dramaturgie Tamara Schmidt Produktionsleitung Lena Fritschle

© privat

Herbstferienprojekt der Jungen Deutschen Oper mit geflüchteten und Berliner Jugendlichen ab 15 Jahren im Oktober 2016

Bernarda Horres ist Regisseurin für Musiktheater und Schauspiel. Nach dem Studium in Frankfurt arbeitete sie im Bereich Chorarbeit und Regieassistenz bei Einar Schleef an den Städtischen Bühnen Frankfurt und dem Berliner Ensemble. Es folgten erste Regie-Arbeiten am Schauspiel Köln. Von 1996 bis 2001 war sie Mitglied der Schauspielleitung am Staatstheater Darmstadt. Parallel dazu Gastinszenierungen am Landestheater Linz und den Vereinigten Bühnen Krefeld. Seitdem arbeitet sie als freie Regisseurin an diversen Theatern, bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen und in den Sophiensaelen Berlin, sowie kontinuierlich als Gastregisseurin am Landestheater Linz. An der Staatsoper Hannover realisierte sie 2011 KING ARTHUR, ein Musiktheater-Projekt mit jungen Opernsängern und Jugendlichen. Beim Herbstferienprojekt WAS ICH SCHON IMMER SAGEN WOLLTE übernimmt sie die Regie.

Cabdiqaadir Muuse ist 17 Jahre alt und kam vor circa drei Jahren aus Somalia nach Deutschland. Auch er nahm an der Produktion NEULAND teil.


© Stephan Böge

Tamara Schmidt ist seit der Spielzeit 2015/2016 Leiterin der Jungen Deutschen Oper und begleitet WAS ICH SCHON IMMER SAGEN WOLLTE in der Tischlerei ­als Dramaturgin.

Muuse Bei mir zu Hause kommt oft abends unerwartet Besuch. Ich habe schnell nach meiner Ankunft gemerkt, dass man das in Deutschland eher nicht macht. My home is my castle. Daher wäre meine Frage: „Wie würdest du reagieren, wenn ich einfach abends vorbeikommen würde, mit dir essen und bei dir übernachten würde?“ Wenn sich manche Deutsche viele Gedanken darüber machen, was Geflüchtete Schlimmes auf der Flucht erlebt haben, dann denke ich manchmal: Das ist doch die Entscheidung jedes Einzelnen. Vielleicht bin ich auch einfach zu nüchtern. Daher frage ich: „Warum sorgt ihr euch so sehr um uns?“ Müller Meine Fragen wären: „Ich finde mich gut. Findest du dich gut?“ und „Findest du, dass Selbstverliebtheit etwas Schlechtes ist?“ und „Wie viel Körperlichkeit verträgst du?“. Meine letzte Frage rührt aus einem Erlebnis bei NEULAND: Ich habe mich vor den Proben manchmal gefragt, ob ich mir in der Tischlerei schnell die Sporthose anziehe oder ob ich extra in die

Damen-Garderobe im zweiten Stock laufe und dort die Hose wechsle. In unserer Schulturnhalle hätte ich es gemacht. Bei NEULAND habe ich mich aber gefragt, wie weit es für die arabischen Jungs in Ordnung ist, wenn ich plötzlich in Unterwäsche dastehe. Ich wollte sie in keine blöde Situation bringen und wusste überhaupt nicht, wo die Grenze liegt. Letztendlich bin ich in die Garderobe gegangen.

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Schmidt Was wolltet ihr schon immer sagen? Was sind eure Fragen?

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Das hat mich sehr stolz gemacht, weil ich dachte: Super, genau das wollten wir erreichen – Denkanstöße geben und mit einem Projekt sich selbst und andere zum Nachdenken anregen. Und ich freue mich auf die Gruppe und die Begegnungen. Einige von NEULAND waren allein nach Deutschland gekommen. Sie sind in meinem Alter oder jünger und ihre Familie ist zurückgeblieben. Wenn ich mir vorstelle, ich müsste heute, ganz alleine irgendwo hingehen, total weit weg, ohne meine Eltern! Das ist für mich unbegreiflich. Wenn man einen Artikel liest, denkt man „Scheiße, das müsste man eigentlich ändern“. Und dann legt man den Artikel weg. Wenn ich aber diesem Menschen gegenüberstehe, dann kann ich ihn ja nicht weglegen oder mich einfach umdrehen und gehen. Und gleichzeitig habe ich total viel verstanden: Ich dachte bis dahin, man findet immer einen Konsens, man muss nur aufeinander zugehen. Aber ich habe gemerkt, dass es Dinge gibt, mit denen ich nicht leben kann und will. Ich finde es zwar wichtig, den Kontakt zwischen unterschiedlichen Kulturen zu fördern, aber man darf nicht versuchen, sie gleichzustellen.

Horres Du hättest ja auch unten bleiben können. Die Jungs hätten sich äußern können, wenn es sie gestört hätte. Das löst vielleicht Peinlichkeit aus, aber es schafft auch Klarheit darüber, wie etwas ankommt. Um Grenzen überwinden zu können, muss ich sie erkennen. Dann kann ich mich zurückziehen, weil es mir zu viel ist oder ich taste mich behutsam heran. In unserem Projekt hätte man die Chance, Fragen zu stellen, in einem Schutzraum. Dabei geht es gar nicht nur um Unterschiede zwischen nationalen Kulturen, sondern auch um andere Gruppierungen. Das Verständnis darf stellenweise gerne aufhören, damit das Thema ernst genommen wird. Denn ein Heile-Welt-Gedanke ohne Verständigung bringt nichts.

The SOMETHING I’VE ALWAYS WANTED TO SAY project brings together a couple of dozen youngsters during the school holidays of autumn 2016, teens who have lived in the capital for anything from a few months to many years or even all their lives. Under the guidance of director Bernarda Horres they will spend 10 days exploring the ways in which they go about their everyday lives, swapping thoughts on situations in which they might bump into each other and agreeing on life’s big questions. On three separate evenings the Tischlerei will be the setting for a piece of experimental theatre focusing on three different rituals: interacting with youngsters such as Hanna Müller and Cabdiqaadir Muuse, the audience will be involved in the research and performance processes inherent to the piece and immersed in the goings-on of, respectively, a dinner, a games evening and a sleep-over in the Tischlerei.

Claudia Bühler fotografierte zum Thema „Objekte und Theater“: „Es sind Gegenstände, in denen ein kleiner Teil der Seele von einem verstorbenen geliebten Menschen verblieben ist und die somit zum Leben erweckt werden.“ Claudia Bühler


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Die Magie der Plastikschläuche Mit Musik von Georg Friedrich Händel und Sebastian Hanusa. Text von Annechien Koerselman nach dem Buch „Lena und das Geheimnis der blauen Hirsche“ von Edward van de Vendel in der Übersetzung von Rolf Erdorf Regie, Konzept Annechien Koerselman Musikalische Leitung, Tasteninstrumente Elda Laro Puppen-/Objektbau Gildas Coustier Dramaturgie Dorothea Hartmann Sopran Meechot Marrero Puppenspiel, Konzept Mathias Becker

Aus der Werkstatt für die Kinderproduktion DAS GEHEIMNIS DER BLAUEN HIRSCHE

Premiere: 4. November 2016, 16.00 Uhr Weitere Vorstellungen: 6., 9., 10., 11., 12. und 13. [2×] November 2016

Dreizehn Minihirsche, genauso blau wie die Vase.

Auf einen Blick: Poetisches Musiktheater mit Instrumenten, Objekten und Gesang für Kinder ab 6 Jahren: An einem ganz normalen Nachmittag sah Lena 13 kleine blaue Hirsche, die sich von einer Vase lösten und über den Tisch auf sie zu liefen. Ab diesem Nachmittag hatte Lena ein Geheimnis. Es war, als schiene eine kleine Sonne in ihr. Doch die verdunkelte sich immer, wenn ihr Bruder Raff vor ihr stand. Raff, der seine Wut manchmal nicht beherrschen konnte. Und der ebenfalls ein Geheimnis hatte … DAS GEHEIMNIS DER BLAUEN HIRSCHE ist ein kleines Stück Musiktheater über die Kraft der Fantasie. Die Geschichte über das ungleiche Geschwisterpaar, das sich in seinen Traumwelten begegnet und dadurch in der Realität immer besser verstehen lernt, wird erzählt, gesungen und gespielt von einem Puppenspieler, einer Sängerin und zwei Musikern. Arien und Instrumentalwerke von Georg Friedrich Händel treffen auf neue Kompositionen von Sebastian Hanusa und lassen weitere Fantasieräume entstehen.

Auf dem Tisch liegen ein Baritonhorn und IKEA-Tüten in gelb und blau, ein Wischmop und verschiedene Plastikschläuche, aufblasbare Figuren, Luftballons, Hirschgeweihe, eine Krücke, eine Kinderorgel und vieles mehr: Dies ist das Setting eines sommerlichen Werkstattgesprächs für das Kinderstück DAS GEHEIMNIS DER BLAUEN HIRSCHE, das fünf Monate später, im November, Premiere haben wird. Ein Puppenspieler und ein Komponist – Mathias Becker und Sebastian Hanusa – blicken auf ihre Sammlung der vergangenen Monate. Gemeinsam sollen nun jene Objekte, Materialien und Instrumente ausgewählt werden, die sowohl musikalisch als auch szenisch interessant werden könnten für die Geschichte des niederländischen Autors Edward van de Vendel „Lena und das Geheimnis der blauen Hirsche“. Darin begegnen zwei Geschwister fantastischen Tieren und nähern sich darüber einander an: Die verträumte Lena sieht kleine, fragile blaue Hirsche, ihrem hitzköpfigen Bruder Raff sitzt ein gewaltig brüllender Löwe auf der Schulter. Edward van de Vendel hat gemeinsam mit seinem Illustrator ein berührendes und poetisches Buch geschaffen, in dem die Ebenen von Realität, Wunsch und Imagination mehr und mehr verschwimmen. Auch wenn sie sonst niemand sehen kann: Für die Kinder sind die Tiere – Lenas Hirsche und Raffs Löwe – Wirklichkeit.

Das Kinderbuch ist eine meisterhafte Komposition von Wort und Bild, von filigranen Tuschzeichnungen des Illustrators und den knappen Sätzen der Erzählung, und scheint wie prädestiniert für die kleine, verdichtete Form eines musikalischen Objekttheaters. Bei Komponist wie Puppenspieler haben die Zeichnungen denn auch sofort musikalische und bildnerische Fantasien und Temperaturen ausgelöst. Die aufschießende Wut des Bruders Raff und die unterschiedlichen Größen der Fantasie-Tiere führten Mathias Becker zu Objekten und Materialien, die klein und groß sein können, die ihre Form und Dimensionen verändern können: Aufblasbares aller Art von der IKEA-Tüte bis zu Luftballons und Schwimmtieren hat er daher in den letzten Wochen gesammelt. Die zum Aufblasen benötigte Luft wiederum ist auch ein zentrales musikalisches Element. Hier konnte Sebastian Hanusa weiterdenken für das Instrumentarium: Vom Geräusch eines pustenden Mundes über den Gesang bis zu Luftsäulen in Blasinstrumenten oder Orgelpfeifen – der Luftstrom spielt überall eine wesentliche Rolle. Daher die Kinderorgel, die Plastikschläuche und die Blechblasinstrumente auf dem Tisch. Die selbstgestellte Aufgabe ist nun, Schnittmengen zu finden, das Verbinden von szenischem Objekt und musikalischem Instrument und umgekehrt. Wie kann

Sie liefen über den Tisch.

THE SECRET OF THE BLUE DEER

Sie trippelten, so wie Hirsche es tun. Lena hörte ihre kleinen Hufe klappern. Sie kamen in einer Reihe auf sie zu. Der vorneweg hatte das größte Geweih. Es war, als würde er den anderen den Weg zeigen. Den Weg zu Lena. Denn sie stiegen auf ihre Hand. Sie kletterten auf ihren Arm. Über ihren Pulli, vorbei an ihrem Ellbogen, auf ihre Schulter. Jetzt spürte Lena sie auch! Ihre Schritte drückten Kuhlen in ihren Ärmel. Lena schaute vorsichtig zur Seite. Das hier war das Schönste, was sie je gesehen hatte. Und das Unglaublichste.

[Aus dem Stück]

It was an afternoon like any other. Lena was gazing at a vase on the table. All of a sudden the deer appeared. Lena watched as 13 tiny blue deer emerged from the vase and trotted across the table. From that day onwards Lena had a secret. It was as if there was a little sun glowing within her. But her sun clouded over when her brother Raff was standing in front of her. Raff, who sometimes lost his temper. And who had his own secret … THE SECRET OF THE BLUE DEER is a ­poetic tale about the power of fantasy. The story of this unequal pair of siblings, who communicate­ ­through their respective dream worlds and in the real world, too, come to a better mutual understanding, is narrated, sung and performed by a puppeteer, a singer and two musicians. Arias and instrumental pieces by Georg Friedrich Händel – combined with sounds of Berlin based composer Sebstian Hanusa – create their own additional fantasy spaces.


ein Instrument zu einer Figur werden? Spielt vielleicht das Baritonhorn mit Hilfe eines aufgesetzten Wischmops den Löwen? Und was passiert, wenn das Bariton auch die schnellen Koloraturen der barocken Händel-Arien begleitet? Öffnet es dann nicht auch den musikalischen Assoziationsraum für Lenas blaue Hirsche? Braucht man dann für die Hirsche überhaupt eine Figur? Oder soll nur die Musik selbst, sollen die leichten, hellen Soprantöne, die Hirsche springen lassen?

Schritt für Schritt arbeiten sich Puppenspieler und Komponist auf diese Weise an den Objekten ab. Der Faktor Zeit spielt eine besondere Rolle in dieser Stückentwicklung, ähnlich wie Konzentration und Verlangsamung ganz grundsätzlich zu den Wesensmerkmalen des Objekttheaters im 21. Jahrhunderts gehören: Es ist ein Theater der Entschleunigung in Zeiten von großer Bilderflut und schnellen visuellen Reizen. In diesem Sinne die Magie von PVC-Schläuchen zu entdecken – dazu lädt dieses musikalische Objekttheater ab November in die Tischlerei ein. Dorothea Hartmann

Raffs geheimes Tier war also ein Löwe. Aber es war kein Löwe aus dem Zoo. So ein fauler, der nur daliegt und ins Nichts starrt. So ein Löwe, der ein Bad in der Sonne nimmt. Es war ein Hungerlöwe.

Mathias Becker studierte von 2010 bis 2014 zeitgenössische Puppenspielkunst an der HfS „Ernst Busch“ Berlin. Erste Gastengagements als Puppen- und Schauspieler führten ihn an das Schauspiel Frankfurt und ans Maxim Gorki Theater Berlin. 2014 gründete er zusammen mit drei Kommilitonen das Kollektiv MANUFAKTOR und arbeitet in verschiedenen Konstellationen als freier Puppenspieler, Schauspieler und Regisseur u. a. am Theater Chemnitz und am Jungen Staatstheater Karlsruhe. Im Herbst 2014 erhielt er zudem ein Stipendium des DAAD, verbrachte einen Rechercheaufenthalt in Boston und New York und war Artist in Residence des Goethe-Instituts in Peking, wo er ein Heiner Müller Projekt in Kooperation mit der chinesischen Schattentheater Company Han Feizi Drama Club realisierte.

© Jens Schittenhelm

Ein Jagdlöwe.

© Benjamin Henn

Am Ende des Nachmittags steht fest: Sebastian Hanusa wird die die Händel-Arien für zwei Tasteninstrumente und zwei Blasinstrumente arrangieren und dazu eigene Sounds und Kompositionen entwickeln. Ein Orgelpositiv und das Kinderorgel „Bontempi“ sorgen für ganz unterschiedliche Klangräume. Die Bontempi-Orgel hat eigentlich ein zu schwaches Gebläse für Mehrklänge. Das heißt, ihr fehlt Luft, sie „säuft“ permanent ab. Dieser ganz eigene, fragile und sphärische Klang trifft die Surrealität der blauen Hirsche vielleicht besonders gut. Dazu kommen zwei Baritonhörner, eines im normalen Zustand und ein präpariertes Instrument, an das Sebastian Hanusa PVC-Schläuche anschließen möchte: Vier Plastik-Schläuche von vier bis zwölf Metern Länge, Typ „glasklar“, in jedem Baumarkt zu finden. An den vier Ventilen des Baritonhorns finden diese langen, dünnen Plastikschläuche ihre Fortsetzung und münden in große Trichter an unterschiedlichen Stellen im Raum. Hier tönt das Baritonhorn nun wie eine „Schlauchkrake“ aus verschiedenen Richtungen um Spieler und Publikum herum. Und natürlich ist das auch ein optischer Hingucker, wenn sich das Baritonhorn derart im gesamten Raum ausbreitet: eine Vorstellung, die Mathias Becker zu weiteren Ideen inspiriert hat. Er hat sich zunächst für selbst gebaute kleine blaue Hirschgeweihe entschieden, die er mit der Hand spielen kann: grazile Mini-Hirsche wuseln über die Tischplatte. Doch werden Lenas Fantasien größer und monströser, greift auch Mathias Becker zu den Schläuchen aus dem Baumarkt: Ein riesiges Geweih aus zusammengebundenen Plastikschläuchen auf dem Kopf des Puppenspielers lässt einen mächtigen Hirsch entstehen. Lenas Zaubertier hat Kraft bekommen und kann es nun auch mit dem brüllenden Löwen ihres Bruders Raff aufnehmen.

Ein Löwe.

Sebastian Hanusa studierte Schulmusik und Philosophie in Dortmund sowie Komposition bei Prof. Theo Brandmüller an der Hochschule für Musik Saar Saarbrücken, elektronische Musik bei François Donato und Daniel Teruggi [GRM Paris / Forbach] und Musikwissenschaften an der Universität des Saarlandes Saarbrücken. Seine künstlerische Arbeit umfasst Instrumentalkompositionen ebenso wie elektronische Musik, Installationen, Performances und Schauspielmusiken. Er war Dramaturg an den Theatern in Würzburg, Magdeburg und Oldenburg engagiert und ist als Publizist im Bereich Neue Musik und Musiktheater für Printmedien und den Rundfunk tätig. Seit der Spielzeit 2014/2015 ist er Dramaturg an der Deutschen Oper Berlin.


Wien – Musikalischer genius loci Joseph Haydn Streichquartett d-Moll, Hob. III: 83 Wolfgang Amadeus Mozart Quintett für Horn und Streicher Es-Dur, KV 407 Franz Schubert Oktett F-Dur, D 803 Gast Bernadett Kis Musiker des Orchesters der Deutschen Oper Berlin 10. Oktober 2016, 20.00 Uhr

Die Tischlereikonzerte lassen die Puppen tanzen! Für das erste Konzert mit Werken von Mozart, Haydn und Schubert haben die Musiker wieder besondere Gäste eingeladen: die Puppenphilharmonie Berlin. Jörg Königsdorf sprach mit der Leiterin des Ensembles, Bernadett Kis. Königsdorf Frau Kis, Sie arbeiten in Ihrer Puppenphilharmonie mit einer ganzen Reihe von Puppen, die man vom Namen her zunächst einmal nicht mit klassischer Musik in Verbindung bringt. Was haben Puppen wie Lothar, das Marketingschwein, und Professor Hase im Konzert zu suchen? Kis Zunächst einmal stören sie. Die Grundsituation ist meist die, dass die Puppen einfach in die für sie fremde Konzertsituation hineinplatzen – etwa der Maulwurf, der für genau den Platz, an dem gerade gespielt wird, eine Baugenehmigung hat, oder der Esel Emil aus der Uckermark, der eine Note auf dem Misthaufen gefunden hat und nicht weiß, was das ist. Und dann entdecken die Puppen diese für sie fremde Welt. Königsdorf Und was tun sie, während die Musik spielt? Kis Sie hören zu. Und das war von Anfang an ganz wichtig für mich. Bei vielen Veranstaltungen,

die ich im Bereich Musikvermittlung gesehen hatte, wurde mir zu viel erklärt und das Konzert als berührendes Erlebnis geriet darüber in den Hintergrund. Tatsächlich sind Puppen von dem Moment an, in dem sie auftreten, ein so fokussierendes Element, dass man sehr genau schauen muss, wann sie auf die Musik hinleiten und wann sie von ihr ablenken. Puppen sind quasi automatisch eine Projektionsfläche, die die Haltung des Publikums bestimmt. Ich erlebe das immer, wenn eine Puppe zum Beispiel ein Problem mit moderner Musik hat und das artikuliert. Dann ändert sich die Stimmung im Publikum – solange, bis dieses Problem aufgelöst wird. Königsdorf Sie bieten Programme für Kinder, aber auch für Erwachsene an. Wie unterscheiden sich die Erzählweisen? Kis Ursprünglich hatte ich gar nicht im Sinn, Programme für Kinder anzubieten. Bei den Konzerten, die ich als Musikerin für Kinder gespielt habe, habe ich immer erlebt, dass Kinder schon von den Instrumenten so fasziniert waren, dass sie gar keine Puppen brauchten. Aber die Nachfrage nach Puppenkonzerten für Kinder war so groß, dass ich mich dem einfach nicht entziehen konnte. Natürlich kann man für Erwachsene andere Themen ansprechen – und man wird von den Veranstaltern auch vor andere Aufgaben gestellt. Bei einem literarischen

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Puppenspielerin Bernadett Kis im 1. Tischlereikonzert Wandelkonzert in einer Sektkellerei hatte ich zum Beispiel einmal die Aufgabe, mit den Puppen den Themenkomplex „Kreutzersonate“ zu begleiten – mit der Musik von Beethoven und Janáček und Lesungen aus den Werken von Tolstoi und Margriet de Moor. Königsdorf Sind Erwachsene nicht eher verunsichert, wenn sie mit Puppen konfrontiert werden? Kis Das habe ich im Konzert noch nie erlebt. Erstaunlicherweise zeigen sie sogar viel mehr Empathie, etwa, wenn eine Puppe stolpert. Mein erster Auftritt fand übrigens auch vor Erwachsenen statt – in einem Altersheim. Eigentlich sollte ich nur Bratsche spielen, doch eine Stunde vorher sagte mein Pianist ab. Und da ich einerseits nicht absagen und die Menschen enttäuschen wollte, andererseits aber auch wusste, dass mehr als zwanzig Minuten Bratsche solo für jedes Publikum eine Herausforderung sind, entschloss ich mich, meine Klappmaulpuppe Maximilian mitzunehmen, der dann alles erklärt hat. Königsdorf Müssen die Puppen eigentlich immer etwas sagen? Kis Nein, ich experimentiere immer damit, dass die Puppen nur mit ihrem darstellerischen

Potenzial wirken. Unsere außerirdische Puppe hat neulich in einem Konzert sprachlos mitgewirkt und nur mit ihren Händen und Antennen kommuniziert. Puppen haben mehr Kraft, als man denkt. Königsdorf Sie haben als Bratscherin bei den großen Berliner Orchestern gespielt und für die Puppenphilharmonie eine sichere Existenz als Musikerin aufgegeben. Hat Ihre Umgebung Sie nicht für komplett verrückt erklärt? Kis Allerdings. Aber was mich gestört hat, war einfach die Tatsache, dass meine volle Stelle in einem Orchester mir keine Zeit mehr für etwas Anderes ließ. Ich bin als Kind mit Musik groß geworden, habe aber Musik nie als etwas Isoliertes, sondern immer im Verein mit anderen Dingen verbunden: mit Tanz, mit Malerei, mit Erzählen. Der Dienst im Orchester ließ mir jedoch nicht einmal mehr Zeit für mein Streichquartett. Als ich dann ein einjähriges Stipendium bekam, war für mich klar, dass ich diese Zeit nutzen wollte, um mir darüber klar zu werden, wie meine Zukunft aussehen sollte. Dann habe ich aus Spaß angefangen, Unterricht im Puppenspiel zu nehmen und letztlich ist dann die Puppenphilharmonie daraus geworden – ein kleines, flexibles Unternehmen mit einem relativ festen Stamm von Puppenspielern und bei Bedarf auch Musikern. Mit diesem Konzept habe ich

es bei der Initiative „Kultur- und Kreativpiloten Deutschland“ im letzten Jahr sogar unter die besten 35 Kultur-Kreativunternehmen von über 700 Bewerbern geschafft. Königsdorf Inwiefern hilft es, dass Sie selbst Musikerin sind? Kis Ich merke, dass Musiker mir viel mehr Vertrauen entgegenbringen. Vielleicht, weil sie wissen, dass ich ihnen nie etwas zumuten würde, was ich selbst nicht tun würde. Viele Programme mit Musikern und Puppenspielern scheitern doch daran, dass Puppenspieler kein musikalisches Verständnis und Musiker keine Lust zum Darstellen haben. Bei uns wissen die Musiker, dass wir sie nie zwingen würden, etwas zu spielen, was ihnen unbehaglich wäre. Sie können sich selbst spielen, und jeder tritt halt soweit mit den Puppen in Dialog, wie er mag. Für den Rest sorgen wir. Königsdorf Spielen Sie bei Ihren Auftritten auch selbst mit?

andererseits, weil mir die Geschichte der weißen Eselin sehr gefällt. Die waren beim Adel der Habsburger-Monarchie nämlich so etwas wie ein Statussymbol und wurden in den Parks zur Unterhaltung von Frauen und Kindern gehalten. Das waren äußerst liebenswürdige, friedfertige Tiere. Königsdorf Wie haben sich die Puppen eigentlich seit Gründung der Puppenphilharmonie entwickelt? Haben sie dazugelernt? Kis Oh ja, die Puppen haben ein starkes Eigenleben entwickelt. Das Marketingschwein Lothar zum Beispiel verhandelt selbst mit den Veranstaltern, die uns anfragen, und empfiehlt ihnen bestimmte Besetzungen. Die Puppen entwickeln immer mehr Initiative: Sie wollen in die sozialen Netzwerke, Musikvideos drehen und sind manchmal kaum zu stoppen. Das ist aber nur konsequent, denn ich werde auch dauernd gefragt, wie es ihnen geht und was sie gerade so machen. Königsdorf Haben sie sich auch schon verliebt?

Kis Als Musikerin fast immer, bei den Puppen habe ich mich dagegen auf eine beschränkt. Ich spiele Emily, die weiße Barock-Eselin, die sich am liebsten in der Bibliothek aufhält und Handschriften von Komponisten studiert. Einerseits, weil ich selbst Barockmusik sehr liebe,

Kis Darüber reden sie nicht – zumindest nicht mit mir. Ich weiß aber, dass sich schon viele in sie verliebt haben. Vor allem in Emily und Lothar.

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Mehr Kraft, als man denkt

Bernadett Kis wurde 1986 in Budapest geboren und studierte zuerst an der dortigen Franz Liszt Akademie, dann an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ in Berlin. Sie war Stipendiatin der Alfred-Toepfer-Stiftung sowie von Yehudi Menuhin Live Music Now. Ab 2008 war sie als Bratschistin in verschiedenen Berliner Orchestern tätig, so im Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, den Berliner Philharmonikern und als stellvertretende Solobratscherin im Konzerthausorchester Berlin. Als Kammermusikerin trat sie unter anderem mit den Berliner Barock Solisten, dem Concerto Melante, Daniel Müller-Schott und Martin Stadtfeld auf. Seit 2012 arbeitet sie mit der Puppenspielerin und Regisseurin Sandy Schwermer an der Entwicklung neuer Konzertformate und gründete 2014 die Puppenphilharmonie Berlin, die 2015 zu den von der Bundesregierung im Rahmen der Initiative „Kultur- und Kreativpiloten Deutschland“ ausgezeichneten Projekte gehörte.



JAZZ & LYRICS

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Alles auf einen Blick

DAS GEHEIMNIS DER BLAUEN HIRSCHE

Jazz & Lyrics

Jazz-Konzerte mit Musik und Poesie Außergewöhnliche Programme verspricht die Reihe Jazz & Lyrics mit Gästen und Musikern der Deutschen Oper Berlin. Meet & Greet in der anschließenden Artists’ Lounge. 18. September 2016; 8. Januar; 12. Februar; 1. Mai; 3. Juli 2017

Gianni Versaces Biografie als Voguing-Ball Der kometenhafte Aufstieg zum Stardesigner – und sein grausamer Tod: GIANNI erzählt von der Welt der Mode, vom Versprechen ewiger Jugend und Schönheit und von Abgründen hinter glitzernden Fassaden. Ein Stoff für große Dramen, der – getrieben von der Musik von Brandt Brauer Frick – in Form eines Voguing-Balls auf die Bühne kommt. Mit und von: Brandt Brauer Frick, der Amsterdamer Voguing-Queen Amber Vineyard, Claron McFadden, Seth Carico, Alexander Geist und weiteren Voguing-Performern Inszenierung: Martin Butler 1. [Premiere], 2., 7., 8., 12., 13., 14., 15. Oktober 2016 Präsentiert von

KNIRPRSKONZERT „STADTSPAZIERGANG“ © Marcus Lieberenz

© Torben Geeck

Konzerte für Kinder von 2 bis 4 Jahren In gemütlichem Rahmen sind Kinder zwischen 2 und 4 Jahren eingeladen, neue Klangwelten zu erleben, sich zu bewegen und von den Klängen der Musiker verzaubern zu lassen. 22., 23. November 2016, jeweils um 10.30 [23.11.], 15.00 und 17.00 Uhr

TISCHLEREIKONZERTE

DIE IRRFAHRTEN DES ODYSSEUS

Mit dem Orchester in die Tischlerei Von den Musikern zusammengestellte moderierte Programme, die sich thematisch an den Premieren der Saison 16 /17 orientieren. 10. Oktober, 7. November 2016; 30. Januar; 13. März; 24. April; 29. Mai 2017

Musiktheater für alle ab 10 Jahren in einer Fassung von Harriet Maria Meining und Peter Meining mit Musik von Ole Hübner Odysseus ist Held und Gauner, unerschöpflich in seiner Neugier und seiner Erfindungsgabe, Rebell gegen die Macht der Götter und dennoch deren Spielball. Inszenierung: Harriet Maria Meining und Peter Meining; Komposition: Ole Hübner Mit Frauke Aulbert, Tom Quaas, Jakob Kraze, Johannes Hendrik Langer, u. a. 1. [2×], 2., 3., 4., 5. [2×] Dezember 2016

Late-Night-Performances zur Großen Oper Fünf Premieren auf der Großen Bühne der Deutschen Oper Berlin – und fünf Abende, an denen Stoffe und Stücke in den Hinterhalt geraten. Künstler verschiedenster Sparten und Genres befragen und kommentieren, arrangieren und komponieren neu mit altem Material und zusammen mit Künstlern der Deutschen Oper Berlin. Zwischen Performance und Party – ein hinterhältiges, neues Musiktheater. Von und mit Black Cracker and the Muse [Peaches], Alexandra Holtsch, Tim Staffel, Sonja Bender u. a. 22. Oktober; 19. November 2016; 25. Februar; 6. Mai; 24. Juni 2017

© Thomas Aurin

AUS DEM HINTERHALT Die Irrfahrten des Odysseus

GOLD

WAS ICH SCHON IMMER SAGEN WOLLTE

Musiktheater für alle ab 4 Jahren von Leonard Evers nach dem Grimm’schen Märchen „Vom Fischer und seiner Frau“ Mit viel Humor und Musik untersucht GOLD den schmalen Grat zwischen berechtigtem Wunsch und maßloser Gier. Aber was ist Glück wirklich? Inszenierung: Annechien Koerselman Mit Christina Sidak, Daniel Eichholz 9. [2×], 11. [2×], 12., 13. [2×], 14. Dezember 2016

Herbstferienprojekt mit geflüchteten und Berliner Jugendlichen Ein Theaterexperiment über das Leben von Ritualen, das an drei Abenden geöffnet wird: Das Publikum wird Mitforscher und Mitspieler und befindet sich mitten im Geschehen eines gemeinsamen Abendessens, eines Spieleabends und einer Übernachtung in der Tischlerei zusammen mit geflüchteten und Berliner Jugendlichen. Präsentationen am 25., 28., 30. Oktober 2016 in der Tischlerei

Das komplette Programm unter www.deutscheoperberlin.de

Gold

© Marcus Lieberenz

© Georg Roither

Knirpskonzert

Musiktheater für alle ab 6 Jahren mit Musik von Georg Friedrich Händel und Sebastian Hanusa nach dem Buch „Lena und das Geheimnis der blauen Hirsche“ von Edward van de Vendel Eine poetische Geschichte über ein ungleiches Geschwisterpaar, das sich in seinen Traumwelten begegnet und auch in der Realität immer besser verstehen lernt. Inszenierung: Annechien Koerselman Mit Meechot Marrero, Matthias Becker u. a. 4. [Premiere], 6., 9., 10., 11., 12., 13. [2×] November 2016

GIANNI

Tischlereikonzert

30

Das Tischlerei-Programm bis Dezember 2016


Deutsche Oper Berlin Bismarckstraße 35 10627 Berlin Tischlerei Richard-Wagner-Straße / Ecke Zillestraße 10585 Berlin Karten und Infos +49 [30]-343 84 343 www.deutscheoperberlin.de Immer gut informiert!


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