Kunst am Bau in der DDR

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ISBN: 978-3-422-98606-0

KUNST AM BAU IN DER DDR – GESELLSCHAFTLICHER AUFTRAG, POLITISCHE FUNKTION, STADTGESTALTERISCHE AUFGABE

Kunst am Bau im Auftrag des Staates verbindet Politik, Gesellschaft, Architektur und Stadtgestaltung auf einzigartige Weise. In der DDR kam ihr zunächst die Funktion zu, politische Inhalte und idealisierte Gesellschaftsbilder zu propagieren. Zunehmend emanzipierten sich die Künstler*innen von den staatlichen Vorgaben und entwickelten eigene, im Wechselspiel mit der Umwelt stehende Ausdrucksformen. Mit zahlreichen Kunstwerken identifizieren viele Menschen bis heute ihre Heimat. In der Dokumentation des Symposiums „Kunst am Bau in der DDR“ wird dieser international einzigartige Kunstbestand umfassend diskutiert. Die Veranstaltung fand dreißig Jahre nach der Wiedervereinigung anlässlich des Jubiläums „70 Jahre Kunst am Bau in Deutschland“ am 24. Januar 2020 in der Berliner Akademie der Künste statt.

KUNST AM BAU IN DER DDR



Die vorliegende Publikation dokumentiert das Symposium „Kunst am Bau in der DDR – gesellschaftlicher Auftrag, politische Funktion, stadtgestalterische Aufgabe“ am 24. Januar 2020 in der Akademie der Künste, Berlin. Eine Veranstaltung des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat und des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung in Kooperation mit der Akademie der Künste, Berlin.

Konzipiert von Dr. Ute Chibidziura, Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung Dr. Constanze von Marlin, schmedding.vonmarlin.


KUNST AM BAU GESELLSCHAFTLICHER AUFTRAG POLITISCHE FUNKTION STADTGESTALTERISCHE AUFGABE

IN DER DDR


Abb. 1 Sitzung des Staatsrats vor dem Wandbild von Fritz Kühn, „Die Wirtschaft der DDR unter dem Zeichen des Friedens“, 1964, Staatsratsgebäude, Berlin


INHALT Anne Katrin Bohle, Wulf Herzogenrath

6 –7

Petra Wesseler

8– 9

Thomas Flierl

10 – 27

GRUSSWORTE

EINFÜHRUNG

DAS (STAATS-)SOZIALISTISCHE GESELLSCHAFTSMODELL STADTPLANUNG, ARCHITEKTUR UND KUNST AM BAU IN DER DDR Roman Hillmann

28 – 45

ZUM VERHÄLTNIS VON SERIELLER ARCHITEKTUR UND KUNST IN DER DDR Paul Kaiser

46 – 59

Silke Wagler

60 – 81

ZUM AUFTRAG, SYSTEM UND WANDEL ARCHITEKTURBEZOGENER KUNST IN DER DDR

ÜBERLEGUNGEN ZUR POLITISCHEN REPRÄSENTATION IN DER BAUGEBUNDENEN KUNST DER DDR Ulrike Wendland

82 – 85

BEOBACHTUNGEN ZUM UMGANG MIT BAUGEBUNDENER KUNST DER DDR Ute Chibidziura

86 – 103

KUNST AM BAU IN OSTDEUTSCHLAND VOR UND NACH 1990 PODIUMSGESPRÄCH

104 – 127

REFERENT*INNEN UND PODIUMSGÄSTE

128 – 130

BILDNACHWEIS

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IMPRESSUM

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GRUSSWORT Mit dem ersten wissenschaftlichen Symposium zur Kunst am Bau in der DDR gelang ein gebührender Einstieg in das Jubiläumsjahr 2020: Die Selbstverpflichtung der beiden deutschen Staaten zur Beauftragung von baugebundener Kunst jährt sich zum 70. Mal. Zugleich begeht das gesamtdeutsche Kunstschaffen mit dem 30. Jahrestag der Wiedervereinigung sein eigenes Jubiläum. Ausgewiesene Expert*innen näherten sich der Kunst am Bau in der DDR. Ihre spannenden Beiträge werden in der vorliegenden Publikation dokumentiert. Den Kulturwissenschaftler*innen, Kunst- und Architekturhistoriker*innen sowie der Denkmalpflegerin ging es dabei weniger um die rechtlichen Grundlagen als um das Erörtern von Kunst im Spannungsfeld von Politik, Gesellschaft, Architektur und Stadtgestaltung. Aufgrund der öffentlichen Präsenz kommt Kunst am Bau — das möchte ich aus eigenen Erfahrungen als Nutzerin von mit Kunst versehenen Verwaltungsgebäuden unterstreichen — eine identitätsstiftende Wirkung zu. Einige der dokumentierten Kunstwerke haben sogar die Gebäude überdauert, für die sie geschaffen wurden. Dies ermöglicht uns heute eine ästhetische und inhaltliche Auseinandersetzung mit einer vergangenen Epoche und Gesellschaftsform. Leider sind auch Verluste von Kunst-am-Bau-Werken durch Sanierungen oder gar Abrisse zu beklagen. Doch die außerordentlich große Resonanz in der Kunstszene und den Medien stimmt mich zuversichtlich, dass das Symposium die weitere Bestandserfassung und vor allem die gemeinsame Erforschung der Kunst am Bau durch Kunst- und Architekturhistoriker*innen anregen wird. Den Auftrag, die Kunst am Bau zu fördern, nehmen wir bis heute wahr. Die mannigfaltigen Facetten der Beiträge reflektieren auch die Kunst am Bau der Gegenwart. So bildet die Kunst am Bau einen integralen und wichtigen Bestandteil unserer Baukultur: Sie stärkt die Identifikation der Nutzer*innen mit ihrem Bauwerk, sie stellt Aufmerksamkeit her und verleiht Orten einen unverwechselbaren Charakter.

Anne Katrin Bohle Staatssekretärin im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat

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Kunst am Bau in der DDR


GRUSSWORT Schon mit Gründung der Akademie in Berlin 1696 durch den späteren preußischen König Friedrich I. war die Beziehung zwischen Architektur und Kunst eng verflochten. Der klassizistische Bildhauer Johann Gottfried Schadow, der später 36 Jahre lang Direktor der Akademie und Leiter der Hofbildhauerwerkstatt ebenso wie des Oberhofbauamtes war, und dessen Quadriga auf dem Brandenburger Tor (1793) neben dem Akademiegebäude am Pariser Platz zum Symbol einer mit einem Bau verbundenen künstlerischen Arbeit wurde, gründete 1799 die Bauakademie. „Kunst am Bau“ war damals noch keine gesetzliche Verordnung – die Fragen, die sich heute stellen, haben jedoch schon immer eine Rolle gespielt: Auftragskunst, politische Funktion, stadtgestalterische Aufgabe. Welche Auswirkungen haben die jeweiligen Gesellschaftsmodelle auf die Architektur und die Kunst am Bau ihrer Zeit? Inwiefern reagierten die Bauaufgaben in Ost und West aufeinander und welche Themen wurden von den jeweiligen Auftraggebenden vorgegeben? In welchem Verhältnis standen staatlicher Auftrag und Repräsentanz zur individuellen künstlerischen Lösung? Was blieb nach 1990 von der Kunst am Bau in der DDR, welche Kunstwerke wurden überschrieben und warum? Wie bewerten wir heute die auf dem Staatsgebiet der ehemaligen DDR entstandenen öffentlichen, demonstrativen oder auch dekorativen Wandbilder im Vergleich zu der Zeit vor zwanzig oder vierzig Jahren? Wir freuen uns, dass das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat und das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung mit uns das Symposium zur Kunst am Bau in der DDR am historischen Standort der Akademie der Künste am Pariser Platz realisiert haben. Ohne Ute Chibidziura und ihrem Team sowie den Referent*innen und Podiumsgästen hätte es kein Symposium gegeben – herzlichen Dank an alle. Der riesige Zuspruch des Publikums ist Ansporn und Aufforderung für Fortsetzungen.

Prof. Dr. Wulf Herzogenrath Direktor der Abteilung Bildende Kunst der Akademie der Künste, Berlin

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EINFÜHRUNG Kunst am Bau ist als Auftragskunst seit jeher Schnittstelle und Bindeglied zwischen Architektur, Politik und Stadtgestaltung. Kunst am Bau hat in Deutschland eine lange Tradition, die bis weit vor die Zeit der Teilung nach dem Zweiten Weltkrieg 1945 zurückreicht. Schon die Weimarer Verfassung von 1919 weist dem demokratisch verfassten Staat die Aufgabe zu, der Kunst Freiheit und Schutz zu gewähren und sich an ihrer Pflege zu beteiligen. Gleichwohl dauerte es noch fast zehn Jahre, bis der Preußische Innenminister per Runderlass vom 20. Juni 1928 die staatliche Hochbauverwaltung anwies, bei der Errichtung staatlicher oder kommunaler Bauten Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten für bildende Künstler*innen zu schaffen. Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte die Förderung der Kunst in beiden deutschen Staaten zur Kulturpolitik der ersten Stunde, wobei das bundesrepublikanische Grundgesetz vom Mai 1949 der Kunst zwar Freiheit, aber keinen verfassungs-begründeten Schutz oder weitergehende Pflege zugestand, während die Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik von Oktober 1949 die Verpflichtung zu Schutz und Pflege der Kunst aus der Weimarer Verfassung von 1919 wieder aufgriff. In seiner 30. Sitzung am 25. Januar 1950 beschloss der Deutsche Bundestag dann, bei allen Bauaufträgen (Neu- und Umbauten) des Bundes grundsätzlich einen Betrag von mindestens 1 Prozent der Bauauftragssumme für Werke bildender Künstler*innen vorzusehen.

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Kunst am Bau in der DDR

Bei der Verteilung der Aufträge sollten Künstler*innen aller deutschen Länder berücksichtigt und bei der Auswahl der Kunstwerke Fachgremien beteiligt werden. Nur wenige Wochen später, am 16. März 1950, erließ DDR-Ministerpräsident Grotewohl die „Verordnung zur Entwicklung einer fortschrittlichen demokratischen Kultur des deutschen Volkes und zur weiteren Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Intelligenz“, die sogenannte Kulturverordnung. Sie legte fest, dass bei allen im Investitionsplan vorgesehenen Neubauten und Wiederinstandsetzungen von Verwaltungsgebäuden 1 bis 2 Prozent der bewilligten Bausummen für die künstlerische Ausgestaltung der Räume mit Werken volksnaher, realistischer Kunst einzusetzen war. Ergänzt wurde diese Bestimmung durch die „Anordnung über die künstlerische Ausgestaltung von Verwaltungsbauten“ von 1952, die auch Kultur- und Sozialbauten in die Regelung miteinbezog. Als künstlerische Ausgestaltung waren architekturgebundene Kunstwerke wie Reliefs, Bauplastiken, Wandgemälde und Sgrafittos vorgesehen, zudem mobile Kunstwerke wie Plastiken, Gemälde, Grafiken und Kunsthandwerk möglich. Die Art der künstlerischen Ausgestaltung von Bauten mit besonderer gesellschaftlicher Bedeutung war mit der zentralen Staatlichen Kommission für Kunstangelegenheiten abzustimmen, die Auswahl der Künstler*innen erfolgte durch bezirkliche Auftragskommissionen; bei größeren Maßnahmen waren Wettbewerbe durchzuführen. Auch wenn der Deutsche Bundestag mit seiner Entschließung den Auftakt für eine Kunst-am-Bau-Regelung machte, war die DDR-Regierung mit der Entwicklung entsprechender Durchführungsbestimmungen schneller. Denn in der Bundesrepublik erfolgte eine formale Regelung für die Beteiligung bildender Künstler*innen bei Baumaßnahmen


des Bundes erst mit den „Richtlinien für die Bauaufgaben des Bundes im Zuständigkeitsbereich der Finanzbauverwaltungen“, die sogenannten RBBau, die 1953 vorläufig und am 2. Januar 1957 verbindlich eingeführt wurden. Im dortigen Kapitel 7 sind wesentliche Punkte festgelegt: – Bei allen Baumaßnahmen des Bundes sind Leistungen zur künstlerischen Ausgestaltung an bildende Künstler*innen zu vergeben, soweit Zweck und Bedeutung der Baumaßnahmen dieses rechtfertigen. – Als Leistungen bildender Künstler*innen kommen Kunstwerke in und an Gebäuden sowie für die Ausstattung einzelner Diensträume und gärtnerischer Anlagen in Betracht. – Bei bedeutenden Baumaßnahmen sind in der Regel Wettbewerbe durchzuführen. – Die Ausgaben für Leistungen bildender Künstler*innen müssen in angemessenem Verhältnis zu den Kosten des Bauwerks stehen. – Die Mittel sind zweckgebunden. – Die Entscheidung über die künstlerische Ausgestaltung erfolgt durch die Bauverwaltung in Abstimmung mit dem Bundesbauministerium. Diese Richtlinie bildet bis heute die inhaltliche und organisatorische Grundlage für die Kunst-am-Bau-Praxis des Bundes. Ein wichtiger Schritt der weiteren Qualifizierung war 2005 die Einführung des „Leitfadens Kunst am Bau“, der vom Bundesbauministerium in Zusammenarbeit mit meinem Haus entwickelt worden war und in den die Erfahrungen mit den im Rahmen des Regierungsumzugs etablierten Verfahrensprozessen eingeflossen sind. Er ist ein Handlungsleitfaden, der sowohl Grundlage für die Kunst-am-Bau-Praxis des Bundes ist, aber auch bei anderen Institutionen, Ländern oder Kommunen gern angewandt wird. Der Leitfaden regelt die Verfahren

zur Auswahl von Künstler*innen und Kunstwerken und legt auch den prozentualen Kostenanteil für die Kunst fest, der abhängig von der absoluten Höhe der Baukosten zwischen 0,5 und 1,5 Prozent der Bausumme beträgt. Anonyme Wettbewerbe sind seither als Regelfall für den gesamten Bundesbau vorgesehen, ebenso Preisgerichte, in denen externe Kunstsachverständige die Mehrheit bilden. Der Leitfaden beschreibt aber auch die baukulturelle Verantwortung, die dem Bund zukommt, zumal seine Bauwerke herausgehobenen, überwiegend öffentlichen Funktionen dienen und an exponierten Standorten stehen. Sie sollen das baukulturelle Niveau widerspiegeln und auch Visitenkarten unseres Landes sein. Kunst am Bau ist Teil der öffentlichen Bauaufgabe, der sich der Bauherr Bund aktiv annimmt, der aber auch die einzelnen Nutzer*innen der Liegenschaften verpflichtet sind. Die Selbstverpflichtung zu Kunst am Bau hat seit 1950 in beiden Teilen des Landes ein reiches baukulturelles Erbe hervorgebracht, das sämtliche künstlerische Strömungen und Ausdrucksformen umfasst und in seiner Vielfalt und Vielgestaltigkeit international einzigartig ist. Soweit wir es heute überblicken können, wurden in Deutschland an die zehntausend Kunstwerke für Bauten für Regierung und Bundesbehörden, Botschaften und Auslandsschulen, Polizei und Bundeswehr sowie für Kultur- und Wissenschaftsinstitutionen im In- und Ausland beauftragt. Zahlreiche bedeutende Künstler*innen ihrer Zeit waren in staatlichem Auftrag tätig und haben einzigartige Kunstwerke geschaffen, die sich mit dem spezifischen baulichen, historischen und institutionellen Kontext auseinandersetzen.

Petra Wesseler Präsidentin des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung

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DAS (STAATS-) SOZIALISTISCHE GESELLSCHAFTSMODELL STADTPLANUNG, ARCHITEKTUR UND KUNST AM BAU IN DER DDR Thomas Flierl

Die denkwürdige Gleichzeitigkeit der Beschlussfassung von Kunst-am-Bau-Regelungen in den beiden deutschen Staaten im Jahre 1950, nämlich „mindestens 1 Prozent“ bzw. „1–2 Prozent“ der Bausumme für die Errichtung oder die Instandsetzung öffentlicher Bauten für „Werke bildender Künstler“ bzw. „die künstlerische Ausgestaltung“ vorzusehen, bot für die Veranstalter des Symposiums den Anlass, den Blick auf die „Kunst am Bau in der DDR“, „auf diesen“, wie es in der Einladung heißt, „international einzigartigen Kunstbestand und seine Bedeutung für die Kulturgeschichte Deutschlands“ 1 zu lenken. Bereits 2011 hatte Claudia Büttner für das damalige Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung eine Studie 2 verfasst, die das Projekt einer „Geschichte der Kunst am Bau in Deutschland“ intendierte. Sie hatte sowohl die Vorgeschichte dieser Regelung in Preußen, die 1928 beschlossen wurde, aber nicht zur Wirkung kam, die Regelung von 1934 und deren spezielle Anwendung im Nationalsozialismus, als auch die Doppelgeschichte in beiden deutschen Staaten umrissen.

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Es war vor allem der mitreißende Enthusiasmus von Ute Chibidziura vom Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, der Referentin für die Kunst am Bau des Bundes, die sich der Desiderate bei der Bestands- und Verlusterfassung der Kunst am Bau in der DDR sowie der dazu ausstehenden Forschung sehr bewusst ist, die den Autor überzeugte, sich des recht allgemein gehaltenen Themas anzunehmen. Auch der biografische Hintergrund spielte eine Rolle, denn die Themen von „Kunst und Geschichte im Stadtraum“ haben mich immer wieder beschäftigt. So war es für mich eine prägende Erfahrung, als ich 1984 – wegen meines inneruniversitären Protestes gegen die beabsichtige Sprengung der denkmalgeschützten Gasometer im Prenzlauer Berg (Abb. 2), deren Erhalt von aller oberster Stelle mit der Errichtung des Ernst-ThälmannDenkmals von Lew Kerbel für unvereinbar gehalten wurden – „in die kulturpolitische Praxis delegiert“ wurde, also meine wissenschaftliche Assistenz an der Humboldt-Universität zu Berlin Abbrechen musste. 3 Als späterer Leiter des Kulturamtes Prenzlauer Berg fand ich mich Anfang der 1990er Jahre dann in den Diskussionen um Erhalt, Kommentierung oder Abriss des Denkmals wieder. Heute bin ich Mitglied der Jury des vom Bezirk ausgeschriebenen Wettbewerbs zur künstlerischen Kommentierung des Thälmann-Denkmals.

1 Vgl. die Einladung zum Symposium „Kunst am Bau in der DDR“ am 24. Januar 2020 in der Akademie der Künste, Berlin. 2 Vgl. Claudia Büttner:

Geschichte der Kunst am Bau in Deutschland, Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Berlin 2011. 3 Vgl. Thomas Flierl:


Abb. 2 Sprengung der Gasometer am 28. Juli 1984, Berlin

Berlin: Perspektiven durch Kultur. Texte und Projekte, hg. von Ute Tischler und Harald Müller, mit Fotografien von Arlett Mattescheck und einem Nachwort von Wolfgang

Engler, Berlin 2007. 4 Peter Guth: Wände der Verheißung. Zur Geschichte der architekturbezogenen Kunst in der DDR, Leipzig 1995, S. 8f. 5 Ebd. S. 8.

Wenn wir heute, dreißig Jahre nach der Herstellung der staatlichen Einheit der beiden deutschen Staaten, über „Kunst am Bau in der DDR“ sprechen, darf nicht unerwähnt bleiben, dass die grundlegende Arbeit zu diesem Thema bereits 1995 erschien, nämlich Peter Guths Buch „Wände der Verheißung. Zur Geschichte der architekturbezogenen Kunst in der DDR“. Peter Guth, der 2004 allzu früh verstarb, hatte eine erste Gesamtaufarbeitung vorgelegt, die nicht auf Vollständigkeit oder lückenlose Chronologie zielte. Peter Guth ging es darum, „die architekturbezogene Kunst als Produkt und Spiegel der gesellschaftlichen Verhältnisse auf der einen und als Gegenstand der (...) fachtheoretischen Auseinandersetzungen auf der anderen Seite darzustellen“. 4 Da er eine „vom Baugeschehen losgelöste Betrachtung architekturbezogener Kunst (...) per se für falsch“ hielt, orientierte er sich in besonderer Weise an der Städtebaugeschichtsschreibung der DDR, wie sie von Werner Durth, Bruno Flierl und Thomas Topfstedt vertreten wird. Auch ich folge in drei Kapiteln dieser Gliederung. Die kulturelle Situation der frühen 1990er Jahre kennzeichnete, dass sich Guth ausdrücklich gegen den Vorwurf glaubte verwahren zu müssen, „als ‚verquere Fortsetzung einer Erbediskussion‘“ den Versuch unternehmen zu wollen, „aus der Konkursmasse der DDR-Kunst das ‚Bewahrenswerte‘ zu retten oder wieder heimzuholen“. 5 Heute können wir konstatieren, dass die Rettung und „Heimholung“ relevanter Werke der architekturbezogenen Kunst der DDR als kulturelle Tat anerkannt ist – nehmen wir nur die neueren Beispiele der Wiederanbringung des ursprünglich am inzwischen abgerissenen Ministerium für Bauwesen der DDR platzierten Wandbildes „Der Mensch, das Maß aller Dinge“, 1968, von Walter Womacka an einem Wohngebäude in Berlin-Mitte, die „Ausstellung des Jahres 2019“

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über Architektur, Kunst und Design des abgerissenen Palastes der Republik in der Kunsthalle Rostock oder das aktuelle Beispiel der Sanierung und Wiederaufstellung des Wandbilds von Josep Renau in Erfurt durch die Wüstenrot Stiftung. 6 Wenn wir uns heute der „Kunst am Bau in der DDR“ widmen, stehen die Fragen einer vergleichenden deutsch-deutschen Geschichtsschreibung architekturbezogener Kunst noch weit hinten am Horizont. Ebenso dürfte sich die These vom „international einzigartigen Kunstbestand“ aus der DDR relativieren, sobald auch die architekturbezogene Kunst anderer früherer sozialistischer Länder einbezogen wird. Erst danach werden wir ermessen können, was die architekturbezogene Kunst in der DDR im Besonderen ausmachte, welche internationalen Tendenzen sie aufnahm oder gar beeinflusste – also welche „Bedeutung für die Kulturgeschichte Deutschlands“ 7 und vielleicht auch darüber hinaus sie hatte, hat oder gar noch erlangen könnte. Was die internationalen Einflüsse angeht, können wohl die Einflüsse des mexikanischen Muralismo, der US-amerikanischen Wandbildbewegung aus der Zeit des New Deal sowie der sowjetischen Monumentalkunst nicht übersehen werden. An einem Punkt wird man indes nicht vorbeikommen: Die architekturbezogene Kunst in der DDR entstand sowohl wegen, als auch trotz ihres heute überwundenen diktatorischen politischen Systems. Wenn die DDR auch politisch scheiterte, hat sie dennoch eine gesellschaftliche Praxis der Zusammenarbeit von Architekt*innen, bildenden Künstler*innen und Designer*innen hervorgebracht, die noch immer manche Anregung für die Gegenwart bereithält. Das gilt insbesondere, wenn wir unseren Gegenstand aus der Perspektive aktueller Debatten über „Kunst am Bau“ betrachten. So fand im November letzten Jahres auf Initiative

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Kunst am Bau in der DDR

der neuen Gesellschaft für bildende Kunst der Workshop „Urbane Kulturen – Symposium zur Neupositionierung von Kunst im öffentlichen Raum in Berlin“ statt, der darauf abzielte, neben den zahlreichen Wettbewerben für Kunst am Bau sowie zur Gedenkkultur eine eigene Programmatik und Förderschiene für Kunst im öffentlichen Stadtraum zu etablieren. Eine Erweiterung der bisherigen Förderung sei dringend notwendig, um die Vielfalt künstlerischer Produktionen für den öffentlichen Raum präsentieren und weiterentwickeln zu können, „künstlerisches Arbeiten an und mit Gemeinschaften und weiteren Publikumsgruppen zu ermöglichen und Kunst an Entwicklungen und Diskursen zur Stadtgesellschaft aktiv teilhaben zu lassen sowie soziale Stadtentwicklungsprozesse und gesellschaftliche Diskurse im Öffentlichen anzustoßen“. 8 Gefordert wurden eine Entkopplung von der Kunst-am-Bau-Richtlinie und dem damit verbundenen Wettbewerbswesen, ein eigenes Förderprogramm und die Öffnung hin zu kuratorischen Modellen und temporären Projekten.

6 Vgl. Wüstenrot Stiftung (Hg.): „Die Beziehung des Menschen zu Natur und Technik“. Geschichte und Wiederaufbau des Wandbildes von Josep Renau in Erfurt (erscheint 2020). Darin auch der Beitrag von Thomas Flierl: „Varianten des Umgangs

mit architekturbezogener Kunst der DDR seit 1989/90“, S. 76–85. 7 Vgl. die Einladung zum Symposium. 8 „Urbane Kulturen – Symposium zur Neupositionierung von Kunst im öffentlichen Raum in Berlin“ am 22./23. November


Gerade hier in der Akademie der Künste wird man unwillkürlich an das legendäre Projekt „Die Endlichkeit der Freiheit“ erinnert, das vom 1. September bis 7. Oktober 1990 an verschiedenen Orten in Ost- und Westberlin stattfand und von Rebecca Horn, Jannis Kounellis und Heiner Müller initiiert und von Wulf Herzogenrath, Joachim Sartorius und Christoph Tannert kuratiert wurde. Nach der Rückeroberung des öffentlichen Raums in der demokratischen Revolution des Herbstes 1989 fand hier erstmals stadtweit ein temporäres, kuratiertes, internationales Kunst-im-Stadtraum-Projekt statt, von dem meines Wissens heute nur noch die Inschriften von Christian Boltanski an den Giebeln in der Großen Hamburger Straße in situ existieren. Wenn nach kulturellen Spuren des großen Umbruchs und nach frühen Versuchen einer gemeinsamen Neupositionierung gesucht wird, ist dieses Projekt einfach nicht zu übergehen. In Zeiten der gesellschaftlichen Umwälzung kann die ästhetische Umcodierung des öffentlichen Raums enorme kulturelle Kraft entfalten, wie die Beispiele der Erinnerung an die Demonstration vom 4. November 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz, 1999, oder die Installation von Lars Ramberg während der Zwischennutzung des asbestbereinigten Rohbaus des Palastes der Republik, 2005, zeigen.

2019 in der Berlinischen Galerie, Programmsätze aus dem Ablaufplan vom 24. Oktober 2019. 9 „Das Lebendige an der Kunst ist die Differenz zur Politik – das Kunstwerk weist sowohl auf den Terror der Verwirklichung als auch auf das Unwirk-

liche hin.“ Heiner Müller: „Berlin Twohearted City“, in: Wulf Herzogenrath, Joachim Sartorius, Christoph Tannert (Hg.): Die Endlichkeit der Freiheit, Berlin 1990, S. 9.

Auch für eine vergleichende Geschichte von „Kunst am Bau“ in Deutschland gilt im Übrigen das Diktum von Heiner Müller: „Das Lebendige an der Kunst ist die Differenz zur Politik“ 9. Versuchen wir also, diese Differenz in den verschiedenen Phasen der DDR-Geschichte aufzuspüren.

DIE FRÜHEN JAHRE: VON DER TEMPORÄREN INSTALLATION ZUM WANDBILD Kunst am Bau in der frühen DDR kann nur verstanden werden, wenn das Konzept des Aufbaus einer „antifaschistisch-demokratischen“, auch „Volksdemokratie“ genannten Ordnung von 1945 bis 1950 und dessen Ablösung ab 1950/1951 durch das Konzept des „Aufbaus der Grundlagen des Sozialismus“ und der parallelen Umwandlung der 1946 aus der Zwangsvereinigung von KPD und SPD hervorgegangenen SED in eine sogenannte „Partei neuen Typs“ in Betracht gezogen wird. Dahinter stand die stadiale Auffassung der Revolutionstheorie des Marxismus-Leninismus, wonach die bürgerlich-demokratische Revolution erst vollendet werden müsse, bevor sie in die sozialistische Revolution überführt werden könne. Diese müsse zwingend die Diktatur des Proletariats errichten, d.h. der Staat müsse das Proletariat als herrschende Klasse organisieren, um schrittweise eine neue Gesellschaft aufzubauen, in der alle Klassenunterschiede aufgehoben werden. Im Kern handelte es sich allerdings um die Errichtung einer Parteidiktatur zur nachholenden Modernisierung. Nach sowjetischem Vorbild musste in den gegenüber Westeuropa rückständigeren osteuropäischen Ländern zunächst eine eigene materiell-technische Basis geschaffen werden, musste mit Priorität die Schwerindustrie entwickelt werden,

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der die Leicht- und Konsumgüterindustrie erst nach und nach folgte. Parallel zum Wiederaufbau der Städte nach dem Krieg kam so dem Aufbau neuer Industriestädte bald große Bedeutung zu. Dabei war der Beginn im Osten Deutschlands kulturpolitisch durchaus gemäßigt. So richtete sich der Aufruf der KPD vom 11. Juni 1945 „auf eine parlamentarischdemokratische Republik mit allen demokratischen Rechten und Freiheiten für das Volk“ 10. Gestützt auf die Beschlüsse der Potsdamer Konferenz der vier Siegermächte und auf die sowjetische Besatzungsmacht sollten die Grundlagen „für die endgültige Liquidierung des Nazismus und zum Aufbau eines neuen demokratischen Deutschlands“ 11 geschaffen werden. Die entscheidenden Programmpunkte waren dabei die Entnazifizierung des Staatsapparates, die Bodenreform, die Verstaatlichung der Großindustrie und die Durchführung einer Bildungsreform. Kunstpolitisch versprach der Aufruf der KPD von 1945 die „Freiheit der künstlerischen Gestaltung“ 12. Die ab 1948 von sowjetischer Seite ausgehende „Formalismus“-Kampagne, die auch auf der anhebenden Konfrontation mit den Westmächten beruhte, begleitete dann mit der Vorgabe der „Kunstnorm des sozialistischen Realismus“ kulturpolitisch den Übergang zum autoritären Staatssozialismus, der in der Arbeiterrebellion vom 17. Juli 1953 seine erste Krise erlebte. Kunst am Bau, die als öffentliche „Auftragskunst Bindeglied zwischen Architektur, Kunst, Politik und Stadtgestaltung“ ist, wie die Thesen zu diesem Symposium konstatieren, kommt per se immer schon affirmative Funktion zu. Umso mehr aber, wenn die Gesellschaft durch den Staat reorganisiert wird und – wie in der späteren DDR – die Verstaatlichung aller gesellschaftlichen Sektoren und Räume die Differenz zwischen „öffentlich“,

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Kunst am Bau in der DDR

„halböffentlich“ und „privat“ tendenziell aufhebt. Hinzu kamen der Epochenbruch nach dem Ende des NS-Regimes und die Schwellensituation mit dem Erwartungshorizont des Aufbaus einer noch unbestimmten „neuen Gesellschaft“. Zudem dominierte in den Aufbaujahren ein mechanischer Fortschrittsbegriff, der Geschichte als Ausgang vom Dunklen zum Hellen auffasste, der die Vergangenheit hinter sich lassen wollte ohne zu reflektieren, wie viel man davon noch mitnimmt. Das Neue entstand in Vielem in der Form des Alten. Die Hoffnungen und Enttäuschungen dieser frühen Gründungszeit, des Übergangs von der „antifaschistisch-demokratischen“ Ordnung zum Staatssozialismus stalinistischer Prägung, lassen sich gut an der Entstehungsgeschichte des Wandbildes von Max Lingner am früheren Haus der Ministerien erläutern. Max Lingner (1888–1959), Maler und Zeichner, – der seit 1929 in Paris lebte, für die kommunistische Presse gezeichnet und die großen Pressefeste der „L’Humanité“ ausgestaltet hatte, der interniert worden war und in der Resistance gekämpft hatte – wandte sich offenbar als Reaktion auf den Aufruf der KPD von Juni 1945 im November 1945 in einem Brief an Walter Ulbricht, den er in dessen Pariser Zeit vor der deutschen Besetzung Frankreichs

10 „Schaffendes Volk in Stadt und Land! Männer und Frauen! Deutsche Jugend! (Aufruf des ZK der KPD vom 11. Juni 1945)“, in: Revolutionäre deutsche Parteiprogramme, Berlin 1967, S. 196. 11 Ebd., S. 199. 12 Ebd., S. 197.

13 Brief Max Lingners an Walter Ulbricht vom 19. November 1945 mit dem auf den 28. Juli 1945 datierten Manuskript „Auf der Suche nach der Gegenwart“, SAPMOBArch, Nachlass Walter Ulbricht, NY 4182/1386. 14 Ebd.


Abb. 3 Gestaltung von Max Lingner am Haus der Deutschen Wirtschaftskommission zum „Weltfriedenstag“ am 1. September 1949, Berlin

15 Ebd. 16 Ebd. 17 Vgl. Martin Schönfeld: „Das ‚Dilemma der festen Wandmalerei‘. Die Folgen der Formalismus-Debatte für die Wandbildbewegung in der SBZ/DDR 1945–1955“, in: Günter Feist, Eckhart

Gillen, Beatrice Vierneisel (Hg.): Kunstdokumentation SBZ/DDR 1945–1990, Köln 1996, S. 444–463.

kennengelernt hatte. Er sandte ihm sein Manuskript „Auf der Suche nach der Gegenwart“13, in dem er Bilanz zog und sich für die Arbeit in Deutschland empfahl. „Und da mir kein Staat bisher gemauerte Wände zur Verfügung gestellt hat, so war ich froh, mich auf Papier, Leinwand und Holz für dauerhaftere Arbeiten vorzubereiten.“ 14 In dem Anschreiben an Ulbricht bekennt er: „Ich will noch den Reichstag ausmalen“. 15 Welches enorme künstlerische Selbstvertrauen und was für ein politisch-moralischer Anspruch des Emigranten auf den öffentlichen Kunstauftrag in einem neuen Nachkriegsdeutschland. Immerhin war sein Kunstwollen auf den Ort der Legislative, das Parlament gerichtet. Sein Manuskript enthält in weiten Zügen ein an der Erfahrung der Volksfront in Frankeich orientiertes Programm für eine dekorative „art populaire“. Er verstand seinen sensualistisch begründeten, mit der modernen Kunst vertrauten optimistischschwärmerischen Realismus als ein utopisches volksdemokratisches Programm. Bereits 1945 formuliert er: „Unsere Städte liegen in Schutt und Asche. Welche außerordentliche Menge von Wandmalereien werden beim Wiederaufbau notwendig gebraucht“. 16 Programmatisch nahm er hier die bald einsetzende Wandbildbewegung in der SBZ und frühen DDR vorweg. 17 Als Lingner 1949 nach Ost-Berlin kam, gab es vor dem großen Auftrag zum Wandbild am Haus der Ministerien zwei hinführende Projekte. Zum 1. September 1949, dem 10. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkrieges, gestaltete er in Anlehnung an seine in Frankreich geformte Bildwelt ein großes figurales Emblem am früheren Reichsluftfahrtministerium, dem seinerzeitigen Sitz der Deutschen Wirtschaftskommission, dem späteren Haus der Ministerien (Abb. 3). Das seinem Gemälde „Frei, stark und glücklich“, 1946, entnommene Motiv der „Heiligen Familie“

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assoziierte die Selbstbefreiung Frankreichs und stand so in spürbarem Widerspruch zu der Tatsache, dass Deutschland von den Alliierten befreit wurde und die DDR genau an diesem Ort, dem vormaligen Verwaltungssitz der Sowjetischen Militäradministration, quasi aus deren Schoß geboren wurde. Der zweite Auftrag war die Festgestaltung Max Lingners für den 1. Mai 1950 in der Straße Unter den Linden, am zerstörten Berliner Schloss und im Lustgarten. Lingners Großtransparent „Aufbau in Deutschland“ an Schinkels Altem Museum war dabei nur das größte und bekannteste Element (Abb. 4, 6). Der „Kunst am Bau“, in diesem Fall dem Wandbild am Regierungssitz der DDR, ging also historisch und logisch die „Kunst im öffentlichen Raum“, die temporären Installationen am Gebäude 1949 und die Festgestaltung im Lustgarten 1950, voraus. So illusionär Lingners Hoffnung auf eine Kombination von Demonstration und Volksfest in der Etablierung einer volksdemokratischen Festkultur gewesen sein mag, so sehr lässt sich die Wirkung der einsetzenden Stalinisierung im Wandel der Ästhetik genau dieses öffentlichen Raums im Sommer 1950 verfolgen. Bei weiteren politischen Manifestationen vor der Schlossruine und im Lustgarten traten an die Stelle von Bildern freier Menschen nun monumentale Politikerporträts und Losungen. Nach der Wahl Walter Ulbrichts zum Generalsekretär der SED im Sommer 1950 wurde die Schlossruine abgerissen, der MarxEngels-Platz geschaffen – mit dem Lustgarten und größer als der Rote Platz in Moskau – und ein zentrales Gebäude als Ort der Exekutive (von Staat und Partei) geplant, das durch ein monumentales Marx-Engels-Denkmal ergänzt werden sollte. Vor diesem Hintergrund hatte es das Wandbildprojekt am Haus der Ministerien von vornherein schwer. Lingner selbst geriet mit seiner Festgestaltung in die Kritik

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Kunst am Bau in der DDR

Abb. 4 Max Lingner, Entwurf für das Wandbild „Aufbau in Deutschland“, 1945

Abb. 5 Max Lingner, „Aufbau der Republik“, 1952, Wandbild, Haus der Ministerien, Berlin

Abb. 6 Festgestaltung von Max Lingner am Alten Museum zum 1. Mai 1950, Berlin

Abb. 7 Monumentalskulpturen vom Berliner Schloss vor der Deutschen Sporthalle, 1952, Berlin

18 Ausführlich in: Thomas Flierl: „Von der Pariser Festdekoration zum Gründungsbild der DDR. Bildtransfer und Bildverlust bei Max Lingner“, in: ders. (Hg.): Max Lingner. Das Spätwerk 1949–1959, Berlin 2013, S. 52–97.

19 Vgl. Deutsche Bauakademie, Nationalkomitee für den Aufbau der deutschen Hauptstadt (Hg.): Wir bauen Deutschlands Hauptstadt. Die Stalinallee, die erste sozialistische Straße der Hauptstadt Deutschlands, Berlin 1952.


des ZK-Plenums, das am 17. März 1951 den Beschluss „Kampf gegen Formalismus in Literatur und Kunst für eine fortschrittliche deutsche Kultur“ fasste. Erst die sechste Fassung des Entwurfs wurde akzeptiert, der Künstler hatte sich nach und nach der Politik ergeben – das Lebendige der Kunst war getilgt. Mit dem Ergebnis waren schließlich die Auftraggebenden und der Künstler gleichermaßen unzufrieden (Abb. 5). 18 Zwar entstanden in der frühen DDR eine Reihe interessanter Wandbilder in öffentlichen Institutionen, die es insbesondere in und nach der Formalismus-Kampagne schwer hatten – manche von ihnen wurden sogar beseitigt, wie Horst Strempels Wandbild im Bahnhof Berlin-Friedrichstraße oder Hermann Kirchbergers Wandbild für das Foyer des Nationaltheaters in Weimar. Die Unsicherheit, was die Orientierung auf die „Baupolitik der nationalen Traditionen“ für die Kunst am Bau heißen sollte, lässt sich exemplarisch am Bildprogramm der Stalinallee als „der ersten sozialistischen Straße“19 Berlins studieren. Während die palastartigen Wohnbauten mittels Supraporten, Tympana und Baukeramik mit emblematischen Figurengruppen und dem Symbol des Fünfjahrplans dekoriert wurden, stellte man vor das zentrale öffentliche Gebäude der Stalinallee, die Sport- und Kongresshalle von Richard Paulick, vier Kopien von Schlüters Kolossalfiguren aus der abgerissenen Schlossruine – antike Götter und Halbgötter: Zeus, Herakles, Meleagros, Antinoos. Auch die Attikagestaltung der Sporthalle hatte einen Bezug zur Antike: ein Relief zeigte Sportler im Wettstreit (Abb. 7). Und auf der gegenüberliegenden Straßenseite der aktuelle Gott: die ursprünglich auf 16 Meter geplante, wegen Lieferschwierigkeiten aber nur 4,8 Meter hohe Stalinfigur des sowjetischen Bildhauers Nikolai Tomski. Obgleich auch

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in der frühen DDR manches monumentale Marx-Engels- und Ernst-Thälmann-Denkmal schon zu dieser Zeit entworfen wurde, hatte sich doch bald eine Distanz der DDR-Künstler*innen zur sowjetischen Monumentalkunst gezeigt. Exemplarisch seien dafür die beiden 1953/1954 entstandenen Standbilder „Weg mit den Trümmern“ von Fritz Cremer genannt, die seit 1958 vor dem Berliner Rathaus stehen (Abb. 8, 9).

ANKUNFT IM ALLTAG DER MODERNE: LEBENSWEISE UND GESTALTUNG Mit den neuen Bauaufgaben und vor dem Hintergrund eines gewandelten Kunstverständnisses seit Mitte/Ende der 1950er Jahre gestaltete sich auch das Verhältnis von Architektur und Kunst in der DDR neu. Nach der Abkehr von der Baupolitik der nationalen Traditionen im Zuge der Industrialisierung des Bauwesens seit 1955, des Übergangs vom Bau einzelner sozialistischer Straßen und zentraler Plätze in Ostberlin und einigen weiteren Städten zum Bau neuer sozialistischer Industriestädte (Eisenhüttenstadt, Hoyerswerda, Schwedt, Halle-Neustadt) und schließlich mit der Modernisierung und sozialistischen Umgestaltung der Zentren in den wichtigsten Bezirksstädten in den 1960er und 1970er Jahren entstand für die architekturbezogene Kunst in der DDR ein weites Aufgabenfeld. Architektur, Städtebau und bildende Kunst traten als Berufsfelder und arbeitsteilig-spannungsvoll auseinander und forderten auf neue Weise Integration. Als Beispiel für die neue Elastizität in deren Verhältnis kann die Idee Hermann Henselmanns für das Zentrum Ostberlins aus dem Jahre 1959 gelten (Abb. 10). In diesem Entwurf wurde das Verhältnis von Architektur, Städtebau und bildender Kunst neu ausbalanciert. Der

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Kunst am Bau in der DDR

Abb. 8, 9 Fritz Cremer, „Aufbauhelfer I und II“ („Wegmit den Trümmern“), 1953/1954, Rotes Rathaus, Berlin

Abb. 10 Hermann Henselmann, Wettbewerbsentwurf für das Zentrum Ostberlins, 1959

Abb. 11 Walter Womacka, „Aus der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“, 1964, Staatsratsgebäude, Berlin


Architekt öffnete den Denk- und Gestaltungsraum, indem er sich als Künstler begriff und betätigte. Dem lange geforderten Partei- und Regierungshochhaus als Höhendominante sollten nicht wie bis dahin gedacht, Marx-Engels-Personen-Denkmäler als Tempelwächter am Haupteingang zugeordnet werden, sondern ein technoides Denkmal sollte als Großskulptur die Funktion der Höhendominante übernehmen. Henselmann schlug am Ostrand des Marx-Engels-Platzes einen „Turm der Signale“ vor – einen aufsteigenden, rubinrot leuchtenden Sputnik über einer Originalausgabe des Kommunistischen Manifests im Sockel des vorgelagerten Gebäudes, das auch als Tribüne dienen sollte. Revolutionäre Idee und wissenschaftlich-technischer Fortschritt sollten die traditionsfixierte Ideologie und die bürokratischen Machtstrukturen dominieren! Die Administration dagegen sollte horizontal jenseits der Spree angeordnet werden, bei beherrschender Funktion des Parlaments- und Kongressgebäudes. (Die Bezüge zu Le Corbusiers Entwurf für den Sowjetpalast in Moskau 1932 sind unverkennbar.) In die Fassade des am Marx-Engels-Platz geplanten Parteiinstituts, als der Hüterin der Tradition, sollte

das erhaltene Portal des Berliner Schlosses als Haupteingang integriert werden, von dem Karl Liebknecht in der Novemberrevolution 1918 die sozialistische Republik verkündet hatte. Auch der Neptun-Brunnen vom früheren Schlossplatz war hier berücksichtigt. Bekanntlich wurde später alles anders realisiert, aber die Ursprungsintention ist noch erkennbar. Der Fernsehturm, 1969, nicht mehr als Denkmal, sondern als Sendeturm und Stadtzeichen sui generis hatte die Funktion der Höhendominante übernommen, wurde aber Richtung Bahnhof Alexanderplatz gerückt. Das Parteiinstitut mit dem Schlossportal wurde 1964 zum Gebäude des 1960 neu geschaffenen Staatsrates. Das zentrale Gebäude und das MarxEngels-Denkmal tauschten die Plätze, das eine wurde als horizontaler Funktionsbau, als Palast der Republik, 1976, auf der Spreeinsel errichtet, während das Denkmal erst 1986 als mehrteiliges Ensemble als Pendant zum Fernsehturm im großen Stadtinnenraum jenseits der Spree Aufstellung fand (Abb. 35). Das Bildprogramm im noch Anfang der 1960er Jahre realisierten Staatsratsgebäude zeigt die Doppelgestalt jener Jahre: das naive, durchaus an Lingner orientierte Bildprogramm von Walter Womacka im Treppenhaus mit dem Motiv der (Heiligen) werktätigen Familie stand dem technoiden Bildzeichen Fritz Kühns im Beratungsraum des Staatsrates gegenüber (Abb. 11, 47). Die Emanzipation der bildenden Kunst vom Bau zeigte sich auch in den theoretischen Debatten, dem Sprachgebrauch und den institutionellen Kopplungen von Architektur und bildender Kunst als unterscheidbaren und dennoch notwendig zusammenwirkenden Arbeitsfeldern. So entwickelte sich der Sprachgebrauch immer mehr von der traditionellen „angewandten“ oder „baugebundenen“ Kunst bzw. von „Kunst am Bau“ zu

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„architekturbezogener Kunst“ oder „Kunst im öffentlichen Raum“ bzw. zur „Kunst in der komplex gestalteten Umwelt“. An einer gleichberechtigten Zusammenarbeit waren sowohl die Architekt*innen als auch die bildenden Künstler*innen interessiert. Die Architekt*innen begrüßten es, wenn sie mit den Künstler*innen gegen die Dominanz der Bauindustrie vielgestaltigere Lösungen für differenzierte Situationen durchsetzen konnten und die Künstler*innen waren daran interessiert, durch Verständnis von Funktions- und Bedeutungshierarchien in der Stadt den dogmatischen Bildkonzepten eindimensionaler ideologischer Verkündigung seitens der Auftraggebenden zu entgehen. Hinzu kam, dass der Modernisierungsschub der 1960er Jahre die historischen Perspektiven verschob. Ulbricht definierte, nachdem in den 1950er Jahren die Grundlagen des Sozialismus geschaffen worden waren, die sozialistische Gesellschaftsordnung in der DDR als eine relativ eigenständige Gesellschaftsformation. Die Gesellschaft wurde stärker als eine auch weiterhin von verschiedenen Akteuren und Interessen getragene erkannt, deren Ausgleich – immer unter der Kontrolle der Partei und des Staates – diskursive und institutionelle Kopplungen benötigt. Das „Neue Ökonomische System der Planung und Leitung“ sollte, systemtheoretisch begründet, durch Ausgleich eine harmonische Entwicklung ermöglichen. Wenn es auch hier meist nur um Optimierung, nicht um tatsächliche Entwicklung ging, kam es dennoch in begrenztem Maße zu einer Öffnung der Debatten. Für das Thema der architekturbezogenen Kunst rückten damit solche Fragen in den Vordergrund, welche Funktion Architektur und bildende Kunst im Lebensprozess der Menschen überhaupt haben. Wie können

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Kunst am Bau in der DDR

Abb. 12 Stadtzentrum von Halle-Neustadt, links im Hintergrund das Bildungszentrum

Abb. 13 Josep Renau, Entwurf für die Wandbilder am Wohnheim und der Mensa des Bildungszentrums, 1968, Halle-Neustadt


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