Ada und Emil Nolde – Luise und Gustav Schiefler. Briefwechsel

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Indina Woesthoff Ada
B AN d 1 1906 –1914
und Emil Nolde Luise und Gustav Schiefler Briefwechsel

Ada und Emil Nolde — Luise und Gustav Schiefler Briefwechsel 1906—1914

herausgegeben von Indina Woesthoff und der Nolde Stiftung Seebüll

Briefwechsel

»Es ist immer ein Fest wenn ein Brief von Ihnen ankommt« 1906—1914

Indina Woesthoff Ada und Emil Nolde — Luise und Gustav Schiefler

Zur Erinnerung an meinen Bruder Marcus Kampf

1959–2019

Inhalt

BAND 1

Zum Geleit 9

Manfred Reuther und Christian Ring Vorwort und Dank 13 Abkürzungen 17 Editorische Hinweise 19 Kommentierte Quellen und Dokumente 1906—1914 21

BAND 2

Kommentierte Quellen und Dokumente 1915—1956 737

Biographie von Ada und Emil Nolde 1409 Biographie von Luise und Gustav Schiefler 1413

Stammbaum der Familien Schiefler, von Rose, Nolde und Vilstrup 1420 Bibliographie 1425 Ausstellungen 1457 Register 1475 Werkverzeichnis 1524 Bild- und Fotonachweis 1565

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Zum Geleit

»Es ist immer ein Fest wenn ein Brief von Ihnen ankommt«, schreibt am 6. Dezember 1912 Luise Schiefler an Ada Nolde. An dieser Freude möchten wir heutige Leserinnen und Leser teilhaben lassen, indem wir die vollständige Korrespondenz des Hamburger Juristen und Graphiksammlers Gustav Schiefler und seiner Frau Luise mit dem Künstler Emil Nolde und seiner Frau Ada veröffentlichen. Es handelt sich um die erste Publikation eines kompletten Schriftwechsels von Nolde aus dem reichen Bestand von über 25.000 Briefen allein im Archiv der Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde, das derzeit archivarisch erschlossen wird. Der Nachlass Gustav Schieflers liegt in der Handschriftenabteilung der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky.

Die Bekanntschaft begann im Jahr 1906 und dauerte über den Tod von Gustav Schiefler 1935 und von Ada Nolde 1946 fort. Erst nach dem Tod Noldes 1956 setzt Luise Schiefler den Schlusspunkt. In ihrem Beitrag zur Festschrift anlässlich der Eröffnung des Museums im ehemaligem Wohn- und Atelierhaus der Noldes am 25. April 1957 schreibt sie: »Es war immer ein Festtag, wenn Noldes uns besuchten [...].«1 Doch zurück zum Anfang: An die erste Begegnung im Mai 1906 erinnert sich Nolde in seiner Biographie: »In Hamburg stand ich in einer Kunsthandlung, meine Radierungen zeigend. Kopfschütteln war die Antwort. Aber es gäbe in Hamburg einen Herrn, der sich für ›so etwas‹ interessiere, zu dem sollten wir hingehen. Wir standen da; die Tür wurde uns geöffnet. ›Setzen Sie sich, bitte!‹ – Wir standen Gustav Schiefler gegenüber. Er schaute uns an, vom Mann zur Frau, von ihr zu mir. Wir setzten uns und saßen ernstlich viel redend mit seiner Gattin und mit ihm. Er faßte die Blätter an, schön wie es sein muß, nach und nach alle, und wieder schaute er sie an, mit Interesse und Liebe, so wie wir noch nicht es kannten.«2

Auch Schiefler hält das gegenseitige Interesse, das gleich zu Beginn bestand, fest. Für den 18. Mai 1906 notiert er in den 1920er-Jahren retrospektiv: »Es erschien ein etwa 40jähriger Mann von scheu-schüchternem Wesen, der sich Emil Nolde nannte. Er war sehr blond und mit leichtem Bartansatz. Er sprach einen nordfriesisch-dänischen Dialekt; seine junge Frau, die hübsch, aber äußerst zart aussah, begleitete ihn. Er zeigte Radierungen, die mir gut gefielen.«3 Wenige Tage später äußert er seine Wertschätzung in einem Brief an Nolde: »Ich möchte nicht unterlassen, Ihnen noch einmal schriftlich zu sagen, daß Sie mir durch Ihren Besuch eine große Freude gemacht haben. Es ist etwas so Erfrischendes, eine Künstlerpersönlichkeit kennen zu lernen, die selbständig ist und

1 Schiefler Luise 1957, S. 7.

2 Nolde 1934, S. 81.

3 Nr. 2, Schiefler, Nolde-Tagebuch, 18.5.1906.

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etwas neues zu sagen hat. Um so mehr wenn dieses Neue ein mehrfaches ist, und doch mit einander so Hand in Hand geht, organisch ist, wie es bei Ihnen mit der Technik und der Form und dem Rhytmus der Fall ist.«4

Mit einfühlsamer Kennerschaft und leidenschaftlichem Bekenntnis zur Kunst Noldes legt Schiefler den Grundstein der vertrauensvollen Freundschaft, die von den beiden nicht minder engagierten Frauen mitgetragen wird. Es ist ein seltener Glücksfall für die Forschung zu Emil Nolde wie auch für die zur Kunst des Expressionismus, dass sich die Korrespondenz zwischen dem Künstlerpaar und dem Sammlerpaar mit über 700 Briefen nahezu vollständig erhalten hat. Der Briefwechsel wird ergänzt durch Tagebuchnotizen und Auszüge aus den Agenden Schieflers sowie durch weitere Briefe und Dokumente. Die Autorin und Mitherausgeberin Indina Woesthoff, zweifelsohne beste Kennerin Gustav Schieflers, ausgewiesene Expertin der Kunst Emil Noldes und des deutschen Expressionismus, bearbeitete intensiv und kommentierte ausführlich den Briefwechsel über viele Jahre hinweg. Dafür hat sie eine Fülle von Dokumenten im Archiv der Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde, in öffentlichen Archiven und in Privatnachlässen dechiffriert und umfassend ausgewertet. Die Datierung vieler Werke, Reisen und Begegnungen Noldes lässt sich nun schlüssig nachweisen und teilweise neu belegen. Insbesondere im Kontext seiner eigenwilligen und stark überformten Selbstbiographie klären sich Zusammenhänge und zentrale Momente.

Die Nolde Stiftung Seebüll unterstützt aktiv den differenzierten Blick auf Emil Nolde, dessen vielen Facetten beständig neue hinzugefügt werden können. Die vorliegende Publikation steht für die von uns gepflegte kritische Auseinandersetzung mit Leben und Werk, die ganzheitlich auch die Einordnung in den historischen Kontext und Noldes Umfeld bedingt. Der Briefwechsel Nolde–Schiefler ist eine Quelle allerersten Ranges zum Verständnis von Leben und Werk des Künstlers, gleichzeitig von Schiefler, der nicht nur die Hamburgische Kunst- und Kulturgeschichte in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts geprägt hat. Seine Publikationen setzen bis heute gültige Grundlagen für die Kunstwissenschaft, wie beispielsweise die Verzeichnisse zur Druckgraphik von Edvard Munch, Max Liebermann, Ernst Ludwig Kirchner und nicht zuletzt Emil Nolde.

Die Veröffentlichung einer so umfänglichen Publikation benötigt zahlreiche Mitstreiter, denen wir herzlich danken möchten. Unser Dank schließt all diejenigen ein, die Indina Woesthoff dabei mit Informationen und Hinweisen weitergeholfen haben. Wir danken den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde, namentlich der stellvertretenden Direktorin Astrid Becker, die vom wissenschaftlichen Kurator Sören Groß unterstützt wurde. Beide begleiteten Indina Woesthoff in den vergangenen zwei Jahren unentwegt auf vielfältige Weise. Zu Dank verpflichtet sind wir weiteren Beteiligten, die die Publikation ermöglichten. Dem Deutschen Kunstverlag danken wir ebenso wie seinem engagierten Team um David Fesser, der Verlagskorrektorin Susanne Drexler und dem Graphiker Jan Hawemann.

4 Nr. 3, Schiefler an Nolde, 24.5.1906.

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Entscheidend für die Veröffentlichung war die Förderung der Drucklegung durch die Geschwister Ursula Villnow und den leider 2020 verstorbenen Kurt Schiefler. Ihnen Beiden möchten wir an dieser Stelle unseren sehr herzlichen Dank für ihr aktives Interesse an der Arbeit aussprechen, die wir nun mit ihrer Hilfe an die Öffentlichkeit bringen können.

Der Dank der Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde, die das Vorhaben schon früh durch ein Stipendium gefördert hat, gilt in erster Linie Indina Woesthoff. Ihre fachliche Expertise wird in Zukunft wichtige Impulse für die weitere Beschäftigung mit Leben und Werk Emil Noldes geben. Die Publikation der Korrespondenz Nolde–Schiefler setzt nicht nur für die Nolde-Forschung einen bedeutenden Meilenstein.

Über die Jahre der Entstehung hinweg danken nun gleich zwei Direktoren der Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde der Autorin für ihren leidenschaftlichen Einsatz, ihre Akribie, ihre profunde Kenntnis und nicht zuletzt für die stets vertrauensvolle und inspirierende Zusammenarbeit.

Prof. Dr. Manfred Reuther

Direktor der Nolde Stiftung Seebüll von 1992 bis 2012

Dr. Christian Ring

Direktor der Nolde Stiftung Seebüll seit 2013

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Vorwort und Dank

Als Emil Nolde am 18. Mai 1906 das Haus des Hamburger Oberlandgerichtsdirektors Gustav Schiefler erstmalig betrat, ahnten weder Künstler noch Kunstfreund, dass eine über vierzig Jahre währende freundschaftliche Verbindung vor ihnen lag. In dieser langen Ära wurden gemeinsame Projekte umgesetzt, man lernte sich immer besser kennen, es gab die eine oder andere Durststrecke und auch einige wenige Meinungsverschiedenheiten – nie aber versiegten die freundschaftlichen Gefühle, der Respekt vor der Arbeit des anderen und der vereinte Blick in eine Richtung. Künstlerisch zu gestalten und dies zu ermöglichen war das Ziel: »Man muss ein Werk schaffen« (Anton Tschechow).

Als ich Anfang der 1990er-Jahre erstmalig in Seebüll vorstellig wurde, um meinen Plan zur vorliegenden Briefedition vorzutragen, wusste ich nicht, wie viel Zeit bis zur endgültigen Umsetzung ins Land gehen sollte. Vielleicht war das auch besser so. Vom ersten Gespräch mit dem damaligen Direktor Martin Urban, der die wesentliche Hürde zur Veröffentlichung darin sah, in den damals noch begrenzten Räumlichkeiten der Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde einen Schreibtisch für mich zu finden, war es ein großer Fortschritt zur interessierten und vertrauensvollen Unterstützung durch den darauffolgenden Direktor Manfred Reuther. Nun ging es langsam, aber stetig mit dem Projekt voran. Direktor und Kuratorium ermöglichten es mir mit Großzügigkeit und Geduld, wofür ich nicht genug Dank sagen kann.

Großzügigkeit und sicherlich auch Geduld waren ebenso Tugenden, die Gustav Schiefler in seinem Umgang mit Nolde auszeichneten. Die »Künstlerpersönlichkeit«, der freie, ungebundene, schaffende Geist ganz im Sinne von Friedrich Nietzsche war das Ideal Schieflers. Er selbst hatte den wohlgeordneten bürgerlichen Verhältnissen in seiner Heimatstadt Hildesheim und einer vorhersehbar langweiligen juristischen Laufbahn im preußischen Staatsdienst den Rücken gekehrt, um frisch verheiratet mit seinem »Luischen« in die Freie und Hansestadt Hamburg zu ziehen und dort sein Glück zu suchen. Das fand er letztlich auch hier nicht in der Juristerei, sondern in der Kunst und in seinem unbedingten Einsatz für ›seine‹ Künstler. 1906 war Schiefler seit einem Jahr Oberlandgerichtsdirektor, seine Frau und er verfügten über ein angemessenes, wenn auch nicht üppiges Einkommen, man lebte mit vier Kindern und Hauspersonal in der Hamburger Oberstraße im Stadtteil Harvestehude.

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Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft und das langjährige Abenteuer einer Edition unter der Ägide gleich mehrerer Stiftungsdirektoren

Als Kunstsammler spezialisierte sich Schiefler auf zeitgenössische moderne Graphik. Diese Beschränkung war nicht nur selbstgewählt aufgrund des zur Verfügung stehenden Budgets, sondern ein Statement. Die jahrzehntelang fast ausschließlich zu Reproduktionszwecken fungierende Graphik gewann Ende des 19. Jahrhunderts neue künstlerische Bedeutung und machte es einer breiten Schicht von Sammlern möglich, Kunst zu erwerben und zu fördern. Einer der wichtigsten Befürworter dieser Bewegung war Alfred Lichtwark, erster Direktor der Hamburger Kunsthalle und lange Jahre hindurch Schieflers Mentor und Vorbild.

Einen bedeutenden Schritt stellte für Schiefler 1905 der Ankauf zweier Gemälde von Vincent van Gogh dar – vor diesen beiden Werken standen Emil Nolde und seine ihn schon beim ersten Besuch begleitende Frau Ada voller Begeisterung. Bestaunen konnten sie im Schieflerschen Haus neben der umfangreichen Graphiksammlung auch einige Gemälde von Edvard Munch. Munch – der Magier, der Zauberer, derjenige, der für Schiefler 1902 das Tor zur Moderne ganz weit aufgestoßen hatte und ebenfalls zum verehrten Freund wurde.

Es braucht oftmals eine besondere Persönlichkeit, um Dinge voranzutreiben und neue Impulse zu geben. Was konnte mir und der Briefedition Besseres widerfahren als Christian Ring? Als neuer Direktor der Nolde Stiftung Seebüll machte er mein Projekt auch zu seinem und nun konnte es wieder Fahrt aufnehmen. Ein weiterer Glücksfall war die Zusammenarbeit mit Astrid Becker als Gesprächspartnerin, als Ideengeberin, als Korrektiv und als unermüdlich Mitarbeitende am »Werk«. Ihnen beiden sowie Sören Groß und dem gesamten Team der Nolde Stiftung Seebüll sei an dieser Stelle von ganzem Herzen gedankt.

Fruchtbare Zusammenarbeit war es denn auch, was Künstler und Sammler Freunde werden ließ. Schon 1907 entstand der Plan Schieflers, zu Noldes Graphik ein Œuvreverzeichnis herauszugeben. Vorausgegangen waren seine Verzeichnisse zur Graphik der Jungen Hamburger, zu Edvard Munch und zu Max Liebermann. Schiefler war »[...] von der Überzeugung durchdrungen, daß eine Sammlung niemals ihren eigenen Wert in sich selbst habe; daß sie vielmehr ihre Existenzberechtigung erst dadurch erweise, wenn der Besitzer ihren Inhalt verarbeite und in irgendeiner Weise für die Allgemeinheit, wenigstens für den Kreis Gleichgesinnter nutzbar mache.«1

Nolde suchte zum Zeitpunkt der ersten Begegnung mit Schiefler nach Verbündeten: Das Jahr 1906 brachte wesentliche Fortschritte in seiner künstlerischen Entwicklung und erste Anerkennung auf breiterer Ebene. Durch Schieflers rühriges Werben in Hamburg und durch Noldes zwar nur kurze, aber wichtige Mitgliedschaft in der Dresdner Künstlergemeinschaft Brücke wurden Künstler und Werk bekannter. Von dem Œuvreverzeichnis seiner Graphik versprachen sich sowohl Schiefler als auch Nolde weitere positive Impulse. Dass es erst später als geplant erscheinen konnte, lag an der 1910 eskalierenden Auseinandersetzung Noldes mit Max Liebermann – die vorliegende Edition gibt davon in Briefen und Zeitdokumenten beredt Zeugnis.

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Schiefler 1974a, S. 27.

Erfreulicherweise waren es keine Streitpunkte, sondern schlicht die Fülle des Materials und der Anspruch, einen möglichst vollständigen und erhellenden Kommentar zu den Quellen zu verfassen, der die Briefedition zum mehrjährigen Projekt werden ließ. Nicht nur die unmittelbaren Angaben zu Personen und Vorgängen mussten erläutert werden, sondern darüber hinaus sollten die Zeitläufe mitsprechen. Vieles, was zur Entstehungszeit der Briefe vertraut und bekannt war, geriet in Vergessenheit. Und was ist ärgerlicher als während des Lesens immer wieder historische Daten und Fakten nachschlagen zu müssen, um die Zusammenhänge erkennen zu können? So wird in der Edition auch ein wenig Zeitgeschichte vermittelt, wozu manches Kuriosum gehört.

Zu Schieflers und Noldes Kreis der Gleichgesinnten zählten etliche Persönlichkeiten, die maßgeblich für die Klassische Moderne waren oder wurden. Auch diesen Stimmen wird Raum gegeben. Es finden sich Briefe von den Museumsdirektoren Alfred Lichtwark, Max Sauerlandt und Ernst Gosebruch, von Galeristen wie Paul Cassirer und Rudolf Probst und von privaten Sammlern, mit denen Schiefler oftmals in Kontakt stand, um für Nolde zu werben oder um für seine Œuvreverzeichnisse Auskünfte einzuholen. Edvard Munch kommt ebenso zu Wort wie Max Liebermann. Und zu Beginn der 1920er-Jahre mischen sich zwei neue Stimmen in den Chor: Die Schieflertochter Johanna und ihr Ehemann Otto Beyse. Auch hier ist es eine wunderbare Fügung, dass sich große Teile des Briefwechsels mit dem Ehepaar Nolde erhalten haben. Gustav und Luise Schiefler begrüßten es ausdrücklich, dass die alte Freundschaft in die neue, junge »hinübersprang«. Und noch die darauffolgende Enkelgeneration knüpfte und hielt Verbindungen zu »Tante Ada« und »Onkel Nolde« – so überdauerte die Freundschaft zwischen dem Künstlerehepaar und der Familie Schiefler ein halbes Jahrhundert. Sie setzt sich letztlich auch in der vorliegenden Edition fort: Die Großzügigkeit von Ursula Villnow, Carola Moussa und Wolrad Schiefler ermöglichte die Drucklegung – ihnen sei herzlich gedankt.

Mein ausdrücklicher Dank gilt einer langen Reihe von Personen und Institutionen, die auf vielfältige Weise Hilfestellung gaben. Neben der Nolde Stiftung Seebüll ist an erster Stelle die Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky als Bewahrerin des schriftlichen Nachlasses von Gustav Schiefler zu nennen. Das Team um Petra Blödorn-Meyer und ihr nachfolgend Mark Emanuel Amtstätter ermöglichte stets mit großem Enthusiasmus alles, was nötig war und darüber hinaus noch manches mehr. Besonderer Dank gilt Bernhard Fulda für Gespräche, Korrekturen, Anregungen und Freundschaft. Und diese Liste wäre nicht vollständig, ohne für die langjährige Geduld, Unterstützung, Kritik und Ermutigung zu danken, mit denen mich mein Mann und unsere Tochter stets begleiteten.

Zu danken habe ich: Mark Emanuel Amtstätter, Alexander Bastek, Astrid Becker, Anita Beloubek-Hammer, Heike Biedermann, Sabine Bleßmann, Petra Blödorn-Meyer, Birgit Dalbajewa, Andrea Diekert, Renate Ebner, Hans-Wilhelm Eckardt (†), Uwe Eckardt, Andreas Fluck, Bernhard Fulda, Andreas Gabelmann, Hans Geissler, Jörn Grabowski, Sören Groß, Eckart Haerter, Ute Haug, Hannah Christina Heilmann, Brigitte Heise, Margret Heuser, Meike Hoffmann, Karl-Ludwig Hofmann (†), Andreas Hüneke, Cornelia Junge, Susanne Krane, Sigrid Krause, Kunstbibliothek Staatliche Museen zu Berlin, Kunstmuseen Krefeld, Kupferstichkabinett Staatliche Museen zu

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Berlin, Hans-Ulrich Lehmann, Kerstin Letz, Petra Lewey, Ulrich Luckhardt, Bernhard Maaz, Roland März (†), Carola Moussa, Osthaus Museum Hagen, Wiki Pedia, Stefan Pucks, Brigitte und Manfred Reuther, Christian Ring, Karin Schick, Erbengemeinschaft Schiefler, Georg Schiefler (†), Kurt Schiefler (†), Wolrad Schiefler, Katja Schneider, Dieter Scholz, Jutta Schütt (†), Ulrich Schulte-Wülmer, Aya Soika, Marion Sommer, Staatsarchiv Hamburg, Stadtarchiv Krefeld, Bénédicte Verhegghen, Ursula Villnow, Bernd J. Wagner, Volker Wahl, Wolfgang Wittrock, Sabine Zeh und Roman Zieglgänsberger

Juli 2020

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Indina Woesthoff

Abkürzungen

ANS = Archiv der Nolde Stiftung Seebüll

Ausst.-Kat. = Ausstellungskatalog

Hs. = Handschriftlich

Hs. B. = Handschriftlich geschriebener Brief

Hs. Ms. = Handschriftlich geschriebenes Manuskript

Hs. P. = Handschriftlich geschriebene Postkarte

Hs. Z. = Handschriftlich geschriebener Zettel

Lichtwark-Tagebuch = siehe Lichtwark-Tagebuch [unveröffentlicht]

unter Schriften von Gustav Schiefler

Masch. B. = Maschinenschriftlich geschriebener Brief

Masch. P. = Maschinenschriftlich geschriebene Postkarte M./Mk. = Mark (1871–1924)

Ms. = Manuskript

NGS = Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky, Handschriftenabteilung, Nachlass Gustav Schiefler

Nolde-Tagebuch = siehe Nolde-Tagebuch [unveröffentlicht]

unter Schriften von Gustav Schiefler

RM = Reichsmark (1924–1948)

SAH = Staatsarchiv Hamburg

Schmidt-Rottluff-Tagebuch = siehe Schmidt-Rottluff-Tagebuch [unveröffentlicht] unter Schriften von Gustav Schiefler

Ts. = Typoskript

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Editorische Hinweise

Die originale Orthographie und Interpunktion sind weitestgehend beibehalten worden. Berichtigt sind sinnentstellende Flüchtigkeitsfehler (beispielsweise kleingeschriebene Anrede) und offensichtliche Tippfehler bei maschinengeschriebenen Briefen. Sprachliche Unebenheiten, die ihren Ursprung in der wörtlichen Übersetzung aus dem Dänischen haben, werden falls nötig erläutert. Die Schreibweise von »ss«, »ß« und »sz« wurde nach der alten deutschen Rechtschreibung und die Umlaute »ae«, »oe«, »ue« zu »ä«, »ö«, »ü« vereinheitlicht. Die dänischen Doppelvokale blieben erhalten. In den Kommentaren wurden die dänischen Personennamen der heutigen dänischen Schreibweise angepasst. Ortsnamen werden zweisprachig im Register wiedergegeben, wenn es die zeitweilig unter deutscher Verwaltung stehenden Gebiete in Dänemark (bis 1920) und in Osteuropa (bis 1945) betrifft. Ebenfalls sind bei Ortsnamen der ehemaligen Kolonien in Südostasien die zeitgenössischen und die heutigen Bezeichnungen im Register angegeben. Gustav Schiefler formulierte jahrelang kurze Einträge über die Ereignisse des Tages in kleinformatigen Agenden. Diese Notizen zeigen nur selten den Charakter von reflektierenden Tagebuchbemerkungen. Erst während der 1920er-Jahre begann Schiefler für einige Personen (Alfred Lichtwark, Max Liebermann, Edvard Munch, Emil Nolde, Karl Schmidt-Rottluff) aus den Agenden heraus von ihm sogenannte »Tagebuchblätter« zusammenzufassen, die zur Veröffentlichung bestimmt waren. Demgemäß sind diese Texte in manchen Passagen von Schiefler geglättet und aufgrund des zeitlichen Abstands interpretiert. Nur das »Tagebuch über Alfred Lichtwark« erschien für die Zeit von 1888 bis 1899 in zwölf Fortsetzungen in den »Hamburger Nachrichten«.1 Aus den Jahren 1908, 1909, 1914 und ab 1919 liegen keine Agenden vor.

Um Textwiederholungen zu vermeiden, sind die von Schiefler zusammengestellten Tagebuchblätter über Emil Nolde 1906–1908 nur dann einbezogen, wenn sie keine reine Zusammenfassung vorliegender Briefe und/oder Agenda-Einträge darstellen. Das vollständige Typoskript der »Tagebuchblätter« umfasst 33 Seiten.

Neben den Briefen von Luise und Gustav Schiefler und Ada und Emil Nolde werden zahlreiche Briefe und Dokumente anderer Verfasser und Institutionen veröffentlicht, wenn sie in direktem Zusammenhang stehen und dadurch Sachverhalte verdeutlichen. Diese Vorgehensweise hat ihren Ursprung in den von Schiefler angelegten Briefbänden: Er ließ jeweils zu Beginn eines jeden Jahres die gesamte Korrespondenz, die Kunst und Kulturpolitik betraf, nach Künstlern und Sachverhalten geordnet als Bücher binden. So gibt es aus den Jahren 1893–1929 insgesamt 60 Briefbände, dazu

1 Vgl. Gustav Schiefler, »Mit Alfred Lichtwark«, in: Hamburger Nachrichten, 15.8.1924, 8.9.1924, 1.10.1924, 18.10.1924, 4.11.1924, 14.2.1925, 19.2.1925, 20.2.1925, 16.10.1926, 12.11.1926, 8.1.1927, 28.1.1927.

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weitere Korrespondenz als ungebundene Nachträge und in Mappen geordnet.2 Bei der Aufnahme der Dokumente für die vorliegende Edition sind die auf Nolde bezogenen Konvolute möglichst vollständig erfasst, so dass auch die begleitende Korrespondenz mit Sammlern, Museumsleuten, Druckern und Verlegern zugänglich ist. Im zweiten Teil der Edition ab 1915 werden auch auszugsweise Briefe der Schieflertochter Johanna und ihres Ehemanns Otto Beyse berücksichtigt.

2 Vgl. Schiefler 1999.

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1906

1. Visitenkarte Emil Nolde

Gedruckte Visitenkarte. Handschriftlich mit Bleistift von Emil Nolde hinzugefügt: »u. Frau«.

NGS : B : 10 : 1906,1 : 18

2 . Gustav Schiefler, Nolde-Tagebuch, 18 .5.1906

Die Commetersche Kunsthandlung meldet telephonisch, es sei dort ein Künstler, der ähnlich wie Munch male; ob sie ihn mir schicken dürften. Ich antworte, ich legte auf Leute, die wie Munch malten, kein Gewicht. »So sei es nicht gemeint; er sei kein Nachahmer des anderen, sondern doch ein selbständiger Künstler.« »Gut, dann möge er kommen.«

Es erschien ein etwa 40jähriger Mann von scheu-schüchternem Wesen, der sich Emil Nolde nannte. Er war sehr blond und mit leichtem Bartansatz. Er sprach einen nordfriesisch-dänischen Dialekt; seine junge Frau, die hübsch, aber äußerst zart aussah, begleitete ihn. Er zeigte Radierungen, die mir gut gefielen. Sie waren stark mit Ton geätzt; er sagte, der Ätzgrund sei oft mit dem Finger bearbeitet und damit, wenn es ihm erwünscht erschienen, weggewischt. Oftmals habe aber auch die Nadel durch den Ätzgrund hindurch das Metall angefaßt, und so komme es, daß gelegentlich Wirkungen eines Grates, – der sonst eine Eigenschaft der Kalten Nadel sei, sich geltend mache. Besonders merkwürdig sind eine Kollektion von Blättern, die er »Phantasien« nennt, die in eigentümlich malerisch toniger Technik sehr unrealistische Darstellungen geben. Eins dieser Blätter, das er »Lebensfreude« genannt hat, zeigt die Gestalten von Mann und Frau, die gleichsam Teig-artig auseinanderlaufen.

Er hatte seiner Frau ein Exemplar dieser Radierung in ihr Krankenzimmer in der Klinik gehängt, und sie bestätigte, daß trotz der Schmerzen, die sie gepeinigt, sie dadurch immer fröhlich geworden sei.

Ich kaufe drei Blätter, die nicht zu diesen Phantasien gehören: einen kauernden weiblichen Akt, zwei Frauen in Unterhaltung und eine Männergesellschaft an einem Tisch (letzteres für Luise) für den Preis von 60 Mk. Noldes beide, er und sie, hatten große Freude an den Bildern, die an unseren Wänden hingen, besonders an den Munchs und van Goghs. Er erzählt, daß er aus der Gegend

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1 Visitenkarte von Emil Nolde. NGS : B : 10 : 1906,1 : 18

von Tondern gebürtig sei. Sie hätten jetzt den Winter über in Soest gelebt und gingen nun in ihr kleines Häuschen, das sie von einem Bauern auf Alsen gemietet haben.

Ts. NGS : Acd : 2 : 1 36

Commetersche Kunsthandlung: Die Galerie Commeter, Hamburg, Hermannstraße 48 , wurde 1821 gegründet. 1879 trat Wilhelm Suhr (1852 1927) in die Firma ein. 1888 wurde er Teilhaber, 1896 alleiniger Inhaber der Kunsthandlung und ab 1905 beteiligte er seinen Sohn Wilhelm Suhr Junior (1877 1952) an der Geschäftsführung. Vgl. Haug 2016 . Bei den Zeitgenossen galt Commeter, wie die Kunsthandlung zumeist abgekürzt genannt wurde, als die modernste der Stadt. Suhr Junior unterstützte den Hamburgischen Künstlerclub von 1897 und hatte 1905 1907, durch Schieflers Vermittlung, den Vertrieb der Gemälde Edvard Munchs (1863 1944) inne. Nachdem Paul Cassirer 1906 die Hamburger Dependance seiner Berliner Galerie geschlossen hatte, vertrat Suhr auch dessen Interessen in Hamburg. Nolde wurde schon in Berlin von Cassirer auf die Hamburger Galerie hingewiesen.

ähnlich wie Munch: Nolde musste sich schon frühzeitig mit den stetigen Verweisen auf die künstlerische Nähe zu Edvard Munch auseinandersetzen. Er fasste dies eher als Ansporn denn als Kritik auf. Vgl. Fluck 1999/2000

Radierungen [...] »Phantasien« [...] Ich kaufe drei Blätter: Nolde hatte die im Winter 1905 entstandene Mappe der radierten »Phantasien« (Sch/M R 8 15) mitgebracht, dazu einzelne Arbeiten und die Stadtansichten aus Soest vom Frühjahr 1906 . Schiefler kaufte die Blätter »Zwei Frauen«, 1906 (Sch/M R 28 III), »Akt«, 1906 (Sch/M R 34 II a), und »Tischgesellschaft«, 1906 (Sch/M R 38 II). Die »Phantasien« erwarb er ein Jahr später vollständig.

Krankenzimmer: Ada Nolde verbrachte im Winter 1905/06 mehrere Wochen im Sanatorium Dr. Otto Peyer in Neunkirch bei Schaffhausen, Schweiz, und in der privaten Frauenklinik von Dr. Oskar Weiß (1873—1952) in Hilchenbach. Währenddessen hielt Nolde sich überwiegend in Berlin und in Braubach am Rhein auf.

Munchs und van Goghs: Schiefler kaufte 1905 von Johanna van Gogh-Bonger (1862 1925), der Schwägerin von Vincent van Gogh (1853 1890), zwei Gemälde: »Blumengarten in Arles«, 1888; »La Roubine du Roi«, 1888 . Vgl. Woesthoff 1996 , S. 222 233. Von Edvard Munch besaß er seit 1903 die Gemälde »Winterwald«, 1900/01 (Woll M 479), und »Mädchenakt auf rotem Tuch«, 1902 (Woll M 510). 1908 folgte »Gustav Schiefler«, 1908 (Woll M 818), und 1913 »Beschneite Felder. Winter in Elgersburg«, 1906 (Woll M 672), sowie »Badender Knabe. Jugend«, 1910 (Woll M 898). Schiefler erwarb damit als erster Hamburger Sammler Gemälde von Munch und Van Gogh.

Soest: Im Frühjahr 1906 bekam Nolde durch die Vermittlung von Karl Ernst Osthaus (1874 1921), dem Gründer des Hagener Folkwang Museum, ein Stipendium des Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein. Um den Statuten zu entsprechen, musste er für einige Zeit seinen Wohnsitz in Westfalen nehmen. Das Ehepaar Nolde verbrachte die Monate März bis Ende Mai 1906 und von November 1906 bis Mitte Januar 1907 in Soest.

.5.1906

Hamburg 24. Mai 1906

Sehr geehrter Herr Nolde!

Ich möchte nicht unterlassen, Ihnen noch einmal schriftlich zu sagen, daß Sie mir durch Ihren Besuch eine große Freude gemacht haben. Es ist etwas so Erfrischendes, eine Künstlerpersönlichkeit kennen zu lernen, die selbständig ist und etwas neues zu sagen

1906 24
3 . Gustav Schiefler an Emil Nolde, 24

2 und 3 Umschlag des ersten Briefes von Gustav Schiefler an Emil Nolde, 24.5.1906

hat. Um so mehr wenn dieses Neue ein mehrfaches ist, und doch mit einander so Hand in Hand geht, organisch ist, wie es bei Ihnen mit der Technik und der Form und dem Rhytmus der Fall ist. Es hat etwas so Ruhiges und Abgewogenes, wie Sie die Figuren in den Raum der Platte hineinkomponieren, daß sich in der Erinnerung das absolute Größenmaß, in dem man die Sache gesehen hat, verwischt, und die Darstellung ins Große wächst. Mir scheint ein Beweis, daß das, was man Monumentalität zu nennen pflegt, (ein häßliches Wort) darin ist. »Größe« ist wohl richtiger, bezeichnender, und im Sinn und Ausdruck vornehmer. Zu dieser Eigenschaft paßt die Technik mit ihrer einfachen und doch nicht eintönigen Flächenbehandlung so gut. Es waren so manche starke und eindrucksvolle Blätter unter der Collection, daß es mir leid that, dem Zustand meiner Kasse Rechnung tragen und mich auf die geringe Auswahl beschränken zu müssen; ich hoffe aber später die kleine Sammlung noch etwas vermehren zu können.

Ich würde gern, wenn im Herbst die Sitzungen der Gesellschaft Hamburgischer Kunstfreunde wieder beginnen, die Blätter dort vorführen, und würde Ihnen dankbar sein, wenn Sie mir eine Auswahl zu diesem Zwecke schicken würden. Ich werde, wenn es soweit ist, auf die Sache zurückkommen und mich melden.

Daß Ihre Frau Gemahlin Sie begleitete, war für meine Frau und mich eine Freude. Sie gehört offenbar so zu Ihnen und Ihrem künstlerischen Schaffen, daß es nur ein halbes Kennenlernen gewesen wäre, wenn Sie allein gekommen wären.

Mit Lichtwark habe ich auch über Ihre Sachen gesprochen. Sie hatten ihn sehr interessiert, und er sprach auch mir gegenüber von der Absicht, später dann für das Kabinet zu erwerben.

Meine Frau und ich sagen Ihnen und Ihrer Frau Gemahlin beste Grüße und hoffen Sie in nicht allzu ferner Zeit wiederzusehen.

In größter Hochachtung Ihr ergebener Schiefler

Hs. B. Adressiert an: »Herrn Emil Nolde, Kunstmaler, Insel Alsen, Guderup auf Alsen«. Verso Postvermerk: »Ohne nähere Wohnungsangabe nicht zu ermitteln«. ANS

1906 25

und

Indina Woesthoff Ada und Emil Nolde Luise
Gustav Schiefler Briefwechsel B AN d 2 1915 –1956

Ada und Emil Nolde — Luise und Gustav Schiefler Briefwechsel 1915—1956

herausgegeben von Indina Woesthoff und der Nolde Stiftung Seebüll

Woesthoff Ada und Emil Nolde — Luise

und

Gustav Schiefler Briefwechsel »Möchten wir noch ein recht weites und gutes Stück Leben miteinander gehen« 1915—1956

Indina

Inhalt

BAND 1

Zum Geleit 9 Manfred Reuther und Christian Ring Vorwort und Dank 13 Abkürzungen 17 Editorische Hinweise 19 Kommentierte Quellen und Dokumente 1906—1914 21

BAND 2

Kommentierte Quellen und Dokumente 1915—1956 737

Biographie von Ada und Emil Nolde 1409 Biographie von Luise und Gustav Schiefler 1413

Stammbaum der Familien Schiefler, von Rose, Nolde und Vilstrup 1420 Bibliographie 1425 Ausstellungen 1457 Register 1475 Werkverzeichnis 1524 Bild- und Fotonachweis 1565

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1915

Guderup. 7.1.15. Liebe Johanna, Wir freuten uns so sehr über Ihre Nachrichten u. guten Wünsche. Ein Vorhang glitt weg u. wir sahen Schieflers alle im kleinen Korridor am Telephon, glücklich u. strahlend mit dem lieben Soldat sprechen. Wir hörten, wie es durch das ganze Haus ging: Gustav ist am Telephon, – u. nachher die Versammlung in Papas Zimmer.

Die Nachricht war auch für uns eine große Freude.

Wir hatten im Felde 5 Soldaten an die wir ab u. zu eine Kleinigkeit senden, jetzt sind es nur noch 3 u. der dritte antwortet beunruhigend lange nicht mehr. Er ist Ordonanz. Ein anstrengender Posten.

Es ist fein, daß Sie so viel Freude von Ihren Stunden haben. Mein Mann sendet Ihnen seine Anatomie, die ist einfach u. gut. Wenn Sie sie mal nicht mehr brauchen, kann sie an uns wieder zurückgehen. Hoffentlich haben Sie Freude daran.

Ich hatte viel Freude von meinem Weihnachtsfest für die Dorfkinder, 11 an der Zahl.

Jetzt gehen die kleinen u. schmücken zu Hause kleine Bäume, u. es muß alles sein: »wie bei Tante Nolde«. Ich hatte kleine Verse für sie geschrieben, die dichten sie um, u. legen sie unter ihren Weihnachtsbaum.

Trotz allen bösen Gerüchten von neuen Feinden Deutschlands, verläßt uns der Siegesgedanke nicht u. unsere wundervollen Soldaten geben uns täglich den Beweis, daß wir Recht haben. – Wissen Sie ob auch Doggen als Sanitätshunde verwendet werden können? Tor ist wohl mit den 100 Hamburger Sanitäts-Hund weg?

Unser Leben ist äußerlich eintönig aber gut, wir wollen jetzt anfangen kein Weißbrot mehr zu essen, sondern eine Mischung von Roggen u. Weizen. Wenn alle wir Norddeutschen das täten würden wir vielleicht keine Weizennot bekommen. Und wir dürfen keine Not bekommen.

Seien Sie u. alle aufs herzlichste gegrüßt von uns. Ihre Ada Nolde.

Hs. B. Ohne Briefumschlag. Privatbesitz

Gustav: Carl Gustav Schiefler.

im Felde 5 Soldaten: Vgl. Nolde 1965, S. 139 140

Ordonanz: Ein Ordonnanzoffizier ist als zumeist dienstjüngerer Offizier einem höheren Offizier als Gehilfe und Diener zugeteilt. Zu den Aufgaben zählt oftmals der Einsatz als Bedienung in Offizierskasinos und -messen.

seine Anatomie: Im ANS befindet sich ein von Nolde verfasstes Notizbuch mit der Aufschrift »Anatomie. H. Emil Hansen. Februar A. 1888 /89«. Es hat ungefähr das Format Din A4 (Quart). 49 Seiten sind handschriftlich mit Feder beschrieben und mit detaillierten anatomischen Zeichnungen versehen. Der Großteil des Notizheftes ist unbeschrieben (Abb. 96 97).

Doggen: Vgl. Nr. 825, Schiefler an Ada und Emil Nolde, 1.10.1914. Noldes gaben ihre Dogge Fajo nicht zum Kriegsdienst fort.

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848 . Ada Nolde an Johanna Schiefler, 7.1.1915

96 und 97 Zwei Seiten aus »Anatomie. H. Emil Hansen. Februar A. 1888/89« von Emil Nolde, beigefügt Nr. 848. ANS

Weizennot: Schon wenige Monate nach Kriegsausbruch fanden sich in den Tageszeitungen zahlreiche Aufrufe zur »Essensreste-Verwertung«, zum Lebensmittel-Sparen und für eine schlichte Grundnahrungsküche. Ab dem 25 1 1915 wurden Brotmarken ausgegeben.

849. Gustav Schiefler, Agenda, 7.1.1915

Frau Nolde schickt Johanna Noldes Anatomie mit fabelhaft korrect-sicheren Zeichnungen Handschriftlich. Privatbesitz

850. Luise Schiefler an Ada Nolde, 8 .1.1915

Hamburg, den 8. Jan. 15. Liebe Frau Nolde, Sie haben Johanna mit Ihrem Brief und der Übersendung des Anatomiebuches eine gr Freude gemacht. Inzwischen ist heute früh Gustavs Brief hier von seiner VerwandtenRundreise eingelaufen, und ich schicke ihn Ihnen auch zur Kenntnisnahme und bitte um Rücksendung. Seit dem Brüsseler Brief vom 28. Dez. haben wir nichts wieder gehört. Aber nach den Zeitungsberichten ist die Gegend um La Bassée immer im Feuer, auch dort schießen jetzt die Franzosen ihre eigenen Dörfer hinter der Front. So mag es ja auch kommen, daß Gustav gar nicht wieder fortgereist ist, um aus Brüssel das Instrument zu

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holen. Es ist aber so merkwürdig, wenn man wie wir den ganzen 2 . u. 3. Jan. von Minute zu Minute wartet, angerufen zu werden und dann, nachdem man so deutlich die Stimme gehört hat, plötzlich alles still ist, keine Nachricht kommt. Es heißt, bis zum 3. Januar sei dort alle Post gesperrt, da dürfen wir wohl erst vom 10. an wieder hoffen. Uns geht es gut. Wir führen hier ein behagliches Leben wie noch nie in Hbg. Ich genieße es recht, 2 nette Mädchen zu haben. Es gefällt mir auch so, früh 1/2 2 Uhr zu essen, dann ruht man ein wenig, dann giebt es um 4 Uhr Kaffee. Abends gehen wir öfters in Vorträge, sind auch verschiedentlich im Theater gewesen. Gestern sahen wir im Thalia (ich war zum 1. Mal dort) den Jahrmarkt von Pulsnitz von Harlan. Es war ein lustiges nettes Stück und bei aller Fröhlichkeit hatte es nichts Verletzendes für diese Zeit. Ihre schönen Blätter machen uns viel Freude. Mein Mann, der jetzt alles noch intensiver genießen kann, hat immer das eine oder andere im Zimmer stehen. Verehrer haben Sie in dem Lichtwarkschen Assistenten Dr. Böger der Kunsthalle, Pauli hingegen will vorläufig noch nicht verstehen. Doch davon hat mein Mann Ihnen letzthin wohl geschrieben. Viele herzliche Grüße von uns Ihnen Beiden Ihre Luise Sch.

Hs. B. Adressiert an: »Frau Ada Nolde, Guderup auf Alsen«. ANS

die Gegend um La Bassée: Vgl. Nr. 836, Luise Schiefler an Ada Nolde, 6 11 1914

Thalia: Thalia Theater. Jahrmarkt von Pulsnitz: »Jahrmarkt in Pulsnitz«, Lustspiel (1904) von Walter Harlan (1867 1931), Bühnenschriftsteller und Dramaturg am Berliner Lessingtheater.

Dr. Böger: Hans Börger (1880 1971), Kunsthistoriker. Schüler von Heinrich Wölfflin und Adolph Goldschmidt (1863 1944). In der Hamburger Kunsthalle war er vor allem als Numismatiker tätig. Vgl. Börger [1922].

letzthin wohl geschrieben: Ein entsprechender Brief von Schiefler an Nolde liegt nicht vor.

851. Ada Nolde an Luise Schiefler, 19.1.1915

19.1.15.

Liebe Frau Schiefler. Wir danken Ihnen Tausend mal, daß Sie an uns dachten mit Gustavs Brief. Es ist eine bewunderungswürdige Leistung, daß er so klar u. sachlich über seine täglichen Erlebnissen, die doch so bewegt sind, schreiben kann. Seine Ausführungen geben einem einen Begriff von der ganzen Art u. dem Gang der einzelnen kleinen Schlachten. Als Sie uns schrieben, daß eine zweite Telefonunterhaltung bevorstände, fürchtete ich schon daß Sie enttäuscht werden könnten, denn wie leicht greift die große Maschinerie nicht in die Pläne der einzelnen Menschen ein. Ob inzwischen Nachrichten gekommen sind?

Der Sieg von Soissons hat uns mit viel Freude erfüllt, auch deshalb, weil er doch gewiß eine viel weitergehende Bedeutung hat, als die Gefangennahme u. die Eroberung der Höhe. Und jetzt der Frost der wird in Rußland helfen.

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Wenn nur kein Materialmangel irgendwelcher Art eintreten wird, dann ist der Sieg sicher unser. Wir brennen darauf daß die Unterseeboote anfangen sollen die englischen Handelsschiffe zu torpedieren. Es giebt kein Mitgefühl mehr, es giebt nur Rache u. Größe. Jetzt haben die Engländer alles für sich verdorben. Sie haben wohl gelesen was Bernhard Shaw geschrieben hat. Er ist mutig. Und die Schumann-Heink möchte ich umarmen. Die Kunst darf auch in diesem Sinne wirken. Commeter wünscht eine Ausstellung im März u. schrieb daß Sie sprechen möchten, lieber Herr Schiefler. Es ist uns eine ganz besonders große Freude. Wir haben zu dem Zweck hier frühe Zeichnungen ausgesucht, sogar bis zurück in die Schulzeit, ich glaube sie sind sehr überzeugend. Es war interessant zu hören daß der Assistent Paulis sich für m Mann interessiert (Herr Schiefler hatte doch mal darüber geschrieben) Also Pauli nicht selbst – dann werden wir kaum erleben, daß der Direktor der Hamb. Kunsth. sich f m M interessiert. – Suhr übertrifft alles an Höflichkeit. –Sie schrieben von den Drucken, es sind diese Lithographien von denen nur je 1 Expl. existiert in dieser Fassung, die mein Mann einstweilen als eigene behalten möchte. Aber vor unserer Reise, glaube ich, schrieb er darüber. –Meine kleine Arbeit von der Reise ist fertig, sie machte mir Freude, wir erlebten alles so gern nochmal. –Gruß an das Haus, an Sie alle, u. gute Wünsche. Herr Schiefler, als Ihr Geburtstag fiel lag ich zu Bett in meinem Hals u. konnte weder denken noch fühlen. Jetzt aber gehen unsere wärmsten Wünsche an Sie. Sonnig u. warm werde Ihnen Ihr neues Lebensjahr.

Ihre Ada Nolde.

Was macht der Redaktör? Gewiß eine feine Aufgabe. Meine Bewunderung für Fuhrmanns wächst, je mehr ich lese. Er ist stark, reich u. eigen. Sehr deutsch. Gruß!

Wo können wir die »Literarische Gesellschaft« abonnieren??

Hs. B. Ohne Briefumschlag.

NGS : B : 28 : 1914,1 : 143 144

Soissons: Während der Schlacht bei Soissons vom 8. bis 15 1 1915 gelang den deutschen Truppen ein Vorstoß auf französisch besetztes Gebiet. Die Stadt Soissons und die Kathedrale wurden dabei stark zerstört und ca. 25 000 Soldaten starben.

Bernhard Shaw: George Bernard Shaw (1856 1950), irischer Schriftsteller und Dramatiker. Am 14.11.1914 veröffentlichte Shaw in der Zeitschrift »New Statesman«, die er 1913 mitbegründet hatte, das Manifest »Common Sense about the War« gegen den Krieg. Seiner Meinung nach hatten sowohl die englischen als auch die deutschen Politiker versagt. Seine ›Empfehlung‹: Die Soldaten aller Armeen sollten ihre Offiziere erschießen und dann friedlich nach Hause gehen. Anfang Januar 1915 druckten zahlreiche deutsche Zeitungen Shaws »Offenen Brief an Sir Edward Grey«, den englischen Außenminister (1862 1933). Shaw stellte sich gegen die englische Kriegspolitik, sprach England eine Mitschuld an den Zerstörungen in Belgien zu und relativierte damit die Rolle Deutschlands als alleinigem Aggressor.

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