KÖRPERBILDER DER MACHT: 1300–1800
Beiträge zu einer Ikonographie des Politischen in Aktion Herausgegeben von Jörge Bellin und Ulrich Pfisterer
ISBN 978-3-422-98767-8 e-ISBN (PDF) 978-3-422-80087-8
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Einbandabbildung: Skokloster-Hand. Rechte Kunsthand (Eiserne Hand), 16./17. Jahrhundert. Schloss Skokloster, Inv.-Nr. 12286. Creative Commons: Skokloster Castle / Jens Mohr / CC BY-SA 3.0
Satz: Rüdiger Kern, Berlin
Druck und Bindung: Elbe Druckerei Wittenberg GmbH
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Inhalt
Jörge Bellin/Ulrich Pfisterer In Aktion: Körperbilder der Macht 9
Jörge Bellin a Auf die Welt kommen / Kind sein 17
Matthias Müller b Anschauen und Wegschauen 41
Nadja Horsch c Stehen und Schreiten 58
Ilaria Hoppe d Sitzen und Liegen 72
María Ángeles Martín Romera/Hannes Ziegler e Zuhören, Sprechen, Schweigen 84
Ulrich Pfisterer f Lieben 98
Molly Taylor-Poleskey g Essen und Trinken 123
Christina Posselt-Kuhli h Handwerkliches und künstlerisches Produzieren 137
Rahul Kulka i Lernen 148
Julia Saviello j Jagen 162
Friedrich Polleroß k Kämpfen 176
Anna Lena Frank l Beten und Büßen 191
Bernhard Seidler m Kranksein und Leiden 214
Jörge Bellin n Lachen und Weinen 239
Marlen Schneider o Musizieren und Tanzen 263
Dagmar Probst p Mutter sein 277
Andreas Plackinger q Vater sein 291
Maurice Saß r Reiten 306
Anna Pawlak s Fahren 323
Claudia Olk t Zuschauen (Theater und Kunst) 340
Ariane Koller u Schön und Hässlich sein 354
Pablo Schneider v Steuern 369
Romana Sammern w Sport und Wettkampf 389
Marisa Mandabach x Hybride, artifizielle Körper 401
Etienne Jollet y Ausdruckslosigkeit 419
Birgit Ulrike Münch z Altern, Sterben und Totsein 431 Bildnachweis 445 Personenregister 451
In Aktion: Körperbilder der Macht
Vom 4. bis zum 6. Januar 1378 fand ein bedeutender, ausnehmend gut dokumentierter ‚Staatsbesuch‘ in Paris statt: Der 62-jährige römisch-deutsche Kaiser Karl IV . hatte trotz seiner Gichtleiden die beschwerliche Reise von Prag auf sich genommen, um seinen französischen Neffen Karl V., König von Frankreich, zu sehen.1 Neben einem in der modernen Edition der Grandes Chroniques de France nahezu 90 Seiten um fassenden Bericht und 18 zugehörigen Miniaturen in einem persönlichen Exemplar Karls V.2 hat sich auch ein zeitgenössisches Memorandum erhalten, das die Zeit von der Begrüßung des Kaisers bis zum Festessen am dritten Tage umfasst.3 Der Ablauf der Ereignisse lässt sich nach den vorhandenen Quellen wie folgt zusammenfassen: Zunächst besucht der Kaiser die Messe in Saint-Denis, wo er betet und die dort aufbewahrten Reliquien verehrt. Danach erwartet er auf einer Liege die Ankunft von 2000 uniform und prächtig gekleideten Bürgern der Stadt Paris, gefolgt von
Abb. 1: Einzug Karls V., Karls IV. und Wenzels von Böhmen in Paris (Detail), aus: Grandes Chroniques de France (Paris, Bibliothè que nationale de France, Ms. fr. 2813, fol. 470v).
Abb. 2: Das große Festessen, aus: Grandes Chroniques de France (Bibliothèque nationale de France, Ms. fr. 2813, fol. 473v).
120 Offizieren. Mit diesem Empfangskommittee und zusammen mit den Herzögen von Burgund, Berry, Bourbon und Bar bricht der Kaiser zu Pferd auf. Die Entou rage geleitet ihn nach La Chapelle und reiht sich dann nach Verlassen des Ortes auf dem Feld in Schlachtordnung auf. Der Kaiser, nun auf einem anderen Pferd reitend, wird erneut von den Prinzen von Geblüt zwischen La Chapelle und Paris empfangen. Nach der Begrüßung, während derer sowohl die Prinzen wie auch der Kaiser den Hut ziehen, halten sie gemeinsam in Paris Einzug, wo Charles du Poitiers und Bureau de la Rivière den Kaiser am Zügel bis zum Louvre-Palast geleiten. Dort trifft dieser auf den ebenfalls von zwei Hochadligen geleiteten Karl V., um mit großem Gefolge in den Palast einzuziehen (Abb. 1). Die Soldaten des Königs mit großen Schilden in der Hand folgen zu Fuß, „damit das Volk Kaiser und König sehen kann“. An diesem Abend diniert Karl V. ohne den Kaiser, der sich wegen seiner Gichtschmerzen zurückzieht. Am nächsten, dem Epiphanias-Tag, wohnen beide Monarchen der Messe in der Sainte-Chapelle bei. Als Teil der liturgischen Handlung wird die Überreichung der Geschenke der Heiligen Drei Könige szenisch dargeboten, es folgt ein weiteres prachtvolles Festessen, an dem nun auch der Kaiser teilnimmt. Nach drei opulenten Gängen, die genau dokumentiert sind, schauen sich die Anwesenden schließlich eine Aufführung an, die von Gottfried von Bouillon und der Eroberung Jerusalems handelt, und deren aufwendige Inszenierung – unter anderem mit einem mehr als mannshohen Schiff – eine Miniatur der Grandes Chroniques festhält (Abb. 2).
Abb. 3: Kaiser Karl IV. besucht die Königin Jeanne de Bourbon, aus: Grandes Chroniques de France (Bibliothèque nationale de France, Ms. fr. 2813, fol. 477r).
Die folgenden zwei Wochen sind zwar nicht mehr ganz so dicht durchorgani siert, warten aber gleichwohl mit zahlreichen weiteren repräsentativen Ereignissen auf: darunter eine Fahrt mit dem königlichen Schiff auf der Seine; das Anhören aka demischer Lobreden an der Pariser Universität; das Besichtigen nahezu sämtlicher architektonischen Projekte, die Karl V. bauen und entwerfen lässt; ein Besuch des Wallfahrtsorts St-Maur-des-Fossés, wo Karl IV . und Wenzel die Reliquien des heiligen Maurus anbeten ; und nicht zuletzt persönliche Begegnungen, die weniger die politische als vielmehr verwandtschaftliche Nähe beider Dynastien zelebrieren. Am 10. Januar etwa trifft der Kaiser die königliche Familie im Hôtel Saint-Pol, darunter Jeanne de Bourbon, Gemahlin des französischen Königs, und seine Schwägerin Isa bella, Herzogin von Bourbon und Schwester der ersten Gemahlin des Kaisers, die er nach dem Bericht des Chronisten besonders herzlich und sogar mit Tränen in den Augen umarmt (Abb. 3).
Diese summarische Zusammenstellung der Pariser Ereignisse des Jahres 1378 soll vor allem eines exemplarisch deutlich machen: Ein solcher ‚Staatsakt‘ wird wesent lich bestimmt von Aktionen und Interaktionen der Herrscher- und HerrscherinnenKörper: Reiten, Beten und Verehren, Fahren und Einzug halten, Essen und Trinken, (Zu-)Schauen, Kämpfen, Weinen und Berühren – Tätigkeiten, die sich stets im Spannungsfeld von zeremonieller Vorgabe und tatsächlich-kontingenter Realisierung entfalten. Wobei diese Handlungen dann auch entscheidend die Texte und Bilder
strukturieren, die das Geschehen im Nachhinein auf Dauer stellen, (teils) idealisieren und deuten.4
Dem folgenden Sammelband geht es genau darum: die Darstellungsformen von Herrschenden in Europa zwischen 1300 und 1800 in ihrer auf den Körper bezoge nen und vom Körper bedingten Herrschaftspraxis. Es geht um Macht in actu, um die mannigfaltigen Formen einer die Herrschaft stützenden und legitimierenden, ritualisiert-zeremoniellen oder auch spontanen Aktivität des Herrscher- und Herrscherinnen-Körpers und deren mehr oder weniger exemplarische Überführung und Kodifizierung (oder eben auch bewusste Manipulation bzw. Unterdrückung) im Bild.
In europäischen Gesellschaften des Mittelalters und der Frühen Neuzeit steht der Herrscherkörper für die jeweilige politische Ordnung ein: Er ist ihr Garant und ihre bevorzugte Projektionsfigur. Mit diesem Körper wird die Macht des Fürsten nicht nur vorgeführt, sondern der Körper, seine Aktionen und die vielfältigen Repräsen tationsformen konstituieren diese überhaupt erst – Macht bedeutet Verkörperung, Choreographien der Macht sind Aktionen der Herrscherkörper.5 Die Spannung, die zwischen der Kontingenz, Vergänglichkeit und Fragilität der natürlichen Körper der Herrschenden und ihren offiziellen ‚Herrschaftskörpern‘ entsteht, konnte seit dem 16. Jahrhundert explizit als Differenz von endlichem body natural und unsterblichem body politic thematisiert werden. Das aktuelle Interesse der Geschichtswissenschaf ten (aber auch der Soziologie, Politikwissenschaft, gender studies, Ethnologie usw.)6 an Zeremoniell, Ritual und der gesamten praxeologischen Dimension von Herr schaft hat die Beschäftigung mit allen Handlungen der Macht und mit fürstlichen Körpertechniken enorm intensiviert: Neben den alten Fokus auf die Mechanismen und ‚Bühnen‘ des Herrschens tritt eine Analyse der Mechanismen und Techniken der Körper der Herrschenden. Wie der Performanz-theoretische Ansatz sichtbar machen konnte, „dass jede Urkunde, jedes Gesetz, jeder Vertrag usw. in eine rituelle Umgebung eingebettet ist, ja möglicherweise überhaupt erst durch rituelle Akte seine Geltung erlangt“,7 so muss auch dem Körper in actu und dessen Überführung in machterzeugende Bilder eine entscheidende Rolle im Geflecht der dynamischen Prozesse aus Geltungsansprüchen, Ordnungsbehauptungen, spontanen Entscheidungen und Zufällen eingeräumt werden. Deutlich wird dabei zugleich, welch differenzierte Herausforderungen – etwa aufgrund von Geschlechts- oder Altersunterschieden –diese Körper und ihre Handlungen bereits für die Zeitgenossen darstellten.
Die Rolle der Bilder in diesen Zusammenhängen ist nicht umfassend untersucht. Noch immer werden sie teils als bloßer ‚Spiegel der Wirklichkeit‘ illustrierend heran gezogen und ihre immanenten Zusammenhänge und Dynamiken nicht ausreichend betont – ihre Nachzeitigkeit und Unabhängigkeit von den tatsächlichen Ereignissen,
In Aktion: Körperbilder der Macht ihre ‚Sprachlosigkeit‘, zugleich ihre Wirkmacht, die ihnen eigenen Möglichkeiten, Zusammenhänge und Assoziationen aufzurufen, aber auch ihr Potential von voll kommener Fiktion über radikales Umdeuten bis hin zu fundamentalem Missver stehen.8 Das Anliegen der vorliegenden Publikation ist es, bildliche Darstellungen herrschaftlich repräsentativer Aktionen daraufhin zu untersuchen, wie im Kontext der spannungsvollen Mechanismen der Begründung und Stabilisierung von Macht der jeweilige Einsatz des Körpers in die eigenständige Logik, in die Beziehungs- und Aussagegefüge der Bilder transformiert wurde.
Dies ist von bisherigen Publikationen, die sich mit „Körperbildern der Macht“ im weitesten Sinne befassen, noch nicht konsequent verfolgt worden: Im Unterschied zur Körpergeschichte – etwa der dreibändigen Histoire du corps9 – geht es im vorlie genden Band vorrangig um den Sonderfall der Körperlichkeit und der Körpertech niken der Herrschenden und deren bildliche Repräsentationen und Transmissionen. Es interessieren die Aktionen, nicht allein die stillgestellte „Projektionsfläche Kör per“ oder die einzelnen Körperteile und ihre Metaphoriken, die vor einigen Jahren im Zentrum der Aufmerksamkeit standen.10 Freilich lassen sich kaum präzise Grenzen ziehen: ‚Abstrakte‘ Herrschaftstheorien und -metaphern konnten sich – so etwa bereits Mitte des 13. Jahrhunderts in einem Avis au Roi, im 16. Jahrhundert in der Rede vom zerstückelten Körper Roms oder dann 1651 auf dem Titelblatt zu Tho mas Hobbes‘ Leviathan – der Wirkmacht visuell heraufbeschworener (Herrschafts-) Körper und ihres Handlungspotentials bedienen.11 Das Interesse an Köpertechniken ist dagegen erst punktuell auf Herrschaftspraktiken und -inszenierungen bezogen worden.12 Eine Ausnahme bilden Gesten – man könnte sagen: die Minimalbestandteile von Handlungen.13 Die politische Ikonographie hat spätestens seit den 1980er Jahren neben Dingen und (Herrschafts-)Zeichen selbstverständlich auch die Dar stellung politischer Handlungen untersucht: wie der Papst den Boden küsst, wie sich Herrscher begegnen oder auch Sterben und Tod der Mächtigen.14 Aber weder hat die politische Ikonographie die praxeologischen und ‚körpertechnischen‘ Dimensionen der Macht, das Handeln im Laufe des Herrscher:innen-Lebens umfassend unter sucht, noch hat sie in ihrer Tendenz, die normativ-idealen Aspekte der Darstellungen hervorzuheben, die auftretenden Ambivalenzen, die (implizite) Kritikfähigkeit und möglichen Anders- und Fehldeutungen der Bilder angemessen gewürdigt.15 Dagegen haben vor allem die verschiedenen Bereiche der gender studies in den letzten Jahren entscheidend dazu beigetragen, unterschiedliche Körperbilder der Macht in Aktion differenzierter zu analysieren.16
Im Folgenden werden für (vor allem West- und Mittel-)Europa und mit Fokus auf den Zeitraum von ca. 1300 bis 1800 diese körperbezogenen Aktivitäten herr schaftlicher Praxis und deren Umsetzung in Bilder untersucht. Die Wahl dieses
chronologischen und geographischen Rahmens begründet sich aus dem Zusammentreffen zweier Faktoren: Im Hinblick auf die Herrschaftsverhältnisse markieren die Ereignisse und unmittelbaren Folgen der Französischen Revolution den ungefähren Endpunkt.17 Das Einsetzen einer neuen, naturnahen Darstellungsweise um 1300, die neue Möglichkeiten und Herausforderungen für die bildliche Repräsentation mit sich brachte, liefert einen ungefähren terminus post quem und begründet den geo graphischen Fokus auf die Teile Europas, in denen sich diese veränderte Bildsprache etablierte. Das ‚Durchbuchstabieren‘ in 26 Lemmata zielt dabei keineswegs auf eine wie auch immer geartete Vollständigkeit. Ganz im Gegenteil soll eher deutlich werden, dass es sich um ‚Bausteine‘ für zukünftige Forschungen handelt – sowohl was die Auswahl der Einträge als auch deren inhaltliche Schwerpunkte angeht. Gleichwohl wurde versucht, jeden Beitrag so aufzubauen, dass er möglichst die gesamte Zeit spanne, verschiedene geographische Räume und verschiedene künstlerische Medien exemplarisch einbezieht.
Die vorliegende Publikation ist aus der Arbeit des kunsthistorischen Teilprojekts „Herrschernatur(en). Der ‚Fürst der Sinne‘ in der Frühen Neuzeit“ im Rahmen der Forschungsgruppe 1986 „Natur in politischen Ordnungsentwürfen: Antike–Mittelalter–Frühe Neuzeit“ an der Ludwig-Maximilians-Universität München hervorgegangen. Dies wäre ohne die großzügige Finanzierung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft nicht möglich gewesen, der unser besonderer Dank gilt.
Anmerkungen
1 Vgl. zur gesamten Parisreise Karls IV. ausführlich Gerald Schwedler: Herrschertreffen des Spätmittel alters: Formen, Rituale, Wirkungen (= MittelalterForschungen 21), Ostfildern 2008, 297–317.
2 Chroniques des règnes de Jean II et de Charles V: les grandes chroniques de France, hg. von Roland Delachenal, Bd. 2, Paris 1910, 193–277. Zu den Bildern im Exemplar Karls (Bibliotheque nationale de France, fr. 2813) etwa Cornelia Logemann: Des Königs neue Räume. Genealogie und Zeremoniell in den „Grandes Chroniques de France“ des 14. Jahr hunderts, in: Ursula Kundert/Barbara Schmid/ Regula Schmidt (Hg.): Ausmessen–Darstellen–In szenieren. Raumkonzepte und die Wiedergabe von Räumen in Mittelalter und früher Neuzeit, Zürich 2007, 42–71; Anne D. Hedeman: Visualizing his tory in medieval France, in: Histoire de l’art 80 (2017), 25–36.
3 Heinz Thomas: Ein zeitgenössisches Memoran dum zum Staatsbesuch Kaiser Karls IV. in Paris, in: Wolfgang Haubrichs/Wolfgang Laufer/Reinhard Schneider (Hg.): Zwischen Saar und Mosel. Festschrift für Hans-Walter Herrmann zum 65. Ge burtstag, Saarbrücken 1995, 99–119.
4 Für wie wichtig der Besuch und dessen ‚Kodi fizierung‘ gehalten wurden, zeigt eben auch der Umstand, dass der kaiserliche Besuch in Paris mit 18 Miniaturen auf 13 Blättern das am reichsten be bilderte Ereignis in den Grandes Chroniques Karls V. ist; vgl. Anne D. Hedeman: The Royal Image. Illustrations of the Grandes Chroniques de France 1274–1422, Berkeley u. a. 1991, 128 f.
5 Immer noch grundlegend Ernst H. Kantoro wicz: Die zwei Körper des Königs. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters , München 1990 [zuerst engl. 1957]; vgl. zu „Aktionsmacht“ als einer der „anthropologischen Grundformen von Macht“ Heinrich Popitz: Phänomene der Macht, 2. erw. Aufl. Tübingen 1992, 22–39. Zum Körper der Repräsentation, der die Macht – richtiger: die vielfältige Fiktion der Macht – überhaupt erst kon stituiert Louis Marin: Das Porträt des Königs, aus dem Französischen von Heinz Jatho, Berlin 2005 [zuerst frz. 1982].
6 Vgl. zu „Körpertechniken“ den grundlegenden Aufsatz von Marcel Maus: Les techniques du corps,
in: Journal des psychologie normale et pathologique 39 (1935), 271–293. Vgl. außerdem etwa Kornelia Hahn/Michael Meuser (Hg.): Körperrepräsenta tionen. Die Ordnung des Sozialen und der Körper, Konstanz 2002; Markus Schroer (Hg.): Soziologie des Körpers, Frankfurt a. M. 2005; zur ‚Bildmacht‘ siehe etwa Heike Kanter: Die Macht in Bildern–Habitus, Bildakt & ikonische Macht , in: Petra Lucht/Lisa-Marian Schmidt/René Tuma (Hg.): Visuelles Wissen und Bilder des Sozialen. Wissen, Kommunikation und Gesellschaft, Wiesbaden 2013, 107–122.
7 Barbara Stollberg-Rilinger: Rituale, Frankfurt a. M./New York 2013, 39.
8 So spielen etwa für Lucas Haasis/Constantin Rieske: Historische Praxeologie. Zur Einführung, in: dies. (Hg.): Historische Praxeologie. Dimensio nen vergangenen Handelns, Paderborn 2015, 7–54 oder Dagmar Feist: Diskurse – Körper – Artefakte. Historische Praxeologie in der Frühneuzeitfor schung – eine Annäherung, in: dies. (Hg.): Diskurse – Körper – Artefakte. Historische Praxeologie in der Frühneuzeitforschung, Bielefeld 2015, 9–30, Bilder und die Repräsentation von Handlungen keine Rolle. – Vgl. dagegen in verschiedenen Beiträgen Bernhard Jussen, etwa : Plädoyer für eine Ikonologie der Geschichtswissenschaft. Zur bildlichen Formie rung historischen Denkens, in: Hubert Locher u. a. (Hg.): Reinhart Koselleck und die politische Ikono logie (= Transformationen des Visuellen, Schrif tenreihe des Deutschen Dokumentationszentrums für Kunstgeschichte – Bildarchiv Foto Marburg Bd. 1), München/Berlin 2013, 260–279; Dietrich Erben/Christine Tauber (Hg.): Politikstile und die Sichtbarkeit des Politischen in der Frühen Neuzeit, Passau 2016; Mariacarla Gadebusch Bondio/Beate Kellner/Ulrich Pfisterer (Hg.): Macht der Natur –gemachte Natur. Realitäten und Fiktionen des Herrscherkörpers zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit, Florenz 2019. 9 Alain Corbin u. a. (Hg.): Histoire du corps (= L’univers historique), 3 Bde., Paris 2005–2006 [v. a. Bd. 1: De la Renaissance aux Lumières ]; vgl. auch Maren Lorenz: Leibhaftige Vergangenheit. Einführung in die Körpergeschichte , Tübingen 2000.
10 Konzeptuell hat dies sowohl bei David Hill man/Carla Mazzio (Hg.): The Body in Parts. Fan tasies of Corporeality in Early Modern Europe, New York/London 1997, die den Körper per se als ein Konglomerat an individuellen, autonomen Teilen (Organen) verstehen, die jeweils eine ganz eigene kulturelle Aufladung besitzen, wie auch bei Clau dia Benthien/Christoph Wulf (Hg.): Körperteile. Eine kulturelle Anatomie, Reinbek 2001, welche das Phänomen der Fragmentierung wiederum stärker zu historisieren suchen, im Zentrum gestanden.
11 Vgl. dazu etwa Michael Camille: The king’s new bodies. An illustrated mirror for princes in the Morgan Library, in: Thomas W. Gaehtgens (Hg.): Künstlerischer Austausch, Berlin 1993, Bd. 2, 393–405; Genevieve S. Gessert: A Giant Corrupt Body: The Gendering of Renaissance Rome, in: Marice Rose/Alison C. Poe (Hg.): Receptions of Anti quity, Constructions of Gender in European Art, 1300–1600, Leiden 2015, 98–130; Giulia M. Labriola (Hg.): La città come spazio politico. Tessuto urbano e corpo politico: crisi di una metafora , Neapel 2016; Horst Bredekamp: Thomas Hobbes – Der Levia than. Das Urbild des modernen Staates und seine Gegenbilder: 1651–2001, Berlin/Boston 2020 [zu erst 1999].
12 Vgl. etwa die verstreuten Beispiele in Rebekka von Mallinckrodt (Hg.): Bewegtes Leben. Körper techniken in der Frühen Neuzeit, Wolfenbüttel 2008, sowie die Fallstudie von Horst Bredekamp: Der schwimmende Souverän. Karl der Große und die Bildpolitik des Körpers: eine Studie zum schema tischen Bildakt, Berlin 2014.
13 Jean-Claude Schmitt: Die Logik der Gesten im europäischen Mittelalter, Stuttgart 1992 [zuerst frz. 1990]; Herman Roodenburg: The Eloquence of the Body. Perspectives on gesture in the Dutch Republic, Zwolle 2004.
14 Vgl. etwa die Einträge in Uwe Fleckner/Mar tin Warnke/Hendrik Ziegler (Hg.): Handbuch der politischen Ikonographie, München 2011, 2 Bde.; zur Beschäftigung aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive vgl. Percy E. Schramm: Herrschafts zeichen und Staatssymbolik. Beiträge zu ihrer Ge-
schichte vom 3. bis 16. Jahrhundert, 3 Bde., München 1954–1978, sowie Barbara Stollberg-Rilinger: Des Kaisers alte Kleider: Verfassungsgeschichte und Sym bolsprache des Alten Reiches, München 2013; spe ziell zum Papst Agostino Paravicini Bagliani: Der Leib des Papstes: eine Theologie der Hinfälligkeit, München 1997 [zuerst ital. 1994]; zur ‚Doppelwir kung‘ politischer Bilder, die nicht nur ein Idealbild der Herrschenden präsentieren, sondern diese auch zum idealen Handeln ermahnen, siehe Martin Warnke: Laudando praecipere. Der Medicizyklus des Peter Paul Rubens, Groningen 1993.
15 Vgl. etwa Hendrik Ziegler: Der Sonnenkönig und seine Feinde. Die Bildpropaganda Ludwigs XIV. in der Kritik , Petersberg 2010, sowie die Bei träge von Lisa Cordes und Birgit U. Münch in: Karina Kellermann/Alheydis Plassmann/Chris tian Schwermann (Hg.): Criticising the Ruler in Pre-Modern Societies – Possibilities, Chances, and Methods, Bonn 2019, 143–170 und 181–210.
16 Aus der Fülle neuer Publikationen sei nur ver wiesen auf Regina Schulte (Hg.): Der Körper der Königin. Geschlecht und Herrschaft in der höfischen Welt, Frankfurt a. M. 2002; Carlee A. Bradbury/ Michelle Moseley-Christian (Hg.): Gender, Other ness, and Culture in Medieval and Early Modern Art, Cham 2017; James Daybell (Hg.): Gender and Political Culture in Early Modern Europe, 1400–1800, London/New York 2017; Helen Hills (Hg.): Architecture and the Politics of Gender in Early Modern Europe, London/New York 2017; Anna Becker u. a. (Hg.): Körper – Macht – Geschlecht. Einsichten und Aussichten zwischen Mittelalter und Gegenwart, Frankfurt a. M. 2020; Andreas Höfele/ Beate Kellner (Hg.): Natur–Geschlecht–Politik. Denkmuster und Repräsentationsformen vom Alten Testament bis ins 18. Jahrhundert, Paderborn 2020; Jacqueline Murray (Hg.): The Male Body and Social Masculinity in Premodern Europe, Toronto 2022.
17 Zur Bedeutung von Körper-Repräsentationen in diesem Kontext grundlegend Ewa Lajer-Burch hardt: Neckliness. The Art of Jacques-Louis David , New Haven/London 1999.
a Auf die Welt kommen / Kind sein
Die Geburt strukturierte über Jahrtausende gesellschaftliche Hierarchien, reglementierte den Zugang zu hohen und höchsten Ämtern und war genealogisch-dynastische Raison d’Être.1 Die Geburt eines zur Herrschaft bestimmten Menschen war keine gewöhnliche Geburt, sondern stets ein höchst bedeutsames Politikum. Sie bezieht sich immer ganz grundlegend auf eine Person, die außergewöhnlich schon deshalb ist, weil sich in ihr künftig eine Machtfülle, eine Aura, ein Charisma vereinen sollen, die das Alltägliche in jeder Hinsicht übersteigen und folglich eine Sonderstellung begründen, die ihrerseits nach Legitimation verlangt. Vormoderne Herrschaft lässt sich als eine Mischform aus „traditionaler“ und „charismatischer Herrschaft“ im Sinne Max Webers beschreiben. Sie wurzelt in „dem Alltagsglauben an die Heiligkeit von jeher geltender Traditionen und die Legitimität der durch sie zur Autorität Berufenen“, beruht aber zugleich ganz wesentlich „auf der außeralltäglichen Hingabe an die Heiligkeit oder die Heldenkraft oder die Vorbild lichkeit einer Person und der durch sie offenbarten oder geschaffenen Ordnungen“, die nach Weber durch eine „Veralltäglichung des Charismas“ auf Dauer gestellt werden kann.2 Ein halbes Jahrhundert später hat Louis Marin als wesentliches Movens sowohl der Konstituierung wie auch der Verstetigung und sichtbar machenden „Ver alltäglichung“ von Herrschaft und Macht das vielfältige „Zeichenregime“ der Re präsentation identifiziert und als das fortgesetzte Unternehmen einer Überredung beschrieben, die sowohl die Untertanen wie auch die Herrschenden selbst adressiert.3 Einer Überredung wohlgemerkt, die allererst schafft, was so nicht ist und sein kann: den Herrscher als „Absolut der Macht“,4 als exemplum imperii et virtutis schlechthin. Die Arbeit an dem persuasiven Bild der Repräsentation, an dem semiotischen Körper der Herrschenden und die damit verbundene fortwährende Sorge um die (imaginäre) Aura beginnen folgerichtig bereits im Vor- und Umfeld der Geburt: In der textlichen wie bildlichen Narration pflegt das Auf-die-Welt-Kommen solch außerall täglicher Menschen immer wieder mit ebenso außeralltäglichen Umständen, Omen und Wunderzeichen einherzugehen, die das sich ankündigende Leben – gleichsam ab ovo – als göttlich sanktioniert und schicksalhaft vorherbestimmt ausweisen.
Abb. 1: Portland-Vase, Seite B mit der Darstellung von Apoll und Atia mit der Schlange, datiert zwischen 1–25 n. Chr. (London, British Museum).
Sueton etwa führt in seiner Beschreibung der Geburt des Augustus einen gan zen Katalog an Prodigien an, der in mancher Hinsicht wie ein Muster auch für die späteren Jahrhunderte erscheint. Der Autor widmet sich auf drei Seiten seiner Le bensbeschreibung den mirakulösen Ereignissen, die sich vor Augustus’ Geburt, an seinem Geburtstag und kurz danach ereignet haben sollen und die allesamt zugleich „seine künftige Größe und sein fortwährendes Glück“ zu erkennen gaben (futura magnitudo eius et perpetua felicitas).5 Suetons Schilderungen machen neben außergewöhnlichen Himmels- oder allgemeinen Naturphänomenen, präfigurierenden Traumgesichten und Weissagungen sowie erstaunlichen Formen einer – geistigen wie körperlichen – Frühreife auch eine direkte, also prokreativ verstandene göttliche Abstammung oder Weihe geltend. Der Überlieferung des Asklepiades von Mendes folgend wird Augustus als Sohn des Apoll, also als Halbgott aufgefasst: Nach einem mitternächtlichen Gottesdienst zu Ehren des Gottes sei Atia, Augustus’ Mutter, im Tempel eingeschlafen, worauf sich ihr Apoll in Gestalt einer Schlange beigesellt habe.
a Auf die Welt kommen / Kind sein
Die Zeugungsszene findet sich auf der berühmten Portland-Vase des British Museum dargestellt (Abb. 1). Im zehnten Monat nach diesen Vorgängen sei dann Augustus zur Welt gekommen, weshalb man ihn „für einen Sohn des Apollo gehalten“ hat.6 Dies und die weitere, geradezu überwältigende Fülle an Wundern im Kontext der Geburt und ersten Lebensjahre lassen bei Sueton keinen Zweifel zu: Hier wurde kein ge wöhnlicher Mensch geboren, sondern eine zu ihrer Sonderstellung vorherbestimmte Herrscherpersönlichkeit, der sogar verstandeslose Kreaturen wie die Frösche auf dem väterlichen Landgut Folge leisten, die für immer schweigen, nachdem Augustus, „als er gerade zu sprechen anfing“, ihrem lärmenden Gequake Einhalt geboten hatte.7
Dass auch bereits die bloße Tatsache der Geburt als ein großes Wunder wahr genommen werden konnte – innig herbeigesehnt, aber kaum mehr für möglich gehalten –, zeigt etwa die Geburt Rudolfs (IV .) des Stifters im Jahre 1339 in Wien. Nachdem die Ehe Herzog Albrechts II . und der Johanna von Pfirt fünfzehn Jahre ohne Nachkommenschaft geblieben war, griff der bereits gelähmte Herzog 1337/38 zur ultima ratio und trat in einer Sänfte die beschwerliche Pilgerfahrt nach Aachen an, um göttlichen Beistand in der buchstäblich überlebenswichtigen Causa zu erbitten.8 Auf seinem Weg stiftete er der Heiligen Jungfrau in Königsfelden einen goldenen Kelch und empfahl sich in Köln dem Schutze der Heiligen Drei Könige, indem er Almosen spendete und der Kirche kostbare Weihegeschenke verehrte.9 Tatsächlich gebar Johanna im Herbst 1339 mit 39 Jahren den späteren Erzherzog – ein Wunder, an das nicht jeder glauben wollte, sodass Albrecht sich gezwungen sah, seine recht mäßige Vaterschaft in öffentlichen Predigten beglaubigen zu lassen.10 Der Tag der Geburt dagegen sollte das Wunder wirkungsvoll bekräftigen: Rudolf kam am 1. November – also an Allerheiligen – zur Welt und wird die damit verbundene sakrale Bedeutungsdimension der Auserwähltheit zu einem „zentrale[n] ‚Programm‘ seiner Herrschaft und Selbstdarstellung“ machen.11
Wie eine christianisierte Version der Auratisierungsnarrative eines Sueton er scheint weitere 150 Jahre später die Text- und Bildproduktion, die rund um die Geburt des Habsburgers Maximilian I. (1459–1519) maßgeblich von ihm selbst in Gang gesetzt wurde.12 Große Bedeutung kam dabei stets – nicht nur bei Sueton –ungewöhnlichen Himmels- oder Naturphänomenen zu, die wichtige historische Ereignisse, so immer wieder auch Geburten, begleitet oder angekündigt haben sollen. Von außergewöhnlichen Himmelserscheinungen, von Blitzen, Kometen und „Kö nigsgestirnen“ wird im Zusammenhang von Geburt und Tod sowohl des Augustus wie auch Julius Caesars oder Alexanders des Großen berichtet.13 Das im christlichen Abendland bekannteste Prodigium dieser Art fällt ebenfalls in die Zeit des Augustus und ist der „Stern von Bethlehem“, der nach dem Evangelium des Matthäus die drei magoi, also Sterndeuter oder Weisen – später dann „Könige“ – an den Ort der Ge -
Abb. 2: Leonhard Beck: Wie die kunigin schwanger ward und ain sun geporen ward, Holzschnitt aus dem Weißkunig (Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 3033).
burt Jesu leitete (Mt 2,1–12).14 Die Annahme, dass es sich auch bei diesem „Stern“ tatsächlich um einen Kometen gehandelt haben könnte, wird bereits in der Antike formuliert und findet auch in der christlichen Ikonographie seit 1300 ihren Nieder schlag.15 In einer solchen sowohl antiken wie auch christlichen Tradition steht auch die außergewöhnliche Himmelserscheinung, die in der fiktionalen Autobiographie Maximilians I. , dem Weißkunig, für dessen Geburt reklamiert wird: Als sich nun die Zeit nahend, der geperung des kindts, da wurde je zu Zeiten gesehen […] ain Comet, daraus manicherlay Rehenschafft gemacht wardt […]. 16 Derselbe Comet sei zur Stunde der Geburt nicht nur größer geworden, als es Schweifsterne sonst sind, sondern habe auch einen ungemein lautern liechten gelantz verbreitet: Er sei so ain besonder einflus zaichen und offenbarung des kindts gepurdt gewesen und die Königin habe in sölicher erscheinung des Comets, aus zugebung und verleihung götlichn genaden […] das kindt mit senfften smertzen zur Welt gebracht. Dass der Komet schließlich nach der Geburt in seinem hellen Schein wieder abnahm, gebe nur umso deutlicher zu erkennen, das derselb Comet, ain zaichen was des kindts, kunftig Regirung und wun-