Einleitung
Thema
1794 begann in Köln die fast 20 Jahre währende französische Fremdherrschaft. In keiner anderen Phase der Kölner Stadtgeschichte, betont Klaus Müller in seiner 2005 erschienenen Monografie „Köln von der französischen zur preußischen Herrschaft“, musste „die Bevölkerung tiefgreifendere Veränderungen hinnehmen […]“.1 Im Mittelalter hatte Köln mit ca. 365 Kirchen und Kapellen, darunter elf Stiften, 69 Klöstern, 158 Konventen, 19 Pfarreien, 27 Kapellen, 35 Hospitälern sowie einer unbestimmten Zahl an Hauskapellen eine außergewöhnlich hohe Zahl an geistigen Institutionen besessen. Die religiös geprägte Stadt- und Einwohnerstruktur erhielt sich bis ins 18. Jahrhundert. Nachdem im Jahr 1802 der Konsularbeschluss über die Säkularisation gefasst und die Aufhebung der geistlichen Institutionen angeordnet worden war, erfolgte bis zum Jahr 1818 der Abriss von sechs Pfarrkirchen, zwei Ordenskirchen, sieben Männer- und 29 Frauenklöstern sowie fünfzehn Kapellen.2 Zugleich gelangten in einem bislang ungekannten Ausmaß Kulturgüter in Form von liturgischem Gerät, kostbaren Handschriften, Glasgemälden, Elfenbeinarbeiten sowie barocken und mittelalterlichen Tafelbildern aus ihrem ursprünglichen, jahrhundertewährendem kirchlichen Bestimmungsraum in Privatbesitz.
Der Kölner Kunstkenner und -sammler Johann Jakob Merlo (1810–1890, Abb. 1) beschreibt diese einzigartige Situation und benennt einige der in Erscheinung tretenden Sammler namentlich. Er fügt hinzu, dass sie aus unterschiedlichen Beweggründen die Gunst der Zeitverhältnisse für sich genutzt hätten:
Man wird schwerlich eine Stadt aufweisen vermögen, in welcher es, nach Maßgabe der Bevölkerungszahl, in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts so viele Sammlungen gab wie in Köln. Für diesen Zeitabschnitt waren die Umstände aber auch besonders günstig, so günstig wie nie zuvor und wie es auch in der Folge sich nicht wiederholen wird. Die Aufhebung der zahlreichen Stifte und Klöster in der Stadt und ihren
1 Müller 2005, 407.
2 Blöcker 2002, 384; Müller 2005, 62; Peters 1945, 20–21.
1 Johann Jakob Merlo (1810–1890): Selbstbildnis, 1836, Kohlezeichnung, 18 × 15 cm, Köln, Kölnisches Stadtmuseum, Grafische Sammlung, Inv.-Nr. G 7671 a
Umgegenden, so wie das Eingehen und die Zerstörung vieler Pfarrkirchen und Capellen, führten eine ungeheuere Menge der verschiedenartigsten Kunstsachen aus den friedlichen Orten ihrer ursprünglichen Bestimmung auf den wechselvollen Markt des Privatbesitzes. Und sogleich sehen wir in nicht geringer Anzahl Männer auftreten, welche sich diese Verhältnisse zu Nutz machten: den ehrwürdigen Wallraf, den Baron von Hüpsch, die Boisserée’s mit ihrem Freund Bertram, Lyversberg, Fochem, Buchhändler Schmitz, Kerp, Baron von Mering, u. a. – freilich nicht alle von gleich lauteren Absichten angetrieben.3
Dieses liest sich geradezu wie eine Aufforderung, die Sammlerpersönlichkeiten in den Mittelpunkt der Betrachtung zu stellen. Ausgehend von den ersten Entdeckungen mittelalterlicher Gemälde besteht der Anspruch, die Entstehung und Entwicklung der großen und kleinen Sammlungen in weitestgehend chronologischer Folge und hinsichtlich ihrer Verflechtung mit den einflussnehmenden historischen Geschehnissen darzustellen. Dem schließt sich die Frage an, von welchen Sammlern geistige Kräfte ausgegangen sind, die Impulse zur Einrichtung einer öffentlichen Galerie gesetzt und die Anerkennung und Neubewertung des Mittelalters befördert haben.
10 Einleitung
3
HAStK Best. 7030, 284, fol. 5–6.
Aufbau und Methode
Textteil
Als Hintergründe werden im ersten Kapitel drei eigenständige Themen bearbeitet. Zunächst wird die Epoche des Mittelalters in die Welthistorie eingeordnet. Dem folgt die Bewertung seiner künstlerischen Erzeugnisse auf Grundlage ausgewählter kunsttheoretischer Schriften des 18. Jahrhunderts. Eine Beschreibung der geistigen Situation in der Reichsstadt Köln im 18. Jahrhundert und die Vorstellung ihrer bedeutendsten Gemäldesammler schließt das Kapitel ab.
Mit dem zweiten Kapitel beginnt die französische Zeit. Im Mittelpunkt der Betrachtung stehen die ersten Beschlagnahmungen von städtischen und kirchlichen Kunstschätzen durch die französischen Kunstkommissare sowie das dadurch erwachte Bewusstsein der Kölner Bürger um ihren wertvollen Kunstbesitz.
Das dritte Kapitel widmet sich der Zeit vor dem Säkularisationsbeschluss vom 9. Juni 1802. In dieser Zeit waren bereits einige Kirchen und Klöster von Nutzungsänderungen und Schließungen betroffen. Damit einher gingen nicht nur Plünderung, Zerstörung und Rettung von Kunstbesitz, sondern auch die ersten Entdeckungen von mittelalterlichen Gemälden.
Das vierte Kapitel stellt den Beschluss über die Säkularisation der Kirchen und Klöster, den organisatorischen Verlauf und die Folgen für die Klosterangehörigen dar. Bedingt durch ihre jeweilige Biografie und die Einhaltung der Chronologie wird die anschließende Vorstellung der frühen Gemäldesammler in drei Unterkapitel gegliedert. Auf Sammler, deren Bilderkäufe aufgrund fehlenden Quellenmaterials nicht eindeutig einer Zeitspanne zugeordnet werden können, wird im Text hingewiesen.
Zum Abschluss der Ausarbeitung werden die mittelalterlichen Gemälde als Mittelpunkt einer Ausstellung und Einrichtung eines Museums sowie von kunsttheoretischen Schriften beleuchtet.
Hinweise zur Methode
Die Zusammenstellung von Sammlerpersönlichkeiten ergab sich aus der Auswertung verschiedener Schriften. 1808 erschien der erste Band von „Der Begleiter auf Reisen durch Deutschland“ von Wilhelm Joseph Heinen. Von den Kölner Gemäldesammlungen hebt er die der „Herren von Merle und Harf, des Commerzpräsidenten Schaffhausen, des H. Prof. Wallraf, der Herren von Herweg und von Mering, […] des Herrn Friedensrichter Esser, des Herrn Tossetti, des Herrn Pastor Anth und des Herrn Bemberg“4 lobend hervor. Als Besitzer „alte[r] cölnische[r] Meisterwerke“5 benennt er ausdrücklich die „Herren Boisserée und Livensberg“.6
4 Heinen, Begleiter, 236.
5 Ebd.
6 Ebd.
Aufbau und Methode 11
Kirchen und Klöster vor dem 9. Juni 1802
zuspricht, da sie von den Ordensmitgliedern „täglich können gesehen, und geschätzt werden“.153
In den Inventaren von St. Gereon154 und St. Maria im Kapitol sind keine oder Gemälde „ohne Werth“155 verzeichnet. Das Stift St. Andreas begnügt sich in seinem sorgfältig und ausführlich ausgearbeiteten Inventarium mit der kurzen Formulierung „16 Stück Gemälde“.156
Der Konvent der Kreuzbrüder vermerkt für Kloster und Kirche eine stattliche Summe von 110 Gemälden im tabellarischen Inventar.157 Die Dominikaner an letzter Listenposition sogar 135 bis 140 Gemälde, die jedoch als wertlos bezeichnet werden.158
Dem Mobilienverzeichnis von St. Gertrud zufolge befanden sich in Kirche und Sakristei nur wenige Gemälde. An letzter Position wird gemeinsam mit einigen alten Kisten und übrigen unbedeutenden Kleinigkeiten auf immerhin „verschiedene circa 50 Schildereyen“159 hingewiesen. Das Inventar von Groß St. Nazareth bezeugt „an Schildereyen sechzig, die aber von geringem Werth sind“.160
Den Angaben zufolge befanden sich 1798 in den Kirchen und Klöstern insgesamt annähernd 3000 Gemälde, deren Gesamtwert auf weniger als 2000 Francs geschätzt wurde. Zwar ist davon auszugehen, dass sich unter ihnen auch Bilder von geringer Qualität befunden haben, doch offenbart der ihnen zugemessene geringe pekuniäre Wert eine gewisse Gleichgültigkeit der Geistlichen gegenüber der mittelalterlichen Malerei mit oft religiösen Bildinhalten.161 Sie richteten ihre Aufmerksamkeit daher auf silbernes oder vergoldetes Kirchengerät, dessen Wertermittlung –unabhängig von der künstlerischen Güte oder dem ideellen Gehalt – allein nach dem jeweiligen Gewicht erfolgte. Der finanzielle Gegenwert war errechenbar und der Gewinn schnell zu kalkulieren. In Kriegszeiten bot der Markt eine gewisse Absatzgarantie, sodass das dringend benötigte Geld schnell vereinnahmt werden konnte. Dagegen gab es für die finanzielle Wertermittlung der Gemälde keine allgemeingültigen Parameter. Daher verwundert es nicht, dass in den Inventaren keine Gemäldeverkäufe dokumentiert sind. Dennoch gibt es Nachrichten über vereinzelte Gemäldeverkäufe, die im Folgenden dargestellt werden.
153 Ebd., (Aktenteil 1), fol. 47r.
154 Ebd., fol. 61r u. v.
155 Ebd., fol. 148v.
156 Ebd., fol. 11r.
157 Ebd., fol. 126v.
158 LAV NRW R, AA 0633 Roerdepartement Nr. 480, fol. 21v u. 27r.
159 HAStK Best. 350, A 1592/1 (Aktenteil 1), fol. 66r.
160 Ebd., fol. 72r.
161 Müller 2005, 376–378.
78 III Kölner
4 Meister der Lyversberg-Passion (tätig in Köln um 1460–1490): Passionsaltar, um 1464/1466, Tempera, Öl, Goldgrund, punziert, Eichenholz, jede Szene ca. 92 × 97 cm, Köln,
Inv.-Nr. WRM 0143–0150
Nachrichten über die Entdeckung der Tafelbilder
Die Vermutung, dass es bereits vor der offiziellen Säkularisation zu umfangreichen Gemäldeverkäufen und damit zu einer Etablierung eines frühen Sammlerkreises gekommen ist, basiert im Wesentlichen auf dem zitierten Bericht des Kartäuserpriors Martin Firmenich vom 30. April 1798. Mit den in der Kirche verbliebenen „fünf große[n], und drey kleine[n] Schildereyen zum hohen Altar, welche abwechselnd eingesetzt wurden“162, spricht er das 1666 von Pater Winand Weidenfeld gestiftete Altarretabel mit Seitenflügeln an. Aus seiner hölzernen Rahmung konnten die Altarbilder herausgenommen und ausgewechselt werden. Das Altargemälde, dessen Verbleib unbekannt ist, wird dem Maler Franz Vriendt (tätig in Köln bis 1670) zugesprochen und zeigt eine Darstellung der Himmelfahrt Mariä. Drei weitere dem Altar zugehörige Bilder, die 1670 fertiggestellt wurden, stellten die Geburt Christi, die Kreuzabnahme und die Auferstehung dar. Ursprünglich aber schmückte den Hochaltar die
162 HAStK Best. 350, A 1592/1 (Aktenteil 1), fol. 104r.
Die Tafelbilder der Alten Meister 79
Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud,
5 Michael Gruben (1805–1852): Porträt des Jakob Johann Nepomuk Lyversberg, um 1830, Zeichnung, Kohle, Köln, Kölnisches Stadtmuseum, Grafische Sammlung, Inv.-Nr. KSM 1985/575
1464 gestiftete und nach ihrem späteren Besitzer benannte „Lyversberg-Passion“ (Abb. 4).
Nach wie vor ist unklar, wann die Altarbilder ausgetauscht worden sind, wo das mittelalterliche Bild nach der Abnahme vom Hochaltar gelagert und von wem es im Kontext der Aufhebung aus der Kirche geschafft worden ist. Obwohl keine Belege vorliegen, besteht in der Forschung Einigkeit darüber, dass der Tabakhändler und Namensgeber Jakob Johann Nepomuk Lyversberg (1761–1834, Abb. 5) das Bild im Zuge der Auflösung in Besitz genommen hat.163 Es gilt als Auftakt seiner mit viel „Schönheitssinn“164 angelegten Sammlung mittelalterlicher Tafelbilder. Die Annahme, dass zu einem solch frühen Zeitpunkt ein Erwerb gezielt für eine Gemäldesammlung stattfand, erscheint aufgrund der nachfolgenden Überlegungen zu weiteren Altarbildern zumindest bedenkenswert. So geht aus der Aufzeichnung von Firmenich weiter hervor, dass im Kloster noch drei Altargemälde in den Nebenkapellen – also wahrscheinlich in der Engel- und Marienkapelle – sowie siebzig halbzirkelförmige Gemälde im Kreuzgang verblieben sind.165 Darüber hinaus berichtet er von ungefähr
163 Beutler 1995, 108: Der Verbleib der Mitteltafel des Triptychons ist unbekannt. 1812 wurden die Außenflügel mit der Verkündigungsszene und der Anbetung der Könige abgetrennt: Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Inv.-Nr. Gm22, Gm989; Klother 2001/2002, 138.
164 HAStK, Best. 7030, 248, fol. 272r.
165 HAStK Best. 350, A 1592/1 (Aktenteil 1), fol. 104r; vgl. Deeters/Herborn/Schmid/Wallenborn 1991, 113: Es ist davon auszugehen, dass sich unter den Bildern elf großformatige Leinwandbilder befunden haben, die sich in ihrer Bogenform den Arkaden im kleinen Kreuzgang
80 III Kölner
9. Juni 1802
Kirchen und Klöster vor dem
6 Meister des Bartholomäus-Altars (tätig um 1470 bis um 1510): Thomas-Altar, um 1495–1500, Eichenholz, Köln, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Inv.-Nr. WRM 0179
dreißig zerstörten oder aus dem Kloster gestohlenen Bildern und vier kleinen Altären, deren Gemälde unbemerkt aus dem Rahmen geschnitten und gestohlen worden sind.166 Hierbei kann es sich um die heute unbekannten Altarbilder des Maria-Magdalena- und des Johann-Baptist-Altars im Laienchor sowie die auf dem Lettner aufgestellten Triptychen des Thomas- und Kreuzaltars gehandelt haben, auch wenn die Mitteltafeln der Letzteren mit den Maßen 143 mal 105 cm und 107 mal 80 cm nicht unbedingt als klein zu bezeichnen sind (Abb. 6–7). Für die Annahme, dass Hermann Joseph Dethier, der in der Sternengasse 6109 „Spitzen u. Mahlerey“167 handelte, die unübersichtliche Situation ausgenutzt und den Thomas- und Kreuzaltar geschickt und in aller Stille aus der verwahrlosten Kartause in seine Handlung gebracht hat, liegt kein Beweis vor.168 Der Verkauf der beiden Altarbilder aus seiner Handlung an angepasst haben und Szenen aus dem Leben des Ordensstifters Bruno darstellen. Die Rettung vor Zerstörung ist u. a. Wallraf zu verdanken, vgl. Beutler 1995, 106, 112–113.
166 HAStK Best. 350, A 1592/1 (Aktenteil 1), fol. 104r; LAV NRW R, AA 0633 Roerdepartement Nr. 480, fol. 85r: „4 petits tableaux ayant servi pour des petits autels ont été volé à l’occasion l’evacuation du Couvent.“ Vgl. Deeters/Herborn/Schmid/Wallenborn 1991, 113.
167 Verzeichnis, Einwohner, 229; vgl. Kronenberg 1995, 125.
168 Blöcker 2002, 381–382, ebd., 381: Dethier kam 1794 nach Köln. Er eröffnete in der Sternengasse sein Geschäft, das bereits im ersten Jahr florierte; Kircher 1979, 23–26 stellte bei der Bearbeitung der Gemäldesammlung des Kölner Dompropstes Graf Joseph Franz Anton
Die Tafelbilder der Alten Meister 81
Ferdinand Franz Wallraf ist jedenfalls erst für den 29. September 1803 dokumentiert.169 Es ist zu bezweifeln, dass Dethier zwei sperrige Altäre für einen Zeitraum von fast zehn Jahren in seiner Handlung in Verwahrung genommen hat. Sollten die Gemälde im Zuge der Auflösung aus der Kirche geschafft worden sein, ist anzunehmen, dass sie zunächst in den Besitz von Ordensbrüdern oder Kölner Bürgern gekommen und zu einem späteren Zeitpunkt an Dethier abgegeben worden sind. Darüber hinaus befanden sich im Jahr 1803 durchaus noch Kunstobjekte in der Kartause. Wallraf erwarb dort am 16. Mai 1803 das Bild „Der Bethlehemitische Kindermord“
von Waldburg zu Zeyl-Wurzach († 1786) hingegen fest, dass er seine „ersten Sammelankäufe“ beim „Kölner Malereihändler Herrmann Joseph Dethier“ getätigt hatte. Bei ihm kaufte er bis zum Jahr 1784 194 Gemälde; Kronenberg 1995, 125: Dethier handelte mit Gemälden, Zeichnungen und Kupferstichen, die insbesondere niederländischen und italienischen Künstlern zugesprochen werden konnten.
169 Thierhoff 1997, 134–135; vgl. HAStK Best. 1105, A 59, fol. 17v: „1803 […] den 29 7bris gekauft zwey stück aus der Karthauß vorstellend cristus wird ans creutz genagelt das andere Thomas legt die hand in die wund cristi.“
82 III Kölner
Kirchen und Klöster vor dem 9. Juni 1802
7 Meister des Bartholomäus-Altars (tätig um 1470 bis um 1510): Kreuz-Altar, um 1490–1495, Eichenholz, Köln, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Inv.-Nr. WRM 0180
von Soentgens.170 Zudem enthält ein Schreiben vom 3. Mai 1803 mit einer beigefügten Zeichnung den Befehl des Bischofs zum Abbau und Abtransport einer Balustrade.171
Hingegen ist das Los des Andachtsbildes „Christus am Kreuz mit Heiligen des Kartäuserordens“ von Anton Woensam von Worms als eine „Hinterlassenschaft des letzten Kartäuser-Priors M. Firmenich“172 eindeutig belegt. Da der das Kreuz umfassende Stifter des Bildes, der Kartäuserprior Blomevenna, gemeinsam mit den auf der rechten Bildseite dargestellten Ordensheiligen Bruno, Hugo von Lincoln und Hugo von Grenoble bei der Andacht des Gekreuzigten gezeigt wird, ist die Annahme einer Aufstellung des Bildes im Prioratshaus des Klosters überzeugend.173 Das Bedürfnis nach Nähe eines vertrauten Bildes, das neben der Möglichkeit der privaten Andacht die Erinnerung an das vergangene Klosterleben lebendig hält, könnte Firmenich zur Mitnahme beim Umzug bewogen haben.
Das Triptychon „Christus am Kreuz mit Heiligen“ gelangte 1794 in den Besitz der Brüder Cremer.174 Für das Jahr 1797 sind „Auf St. Maximinenstrasse“ der Maurergeselle Anton Cremer (Haus 2686) und der Schneider Peter Cremer (Haus 2716) verzeichnet.175 Der Bericht von Firmenich, nach dem ungefähr dreihundert Handwerker
170 HAStK Best. 1105, A 58, fol. 16; HAStK Best. 1105, A 59, fol. 16r: „16. May 1804“. Ebd., fol.
18v.
171 AEK, Bistum Aachen 81, IV, 5, o. f.: „[P]ar ordre de Monseigneur l’Evêque d’aix la chapelle le sousigné j’ai fait faire ôter le grillage de l’Eglise des cidevant Chartreux à Cologne, et j’ai payé au maitre […] pour l’enlévement et emballement de cette balustrade et por le transport“ (3. 5. 1803); Zeichnung ebd.
172 Kisky 1946, 290; vgl. HAStK Best. 7030, 182/1, fol. 213: „Ein schönes Oelgemälde auf Holz, mit dem Monogramm des Malers Anton Worms Christus am Kreuz, der Stifter, Prior der Köllner Carthaus u. Schriftsteller Peter Blomewena umfaßt des Kreuzes Stamm […]. Dieses interessante Bild, besonders sind die Köpfe von höchst vollendetem Ausdruck, war einst in der Kölner Charthaus vorhanden, befand sich später in der Hinterlassenschaft des letzten Priors Firmenich in dessen Besitz ich es gekannt und ist nun in der Merkwürdigen Sammlung unsers Kunstkenners Herrn J. J. Merlo vorhanden […].“ LAV NRW R, AA 0633 Roerdepartement Nr. 480, fol. 86r u. v, 87r: Im von den Ordensbrüdern nach der Vertreibung aus der Kartause bewohnten Haus „Oben Mauren“ befanden sich Möbel und Gegenstände, die als Eigentum der Ordensbrüder galten. Da sie in der Akte nicht im Einzelnen beschrieben werden lässt sich die Aufbewahrung des Bildes dort nicht belegen.
173 Beutler 1995, 114. Anton Woensam von Worms (um 1496–1541): Christus am Kreuz mit Heiligen des Kartäuserordens, 1535, Eichenholz, 67 × 86,5 cm, Köln, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Inv.-Nr. WRM 0208.
174 Ausst.-Kat. Köln 1991, 134–135; Beutler 1995, 114. Bartholomäus Bruyn d. Ä. (1493–1555): Kreuzigungsaltar, um 1515/1520, Eichenholz, Mitteltafel: Christus am Kreuz mit den Hll. Petrus, Maria, Maria Magdalena, Johannes d. Evangelisten und Barbara sowie drei Stiftern, 96,4 × 72,9 cm, linker Flügel, Innenseite: Hl. Bischof mit Stifterin, 97,2 × 32,6 cm, rechter Flügel, Innenseite: Hl. Agnes und Stifterin, 97 × 32,2 cm, München, Alte Pinakothek, WAF 89, WAF 90, WAF 91.
175 Verzeichnis, Einwohner, 106–107; HAStK Best. 350, A 155, fol. 49r u. v: In einem Auszug von Rechnungen von Werkmeistern aus dem Jahr 1800 ist „Cremer, Steinmetzer“ für die „Abnehmung der Bilder“ verzeichnet.
Die Tafelbilder der Alten Meister 83
38 Stefan Lochner (um 1410–1451): Die Apostelmartyrien, nach 1435, Mischtechnik auf Nussbaumholz, 121 × 163,1 cm, Frankfurt am Main, Städel Museum, Inv.-Nr. 821–832
len (Abb. 38–39). Dabei zeigte er weder Interesse am Erhalt der Heiligendarstellungen auf den Außenseiten noch an der ikonografischen Zusammengehörigkeit der Vorderund Rückseiten. Die Märtyrerszenen ließ er einzeln gerahmt an den Wänden in seinem Wohnhaus aufhängen.
Tosettis Sammlung umfasste ferner Werke italienischer und niederländischer Meister sowie Bildnisse des Ehepaars Everhard II. Jabach von Geldorp.900
Zu den Rettern des säkularisierten Kirchengutes zählt Firmenich-Richartz auch die Kanoniker Schurmann und Johann Peter von Seyll.901 Die Quellen zu Schurmann geben allerdings keine und zu Seyll nur eingeschränkte Hinweise. Dieser war Kanonikus an St. Kunibert (1759–1802), besaß das „Canonicathause No. 3025 […] beim ehe900 Blöcker 2002, 388; Förster 1931, 62.
901 Firmenich-Richartz 1916, 28; NwKk 1793, 57: „Herren Prælati Canonici“ des St. Apostelnstiftes: Joh. Georg Schuirmann.
250 IV Der Beschluss
9. Juni 1802
über die Säkularisation am
39 Stefan Lochner (um 1410–1451): Teile eines Flügelaltars, um 1440/50, Nussbaumholz, linker Flügel, Außenseite: Hll. Antonius, Papst Cornelius, Maria Magdalena mit Stifter, 120 × 80,6 cm, rechter Flügel, Außenseite: Hll. Katharina, Hubertus und Quirinus von Neuss mit Stifter, 120 × 80,4 cm, München, Alte Pinakothek, Inv.-Nr. WAF 501, WAF 502
maligen Stifte S. Cunibert“902 und starb 1825 im Alter von 81 Jahren.903 Vor ihm war auch sein Onkel Albert Seil dort Kanonikus (1712–1759)904 und erlangte als Lehrer von Franz Carl Joseph von Hillesheim sowie als Verfasser von gelehrten Schriften und Herausgeber von Urkundensammlungen Berühmtheit. Hillesheim lobte die umfassenden Geschichtskenntnisse seines Lehrers, verschwieg dabei aber nicht dessen mangelnde Sorgfalt und Ordnungsliebe. Durch sie gingen die meisten Stücke seiner wertvollen Handschriftensammlung verloren.905
902 LAV NRW R, BR 0084 Regierung Köln Renteien Nr. 506, o. f.: „des H. Joh. Pet. von Seyll zu Cöln, gestorben am 12ten Xber 1825“.
903 Förster 1931, 143, Anm. 186.
904 Kürten 1990, 285–286 (Nr. 693, 739); Jacob/Noël/Nöggerath 1828, 189: „Die auf dem Rathause sich befindliche Syndikatsbibliothek enthält viele große juristische und diplomatische Werke, von denen mehrere aus den Bibliotheken der Bürgermeister J. B. von Mülheim, Wymar und des gelehrten Seyl sind.“ Vgl. Universitäts- und Stadtbibliothek Köln: Nachlass des Kölner Kanonikus Albert Seil. Syndikatsbibliothek.
905 Stelzmann 1951, 201–202.
Der große Kreis der frühen Sammler von 1811 bis zum Beginn der preußischen Zeit 251
IV Der Beschluss über die Säkularisation am 9. Juni 1802
Antrag zur Übernahme der Sammlung an die Stadt Köln abermals, der jedoch erneut abgelehnt wurde.934
Auch Aegidius Joseph Schüller gehörte zu den Sammlern, die Förster zufolge „einzelne Stücke, die ihnen der Zufall ins Haus trug“935 an sich genommen hatte. Das ein oder andere Bild hatte auch er den Kunstkenntnissen von Engelbert Willmes zu verdanken.936
Sein 1816 verstorbener Vater Heinrich Joseph Schüller gehörte als Lizenziat beider Rechte, Schöffe des Hohen Weltlichen Gerichts und Hofrat des Kurfürsten zu Köln zu den einflussreichen Persönlichkeiten seiner Zeit. Gemeinsam mit seiner Ehefrau Maria Elisabeth Petronella Schüller geb. Schmitz ist er als Stifter für das Laurentianum in Köln dokumentiert.937
Ihr Sohn Aegidius Joseph trat ebenfalls als Stifter für das Laurentianum und darüber hinaus als Stifter für das Waisenhaus in Köln in Erscheinung.938 Merlo berichtet, dass er in dem
ererbten schönen Wohnhause Herzogstraße Nr. 7 […] sein Leben als Rentner verbrachte. Er sammelte Gemälde, wobei es ihm jedoch ebenso sehr an Kenntnißen wie an Geschmack fehlte. Er starb, 57 Jahre alt, am 17. September 1835. Seine Gemäldesammlung wurde am 11. August 1837 und den folgenden Tagen durch den Notar v. Gal öffentlich versteigert.939
Der Katalog umfasst 85 Nummern, „worunter sich nur wenig Lobenswerthes befand“.940 Es beinhaltet kein einziges mittelalterliches Bild, bei dem man eine Kölner Kirche oder ein Kölner Kloster als Herkunft vermuten könnte. Neben wenigen Werken der italienischen und französischen Schule dominieren Werke der niederländischen Meister, insbesondere des 17. Jahrhunderts.
Engelbert Willmes wurde 1786 als Sohn des Syndikus und Professors der Rechtswissenschaft Johann Benedict Willmes (1743–1823, Abb. 41) und seiner Ehefrau Maria Theresia geb. Cösterus geboren. Im Alter von 17 Jahren, wahrscheinlich als Wallrafs Schüler, antwortete er in einer Schülerarbeit auf die Frage „Was ist schön im allgemeinen Sinne, und worinn besteht ästhetische Schönheit nach Mittel und Zweck der
934 HAStK Best. 7030, 248, fol. 263r; HAStK Best. 400, A 232, fol. 13r u. v; 36r u. v, 37r u. v; USB
Köln, Totenzettel, id 27390.
935 Förster 1931, 89.
936 HAStK Best. 7030, 248, fol. 325r u. v.
937 HAStK Best. 1, U 1/19698, o. f.; HAStK Best. 110S, U 2/584.
938 HAStK Best. 22, A 1/37; Clemen 1937, 397.
939 HAStK Best. 7030, 248, fol. 311r; ebd.: Der Katalog weist 132 Nummern auf.
940 HAStK Best. 7030, 248, fol. 311r; HAStK Best. 610, A 10, 3–5.
258
41 Siegfried Detlev Bendixen (1786–1864): Porträt des Engelbert Willmes, 19. Jahrhundert, Radierung, 15 × 12 cm, Köln, Kölnisches Stadtmuseum, Grafische Sammlung, Inv.-Nr. G 10791a
Künste, welche sich bemühen ihre Erscheinungen vorzustellen?“: „Alles ist schön, was vollkommen ist […]. Aesthetische Schönheit besteht in geistreichen Gedanken, genauen Angebungen und richtigen Darstellungen des Ausdrucks und der Ausführung.“941 Im weiteren Verlauf antwortet er auf die Frage nach der Qualität eines Kunstwerks:
Man nennt ein Kunstwerk trocken, wenn es weder die äußern Sinne erregt und darauf aufmerksam macht, noch auf innere Gefühle wirkt – unwahr, wenn es an das fabelhafte gränzt […] – üppig, wenn es zu viel unnöthige Pracht und Zierathen enthält, korrekt, wenn es alle Eigenschaften umfaßt, die der Kenner daran zu finden wünscht […].942
Die Jahre 1808 bis 1811 verbrachte er in Paris. Dort machte er seine Ausbildung zum Maler und Radierer und gehörte zu den Schülern von Jean-Baptiste Regnault (1754–1829). In dieser Zeit fertigte er eine Kopie von Jacques-Louis Davids Bildnis des Kaisers Napoleon an, die er der Kölner Munizipalbehörde zusandte.943 Sie nahm das Bild
941 HAStK Best. 350, A 5886/2, fol. 17v.
942 Ebd., fol. 18r.
943 Engelbert Willmes (1786–1866): Napoleon überquert die Alpen, vor 1811, Öl auf Leinwand, 138 × 118 cm, Köln, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Inv.-Nr. WRM 1435.
Der große Kreis der frühen Sammler von 1811 bis zum Beginn der preußischen Zeit 259