Health and Design - Messung von Raum in Zeit und Zeit im Raum - Lothar Koppers, Sabrina Kabon

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Messung von Raum in Zeit und Zeit im Raum Lothar Koppers Sabrina Kabon

health&design


Publisher Anhalt University of Applied Sciences Department 3 Bauhausstraße 5 06844 Dessau Fon +49(0)340 - 5197 1531 Fax +49(0)340 - 5197 1599 www.afg-hs-anhalt.de

Editors Prof. Alfred Jacoby Dr. Gunnar Hartmann

Layout/Design Henry McKenzie

Printing Solid Earth Print Production, Berlin

Copyright The authors, photographers and designers

ISBN 978-3-96057-003-5 © 2015


Messung von Raum in Zeit und Zeit im Raum Lothar Koppers Sabrina Kabon



Einleitung Im Labor der Gesundheitslandschaft beschäftigt sich diese Publikation mit dem Messen von Raum in der Zeit und umgekehrt. Dadurch entstehen neue Zeit-Raum Modelle als neue Kartierungen dieser Landschaft. Speziell im Thema Gesundheit entwickelt sich eine zunehmende Dispersion von Gesundheitszentren im Raum, die eine zunehmende Polyzentralität der Gesundheitslandschaft hervorrufen wird. Diese Beobachtung gehen Hand in Hand mit Lars Lerups und Gunnar Hartmanns Studien zur voranschreitenden Polyzentralität städtischer Strukturen in die Region hinein. In einzelnen Projekten untersucht Lothar Koppers prozessuale Wandlungen und ihre Effekte auf die virtuelle gesundheitsgeografische sowie materielle Wirklichkeit. Die Labormethodik ist jeweils die Beobachtung/Beschreibung von Phänomenen im Raum und den darin enthaltenen nötigen materiellen Gegenständen (z.B. das Krankenhausbett als Objekt akuter Erkrankung oder eine Dialysemaschine als Objekt chronischer Krankheit). Bezogen auf diese Gegenstände oder die Personen die sie nutzen, sind die Untersuchungen jeweils gekoppelt mit einer begleitenden Datenerhebung durch geoinformatische Messung im Raum selbst. Im Falle der Betrachtung auf der Ebene einer geografischen Region ist dies zum einen die Bewegung hin zu diesem Gegenstand, wie im Falle der Wartung für ein künstliches Organ (Dialysemaschine), bzw. im kleinerem Maßstab finden die Messungen innerhalb des Behandlungsraums selbst statt (Krankenhaus). Ziel der geoinformatischen Untersuchungen ist es, für die stetig verändernden Prozesse innerhalb der Gesundheitslandschaft dynamische (Raum-) Bilder als Modelle zu generieren und/oder aus den sich verändernden räumlichen und prozessualen Gegebenheiten neue theoretische Erkenntnisse über die Folgen eines Paradigmenwechsels innerhalb dieser Landschaft zu beschreiben. Prof. Alfred Jacoby


Messung von Raum in Zeit und Zeit im Raum Die Messung von Räumen ist seit je her eng mit der Beherrschung der Zeit verbunden. Bereits in der Antike verband man die Überwindung von Entfernungen mit Zeitbegriffen. Reisen wurden mit der Zahl der erforderlichen Tage angegeben, Flächen über Äquivalente der Bewirtschaftungszeit. Genauere Navigation auf dem Wege der Astronomie erfolgte mit dem Astrolabium und so einer Geometrie-Zeit Relation (Schröder 2011, S. 92 ff). In der frühen Neuzeit wurden die Anforderungen an Genauigkeiten der Streckenmessung immer höher. Dies galt insbesondere für die Zwecke der Navigation von Schiffen. Mit der Festlegung des Gradnetzes erfolgte die Bestimmung als ein Äquivalent der Zeit (15° Drehung der Erde = 1 Stunde). Dem gegenüber wurde das Maß für die Längeneinheit angepasst, so dass 1 Nautische Meile = 1 Winkelminute auf einem Großkreis (später der Länge eines mittleren Längen-Großkreises). Auch die Bezeichnungen Minute und Sekunde im Gradnetz weisen auf diesen Zusammenhang hin (Richter & Engshuber 2014, S. 44 ff). Die Messung der geographischen Länge war durch diesen Zusammenhang stark abhängig von der Messung der Zeit. Die Genauigkeit der Schiffsuhr entschied darüber. Nach dem Untergang der britischen Flotte vor den Scilly-Inseln setzte das englische Parlament 1714 einen Preis von 20.000 Pfund (dem Gegenwert von 10 seetauglichen Schiffen mittlerer Größe) aus, welcher für die Entwicklung einer seetauglichen, transportablen Uhr gezahlt werden sollte. Die 1757 vorgestellte, die Vorgaben erfüllende Uhr „nahm die Uhrzeit des 4


Ausgangshafens mit auf die Reise“ (James Cook, 1775) und aus der Differenz zur astronomisch bestimmbaren Ortszeit war der Längengrad zu ermitteln. (Kortum 2001; Richter & Engshuber 2014, S. 35 ff). Nicht nur Astronomen, Geographen oder Navigatoren sondern ebenfalls Philosophen äußern sich zum Zusammenhang von Raum und Zeit. So beschreibt Immanuel Kant Raum und Zeit als Vorstellungen, die allen sinnlichen Wahrnehmungen apriori zugrunde liegen (Kant 1781, S. 72 ff). Auch die heute in Europa übliche Maßeinheit für eine Strecke, der Meter, hat einen Zeitbezug. 1960 wurde 1 Meter definiert als das 1 650 763,73-fache der Wellenlänge der von Atomen eines bestimmten Nuklids bei einem definierten Zustandsübergang ausgesandten, sich im Vakuum ausbreitenden Strahlung. Die Wellenlänge bezeichnet den kleinsten Abstand zweier Punkte gleicher Phase einer Welle. Zwei Punkte haben die gleiche Phase, wenn sie im zeitlichen Ablauf die gleiche Auslenkung und die gleiche Bewegungsrichtung zeigen. Seit 1983 ist die Länge eines Meters als diejenige Strecke definiert, die Licht im Vakuum innerhalb des Zeitintervalls von 1/299 792 458 Sekunden durchläuft. (Sellen et al. 2014; Physikalisch-Technische Bundesanstalt 2007).

Die moderne Satellitenortung, das US-amerikanische NAVSTAR GPS verwenden originär Zeitmessungen. Jedes von einem Satelliten ausgesendete Signal enthält die Information über den Zeitpunkt seiner Aussendung.

Auch heute noch werden nicht nur zur Definition von Längen, sondern auch zu deren Messungen Zeitdifferenzen verwendet. So gibt es zur Richtungsmessung ein Verfahren, bei dem die Zeitdifferenz einer mit konstanter Geschwindigkeit rotierende Kreisscheibe über einen Sektor darin umgerechnet wird (Sellen et al. 2014). Ein anderes Beispiel ist die Entfernungsmessung per Ultraschall. Der eigentliche Sensor gibt nur eine Zeitdifferenz zwischen ausgesendetem und empfangenem Signal an. Davon die Hälfte, korrigiert um einige Messungen, welche das atmosphärische Modell abbilden und es ermöglichen, die Schallgeschwindigkeit in der Luft schätzen, ergibt die Messstrecke (Paul et al. 2014). Auch die moderne Satellitenortung, das USamerikanische NAVSTAR GPS (ebenso, wie das russische GLONASS oder das europäische GALILIO und andere) verwenden originär Zeitmessungen. Jedes von einem Satelliten ausgesendete Signal enthält die Information über den Zeitpunkt seiner Aussendung. Subtrahiert wird diese Information von Messung der Zeit des

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Abbildung 1: Zeitsph채ren auf Basis der zeitbasierten Streckenmessung von empfangenen NAVSTAR GPS Satelliten zur Erde und der sich daraus ergebenden Position durch r채umlichen Schnitt.

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Signalempfangs. Anzubringende Korrekturen dienen im Wesentlichen der Nachbildung bzw. systematischen Korrektur des Atmosphärischen Modells, durch welches die ausgesendete elektromagnetische Welle läuft und welche die Laufzeit und damit die Messgröße Entfernung beeinflusst. Ist die Entfernung über die Laufzeit ermittelt, so wird um jede Position eines Satelliten eine Kugel mit dem Radius der Entfernung zur bestimmenden Position geschlagen. Der gesuchte Ort befindet sich dann im Schnitt dieser Kugeln (siehe Abbildung 1). Neben dem Modell der Atmosphäre ist daher die Genauigkeit der im Satelliten befindlichen Uhr von besonderer Bedeutung, um eine bestmögliche Schätzung des Ortes zu erreichen. Die Ganggenauigkeit der Uhren in den Satelliten liegt typischerweise bei 10 Nanosekunden, bei der Geschwindigkeit des Satelliten im NavstarGPS entspricht dies einer zurückgelegten Strecke von ±15m. Weitere Korrekturen verwenden relativistische Effekte, um die Zeiten zu korrigieren (Dodel & Häupler 2010, S. 1 ff.; Mansfeld 2004, S. 107 ff).

Für uns als Menschen ist die gemessene Strecke eigentlich nur ein Substitut für z.B. selbst zurückgelegte Entfernungen. So ist es üblich, Entfernungen sowohl nach ihrer Streckenlänge anzugeben, aber auch nach der Dauer, die benötigt wird, diese zu überwinden.

Deutlich zu erkennen ist aus dieser Auflistung der enge Zusammenhang zwischen Zeit und Raummessung. Für uns als Menschen ist die gemessene Strecke eigentlich nur ein Substitut für z.B. selbst zurückgelegte Entfernungen. Metrische Entfernungen zuverlässig zu schätzen ist äußerst schwierig. So ist es üblich, Entfernungen sowohl nach ihrer Streckenlänge anzugeben, aber auch nach der Dauer, die benötigt wird, diese zu überwinden. Üblich sind solche Angaben bei Wanderwegen, aber auch für öffentliche Verkehrsmittel, wie Bus oder Bahn. Die Strecke wird auf diesem Weg durch die Zeit in Form der Geschwindigkeit relativiert. Die Geschwindigkeit ist von typischen Bedingungen abhängig. Als eine solche ist die Art der Fortbewegung oder das Fortbewegungsmittel zu nennen. Art und Weise der Strecke, welche zurückgelegt wird ist von Belang. Einfluss hat auch die körperliche Verfassung der Person, welche den Weg auf sich nimmt. Zudem gibt es Regeln, welche das Vorwärtskommen entlang der Strecke beeinflussen. Sei es eine Fähre, welche nur zu bestimmten Zeiten fährt, Fahrverbote für bestimmte Fahrzeuge zu vorgegebenen Zeiten oder zeitlich abgängige Geschwindigkeitsregeln, alle diese haben zur jeweiligen Gültigkeit Einfluss auf die Dauer, die benötigt wird, um eine Strecke zurückzulegen. Diese Bedingungen und Regeln unterliegen typischerweise tageszeitlicher Variation. 7


Abbildung 2: Blick auf ein Navigationsinterface (hier Skobbler f체r IPhone) und dem Kostenattribut zul채ssige Geschwindigkeit (30 km/h), sowie der daraus resultierenden Gesamtfahrzeit zum Ziel

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Neben regelmäßigen und somit gut vorhersehbaren Bedingungen gibt es solche, die zufällig und nicht vorhersehbar sind. Dazu gehören Wettereinflüsse, hohes Verkehrsaufkommen oder Staus. Diese treten zwar auch innerhalb von nicht absoluten Gesetzmäßigkeiten auf, bleiben aber dennoch zufällig. Ist es das Ziel, die Zeit für einen Weg zu ermitteln, so gleichen die Klassen für die beitragenden Parameter (typisch, systematisch und zufällig) stark denen, die bei einer Messung fehlertheoretisch auftreten (grob, systematisch, und zufällig). Auch ist die geschätzte Ankunftszeit immer fehlerbehaftet. Ein zu Beginn der Bewegung optimaler Weg erhält einen anderen Verlauf. Die Zeit-, wie auch die Strecke wird veränderlich und dynamisch (Reif 2010, S. 192–203).

Der eigene Ort (Start) und der zu erreichende Ort (Ziel) werden als bestimmte Raumgröße (Koordinate) festgelegt. Der Weg dazwischen wird in kleine, geeignete Wegstücke topologisch unterteilt, die an Knoten beginnen und enden.

Wie kann nun daraus ein Modell gebildet werden, mit dem sich eine zuverlässige Dauer für die Überwindung einer Strecke ermitteln lässt? Zunächst werden der eigene Ort (Start) und der zu erreichende Ort (Ziel) als bestimmte Raumgröße (Koordinate) festgelegt. Der Weg dazwischen wird in kleine, geeignete Wegstücke topologisch (also raumstrukturell, nicht raummessend) unterteilt, die an Knoten (z.B. Wegtrennungen oder Kreuzungen oder potentiellen Startpunkten oder Zielorten) beginnen und enden (Nitzsche 2009). Dijkstra verwendet dazu Graphen. Graphen repräsentieren die topologische Verbindung eines Streckenabschnitts. Graphen werden in diesem Modell durch Kosten attribuiert. Kosten sind jedoch nur ein Platzhalter für eine thematisch variante Bewertungsmöglichkeit des jeweiligen Graphen. Die Kosten stehen so für verschiedene Sichtweisen auf die Verbindung zwischen zwei Knoten. Dies können tatsächliche Kosten sein, z.B. Fahrkosten, es kann aber auch eine Strecke oder eine Dauer (siehe Abbildung 2) oder ein sonstiger Aufwand dadurch abgebildet werden (Nitzsche 2009; Dijkstra 1959). Welchen Platzhalter die Kosten darstellen, kann auch durch ein mathematisches Modell beschrieben werden. So werden in einem hochwertigen Navigationssystem üblicherweise Fahrzeugcharakteristika eingestellt, Geschwindigkeitsbeschränkungen und Abbiegevorschriften bei der Berechnung eines Wegevorschlags integriert und Verkehrsmeldungen dynamisch ausgewertet. Die dafür notwendigen Daten werden ständig erfasst und fortgeführt. Durch ständige Iteration mit immer neuem Startpunkt entsteht eine 9


fortgesetzte Verbesserung der Wegeberechnung. Noch nahezu keine Berücksichtigung findet Expertenwissen — „früh um 8.30 Uhr über den Altstadtring muss man gleich fünf Minuten länger rechnen“ (Nitzsche 2009; Reif 2010, S. 192–203). Voraussetzung für eine realitätsnahe Navigation ist neben der Kenntnis eines an das Graphennetz angeschlossenen Zieles und eines tragfähigen Wegedatensatzes, die möglichst genaue Kenntnis des aktuellen Ortes. In kostengünstigen Fahrzeugnavigationsanlagen wird dieser Ort üblicherweise per Satellitenortung bestimmt. Diese Form der Ortsbestimmung verlangt eine quasioptische Sichtverbindung zwischen Empfangsgerät und Satellit. Eine solche kann in Tunneln oder innerhalb von Gebäuden nicht hergestellt werden. Eine Satellitenortung ist in diesen Umgebungen nicht möglich (Reif 2010, S. 192–203). Hochwertigere Anlagen betreiben MapMatching. Von einem bekannten Punkt ausgehend, wird Strecke (per 1. Ableitung der Geschwindigkeit, gemessen durch den Tachometer) und Richtung (per eingebauten Richtungskreisel) fortgesetzt mit typischerweise 100 hz gemessen und daraus in jedem Intervall die Position per Dead Reckoning berechnet und auf die vorhandenen Wegedaten projiziert. Biegt das Fahrzeug ab, registriert dies der Kreisel (starke Winkelveränderung) und durch den Vergleich mit den Wegedaten erfährt die Positionsbestimmung an der Abbiegestelle ein Update (Dodel & Häupler 2010, S. 372–373; Dalumpines & Scott 2011). Dieses Verfahren funktioniert bei langgezogenen Wegstrecken und Fortbewegungsmitteln, welche sich auf einer Trajektorie der Charakteristik einer Kurve II. Grades bewegen eben auch dort, wo keine Satellitensignale empfangen werden können, da diese im Verkehr keine abrupten Richtungsänderungen vornehmen und Fehler der Sensorik nur eine untergeordnete Rolle spielen (Dodel & Häupler 2010, S. 372; Dalumpines & Scott 2011). Für die Positionsbestimmung zur Fußgängernavigation in Gebäuden sind beide Verfahren ungeeignet, da sowohl die Grundvoraussetzungen Sichtbarkeit der Satelliten als auch die Bedingung der Bewegung als Kurve II. Grades nicht vorliegen. Die Positionsbestimmung muss daher auf andere Art und Weise durchgeführt werden.

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Gerade in komplexen, öffentlichen Gebäuden, wie zum Beispiel medizinischen Einrichtungen bietet sich eine Indoor-Navigation bzw. eine Positionsbestimmung an. Diese bezieht sich auf die Orientierung und das Zurechtfinden im Gebäude, auch über mehrere Stockwerke und auf die benötigte Zeit, um von einen Ort zum anderen zu gelangen. Über die Sensorik von Smartphones und ihren Anwendungen (Apps) kann mit Hilfe der Ortung des Nutzers deren Positionen, Bewegungen und auch Ruhe- bzw. Wartezeiten erfasst bzw. abgeleitet werden. Dies bringt Vorteile für das medizinische Personal und die Patienten, hinsichtlich der Kommunikation untereinander. Ebenso bietet es die Möglichkeit für das Identifizieren und Verbessern ineffizienter Arbeitsabläufe bezüglich der Wartezeit. Für die Positionsbestimmung, respektive Ortung, im Innenbereich stehen die unterschiedlichsten Methoden und Technologien zur Verfügung, welche ausführlich in Mautz (2012) vorgestellt werden. Um die Positionsermittlung einer breiten Nutzergruppe bereitzustellen, empfiehlt sich die Verwendung von Smartphones oder vergleichbaren mobilen Geräten. In diesen handlichen Geräten sind einige Sensoren und Antennen verbaut, welche auf verschiedenste Art und Weise in entsprechenden Anwendungen benutzt werden können. Zum Standard eines aktuellen Smartphones gehören Helligkeitssensor, Barometer und Gyroskope, häufig sind zudem Beschleunigungssowie Fingerabdrucksensoren eingebaut. Auch einfache Antennen für NavstarGPS und Bluetooth-Signale sind integriert (Shackles 2012).

Gerade in komplexen, öffentlichen Gebäuden bietet sich eine IndoorNavigation bzw. eine Positionsbestimmung an. Über die Sensorik von Smartphones und ihren Anwendungen (Apps) kann mit Hilfe der Ortung des Nutzers deren Positionen, Bewegungen und auch Ruhe- bzw. Wartezeiten erfasst bzw. abgeleitet werden.

Eine Methode der Indoor-Lokalisierung kann über die Signalmessung in ein vorhandenes WLAN (Wireless Locale Area Network) in den Gebäuden erfolgen. Dafür muss es (beinahe) flächendeckend vorhanden sein und mehr als drei Sendeanlagen (Access Points) verfügen. Vorteil dieser Technologie ist, dass keine weiteren Anschaffungen an Infrastruktur benötigt werden. Die Ermittlung der Positionsdaten kann unter anderem über das Verfahren Received Signal Strength Indication (RSSI)-Fingerprinting erfolgen. Hierbei werden die Feldstärken einzelner WLAN-Spots erfasst. Allerdings beeinflussen die baulichen Gegebenheiten und weitere Funkquellen die Stärken so stark, dass eine hohe Fehleranfälligkeit entsteht. Dies kann zwar durch eine hohe Abdeckung von Access Points vermindert werden (das Verfahren benötigt immer mindestens

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drei in Reichweite des mobilen Endgeräts), verlangt aber Korrekturen durch Mehrfachmessungen, um Genauigkeiten von wenigen Metern zu erzielen. Dies reicht jedoch aus, um eine Zimmergenauigkeit zu erzielen. Berechnet wird die Empfängerposition durch das Verfahren der Trilateration. Dabei wird die gesuchte Koordinate über die Schnittpunkte von sich im Idealfall kugelförmig ausbreitende Funkwellen ermittelt. Die Kreise (siehe Abbildung 2) repräsentieren den Abstand des Gerätes zum jeweiligen Hotspot, abgeschätzt über die Signalstärke. Dieses Verfahren ähnelt dem des NAVSTAR GPS (siehe Abbildung 1). Durch die Ungenauigkeiten der Messungen kann letztendlich keine hochgenaue Position bestimmt werden. Ergebnis ist ein Erwartungsbereich welcher bei etwa 15 Metern liegt, eine hohe Dichte an Access Points vorausgesetzt. Um die Genauigkeit zu steigern erfolgt die Verwendung des RSSI-Fingerprintings. Dabei werden die Gebäude im Vorhinein (offline Kalibrierung) bezüglich der Signalfeldstärken der vorhandenen WLAN Access Points vermessen. Die Referenz-Messung wird für eine anschließende statistische Auswertung benötigt. Dieser soll möglichst genau das Funkstärkeprofil des Ortes repräsentieren. Die aufgezeichneten Profile der einzelnen Räume werden gespeichert. Jeder Raum erhält somit einen „Fingerabdruck“ der empfangenen WLAN-Signalstärken. Bei späteren Anwendungen werden die gemessenen Signalstärken der empfangen Hotspots mit den gespeicherten Signalprofilmodellen verglichen (Online Phase). Eine Positionsbestimmung erfolgt über die bestmögliche Übereinstimmung der Parameter. Somit können Indoor-Positionsgenauigkeiten bis zu zwei Metern erreicht werden (Mautz 2012; Quan, Navarro & Peuker 2010). Allerdings sind auch die erfassten WLAN-Signalprofile von der Veränderlichkeit von Raum und Zeit betroffen. So kann durch Veränderungen des Wetters, baulicher Strukturen und des Inventars (abhängig von Tageszeiten) die Schwankung der Signalstärken beeinflusst werden. Hervorgerufen wird dies unter anderem durch vermehrte Anmeldungen im WLAN über diverse Geräte sowie beträchtliche Personenströme. Zeitliche Beeinflussungen dieser Signale im Raum stellen eine große Herausforderung bei der Erfassung und Modellierung der Signalstärkeprofile dar. Die Unsicherheiten der Signale werden durch diverse Mehrfachmessungen bei verschiedenen Ausprägungen des Raumes und der Zeit erfasst. Hierfür sind 12


WLAN

WLAN

Access Point 2

Access Point 1

Sig na Ab lst채r na k hm e e

WLAN Access Point 3

Abbildung 3: Positionsbestimmung 체ber RSSI-Trilateration (Signalst채rkeprofile)

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Cafeteria

POI: Anmeldung

Route

Ă–ffentl. Orte

Position

Information

Abteilungsmarkierung

Cafeteria

Abbildung 4: Visualisierungsbeispiel der Points of Interesst (POI), Route und Position

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mindestens drei Messungen zu unterschiedlichen Tageszeiten an verschiedenen Tagen nötig. Dabei ist es das Ziel, dass die Aufnahmen möglichst alle auftretenden Schwankungen im WLAN unter unterschiedlichen Bedingungen repräsentieren (Shih et al. 2012). Mit Hilfe des Mediums Smartphone können die aktuellen Positionen der Anwender in einer Kartendarstellung (siehe Abbildung 3) zum Beispiel über einen Gebäudegrundriss etagenübergreifend präsentiert werden. Auch dreidimensionale Darstellungen sind möglich und bei der Orientierung hilfreich. Ausgehend von einer möglichen Positionsermittlung, besteht ebenso die Möglichkeit der Navigation mittels Smartphone. Individuell geeignete Routen vom Startzum gewünschten Zielpunkt können berechnet und visualisiert werden (siehe Abbildung 4). Dem Nutzer steht eine Anpassung des Schritttempos und der eventuelle benötigten Barrierefreiheit (zum Beispiel: Treppennutzung ausgeschlossen) zur Verfügung. Somit wird nicht nur die Streckenangabe des zurückzulegenden Weges, sondern die entsprechende benötigte Zeit berechnet. Das Routing stellt somit für den Anwender eine individuelle Bewegungsschätzung in Raum und Zeit dar. Dies wird verwendet, indem dieser nicht nur eine persönlich angepasste Route sondern auch die benötigte Zeit vom Start zum Ziel erhält. Daraus ergibt sich die Möglichkeit Termine und Abläufe effizienter zu planen.

Ausgehend von einer möglichen Positionsermittlung, besteht ebenso die Möglichkeit der Navigation mittels Smartphone. Individuell geeignete Routen vom Startzum gewünschten Zielpunkt können berechnet und visualisiert werden

In medizinischen Einrichtungen kann dies für die Auflösung raum- und bettgebundenen Wartezeiten genutzt werden. Durch die Vernetzung der Patienten und des medizinischen Personals über eine solche mobile Anwendung (siehe Abbildung 4), erfolgt eine Kommunikation hinsichtlich Wartezeit und Position. Dem Patienten steht somit offen, sich frei um das Klinikgelände zu bewegen und trotzdem rechtzeitig auf die persönliche Sprechzeit hingewiesen zu werden. Dank der damit verbundenen Ortung eines Nutzers können dessen Verspätungen und die damit verbundene Ankunftszeit in das Terminmanagement eingeplant werden und gegebenenfalls angepasst werden. Der zwingende Aufenthalt im Warteraum wird somit aufgelöst und bietet Patienten und Personal freiere Verfügung von Raum und Zeit.

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Patient & Smartphone

Positionsermittlung

Routing

Ortung

Termine

Anwendungsserver

WLAN Access Points

med. Personal & PC

Abbildung 5: Ablaufplan einer Vernetzung der Patienten und des medizinischen Personals 端ber eine mobile Anwendung zur Kommunikation hinsichtlich Wartezeit und Position

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Zusammenfassung Raum und Zeit sind in der Wahrnehmung des Menschen eng miteinander verknüpft. Auch das Messen von Raum bzw. Zeit steht in engem gegenseitigem und physikalischem Zusammenhang. Häufig lässt sich mit den Methoden der jeweiligen Epoche die Zeitmessung an die Raummessung koppeln. Die Verknüpfung von Raum und Zeit spielt seit jeher eine große Rolle bei der Positionsbestimmung und Navigation, sei es über NAVSTAR GPS oder WLANOrtung. Sie beeinflussen sich gegenseitig und haben Auswirkungen auf die verschiedensten Bewegungen und Abläufe. Unter anderem im öffentlichen Nah- und Personenverkehr können wir deren Zusammenspiel und Folgen täglich erleben. Auch in medizinischen Einrichtungen ist deren Verknüpfung stark zu spüren. Durch die personenbezogene Ortung und individuelle Navigation über eine mobile Anwendung kann allerdings die starre Verbindung der Zeit und des Raums teilweise aufgehoben werden. Im Krankenhaus verschwimmen die Grenzen zwischen Raum und Zeit zunehmend. Dies liegt an den unterschiedlichen körperlichen Fähigkeiten von Patienten, aber auch an der Verwässerung der Bedeutung von Zeit im Rahmen des Prozesses der Gesundung. Die Messung eines Patienten in einem Krankenhaus, bezogen auf seine Position und die Berechnung seines, für eine Behandlung zurückzulegenden Weges, sowie die Information darüber, wann er sich auf den Weg dazu machen muss, führt im Krankenhausmanagement zu verschiedenen Vorteilen. Dies ist ein Verfahren, um Wartezeiten zu vermindern und gleichzeitig die individuelle Bewegungs- und Bestimmungsfreiheit zu stärken.

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SELLEN, M. et al., 2014. Weg- und Winkelsensoren. In: H.R. TRÄNKLER and L. M. REINDL, eds. Sensortechnik. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg, S. 573–724 SHACKLES, G., 2012. Mobile development with C#. Sebastopol: O'Reilly SHIH, C.-Y. et al. Intelligent radio map management for future WLAN indoor location fingerprinting. 2012 IEEE Wireless Communications and Networking Conference (WCNC), S. 2769–2773

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Illustrationen Abbildung 1: Darstellung der Zeitsphären auf Basis der zeitbasierten Streckenmessung von empfangenen NAVSTAR GPS Satelliten zur Erde und der sich daraus ergebenden Position durch räumlichen Schnitt. Abbildung 2: Blick auf ein Navigationsinterface (hier Skobbler für IPhone) und dem Kostenattribut zulässige Geschwindigkeit (30 km/h), sowie der daraus resultierenden Gesamtfahrzeit zum Ziel. Abbildung 3: Positionsbestimmung über RSSI-Trilateration (Signalstärkeprofile) Eigene Darstellung in Anlehnung an Dornbusch & Zündt (2002). Abbildung 4: Visualisierungsbeispiel der Points of Interesst (POI), Route und Position. Eigene Darstellung. Abbildung 5: Ablaufplan einer Vernetzung der Patienten und des medizinischen Personals über eine mobile Anwendung zur Kommunikation hinsichtlich Wartezeit und Position. Eigene Darstellung.

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Health & Design series at Anhalt University of Applied Sciences in cooperation with the Cluster of Excellence Image Knowledge Gestaltung at Humboldt-Universit채t zu Berlin


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