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MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE

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MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE Inhalt Theoretischer Teil ....................................................................................................................... 4 Einleitung................................................................................................................................... 4 3.1 Mit gesellschaftlichen Vorurteilen umgehen ...................................................................... 5 3.1.1 Fallbeispiel: Brief "Lass uns gemeinsam spielen"......................................................... 5 Praktischer Teil............................................................................................................................ 9 3.1.2. Vorurteile überwinden (Reflexionsübung) .................................................................. 9 Theoretischer Teil ..................................................................................................................... 11 3.2 Selbstwertgefühl ............................................................................................................... 11 3.2.1 Wie man positives Selbstwertgefühl erkennt ............................................................ 11 3.2.2. Wie man geringes Selbstwertgefühl erkennt ............................................................ 12 3.2.3. Drei Möglichkeiten, das Selbstwertgefühl zu steigern.............................................. 13 Praktischer Teil.......................................................................................................................... 15 3.2.4 Überlegungen zu Affirmationen ................................................................................. 15 3.2.5 Übung: Wir können uns selbst damit beeinflussen, was wir zu uns sagen ............... 16 3.2.6. Persönliche Geschichte: Die Mutter eines Familienmitglieds mit Autismus ............ 17 3.2.7. Unterstützung bei der Entwicklung eines positiven Selbstwertgefühls (Reflexionsübung) ............................................................................................................... 18 3.2.8. Praktische Übung: Stärkung des Selbstwertgefühls .................................................. 21 3.2.9. Beispiele zur Reflexion .............................................................................................. 21 3.2.10. Selbsteinstufungstest (Rosenberg Selbstwertskala) ............................................... 27 Theoretischer Teil ..................................................................................................................... 28 3.3. Kommunikation in der Familie ......................................................................................... 28 3.3.1. Faktoren, die die Kommunikationsebene beeinflussen können............................... 29 3.3.2. Strategien für eine effektive Kommunikation in einem familienzentrierten Kontext ............................................................................................................................................. 32 Praktischer Teil.......................................................................................................................... 32 3.3.3 Zuhören ...................................................................................................................... 33 3.3.4 Was Sie als Eltern vermeiden sollten (Reflexionsübung) ........................................... 36 3.4. Test zur psychischen Stärke von Eltern ............................................................................ 39 Praktischer Teil.......................................................................................................................... 40 3.5. Ermutigende und lobende Worte .................................................................................... 40 3.6. Vervollständigen Sie die folgenden Sätze mit passenden Wörtern ............................ 41 3.7. Positives Denken .............................................................................................................. 42 2


MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE Theoretischer Teil ..................................................................................................................... 43 3.7.1 Was ist positives Denken? - Wie Sie Ihr Familienmitglied mit Behinderung fördern können................................................................................................................................. 43 3.7.2 Können Menschen mit Behinderung das Konzept des positiven Denkens verstehen? ............................................................................................................................................. 43 3.7.3 Wie können Eltern positives Denken fördern? .......................................................... 46 3.7.4 Wichtige Punkte, an die wir denken sollten............................................................... 47 Praktischer Teil.......................................................................................................................... 48 3.7.5 Übungen zum positiven Denken ................................................................................ 48 3.7.6 Wie man positives Verhalten fördern kann ............................................................... 49 Praktischer Teil.......................................................................................................................... 54 3.7.7 Tipps zum positiven Denken ...................................................................................... 54 3.7.8. Übung zum positiven Denken ................................................................................... 55 3.7.9 Reflexion..................................................................................................................... 56 3.7.10 Übung: "Warum es nicht offensichtlich ist" ............................................................. 56 3.7.11. Übung "Selbsteinstufung des Glücks" ..................................................................... 56 3.7.12 Übung "Positives Denken - Dankbarkeit und Zuversicht" ........................................ 58

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MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE Theoretischer Teil Einleitung Eine weit verbreitete Definition beschreibt Empowerment (psychische Stärke) als "... einen bewussten, fortlaufenden Prozess ..., der dafür sorgt, dass Menschen, die nicht denselben Anteil an wertvollen Ressourcen haben, einen besseren Zugang zu diesen Ressourcen und stärkere Kontrolle über diese Ressourcen erhalten." (Cornell Empowerment Group, 1999, S. 2). In diesem Modul definieren wir Empowerment als "... einen Prozess, der Familien Zugang zu Kenntnissen, Fähigkeiten und Ressourcen gibt, die es ihnen ermöglichen, positive Kontrolle über ihr eigenes Leben zu gewinnen und ihre Lebensqualität zu verbessern." (Singh, 1995, S. 13). Dazu zählen wichtige Aspekte von Selbstwirksamkeit, das Gefühl, Kontrolle zu haben, das Erfüllen persönlicher Bedürfnisse und die Nutzung des eigenen Wissens, um die Bedürfnisse von

Familienmitgliedern

mit

Behinderung

zufriedenzustellen und deren Stärken zu erkennen. Abb. 3.0 „Weißt du was? Ja, das kannst du!“

Das Hauptziel des Moduls ist es, den Eltern/Angehörigen die Botschaft "Ja, du kannst" sowohl für sich selbst als auch für ihr Familienmitglied mit Behinderung ans Herz zu legen. Dies betrifft drei wichtige Punkte: das Selbstbewusstsein, das Selbstwertgefühl und vor allem das Wissen, dass Sie Ihr eigenes Leben und das Leben Ihres Familienmitglieds mit Behinderung beeinflussen. Dieses Modul legt besonderen Wert auf die individuelle Stärkung der Eltern/Angehörigen. Wenn Sie als Elternteil/Angehörige/Angehöriger das Gefühl haben, Ihr Familienmitglied mit Behinderung benötigt externe psychologische Unterstützung, so zögern Sie bitte nicht und nehmen Sie mit einer Expertin/einem Experten Kontakt auf. Psychologische Unterstützung finden Sie über Empfehlungen von Menschen, denen Sie vertrauen, oder Sie wenden sich an Ihre Ärztin/Ihren Arzt oder an ein psychosoziales Betreuungszentrum.

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MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE 3.1 Mit gesellschaftlichen Vorurteilen umgehen 3.1.1 Fallbeispiel: Brief "Lass uns gemeinsam spielen"

Abb. 3.1 Kinder beim Spielen auf dem Schulhof

"Lassen Sie uns ein Spiel spielen - die Positionen wechseln! Stellen Sie sich vor, dass Sie Ballspiele lieben, aber an einen Stuhl gefesselt sind und sich nicht befreien können. Ihre KollegInnen laufen an Ihnen vorbei, spielen mit dem Ball, lachen, haben Spaß und bemerken Sie nicht einmal. Sie brechen in Tränen aus, aber niemand kann die Tränen trocknen - auch Sie selbst nicht. Stellen Sie sich vor, dass Sie noch zur Schule gehen und die Klassensprecherin/der Klassensprecher sind. Plötzlich verstehen Sie kein Wort von dem, was Ihre LehrerInnen unterrichten. Sie finden es schwierig, sich zu konzentrieren und mit den Unterlagen zu arbeiten. Sie werden nicht einmal bewertet, während andere Hefte voller "Sehr gut" sind. Dann gibt es eine Feier. Über Sie wird nichts oder nur etwas ganz Kurzes gesagt. Sie nehmen nicht an Schulveranstaltungen teil und Ausflüge sind für Sie tabu. Alle lachen Sie aus und starren Sie an... Tränen laufen Ihnen über das Gesicht, aber sie bleiben alleine... 5


MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE Zu Ihrem Glück ist das nur ein Spiel, aber für mich ist das mein Leben! Es gibt unzählige Möglichkeiten, aber spielen wir doch zusammen in einem Team und ändern die Regeln: Obwohl ich nicht aus dem Stuhl aufstehen kann, können Sie mir den Ball herwerfen und mich anlächeln. So kann ich beim Spiel mitmachen. Wenn ich dem Unterricht nicht folgen kann oder die Aufgabe nicht verstehe, helfen Sie mir und unterstützen Sie mich. Nehmen Sie mich so an, wie Sie sich selbst annehmen, auch wenn man mit mir anders umgehen muss, es schwieriger ist, mit mir zu sprechen oder mir zu schreiben. Keine Tränen, nur Lächeln... Wir sind bereits im gleichen Team - SPIELEN WIR DOCH EINFACH!"

Abb. 3.2 Darstellung der Gesellschaft

Viele Annahmen und Beurteilungen, die über Menschen mit Behinderung und deren Familien getroffen werden, werden vor dem Hintergrund eines medizinischen Modellansatzes getroffen. Dies ist zwar in einem sozio-kulturellen Kontext, in dem ein medizinisches Verständnis von Behinderung dominiert, nicht weiter überraschend, man muss jedoch auch davon ausgehen, dass diese Annahmen und Beurteilungen "ohne Berücksichtigung der relevanten Fakten und Argumente" vorgenommen werden, d. h. auf Vorurteilen beruhen.

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MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE Vorurteile finden nicht isoliert statt, sie sind Teil dessen, wie Diskriminierung auf der persönlichen Ebene zum Ausdruck gebracht wird. Voreingenommene Beurteilungen werden aus einer Position heraus getroffen, in der Menschen der Ansicht sind, dass sie ziemlich genau wissen, worum es geht, weil "es ja auf der Hand liegt". Die Gesellschaft erinnert uns immer wieder - zum Beispiel durch die Darstellung in den Medien - daran, dass Behinderung ein tragisches Einzelschicksal darstellt: Wenn nicht darauf hingewiesen wird, dass diese sogenannte "Wahrheit" ein verzerrtes Bild darstellt, werden die Menschen keinen Grund haben anzunehmen, dass es sich anders verhält. Voreingenommene Haltungen gegenüber Menschen mit Behinderung sind das unvermeidliche Ergebnis der Teilnahme an einer Gesellschaft, die Behinderung als persönliche Tragödie oder als individuelles Problem sieht. Manchmal spielen - trotz bester Absichten - Familien unwissentlich eine Rolle dabei, eine positive Identifizierung mit der Behinderung zu verhindern.

Abb. 3.3 Eine Familie

Eltern/Angehörige erkennen oft völlig zu Recht, dass die Fähigkeiten ihrer Töchter und Söhne bei weitem das überwiegen, was von Fachleuten und/oder Angehörigen als "Einschränkung" definiert wird. Wenn Behinderung als körperliche Einschränkung, als etwas, das mit dem Körper nicht stimmt, oder als unerwünschter Unterschied gesehen wird, kann es vorkommen, dass man seine Familienangehörigen ermutigt, sich selbst "nicht als behindert" anzusehen. Wenn jedoch junge Menschen mit Behinderung

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MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE lernen, sich selbst "gleich" wie ihre Geschwister ohne Behinderung zu sehen, führt das oft dazu, dass sie ihre Identität als "behinderter Mensch" für sich ablehnen. Auch spezielle Einrichtungen und Schulen fördern diese Art des Denkens häufig. Sie betonen ständig die Wichtigkeit der Normalität. Sie ermutigen junge Menschen mit Behinderung, "Normalität" als großartiges Ziel zu sehen, auf das man hinarbeiten sollte. Dadurch sehen sie aber ihre Behinderung als etwas Negatives, das sie überwinden oder vermeiden sollten. So haben junge Menschen mit Behinderung zwar eine Komfortzone, solange sie im Schutz der Familie und der Schule sind; gleichzeitig bereitet sie das jedoch nicht auf die Vorurteile und Schwierigkeiten vor, denen sie als Erwachsene in einer Gesellschaft ausgesetzt sind, die auf der Annahme konzipiert wurde, dass es keine Menschen mit Behinderung gibt.

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MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE Praktischer Teil 3.1.2. Vorurteile überwinden (Reflexionsübung)

RESPEKT für die

UNTERSCHIEDE

GEGEN DISKRIMINIERUNG Abb. 3.4 Unterschiede respektieren

Was können Sie als Elternteil/Angehörige/Angehöriger tun, um gesellschaftliche Vorurteile zu überwinden? 1. Geben Sie dem Umfeld so viele Informationen wie möglich über Behinderungen - sagen Sie, wie ihre Wirklichkeit aussieht. 2. Ermöglichen Sie es anderen Menschen, Ihr Kind mit Behinderung zu treffen, lassen Sie es nicht zu, dass es isoliert wird. 3. Denken Sie daran, dass positive Einstellungen schon im frühen Alter entstehen können. (Siehe Modul 4). 4. Verstecken Sie Ihr Familienmitglied mit Behinderung nicht, sondern versuchen Sie, anstatt der Schwächen und der Behinderung ihre/seine Stärken und Fähigkeiten aufzuzeigen. 5. Teilen Sie die Erfolgsgeschichten Ihres Familienmitglieds mit Behinderung mit Ihrem Umfeld, auch wenn Sie der Ansicht sind, dass es sich nur um kleine Schritte handelt.

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MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE 6. Die Gesellschaft braucht gute Beispiele und ermutigende Geschichten von Menschen mit Behinderung, die trotz ihrer Grenzen ein sogenanntes "normales Leben" führen. 7. Wenn es Ihnen möglich ist, nehmen Sie an Treffen mit anderen Eltern teil und erzählen Sie von Ihren Herausforderungen, Problemen und positiven Leistungen. Das kann Ihnen helfen, mehr Selbstvertrauen und Stärke zu gewinnen. 8. Denken Sie daran, dass Vorurteile nicht deshalb entstehen, weil die Gesellschaft aus schlechten, negativen oder ablehnenden Menschen besteht, sondern weil sie über Behinderungen und deren Konsequenzen zu wenig informiert sind. 9. Als Elternteil/Angehörige/Angehöriger können Sie am besten erzählen, wie es sich mit Behinderungen verhält, und Sie können dabei die Fähigkeiten anstatt der Behinderung in den Vordergrund rücken.

Fragen: Welche eigenen Beobachtungen haben Sie in Bezug auf die Bildung von Haltungen und Einstellungen gemacht? Warum sind Haltungen und Einstellungen so wichtig für den sozialen Wandel? Wie würden Sie die Bildung von Haltungen und Einstellungen auf lokaler und breiterer Ebene in der Gesellschaft beeinflussen? Welche Rolle würden Sie einnehmen? Was war Ihre wichtigste Erkenntnis, nachdem Sie diesen Abschnitt gelesen haben?

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MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE Theoretischer Teil 3.2 Selbstwertgefühl 3.2.1 Wie man positives Selbstwertgefühl erkennt

Abb. 3.5 Das Selbstwertgefühl von Eltern

Das Selbstwertgefühl zeigt, wie wir uns selbst bewerten; es steht dafür, wie wir unseren Wert für die (Um-)Welt wahrnehmen und wie wertvoll wir denken, dass wir für andere sind. Das Selbstwertgefühl wirkt sich auf unser Vertrauen in andere, auf unsere Beziehungen und auf unsere Arbeit aus - es beeinflusst beinahe jeden Teil unseres Lebens. Ein positives Selbstwertgefühl gibt uns die Stärke und Flexibilität, Verantwortung für unser Leben zu übernehmen und mit unseren Fehlern zu wachsen, ohne Ablehnung zu fürchten. Im Folgenden zählen wir einige äußere Anzeichen für ein positives Selbstwertgefühl auf, die wir Ihnen als Elternteil eines Kindes mit Behinderung ans Herz legen wollen: x

Vertrauen;

x

Selbstbestimmtheit (Suche nach einer klaren Richtung für mögliche Lösungen);

x

nicht-beschuldigendes Verhalten;

x

Bewusstsein für persönliche Stärken;

x

die Fähigkeit, Fehler zu machen und aus ihnen zu lernen; 11


MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE x

die Fähigkeit, Fehler anderer zu akzeptieren;

x

Optimismus;

x

die Fähigkeit, Probleme zu lösen;

x

eine unabhängige und kooperative Einstellung;

x

die Fähigkeit, mit einer breiten Palette von Emotionen umzugehen;

x

die Fähigkeit, anderen zu vertrauen;

x

eine gute Einschätzung der persönlichen Grenzen;

x

die Fähigkeit, gut für sich selbst zu sorgen;

x

die Fähigkeit, Nein zu sagen.

3.2.2. Wie man geringes Selbstwertgefühl erkennt

Ein Mensch mit geringem Selbstwertgefühl fühlt sich häufiger unwürdig, unfähig und inkompetent. Hier sind einige Anzeichen, mit Hilfe derer Sie sowohl Ihr eigenes Selbstwertgefühl als auch das Ihres Familienmitglieds mit Behinderung überprüfen können: x

negative Sicht des Lebens;

x

perfektionistische Haltung;

x

Misstrauen gegenüber anderen - auch gegenüber denjenigen, die Zuneigung zeigen;

x

beschuldigendes Verhalten;

x

Angst davor, Risiken einzugehen;

x

das Gefühl, ungeliebt und nicht liebenswert zu sein;

x

Abhängigkeit - Entscheidungen anderen überlassen;

x

Angst davor, sich lächerlich zu machen.

Ein geringes Selbstwertgefühl baut sich oft ein Leben lang auf und tief verwurzelte Gefühle und Verhaltensweisen loszulassen, ist keine leichte Aufgabe. Es gibt einige einfache, positive Gedankentechniken, die man anwenden kann, um das Selbstwertgefühl zu steigern. Man nennt sie Affirmationen.

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MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE Affirmationen sind Mut machende Botschaften, die wir uns jeden Tag sagen können, bis sie Teil unserer Gefühle und Überzeugungen sind. Affirmationen funktionieren am besten, wenn man entspannt ist. Da Menschen jedoch oft verärgert sind, wenn sie negativ über sich selbst denken, müssen sie den negativen Botschaften möglicherweise mit positiven begegnen.

3.2.3. Drei Möglichkeiten, das Selbstwertgefühl zu steigern

Es gibt drei weitere Faktoren (Pretis 2013), die sich auf Ihr Selbstwertgefühl auswirken können. Sie stehen im Zusammenhang mit Zeitmanagement.

Abb. 3.6 Die Familie eines Kindes mit Behinderung

1. Bestimmen Sie Ihre Werte Um ein hohes Selbstwertgefühl zu haben, ist es unabdingbar, Ihr Leben im Einklang mit Ihren tiefsten Werten zu leben. Menschen, die ihre Werte genau kennen, wissen, woran sie glauben. Sie weigern sich, ihre Werte zu kompromittieren, und sie lieben und respektieren sich selbst viel mehr als Menschen, die sich nicht darüber klar sind, was ihnen wirklich wichtig ist. Damit stellt sich natürlich die folgende Frage: "Wie viel Wertschätzung bringen Sie sich und Ihrem Leben entgegen?" Menschen, die sich selbst wertschätzen, nutzen ihre Zeit gut, denn sie wissen, dass Zeit Leben ist. Ihre Handlungen erwecken in Ihnen Gefühle, 13


MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE die weitgehend mit den jeweiligen Handlungen übereinstimmen. Wenn Sie also so handeln, als ob Ihre Zeit sehr wertvoll wäre, bewirkt die Handlung, dass Sie selbst sich wertvoll und bedeutend fühlen. Indem Sie Ihre Zeit gut einteilen, können Sie tatsächlich auch Ihr Selbstwertgefühl steigern.

2. Das Streben nach Selbstkontrolle Der zweite Faktor, der Ihr Selbstwertgefühl beeinflusst, ist Ihr Gefühl der Kontrolle über Ihr Leben, das Gefühl der Selbstkontrolle über Ihre Handlungen. Alles, was Sie über Zeitmanagement lernen und dann in Ihrem Familienleben anwenden, wird Ihre Selbstkontrolle und Ihre Kontrolle über Ihr Leben steigern. Dadurch fühlen Sie sich wirkungsvoller. Sie fühlen sich produktiver und leistungsfähiger. Das wiederum erhöht Ihr Selbstwertgefühl und verbessert Ihr persönliches Wohlbefinden.

3. Wissen Sie, was Sie wollen? Der dritte Faktor, der einen direkten Einfluss auf Ihr Selbstwertgefühl hat, beschreibt Ihre aktuellen Ziele sowie die Maßnahmen, die Sie ergreifen, um diese Ziele zu erreichen. Je mehr Ihre Ziele und Handlungen mit Ihren Werten übereinstimmen, desto besser fühlen Sie sich. Wenn Sie an etwas arbeiten, woran Sie glauben und das im Einklang mit Ihren natürlichen Talenten und Fähigkeiten steht, werden Sie Ihre Arbeit besser machen können.

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MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE Praktischer Teil 3.2.4 Überlegungen zu Affirmationen

Beginnen Sie jeden Tag mit einem Blick in den Spiegel und sagen Sie sich eine positive Botschaft. Ersetzen Sie beispielsweise die Aussage "Ich als Elternteil habe einen dummen Fehler gemacht und man kann sich auf mich nicht verlassen.", durch "Ja, ich habe einen Fehler gemacht, aber ich habe daraus gelernt. Das hat mich klüger gemacht." Die folgenden Affirmationen können Ihnen helfen, an einem positiven Selbstbild zu arbeiten: x

Ich respektiere mich und andere.

x

Ich bin liebenswert und sympathisch.

x

Ich bin zuversichtlich und ich zeige das.

x

Ich sorge für mich selbst.

x

Ich baue liebevolle, gesunde Beziehungen auf.

x

Ich bin mir selbst und anderen eine gute Freundin/ein guter Freund.

x

Ich bin eine gute Mutter/ein guter Vater/eine gute Angehörige/etc. und sie/er kann sich auf mich verlassen.

x

Ich akzeptiere mich so, wie ich bin.

x

Ich sehe großartig aus.

x

Das Leben ist gut und ich bin gerne ein Teil davon.

x

Mit

einem

Familienmitglied

mit

Behinderung

zu

leben,

ist

eine

Herausforderung aber keine Tragödie für mich und meine Familie.

Die Praxis zeigt, dass Menschen mit einem hohen Selbstwertgefühl glücklicher und kompetenter sind. Sie erkennen Signale anderer schneller und können dadurch auf andere Menschen rascher und sensibler reagieren. Smalls Forschungen zeigen, dass es eine Beziehung zwischen dem Selbstwertgefühl der Eltern und ihrer Verhaltensweise gegenüber ihren Familienmitgliedern gibt.

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MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE 3.2.5 Übung: Wir können uns selbst damit beeinflussen, was wir zu uns sagen

Wir können unser Ich damit beeinflussen, was wir uns sagen. Menschen mit geringem Selbstwertgefühl sagen sich selbst, dass sie nicht gut sind, nichts Gutes machen, wertlos sind. - Überlegen Sie sich bitte eine Aussage, die Ihr geringes Selbstwertgefühl widerspiegelt, schreiben Sie sie auf und nehmen Sie sich ein wenig Zeit, um darüber zu reflektieren. Dann formulieren Sie eine Aussage, die das Gegenteil aussagt. Schreiben Sie sie auch nieder und reflektieren Sie auch darüber. Wenn etwa die Aussage mit geringem Selbstwertgefühl lautet "Ich mache nie etwas richtig und werde nie eine zuverlässige Mutter/ein zuverlässiger Vater sein.", lautet das Gegenteil der Aussage beispielsweise "Du kannst Dinge richtig machen und wirst eine zuverlässige Mutter/ein zuverlässiger Vater werden." Dann überlegen Sie sich, wie positives Denken zu Ihrer Menschenwürde beitragen kann. Schreiben Sie Beispiele wie die folgenden nieder: x

Sie und Ihr Familienmitglied mit Behinderung sind wertvoll.

x

Sie und Ihr Familienmitglied mit Behinderung sind etwas Besonderes.

x

Sie haben gute Ideen.

x

Sie sind in der Lage, eine gute Mutter/ein guter Vater/ etc. zu sein.

x

Sie machen Ihre Sache sehr gut.

x

Sie sind lustig.

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MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE 3.2.6. Persönliche Geschichte: Die Mutter eines Familienmitglieds mit Autismus

Abb. 3.7. Ani und ihr Sohn Georgi

Mein Name ist Ani Shileva und ich bin die Mutter eines Sohnes mit Autismus. Die Erziehung meines Sohnes ist eine große Herausforderung für mich und manchmal ist es schwierig zu beurteilen, ob ich richtig reagiere. Mein Sohn heißt Georgi und er ist ein sechzehn Jahre alter junger Mann mit Autismus. Er hat ernsthafte kommunikative und kognitive Schwierigkeiten. Durch die Teilnahme an europäischen Projekten zum Thema Behinderung ist mir klar geworden, dass ich durch meinen Wunsch, für die Weiterentwicklung meines Sohnes zu arbeiten, oft seinen persönlichen Raum verletzt und Anforderungen an ihn gestellt habe, die er nicht erfüllen kann. So provoziere ich negative Reaktionen seinerseits und verschlechtere unsere Interaktion. Seit ich mich in einem Verein für Eltern von Kindern mit Behinderung engagiere, verhalte ich mich vorsichtiger und nehme auf seine Stimmungen und Fähigkeiten Rücksicht. Ich habe eingesehen, dass ich sein Recht, sich selbst zu entscheiden, verletzt oder eingeschränkt habe. Nun achte ich im Alltag (z. B. beim Essen, in Bezug auf seine Freizeit und seine Ausbildung) mehr auf seine Entscheidungsfreiheit. Einen Menschen mit Behinderung zu pflegen, ist für uns als Eltern eine Lebensaufgabe und stellt uns des Öfteren auf die Probe. Auch wir brauchen Unterstützung und die Trainings, an denen

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MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE ich teilnahm, haben mich psychisch sehr gestärkt. Ich wurde bei der Erziehung meines Sohnes sensibler und flexibler. Ich erzählte auch dem Rest meiner Familie, was ich gelernt hatte, und so konnten wir einige Differenzen vermeiden. All dies hat mich selbstbewusster und mutiger gemacht. Meine Arbeit als Projektkoordinatorin bedeutet ständige Kommunikation mit Menschen mit Behinderung und deren Angehörigen. Ich empfand schon immer Respekt für diese Personengruppe, aber jetzt bin ich geduldiger und ermutige sie, ihr Potenzial zu entwickeln und keine Angst zu haben, für ihre Absichten einzustehen.

3.2.7. Unterstützung bei der Entwicklung eines positiven Selbstwertgefühls (Reflexionsübung)

Manche Eltern sind sich dessen bewusst, dass ein gutes Selbstwertgefühl mit sozialem Erfolg und dem Erfolg im Leben verknüpft ist. Sie erkennen jedoch manchmal nicht, wie leicht man dem Selbstwertgefühl schaden kann. So zeigen Forschungen beispielsweise, dass Menschen mit Lernverzögerung besonders häufig unter geringem Selbstwertgefühl leiden, dass sie aber davon profitieren, wenn ihre Eltern und Angehörigen sie bei der Entwicklung eines positiven Selbstwertgefühls unterstützen.

Denken Sie ein wenig über die folgenden Fragen nach: x

Was läuft mit Ihrem Kind gut?

x

Fragen Sie Ihre anderen Kinder, was mit der Schwester/dem Bruder gut läuft?

x

Was sind Ihre Kommunikationszeichen?

x

Beteiligen sich der Vater/die Mutter oder andere Angehörige?

1. Helfen Sie Ihrem Familienmitglied dabei, sich besonders und wertgeschätzt zu fühlen. Einer der Hauptfaktoren, die dazu beitragen, dass Familienangehörige Hoffnung entwickeln und stärker werden, ist die Anwesenheit von mindestens einem Erwachsenen, der das Familienmitglied dabei unterstützt, sich angenommen und wertgeschätzt zu fühlen. Das muss ein Erwachsener sein, der die Probleme des Familienmitglieds nicht ignoriert, aber sich auf die Stärken konzentriert. Als Elternteil können Sie dazu "spezielle Zeiten" während der Woche reservieren. Wenn Ihr 18


MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE Familienmitglied mit Behinderung jung ist, kann es auch hilfreich sein, wenn Sie Folgendes sagen: "Wenn ich dir vorlese oder mit dir spiele, gehe ich nicht ans Telefon, wenn es klingelt, denn diese Zeit ist nur für dich!" Während dieser "speziellen Zeiten" sollten Sie Dinge machen, die Ihr Familienmitglied gerne macht, sodass sie/er die Möglichkeit hat, sich zu entspannen und ihre/seine Stärken hervorzuheben.

2.

Unterstützen

Sie

Ihr

Familienmitglied

bei

der

Entwicklung

von

Problemlösungsfertigkeiten und dabei, Entscheidungen zu treffen. Ein hohes Selbstwertgefühl steht in Verbindung mit guten Problemlösungsfertigkeiten. Wenn Ihr Familienmitglied beispielsweise Schwierigkeiten mit einer Freundin/einem Freund hat, können Sie es bitten, sich ein paar Möglichkeiten zur Lösung der Situation zu überlegen. Keine Sorge: Wenn Ihr Familienmitglied nicht sofort eine Lösung parat hat, können Sie ihr/ihm dabei helfen, mögliche Lösungsmöglichkeiten abzuwägen. Sie können auch Rollenspiele einsetzen, um Ihrem Familienmitglied verschiedene Schritte zur Problemlösung aufzuzeigen.

3. Vermeiden Sie (ab-)wertende Kommentare; finden Sie stattdessen positivere Formulierungen. Häufig klingt etwa dieser Kommentar anklagend: "Reiß' dich zusammen und bemühe dich mehr." Stattdessen können Sie sagen: "Wir können uns bessere Möglichkeiten überlegen, die dir helfen werden, zu lernen." Menschen mit Behinderung sind nicht so defensiv, wenn man das Problem als "Strategie" bezeichnet, die man ändern sollte, anstatt als fehlende Motivation. Dieser Ansatz verstärkt auch die Problemlösungsfertigkeiten.

4. Seien Sie einfühlsam. Es gibt Eltern, die aus ihrer eigenen Frustration heraus etwas wie das Folgende sagen: "Warum hörst du mir nicht zu?", oder: "Warum schaltest du nicht dein Hirn ein?" Wenn Ihr Familienmitglied mit Behinderung Schwierigkeiten mit dem Lernen hat, sollten Sie einfühlsam sein und ihr/ihm sagen, dass Sie von ihren/seinen Schwierigkeiten wissen. Dann können Sie aus den Schwierigkeiten eine Herausforderung machen und gemeinsam mögliche Lösungen überlegen.

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MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE 5. Lassen Sie Ihrem Familienmitglied Wahlmöglichkeiten. Das verringert auch Machtkämpfe. Fragen Sie zum Beispiel Ihr Familienmitglied, ob sie/er gerne fünf oder zehn Minuten vor dem Schlafengehen erinnert werden würde, sich bettfertig zu machen. Diese kleinen Entscheidungen legen die Grundsteine für das Gefühl der Kontrolle über das eigene Leben.

6. Vergleichen Sie die Geschwister nicht miteinander. Es ist wichtig, Geschwister nicht miteinander zu vergleichen und die Stärken jedes einzelnen Familienmitglieds hervorzuheben.

7. Heben Sie die Stärken Ihres Familienmitglieds hervor. Leider haben viele Jugendliche, vor allem in Bezug auf die Schule, eine negative Meinung von sich. Machen Sie eine Liste mit den Stärken Ihres Familienmitglieds. Wählen Sie eine dieser Stärken und überlegen Sie, wie Sie sie verstärken können. Wenn Ihr Familienmitglied etwa eine großartige Künstlerin/ein großartiger Künstler ist, stellen Sie ihre/seine Kunstwerke aus.

8. Schaffen Sie Möglichkeiten zu helfen. Geben Sie Ihren Familienangehörigen Möglichkeiten zu zeigen, dass es etwas gibt, das sie der Welt geben können. Ihr Familienmitglied in wohltätige Arbeiten (z. B. Kunsttherapie-Werkstatt) einzubeziehen, ist nur ein mögliches Beispiel. Anderen zu helfen, stärkt sicherlich das Selbstwertgefühl jedes Menschen.

9. Haben Sie in Bezug auf Ihr Familienmitglied realistische Erwartungen und Ziele. Realistische Erwartungen geben Ihrem Familienmitglied die Möglichkeit zu verstehen. Die Entwicklung von Selbstbestimmung geht Hand in Hand mit dem Selbstwertgefühl.

10. Helfen Sie Ihrem Familienmitglied mit Behinderung dabei, die Natur ihres/seines Problems zu verstehen. Einige Menschen haben in Bezug auf ihre Probleme und Behinderungen falsche Vorstellungen, die ihre Notlage noch schlimmer machen. (Ein Familienmitglied mit Behinderung sagte beispielsweise, er sei mit nur einem halben 20


MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE Gehirn zur Welt gekommen.) Mit realistischen Informationen hat Ihr Familienmitglied mit Behinderung ein stärkeres Gefühl der Selbsteinschätzung und erkennt auch, dass man etwas tun kann, um die Situation zu verändern.

11. Gestatten Sie es Ihrem Familienmitglied mit Behinderung nicht, Fehler ausschließlich mit der Behinderung zu rechtfertigen. Es gibt Familienmitglieder mit Behinderung und deren Eltern, die versuchen, Fehler mit der Behinderung zu rechtfertigen. Doch nicht immer entspricht das der Realität. Das Familienmitglied mit Behinderung sollte dazu ermutigt werden, ihre/seine Stärken einzusetzen, um diverse Alltagssituationen zu bewältigen.

3.2.8. Praktische Übung: Stärkung des Selbstwertgefühls

Im Folgenden finden Sie einige Vorschläge zur allgemeinen Stärkung des Selbstwertgefühls. x

Konzentrieren Sie sich immer auf die Stärken Ihres Familienmitglieds mit Behinderung.

x

Akzeptieren Sie Ihr Familienmitglied und geben Sie ihr/ihm das Gefühl, dass sie/er so geschätzt und geliebt wird, "wie sie/er ist".

x

Zeigen Sie Ihrem Familienmitglied mit Behinderung den gleichen Respekt wie den Familienmitgliedern ohne Behinderung.

x

Loben Sie Anstrengungen und Verbesserungen, nicht nur gute Leistungen.

x

Sagen Sie Ihrem Familienmitglied mit Behinderung, dass Sie an sie/ihn glauben.

x

Achten Sie darauf, dass Ihre Ansprüche und Erwartungen nicht so hoch sind, dass sie entmutigen und Fehler provozieren.

3.2.9. Beispiele zur Reflexion

Beispiel 1 F: Ich habe eine 5-jährige Tochter mit Behinderung. Sie geht in den Kindergarten und ist manchmal wirklich sehr unzufrieden mit sich selbst. Zum Beispiel musste sie in der Gruppe einmal etwas ausarbeiten, wo es darum ging, zu sagen, warum sie etwas

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MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE Besonderes ist. Sie reagierte sehr negativ und sagte, sie sei überhaupt nicht besonders und es gebe nichts Besonderes an ihr. Auch wenn sie schwierige Aufgaben nicht erfüllen kann oder etwas verschüttet, ist sie sehr unzufrieden mit sich selbst. Irgendwelche Vorschläge, wie man ihr Selbstwertgefühl aufbauen kann?

A: Wenn Kinder mit dem Kindergarten beginnen, fangen sie oft an, sich mit ihren KameradInnen auf allen Ebenen zu vergleichen. Oft kann man dann beobachten, wie der Selbstwert fällt und das Selbstbild sich verschlechtert, vor allem wenn sie/er von Natur aus sehr streng mit sich selbst ist. Ermutigen Sie sie in allem, was sie macht, und helfen sie ihr dabei, realistische Erwartungen an sich selbst zu haben. Achten Sie bewusst auf Aktivitäten, Talente und Interessen, die es ihr ganz natürlich ermöglichen, selbstsicher zu handeln.

Beispiel 2: F: Mein Sohn hat ADS (Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom) und eine zentralauditive Verarbeitungsstörung, die letzten Juni diagnostiziert wurde. Er geht dieses Jahr in die siebte Klasse und hat wegen seiner auditiven Verarbeitungsstörung seit etwa sechs Monaten einen Tutor, was ihm sehr gut tut. Leider hat er ein so geringes Selbstwertgefühl, dass er, wenn etwas (z. B. beim Sport oder bei Schularbeiten) nicht gleich funktioniert, aufgibt und sich weigert, es noch einmal zu versuchen. Er hatte immer schon Schwierigkeiten mit der Koordination und war noch nie besonders gut im Sport, aber plötzlich kommt alles zusammen und jetzt bemüht er sich gar nicht mehr. (Er hat es dieses Jahr mit Ringen versucht und war zeitweise wirklich gut.) Er hat eine sehr intelligente Schwester und einen sportlich talentierten Bruder und ich glaube wirklich, er kann es vermutlich mit beiden aufnehmen. Wie kann ich ihm dabei helfen, den Wunsch zu entwickeln, etwas anderes zu versuchen, als einfach nur fernzusehen? Er ist immer so entmutigt; es kommt mir vor, als habe er ständig eine dunkle Wolke über seinem Kopf. Ich habe ihm Kunst, Musik, Sport - einfach alles - angeboten, aber er nimmt einfach nichts an. Vielen Dank für Ihren Input.

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MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE A: Das ist eine echte Herausforderung, mit der viele Eltern konfrontiert sind. Auch wenn Ihr Sohn von der Hilfe, die er erhalten hat, profitiert, hat er eine Geschichte, die zu ihm sagt: "Das kannst du nicht!" Dieser Hintergrund wiederholter Frustrationen und Misserfolge kann einen so erheblichen Einfluss auf das Selbstverständnis eines Schülers mit Lernverzögerung oder ADHS haben, der so stark ist, dass jede neue Aufgabe sehr entmutigend scheint. Wie so viele andere Kinder, hat auch Ihr Sohn gelernt, dass es eine Möglichkeit ist, dieses Szenario von Versagen und Scham zu vermeiden, wenn er einfach nichts Neues macht - nichts, was irgendein Risiko in sich bergen könnte. Ich kenne Menschen, die diesen Punkt überwinden konnten, weil es Erwachsene (in der Regel nicht die Eltern) gab, die ihnen den Weg zu risikoloseren Aktivitäten geebnet haben, was ihnen ermöglichte, ihre Fertigkeiten immer mehr auszubauen. Hier einige Beispiele: Eine Schauspiellehrerin in einer Mittelschule, die einen schüchternen Jungen bittet, die Beleuchtung für eine Schulaufführung zu steuern; der Leiter einer Pfadfindergruppe, der einen Jugendlichen persönlich dazu einlädt, an einer speziellen Gruppeaktivität teilzunehmen; ein Schulwärter, der eine Schülerin mit einer wichtigen Funktion betraut, die der Schule hilft; eine Schuldirektorin, die persönlich alles liest, was ein Schüler mit Lernschwierigkeiten geschrieben hat; ein Gymnasiast, der als "großer Bruder" für ein jüngeres Familienmitglied agiert und gemeinsam mit ihm lernt, wie man neue Dinge (z. B. Amateurfunk oder Gebärdensprache) angehen kann; eine Kunstlehrerin, die eine schüchterne angehende Künstlerin bittet, ihr bei den Vorbereitungen zu verschiedenen künstlerischen Aktivitäten zu helfen (und sie dazu ermutigt, als "künstlerische Assistentin" der Klasse ein Vorbild zu sein); ein Geistlicher, der einen Schüler dazu einlädt, an einem Projekt in der Kirche, in der Moschee oder im Tempel mitzuhelfen oder im Chor mitzusingen. Im Mathematikunterricht kann man SchülerInnen helfen, ihre Versagensängste in Zusammenhang mit traditionellen Unterrichtsansätzen zu überwinden, wenn man sie beispielsweise darum bittet, ein dreidimensionales Modell, das ein mathematisches Konzept beschreibt, zu bauen, anstatt 20 Übungen auf einem Arbeitsblatt zu lösen. Ich hoffe, dass einige dieser Vorschläge Ihrem Sohn und anderen dabei helfen, sich besser zu fühlen in Bezug auf sich selbst und auf das, was sie zu unserem Leben beitragen. 23


MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE

Beispiel 3: F: Ich habe eine achtjährige Tochter, die seit sie zwei war in einer Sonderbetreuung ist. Sie hat eine vierjährige Schwester, die sehr gescheit ist. Die Vierjährige beginnt schon zu lesen, während die Achtjährige nicht einmal annähernd so weit ist. Die Achtjährige beginnt schön langsam, ihre Behinderung zu erkennen, und während die Vierjährige älter wird und Ziele erreicht, habe ich festgestellt, dass die Achtjährige scheinbar Rückschritte macht; sie versucht nichts und scheint leicht aufzugeben. Wie kann ich die Vierjährige weiterhin fördern, ohne das Selbstwertgefühl der Achtjährigen völlig zu zerstören?

A: Es ist wirklich schwer für ein Familienmitglied mit Lernschwierigkeiten, wenn es ein jüngerer Bruder oder eine jüngere Schwester „überholt“. Es ist sehr wichtig, dass beide Mädchen verstehen, was Lernschwierigkeiten sind. Zunächst sollte Ihre Achtjährige verstehen, dass ihr Zustand es ihr schwer macht, zu lernen, obwohl sie klug ist. Es könnte hilfreich für sie sein, an speziellen Einheiten für Menschen mit Lernschwierigkeiten teilzunehmen. Es könnte auch gut für sie sein, an einer Gruppe für SchülerInnen mit Lernschwierigkeiten teilzunehmen. Vielleicht leitet ja die Vertrauenslehrerin in der Schule Ihrer Tochter eine solche Gruppe, oder eine Psychologin oder ein Sozialarbeiter in Ihrer Stadt bieten eine Gruppe an. Ihre jüngere Tochter sollte - so gut das in ihrem Alter möglich ist - die Art der Behinderung ihrer Schwester verstehen. Ohne dieses Verständnis wird es ihr schwerfallen herauszufinden, warum ihre Schwester so sehr für etwas kämpfen muss, das ihr selbst so leichtfällt. Ohne diese Informationen könnte sie sich über ihre Schwester lustig machen oder Mitleid mit ihr empfinden - beides ist nicht hilfreich. Vielleicht verschafft es ihr etwas Trost, wenn Ihre Tochter weiß, dass es viele andere Kinder mit Lernschwierigkeiten gibt. Wenn sie andere Schülerinnen und Schüler mit Lernschwierigkeiten trifft, könnte es ihr helfen zu verstehen, dass sie nicht schlecht, faul oder "dumm" ist, nur weil sie Schwierigkeiten mit dem Lesen hat. Sollte sie vor kurzem getestet worden sein, bitten Sie die Person, die sie getestet hat, die Ergebnisse mit ihr in einer für sie verständlichen Sprache zu besprechen. Sie sollten das ohnehin 24


MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE alle paar Jahre machen, denn die Kapazität zu verstehen nimmt mit dem Alter zu. Eine Lernverzögerung bleibt das ganze Leben; die Menschen, die am besten damit zurechtkommen, sind diejenigen, die verstehen, worum es sich handelt und wie man auch trotz der Lernverzögerung erfolgreich sein kann.

Beispiel 4: F: Unsere Siebenjährige ging schon immer gern zur Schule. Sie wurde im vergangenen Jahr getestet und wäre beinahe in ein Programm für Schülerinnen und Schüler mit Lernschwierigkeiten gekommen. Sie ist in einem individuellen Ausbildungsprogramm und erhält 90 Minuten pro Woche zusätzliche Unterstützung. Dieses Jahr fällt ihr wirklich schwer. Die große Menge an zusätzlicher Arbeit frustriert sie sehr und die Lehrerin macht es noch schlimmer. Sie sagt, die Lehrerin wird ungeduldig, wenn sie zusätzliche Hilfe braucht oder die Frage nicht versteht. Unsere Tochter ist sehr sensibel, hat ein geringes Selbstwertgefühl und ist eher schüchtern. Sollten wir sie in eine andere Klasse geben oder sie in dieser Klasse lassen, die sie im Inneren zerreißt?

A: Auch wenn die Lehrerin noch so nett ist, ist es die Wahrnehmung Ihrer Tochter, die zählt. Sie sollten sich mit der Lehrerin und der Direktorin zusammensetzen und ihnen sagen, dass es Ihrer Tochter schwerfällt, in der Klasse Fragen zu stellen, weil sie glaubt, dass die Lehrerin dann ungehalten wird. Es könnte auch hilfreich sein, wenn die Direktorin oder der Vertrauenslehrer vor Ort beobachtet, wie die Lehrerin und Ihre Tochter miteinander umgehen um dann konstruktive Rückmeldungen zu geben. Wenn diese Vorgangsweise das Bewusstsein der Lehrerin in Bezug auf ihren Unterrichtsstil schärft, könnte das Problem gelöst sein. Wenn dabei herauskommt, dass sich die Lehrerin angemessen verhält, sollten Sie sicherstellen, dass sie dies auch macht, wenn sie nicht beobachtet wird.

Sagen Sie dann Ihrer Tochter, dass Sie mit der Lehrerin gesprochen haben und dass Sie denken, dass die Lehrerin dafür sorgen wird, dass sie sich in der Klasse wohler fühlt. Manchmal hilft schon der Glaube daran und das Familienmitglied hat das Gefühl, dass die Lehrerin sie/ihn versteht und versucht, auf ihre/seine Bedürfnisse einzugehen. 25


MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE Wenn Ihre Tochter keine Verbesserung verspürt, würde ich die Lehrerin bitten, sich außerhalb der Klasse mit Ihrer Tochter zu treffen und mit ihr über ihre Gefühle zu sprechen. Vielleicht hilft es auch, wenn die Lehrerin Ihre Tochter fragt, was sie tun kann, damit sie sich in der Klasse wohler fühlt. Wenn sich herausstellt, dass die Lehrerin unsensibel ist, dann könnte ein Klassenwechsel angebracht sein. Da Sie sagen, dass Ihre Tochter sensibel und ihr Selbstwert gering ist, würde ich auch gleich die Vertrauenslehrerin oder den Schulpsychologen hinzuziehen.

26


MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE 3.2.10. Selbsteinstufungstest (Rosenberg Selbstwertskala)

Die folgenden Aussagen beschäftigen sich damit, was Sie über sich selbst denken. Wenn Sie sehr zustimmen, kreuzen Sie ++ an. Wenn Sie der Aussage zustimmen, kreuzen Sie + an. Wenn Sie nicht zustimmen, kreuzen Sie - an. Wenn Sie überhaupt nicht zustimmen, kreuzen Sie -- an. 1. Im Großen und Ganzen bin ich mit mir zufrieden.

++ + - --

2.* Manchmal denke ich, dass ich zu überhaupt nichts tauge.

++ + - --

3. Ich glaube, ich habe eine Reihe guter Eigenschaften.

++ + - --

Ich bin in der Lage, Dinge ebenso gut zu machen, wie die meisten ++ + - -anderen Menschen. ++ + - -5.* Ich glaube, ich habe nicht viel an mir, worauf ich stolz sein kann. 4.

6.* Manchmal fühle ich mich sicherlich nutzlos.

++ + - --

Ich glaube, dass ich als Mensch wertvoll bin - zumindest gleich wertvoll ++ + - -wie andere. ++ + - -8.* Ich wünschte, ich könnte mehr Respekt für mich selbst empfinden. 7.

9.* Alles in allem neige ich eher dazu, zu glauben, dass ich ein Versager bin. ++ + - -10.Ich habe eine positive Einstellung mir selbst gegenüber.

++ + - --

Auswertung: ++ = 3, + = 2, - = 1, -- = 0. Achtung: Aussagen mit Sternchen werden umgekehrt gezählt: ++ = 0, + = 1, - = 2, -- = 3. Addieren Sie die Werte für die zehn Aussagen. Je höher der Wert, desto höher ist Ihr Selbstwertgefühl.

27


MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE Theoretischer Teil 3.3. Kommunikation in der Familie Eltern und Angehörige interagieren mit ihrem Familienmitglied mit Behinderung über eine Vielzahl von allgemeinen Kommunikationsmodalitäten einschließlich Sprache, Verbalisierungen, Gestik, Mimik, Telefonate usw. Spezifische Modalitäten für Menschen

mit

Hörbehinderung

sind

Gebärdensprache,

Lormen

(www.deafblind.com/lorm.html) und Lippenlesen. Kein Mensch ist in jedem Moment an jedem Tag völlig autark; im Laufe eines Tages kommt es zu zahlreichen Verflechtungen und Interaktionen. Kommunikation steht im Mittelpunkt der alltäglichen Interaktionen von Familienmitgliedern. Einige Menschen mit körperlichen und kognitiven Beeinträchtigungen benötigen Unterstützung für die Kommunikation. Kommunikation trägt zu größerer Selbstbestimmung bei. Menschen mit Behinderung kommunizieren mit KollegInnen, Familienmitgliedern und anderen in ihrem Umfeld in Bezug auf ihre Wünsche, Bedürfnisse und Entscheidungen hinsichtlich ihrer täglichen Aktivitäten, ihrer Aus- und Weiterbildung, ihres sozialen Lebens, ihrer Wohnsituation oder ihrer Berufsorientierung. Die kommunikative Kompetenz unterstützt die Selbstbestimmung.

Die Unterstützung einer Vielzahl von Modalitäten fördert die Inklusion und die Selbstbestimmung für alle Menschen, einschließlich derer mit Behinderung. Sie sind zuallererst Menschen und haben erst dann eine Behinderung, die sich teilweise auf ihren physischen und psychischen Zustand, ihre Kommunikation, ihre Fähigkeit, gleichberechtigt an der Familie teilzuhaben, ihre Unabhängigkeit, ihre sozialen Aktivitäten in der Gemeinschaft sowie auf ihre Selbstverwirklichung in Bezug auf Ausbildung und Beruf auswirkt. Menschen mit Behinderung müssen ebenso viel wie andere Menschen kommunizieren. Durch Kommunikation verbinden sie sich mit anderen, drücken ihre innersten Gedanken aus und nehmen Einfluss auf ihr Leben und das Leben ihrer Eltern und anderer. Durch Kommunikation veranlassen sowohl die Eltern als auch der Mensch mit Behinderung Veränderungen und tragen zur Entwicklung der Selbstbestimmung bei.

28


MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE

Abb. 3.9 Kommunikation in der Familie ist wichtig

Selbstbestimmung beinhaltet das Kommunizieren persönlicher Vorlieben ohne unangemessene Beeinflussungen. Zu den persönlichen Vorlieben zählen Wünsche, Bedürfnisse und Meinungen. Wenn Menschen mit Behinderung ihren Eltern oder anderen Angehörigen gegenüber ihre Wünsche und Bedürfnisse zum Ausdruck bringen, ist das ein Ausdruck von Selbstbestimmung. Die Fähigkeit, zunächst die eigenen Wünsche und Bedürfnisse feststellen zu können, zeigt die Macht der Kommunikation und fördert die Entwicklung der Selbstbestimmung. Kompetente Kommunikation führt zu größerer Selbstständigkeit und psychischer Stärke. Menschen, die effektiv kommunizieren, sind selbstständiger und psychisch stärker.

Selbstständigkeit

und

psychische

Stärke

tragen

zu

gesteigerter

Selbstbestimmung bei.

3.3.1. Faktoren, die die Kommunikationsebene beeinflussen können

Kommunikation ist von entscheidender Bedeutung, eine Schlüsselfertigkeit auf jeder Ebene der sozialen Interaktion und für die erfolgreiche Entwicklung von Menschen mit Behinderung unabdingbar. Es gibt viele Kommunikationsmöglichkeiten und bevorzugte Kommunikationsmethoden. Allerdings sollten sie den spezifischen Anforderungen und der psychischen Verfassung des Familienmitglieds mit Behinderung entsprechen. 29


MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE Wir würden Ihnen gerne einige Faktoren weitergeben, die wir bei unserer Arbeit mit Eltern

festgestellt

haben

und

von

denen

wir

glauben,

dass

sie

die

Kommunikationsebene zwischen Eltern und Familienmitglied mit Behinderung beeinflussen können: x

Alter und Generationenunterschied: Es kann zum Beispiel vorkommen, dass ein Familienmitglied mit Behinderung Kraftausdrücke oder unhöfliche Ausdrücke benutzt, die die Eltern als unangemessen oder beleidigend empfinden. Eine Möglichkeit, diese Probleme zu überwinden, ist eine offene und zeitnahe Kommunikation, die auf gegenseitigem Respekt und auf Toleranz basiert.

x

Art und Grad der Behinderung: Einige Beeinträchtigungen (z. B. Hör- oder Sprachbeeinträchtigungen) können die Fähigkeit des Menschen beeinflussen, mit den anderen Familienmitgliedern frei zu kommunizieren. In vielen Fällen haben sich die Eltern ihre Kenntnisse bezüglich der Kommunikation mit dem behinderten Familienmitglied mit eigenen Mitteln selbst beigebracht oder sie haben an speziellen Kursen, die von Behindertenorganisationen oder Schulungseinrichtungen angeboten wurden, teilgenommen. Gehörlose Eltern, deren Muttersprache die Gebärdensprache (GS) ist, kommunizieren mit ihrem gehörlosen Familienmitglied über die Gebärdensprache. Gehörlose Eltern reagieren auf die Sprachentwicklung ihres Familienmitglieds angemessen, und passen die sprachlichen Formen an die Sprachkenntnisse des gehörlosen Familienmitglieds an. Gehörlose Menschen lernen die GS von ihren gehörlosen Eltern auf eine systematische und progressive Weise - genau wie Menschen mit Hörbehinderung Hörbehinderung

die

gesprochene

lernen.

Die

Sprache

von

ihren

Sprachentwicklungsschritte

Eltern

ohne

gehörloser

Familienmitglieder, die mit GS aufwachsen, entsprechen der Sprachentwicklung von Menschen mit Hörbehinderung, die mit gesprochener Sprache aufwachsen. Junge gehörlose Menschen und Menschen mit Hörbehinderung, die mit GS in ihrem Umfeld aufwachsen, haben einen gleich großen oder sogar größeren Wortschatz als Menschen, die nur die gesprochene Sprache benutzen. Gehörlose Eltern kommunizieren mit Hilfe der GS effizient, genau und 30


MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE kompetent mit ihrem gehörlosen Familienmitglied und helfen ihm dabei, seine Sprache weiterzuentwickeln. x

Inklusion eines Familienmitglieds mit Behinderung in die Regelschule: Wenn das Familienmitglied eine Regelschule besucht, entwickelt es ihre/seine kommunikativen und sozialen Fertigkeiten viel besser als seine Altersgenossen, die eine Sonderschule besuchen. Behinderte Menschen in speziellen Schulen stehen zwar in direktem Kontakt mit verschiedenen Expertinnen und Experten, die sie im Alltag unterstützen, alle Prozesse laufen jedoch in einem geschützten Umfeld ab. Daher kann es, wenn das Familienmitglied die Sonderschule verlässt, zu Schwierigkeiten bei der Kommunikation mit anderen Menschen ohne Behinderung - einschließlich der Eltern und anderer Angehöriger kommen.

31


MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE 3.3.2. Strategien für eine effektive Kommunikation in einem familienzentrierten Kontext

Kommunikationsprinzip

Familienmitglieder kommunizieren auf Augenhöhe

Familienmitglieder kommunizieren eindeutig, wenn sie Informationen weitergeben.

Die Familienmitglieder hören einander wirklich zu.

Zusammenfassend

kann

Strategien, die auf den Merkmalen der effektive Kommunikation beruhen (Briggs, 1998; Brandt, 1993; Rosin, 1996; Tuchman, 1996; Winton, 1996) x Förderung eines offenen Austauschs von Meinungen, Wünschen, Forderungen und Erwartungen. x Lassen Sie jedes Familienmitglied seine Ideen und Ansichten ausdrücken. x Unterschätzen Sie nicht die Ideen des Menschen, mit dem Sie kommunizieren, und werten Sie sie nicht ab. x Kritisieren Sie nicht einfach nur, sondern schlagen Sie Alternativen vor. x Sollte es ein Kommunikationsproblem geben, konzentrieren Sie sich nicht darauf, sondern suchen Sie kluge Lösungen. x Machen Sie Ihren Standpunkt kurz und bündig deutlich. x Verwenden Sie eine Sprache, die verständlich ist. x Vermeiden oder erklären Sie ungewöhnliche Wörter oder Phrasen. x Sprechen Sie mit Ihrer Familie über die Stärken und Bedürfnisse Ihrer Familie. x Hören Sie aufmerksam zu und unterbrechen Sie die sprechende Person nicht. x Nehmen Sie Blickkontakt auf. x Bleiben Sie entspannt - schreien Sie nicht. x Stellen Sie Fragen, wenn Sie Ihr Familienmitglied nicht verstehen. man

sagen,

dass

ein

gutes

innerfamiliäres

Kommunikationsmuster zum Aufbau des notwendigen Selbstbewusstseins beitragen und jene falschen Glaubenssätze abbauen kann, die jemand in Bezug auf sich selbst vielleicht hat.

Praktischer Teil

32


MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE 3.3.3 Zuhören

Abb. 3.10 Hören Sie Ihrem Familienmitglied mit Behinderung zu

Im familiären Umfeld hören die Familienmitglieder einander nicht immer zu. Dies führt zu

verschiedenen

Schwierigkeiten,

die

die

eigene

Leistung,

die

Problemlösungskompetenz und die Interaktion mit anderen beeinflussen.

33


MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE Als Eltern können Sie den folgenden zehn Merkmalen folgen, wenn Sie gut zuhören möchten. Markieren Sie Ihre Antwort auf einer Skala von 1 bis 5 (5 ist die höchste Punktzahl) und finden Sie heraus, in wie weit Sie das jeweilige Merkmal besitzen. 1 2 3 4 5 Ich halte Blickkontakt mit meiner/meinem Verwandten. Ich stelle klärende Fragen. Ich zeige Interesse und bemerke die Gefühle, die meine Familienangehörige/mein Familienangehöriger fühlt. Ich umschreibe das von meiner/meinem Angehörigen Gesagte noch einmal, um zu zeigen, dass ich es richtig verstanden habe. Zuerst versuche ich zu verstehen, dann versuche ich verstanden zu werden. Ich bin bereit, meine Reaktionen zu kontrollieren. Ich antworte mit Lächeln, Nicken oder Umarmungen, wenn es passt. Ich konzentriere mich besonders auf die Situation und lenke mich nicht ab. Ich reagiere verantwortungsvoll auf das, was ich höre. Ich bleibe beim Thema.

34


MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE KANN ICH ZUHÖREN? Die folgenden zehn Merkmale beschreiben schlechte Angewohnheiten in Bezug auf das Zuhören. Markieren Sie mit einer Skala von 1 bis 5 (5 ist die schlechteste Bewertung) die jeweilige Aussage und stellen Sie fest, in wie weit Sie das Merkmal besitzen. Seien Sie ehrlich mit sich selbst. Sich einzugestehen, wie man zuhört, ist der erste Schritt in Richtung Veränderung und Verstehen Ihres Familienmitglieds mit Behinderung. 1 2 3 4 5 Ich unterbreche meine Angehörige/meinen Angehörigen oft. Ich ziehe rasch Schlussfolgerungen. Ich vollende die Sätze meiner/meines Angehörigen. Ich wechsle das Thema ohne Vorankündigung. Ich ziehe meine Schlussfolgerungen, bevor ich alles gehört habe. Ich bin nicht voll konzentriert. Ich gebe keine Antworten. Ich bin besorgt. Ich gehe sofort in die Defensive. Ich denke über meine Antwort nach, bis meine Angehörige/mein Angehöriger spricht.

Schlussfolgerung: Schreiben Sie Ihre Antworten auf und überlegen Sie sich, was es bedeutet zuzuhören und warum Zuhören wichtig ist.

Übung: Denken Sie an eine Situation, in der Sie im Zuge eines Gesprächs mit Ihrem Familienmitglied mit Behinderung versucht haben, zuzuhören. Was haben Sie gemacht?

............................................................................................................................................ Beschreiben Sie das Ergebnis.

............................................................................................................................................ Beschreiben Sie, was Sie tun würden, wenn sich die Situation wiederholen würde, und berücksichtigen Sie dabei das, was Sie aus dem oben Gesagten gelernt haben. 35


MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE

............................................................................................................................................ Was würden Sie anders machen?

............................................................................................................................................

3.3.4 Was Sie als Eltern vermeiden sollten (Reflexionsübung)

Kommunikation ist ein fortlaufender Prozess, an dem verschiedenen Parteien und Interessen beteiligt sind. In Ihrem Alltag kommunizieren Sie und Ihr Familienmitglied mit Behinderung mit verschiedenen Menschen, z. B. KollegInnen, LehrerInnen, AusbilderInnen, SozialarbeiterInnen, PsychologInnen, Coaches, MitarbeiterInnen der öffentlichen Verwaltung usw. Als Elternteil können Sie die Kommunikation Ihres Familienmitglieds mit Behinderung mit anderen Menschen unterstützen, sollten dabei jedoch nicht zu stark eingreifen. Wir stellen Ihnen im Folgenden Dinge vor, die Sie nicht tun sollten, um die Isolation Ihres Familienmitglieds mit Behinderung im Kommunikationsprozess mit anderen zu vermeiden: 1. Wenn Ihrem Familienmitglied mit Behinderung eine Frage gestellt wird, antworten nicht Sie statt ihr/ihm. 2. Wenn jemand mit Ihrem Familienmitglied mit Behinderung spricht, sollten Sie sich nicht in das Gespräch einmischen, es sei denn Sie werden ausdrücklich darum gebeten. 3. Beenden oder korrigieren Sie die Sätze Ihres Familienmitglieds mit Behinderung nicht. Lassen Sie ihn/sie seine/ihre Gedanken ausdrücken. 4. Lassen Sie Ihr Familienmitglied mit Behinderung seine Meinung zum Ausdruck bringen, auch wenn Sie nicht mit ihm übereinstimmen. 5. Wenn Ihr Kind eine Hör- oder Sprachbehinderung hat und Sie es bei der Kommunikation mit anderen unterstützen, sollten Sie die Botschaft weitergeben, ohne den Sinn zu verändern oder etwas hinzuzufügen, nur weil Sie es für richtig halten.

36


MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE 6. Wenn Ihr Familienmitglied mit Behinderung eine einfache Sprache verwendet, versuchen Sie nicht, eine anspruchsvollere Sprache zu verwenden, weder in der schriftlichen noch in der mündlichen Kommunikation. 7. Wenn Ihr Familienmitglied mit Behinderung spricht und Sie der Ansicht sind, sie/ihn unterbrechen zu müssen, geben Sie ihr/ihm ein diskretes Zeichen. 8. Wenn Ihr Familienmitglied mit Behinderung jemanden zum ersten Mal trifft, lassen Sie Ihr Familienmitglied entscheiden, ob und wann sie/er über ihre/seine Behinderung sprechen möchte. 9. Wenn Ihr Familienmitglied die Schule oder eine Tagesstätte oder Ähnliches besucht, lassen Sie sie/ihn nach der notwendigen Adaptierung und Unterstützung bitten; übernehmen Sie das nicht für sie/ihn. 10. Wenn Sie über Ihr Familienmitglied mit Behinderung sprechen, über- oder untertreiben Sie nicht, wenn Sie von ihrer/seiner Behinderung sprechen. Viele Menschen neigen zu Übertreibungen, wenn sie ihre Emotionen und Gefühle in der Familie zum Ausdruck bringen. Übertreibung wird eingesetzt, um psychische Anspannung zu lockern, kann aber die familiäre Harmonie stören. Überschreiten Sie nie die Toleranzgrenze der anderen, wenn Sie über Ihre Gefühle sprechen oder sie ausdrücken. Häufige Übertreibungen können andere langweilen und zu Misstrauen Ihnen gegenüber führen.

Es gibt viele praktische Tipps, mit Hilfe derer Sie die Kommunikation zwischen den Familienmitgliedern effektiver machen können. Sehen wir uns einige von ihnen an.

Der Fokus liegt auf Prioritäten und nicht auf Prinzipien: Die Familie ist der Ort, an dem keine strengen oder unflexiblen Regeln gelten und sich Prinzipien immer den Prioritäten unterordnen. Sich auf Prioritäten zu konzentrieren, bedeutet einfach, mehr Wert auf die persönlichen Vorlieben Ihres Familienmitglieds mit Behinderung zu legen als auf Regeln und Vorschriften. So können Sie beispielsweise nicht einfach eine Regel einführen, nach der Ihre Familienangehörigen nach 10 Uhr nachts schweigen müssen. Vielleicht ist ja das die einzige Zeit für sie/ihn, mit Ihnen und anderen zu kommunizieren. Für Kommunikation gibt es keine richtige Zeit, keine richtige Art und 37


MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE keinen richtigen Ort. Die Einführung von Kommunikationsregeln wird den Prozess gänzlich offiziell machen und Ihr Familienmitglied mit Behinderung könnte anstatt des Liebevollen nur das Mechanische fühlen.

Seien Sie positiv: Negative und sarkastische Kommunikation wird die Wärme eines Familiengesprächs zerstören. Kritisieren Sie nicht zu sehr und sehen Sie nicht alles gleich negativ. Es gibt Menschen, die im Gespräch mit anderen, besonders mit Familienmitgliedern, sehr sarkastisch sind. Das zerstört die Stimmung der Gespräche mit Ihrem Familienmitglied mit Behinderung und er/sie könnte sich bewusst aus der Familienkommunikation zurückziehen. Sie können korrigierend eingreifen, sollten jedoch versuchen, so positiv zu sein wie möglich. Positive Kommunikation ist viel einflussreicher und effektiver als Kritik. Kreative Kritik kann der Familie helfen, definieren Sie aber immer Grenzen für Kritik. Achten Sie darauf, dass die Kommunikation wertschätzend, ermutigend, unterstützend und beruhigend ist.

Lassen Sie es nicht nur verbal sein: Lassen Sie die Kommunikation mit Ihrem Familienmitglied mit Behinderung mehr als nur ein sprachlicher Ausdruck sein. Die Anwesenheit von Eltern vermittelt den Kindern Sicherheit, Liebe und Obsorge, vor allem, wenn sie eine Behinderung haben und ein Gefühl von Wärme brauchen. Reichern Sie Ihre Kommunikation mit Gesten der Zuneigung an. Ein Kuss, eine Umarmung, eine Wertschätzung, eine Daumen-hoch-Geste usw. drückt mehr aus, als Worte sagen können.

Seien Sie klar, sanft und präzise: Klar, sanft und präzise sollte man in jeder Kommunikation sein, auch in der Kommunikation innerhalb der Familie. Lassen Sie keine Leerstellen, die anderen Raum für Annahmen und Interpretationen bieten. Wenn Sie etwas zu Ihrem Familienmitglied mit Behinderung sagen, machen Sie Ihren Standpunkt auf angenehme Art und Weise deutlich. Wenn Sie bei der Kommunikation ruhig und sanft sind, lädt das Ihr Familienmitglied ein, aufmerksam und kooperativ zu sein.

38


MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE 3.4. Test zur psychischen Stärke von Eltern Beurteilen Sie, inwieweit jede Aussage auf Sie zutrifft. Verwenden Sie dazu die folgende Skala: 3 = trifft voll und ganz auf mich zu; 2 = trifft in einem gewissen Ausmaß auch mich zu; 1 = trifft nicht auf mich zu; 0 = ich kann mich nicht entscheiden.

1. 2. 3. 4. 5. 6.

7. 8.

9. 10. 11. 12.

13. 14. 15. 16. 17.

18.

Ich glaube, dass ich Ressourcen habe, um die Alltagssituationen in meiner Familie zu bewältigen. Ich weiß, dass man sich auf mich als Elternteil verlassen kann. Auch in schwierigen Lebenssituation, die in meiner Familie vorkommen, kann ich etwas Positives sehen. Ich weiß, dass mein Familienmitglied mit Behinderung sehr wertvoll ist und viele Stärken hat. Hinter der Behinderung meines Familienmitglieds sehe ich Chancen für sie/ihn. Ich glaube, dass mein Familienmitglied mit Behinderung eine gleichberechtigte Bürgerin/ein gleichberechtigter Bürger der Gesellschaft ist. Wenn ich mein Familienmitglied mit Behinderung nicht selbst unterstützen kann, weiß ich, wer uns helfen kann. Ich kann meinem Familienmitglied mit Behinderung aufmerksam zuhören, auch wenn ich nicht mit ihrer/seiner Position einverstanden bin. Ich kann den Standpunkt meines Familienmitglieds mit Behinderung verstehen. Ich weiß, was das Beste für mein Familienmitglied mit Behinderung ist. Ich lasse mein Familienmitglied entscheiden, wann sie/er ihre/seine Behinderung offenlegen möchte. Ich kenne die zur Verfügung stehenden Unterstützungsangebote für mein Familienmitglied mit Behinderung in Bezug auf ihren/seinen alltäglichen Bedarf und auf den Aus- und Weiterbildungsbedarf. Trotz meiner Bedenken lasse ich mein Familienmitglied mit Behinderung ihre/seine eigenen Erfahrungen machen. Ich weiß, wie ich reagieren muss, wenn sich jemand unangemessen gegenüber meinem Familienmitglied mit Behinderung verhält. Ich fühle mich ruhig, wenn mein Familienmitglied mit Behinderung mit Freundinnen und Freunden ohne Behinderung Spaß hat. Ich fühle Dankbarkeit, wenn jemand die Fähigkeiten meines Familienmitglieds mit Behinderung erkennt. Ich glaube, dass mein Familienmitglied mit Behinderung die Fähigkeiten und Ressourcen hat, um mit schwierigen Alltagssituationen fertig zu werden. Ich akzeptiere Kritik in Bezug auf die Ansätze, die ich in der Interaktion mit meinem Familienmitglied mit Behinderung verwende. 39


MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE 19.

20.

21. 22.

Ich akzeptiere, dass die Zukunft meines Familienmitglieds mit Behinderung von ihr/ihm abhängt und nicht von meinen Entscheidungen und Handlungen. Ich weiß, dass ich als Mensch Bedürfnisse und Wünsche habe, die genauso viel wert sind, wie die meines Familienmitglieds mit Behinderung. Ich vernachlässige mein Privatleben nicht. Ich bin für verschiedene Unterstützungsmöglichkeiten offen, die ich in Bezug auf die Pflege und das Wohlbefinden meines Familienmitglieds mit Behinderung in Anspruch nehmen kann.

Berechnen Sie bitte Ihre Punktezahl. Wenn das Endergebnis unter 33 liegt, schauen Sie sich einfach die Schulungsunterlagen von E-SUNET noch einmal genauer an. Darüber hinaus könnten Sie mit einer Expertin/einem Experten auf dem Gebiet der Behinderung Kontakt aufnehmen und Unterstützung bei den herausfordernden Themen in Anspruch nehmen. Wenn Ihr Endergebnis über 33 liegt, sind Sie gut informiert, gut vorbereitet und psychisch stark - vielleicht mit Unterstützung der Schulungsunterlagen von E-SUNET.

Praktischer Teil 3.5. Ermutigende und lobende Worte Menschen blühen auf, wenn sie positive Aufmerksamkeit erhalten. Jeder Mensch muss sich geliebt und geschätzt fühlen. Versuchen Sie doch einmal, einige der Phrasen aus der folgenden Liste in Ihren Alltag einzubauen.

Hier einige Worte des Lobes und Zuspruches: x

Ja.

x

Gut.

x

Fein.

x

Sehr gut.

x

Sehr fein.

x

Ausgezeichnet.

x

Fantastisch.

40


MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE x

Das stimmt.

x

Wunderbar.

x

Mir gefällt die Art und Weise, wie du das tust.

x

Ich bin stolz auf dich.

x

Das ist gut.

x

Wow!

x

Sehr schön!

x

Gut gemacht!

x

Das läuft großartig.

x

Das ist gut für dich.

x

Genau so funktioniert das!

x

Das ist viel besser!

x

Okay, du machst das schon viel besser.

x

Das ist perfekt.

x

Gute Idee.

x

Was für eine clevere Idee.

x

Gut gemacht.

3.6. Vervollständigen Sie die folgenden Sätze mit passenden Wörtern Ich mag die Art und Weise, wie du ______ Genauso ______ Ich habe bemerkt, dass du ____ Weiter so! Es hat mir mit dir Spaß gemacht ______ Du machst ______ immer besser. Es war sehr verantwortungsvoll von dir, als du ______ Ich schätze die Art und Weise, wie du ______ Du machst das großartig! Du bist die/der Beste! Du hast eine gute Erinnerung. 41


MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE Das ist wunderschön! Ich mag dein ______ Ich mag die Art und Weise, wie du ______, ohne dass man dich fragen/erinnern musste. Klar bin ich froh, dass du meine Tochter/mein Sohn bist. Jetzt hast du es! Ich liebe dich. Ich glaube dir. Du kannst das. Versuche es weiter... Los geht's... Mache weiter mit... Gib nicht auf...

Sie können darüber sprechen, wie Sie sich fühlen, und Sie können es ZEIGEN: x

Lächeln, Nicken, auf die Schulter/das Knie klopfen, Winken.

x

Signale oder Gesten der Zustimmung oder des Verständnisses: "High five", die Wange berühren, Kitzeln, Lachen (mit, nicht über), auf den Rücken klopfen, Umarmen.

3.7. Positives Denken

Abb. 4.7 Glückliche Familie

42


MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE Theoretischer Teil 3.7.1 Was ist positives Denken? - Wie Sie Ihr Familienmitglied mit Behinderung fördern können

Positives Denken ist eine Geisteshaltung, die Situationen auf konstruktive Weise wahrnimmt. Das bedeutet nicht, Negatives zu ignorieren. Vielmehr erkennt jemand, der positiv denkt, eine Situation und geht produktiv an sie heran. Positives Denken ist am effektivsten bei neutralen Lebensereignissen, wie etwa an einem neuen Arbeitsplatz anfangen, eine neue Lehrerin kennenlernen oder am ersten Tag in der Schule. In diesen weniger eindeutigen Begegnungen trägt unsere Sicht das größte Gewicht.

3.7.2 Können Menschen mit Behinderung das Konzept des positiven Denkens verstehen?

Ja. Positives Denken ist eine angeborene Fähigkeit, die teilweise auf kognitiven Veränderungen von der mittleren Kindheit bis zur Reife basiert. Es kann jedoch während des gesamten Lebens von sozialen und wirtschaftlichen Faktoren, wie behinderungsbedingte Barrieren, begrenzter Zugang zu sozialen Aktivitäten der Gemeinschaft, Mangel an Möglichkeiten für Ausbildung und berufliche Verwirklichung, geringes Familieneinkommen usw. beeinflusst werden. In der frühen Kindheit geben die Eltern einfache binäre Anleitungen in Bezug darauf, wie Emotionen funktionieren: "Wenn du zu einer Geburtstagsfeier gehst, wirst du glücklich sein."; "Wenn du deinen Finger mit einer Nadel verletzt, wirst du traurig sein."; "Wenn deine Mitschüler mit dir spielen und nicht an deine Behinderung denken, wirst du glücklich sein."; "Wenn du in den Pausen alleine bist, während deine Freundinnen ohne Behinderung auf dem Schulhof spielen, wirst du wahrscheinlich traurig sein." Im Alter von fünf Jahren werden diese Richtlinien bis in die mittlere Kindheit immer komplexer.

Fünfjährige sind in der Lage, Gedanken mit Emotionen zu verbinden.

Es wurde ein Rollenspiel mit 90 Kindern im Alter zwischen fünf und zehn Jahren organisiert. Jedes Kind wurde gebeten, sich sechs Szenen anzuhören, in denen jeweils 43


MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE zwei Charaktere vorkamen. Die Charaktere erleben gemeinsam die gleichen positiven Situationen (und fühlen sich wohl), die gleichen negativen Situationen (und fühlen sich schlecht) oder mehrdeutige Situationen (und fühlen sich okay). Danach hat ein Charakter einen positiven Gedanken, während der andere einen negativen Gedanken denkt. So lernen zum Beispiel in einer mehrdeutigen Szene die Charaktere eine neue Lehrerin kennen. Ein Charakter denkt negativ: "Sie wird gemein sein und uns eine Menge Hausaufgaben geben.", während der andere positiv denkt: "Wir werden Spaß mit ihr haben und sie wird uns Geschichten vorlesen." Nachdem sie die Reaktionen der Charaktere erklärt hatten, fragten die Moderatoren die Kinder, was sie darüber dachten, und nahmen ihre Antworten auf. Die Studie zeigte, dass bereits fünfjährige Kinder die Grundsätze des positiven Denkens verstehen konnten: Mit einem positiven Gedanken fühlt man sich besser und mit einem negativen Gedanken fühlt man sich schlechter. Außerdem gelingt es Kindern besser, den Einfluss des positiven Denkens in mehrdeutigen Situationen zu verstehen. Etwas ältere Kinder sind noch besser darin, positives Denken anzuwenden. Viele Studien zeigen, dass Sieben- und Achtjährige Ablenkung dazu nutzen, um mit Angst fertig zu werden. Auf die Frage, wie sie mit der Angst vor Spritzen beim Arzt umgehen, meinten sie, sie dachten an eine schöne Zeit, wie zum Beispiel an Eis essen. Im Gegensatz dazu arbeiten jüngere Kinder in der Regel mit greifbareren Ablenkungen, wie etwa dem Spielen mit einem Spielzeug.

Unabhängig vom Alter gilt: Menschen, die positiv denken, sind widerstandsfähiger. Wenn

es

gefördert

wird,

ist

das

positive

Denken

ein

leistungsfähiges

Bewältigungswerkzeug und fördert die Widerstandsfähigkeit. Menschen mit und ohne Behinderung lernen, besser mit Enttäuschungen des Lebens umzugehen: nicht in eine Sportmannschaft aufgenommen werden, in einem Schulprogramm abgelehnt werden oder einen Test nicht bestehen. Es gibt eine Reihe von Fällen, in denen Menschen mit Behinderung darin geschult wurden, optimistisch zu denken, und die Ergebnisse zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit, später Depressionen zu entwickeln, geringer ist. Auch hier zeigt sich, dass positiv denkende Menschen widerstandsfähiger sind. 44


MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE

45


MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE 3.7.3 Wie können Eltern positives Denken fördern? Seien Sie ein Vorbild

Je optimistischer die Eltern sind, desto besser versteht ein Mensch mit Behinderung die Grundsätze des positiven Denkens. Interpretieren Sie die Dinge in Ihrem eigenen Leben auf eine positive Art und Weise. Bringen Sie das offen und im Gespräch mit Ihrem Familienmitglied mit Behinderung zum Ausdruck.

AUFGEREGT

GLÜCKLICH

ekstatisch energisch erregt locker nervös munter kribbelig

EMPFINDSAM vertraut liebevoll warmherzig mitfühlend berührt freundlich sanft

erfüllt zufrieden froh ausgefüllt selbstzufrieden optimistisch erfreut

VERÄNGSTIGT TRAURIG

nervös ängstlich überspannt erschrocken voller Panik

niedergeschlagen melancholisch trübselig trauernd entmutigt deprimiert untröstlich

BÖSE

gereizt grollend beleidigt aufgebracht wütend rasend tobend

Abb. 4.8 Emotionenkreis

Vor dem ersten Tag in der Schule können Sie beispielsweise sagen: "Morgen ist der erste Tag in der Schule. Was sind all die guten Dinge, auf die du dich freust?" - Wenn das Kind mit Behinderung Angst empfindet, helfen Sie ihr/ihm dabei, ihre/seine Gedanken umzudeuten: „Warum denken wir nicht über die positiven Dinge nach, die 46


MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE heute in der Schule passieren könnten?“ - Du wirst neue Kinder kennenlernen, die bald deine Freunde sein werden. Du könntest von dir erzählen und was du gerne magst und die Lehrerin wird dich dabei unterstützen, neue nützliche Fähigkeiten zu erwerben. Es wird dir gefallen, mit deinen Klassenkameraden zu spielen. Wenn du zur Schule gehst, hast du die Möglichkeit, deine Talente zu zeigen. Je früher ein Mensch lernt, diese Technik anzuwenden, desto effektiver wird er sie benutzen können. Leugnen Sie nicht, wenn etwas Schlimmes passiert

Positives Denken bedeutet nicht, dass Negatives geleugnet wird. Wenn Ihr Familienmitglied mit Behinderung beispielsweise einen gebrochenen Arm hat, tun Sie die Schmerzen nicht einfach ab: "Das tut weh und ich verstehe, dass du dich darüber aufregst." Zeigen Sie ihr/ihm dann, wie sie/er die negative Situation umdeuten kann: "Denken wir doch über all die coolen Dinge nach, die wir mit dem Gips machen können: Wie wäre es mit lustigen Zeichen und Sprüchen oder Unterschriften deiner Freundinnen

und

Freunde?"

Diese

Umdeutungstechnik

hilft

dabei,

die

Widerstandsfähigkeit des Menschen mit Behinderung zu stärken.

3.7.4 Wichtige Punkte, an die wir denken sollten x

Positives Denken ist eine Geisteshaltung, die Situationen auf konstruktive Weise wahrnimmt.

x

Menschen mit und ohne Behinderung ab einem Alter von fünf Jahren sind in der Lage, die Grundlagen des positiven Denkens zu verstehen.

x

Menschen mit und ohne Behinderung können das positive Denken mit zunehmendem Alter immer besser verstehen.

x

Wenn

man

es kultiviert,

ist

positives Denken

ein

leistungsfähiges

Bewältigungswerkzeug und hilft dabei, die Widerstandsfähigkeit eines Menschen aufzubauen. x

Eltern können positives Denken fördern, indem sie als Vorbilder fungieren.

47


MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE x

Leugnen Sie nie eine negative Situation oder ein negatives Gefühl. Dann helfen Sie Ihrem Familienmitglied mit Behinderung dabei, es auf eine positive und produktive Weise zu betrachten.

x

Positives Denken kann sowohl Ihnen als auch dem Menschen mit Behinderung helfen, leichter zu leben.

x

Positives

Denken

kann

Ihnen

auch

helfen,

die

Behinderung

Ihres

Familienmitglieds anderen Menschen gegenüber auf eine positiven Art und Weise darzustellen. x

Positives Denken hilft Ihnen dabei, Lösungen zu finden und mit behinderungsbedingten Einschränkungen umzugehen.

x

Positives Denken hilft Ihnen dabei, zur richtigen Zeit die richtigen Menschen zu finden, die Sie in verschiedenen Situationen unterstützen können.

x

Positives Denken hilft Ihnen dabei, sich auf die Ressourcen und nicht auf die Lücken zu konzentrieren.

Praktischer Teil 3.7.5 Übungen zum positiven Denken

Versuchen Sie diese Übung, wenn Sie mehr Zeit damit verbringen wollen, sich positive Gedanken über Dinge zu machen, die gut gegangen sind. - Menschen, die diese Übung zum positiven Denken machen, sagen, dass sie glücklicher, sorgenfreier und weniger traurig sind. 1. Nehmen Sie sich jeden Tag in der nächsten Woche 10 bis 15 Minuten vor dem Einschlafen und schreiben Sie drei Dinge auf, die am Tag gut gelaufen sind und warum. Das kann etwas so einfaches sein wie "Mein Sohn hat mich heute Morgen nett angelacht." Es kann aber auch etwas ganz Großes sein: "Ich habe unseren Familienurlaub gebucht." 2. Unter jedem "Das lief heute gut" schreiben Sie auf, was Sie dafür getan haben. Wenn Sie zum Beispiel geschrieben haben: "Mein Sohn hat mich heute Morgen

48


MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE nett angelacht.", könnten Sie schreiben: "Ich habe ihn angelacht und er hat zurückgelacht." 3. Das mag sich vielleicht zunächst seltsam anfühlen, wird aber mit mehr Übung leichter. Probieren Sie es einfach eine Woche lang aus. Schauen Sie sich Ihre Notizen am Ende der Woche an. 4. Erzählen Sie auch Ihrer Familie und Ihren Freundinnen und Freunden von dieser Übung.

3.7.6 Wie man positives Verhalten fördern kann

Abb. 4.9 Scott Hamiltons Motto: Die einzige Behinderung im Leben ist eine schlechte Einstellung (Copyrights http://feministsonar.com/2012/10/i-am-not-your-motivational-poster/)

49


MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE Werfen Sie einen Blick auf die folgenden allgemeinen Empfehlungen zum positiven Denken. Diese sieben Empfehlungen können eine Grundlage für Ihr positives Denken bilden und positives Verhalten so fördern, dass Ihr Alltag reibungsloser und stressfreier ist. Es handelt sich dabei um eine einfache nicht gegliederte Liste; der erste Punkt ist nicht wichtiger als der zweite und der zehnte ist nicht der unwichtigste. Die Menschen neigen dazu, Dinge nach ihrer Bedeutung zu ordnen - versuchen Sie also, das beim Lesen zu vermeiden.

1. Entwickeln Sie eine Ja-Einstellung: Für uns alle gilt vermutlich, dass es zu viele Neins im Alltag gibt. Wenn wir auf jemandes Bitte mit Nein antworten, üben wir damit große Macht aus. Und es ist verlockend, diese Macht einzusetzen. Wenn wir Nein sagen, meinen wir oft "Ja, aber später." Zwischen diesen beiden Aussagen liegt ein großer Unterschied. Das gilt auch dann, wenn wir unser Nein erklären: "Nein, jetzt nicht" Das Wort, das zu hören ist, ist "NEIN!!" - "Ja, das können wir machen, wenn wir hier fertig sind.", drückt viel eher aus, dass der Wunsch angekommen, beachtet und akzeptiert wurde. Seien wir ehrlich: Viele Menschen mit Behinderung haben gelernt, dass sie mit verschiedensten Verhaltensweisen ein Nein in ein Ja umwandeln können. Aber warum sollten wir sie überhaupt dazu veranlassen? Eine Ja-Antwort kann sofort eine Menge Probleme lösen. Wenn wir ja-orientiert werden wollen, ist das jedoch schwieriger, als Sie vielleicht denken. Es verlangt ein Neudenken unserer Reaktionen und eine Neubewertung der Wirkung unserer Worte. Es verlangt von uns, das Nein zu brechen, eine Gewohnheit, die nicht leicht zu verändern ist. Manche Menschen werden gegen das Nein immun, wenn es gegen Süßigkeiten vor dem Essen gleich stark eingesetzt wird wie bei einer gefährlichen Situation im Straßenverkehr. Setzen Sie es also so ein, dass Nein nur dann nein bedeutet, wenn das Nein ein Argument darstellt und keine Ablehnung.

2. Wahlmöglichkeiten: Stellen Sie sich folgendes Gespräch und sein Ergebnis vor: Reinhard: He, Birgit, kümmerst du dich heute Abend um das Geschirr? Birgit: Ähm, nein. 50


MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE Reinhard: Aber du bist an der Reihe! Du wirst alle anderen enttäuschen! Ich muss das in dein Info-Heft schreiben. Bist du dir sicher, dass du dich nicht um das Geschirr kümmern möchtest? Birgit: Ähm, ja. Reinhard: Du musst aber in die Küche gehen und dich um das Geschirr kümmern. Jetzt sofort! Du bist heute Abend an der Reihe! Birgit geht in die Küche und ruft ihre Angehörigen an. Nach einer Weile wird ihre Angst stärker und schließlich zerbricht sie einige Teller. Grundsätzlich gilt hier: Bieten Sie keine Auswahlmöglichkeiten, wenn Sie nicht wollen, dass die/der andere die Wahl hat. Sobald Reinhard durch seine Frage andeutet, dass Birgit die Wahl hat, muss er die jeweilige Entscheidung auch respektieren. Anstatt das zu tun, eskaliert er die Situation (meist bemerken wir das gar nicht) und zwingt sie, jene Entscheidung zu treffen, die er möchte. Das führt zu einem Problem, das hätte vermieden werden können, und endet mit zerbrochenen Tellern. Man könnte argumentieren, dass Birgit die Teller nicht zerbricht, weil sie den Abwasch nicht machen möchte, sondern weil man ihr nicht zugehört hat. Wir sollten also mit Wahlmöglichkeiten vorsichtig umgehen. Menschen mit Behinderung brauchen sowohl Wahlmöglichkeiten als auch Erwartungen - seien Sie sich darüber im Klaren, welches der beiden Sie gerade einsetzen.

3. Schaffen Sie etwas Freiraum: Eine der am häufigsten angewandten Strategien, die Menschen mit Behinderung für den Umgang mit negativen Gefühlen und Situationen einsetzen, ist es, sich zurückzuziehen. Die Schaffung von Freiraum (in die Privatsphäre eintauchen, um sich aus einer Situation zurückzuziehen) im Umgang mit Wut wird auch von ExpertInnen empfohlen (Brown, Standen, Evert, 2010 Nottingham). Wut braucht Raum. - Wut ist ansteckend. Es ist wichtig, Menschen Zeit zu geben, um sich zu beruhigen. Es gibt einen Grund dafür, dass Wut so oft von zugeschlagenen Türen begleitet wird. Der Knall der Tür ist eine Art zu sagen: "Lass mich in Ruhe!", oder "Ich muss jetzt allein sein."

51


MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE Menschen mit Behinderung haben oft das Gefühl, nicht entkommen zu können, oder sie denken nicht daran, dass sie diese Option haben, wenn sie aufgeregt sind. Sagen Sie einfach Folgendes zu Ihrem Familienmitglied mit Behinderung: "Ich gebe dir jetzt ein wenig Freiraum." Sagen Sie das freundlich und unterstützend und verlassen Sie den Raum. Das sollten Sie natürlich nur dann machen, wenn die Situation nicht gefährlich ist. Aber auch wenn ständige Überwachung notwendig ist, können Sie den Blick abwenden und Ihre Aufmerksamkeit auf etwas anderes lenken, um etwas Privatsphäre zu schaffen.

4. Der Ton macht die Musik: Wurde Ihnen schon einmal über den Tonfall mitgeteilt, dass Sie "dumm" oder "unfähig" sind? Haben Sie schon jemals gesagt: "Sprich nicht in diesem Ton mit mir!"? Waren Sie schon einmal wütend, weil jemand mit Ihnen gesprochen hat, als wären Sie ein Kind? Wir alle haben schon unsere Erfahrungen mit einem respektlosen Tonfall gemacht. Wir alle wissen, was es heißt, wenn wir uns nicht über das Gesagte aufregen, sondern darüber, wie es gesagt wurde. Wir sollten mit Kindern mit Behinderung so sprechen, wie wir mit Erwachsenen sprechen. Achtung: Es sind meistens die Situationen, in denen wir frustriert oder verärgert sind, dass wir als Eltern im Gespräch mit unseren Kindern mit Behinderung in den Tonfall des "überlegenen Erwachsenen" verfallen.

5. Grenzen - Grenzen - Grenzen: Die Frage der Grenzen wurde im Zuge dieses Moduls bereits mehrmals angesprochen. Hier geht es nicht um Grenzen in Bezug auf Freiraum und Privatsphäre. Und auch nicht darum, Grenzen in Bezug auf Ihre Beziehung zum Menschen mit Behinderung aufzubauen. Wir wollen über andere Grenzen sprechen: diejenigen zwischen dem Leben eines Menschen mit Behinderung und Ihrer Meinung. Diesbezüglich ist definitiv eine Grenze zu ziehen! Eine der größten Herausforderungen ist es, unsere Vorstellung zuzugeben, dass wir besser wissen, wie unsere Kinder ihr Leben leben sollten. Das sollten wir schnell hinter uns lassen. Menschen mit Behinderung werden es leid, ihr Leben analysieren, bewerten und kommentieren zu lassen. Wenn Sie jemals von jemandem Besuch hatten, die/der Ihnen ständig gesagt hat, was Sie anders und besser machen könnten, 52


MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE wissen Sie, welche Art von Wut ein solch "hilfreiches Feedback" hervorrufen kann. Vielleicht denken Sie also hin und wieder daran, dass es nicht um Sie geht und dass es nicht Ihr Leben ist. Am wichtigsten ist es vielleicht, sich manchmal zurückzuhalten und einfach zu schweigen.

6. Aufmerksamkeit: Unabhängig von ihrem Alter, benötigen Menschen mit Behinderung Aufmerksamkeit und Akzeptanz. Dies gilt auch in der Familie, die ihnen als enges und freundliches Umfeld dient. Eltern eines Menschen mit Behinderung zu sein, ist ein 24-Stunden-Job und kann sehr erschöpfend und anspruchsvoll sein. Sie sollten jedoch bedenken, dass Ihr Kind mit Behinderung Ihre Aufmerksamkeit braucht. Es sollte mit Ihnen sprechen und Ihnen seine Gedanken, Gefühle, Emotionen, Ängste und Sorgen mitteilen können. Nehmen Sie sich beispielsweise 15 Minuten pro Tag Zeit, die Sie nur Ihrem Familienmitglied mit Behinderung widmen - ohne Telefonate, Fragen anderer Familienmitglieder usw. Sie/Er muss sich dessen sicher sein können, dass diese 15 Minuten nur ihr/ihm gehören. In anderen Worten: Stellen Sie sicher, dass sie genügend Aufmerksamkeit übrig haben. Stellen Sie sicher, dass Interaktionen regelmäßig stattfinden und dass es geplante Zeiten gibt, zu denen Ihr Kind weiß, dass es mit Ihnen sprechen oder einfach nur Spaß haben kann.

7. Kommunikation: Denken Sie an Situationen, in denen Sie sich über etwas aufgeregt haben. Haben Sie sich schon einmal mit Ihrem Familienangehörigen hingesetzt und gesagt: "Ich bin gerade ziemlich wütend und ich glaube, ich brauche jetzt etwas zu trinken und muss mich entspannen."? Wir Menschen drücken unsere Gefühle oft nicht mit Worten aus. Wir teilen anderen über andere Wege mit, wenn wir beispielsweise aufgeregt sind. Diese Signale sind äußerst anpassungsfähig und enorm wichtig. Dabei sollten wir unsere Familienmitglieder unterstützen. Es wäre zu viel zu erwarten, dass ein Familienmitglied zu uns sagt: "Meine Liebe, ich fühle mich gerade sehr frustriert und brauche jetzt Zeit, um mich von der intensiven Unterhaltung zu erholen." Wir haben Signale entwickelt, die auf vereinbarten Kommunikationsstrategien basieren

53


MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE und die wir einsetzen, wenn wir Ärger oder Frustration oder das Bedürfnis nach Zeit für uns alleine ausdrücken wollen.

Praktischer Teil 3.7.7 Tipps zum positiven Denken

Was du denkst

Was du machst

Wie du dich fühlst

Abb. 4.10 Der Kreis des positiven Denkens

1. Verwenden Sie positive Worte: Versuchen Sie, wenn Sie mit anderen sprechen, eine positive Ausdrucksweise zu wählen.

Positive Aussagen: "Ja, du schaffst das."; "Es gibt einen Ausweg."; "Die Dinge werden besser."; "Die Situation verbessert sich."; "Ich glaube..."; "Ich habe Stärken, die..."; "Du hast Stärken, die..."; "Du wirst Erfolg haben" usw. Versuchen Sie, negative Ausdrücke wie die Folgenden zu vermeiden: "Mach das nicht"; "Du kannst ... nicht"; "nicht"; "wird nicht"; "nein" usw. 2. Füllen Sie Ihren Verstand mit positiven Gedanken: Sehen Sie sich immer nach Dingen um, die positiv sind. Finden Sie Dinge, die Sie an sich selbst, dem Menschen mit Behinderung, an anderen Menschen und an Ihrem Leben mögen.

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MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE 3. Feiern Sie: Teilen Sie Ihre Erfolge mit anderen. Feiern Sie alles, was in Ihrem Leben passiert. Egal wie groß oder klein es ist, feiern Sie. 4. Lächeln Sie: Es gibt Tage, an denen uns ein Lächeln wirklich überhaupt nicht in den Sinn kommen möchte, aber schon der einfache Akt des Lächelns gibt Ihnen ein positives Gefühl. Lächeln Sie so oft es Ihnen einfällt. 5. Schließen Sie Frieden mit der Vergangenheit: Denken Sie manchmal an Momente in Ihrer Vergangenheit, in denen Sie sich verlegen, ängstlich oder wütend gefühlt haben? Durchleben Sie Situationen immer wieder und wünschen Sie sich dabei, dass Sie Dinge anders gemacht hätten? Ihre Gefühle sind mit Ihren Gedanken verbunden. Wenn Sie Ihre Gedanken ändern, werden sich auch Ihre Gefühle ändern. Lassen Sie die Vergangenheit zurück. Realisieren Sie, was in der Vergangenheit passiert ist und dass Sie nichts daran ändern können. Aber Sie können Ihre Gegenwart und Ihre Zukunft ändern, denn Sie leben im Hier und Jetzt! 6. Dankbarkeit: Seien Sie dankbar für Ihr Leben. Halten Sie Ausschau nach Dingen, für die Sie dankbar sein können - ein Sonnenuntergang, ein Lächeln eines Fremden oder ein guter Moment in der Familie. Es dauert nicht lange und diese Kleinigkeiten werden größer: das erfolgreiche Ende eines Schuljahres/einer Ausbildung, eine erfolgreiche Aufführung, die positiven Ergebnisse der Rehabilitation usw. 7. Spiegeltechnik: Wann immer Sie in einen Spiegel sehen, sagen Sie sich etwas, was Sie an sich selbst mögen. Wenn Sie einen schweren Tag gehabt haben, sehen Sie in den Spiegel und sagen Sie sich alles, was Sie gemacht haben. - "Du bist großartig. Deine Präsentation in der Schule heute lief sehr gut und morgen wirst du das tolle Feedback erhalten, das du verdienst."

3.7.8. Übung zum positiven Denken Blicken Sie zum Horizont Ihres eigenen Lebens und versuchen Sie herauszufinden, was die Strategien Ihres positiven Denkens sein könnten. Wenn Sie Ihr Leben betrachten: Welche Verhaltensweisen, Gedanken oder Interaktionen, die die Menschen anwenden, sind Ihrer Meinung nach am lohnendsten? Achten Sie während der nächsten Woche genau auf sich selbst und auf andere: Wann sind Sie und Ihre Familienmitglieder optimistisch und engagiert? Was passiert? Was passiert nicht? Überlegen Sie, ob Sie potenziell wirksame Strategien für die kommende Woche feststellen können. Erstellen Sie hier Ihre eigene Liste mit möglichen Strategien: 1. 2.

55


MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE 3. 4.

3.7.9 Reflexion Wenn Sie möchten, beantworten Sie die folgenden Fragen gleich schriftlich: Haben Sie Bedenken gegen das Ziel, ein glücklicherer und positiverer Mensch zu werden?

Haben Sie Bedenken dagegen, andere (auch Ihr Familienmitglied mit Behinderung) darin zu beraten, wie sie glücklicher werden können?

3.7.10 Übung: "Warum es nicht offensichtlich ist" Wir sind sicher, dass Sie sich etwas dazu überlegt haben, wie Sie Ihr positives Denken und das Ihres Familienmitglieds mit Behinderung steigern können. Nehmen Sie sich Zeit und zählen Sie fünf Dinge auf, die Ihrer Meinung nach hilfreich sein könnten.

1. 2. 3. 4. 5.

3.7.11. Übung "Selbsteinstufung des Glücks" Die folgende Übung könnten Sie Ihrem Familienmitglied mit Behinderung vorschlagen. Bitten Sie Ihr Familienmitglied mit Behinderung bei den folgenden Aussagen und/oder Fragen, den Punkt auf der Skala auszuwählen, der am ehesten auf sie/ihn zutrifft. 1.

Im Allgemeinen halte ich mich für...

56


MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE ... einen glücklichen Menschen.

1.

3

4

5

6

7

... einen nicht sehr glücklichen Menschen.

1

2

3

4

5

6

7

... glücklicher ein.

Manche Menschen sind ganz allgemein sehr glücklich. Sie genießen das Leben, unabhängig davon, was passiert, sie holen aus allem das Beste heraus. Inwieweit trifft diese Beschreibung auf Sie zu? Überhaupt nicht.

3.

2

Im Vergleich mit den meisten meiner KollegInnen, schätze ich mich... ... weniger glücklich ein.

2.

1

1

2

3

4

5

6

7

Sehr stark.

Manche Menschen sind ganz allgemein nicht sehr glücklich. Auch wenn sie nicht depressiv sind, scheinen sie nie so glücklich zu sein, wie sie sein könnten. Inwieweit trifft diese Beschreibung auf Sie zu? Sehr stark.

1

2

3

4

5

6

7

Überhaupt nicht.

Auswertung: Addieren Sie die vier Zahlen, die Sie markiert haben, und dividieren Sie sie durch 4. Das Ergebnis sollte zwischen 1 (sehr unzufrieden) und 7 (sehr zufrieden) liegen. Zum Vergleich: Die mittlere Punktzahl auf dieser Skala reicht von 4,5 bis 5,5. Denken Sie an diesen Unterschied, wenn Sie feststellen, wie es Ihrem Familienmitglied geht. Aber vergleichen Sie sich nicht zu sehr mit dem Durchschnitt. Die Botschaft lautet, dass Sie die Strategien dieses Kurses dazu einsetzen können, um das positive Denken und das Glücksgefühl Ihres Familienmitglieds mit Behinderung über diese Zahl zu anzuheben! Denken Sie an die Dinge zurück, die Sie zuvor in Bezug auf Ihr Familienmitglied mit Behinderung aufgeschrieben haben: Was würde sie/ihn glücklich machen? Hat sich etwas in ihren/seinen Lebensumständen verändert, außer Erfahrungen oder Aktivitäten?

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MODUL 3 PSYCHISCHE STÄRKE 3.7.12 Übung "Positives Denken - Dankbarkeit und Zuversicht" Schreiben Sie - auf Basis der Skala unten - jene Zahl neben jede Aussage, die Ihren Grad der Zustimmung am besten ausdrückt. Diese Übung kann auch von Ihrem Familienmitglied mit Behinderung durchgeführt werden.

1 - stimme überhaupt nicht zu | 2 - stimme nicht zu | 3 - stimme ein wenig nicht zu | 4 – weder noch | 5 - stimme ein wenig zu | 6 - stimme zu | 7 - stimme voll zu

___ 1. Ich habe so viel im Leben, wofür ich dankbar sein kann. ___ 2. Wenn ich alles aufschreiben müsste, wofür ich dankbar bin, wäre das eine sehr lange Liste. ___ 3. Wenn ich mir die Welt ansehe, sehe ich nicht viel, wofür man dankbar sein könnte. ___ 4. Ich bin vielen Menschen dankbar. ___ 5. Mit zunehmendem Alter (oder mit dem Erwachsenwerden) kann ich die Menschen und Situationen, die Teil meiner Lebensgeschichte sind, immer mehr schätzen. ___ 6. Es kann viel Zeit vergehen, bis ich für etwas oder jemanden Dankbarkeit empfinde.

Auswertung: Beachten Sie, dass die Aussagen 3 und 6 umgekehrt gezählt werden. Sie müssen also Ihre Punktezahl von 8 subtrahieren, bevor Sie das Ergebnis als Messgröße Ihrer Einstellung gegenüber Dankbarkeit und positivem Denken sehen. Diese Übung dient der Reflexion für Sie und Ihr Familienmitglied mit Behinderung. So können Sie beide Ihre Gedanken miteinander besprechen. Es gibt Menschen, die durch das Leben gehen und viel sehen, das sie schätzen und wofür sie dankbar sind. Anderen fällt das nicht so leicht. Aber glücklicherweise gibt es Grund zur Annahme, dass die meisten Menschen in der Lage sind, Ihre Dankbarkeit und ihr positives Denken zu steigern. Was meinen Sie dazu?

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