Praxis Nr. 7 - Zehn Jahre Die Linke.SDS

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praxis. #7/2017

das mitglieder- und debattenmagazin von dielinke.SDS

gestern, heute, morgen.

Zehn Jahre Die Linke.SDS – Erwartungen, Bilanz und Perspektiven


Editorial

Diese praxis ist dem 10jährigen Gründungsjubiläum von Die LINKE.SDS gewidmet und gibt uns Gelegenheit Bilanz zu ziehen und gleichzeitig den Blick nach vorne zu richten. Diese Ausgabe ist bereits die Zweite in diesem Jahr. Die Bereitschaft sich mit Artikeln an der internen Verbandsdiskussion zu beteiligen ist bisher leider nicht gestiegen. Dies liegt auch daran, dass sich viele Genoss*innen nicht trauen zu schreiben oder sich einer Debatte auszusetzen. Auch deswegen hatte die critica-Redaktion zu einem FdVH-Seminar zu Kritischem Journalismus geladen. Hier sollte ermuntert werden, den Stift in die Hand zu nehmen und sich in schriftlicher Meinungsäußerung zu üben. Wir hoffen, dass schon bei der nächsten praxis mehr Genoss*innen schreibend eingreifen. Die geringe Beteiligung kann auch mit dem Generationenwechsel im SDS erklärt werden. Viele neue Genoss*innen kennen die Debatten, die wir in den Jahren geführt haben, nicht. Genau dem will diese praxis entgegen wirken. Um unseren Verband zu stärken, brauchen wir ein kollektives Gedächtnis, das die Debatten festhält und allen zugänglich macht, um daraus für die Zukunft zu lernen. Im ersten Beitrag beleuchten Mitglieder der Gründungsgeneration wie es zum Entstehen des größten linken Studierendenverbands gekommen ist. Welche Herausforderungen und Konflikte wurden gemeistert und wie waren 2007 die Rahmenbedingungen in Gesellschaft, Hochschule und Politik. Julian Nikolaus widmet der aktuellen Verfasstheit des SDS im Spannungsfeld zwischen lokalen Gruppen und Bundesebene. Jakob legt die Beweggründe einiger SDS-Genoss*innen dar eine bundesweite Kapital-Lesebewegung an die Unis zu bringen. Janis hat sich daran gesetzt eine komplette Geschichte des SDS zu schreiben. Alle Beschlüsse aus 10 Jahren SDS hat sich Alexander noch mal durchgelesen, um Anregungen für die heutige Arbeit des SDS zu finden. Bettina gibt einen Überblick über feministische Gruppen- und Verbandspraxis und überlegt was noch getan werden kann, um den SDS feministischer zu machen. Ideen zur Weiterentwicklung des Verbandes bieten die vier Strategiepapiere, die anlässlich des Politikforums in Leipzig entstanden sind. Diese beleuchten die derzeitige Lage des SDS, versuchen sich an einer Positionierung zur Klassenlage von Studierenden und den emanzipatorischen Eingriffsmöglichkeiten in zentrale gesellschaftliche Auseinandersetzungen. Auch wenn die Papiere bereits beim Politikforum diskutiert wurden, lohnt sich die nähere Betrachtung, da dort die Diskussionszeit begrenzt blieb und nicht alle Genoss*innen daran teilhatten. Diese können in der kommenden praxis schriftlich darauf Bezug nehmen – oder bei Verbandsveranstaltungen wie der Sommerakademie. Als letzten Denkanstoß berichtet Daniel über Erfahrungen des Bremer SDS mit Haustürgesprächen. Impressum

praxis - das mitglieder- und debattenmagazin von dielinke.SDS #7/2017 Herausgeber: Die Linke.SDS Bundesvorstand Redaktion: Alexander Hummel, Anna Lindner, Bettina Gutperl (V.i.S.d.P.), Jakob Graf, Julian Nikolaus Rensi, Leon B., Roberto del Aurel, Tabea Hartig, Dorian Tigges Layout: Dorian Tigges Redaktionsadresse: DIE LINKE.SDS Kleine Alexanderstraße 28 10178 Berlin

Bald wird das Call for Paper für die nächste Praxis erscheinen. Thema wird das 100-jährige Jubiläum der Oktoberrevolution sein. Gerne könnt ihr euch schon jetzt überlegen, welche Aspekte ihr davon mit eigenen Beiträgen behandeln möchtet. Eure critica-Redaktion

Inhalt

...wo kommen wir her? Kein Gründungskitsch. Zur Gründung des Studierendenverbandes

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Publius (Mitglieder des Gründungsvorstands)

Von der Geschichte lernen heißt siegen lernen!

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„Marx‘ »furchtbarstes Missile« und dielinke.SDS

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Julian Nikolaus Rensi (dielinke.SDS Heidelberg)

10 Jahre Kapital-Lesebewegung – was war das denn nochmal? Jakob Graf

10 Jahre SDS

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Janis Ehling (Bundesgeschäftsführer)

...wo stehen wir? Zu gut für die Schublade!

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Feministische Theorie und Praxis im SDS- Es begann mit einer Tomate. Wo es endet, liegt in unserer Hand

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Thesen zum Bundesparteitag 2017

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Alexander Hummel (dielinke.SDS Heidelberg und BAK Critica)

Bettina Gutperl (Bundesgeschäftsführerin und dielinke.SDS FU) Bundesvorstand

...und wie gehts weiter? Was es heißt, heute SozialistIn an der Hochschule zu sein

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Wie weiter mit dem SDS? - Strategiepapier der Marxistisch- Feministischen Gruppe

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Von der Empörung…wohin? - Strategiepapier

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Sozialistische Hochschulpolitik in bewegter Zeit – Gedanken zur Strategiediskussion im SDS auf dem Bundeskongress Juni 2017

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Haustürgespräche als Bestandteil aktionsorientierter Hochschulpolitik

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Marx21 Studis

Marxistisch-Feministische Gruppe

Leon B. und Roberto del Aurel (dielinke.SDS Freiburg)

SDS* Uni Hamburg

Daniel Urbach (dielinke.SDS Bremen)


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Kein Gründungskitsch. Zur Gründung des Studierendenverbandes Publius (zwei Mitglieder des Gründungsvorstands)

Organisationen, Staaten oder Vereine stricken sich zumeist im Nachhinein eine Gründungsgeschichte. Die Gründungsgeschichte übernimmt eine wichtige Funktion: Sie stiftet Zusammenhalt und ermöglicht Konflikte darum, was „eigentlich“ die geteilten Grundlagen der Zusammenarbeit sind. Doch die Gründungsgeschichte zeichnet ihr Bild aus der Perspektive der Heutigen und so wird es oft ein eigentümlich verkitschtes Bild. Hier schlägt die Stunde der starken Männer, der „Gründer“, der in den Geschichtsverlauf eintretenden Massen, der Feierlichkeiten und Gesänge, der Fahnen und Hymnen. Doch all das ist immer nur die eine Seite der Umbrüche: Die Pariser Barrikadenkämpfen 1789 sind eben nur die eine Seite, die handfesten Interessen einer aufstrebenden Bourgeoisie und die Unfähigkeit der herrschenden Klasse die Staatsgeschäfte in Ordnung zu bringen die andere. Die rätedemokratische Beteiligungskultur der russischen Revolution 1917 ist nur die eine Seite, auf der anderen steht das politische Handeln linker Funktionseliten, die sich in einem bestimmten Moment dafür entscheiden, die Staatsmacht zu ergreifen. Man könnte hier eine ganze Reihe von anderen Beispielen aus der Geschichte der Umbrüche und Revolutionen, der Umund Neugründung linker Bewegungen anführen. Karl Marx hatte sich jedenfalls schon früh – in seiner Schrift zum Scheitern der demokratischen Revolution 1848 in Frankreich, „Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte” - vom Gründungskitsch und vom Heroismus distanziert: „Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen. Die Tradition aller toten Ge-

schlechter lastet wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden. Und wenn sie eben damit beschäftigt scheinen, sich und die Dinge umzuwälzen, noch nicht Dagewesenes zu schaffen, gerade in solchen Epochen revolutionärer Krise beschwören sie ängstlich die Geister der Vergangenheit zu ihrem Dienste herauf, entlehnen ihnen Namen, Schlachtparole, Kostüm, um in dieser altehrwürdigen Verkleidung und mit dieser erborgten Sprache die neuen Weltgeschichtsszene aufzuführen.”1 Neugründungen erwachsen also nicht nur aus Eifer und Enthusiasmus, aus besonders großen „Namen” oder nur schrillen „Schlachtparolen”, sondern sie antworten auf bestehende Strukturkrisen. Es kommt dabei durchaus auch (aber nicht ausschließlich) auf das Handeln von Einzelnen oder sozialen Gruppen an. Sie nutzen meist flüchtige, günstige Gelegenheiten und bringen Ergebnisse hervor, die sich den ursprünglichen Interessen der jeweiligen „Gründer“ verselbstständigen. Neugründungen sind mit Gewalt verbunden. Sie verdrängen das, was schon da ist, und müssen durchgekämpft werden. Sie „fressen sie ihre Kinder“, sie richten die Gründergeneration zu Grunde oder transformieren sie von enthusiastischen Gründern zu nüchternen Verwaltern des Neuen. Auf die Gründung folgt die Konterrevolution und die Revolution muss mühsam und kleinteilig gegen ihre Gegner verteidigt werden. All das gilt auch im Falle der Neugründung des Studierendenverbandes Die LINKE. SDS, die im Jahre 2007 stattfand. Soweit wir sehen können, hat sich erst über die Jahre eine langsame Stabilisierung der Organisation und eine Verankerung in ihrem Handlungsfeld – der Hochschule – ergeben.

4 Vielleicht kann man (aber das werden die heutigen Aktiven des Verbandes besser einschätzen können) von einem Lern- und Stabilisierungsprozess ausgehen. Im Folgenden wollen wir – auch aus eigenem Erleben – nachzeichnen, welche Faktoren und Strukturbedingungen in die Gründung des Verbandes gemündet und welche Herausforderungen sich uns damals gestellt haben. Wir wollen damit zumindest einen Teil dessen nachliefern, das im heutigen Bild unterzugehen droht und folgen darin Walter Benjamin, wenn er sagt: „Der Chronist, welcher die Ereignisse hererzählt, ohne große und kleine zu unterscheiden, trägt damit der Wahrheit Rechnung, daß nichts was sich jemals ereignet hat, für die Geschichte verloren zu geben ist. Freilich fällt erst der erlösten Menschheit ihre Vergangenheit vollauf zu.”2 Im ersten Teil gehen wir daher auf Vorbedingungen für die Gründung des Verbandes ein (I.). Im zweiten Teil zeigen wir auf, welche politischen Konflikte und Probleme des Organisationsaufbaus sich in den ersten Monaten und Jahren stellten (II und III.). Abschließend schlagen wir eine verallgemeinerte Hypothese vor, wie die Entwicklung des Verbandes erklärbar werden kann (IV.). I. Vorbedingungen der Gründung Die Gründung des Verbandes resultierte aus einem Um- und Neugruppierungsprozess der gesellschaftlichen Linken in der BRD. Es sammelten sich hier nicht linke Student_innen aus freien Stücken, um nun endlich denjenigen Studierendenverband zu gründen, den sie schon immer wollten; vielmehr brachte die Perspektive auf eine gemeinsame Linkspartei, die seit den Protesten gegen die Hartz-Reformen reüssierte, Studierende und politische Funktionseliten im Projekt eines gemeinsamen Studierendenverbandes zusammen. So umriss das Einleitungspapier zum Gründungskongress des Studierendenverbandes auch die unterschiedlichen

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Quellen des Verbandes: „Dabei speist sich die Dynamik dieses Prozesses aus unterschiedlichen politischen Quellen und Traditionslinien: -

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zum einen aus den bestehenden Hochschulgruppen der Linkspartei. PDS in Ost und West. Zweitens aus den neu gegründeten Hochschulgruppen der WASG, in die sich insbesondere viele Aktive aus der Campus-Vernetzung des globalisierungskritischen Netzwerks attac eingeschaltet haben. Drittens aus Hochschulgruppen und Einzelpersonen vom linken Flügel der Juso-Hochschulgruppen Viertens aus Studierenden aus dem Spektrum des einheitsorientierten und modernen Trotzkismus Fünftens aus weiten Teilen des „Bündnis linker und radikalde mokratischer Hochschulgruppen“, das lange Zeit dem parteiunabhängigen Jugendverband JungdemokratInnen/Junge Linke nahe stand und der undogmatischen Linken zu zurechnen ist. Sechstens aus vielen neu hinzugewonnen Mitgliedern, die über das Engagement in den Hochschulgruppen vor Ort linker Politik an den Universitäten wieder zu mehr Relevanz ver helfen wollen.”3

Dazu sind einige Worte mehr zu verlieren. 1. Im Umfeld des Bündnis linker und radikaldemokratischer Hochschulgruppen (LiRa) sammelten sich seit den Studentenund Bildungsstreiks 1998 politische Hochschulgruppen der unabhängigen Linken. Zumeist standen sie dem parteiunabhängigen Jugendverband JungdemokratInnen/ Junge Linke nahe. Genauso waren aber auch unabhängige und lokale Fachschafts-


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listen Teil des Bündnisses. Für LiRa stellte sich seit den frühen 2000er Jahren die Frage eines organisationspolitischen Ausbaus und einer Stabilisierung, die das Bündnis allerdings aus „sich heraus“ nicht generieren konnte (ähnliches galt im Übrigen auch für die JD/JL als Ganze). Zwar versuchte man sich über das Engagement im Freien Zusammenschluss der Studierendenschaften (fzs) und hochschulpolitischen Bündnissen wie dem Aktionsbündnis gegen Studiengebühren (ABS) oder dem Bündnis für Politik- und Meinungsfreiheit eigene Handlungsfelder zu erschließen, doch die jeweiligen Mitgliedsgruppen wurden in vielen Fällen über die Jahre ausgezehrt. Die politische Entwicklung, insbesondere die Rechtsentwicklung von SPD und Grünen mitsamt ihrer Jugendund Studierendenorganisationen, hatten allerdings auch einen weiten Raum auf der gesellschaftspolitischen Linken eröffnet, der neue politische Handlungsperspektiven für Organisationen „links“ von Rot-Grün hervorbrachte. So ergab sich schon seit den 2002er bis 2005er Jahren ein – zunächst unabhängig von der Gründung der WASG – erfolgende Diskussion um eine politische Neuorientierung, der Bündnisbildung mit anderen Verbänden und Gruppierungen etc. Dies war nicht unumstritten. Denn jeder Versuch der Zusammenarbeit verletzte gleichzeitig normative Prinzipien und politische Orientierungen, die den Handelnden wichtig waren: Sowohl die Orientierung an einer eher undogmatischen Programmatik als auch die Unabhängigkeit von Parteien oder anderen Großorganisationen. Versuche der Öffnung und Zusammenarbeit mit anderen linken Organisationen, insbesondere aus dem Umfeld der damaligen PDS, scheiterten zunächst. Auf der Bundesdelegiertenkonferenz der JD/JL in Bochum 2005 unterlag ein diesbezüglicher Antrag zur Öffnung und Zusammenarbeit knapp.4 2. An den Hochschulen war seit den Gipfel- und Globalisierungsprotesten 1999 in

5 Seattle eine breite globalisierungskritische Bewegung und insbesondere das Netzwerk „attac“ entstanden. Die Hochschulen wurden noch vor 2005 zu Orten der Mobilisierung und Diskussion um eine „andere Globalisierung“. Hier brachten sich sowohl neue, undogmatische linke Studierendengruppen ein als auch das Netzwerk „Linksruck“, das, – wiederum mit knapper Entscheidung – zu Beginn der 2000er Jahre entschied, seinen Handlungsschwerpunkt in das Netzwerk attac zu verlegen. Hier kam es zur Gründung des Netzwerkes „attac-Campus“, das wiederum eine Reihe von Hochschulgruppen vereinte. 3. Aber die Gelegenheitsstruktur für die Gründung des Studierendenverbandes entstand erst aus der Agenda-Politik der rot-grünen Bundesregierung 2004 und 2005. Sie führte zur Abspaltung weiter Teile der Sozialdemokratie von der SPD. Darunter auch Teile der Juso-Hochschulgruppen. So gab es beispielsweise innerhalb der Kölner Sozialdemokratie eine größere Absetzbewegung von der SPD hin zur WASG beziehungsweise Linkspartei. Begründet wurde dieser Schritt insbesondere damit, das einerseits schon länger eine positive Bezugnahme auf die SPD nicht mehr möglich war und auch mittel- und langfristig entsprechende positive Verschiebungen nicht zu erwarten sind, anderseits aber nun mit der neuen Linkspartei ein alternativer organisationspolitischer Rahmen zur Verfügung stand: „Mit diesem Text sollen Gründe für einen Wechsel der Mitglieder unserer Strömung von der SPD in die sich bald konstituierende Linkspartei präsentiert werden. Die Gründe, die für diesen Schritt sprechen, beziehen sich nicht nur auf kurzfristige Entwicklungen der Gesellschaft und der Parteienlandschaft, sondern nehmen auch längerfristige Tendenzen ins Visier. Eine solche Herangehensweise macht allein schon deshalb Sinn, weil sich auch das bisherige Engagement

6 der meisten Mitglieder unserer Strömung innerhalb der SPD nicht durch eine positive Bezugnahme auf das aktuelle Erscheinungsbild der SPD, sondern durch längerfristige Erwägungen begründet hat. Dabei sollen zur Untermauerung des Plädoyers für einen Wechsel nicht nur Gründe genannt werden, die für die Linkspartei sprechen, sondern soll auch antithetisch gezeigt werden, dass die bislang angeführten Gründe für ein Verbleiben in der SPD nicht oder nicht mehr ausreichende Geltung besitzen.”5 Ähnlich äußerte sich daher auch ein großer Teil der (ehemaligen) Kölner Juos-Hochschulgruppe, die traditionell dem linken Flügel der Kölner SPD nahe stand. Wichtig für diese Strömungen war gleichermaßen ein Profil weit links der neuen Sozialdemokratie, aber auch eine Orientierung auf die organisationspolitischen Möglichkeiten von Parteien. So hielten die „Kölner Thesen zum Hochschulgruppenverband” gleich als erste These fest: „Eine Hochschulvertretung braucht klare Strukturen, d.h. ein Statut oder eine Satzung, und muss in den Gremien der Partei und der Jugendorganisation der Partei verankert sein. Der zentrale Unterschied zu anderen linken Gruppen ist die Orientierung dieser Hochschulgruppen auf die neue Linkspartei.”6 Die Perspektive einer gemeinsamen Linkspartei, die es vermochte, bei den anstehenden Bundestagswahlen die 5%-Hürde zu überschreiten und in Ost wie West gleichermaßen präsent zu sein, erfasste also auch den im weitesten Sinne jugendpolitischen Bereich. So vereinigten sich Jugend- und Studierendenvertreter unter den Aufruf „Es kommt die Zeit...“, der Druck auf die Verhandlungsdelegationen von PDS und WASG ausüben sollte, sich zeitnah zu einigen. Auch eine Jugendkonferenz wurde 2005 abgehal-

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ten, auf der die unterschiedlichen Spektren und Personenkreise in Dialog traten.7 Für die PDS und WASG galt, dass der Fortschritt einer gemeinsamen Linken hart gegen die Eigeninteressen der jeweiligen Funktionärs- und Verwaltungskörper durchgekämpft werden musste. Ohne den Druck aus der Öffentlichkeit und von der Parteibasis und die heilsame Wirkung der 5%-Hürde, die Einigungsdruck erzeugte, hätte sich eine gemeinsame Linke nie gegründet. Interessanterweise reproduzierten sich die Blockaden auch im Bereich der Jugendverbandspolitik: Hier konkurrierten insbesondere unterschiedlichste Jugendstrukturen und Funktionsträgercliquen der damaligen PDS, von der PDS-Jugend Berlin Brandenburg bis zum bundesweiten Jugendverband [‚solid], um den Gesamtvertretungsanspruch. In Ermangelung einer 5% Hürde für Jugendverbände und einer hinreichenden Öffentlichkeit, war die Perspektive eines neugegründeten Jugendverbands, insbesondere für bisher nicht parteigebundene Linke, ein vermintes Terrain, auf dem kaum Fortschritte oder gemeinsame Handlungsräume entstehen konnten. So stellte sich eine Art Sogbewegung ein: Die oben genannten Spektren aus dem hochschulpolitischen Bereich genauso wie viele andere an „Neugründung“ orientierte Linke richteten ihr Augenmerk ab 2005 auf die Gründung eines gemeinsamen Studierendenverbandes. II. Die Gründung So entstand ein halbwegs demokratischer Gründungsprozess: Die unterschiedlichen Quellorganisationen und Netzwerke sammelten sich im damaligen Hochschulnetzwerk der PDS und bereiteten dort, teilweise mit, teilweise gegen den Druck der PDS-Nachwuchsfunktionäre, die Gründung des Verbandes vor. So wurde im Januar 2007 ein größerer Kongress an der Universität Frankfurt unter dem Motto „Get up,


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stand up” abgehalten,8 parallel dazu fand schon eine ausführliche Diskussion um die Grundstrukturen eines kommenden Hochschulverbandes statt.9 Es wurde ein Gründungsvorstand bestimmt, der sich aus 10 Personen zusammensetzte. Er versammelte neben den o.g. Gruppierungen, auch Vertreter der PDS-Hochschulnetzwerks und unabhängige Vertreter. In unterschiedlichen Der Hochschulkongess „Get up, stand up“ ging Arbeitsgrupim Januar 2007 der Gründung des SDS wenige Monate voraus pen wurden die Gründungsdokumente, die Satzung und erste gemeinsame Arbeitsschwerpunkte vorbereitet. Hauptkonfliktpunkt war der Name der Organisation. Die Idee einer Wiedergründung des SDS als politische Geste des Neuaufbruchs (die für breite Medienresonanz sorgte), traf auf den Anspruch, die hochschulpolitische Linke ohne historische Reminiszenzen an die 1968er Bewegung tatsächlich neu zu gründen. Die einen wollten hier wenigstens symbolisch anknüpfen,10 die anderen plädierten für eine echte Neugründung: „Anstatt unter Vernachlässigung gesellschaftlicher Entwicklungen romantisch über vergangene Zeiten zu schwärmen und Forderungen zu stellen, die bereits gängige Praxis sind, ist es erforderlich, als Verband zu überlegen, was linke Hochschulpolitik heute bedeutet und was sie mit welchen Mitteln und Formen erreichen kann.”11 Der Gründungskongress einigte sich in einer eintägigen moderierten Diskussion in Unterarbeitsgruppen in sehr zivilisierter Weise auf ein sowohl-als-auch, für den der Name Die Linke.SDS stehen soll-

7 te. Einen zweiten Konfliktpunkt, der allerdings in der Folgezeit nie wieder systematisch aufgegriffen wurde und deswegen hier zumindest kurz ausgeführt werden soll, bildete die inhaltliche Kontroverse um eine angemessene hochschulpolitische Orientierung. Hier entfaltete sich eine Kontroverse um die Frage, wie ein linker Studierendenverband in der Sache auf die hochschulpolitischen Veränderungen der damaligen Zeit zu reagieren hat und wie er die Situation überhaupt interpretiert. Es wurde diskutiert, ob aus der Ökonomisierung der Hochschule nicht auch neue Konfliktfelder entstehen, die ein linker Studierendenverband für sich zu nutzen hätte.12 Damit war auch ein drittes Konfliktfeld eröffnet, dessen Gegenstand die Praxiskonzeption des Studierendenverbandes war, also Nachhaltigkeit statt Eventorientierung und gegenwartsbezogene Analysen und Projekte statt historische Verklärung des ersten SDS. Konkret bestand die Sorge darin, dass sich kulturelle Praktiken, wie diejenigen das damaligen Linksrucks sich auch im neuen Studierendenverband einschleichen würden: wer sich immer nur am nächsten großen Event (Demo, Kongress, etc.) orientiert und versucht, dahin die Massen zu mobilisieren, neigt dazu seine Kräfte in einer einseitigen Event-Kultur zu investieren, die aber genauso schnell verpufft wie “the next big thing” zum “the last big thing” geworden ist. Die Sorge (die sich im Nachgang auch durchaus bestätigte) bestand darin, dass man so nicht nur nie dazu kommt, ernsthafte politische Arbeit zu betreiben. Die Romantisierung von kulturellen Praxen des ersten SDS tendierte auch dazu, die Realitäten der (im Jahr 2007) gegenwärtigen Studierenengeneration zu ignorieren, die den Raum und die Zeit für Engagement deutlich beschränkten und veränderten: „Wir befinden uns in einer Umbruchzeit der Hochschulpolitik: Der Kampf gegen die Einführung von Studiengebühren, eine der Hauptaufgaben der

8 Studierendenvertretungen der letzten Jahrzehnte, ist zunächst verloren gegangen. Eine der größten Herausforderungen des neuen Hochschulgruppenverbandes wird also darin bestehen, neue politische Arbeits- und Aktionsformen zu finden, die die Lebensrealität der Studierenden ernst nehmen, sie vor dem Hintergrund der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse begreifen und neue Beteiligungsmöglichkeiten schaffen. [Der Hochschulgruppenverband] wird neben der originären Hochschulpolitik und allgemeinpolitischen Themenstellungen eine zentrale Aufgabe auch in der Etablierung der neuen Linken an den Hochschulen haben. Eine Erfolg versprechende Strategie gegen den Neoliberalismus wird nicht nur gesellschaftlichen und politischen Druck erzeugen müssen, sie hat ihn auch kulturell und intellektuell herauszufordern. Grundlegende Voraussetzung ist jedoch, aktuelle Probleme ernst zunehmen und sich nicht zu bloßer Appellrhetorik verleiten zu lassen.”13

III. Der lange Katzenjammer Auf den Aufbruch der Gründung folgte in den Monaten darauf der „lange Katzenjammer“14: Die Gründung musste kleinteilig und mühsam verteidigt werden. Dies umfasste

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wenigstens drei Streitfragen: 1. Der Parteibezug des Verbandes blieb in den Anfangsjahren umstritten. Paradoxerweise entschieden sich einzelne Gruppen zur Mitgliedschaft in einem Parteihochschulverband, um dort besonders unversöhnlich gegen jegliche Art von Parteibindung aufzutreten. Ein Teil dieser Diskussionen ist im Diskussionsblatt des Verbandes der Jahre 2007 ff. dokumentiert. 2. Gleichsam blieben auch die Formalisierung der Verbandsstruktur, die Wahl eines Vorstands mit Entscheidungsbefugnissen und einer Geschäftsführung umstritten. Auch hier setzten sich einzelne Hochschulgruppen für besonders „basisdemokratische“ Strukturen ein, in denen dann die besonders engagierten Genossinnen jenseits aller formalen Bindungen ausführliches Rederecht besitzen. Auch diese Frage ist in den Diskussionsheften der Gründungsphase dokumentiert. 3. Schließlich war der Studierendenverband „against all odds“ von Beginn an Teil der Partei. So setzten sich die problematischen Aspekte der Gründungsphase der Linkspartei auch innerhalb des Studierendenverbandes fort. Es begann beim Redeverhalten der Delegierten, bei denen eine nicht unbeträchtliche Anzahl stets geneigt war, den Redestil großer Politik und insbesondere von Oskar Lafontaine zu kopieren, verbalradikale Phrasen ins Mikro zu sprechen und wahlweise bei jedem Argument, das nicht so ganz ins eigene Weltbild passte, wahlweise „Trotzkismus“ oder „Regierungsbeteiligung/ Anpassung“ zu wettern. Über die Autoren des Textes, die versuchten von Beginn an eine eigene Politik zu verfolgen, kursierte dementsprechend auch wahlweise das Gerücht entweder „eigentlich Trotzkisten zu sein, die aus London bezahlt werden“ oder „Anpassler, die nur den Siegeszug der Reformer in der Partei vorbereiten“. Kurzum:


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Es herrschte eine starke Verblödungskultur. Das ist für einen Studierendenverband ein echtes Problem. 4. Der Studierendenverband etablierte sich als formale Organisation, wurde schließlich auf dem Gründungsparteitag auch entsprechend durch die Partei anerkannt. Er befand sich jedoch in einer latenten Konkurrenzsituation um finanzielle Mittel mit dem Jugendverband. Hier wurden zähe Verhandlungen um Verteilungsschlüssel und Mittelvergabe über Jahre geführt, die aus Sicht der Studierendenverbandes recht erfolgreich endeten. Dies war die Grundlage dafür, dass überhaupt Aktionen in größerem Maßstab stattfinden konnten. 5. Im Schatten dieser Konfliktlinien wurden Versuche gestartet, eine eigenständige Politik im und mit dem Verband zu etablieren: So wurden 2007 und 2008 jeweils gut besuchte Sommerakademien durchgeführt. Im Forum Hochschulpolitik wurde der Versuch unternommen, eine eigenständige Hochschulpolitik zu entwickeln. Diese Entwicklungen waren von der Kontroverse umlagert, ob Die Linke.SDS nun primär ein Hochschulverband sei, der sich als Teil eines arbeitsteiligen Netzwerks aus Jugendverband, Parteistrukturen etc. begreift und versucht seinen Handlungsansatz aus den Universitäten heraus zu bestimmen oder ob er letztlich eine Partei in der Partei, eine Art „sozialistischer Kampfbund” ist, der sich dementsprechend auch prioritär mit strömungspolitischem Hickhack, der Unterstützung sektoraler Arbeitskämpfe oder weltpolitischen Entwicklungen auseinandersetzt. Die für die Gründungsphase prägenden Allianzen brachten jedoch gerade in inhaltlichen Fragen eine unitas oppositorum hervor, eine Einheit derjenigen, die über alle politischen Konflikte hinweg, ein Interesse an der Stabilisierung und Vitalisierung des Verbandes hatten. Der Vorstand und die

meisten Mitgliedsgruppen verteidigten ihre Organisation gegen interne wie externe Verächter und kämpften die Gründung in den Folgejahren so ziemlich auf jedem Bundeskongress nochmal durch. Dabei setzten die einen zusätzlich (wie unter 5.) beschrieben auf Maßnahmen zur langsamen Stabilisierung, während die anderen vor allem große Mobilisierungsaktionen verfolgten, um den Verband zu verankern. IV. Gründungsparadox!? – Eine Hypothese Wir versuchen unkitschig zu enden. Wir wollten auf die Entstehungsbedingungen des Studierendenverbandes aufmerksam machen. Er gründete sich als Reaktion auf eine Reihe an gesellschafts- und hochschulpolitischen Entwicklungen der Jahre zwischen 2000 und 2010. Genauso wie er die Jahre bis 2017 überstanden hat und seinen Aktivitäten auch in der Zukunft weiter nachgehen wird, so könnte man überlegen, ob er nicht bis heute von einer spezifischen Paradoxie gekennzeichnet ist, die seine Gründung ermöglichte: dass er seinen Erfolg letztlich darauf stützt, eine allgemeine, linke Alternative an den Hochschulen bereitzuhalten, die sich sowohl aus dem Bezug auf die Partei als auch aus dem symbolischen Reservoir linker Politik (Fahnen, Fäuste, Demo, Ikonographie etc.) speist; dass er aber gerade durch diese Allgemeinheit und symbolisch überschüssige Praxis kaum einen Zugriff auf Probleme der hochschulpolitischen Strategie, der Verankerung und einer angemessenen Praxis vor Ort, der Ansprache und Politisierung der heutigen Studierendengeneration hat und keine zeitgemäße Auffassung von „Radikalität“ ausbilden kann. Vielleicht haben sich ja schon intern Mechanismen entwickelt, um über dieses Paradox ins Gespräch zu kommen. Aber das wäre nur eine Hypothese, die die heutigen Mitglieder des Verbandes überprüfen könnten.

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Marx, Karl; Engels, Friedrich: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte, aus: Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED(Hg.): MEW. Band 8, Berlin(Ost) 1972, S. 115. Benjamin, Walter: Über den Begriff der Geschichte. aus: ders.: Gesammelte Werke. Band I/2, Frankfurt(Main) 1991, S. 694. Auf dem Weg zur Gründung eines Studierendenverbandes der Linken, Papier zum Gründungskongress 2007. Vgl. dazu die Beiträge in den Ausgaben des “LIB - linkes Blatt”, Mitteilungsblatt des Bundesverbandes der JD/JL, Jahrgänge 2003 ff. Recht, Alexander; Lauber, Markus: Time to say goodbye. Für einen Wechsel in die Linkspartei!, in: Sozialistisches Forum Rheinland, 30.11.2005. Online unter: https://www.linksnet.de/artikel/19574, 20.07.2017. Himpele, Klemens; Schultheiss, Jana; Düber, Dominik: Kölner Thesen zum Hochschulgruppenverband, o.O. 2006, online unter: http://wasg.die-linke.de/uploads/media/20060918_koelner_thesen.pdf, 20.07.2017. Vgl. dazu die Pressemeldung: https://www.rosalux.de/pressemeldung/id/3559/linke-jugend-in-bewegung/ [LinksZetung, 16.10.2005], 20.07.2017. Die Presseresonanz kann hier nachgelesen werden: http://wasg.die-linke.de/uploads/media/20070126_kongresspresse.pdf, 20.07.2017. Einige der Positionspapier sind hier einzusehen: http://wasg.die-linke.de/1308.html, 20.07.2017. Vgl. Dieckmann, Sophie; Graf, Steffi; Klenk, Matthias; Nagel, Sarah; Schalauske, Jan; Volk, Katharina; Wolf, Luigi; Zeise, Simon: Vom SDS lernen heißt…, in: Sozialismus, 4.35(2007), S. 23 ff. Online unter: http://www.sozialismus.de/detail/artikel/ vom-sds-lernen-heisst/, 20.07.2017. Vgl. Düber, Dominik; Hennigs, Marco; Himpele, Klemens; Hintze, Markus; Möller, Kolja; Recht, Alexander; Schneider, Simon; Schultheiss, Jana: Es ist 2007 und nicht mehr 1968. Neue gesellschaftliche Realitäten erfordern neue (hochschul-) politische Strategien, in: Sozialismus 5.35(2007), S. 15-18. Online unter: http://www.sozialismus.de/detail/artikel/es-ist-2007und-nicht-mehr-1968/, 20.07.2017. Vgl. dazu: Möller, Kolja; Schindler, Jörg: Alles wird schlimmer? – Zur Situation linker Studierendenpolitik heute, in: Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung, 4(72).17(2007), online unter: http://www.zeitschrift-marxistische-erneuerung.de/article/620. alles-wird-schlimmer-zur-situation-linker-studierendenpolitik-heute.html, 20.07.2017, Vgl. auch: Hirsch, Nele: Perspektiven linker Hochschulpolitik, in: Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung, 2(70).17(2007), online unter: http://www.zeitschrift-marxistische-erneuerung.de/article/672.perspektiven-linker-hochschulpolitik.html, 20.07.2017. Düber/Hennigs/Himpele/Hintze/Möller/Recht/Schneider/Schultheiss 2007, S. 18. Marx/Engels „Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte“, S. 118.

Von der Geschichte lernen heißt siegen lernen! Julian Nikolaus Rensi (SDS Heidelberg)

Zehn Jahre SDS bieten Gelegenheit zur kritischen Rückschau, vor allem zur Bewertung des Status Quo und zum daraus resultierenden Blick nach vorn. Nach vorne schauen heißt aber, konsequent Schlüsse zu ziehen aus vergangenen Erfahrungen. Von der Geschichte der bundesdeutschen studentischen Linken zu lernen, bedeutet wiederum nicht nur, jede Form von ideologischer Verkrustung und wirklichkeitsferner Sektiererei, sondern auch und vor allem die organisatorischen Fehler unserer Vorgänger*innen zu vermeiden. Diese lagen vor allem im Fehlen einer einheitlichen Leitung und Führung, sodass die historische Studierendenbewegung trotz ihres Pathos und Enthusiasmus zerbrach. Gewiss befinden wir uns gegenwärtig weder in einem Augenblick einer „Massen-“Bewegung wie damals, noch steht unser Verband kurz vor dem Aus. Dennoch verwehrt sich

mir nicht der Eindruck, dass sich das Problem des Föderalismus, des nur losen Zusammenhanges der einzelnen Gruppen, auch heute noch (oder besser: wieder) stellt. Denn: Agieren wir Aktivist*innen im Bewusstsein der Zugehörigkeit zu einem gemeinsamen, großen Verband mit klaren gemeinsamen Zielen und einer gemeinsamen Identität? Oder gehören wir eher zu einer konkreten Hochschulgruppe mit ganz eigener Ausrichtung und ganz eigenen Zielen, die denen anderer SDS-Gruppen lediglich im Großen und Ganzen entsprechen? Der derzeit praktizierte Föderalismus innerhalb des SDS kann gewiss als Ausdruck seiner basisdemokratischen Verankerung und seines Pluralismus gesehen werden. Das ist per se nichts Schlechtes, im Gegenteil. Ob aber das Modell „starke Einzelgruppen, schwacher Bundesverband“ langfristig funktional ist, sei dahingestellt. Denn dem


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Föderalismus wohnt auch immer eine zentrifugale Tendenz inne, die die Kompaktheit (also: Aktionsfähigkeit) einer Organisation auf Dauer zersetzt. Er verursacht ein Vakuum, welches das mobilisierende Potenzial eines linksdemokratischen Verbandes brachliegen lässt, ein einheitliches Auftreten in der Öffentlichkeit hemmt, die interne Angleichung, Koordinierung und Vernetzung der Aktionen erschwert und die einzelnen Gruppen auf sich alleine stellt. Schön und gut, wenn wir durch recht autonome Einzelgruppen ein vielfältiges Meinungs- und Aktivitätsspektrum haben. Doch stellen wir uns als Sozialist*innen nicht den Anspruch, mehr als ein Debattierklub zu sein, eine echte Veränderung der Verhältnisse herbeizuführen? Wenn ja, muss der strategische, planerische, programmgebende Schwerpunkt von den Einzelgruppen auf die Bundesebene übergehen. Es handelt sich nicht etwa um ein personelles Problem der Spitze, sondern um ein rein strukturelles, das unabhängig vom aktuellen Bundesvorstand besteht. Das revolutionäre Subjekt an den Hochschulen – also die Gesamtheit progressiver Studierender, wissenschaftlicher Hilfskräfte und unterprivilegiert angestellter Personen – bedarf einer einheitlichen Plattform, die sie zu organisieren und ihren singulären Aktionen eine gemeinsame Perspektive zu verleihen vermag. Das übersteigt aber die Möglichkeiten der einzelnen Hochschulgruppen. Sie brauchen daher ihrerseits eine nicht nur impulsgebende, sondern richtungsweisende Zentrale, die sie durch Weisungen, Aktionsprogramme und strategische Empfehlungen unterstützt, und zwar durchgehend, nicht nur auf einzelnen Tagungen und Foren; die alle Strömungen des Verbandes gleichermaßen berücksichtigt, mit dem Ziel ihrer Überwindung und Verschmelzung; die sich aus den erfahrensten Aktivist*innen und Vordenker*innen und ebenso neuen Genoss*innen zusammensetzt; die aber vor allem institutio-

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...wo kommen wir her?

Marx‘ »furchtbarstes Missile« und dielinke.SDS

10 Jahre Kapital-Lesebewegung – was war das denn nochmal?

Jakob Graf Netzwerk oder zentrale Struktur?

nell-formell gestärkt werden und auf die Loyalität der einzelnen Hochschulgruppen zählen können muss. Wenn einzelne, große und starke Hochschulgruppen noch so bewährte eigene Traditionen haben und alleine gute Arbeit leisten können, so darf das nicht zu einer schwachen Bundesleitung führen, denn das geschähe immer auf Kosten junger, kleinerer Gruppen oder solcher, die ein geringeres Maß an Organisiert- und politischer Bewusstheit erlangt haben. Die institutionelle Heimatlosigkeit und Desorientierung der alten Studentenbewegung darf sich nicht wiederholen: Beachten wir also die Geschichte, zumal in Tagen, in denen sich die Anzeichen mehren, dass die Jugend nicht mehr allzu lange eine ihren Interessen entgegengesetzte, inhumane Politik dulden will. In diesem Sinne: Für eine stärkere Zentralisierung, also Vereinigung unseres Kampfes, für einen starken und schlagkräftigen SDS! Julian Nikolaus Rensi war zuletzt aktiv in Die Linke.SDS Heidelberg und studiert Jura.

„[…] ab dem Wintersemester 2008/2009 will unser Verband beitragen zu einer neuen »Kapitallesebewegung«. Während Marx seit den 90er Jahren nur noch in Hinterzimmern und WG-Küchen gelesen wurde, wollen wir ihn zurückholen an die Uni und an die Fachhochschule“, schrieb die Kapital-Lesen-AG in Linkskontrovers1 Nr.2 aus dem Jahre 2008. Schon seit Ende 2007 diskutierten einige wissbegierige und subversive Köpfe im SDS über den Plan einer bundesweit organisierten Rückkehr von Karl Marx‘ Denken an die deutschen Hochschulen. Marx beschrieb nach der Veröffentlichung des Kapitals sein Werk als das »furchtbarste Missile, das den Bürgern noch an den Kopf geschleudert worden ist«. Diese Waffe, die der Autor einst den ArbeiterInnen des 19. Jahrhunderts an die Hand gab, versuchte der SDS im 21. Jahrhundert wieder zu erheben – schon 2007 (!), … bevor alle Welt im Taumel der gebeutelten Weltwirtschaft plötzlich Alltagsweisheiten über Marx auf ihre Titelblätter druckte. Auch wenn wir den bürgerlichen Blättern zuvor kamen, wir waren nicht die ersten. Die 1960er Jahre hatten in Frankreich, Westdeutschland und vielen anderen Ländern in Ost und West – beeinflusst vom ungarischen Aufstand, Maos Bauern in China und Fidels Truppe in Cuba – eine ernste und undogmatische Relektüre des Kapitals hervorgebracht. Der kritische Marxismus in Ost und West konnte schließlich vielerorts in einen – wie Elmar Altvater in der Prokla 146 schrieb – ‚kurzen Sommer des akademischen Marxismus‘ münden. Doch so wie Alt-

vater schon 2007 diagnostizierte: der Sommer des ‚Seminarmarxismus‘ währte kurz. In Zeiten der Bologna-Reform-Generationen war die Lehre an den Unis schon von aller kritischen Marx-Lektüre gesäubert. Der SDS wollte das ändern, Marx zurückbringen und gleichzeitig dem Verband eine theoretische Grundlage geben – sich selbst im und gegen den Kapitalismus zu verstehen.2 Das organisatorische Geschick einiger AG-Mitglieder führte dennoch einige der HochschullehrerInnen, MarxistInnen und MarxexegetInnen als unsere TutorInnen zusammen, um den SDS und seinen langfristigen Plan, Das Kapital wieder an die Unis zu bringen, zu unterstützen. Ein Jahr lang hatten wir uns und andere vorbereitet: Reader, Hilfestellungen, Methoden, Lesepläne, schöne Zitate und nicht zuletzt bildeten wir uns selbst theoretisch und praktisch zu TeamerInnen der Lesekreise aus. Lesen, diskutieren, lesen, organisieren. Mit dem Vorbild der ‚68er in der Tasche fielen all die langfristigen Pläne in den Krisenstrudel von 2008: Die Welt erzitterte vor der täglich ausgerufenen größten Krise seit 1929. Wer kann das neue Chaos erklären? Die neoklassischen Wirtschaftsprofessoren blickten erschrocken von ihren Schreibtischen auf und begannen mathematisch die Wirklichkeit zu widerlegen. Doch draußen begann das Rumoren: Kurse stürzten. Kurzarbeit, Zeitarbeit, keine Arbeit! Rückläufige Industrieproduktion! Wer kauft die deutschen Exporte? Merkel, rettete die Banken und China rettete den deutschen Mittelstand ... während Marx den Kapitalisten


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die Welt erklärt. Für kurze Zeit war die Menschheitsgeschichte – zumindest in ihrer diskursiven Ordnung – erschüttert.

13 wie BBC, holländisches Radio, griechisches Fernsehen.“ Was zunächst Wasser auf die Mühlen des Verbandes zu sein schien, entpuppte sich ein paar Tage später schon als eine wirkliche Belastung. Der SDS als Kapital-Lese-Dienstleistungsunternehmen schluckte viel viel Arbeit.

Auf dem fruchtbarsten Nährboden der Krise wuchs der Spross der Kapital-Lesebewegung im Wintersemester 2008/2009 zu einer Mammutaufgabe heran. Schon Doch die Lesekreise zu Beginn wurden an mehr schrumpften. Nahmen anals 30 Unis bundesweit Kafangs zwei Drittel aller Interpital-Lesekreise organisiert. essierten an den Lesekreisen Wollte der SDS sich zunächst Teil und hatten wir beispielsauch selbst mit dem Kapiweise an der Humboldt Unital beschäftigen, linke Theoversität Berlin kurze Zeit riearbeit voranbringen, den drei Lesekreise gleichzeitig, Erste Umschlagseite der Erstausgabe Verband und seine Mitglieso schrumpfte die Teilnehder schulen, wurde der SDS nun von einer merInnenzahl doch – wie eigentlich fast Welle der Marx-Hypelinge überspült: von alimmer bei Lesekreisen – schnell. Das Buch ten DKP-Mitgliedern, über enttäuschte Neoist dick, das Buch ist kompliziert, die Zeit ist liberale, akademische Mitläufer, isolierte knapp. Bachelor und Master rufen auf zur Verrückte, junge interessierte Studis, politiJagd nach Creditpoints. Da fällt der Lesesierte Mütter, alt-Linke Väter und Kapital-fikreis als erster hinten runter. In den Medixierte Politsekten war alles dabei. Die kleine en wurde die Schaufensterpuppe mit dem Kapital-Lesen-AG war gewachsen und hatte Marx-Gesicht beschämt weggeräumt. Vieles eine gute Hand voll sehr aktiver Leute. Im ging, so schnell wie es gekommen war. Aber Herbst 2008 war aus ihr jedoch ein bundesdie Lesekreise blieben doch. Und sie sollten weiter Kapital-Lesedienstleister geworden. sich mancherorts mit äußerster Geduld bis zum dritten Band der Marxschen Kritik der „Innerhalb von zwei Wochen fanden von Politischen Ökonomie vorankämpfen und Rostock bis Konstanz 28 »Marx neu entdeechte Kapital-Kenner und MarxistInnen hercken«-Auftakt-Veranstaltungen statt. Von vorbringen. der hohen Besucherzahl wurden wir selbst überrascht: Sogar in den kleineren HochDie Kapital-Lesebewegung entwickelte sich schulen kamen jeweils ca. 50 Interessierte, von einem anspruchsvollen Projekt zu eiin der Humboldt Universität in Berlin waren nem Hype und schließlich zur bundeses ca. 230, in Hamburg sogar 250. So hatten weiten Fleißarbeit. Damit nicht jede Grupwir in den zwei Wochen in 28 Hochschulen pe einzeln über den Marxschen Analysen 2151 Kapital-Interessierte in unseren Vergrübelte, war eine Zwischenkonferenz im anstaltungen. Auch die ersten Lesekreise Winter und eine Auswertungskonferenz im waren schon gut besucht“, resümiert der Sommer geplant, bei denen Fragen, ProVerband in Linkskontrovers Nr.3 aus dem bleme und nicht zuletzt die Aktualisierung Jahre 2008, „Polylux berichtete in der ARD der Marxschen Theorie diskutiert werden ebenso zahlreiche ausländische Medien würde. Während all dieser Zeit standen uns

14 eine Vielzahl externe UnterstützerInnen zur Seite, deren Namen zu viele wären und deren Hilfe zu groß war, um sie hier aufzulisten. Das Projekt war zu gut gemacht und die Sache zu wichtig um gleich wieder zu Grunde zu gehen. Und dennoch kam der Fall. Der Bundesvorstand beschwerte sich, dass viele Gruppen nichts anderes mehr täten, als das Kapital zu lesen. Die Lesekreise produzierten in so mancher Augen keine Mitglieder für den Verband und keine AktivistInnen für den überall aus dem Boden schießenden Bildungsstreik. Genug gelesen! schrien nur Wochen nach den großen Auftaktveranstaltungen die ersten Bewegungszyklus-WellenreiterInnen. Marx sagte doch, es käme nicht darauf an, die Welt zu interpretieren, sondern sie zu verändern! Und tatsächlich brachte die Lesebewegung für viele SDS-Gruppen ein Problem mit sich: Wenn eine Gruppe aus sechs Leuten, zwei Kapital-TeamerInnen umfasst, weitere zwei im Lesekreis sitzen und die übrigen zwei den Bildungsstreik mitorganisieren, wo bleibt dann die SDS-Arbeit? Und wie so oft leidet dann die Theorie, wenn die Straße ruft. Doch vielleicht war es nur ein Grund unter vielen, warum die Kapital-Lesebewegung nur wenige Monate nach ihrem Durchbruch schon den Großteil ihrer Unterstützung im Verband verloren hatte. Zur Zwischenkonferenz im Winter kamen einige diskussionswillige Studierende. Doch die Auswertungskonferenz im Sommer 2009 war nur noch eine kleine Randveranstaltung des SDS neben dem groß aufgezogenen Make Capitalism History-Kongress, der den Verband ein weiteres Mal in große Orga-Aufgaben stürzte, die den in Schwung gekommenen Bildungsstreik ergänzten. Doch die Wellen hinterlassen ihre Spuren, lange nachdem sie an der Brandung zerschlagen sind. Kaum einer, der sich irgendwann vorgestellt hat, 20 Ellen Leinwand gegen einen Rock zu tauschen, wird das

...wo kommen wir her?

je wieder aus seinem oder ihrem Kopf bekommen. Ich selbst organisiere bis heute Kapital-Lesekreise in welcher Stadt ich auch immer gerade wohne, andere haben die Themen ihrer Abschlussarbeiten aus dem Kapital gezogen, selbst Seminare zu Marx an den Unis ausgerichtet etc. Vielen SDSlerInnen, TeilnehmerInnen und AktivistInnen, haben die Lesekreise eine Basis für ihre weiteren Polit- und Theoriediskussionen gegeben. Auch wenn es dem Verband schließlich nicht gelang, durch Professuren und Seminare marxistische Theoriearbeit direkt wieder an den Unis zu institutionalisieren, so hat die Kapital-Lesebewegung sicherlich doch einen Anteil daran, dass man an vielen Unis heute Marx zumindest wieder diskutieren darf und sich zunehmend viele auf ihn

Deckblatt des SDS-Readers zur Kapitallesenbewegung 2008

beziehen. Auch folgte der Kapital-Lesen-AG die AG Kritische Wissenschaft, der es kurze Zeit gelang aus unterschiedlichsten Disziplinen Studierende zu versammeln und zu jedem Fach eine kritische Perspektive zu entwickeln. Die AG Rechtskritik existiert beispielsweise bis heute und organisiert alle


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zwei Jahre eine Marx-Frühjahrsschule. Nur eines war der Kapital-Lesebewegung und ihren Nachfolgern nie recht gelungen: den Widerspruch zwischen Theorie und Praxis so zu überwinden, dass beide nicht miteinander konkurrieren, sondern sich produktiv 1 2

verbinden. Jakob Graf ist im SDS in Jena aktiv, arbeitet dort an der Uni und ist Mitglied der Redaktion der PROKLA - Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft.

Linkskontrovers, so hieß damals das interne Diskussionsorgan des SDS. Zudem organisierte die Rosa-Luxemburg Stiftung, welche uns sehr unterstütze, schon damals Kapital-Lesekreise in Berlin.

10 Jahre Die Linke.SDS – sozialistische Studierende im 21. Jahrhundert Janis Ehling (Bundesgeschäftsführer)

Der SDS wurde im Mai 10 Jahre alt. Bis heute gibt es keinen Überblick über die Geschichte des größten linken Studierendenverbandes Deutschlands im 21. Jahrhundert. Diese Lücke versucht dieser kleine Aufsatz zu füllen. Die Betonung liegt auf Versuch, denn viele Aspekte – historische Vorläufer, Verbandsentwicklung, politische Flügel, wichtigste Verbandsprojekte – können nur angeschnitten werden. 1. Vorläufer Die Zeiten linker Hegemonie an den Unis waren in den 2000ern lange vorbei. Im Folgenden soll ein kurzer Abriss die Bezüge zu den wichtigsten historischen linken Gruppen zeigen. Ende der 60er bestimmte der historische SDS das Bild an den Unis. In den 70ern waren es erst der MSB Spartakus (der Studierendenverband der DKP), der SHB (der zweite ausgeschlossene Studierendenverband der SPD) und die Juso-Hochschulgruppen. Daneben gab es in den 70ern noch die die K-Gruppen und später die Basisgruppen – aus denen sich zum Teil grüne Hochschulgruppen als auch autonome Hochschulgruppen bildeten.

MSB und SHB hatten zu ihren Hochzeiten Ende der 70er 4000 (MSB) und 1500 (SHB) Mitglieder. An einigen Unis hatten sie sogar mehrere hundert Mitglieder, so etwa in Bielefeld. Lange Zeit dominierten die beiden im Bündnis den Dachverband der Studierenden, den VDS. Leitend war für beide Verbände, die „gewerkschaftliche Orientierung“. Ausgehend von der Öffnung der Hochschulen war die Analyse, dass geistige Arbeit abgewertet würde und auch Teile der Studierenden künftig keine Leitungspositionen einnehmen würden. Als spätere Lohnabhängige sollten sie daher frühzeitig ihre Interessen „gewerkschaftlich“ organisieren. Mit dem Fall des real existierenden Sozialismus in Osteuropa lösten sich beide Verbände auf. Einerseits wegen des Wegfalls der Finanzierung aus der DDR, aber auch wegen großer Meinungsverschiedenheiten, Resignation und einer Krise der ideologischen Orientierung. In den 90ern dominierten daher grüne und Juso-Hochschulgruppen an den Unis. Die radikalere Linke war hingegen zersplittert. An vielen Unis gab es überwiegend kleinere basisdemokratische linke Gruppen, dazu Gruppen der Jungdemokraten/Junge Linke (‚82 ausgeschlossener FDP-Jugend-

16 verband), erste PDS-Hochschulgruppen, aber auch viele neu entstandene Antifaund geschlechterpolitisch motivierte Gruppen (rosa Listen, feministische Gruppen, in den Großstädten auch erste PoC-Gruppen). Erst mit dem Lucky Streik, dem größten Bildungsprotest der Studierenden seit den 70ern, entstand ‘98 das Bündnis linker und radikaldemokratischer Hochschulgruppen (LiRa). Die LiRa waren aber von Anfang an fragil. Unterdessen gelang es dem RCDS (Studierendenverband der CDU/CSU) an vielen Unis in die Gremien der Verfassten Studierendenschaft einzuziehen. Konservative, Liberale und Rechte waren bis dahin nie weg – die Linken waren nur mehr und stärker. Doch eine gemeinsame linke Kraft gab es nicht mehr. 2.1 Die Gründung des SDS in der Zeit des Niedergangs Die Gründung des SDS war daher ein wichtiger Schritt für die linke Organisierung an den Unis. Sie kam gerade noch rechtzeitig. Denn immer mehr Unis führten das Bachelor/Master-System (BA/MA) ein und stellten damit auch die politischen Organisierungsbedingungen der linken Hochschulgruppen auf den Kopf. Bis 2010 etwa dominierten kleine linke Gruppen das Geschehen an den Unis (in den Metropolen Berlin und Hamburg bis heute). Die wichtigsten Aktiven studierten sehr lange, konzentrierten sich vielfach aber auf die politische Arbeit an der Uni. Diese Aktivist*innen waren das Herzstück vieler linker Gruppen. Doch mit dem BA/MA-System war das vielfach nicht mehr möglich. Das Studium wurde immer verschulter und kürzer. Für Politik blieb vielfach keine Zeit mehr. Aber das war nicht der einzige Grund für das Verschwinden vieler linker Gruppen an den Unis. In den ‘90er und ‘00er Jahren verbreitete sich die Idee, dass Politik weder links noch rechts ist und auch das allgemeine hochschulpolitische Engagement sank ab.

...wo kommen wir her?

Zu allem Überfluss gingen in den Nullerjahren viele 68er Professor*innen in Rente. In dieser Generation gab es viele linke kritische Geister, die teilweise selbst auf die Lehrstühle von linken Gruppen gekämpft wurden, etwa Frank Deppe in Marburg. Mit dem Verschwinden der kritischen Profs wurden ihre Lehrstühle gleich mitabgesägt. In Marburg etwa die Lehrstühle für vergleichende Faschismusforschung und Politische Ökonomie, denn das eine sei nicht mehr aktuell (Rechte) und das andere (Wirtschaft) habe mit Politik ja nicht viel zu tun. Dieser Kahlschlag in der kritischen Lehre hatte verheerende Effekte auf die Studierenden. Denn in vielen dieser Seminare entstand kritischer Geist und der Impuls zu Handeln – eine wichtige Quelle linker Unigruppen. Die weder-Links-noch-RechtsIdeologie hatte ganze Arbeit geleistet, ein sehr deutsches Phänomen. In anderen Ländern ist es selbstverständlich, dass Professor*innen mit unterschiedlichen politischen Haltungen lehren. In Deutschland lobt man den Götzen Wertneutralität (als wenn es wertneutrale Forschung gäbe) und schafft damit die politische Haltung gleich ganz ab. Eine Haltung, die offenkundig nur das rechte Spektrum stärkte. Jedenfalls gründete der SDS sich nach einer längeren Zeit linker Stagnation und Niederlagen. 2.2 Quellen und Übereinkunft Am 5. Mai 2007 kamen in Frankfurt am Main 34 teils sehr unterschiedliche Gruppen zusammen, um am Geburtstag von Karl Marx den SDS zu gründen: Attac-, PDS, JD/JL-, Juso-Hochschulgruppen, Linksruck und viele weitere linksradikale und sozialistische Hochschulgruppen vereinigten sich zu DIE LINKE.SDS. Viele wichtige linke Intellektuelle unterstützten die Gründung durch Wort und Tat. Doch der Einigungsprozess verlief nicht einfach. Es gab zahllose Debatten: zum Namen, zum Verhältnis zu Jugendverband und Partei, ebenso wie über die organisatorische Ausgestaltung.


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Schlussendlich gab es eine Reihe von Kompromissen. Der Name enthielt sowohl einen Bezug auf DIE LINKE und den historischen SDS. Dank einer „Mediation“ mit Bodo Ramelow wurde der SDS eine Arbeitsgemeinschaft mit Sonderstatus, eigener Mitgliedschaft und Satzung der eine Woche später gegründeten Linksjugend [‚solid]. Im Streit um bezahlte Vorsitzende vs. eine bezahlte, unpolitische Geschäftsführung des Verbands wurde sich auf zwei bezahlte und gewählte Bundesgeschäftsführer*innen ohne Stimmrecht geeinigt. Die Kompromisse blieben aber Zankapfel. Der Bezug zur Partei war bis 2010 und bei einigen Gruppen immer wieder umstritten. Mit der Linksjugend bestand lange eine Konkurrenzsituation, da sie ebenfalls vorrangig aus Studierenden bestand. Geändert wurde an der Einigung aber nichts mehr. Bis zur rechtlichen Anerkennung des Studierendenverbandes durch die Partei brauchte es aber noch bis 2014. 3. Mitglieder- und Gruppenentwicklung Die Gründung des SDS erzeugte ein größeres Medienecho, vom „Wahlverein für die Linkspartei“ (taz) bis zur „Organisation der zweiten Revolution nach ‚68“ (Berliner Zeitung) war vieles dabei. Schnell schlossen sich daher weitere Gruppen an. Der mit 34 Gruppen und ca. 300 Aktiven gestartete Verband wuchs auf über 40 Gruppen und mehr als 400 Aktive an. Allerdings stiegen auch einige Gruppen im Streit wieder aus, andere verschwanden, als wichtige Aktive ihr Studium beendeten. Mit dem Bildungsstreik 2008/09 und dem Ausbruch der Finanzkrise gab es wieder einen ordentlichen Aufschwung der Mitgliederzahlen. In dieser Zeit gab es beispielsweise an der FU Berlin an die 50 Mitglieder, die in Fachbereichsgruppen organisiert waren. 2010/11 spaltete sich ein kleiner Teil vom SDS ab und auch ansonsten geriet der Verband in eine längere Stagnationspha-

se (ähnlich der Mutterpartei). In dieser Zeit 2011-2014 gab es im Verband viele Konflikte und die Zahl der Gruppen nahm auf ca. 30 Gruppen ab. Die durchschnittliche Mitgliedschaft im Verband sank auf 2-3 Jahre – bedingt durch die Umstellung auf das BA/ MA-System. Seit dem Wintersemester 2014/15 gibt es einen bis heute anhaltenden langsamen Aufwärtstrend der Gruppen und Mitgliederzahlen. Seitdem kamen durchschnittlich etwa vier Gruppen pro Semester hinzu. Mittlerweile hat der SDS 51 Gruppen und deutlich über 500 Aktive bundesweit. In den letzten Jahren gründeten sich verstärkt Gruppen an vormaligen Fachhochschulen. Nicht zufällig änderte sich über die Zeit auch die soziale Zusammensetzung der Mitglieder. In den letzten Jahren hat der SDS deutlich an Studierenden aus migrantischen und Arbeiterhaushalten zugelegt. Das bildete sich auch im Bundesvorstand ab. Die Geschlechterquote blieb im gesamten Zeitraum des Verbandes relativ konstant bei genau 30%. Zwar gab es einige rein weibliche Gruppen und viele Gruppen mit mehr Genossinnen als Genossen. Das Gesamtbild änderte sich dadurch aber nicht. Insgesamt ist die Tendenz daher vorsichtig positiv. Der SDS ist damit größer als die sehr lose organisierten campusgrün (Studierendenverband der Grünen), der LHG (FDP) und nähert sich den kleiner werdenden Juso-Hochschulgruppen an. 4. Größere Projekte Die größten Projekte auf Verbandsebene waren der Bildungsstreik 2008/09, drei Großkongresse und die Kapitallesebewegung. Der große Bildungsstreik 2008/09 gegen Studiengebühren wurde vom SDS mitvorbereitet und an vielen Orten maßgeblich mitgetragen. Es war sicherlich das größte Verbandsprojekt seit Bestehen. Die Studi-

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...wo stehen wir?

engebühren wurden danach fast gänzlich abgeschafft. Lediglich einige Sondergebühren blieben über.

die „linkskontrovers“ und später die „praxis“ (bis heute).

Ein sehr großes Medienecho rief der 68er-Kongress anlässlich des 40-jährigen Jubiläums von 68 hervor. Drei Tage diskutierten zahlreiche bekannte linke Intellektuelle mit über 1000 Teilnehmer*innen über kämpfende Studierende, Sozialismus und gesellschaftliche Veränderung heute. Die großen Teilnehmerzahlen konnten mit dem „make capitalism history“- und dem „Kapitalismus vs. Demokratie“-Kongress wiederholt werden. Doch das große Medienecho blieb diesmal aus.

pluraler linker Richtungsverband

Mit der Initiierung der bundesweiten Kapitallesebewegung 2008 gab der SDS einen wichtigen Impuls zur Wiederentdeckung marxistischer Klassiker. Diese kritische Bildungsarbeit vor Ort ist an vielen Orten eines der wichtigsten Markenzeichen des SDS geworden. Durch den Wegfall kritischer Lehre und dem Zusammenbruch vieler linker Gruppen ist der SDS vielerorts die einzige linke hochschulpolitische Kraft, die marxistische Inhalte an die Unis trägt. Hier hat der SDS eine nachhaltige und wichtige Funktion an den deutschen Unis. Für die Außenwirkung legte der SDS die Verbandszeitung critica auf, die seit dem Bestehen des Verbandes in sehr hoher Auflage (60.000-100.000) an vielen Unis verteilt wird. Das kleine, aber feine Blättchen orientierte von Anfang an mit leicht verständlichen Texten um Politik, Alltagsprobleme der Studierenden auf die breite Masse der Studierenden. Besonders hervorzuheben ist dabei die sehr professionelle Machart der critica. Nicht wenige critica-Redakteure wurden später Journalist*innen oder schrieben viel für andere Blätter. Neben der critica gab es noch ein Debattenheft des SDS,

Seit Bestehen des Verbandes (und eigentlich schon vor der Gründung) gab es politische Auseinandersetzungen. Dabei engte sich das politische Spektrum des Verbandes schon in den ersten Jahren stark ein. Bereits 2009 schieden fast alle Mitglieder aus dem Reformer*innenspektrum der LINKEN aus. Die entsprechenden SDS-Gruppen beteiligten sich von da an entweder nicht auf der Bundesebene oder wechselten schwerpunktmäßig zur Linksjugend [‚solid]. Das schwächte den SDS an den wenigen größeren ostdeutschen Universitäten bis heute (von Jena und Leipzig abgesehen). Von da an verstand sich die übergroße Verbandsmehrheit als linker, antiimperialistischer und marxistischer Richtungsverband innerhalb der Linkspartei. Diese politische Ausrichtung hat sich bis heute nicht verändert und wurde immer wieder erneuert. Das politische Spektrum war damit deutlich kleiner als in der LINKEN. Politische Abweichungen von dieser Mehrheitslinie: Reformer*innen, Antideutsche, Anarchist*innen, Libertäre, Parteikritische gab und gibt es bis heute. Der Verband ist trotz seiner Mehrheitslinie sehr plural. 5.1 Flügel im SDS Diese Pluralität spiegelte sich auch in der internen Flügelbildung. Relativ frühzeitig bildete sich ein marxistisch-orthodoxer, ein undogmatisch marxistischer und das Netzwerk Marx21 als posttrotzkistischer Flügel heraus. Daneben gab es beständig noch die Liste Links aus Hamburg, die aber nur auf den Bundeskongressen in Erscheinung tritt (hier aber sehr präsent). Die Mehrheit der Gruppen und Mitglieder organisierte sich aber nie in Strömungen oder innerhalb eines Flügels. Das muss man bei den folgen-


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den Absätzen stets im Hinterkopf behalten. In den Jahren 2008-2012 dominierte Marx21 den Verband ziemlich stark – teils im Bündnis mit den marxistisch-orthodoxen Kräften. Eine der wichtigsten Streitfragen waren die Haltung zum Engagement in den hochschulpolitischen Gremien, zu gemeinsamen Bundeskampagnen der Basisgruppen und Großevents. Marx21 machte dabei eine Eventorientierung stark und vertrat ein Verständnis des SDS als junge Partei, weniger als dezidierter Hochschulverband. Gremienpolitik in der Verfassten Studierendenverband lehnte Marx21 daher überwiegend ab. Als einziger Teil des Verbandes war Marx21, dank ihrer internen Gruppendisziplin, in der Lage größere Veranstaltungen und Kampagnen zu organisieren. Die Großkongresse, die Kapitallesebewegung, wie auch das starke Engagement im Bildungsstreik und bei Dresden Nazifrei wären ohne Marx21 undenkbar gewesen. Der SDS profitierte davon. Bis heute macht Marx21 diese Orientierung stark. Ein relevanter Teil der Gruppen lehnte den weitgehenden Verzicht auf Hochschulpolitik und die – so die Kritiker*innen – Eventpolitik und das „Kampagnenhopping“ ab. Gegen diese Dominanz von Marx21 auf Bundeskongressen gab es anfangs eine zersplitterte Opposition, die sich vor allem in Berlin mit der APO konstituierte, aber auch in anderen Städten wichtige Stützpunkte hatte. Die APO einte die Opposition zu Marx21 – politisch war sie darüber hinaus äußerst divers: von Marx21-Aussteiger*innen, Anarchist*innen und eher Orthodoxen gab es eine große Bandbreite. Die Konflikte entzündeten sich vor allem an den sehr gut organisierten und vorbesprochenen Auftritten von Marx21 auf Bundeskongressen und den Basisgruppen – also eher an der Praxis – auch wenn inhaltliche Auseinandersetzungen um Demokratieverständnis und Feminismus ebenso eine Rolle spielten. Der Konflikt endete mit dem kollektiven Austritt der APO aus dem

19 SDS – was einen massiven Aderlass vieler wichtiger SDS-Aktiver darstellte. Andere oppositionelle Gruppen beschränkten sich auf die Basis- und Gremienarbeit an der Hochschule. Die Liste Links und befreundete Hochschulgruppen beschränkten sich ohnehin auf die lokale Arbeit mit dem Fokus auf Friedens- und Hochschulpolitik. Kurze Zeit später entzündete sich an ähnlichen Fragen wie der APO derselbe Konflikt. Diesmal gründete sich die Marxistisch-Feministische Gruppe (MFG) in Opposition zu Marx21, weil sie sich ebenso an der Praxis der Posttrotzkist*innen stieß. Hier rückte die Kritik an Marx21 bezüglich Top-Down-Entscheidungen seitens des Bundesvorstandes gegenüber den Basisgruppen, die fehlende hochschulpolitische Orientierung, das ökonomistische Feminismusverständnis und die Gegnerschaft zu Frauenselbstorganisation in den Mittelpunkt. Hinzu kam der Konflikt um unterschiedliche Verständnisse des Marxismus. Dieser Konflikt konnte 2014 weitaus konstruktiver als mit der APO gelöst werden. Marx21 änderte – auch unter dem Einfluss jüngerer Genoss*innen – ihre Praxis ab und demokratisierte sie. Auch in puncto Feminismus und Verbandsverständnis näherten sich MFG und Marx21 an – auch, weil beide ihre Positionen in einigen Punkten revidierten. Beide Gruppen gingen daraufhin ein taktisches Bündnis ein – auch wenn einige Fragen, wie die Haltung zur Hochschulpolitik, offen blieben; auch weil an anderer Stelle ein Konflikt zwischen Marx21 und den vormals eher verbündeten marxistisch-orthodoxen Teilen anhand der Syrienfrage aufbrach. Streitpunkt war die Haltung zu Assad und der syrischen Opposition. Während Marx21 die syrische Opposition unterstützte, hielt der marxistisch-orthodoxe Flügel tendenziell eher zur syrischen Regierung und/oder kritisierte die syrische Opposition als islamistisch. Dieser Konflikt köchelt an ähnlicher Stelle (Haltung zu Russland) bis heute.

20 Trotz dieser verschiedenen Konflikte entwickelte sich im Verband ab 2014/15 eher eine Praxis des Leben-und-Leben-lassen. Während sich Marx21 weiterhin um größere Mobilisierungen kümmerte, arbeitete die MFG schwerpunktmäßig an der Verbandszeitung critica und organisierte maßgeblich die Sommerakademien und Bildungsveranstaltungen. Der marxistisch-orthodoxe Flügel stellte aber kontinuierlich Personen für den Bundesvorstand und richtete Seminare zu Neoliberalismus, Friedenspolitik und Imperialismus aus. In den letzten Jahren orientierten die marxistisch-orthodoxen Kräfte neben ihren klassischen Themen verstärkt auf Hochschulpolitik – was eine inhaltliche Zusammenarbeit mit der Liste Links zur Folge hatte. Da alle Flügel inhaltliche Überschneidungen an verschiedenen Stellen haben, sind die SDS-Bundeskongresse bei vielen Themen von unterschiedlichen Mehrheiten geprägt – auch weil ein relevanter Teil der Gruppen keinem Flügel angehört. Im Jahr 2017 ist der Verband überwiegend von einem kooperativen Miteinander geprägt – was teils scharfe und kontroverse Diskussionen um einzelne Fragen nicht ausschließt. Trotz der großen Differenzen zur Gründung des Verbandes ist der Verband als SDS zusammengewachsen. Die Identifikation mit dem Verband drückt sich am stärksten gegenüber der eigenen Basisgruppe, als Gesamtverband aber auch nach außen aus – gegenüber dem Derbygegner Linksjugend [‚solid] und relativ einheitlich als linker Richtungsverband innerhalb der Linkspartei (von Jusos, Campusgrün, Burschis, RCDS und Co gar nicht zu reden). 6. … und die Gesellschaft? Der SDS ist mit großen Hoffnungen gestartet. Nicht zuletzt deshalb wurde der SDS bei seiner Gründung von vielen linken Wissenschaftler*innen und älteren Aktivist*innen wie Frank Deppe, Rainer Rilling, Alex

...wo stehen wir?

Demirovic, Andreas Keller und Wolfgang Gehrke unterstützt. Doch die großen Hoffnungen, die mit dem Namen SDS verbunden waren, wurden – jedenfalls bis heute – ein wenig enttäuscht. Zwar war der SDS an einigen größeren Mobilisierungen beteiligt und konnte einige feine Duftmarken setzen (siehe Kap. 4.), doch die ganz große Wirkung steht noch aus. Gesamtgesellschaftlich ist die Wirkung einer kleinen Studierendenorganisation ohnehin überschaubar – passt man nicht brillant ein geschichtliches Möglichkeitsfenster ab wie der historische SDS. Daher ist der Wirkungsbereich des SDS vor allem die Hochschule und die Partei. Zumindest bei ersterem ist das Bild durchwachsen. 6.1 … an den Unis? Auf der Bundesebene schafft es der SDS bislang nicht, die Lücke, die der MSB und der SHB hinterließen, zu schließen. Der heutige Dachverband der Studierenden, der fzs, ist seit dem Wegbröckeln der Jusos organisationspolitisch eher verwaist. Die Grünen und die zerstreuten Teile der Linken sind dazu rein organisatorisch schon nicht in der Lage. Hier ist noch einige Arbeit zu machen. Seit 2016 ist der SDS immerhin organisatorisch beim fzs vertreten. Auch die Wissenschaftspolitik, gemeinsam mit den beiden linken Wissenschaftler*innenvereinigungen, ist nur vereinzelt ein Betätigungsfeld des SDS. Hier ist noch viel Arbeit nötig, um mehr linke Inhalte an die Uni und besonders in die Lehre zu bringen. Das liegt auch daran, dass die Struktur selbstorganisierter Seminare wegfiel. Bis in die ‘90er konnten Studierende vielerorts selber Scheine ausstellen (vergleichbar mit der Vergabe von Punkten heute). Darüber konnten kritische Seminare selbst organisiert werden. Diese Möglichkeit, linke Wissenschaft selber zu machen, ist entfallen. Die Beschäftigungsbedingungen, gerade für linke Wissenschaftler*innen, sind darü-


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ber hinaus überaus prekär. Während diese beiden Felder ausbaufähig sind, hat sich der SDS in anderen Bereichen gut entwickelt. Der SDS ist heute in über 30 Studierendenparlamenten und StuRä vertreten und besetzt – schwankend – in 15-20 Unis AStA- und StuRa-Referate. Aus der lokalen Hochschulpolitik ist der SDS ebenso wenig wie aus der linken Bewegungsarbeit wegzudenken. In vielen Universitäten hat der SDS die Referate für Politische Bildung und Kritische Wissenschaft, Hochschul- und Sozialpolitik inne. Darüber gelingt es, kritische Inhalte an die Uni zu bringen und gleichzeitig studentische Interessen zu vertreten. Neben dieser Bildungsarbeit über die Gremien bieten fast alle Gruppen regelmäßig Vortragsabende, Diskussionen und Lesekreise an. Im Weitertragen kritischen, linken und marxistischen Wissens spielt der SDS daher eine wichtige Rolle. Da der SDS in vielen Städten die einzige linke Hochschulgruppe ist, sind viele Gruppen auch in die örtliche Flüchtlingshilfe, lokale Antirechtsaktivitäten und die Mobilisierung zu bundesweiten Großereignissen wie die Anti-TTIP-Proteste oder G20 stark involviert. Ein größerer Schwerpunkt der letzten Jahre war neben diesen Evergreens die Vernetzung mit den Gewerkschaften. In einigen Städten ist die Vernetzung mit den örtlichen DGB-, ver.di- und GEW-Hochschulgruppen außerordentlich eng. Diese Vernetzung reicht von der Einrichtung gewerkschaftlicher AstA-Referate, gemeinsamen Stammtischen, Aktionen und Streiksolidarität vor Ort. Die lokalen SDS-Gruppen sind daher – vor allem in den kleineren Städten – aus der linken Szene nicht mehr wegzudenken. 6.2 … und DIE LINKE und die Gewerkschaften? Einige Bedeutung hat der SDS hingegen in der Partei DIE LINKE. Da die Linksjugend [‚solid] seit Jahren auf Bundesebene völlig

21 zerstritten und kaum handlungsfähig ist, hat der SDS hier eine wichtige Funktion in der Ausbildung fitter Genoss*innen und Aktivist*innen (old school ausgedrückt: Kader*innen). DIE LINKE versteht sich als antikapitalistische Kraft. Wer aber den Kapitalismus überwinden will, muss ihn erstmal verstehen, um daraus Alternativen folgern zu können. Und das ist oft gar nicht so einfach in einer kapitalistischen Gesellschaft. Auch viele LINKE meinen, nur über die Parlamente die Gesellschaft verändern zu können. Aber jede/r halbwegs marxistisch Gebildete weiß: So einfach ist es nicht. Politik und Wirtschaft sind in der liberalen Demokratie getrennt. Das Privateigentum und die ungleiche Verteilung, ja die Ungleichheit insgesamt zementiert. Das Beispiel zeigt: Linke müssen viel mehr Wissen über die Gesellschaft und Gesellschaftsveränderung haben, als Konservative, SPDler*innen oder Grüne. Anders wird es nicht gehen. Neben diesen Fähigkeiten geht es aber auch um wichtige organisatorische Fähigkeiten, die in jahrelanger politischer Aktivität im SDS gelernt werden. Viele SDSler*innen haben heute daher wichtige Funktionen auf der unteren und mittleren Ebene der Partei – nicht weil sie nicht aufsteigen konnten, sondern weil sie wissen, wie wichtig der Aufbau einer sozialistischen Massenpartei ist. Gerade in den Unistädten im Westen spielt der SDS in der Partei eine große Rolle. Ohne eine breite Basis kein demokratischer Sozialismus des 21. Jahrhunderts. Aus demselben Grund sind viele ehemalige SDSler*innen heute Gewerkschaftssekretär*innen und arbeiten an einer linkeren Positionierung der Gewerkschaften mit. Für die gesellschaftliche Linke an den Unis, lokal in einigen Gewerkschaften, aber vor allem in der Partei ist der SDS ein wichtiger Ausbildungsort für organische Intellektuelle (Gramsci).

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7. Perspektiven Anders als in den 70ern studieren heute 2,8 Millionen Menschen. 45% einer Generation fangen gerade ein Studium an. Ein relevanter Teil dieser Studierenden wird später weder gut verdienen, noch wichtige Leitungsfunktionen übernehmen. Erstmals haben wir in der westlichen Welt damit eine sehr gut ausgebildete Generation, die später nicht entsprechend verdienen wird und deren Platz in der Gesellschaft ungewiss ist. Diese neue akademische Generation ist politischer als die vorhergehenden der 90er und 00er Jahre. Sie ist ein Teil der Bewegungen von Bernie Sanders, Jeremy Corbyn, Syriza, Podemos und nuit debout. Der Anstieg der Mitgliederzahlen in den letzten Jahren folgt daher einem internationalen Trend. Der heutige Kapitalismus wird gerade zunehmend autoritärer. Die Sozialsysteme und die Demokratie werden Stück für Stück abgebaut, die Polizei aufgerüstet, die Überwachung ausgeweitet und die Gängelung vieler Lohnabhängiger, Migrant*innen und Erwerbsloser nehmen zu. Dieser autoritäre Kapitalismus (Frank Deppe) ist kein apokalyptisches Szenario, sondern eine Realität, mit der wir uns auseinandersetzen müssen. Doch wo es Schatten gibt, muss es auch Licht geben. Die Herrschenden wollen nicht mehr alle Teile der Gesellschaft einbinden. Diese Teile können wir als Linke ansprechen. Der Raum für gesellschaftliche Alternativen öffnet sich! Mögen die Liberalen und Rechten auf der staatlichen Ebene um die Vorherrschaft ringen... in der Gesellschaft bildet sich international gerade eine neue Linke heraus. Studierende und prekär beschäftigte Akademiker*innen sind ein Teil dieser Bewegung zum Sozialismus des 21. Jahrhunderts! Wir wissen, dass der „Sozialstaat“ und die Demokratie nicht einfach so kamen – sie

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wurden erkämpft von der Linken, von der Arbeiter*innenbewegung. Nichts Anderes meint der Kampf um eine „soziale Demokratie“ (Abendroth). Der Kampf um gleiche Rechte für alle, um ein Leben in Würde für alle, der Kampf gegen die Zumutungen des real existierenden Neoliberalismus und des aufkommenden Rechtspopulismus zeigt: Wir sind noch lange nicht fertig! Es ist noch viel zu tun! Gehen wir es an!


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Zu gut für die Schublade! Alexander Hummel (dielinke.SDS Heidelberg und BAK Critica)

In seiner Geschichte hat Die Linke.SDS bereits etliche Positionierungen und Papiere produziert. Das meiste ist dabei unter den derzeit Aktiven längst wieder in Vergessenheit geraten. Alexander Hummel hat sich quer durch alle online zugänglichen SDS-Beschlüsse gelesen, schreibt von seinen persönlichen Highlights und gibt Anregungen, wie heute an die alten Positionierungen von damals angeschlossen werden kann. Wer die Welt aus den Angeln heben will, für den nehmen die Themen, wozu diskutiert und sich positioniert werden will, nie ein Ende. Kapitalismus, Patriarchat und Rassismus produzieren unentwegt Zustände, die uns als Sozialist*innen herausfordern, die zu bekämpfen sind und die wir aufheben müssen. Die Fülle an Positionierungen, welche Die Linke.SDS in seiner zehnjährigen Geschichte bei insgesamt 20 Bundeskongressen daher bereits getroffen hat, ist kaum verwunderlich beträchtlich. Ganze 104 Beschlüsse sind alleine auf unserer Homepage aufgelistet.1 Die Positionierungen reichen dabei von für SDS-Aktivist*innen alltäglichen Themen wie der Kampf gegen die Neoliberalisierung der Hochschulen oder für Zivilklauseln und eine friedliche Welt über die Verbandsentwicklung betreffende Themen, wie etwa unterschiedliche Bundesarbeitskreise oder zentrale Verbandsprojekte wie die Sommerakademie, daneben auch Beschlüsse, die sich den großen tagespolitischen Fragestellungen widmeten: beispielsweise Revolutionen, Kriegen und Bürgerkriegen im arabischen Raum, TTIP oder auch massive, weltweite Migrations- und Fluchtbewegungen; bis hin zu Positionierungen die heute fast schon für den SDS abseitig oder zumindest im Verband völlig vergessen sind. Die Positionierung gegen Massentierhaltung (Jan. 2012) fällt hier sicher darunter, auch eine Solidarisierung mit kolumbianischen

Studierenden angesichts studentischer Proteste gegen die Regierung Uribe (Dez. 2008) oder eine Solidarisierung mit dem Mannheimer Studenten Marcel Kallwass (Dez. 2013). Drei Positionierungen aus der Vergangenheit möchte ich im Folgenden näher behandeln. Dabei möchte ich ihre ungebrochene Aktualität aufzeigen, ihre wegweisenden Einsichten erläutern, Anregungen zum daran weiterdenken geben und mich der Frage widmen, wie diese heute in eine Praxis zu überführen sind. Gerade letzteres scheint mir zentral. Denn nicht selten war es ein Fehlen an damit organisch verbundener Praxis, das dazu führte, dass wichtige Themen und großartige Positionierungen wieder in der Schublade verschwanden. Dem Komplex aus Überwachung und Repression entgegentreten – GeheimdiensAls 2013 eine Reihe von Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden die bundesdeutsche Öffentlichkeit in ihrem liberal-idealistischen Staatsverständnis erschütterte, nahm dies auch Die Linke.SDS zum Anlass, grundsätzlich sein Verständnis von Überwachung zu reflektieren. Der SDS war zu diesem Zeitpunkt bereits selbst mehrfach ins Fadenkreuz staatlicher Überwachung geraten. Zu nennen ist hier etwa die Bespitzelung der Heidelberger SDS-Gruppe durch den Verdeckten Ermittlers Simon Bromma oder auch seine regelmäßige Erwähnung in Verfassungsschutzberichten. Eine Positionierung zum Thema Überwachung drängte also. Die Linke.SDS beließ es jedoch nicht bei einer bloßen Verurteilung der Überwachung, stattdessen kritisiert und analysiert der Beschluss von 20132 auch die Themen Repression und Militarisierung im Inneren und denkt diese drei Themen zusammen. Überwachung, Repression und die militärische

24 Absicherung von Herrschaftsverhältnissen würden demnach eine Einheit, einen autoritären Komplex bilden. Perspektivisch müsste daher der SDS die bisher vereinzelten Gegenbewegungen gegen Überwachung, Repression und Militarisierung im Inneren zusammenführen. Interessant und weiter aktuell sind auch die Passagen über den Zweck des besagten Komplexes. Zudem führt der Beschluss aus, wie Überwachung und Repression in der Kontinuität von Extremismustheorie und Totalitarismusdoktrin stehen. Der mit dem Beschluss formulierte Anspruch war damit sowohl theoretisch als auch praktisch hoch. Ungewöhnlich war es, dass eine derart weitreichende Positionierung so aus dem Stand heraus erfolge. Vorher hatte es kaum eine Debatte zum Thema im SDS gegeben. Leider war die Debatte über Überwachung und Repression im Verband nicht von Dauer. Zwar gab es auf den darauffolgenden Bundeskongress noch einen thematisch daran anschließenden Be-

schluss mit dem Titel „Krise und autoritäre Transformation zusammen bekämpfen!“3 sowie einige Artikel, die Aspekte der beiden Anträge in der critica aufgriffen, aber weder das damals beschlossene Wochenendseminar noch der aufklärende Flyer zur Thematik wurden jemals umgesetzt. Heute nun wird – meist begründet mit der vermeintlich ultimativen Gefahr des islamistischen Terrorismus – ein Sicherheitsgesetz nach dem anderen beschlossen und eine neue autoritäre Form des Kapitalismus

...wo stehen wir?

Stück für Stück aufgebaut. Immer neue, früher unvorstellbare Forderungen werden auf das politische Parkett gebracht und häufig bald darauf umgesetzt – so fordert etwa mittlerweile Innenminister Thomas de Maizière Minderjährige und Kinder (!) zu überwachen und der RCDS möchte gar eine Demokratieerklärung von allen Studierenden einholen und „extremistische Straftäter“ in „begründeten Einzelfällen“ exmatrikulieren, also die Exmatrikulation als Instrument politischer Justiz instrumentalisieren. Dieses Jahr bereits umgesetzte autoritäre Verschärfungen des Status Quo sind etwa die Ermöglichung des Einsatzes von Durchsuchungssoftware (Bundestrojaner) bereits bei leichten Delikten wie Drogenbesitz sowie die Durchsuchung der privaten Handydaten von Asylbewerber*innen zwecks Identitätsfeststellung. Der bisherige Gipfel dieses autoritären Gruselkabinetts war schließlich die Polizeirepression angesichts des G20-Gipfels in Hamburg. Kilometerweite Demonstrationsverbotszone, das Übergehen von Verwaltungsgerichtsurteilen, Kriminalisierung von Demonstrationen, Camps und Anwält*innen, das Inkaufnehmen von Toten bei einer Demonstrationsauflösung sowie SEK-Polizeitruppen, die mit dem Maschinengewehr im Anschlag Straßenstriche und Häusereingänge stürmten, kulminierten sich zu einem de-facto-Ausnahmezustand, der leider nur einen Vorgeschmack darauf gibt, wohin die autoritäre Transformation des Kapitalismus noch führen könnte. Doch was tut die Linke gegen diesen Aufbau des autoritären Kapitalismus? Bei den G20-Protesten agitierten und prozessierten sie mit einigen Ausnahmen wie Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch zwar gegen dieses autoritäre Formierung und setzten sich massenhaft in einem Akt kollektiven Ungehorsams darüber hinweg, doch im politischen Alltag spielt der Kampf gegen die autoritären Verschärfungen des Status Quo keine Rolle. Hier tut Die Linke wenig bis nichts, häufig wird der alltägliche autoritäre


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Wandel nicht einmal zur Kenntnis genommen. Stattdessen gelten diese Themen als „linksliberal“ oder als „grüner Bürgerrechtsdiskurs“, d.h. nichts, womit sich echte Marxist*innen auseinanderzusetzen hätten. Der historische SDS war da weiter. Als 1968 mit der Notstandsgesetzgebung die Grundlagen autoritärer Staatlichkeit gelegt wurden, mobilisierte er in einem Sternmarsch auf Bonn 100.000 Menschen. 80.000 nahmen an weiteren Aktionen im gesamten Bundesgebiet teil.4 Nun haben wir heute nicht den selben antiautoritären Geist wie ‘68, aber zumindest die Grundlagen für eine erneutes antiautoritäres Aufbegehren zu legen, indem an den Unis über die autoritäre Transformation dieses Kapitalismus aufgeklärt wird, müsste ein Verband der die Buchstaben „SDS“ im Namen führt, leisten. In diesem Sinne wäre dringend angebracht, die genannten Anträge neu zu lesen und daran praktisch anzuknüpfen. Positionierung zur DDR Weiterhin ungeklärt ist die Positionierung von Die Linke.SDS zum historischen Versuch der Errichtung des Sozialismus in der DDR. Bisherige Debatten innerhalb des Verbandes haben gezeigt, dass es sich hierbei um ein heißes Eisen handelt. Dieses anzufassen – auch, weil tatsächlich die praktische Relevanz einer solchen Positionierung diskutabel ist – wurde bisher fast immer vermieden. Der einzige Versuch einer solchen Positionierung im Dezember 2014 auf dem Bundeskongress in Berlin endete nach heftiger, teils emotionaler Debatte mit einem Kompromissbeschluss, der auf eine Fortsetzung der Debatte hinausläuft. Der Beschluss ist derart kurz, dass er hier vollständig zitiert werden kann: „Der Bundesvorstand soll eine innerverbandliche linke, systemische Kritik an der DDR initiieren, die sich ausdrücklich von einer bürgerlichen Kritik an der DDR distanziert und sich an der Verschleierung von

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Unrecht und Willkür in der BRD und ihrer Beschönigung nicht beteiligt.“5 Passiert ist seitdem leider nichts. Für uns als sozialistische Studierende, die größtenteils nach dem Ende der DDR geboren sind, mag eine fehlende Positionierung dazu zwar zu entschuldigen sein, dennoch gilt es, aus bisherigen Versuchen der Errichtung eines Sozialismus – ob in Deutschland oder anderswo – zu lernen. Vom bürgerlichen Medien- und Politikbetrieb wird unser Verhältnis zur DDR zur Gretchenfrage stilisiert. Ob wir die DDR bejahen oder verneinen, entscheidet hier darüber, ob wir in Gnade oder Ungnade fallen. So ärgerlich dies ist, müssen wir diese ideologischen Frontstellungen registrieren. Um diesem SchwarzWeiß-Denken und Antikommunismus etwas entgegenzusetzen, brauchen wir eine viel tiefere und kenntnisreichere Auseinandersetzung mit der DDR als wir sie bisher im Verband erreicht haben. Diese gilt es zu entwickeln. Wachstumskritik ist Kapitalismuskritik! Als Donald Trump vor einigen Monaten verkündete, dass die USA aus dem internationalen Klimaabkommen aussteigen, ging ein Raunen um die Welt. Egal, ob in der Uni-Mensa, auf der Straße oder in den Massenmedien – allerorts empörten sich Menschen ob dieser rechtspopulistischen Anmaßung, wonach die USA sich nun nicht einmal mehr an dem Versuch beteiligen wollen, den Kimawandel und die damit verbundene ökologische Katastrophe zu stoppen. Die Empörung – auch wenn sie darauf basierte die Bedeutung eines internationalen Vertrags, an den sich sowieso die wenigsten hielten, deutlich zu überhöhen – zeigte doch, welche Bedeutung die ökologische Frage für viele Menschen weiterhin hat. Egal ob für den Alltagsverstand oder den Fortbestand menschlichen Lebens – die Klimafrage spielt also eine zentrale Rolle. Für Die Linke.SDS führt damit kein Weg daran

SEK im Schanzenviertel. Ein Vorgeschmack auf den autoritären Kapitalismus? Quelle: https://tinyurl.com/y7kugkzg

vorbei sich dieser zu stellen. Mit seiner ökologischen Grundsatzpositionierung „Wachstumskritik ist Kapitalismuskritik“ vom 15. Bundeskongress im Dezember 2014 sind wir hierfür gut gerüstet. „Die kapitalistische Produktion entwickelt [...] nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter“. Dieses Marx-Zitat aus dem ersten Band des Kapital ist der Positionierung von Die Linke.SDS vorangestellt. Klar ist damit, dass es uns als Sozialist*innen immer darum gehen muss, Umweltzerstörung in seinem systemischen Zusammenhang zu begreifen. Ausgangspunkt der ökonomischen Wachstumskritik des Beschlusses ist damit eine allgemeine Kapitalismuskritik. Des Weiteren wird darauf insistiert die ökologische und soziale Frage zusammenzudenken, „denn ökologische Fragen sind immer auch soziale Fragen, so sind beispielsweise ärmere Länder vom Klimawandel am stärksten betroffen.“ Außerdem wird im Beschluss die Wachstumsorientierung der herrschenden Politik als kapitalistische Zielorientierung entlarvt, womit diese nie Primat einer linken Politik sein kann. Trotz dieser guten inhaltlichen Grundlagen hat der SDS bisher jedoch kaum Praxis in der ökologischen Frage und keinerlei Praxis in der zentrale Klimafrage entwickelt. Dabei sind in den letzten Jahren linke, auch akti-

...wo stehen wir?

onistische Bewegungen entstanden, an welchen sich wir uns als SDS durchaus beteiligen könnten. Neben den im Beschluss bereits erwähnten Wachstumskritiker*innen, wären hier vor allem die Proteste gegen die Weltklimagipfel, welche immer wieder in Europa und auch in Deutschland stattfinden, zu nennen (der nächste Weltklimagipfel ist etwa am 11. November in Bonn). Noch wichtiger sind in diesem Kontext jedoch Foto: Thorsten Schröder die Proteste und Aktionen zivilen Ungehorsams gegen den Braunkohlebergbau unter den Namen „Ende Gelände“ (hwww.ende-gelaende.org) und „AusgeCO2hlt“ (www.ausgeco2hlt.de). Im Rahmen dieser Proteste wurden bereits mehrfach Braunkohletagebaue besetzt und so der Wahnsinn kapitalistischer Braunkohleraubbaus für Stunden oder sogar Tage gestoppt. „System change not climate change“ ist der Slogan dieser internationalistischen Bewegung, welche mittlerweile auch außerhalb Deutschlands, etwa in Tschechien, Nachahmer findet. Die Bewegung zeigt einen dritten Weg neben den unzureichenden klimapolitischen Alternativen Konsumkritik und symbolischen Protest auf. Im Sinne unseren bestehenden inhaltlichen Positionierungen wäre als SDS hieran praktisch anzuknüpfen. Alexander Hummel schreibt für die critica und Praxis, ist Mitglied der MFG und strebt eine licher Debatte an. Trotz aktueller Pause ist er generell aktiv in Die Linke.SDS Heidelberg.


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Vgl.: http://www.linke-sds.org/die_linkesds/beschluesse/, 20.07.2017. Doch selbst diese Liste ist unvollständig. Beschlüsse vom 19. und 20. Bundeskongress sind noch nicht auf der Homepage recherchierbar. Auch Beschlüsse, die vor 2013 gefällt wurden, sind bei weitem nicht vollständig auf der Homepage erfasst. Möchte man diese nachvollziehen, kann dies nur umständlich über die älteren Protokolle geschehen. Eine Mühe, die sich der Autor dieser Zeilen nicht gemacht hat. Er hat sich nur die 104 auf der Homepage gelisteten Beschlüsse angeschaut. Beschluss online abrufbar unter: http://www.linke-sds.org/die_linkesds/beschluesse/13_bundeskongress_dez_2013/, 20.07.2017. Online abrufbar unter: http://www.linke-sds.org/die_linkesds/beschluesse/14_bundeskongress_juni_2014/#c13824, 20.07.2017. Vgl. Henning, Markus; Raasch, Rolf: Neoanarchismus in Deutschland. Geschichte. Bilanz und Perspektiven der antiautoritären Linken, Stuttgart 2016, S. 118. Beschluss online abrufbar unter: http://www.linke-sds.org/die_linkesds/beschluesse/15_bundeskongress_de z_2014/#c13958, 20.07.2017.

Feministische Theorie und Praxis im SDS Es begann mit einer Tomate. Wo es endet, liegt in unserer Hand Bettina Gutperl (Bundesgeschäftsfüherin)

1968, auf der 23. Delegiertenkonferenz des historischen SDS, flog die Tomate auf das ausschließlich männlich besetzte Podium. Zuvor hatte die Genossin Helge Sander eine Rede dazu gehalten, dass der SDS „(...) innerhalb seiner Organisation ein Spiegelbild gesamtgesellschaftlicher Verhältnisse ist.“1 Damit meinte sie, dass der SDS nicht frei von Sexismus und einer patriarchalen Arbeitsteilung war – die gesellschaftlichen Geschlechterverhältnisse also (re)produzierte. In den Worten Sanders: „Man gewährt zwar den Frauen Redefreiheit, ergründet aber nicht die Ursachen, warum sie sich so schlecht bewähren, warum sie passiv sind, warum sie zwar in der Lage sind, die Verbandspolitik mit zu vollziehen, aber nicht dazu in der Lage sind, sie auch mit zu bestimmen. (Gestern hat eine Frau geredet, heute hat eine Frau einen Antrag formuliert.) Die Verdrängung wird komplett, wenn man auf diejenigen Frauen verweist, die innerhalb des Verbandes eine bestimmte Position erworben haben, in der sie aktiv tätig sein können. Es wird nicht danach gefragt, welche Versagungen ihnen das möglich gemacht haben, es wird übersehen, dass dies nur möglich ist durch Anpassung an ein Leistungsprinzip, unter dem ja gerade auch die Männer leiden und dessen Abschaffung das Ziel ihrer Tätigkeit ist. Die so verstandene Emanzipation erstrebt nur eine Gleichheit in der Un-

gerechtigkeit und zwar mit den von uns abgelehnten Mitteln des Konkurrenzkampfes und des Leistungsprinzips.“2 Als die Delegierten nach der Rede zur Tagesordnung zurückkehren wollten, ohne das Gesagte zu reflektieren, geschweige denn zu thematisieren, platzte der Genossin Sigrid Rüger der Kragen und sie warf die Tomate. Der Tomatenwurf ging in die Geschichte ein als eine der Initialzündungen der 2. Frauenbewegung in der BRD. Für die einen der Niedergang des SDS, für andere ein Aufbruch zu neuen feministischen Ufern. Für die einen eine Spaltung der Arbeiterklasse, für andere eine überfällige Abkehr von Strukturen, die die Interessen der Genossinnen* nicht vertraten. Wie man das Ganze geschichtlich bewertet, ist umstritten. Jedoch sollten wir uns die Frage stellen, was wir heute für den SDS daraus lernen können. Denn mitnichten haben wir eine Organisation, in der Tomatenwürfe überflüssig wären. Nein, manchmal hat man den Eindruck, dass „(...) noch erst ganze Güterzüge von Tomaten verfeuert werden müssen, bis da etwas dämmert.“3 Doch es wurde auch schon viel erreicht in zehn Jahren DIE LINKE.SDS. In diesem Beitrag werde ich versuchen, die letzten fünf Jahre der Geschichte des SDS

28 in Bezug auf feministische Kämpfe holzschnittartig nachzuzeichnen Diese habe ich miterlebt. Die ersten fünf Jahre zu erzählen verbleibt den Genoss*innen, die damals aktiv waren und ohne deren Kämpfe wir nicht stehen würden wo wir jetzt stehen.4 Darüber hinaus möchte ich ein paar praktische Tipps für eine feministische Praxis im SDS zusammentragen, die von Genoss*innen über die Jahre entwickelt und ausprobiert wurden. Was sind nun feministische Kämpfe? „Unter feministisch verstehe ich die Einnahme eines komplizierten besonderen Standpunktes mit gleichwohl menschheitlich allgemeiner Perspektive. Vom feministischen Standpunkt wird die Ineinssetzung des Allgemein-menschlichen mit dem Männlichen ebenso in Frage gestellt wie ihr Pendant, die Besonderung des Weiblichen als natürlich. Gleichwohl wird aus dieser zugeschriebenen Besonderung heraus selbstbewusst eine Perspektive entworfen, die beide Geschlechter einschließt. Sie kann nur vom Besonderten her formuliert werden, eben weil das falsche Allgemeine zurückgewiesen und durch wirklich Allgemeines, welches sich erst noch herausbildet, ersetzt werden muss. In dieser Weise ist Feminismus zugleich politische Utopie und hat seinen Ort jenseitig wie er auch im Diesseits seine Schritte setzt.“5 Wenn ich im folgenden Beitrag das Wort feministisch verwende, meine ich damit sozialistisch-feministisch/marxistisch-feministisch. Wer macht was und warum? Wer schreibt Flyer und Artikel in eurer Basisgruppe? Wer redet auf Podien in der Öffentlichkeit? Wer schlichtet Konflikte in der Gruppe? Wer vertritt den SDS in Bündnissen? Wer stellt Anträge auf Bundeskongressen? Wer traut sich zu, in den Bundesvor-

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stand zu gehen? Wer schreibt Protokolle? Wer entscheidet, was diskutiert und gelesen wird? Wer wird beständig gedrängt, diesen und jenen Posten auszufüllen, da sich sonst keine Frau* finden lässt? Auf wen wird sich in Diskussionen bezogen? Diese Fragen der innerverbandlichen Arbeitsteilung laufen entlang der gesellschaftlichen Verhältnisse, der Geschlechterverhältnisse und auch entlang der Diskriminierungskategorien von Klasse und Ethnie. Den Geschlechtern werden unterschiedliche Eigenschaften zugeschrieben, für diese sie von der „Natur“ her besonders befähigt sind (zum Beispiel: Frauen* sind emotional, subjektiv, altruistisch; Männer* sind rational, objektiv, egoistisch). Um diese Arbeitsteilung und damit auch Geschlechterverhältnisse im SDS aufzubrechen, sodass alle befähigt werden, auch alle Aufgaben zumindest erproben zu können, haben wir als SDS einige Ideen entwickelt und praktisch ausprobiert. Intervention in die Geschlechterverhältnisse im SDS auf Gruppenebene Eine doppelt quotierte Erstredner*innen-Liste bei Plena sorgt dafür, dass Frauen* und Menschen, die zu einem Debattenpunkt noch nichts gesagt haben, bevorzugt von der Redeleitung das Wort bekommen. So soll ausgeglichen werden, dass Frauen* überproportional weniger in Debatten reden aufgrund ihrer weiblichen Sozialisation. Ein weiteres Instrument, welches mehr Menschen dazu ermutigt teilzuhaben, ist die rundenbasierte Diskussion. Auch eine Redezeitbegrenzung auf beispielsweise drei Minuten kann verhindern, dass die Diskussionskultur von nur wenigen Genoss*innen dominiert. Auch sollte vermieden werden, nur mit Abkürzungen um sich zu werfen oder Namedropping6 zu betreiben . Dies ist nicht nur für Frauen* wichtig, sondern für die gene-


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relle Einbindung und Befähigung aller Genoss*innen. Dies gilt für viele der Ideen, die hier vorgestellt werden. Eine weitere Möglichkeit dafür, dass Frauen* sich mehr an Diskussionen beteiligen, besteht in, regelmäßigen Frauen*plena. Diese haben den Vorteil, dass man schon mal in einer kleineren Runde bestimmte Punkte (vor)diskutieren kann. Außerdem bieten Frauen*plena einen geschützteren Raum, um sich über Probleme in der Gruppe auszutauschen um diese dann gemeinsam anzusprechen. Darüber hinaus sollte die Redeleitung und das Protokoll bei Plena rotieren, das heißt alle Genoss*innen sollten einmal Redeleitung und Protokoll machen. So können diese Tätigkeiten eingeübt werden und feste Hierarchien werden vermieden. Hiervon profitieren Genoss*innen, die noch nicht so lange in der Gruppe sind, aber auch vermehrt Frauen*, die sich sozialisationsbedingt eher das Protokoll schreiben zutrauen als eine Diskussion zu leiten. Auch andere Aufgaben, wie beispielsweise die Erstellung der Tagesordnung, sollten rotieren oder zumindest immer mal wechseln. So wird vermieden, dass Männer* eher repräsentativ-politischen Aufgaben übernehmen und Frauen* organisatorische. Gerade auch bei der Praxis nach außen ist es wichtig, dass nicht nur Männer* eine Veranstaltung moderieren, einen Infotisch betreuen usw., sondern auch Frauen*. Die Erfahrung zeigt, dass Infostände mit „weiblicher Besetzung“ zum Beispiel auch eher Frauen* ansprechen. Um potentielle neue weibliche Mitglieder zu erreichen, ist dies also besonders essentiell , da Frauen* durch ihre Sozialisation und häufig knappere zeitliche Ressourcen weniger dazu neigen, sich überhaupt (links) zu organisieren. In regelmäßigen Abständen sollte das Redeverhalten, die Diskussionskultur und die Arbeitsteilung der Gruppe reflektiert werden, dafür bietet sich beispielsweise eine Klausurtagung am Ende des Semesters an. Generell kann man beobachten, dass Maß-

29 nahmen, die Frauen* stärken, auch helfen, anderweitig gesellschaftlich unterdrückte Mitglieder zu empowern. Intervention in die Geschlechterverhältnisse im SDS auf Bundesebene Alles, was an Instrumenten in den Basisgruppen zur Anwendung kommt, ist auch übertragbar auf die Bundesebene des SDS.7 (Doppelt quotierte Erstredner*innenlisten, Redezeitbegrenzung, Rotation von Aufgaben, rundenbasierte Diskussionen, Frauen*plena usw). Hier sind sie fast noch wichtiger, da die Hürden für Genossinnen*, auf Bundesebene aktiv zu werden, noch etwas höher liegen. Das liegt u.A. an Strukturen und Debattentraditionen, die man nicht auf Anhieb überblicken kann, Menschen, die einem nicht so vertraut sind, wie die Genoss*innen, mit denen man täglich aktiv ist und einer Überzahl an männlichen Aktiven. Neben den oben beschriebenen Instrumenten ist es wichtig, dass Feminismus auch inhaltlich/theoretisch diskutiert wird, und das nicht als Randthema. Neben dem Mitdenken einer feministischen Perspektive bei unseren Inhalten, sollte Sozialistischer Feminismus auch Raum in eigens dafür organisierten Seminaren, Publikationen usw. haben. Denkbar wäre auch eine Wiederbelebung des Bundesarbeitskreises (BAK) Feminismus. Die Geschlechterperspektive sollte bei allen Themen, Debatten und auch in der Arbeit der Bundesarbeitskreise (BAKs) mit gedacht werden. Denn gerade die BAKs können eine erste Möglichkeit sein, Interesse am Bundesverband zu entwickeln, und sich inhaltlich einzubringen, da hier auch Inhalte und gemeinsame Projekte im Vordergrund stehen und nicht ein Gegeneinander der Anträge und Strömungen wie auf manch einem Bundeskongress. Die Geschlechterperspektive immer mitdenken, heißt beispielsweise konkret darauf zu achten, dass auch Diskussions- und Theorietexte von weiblichen Autorinnen* gele-

...und wie gehts weiter?

30 sen werden. Ebenso wie darauf zu achten, dass in Publikationen (critica, praxis) Texte von Genoss*innen abgedruckt werden. Einmal gab es eine Schreib- und Layoutwerkstatt im SDS nur für Frauen*, da wir festgestellt hatten, dass viel weniger Frauen* Artikel schreiben, sei es in der Verbandszeitung critica, im internen Debattenmagazin praxis oder einfach Flyertexte in der Basisgruppe. Aus der Werkstatt ist sogar ein feministisches Debattenmagazin, „Rotstrumpf“, entstanden, das ausschließlich Frauen* gelayoutet und mit Artikeln versorgt haben. Podien und Veranstaltungen des SDS sollten ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis haben, ebenso wie die Teilnehmer*innen von Seminaren. Auch die Entsendung von SDS Genoss*innen in Bündnisse oder Gremien sollte quotiert sein. Wir sollten uns, gerade als Studierendenverband, näher mit der Frage auseinandersetzten, wie eine feministische Hochschul- und Wissenschaftspolitik aussehen kann. Wer forscht was? Und in welchem Interesse? Wer profitiert? Wer wird mit gedacht und wer nicht? Ein weiteres Instrument auf Bundesebene ist die Quote für unsere Ämter/Stellen (Bundesvorstand, Geschäftsführung). Das heißt, dass mindestens so viele Frauen* wie Männer* in einem Gremium sein müssen. So soll verhindert werden, dass viel mehr Männer* in solchen Ämtern sitzen und die Entscheidungen zwischen den Bundeskongressen treffen. Frauen* neigen aufgrund ihrer Sozialisation dazu, bei Wahlen nicht zu kandidieren, weil sie sich das Ganze (noch) nicht zu trauen oder Männern* den Vortritt lassen wollen. Um die Quote im SDS gab es schon einige hitzige Debatten, dazu komme ich später noch. Frauen*plena auf Bundesebene sind wichtig, aber auch umstritten. Solch ein Plenum kann von jeder Frau* ohne Begründung einberufen werden und findet zusätzlich bei jedem Bundeskongress statt. Hierbei ist darauf zu achten, dass auch die Männer* während des Frauen*plenums nicht tatenlos

sind, sondern feministische Themen diskutieren oder männliche Verhaltensweisen im Gruppenkontext reflektieren (vorzugsweise in Kleingruppen). Die Rede- und Verbandskultur sollte auf allen bundesweiten Veranstaltungen, besonders bei Bundeskongressen, in einer Feedbackrunde reflektiert und ausgewertet werden.8 Und das große Ganze!? … Natürlich sind diese ganzen Instrumente nicht mehr als gute Krücken, mit denen wir uns durch den Kapitalismus kämpfen. Darum wollen wir nicht nur den SDS als solchen verändern, sondern auch in die Gesellschaft eingreifen. Dabei sollten wir jedoch nicht vergessen, dass die weiter oben beschriebenen Ideen/Instrumente im SDS, hauptsächlich von Genossinnen*, politisch hart erkämpft wurden! An dieser Stelle möchte ich exemplarisch einige dieser feministischen Kämpfe, die in den letzten fünf Jahren im SDS geführt wurden, hervorheben. Feministische Auseinandersetzungen im SDS Quoten Im SDS gibt es immer wieder kontroverse Debatten um die Quotierung von Ämtern wie dem Bundesvorstand. Meines Erachtens sind Quoten wichtig, um zu gewährleisten, dass man am Ende nicht einen Vorstand hat, der nur aus Männern* besteht. Wie weiter oben bereits erwähnt, neigen Frauen* durch ihre Sozialisation eher dazu, sich nicht aufstellen zu lassen. Der SDS ist hier wie so oft Spiegelbild der gesellschaftlichen Verhältnisse. Doch gerade Ämter im Verband, die repräsentativund für die Umsetzung von Projekten verantwortlich sind, sowie relevante politische Entscheidungen zwischen den Bundeskongressen treffen, sollten allen Genoss*innen nicht nur theo-


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retisch offen stehen. Außerdem reden wir hier ja auch nicht über eine Quote für Aufsichtsräte von der nur eine Handvoll privilegierter Frauen* profitiert, sondern von einer Quote die eine Mindestbeteiligung von uns als Genossinnen* sicher stellt. Gegenargumente zur Quote gibt es viele, meines Erachtens sollten diese immer wieder reflektiert werden. Doch die Quote sollte man deswegen nicht aufheben. Ein gewichtiges Gegenargument dazu ist, dass Frauen* häufig bequatscht und unter großen Druck gesetzt werden zu kandidieren, obwohl sie das Amt nicht möchten. Das ist besonders fatal, wenn dies auf mehreren politischen Ebenen gleichzeitig passiert (BuVo, AStA, lokale Gruppe, Partei usw.). So werden Frauen* ausgebrannt. Als ein weiteres Argument kann der Vorwurf angeführt werden, man sei eine Quotenfrau*. Damit wird behauptet, dass eine Frau* nicht wegen ihrer Qualifikation in ein Gremium gewählt wurde, sondern lediglich, weil man noch irgendeine Frau* brauchte, damit noch ein weiterer, ach so qualifizierter, Mann* den Job machen kann. Diese Gegenargumente sollte man nie aus den Augen verlieren, dennoch denke ich, dass dem Verband, sowie der Gleichberechtigung aller Genoss*innen die Aufhebung der Quote schaden würde. Frauen*plena/Frauen*strukturen Immer wieder, besonders bei Bundeskongressen, wird darüber diskutiert, ob Frauen*plena sinnvoll sind oder die Genoss*innen entlang von Geschlechterunterschieden spalten. Meines Erachtens sind eigene Räume nur für Frauen* sinnvoll und wichtig. Die Erfahrung zeigt, dass sich in Frauen*plena auf Bundeskongressen fast alle Frauen* ermutigt fühlen zu reden. Im Großplenum dagegen ist die Zahl der Genossinnen*, die sich zu Wort melden, erschreckend niedrig. Wenn man sich schon mal im Frauen*plenum geäußert hat, ist die Hürde, im Großplenum etwas zu sagen, schon geringer. Auch frauen*spezifische Themen, wie beispielsweise die Frage nach extra Frau-

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en*schlafplätzen, fällt leichter. Die Frage, welche Themen in Frauen*plena besprochen werden, wird zwar auch kontrovers, aber zumeist produktiv geführt. Sollen alle Anträge vorbesprochen werden, oder nur Anträge, die explizit feministische Themen betreffen oder sollen gesellschaftlich aktuelle Debatten geführt werden, soll über weibliche Kandidaturen gesprochen werden oder Texte gelesen werden, über die Basisgruppenpraxis geredet werden oder, oder, oder...? Grundsätzlich ist alles davon sinnvoll - diejenigen Frauen*, die anwesend sind, sollten sich darüber verständigen. Auf den letzten Frauen*plena kam verstärkt der Wunsch auf, nicht immer wieder bei null anzufangen, sondern eine Debatte kontinuierlich weiterzuführen. Dies hat den Vorteil, dass man die Chance hat sich kollektiv weiter zu entwickeln, der Nachteil ist aber, dass es neuen Genossinnen* dann schwerer fällt, in die Debatte einzusteigen. Hier muss noch ein gangbarerWeg gefunden werden. Des Weiteren haben Frauen* auf dem letzten Plenum in Leipzig angestoßen, dass es einen eigenen Mail-Verteiler und/oder eine Facebook-Gruppe für Frauen* geben soll, um sich kontinuierlicher auszutauschen. Das Bedürfnis nach eigenen Frauen*strukturen ist also im SDS durchaus gegeben – dem sollten wir nachkommen. Bis vor drei Jahren veranstaltete der SDS mit der Linksjugend [’solid], im Rahmen des BAK Feminismus, jedes Jahr drei Seminare, welche ausschließlich Frauen* zugänglich waren und die auch nur von Frauen* konzipiert wurden. Viele Frauen* haben darüber einen Einstieg in die Bundesebene der beiden Verbände bekommen und sich selbst weiterbilden können. Dieses Seminarprogramm wieder aufleben zu lassen, wäre sinnvoll.

vorsah eine solche Struktur einzurichten. Es ging darum, Frauen* Schutz bei sexualisierten Übergriffen auf SDS-Veranstaltungen zu bieten. Die Struktur sollte Ansprechpartnerin für betroffene Genoss*innen sein. Der Antrag sah vor, dass ein Awareness-Team alleine im Interesse der betroffenen Person agieren sollte – das kann, von nur zuhören bis Menschen von der Veranstaltung ausschließen, alles sein. Strittig an der Awareness-Struktur war, wie und von wem die Mitglieder dieser Struktur gewählt werden. Darüber hinaus war strittig, ob die Struktur nach dem Definitionsmacht-Konzept handeln sollte (nur die Sicht der Betroffenen ist

stand die Idee der Repolitisierung des Frauen*kampftags und wurde die anschließende Gründung des Bündnisses zum Frauen*kampftag initiiert. Darüber hinaus haben wir theoretisch über aktuelle Themen und Theorien diskutiert, haben einen Reader zu den sogenannten Lebensschützer*innen und dem Recht auf sexuelle Selbstbestimmung veröffentlicht und vielfältige Seminare geplant. Der BAK Feminismus war nie Gegenstand von Kontroversen im SDS. Strittig war lediglich, ob ein gemeinsamer BAK mit [’solid] Sinn macht, da es verschiedene Auslegungen von feministischer Theorie und Praxis gab und gibt. Darüber hinaus

danach legitim). Insgesamt waren einige Genoss*innen auch der Meinung, dass solch eine Struktur für politische Konflikte instrumentalisiert werden würde. Meines Erachtens gibt es bei dieser Frage noch viel Diskussionsbedarf. Wir hatten als SDS bisher kaum Zeit, die Debatte von dem Antrag abgekoppelt zu diskutieren, geschweige denn uns kollektiv in verschiedene Konzepte von Awareness einzulesen.

mangelte es in den letzten Jahren gerade bei den Genossinnen* an Zeit, den BAK am Leben zu erhalten. Beim SozialistischenFeminismus-Seminar im letzten Jahr wurde allerdings angedacht, den BAK neu zu gründen. Meines Erachtens wäre dies sehr wünschenswert. Also gerne bei mir melden, falls ihr Lust habt ;-)

Awareness-Struktur Eine der am kontroversesten geführten Debatten im SDS war wohl die um eine Awareness- Struktur im Verband. 2013 gab es einen Antrag an den Bundeskongress, welcher

Bundesarbeitskreis (BAK) Feminismus Lange Jahre waren Genoss*innen des SDS zusammen mit Mitgliedern der Linksjugend [’solid] aktiv im BAK Feminismus. Der BAK war für alle Geschlechter offen. Hier ent-

Bündnis Frauen*kampftag (F*KT) Die Idee, ein Frauen*kampftags-Bündnis zu gründen, entstand auf einer Zukunftswerkstatt des BAK Feminismus. Ziel war es, den 8.März zu repolitisieren und zu einem Tag zu machen, an dem für mehr als ein paar Blumen gekämpft wird. „Beim ersten Inter-


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nationalen Frauentag 1911 wurden Forderungen nach sozialer und politischer Gleichberechtigung auf die Straße getragen. Auch über hundert Jahre später sind viele Forderungen immer noch aktuell.“9, so unsere Einschätzung 2014. Über die Notwendigkeit eines Frauen*kampftages gab es im SDS keine Streitigkeiten, jedoch über die genaue inhaltliche Ausrichtung. So kritisierten einige Genoss*innen, dass das Bündnis zu wenig in der Tradition der Kämpfe der proletarischen Frauen*bewegung stehe. Darüber hinaus wurde bemängelt, dass zu wenige Gewerkschaften im Bündnis vertreten seien. Wer sich, meines Erachtens, jedoch die Aufrufe und Reden zum 8.März ansieht, wird feststellen können, dass sie an den meisten Stellen in einer marxistisch-feministischen Tradition stehen. Das Bündnis positioniert sich für eine Neuverteilung aller Arbeit, gegen Krieg und Ausbeutung. Haupt- und Nebenwiderspruch Seit Anbeginn des SDS gibt es inhaltliche Debatten um den sogenannten Haupt- und Nebenwiderspruch (diese Debatte ist nicht selten in linken Organisationen). Einige Genoss*innen (M21, Orthodoxere Genoss*innen, SDS Hamburg) vertraten die Position, dass der Konflikt zwischen Kapital und Arbeit der entscheidende Widerspruch in den gesellschaftlichen/kapitalistischen Verhältnissen sei (was m.E. nicht falsch ist). Das Fatale liegt jedoch darin, daraus abzuleiten, dass, wenn wir den Kapitalismus überwinden, automatisch das Patriarchat und die weiße Vorherrschaft gleich mit abgeschafft seien. Daraus kann dann eine Praxis resultieren, die erst mal wenig gegen Sexismus und Rassismus unternimmt. Dem etwas entgegen zu setzen, war einer von mehreren Gründen für die Gründung der Strömung Marxistisch-Feministische Gruppe, der ich selbst angehöre.10 Wir waren wir jahrelang aktiv im BAK Feminismus, sind Mitinitiator*innen des Frauen*kampftags- Bündnisses, treten für Frau-

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en*plena und Quoten ein. Darüber hinaus versuchen wir, Feminismus und Marxismus theoretisch zu verbinden: bei Bildungsveranstaltungen wie der Sommerakademie oder dem Sozialistischen Feminismus-Seminar. Durch unser beharrliches Agieren konnte die Debatte in den letzten Jahren im SDS verschoben werden, kaum Genoss*innen vertreten heute noch die These vom Haupt- und Nebenwiderspruch. Meines Erachtens hat der SDS hier einen kollektiven Lernprozess durchlaufen. Daher war es auch möglich, vor noch nicht all zu langer Zeit einen einstimmigen Beschluss zu Sozialistischem Feminismus zu fassen. Im Beschluss heißt es: „[D]ie große Gemeinsamkeit im sozialistischen Feminismus ist der Versuch, alle Ebenen der gesellschaftlichen Verhältnisse zusammen zudenken und Feminismus als Kampffeld mit anderen Kämpfen zu verbinden. Die Betonung liegt hierbei auf der Annahme, dass weder ein alleiniger Fokus auf die materielle Basis, als auch nur auf den ideologischen Überbau, ausreicht, um Frauenunterdrückung genügend zu analysieren. […] Was zeigt uns die Analyse der Frauenunterdrückung im Kapitalismus für politisches Handeln: Für einen sozialistischen Feminismus müssen Kämpfe der Frauenbewegung und der Arbeiterbewegung in einem Bündnis zusammenfallen um zu wirklicher Veränderung zu gelangen. Die Erfolge der historischen Arbeiter_innenbewegung und Frauenbewegung haben gezeigt, dass Veränderung möglich ist. Diese Kämpfe dürfen nicht isoliert voneinander betrachtet werden.“11

le wie marxistische Analyse der derzeitigen Verhältnisse zu liefern und konkrete Projekte zur Überwindung zu entwickeln, und uns auch selbst dementsprechend zu verändern, ist eine Aufgabe, die uns lange begleiten wird. Es geht um alles, darum, „… alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.“12 Der SDS sollte weiterhin den Weg gehen, eine emanzipatorischen Klassenpolitik mit Leben zu füllen, gemeinsam mit der Partei und dem Jugendverband. Denn „die Linke hat auch zu wenig wahrgenommen, wie Macht- und Herrschaftsverhältnisse die ArbeiterInnenklasse selbst durchziehen und prägen. Marx spricht das im „Kapital“ sehr deutlich an: Die Männer* verkaufen die Arbeit ihrer Frauen und Kinder, wie wenn diese Sklaven wären – und dennoch bezieht er das Geschlechterverhältnis, die generative Reproduktion und damit das ganze Feld bürgerlicher Einwirkungen auf die ArbeiterInnen durch Moralisierung der Familie und Sexualität nicht in seine Betrachtung ein. Historisch war die ArbeiterInnenklasse kaum jemals nur ‚national‘ zusammengesetzt, immer wurden auch migrantische Arbeitskräfte eingesetzt. Indem einem Teil der ‚eingeborenen‘ und städtischen ArbeiterIn-

(Kommende) Herausforderungen über uns hinaus zu wachsen

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um

Ich habe nun viel über die feministische Praxis im SDS geschrieben, dort hat der SDS sich schon emanzipatorisch weiterentwickelt. Doch hat der Verband kollektiv erst angefangen am Thema antirassistische/ rassismuskritische Praxis und Theorie (je nach dem) zu arbeiten. Eine intersektiona-

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6 7 8 9 10 11 12 13

nen eine Aufsichtsfunktion, ein Kommando über die Arbeit der anderen, bessere Bezahlung, bessere Wohnungen und Aufstiegsmöglichkeiten für die Kinder gewährt wird, wird die ArbeiterInnenklasse hierarchisiert und gespalten. Doch die Erfahrungen der vielen Formen von Andersheit, der vielen Identitäten und Lebensformen können auch eine bereichernde Erweiterung des Blicks darstellen - eine Erweiterung, die auf eine neue Form von Klassenpolitik zielen kann. Solch einer neuen Klassenpolitik ginge es nicht um eine Reduktion auf nur eine Gruppe von Lohnabhängigen – die Industriearbeiter, die Prekären - oder um die Festlegung auf eine gemeinsame Identität der Klasse, sondern vielmehr um die Perspektive einer neuen Produktions- und Lebensweise, um die komplexe Verknüpfung der verschiedenen Formen der Beteiligung an der gesamten gesellschaftlichen Arbeit.“13 In diesem Sinne sollten wir Klassenkämpfe und Emanzipationskämpfe zusammen denken und zusammen angehen. Liebe Genoss*innen, es gibt noch viel zu tun. Packen wir‘s an, denn der SDS wird sozialistisch-feministisch sein, oder er ist nicht!

Rede von Helke Sander (Aktionsrat zur Befreiung der Frauen) auf der 23. Deligiertenkonferenz des „Sozialistischen Deutschen Studentenbundes“ (SDS) am 13. September 1968 in Frankfurt(Main), online unter: http://www.1000dokumente.de/ pdf/dok_0022_san_de.pdf, 20.07.2017. Ebd. Meinhof, Ulrike: Die Frauen im SDS oder In eigener Sache, aus: Anders, Ann(Hg.): Autonome Frauen. Schlüsseltexte der Neuen Frauenbewegung seit 1968, Frankfurt(Main) 1988, S. 48-51. [zuerst 1968] [Online unter: http://www.glasnost.de/ hist/apo/weiber2.html, 27.07.2017.] Vgl. http://www.linke-sds.org/fileadmin/linke.sds/Material/Frauen_in_Bewegung_-_Seminar_Reader_-_klein.pdf, 20.07.2017. Vgl. http://www.linke-sds.org/fileadmin/linke.sds/Material/Fuer_einen_feministischen_SDS.pdf, 20.07.2017. Haug, Frigga: Die Vier-in-einem-Perspektive. Politik von Frauen für eine neue Linke, Hamburg 22009, S. 296 f. Vgl. auch: Gossen, Tatjana: Bodenständig und voller Hoffnung. Frigga Haugs „Vier-in-einem-Perspektive“, praxis. Theoriemagazin von Die Linke.SDS, 1(7).2011, S. 16-18. Namen von Theoretiker*innen in den Raum stellen, ohne noch mal zu erklären, was sie gesagt haben. Doppelt quotierte Erstredner*innenliste, Redezeitbegrenzung, Rotation von Aufgaben, rundenbasierte Diskussionen, Frau en*plena usw. Viele dieser Ideen findet ihr zum Nachlesen ab Seite 13 in folgendem SDS Reader von 2010: http://www.linke-sds.org/fi leadmin/linke.sds/Material/Fuer_einen_feministischen_SDS.pdf, 27.07.2017. Aufruf zur Frauen*kampftagsdemonstation 2015. Online unter: http://www.frauenkampftag.eu, 20.07.2017. Vgl. http://marxismus-feminismus.de, 20.07.2017. http://www.linke-sds.org/die_linkesds/beschluesse/17_bundeskongress_januar_2016/#c14036, 20.07.2017. Marx, Karl: Zur Kritik der Hegeischen Rechtsphilosophie. Einleitung, aus: Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED(Hg.): MEW. Band 1, Berlin(Ost) 131981, S. 385. Demirović, Alex: Die Zumutungen der Klasse. Vielfältige Identitäten und sozialistische Klassenpolitik, in: realistisch und radikal. Das Debattenmagazin der Sozialistischen Linken, 1(7).5(2017), S. 17.


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Thesen zum Bundesparteitag 2017 Bundesvorstand

tisch?

-

Bei allen Wahlen der letzten Jahre schnitt DIE LINKE besonders stark in Unistädten ab. In NRW erzielte sie ihre 22 besten Ergebnisse in den Wahlkreisen, die Unistädte sind. Das zeigt: DIE LINKE bekommt gerade besonderen Zuspruch von jungen Wähler_innen. Unter diesen Wähler_innen hat sie oft die größten Zustimmungswerte. Damit liegt DIE LINKE europaweit im Trend. Überall strömen gerade junge Akademiker_innen in die linken Parteien – in Deutschland tun sie das noch etwas weniger als anderswo. Auf der anderen Seite verliert DIE LINKE unter Arbeiter_innen und Angestellten oder kann von den massiven Verlusten von SPD, Piraten und Grünen kaum profitieren. Im Anschluss an die „überraschende Wiederentdeckung der Arbeiterklasse“ durch das bürgerliche Feuilleton und Teile der deutschen Linken durch Didier Eribon kursieren allerhand abenteuerliche Theorien. Mal sind die Linken am Aufstieg der Rechten schuld, mal ist es zuviel Feminismus und Gedöns, in jedem Fall ist das mit den Akademiker_innen schlecht. Was ist dran? 2. Studierende vs. Arbeiterklasse? Mittlerweile fangen 45% eines Jahrgangs an zu studieren und etwa ein Drittel schließt ein Studium ab. Zum Vergleich: 1968 waren es gerade mal 6%. Das Studium ist damit zwar immer noch ein Privileg, gleichzeitig ist es aber auch ein Massenphänomen geworden. Ein Studium bedeutet für Viele auch nicht mehr einen gesellschaftlichen Aufstieg zu erreichen. Die meisten werden mit einem Studium gerade so den Lebensstandard ihrer Eltern halten können. Viele Studierende landen in Dienstleistungsberufen und das Gros verdient später weniger

als Facharbeiter_innen bei VW oder Daimler. Nicht wenige sind prekär beschäftigt, unfreiwillig in Teilzeit oder hangeln sich von Job zu Job oder von Projekt zu Projekt. Natürlich sind viel weniger Studierende davon betroffen als Lohnabhängige – hier soll kein schiefes Bild entstehen. Uns geht es nicht um ein Gegeneinander, sondern darum, dass die LINKE der Ort sein sollte, wo prekär Beschäftigte, wie auch Studierende aufeinander treffen und eine gemeinsame Praxis entwickeln können. Und zur Info: Im SDS und der Partei werden überproportional viele Studierende mit Arbeiterklassenhintergrund aktiv. Das ist sicher kein Zufall. 3. Studierende als Problem? Alle größeren Bewegungen der jüngeren Zeit sind maßgeblich von Studierenden getragen worden: Occupy, nuit debout und auch die neueren Linksparteien Podemos, Syriza. Ebenso bestehen die Unterstützer_ innen von Sanders und Corbyn aus vielen Studierenden. Das liegt natürlich auch daran, dass Studierende mehr Zeit haben als Vollzeitserwerbstätige mit Kind. Doch steckt in vielen gut qualifizierten jungen Leuten wirklich ein Problem? In den letzten beiden Jahren sind über 5000 Menschen unter 35 Jahren in DIE LINKE eingetreten. Das ist fast ein Zehntel der Parteimitgliedschaft. Doch keiner sagt, dass dieser Trend anhält. Bis jetzt ist die Zustimmung zur LINKEN noch äußerst fragil. Wir meinen: Die Partei bindet diese jungen Leute bislang viel zu wenig ein. Wenn schon junge Leute zu uns kommen, sollten wir uns doch um sie kümmern und ihre Qualifikation nutzen statt nur Debatten über die anzustellen, die nicht kommen!

Unser Eindruck ist, dass wir gerade in den

36 städtischen Kreis- und Bezirksverbänden einigen Zulauf von Pflegekräften, Sozialarbeiter_innen und KiTa-Erzieher_innen haben. Warum versuchen wir als LINKE nicht hier mehr Angebote zu schaffen statt nur über das ausbleiben klassischer Arbeiter_innen zu klagen. Gerade in den sozialen Berufen und im Öffentlichen Dienst sind die Druckmittel der Beschäftigten viel schwächer als am Fließband – wo ein kleiner Teil der Beschäftigten die ganze Fabrik stilllegen konnte. Und natürlich sind die Streiks im ÖD, im Nahverkehr, der KiTa und im Krankenhaus unbeliebter. Nicht zuletzt spart der Staat sogar Geld, wenn hier gestreikt wird. Aber gerade deswegen sind Streiks in diesen Berufe auf politischen Druck angewiesen. Der Dienstleistungsbereich und die Gewerkschaften (ver.di, NGG und GEW) müssen hier viel politischer agieren. Ist das nicht auch eine Chance für DIE LINKE und ihre Jugendverbände? 5. Die Akademiker_innen werden es schon richten oder was wirklich hilft Natürlich ist es ein massives Problem, wenn DIE LINKE nur aus Akademiker_innen und einigen Angestellten besteht. So lässt sich gesellschaftlich nicht viel durchsetzen. Aber wer wirklich mehr Arbeiter_innen oder sogar andere Schichten einbinden will, sollte sich mal mit die Ergebnisse Vergleichender Parteienforschung anschauen. Bei so gut wie allen linken Parteien in Europa ist die Sozialstruktur der Mitglieder fast identisch mit der Sozialstruktur der Wähler_innen. Wer also mehr Wähler_innen unter Arbeiter_innen und Arbeitslosen will, sollte sie in die Partei holen. Die historischen kommunistischen Parteien haben immer darauf geachtet, dass Arbeiter in den Vorständen und den Parlamenten vertreten sind. Nur durch ein anderes Botschaftenmanagement und schöne Absichtsbekundungen a la „wir sollten mal“, „es wäre gut, wenn“ ändert sich gar nichts! Viele Menschen haben sich zudem kom-

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plett von der Politik abgewandt. Über Talkshows, Zeitungen oder Facebook werden wir diese nicht erreichen. Alle Studien zur Parteimitgliedschaft zeigen: Akademiker_ innen kommen und gehen schnell. Frauen und Genoss_innen mit Mittlerer Reife oder Hauptschulabschluss treten zwar weniger ein, bleiben dann aber viel länger als die eher treulosen Akademiker_innen. Und gerade sie legen viel mehr Wert auf Geselligkeit und Kultur als auf Ämter oder Politkarrieren. Wenn DIE LINKE also andere Schichten UND Frauen ansprechen will, muss sie zusätzlich zu den üblichen Politikangeboten weitere Möglichkeiten der Beteiligung und des Beisammenseins schaffen. 6. Zu viel Feminismus und Gedöns? Also ganz ehrlich: Wann haben sich denn linke Parteien mal zuviel um Feminismus, Sexismus, Rassismus und Gedöns gekümmert? Ist das Problem nicht vielmehr, dass diese Themen völlig einseitig behandelt werden? Zugespitzt: Was kümmert uns die Frage von Quoten in Aufsichtsräten? Viele alleinerziehende Mütter haben gleich mehrere Jobs. Viele „Frauenberufe“ werden immer noch viel schlechter bezahlt als vergleichbare Arbeiten von Männern. Wer thematisiert diese Anliegen? Was uns fehlt, ist eine Idee, wie wir über Quoten hinaus einen feministischen Kampf führen können. Was wir verstärkt brauchen ist ein Konzept von Kämpfen, wie sie gerade im Gesundheitsbereich (Care-Sektor) stattfinden. Ein Kampf um mehr Personal in den Krankenhäusern, ist zugleich ein Kampf der Beschäftigten für bessere Arbeitsbedingungen, ein Kampf um die Anerkennung von „frauentypischen“ Berufen und außerdem ein gesamtgesellschaftlicher Kampf für bessere Gesundheitsversorgung allgemein! Das Problem der LINKEN ist, dass das Einsetzen für Feminismus oder gegen Rassismus oft ein rein abstrakter Kampf in Form von Forderungen bleibt. Wenn die Debatte zu Eribon eines gezeigt hat, dann dass beide Fälle zu


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kritisieren sind: eine LINKE, die nur isolierte Umverteilungsforderungen stellt und einem jungen Schwulen keinen Platz bietet, wie auch eine neoliberale Identitätspolitik, die Klassenunterschiede der Gesellschaft und die Arbeiter*innenklasse als Ganzes vergisst. Es gilt die soziale Frage wieder dialektisch und in ihrer ursprünglichen Breite zu denken: dem gemeinsamen Kampf für ein besseres Leben. Das Gleiche gilt allerdings auch, insbesondere in Hinblick auf den sich verfestigenden Rechtsruck der Grünen, auch für Umweltaktivist_innen. Nicht nur, dass die Zerstörung des Planeten durch unserer Wirtschaftssystem, heute für viele junge Menschen einen Einstieg in antikapitalistisches Denken bietet. Vielmehr wenden sich viele dieser Menschen zunehmend von den Grünen ab. Bei der Wähler_innenwanderung der letzten Jahre war dies in den großen Städten bereits zu beobachten, bei den (jungen) Mitgliedern steht uns dies noch bevor. Es ist daher auch Aufgabe der LINKEN all diese Gruppen in ein antineoliberales und antikapitalistisches Projekt einzubinden. 7. Bruch mit dem Neoliberalismus und aktivierende Ansprache Die große Hoffnung, die Personen wie Sanders, Corbyn und auch Melenchon in vielen, besonders jungen, Menschen auslösten, war und ist die reale Möglichkeit der Veränderung. Der Bruch mit dem neoliberalen „Weiter so“ treibt Viele an und motiviert sie. Nun treten die genannten Personen alle in Staaten mit Mehrheitswahlrecht an und eine Personenwahl verändert dort viel mehr (und spitzt stärker zu). Und es motiviert die meisten Menschen mehr jemanden in das Amt des Präsidenten oder Premiers zu hieven als DIE LINKE mit 1 oder 2 Prozent mehr ins Parlament zu schicken. Das wissen wir. Aber in Zeiten des Vertrauensverlustes in die Politik und zunehmender Parteienverdrossenheit ist es wichtig glaubwürdig zu sein. Symbolpolitik wiegt daher manchmal schwerer als die reine Sachabwegung – weil die sich oft kaum vermitteln lässt. Glaub-

37 würdigkeit muss also auch heißen das öffentlich inszenierte „Nein“ und den offenen Bruch mit neoliberalen Reformen, Abschiebungen und Schuldenbremsen auch in Regierungsbeteiligen umzusetzen. Wer neue Menschen gewinnen will, muss klar sein und zuspitzen (ohne dabei sektererisch zu sein). Und was wir von Corbyn und Sanders lernen können, ist die aktivierende Ansprache. Sanders hielt keine Rede ohne das Publikum direkt zum Aktiv werden aufzufordern. Auf dich kommt es an. Das Gefühl vermitteln wir noch viel zu wenig. Wir als kleine linke Partei werden es alleine nicht schaffen. Wir müssen mehr werden!

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Was es heißt, heute SozialistIn an der Hochschule zu sein marx21 Studis

Wir wollen auf dem Politikforum diskutieren was wir uns unter dem SDS vorstellen und was für Strategien es für diesen Verband geben kann. Als Orientierung wurden drei Fragen formuliert: Was ist die Klassenlage von Studierenden? Wie werden sie politisiert und aktiv und was hat das mit dem Winterpalais und der Revolution zu tun? Wir hatten zunächst überlegt, alle Fragen einzeln zu beantworten. Schlussendlich sind wir jedoch zu der Ansicht gekommen, dass es sinnvoll sein könnte nochmal grundsätzlich zu fragen: Was heißt es eigentlich SozialistIn zu sein? Wir sind schließlich im Sozialistisch-Demokratischen Studierendenverband organisiert. Was unterscheidet uns also von einer einfachen „linken Gruppe“ an der Hochschule? Was macht SozialistInnen aus und vor allem wie greifen sie in die Gesellschaft ein? Kurz: wie verändern wir die Welt?

1. SozialistInnen müssen die Übel in der Welt in ihrem Zusammenhang unter suchen und begreifen SozialistInnen versuchen die Welt im Verhältnis zum Kapitalismus, Frauenunterdrückung und Sexismus im Verhältnis zur kapitalistischen (Re-)Produktionsweise und die sogenannte Flüchtlingskrise im Verhältnis zum Imperialismus zu verstehen. Die Dinge im Verhältnis zu verstehen, bedeutet nicht, die Übel auf eine einzige Ursache zu reduzieren, oder sie aus einer einfachen Tatsache abzuleiten, sondern sie in ihrer Systematik, in ihrem Verhältnis zu erkennen. Plastisch gesagt: Um die Uni zu verstehen muss man ihre Funktion innerhalb

des Kapitalismus einordnen, Für diese Art der Analyse gibt es für uns drei größere Anhaltspunkte: A: die kapitalistische Gesellschaft als wesentlicher Rahmen B: Ausbeutung als sozialer und ökonomischer Bestandteil dieser Gesellschaft und C: Unterdrückung, die das Fundament der Gesellschaft – die sozialen Beziehungen - in sozialer, ideologischer, religiöser, ökologischer etc. Art und Weise strukturiert. Die Dinge im Zusammenhang zu begreifen, bedeutet auf den Zusammenhang von Ausbeutung und Unterdrückung hinzuweisen und aus diesem Zusammenfügen Schlussfolgerungen über die Konstitution der kapitalistischen Gesellschaft zu ziehen um sie zu kritisieren. 2. Als SozialistInnen sind wir davon über zeugt, dass die Welt durch Menschen gemacht ist, und daher veränderbar ist Zentral für SozialistInnen ist die Fähigkeit der Antizipation: die Grenzen des Gegebenen sind für uns nicht die Grenzen des Möglichen. Als SozialistInnen arbeiten wir nicht nur mit den gegebenen Bedingungen, wollen nicht nur “das Elend verwalten”, sondern wir sind davon überzeugt, dass es ein „Noch-Nicht“ (Ernst Bloch) gibt, etwas Mögliches, Progressives, das in den gegebenen Umständen irgendwie angelegt ist und in der Zukunft existieren kann. Dieses “NochNicht” müssen die Menschen gemeinsam entwickeln, erarbeiten und vor allem erstreiten. Dabei gehört beides fast untrennbar zusammen: jeder Kampf um Reform, jeder Streit für die Verbesserung der gegebenen Verhältnisse hat das Potential, das


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Selbstbewusstsein für kommende und größere Auseinandersetzungen oder gar für die revolutionäre Situation zu stärken. Die Aufgabe von SozialistInnen muss es daher auch sein, vermeintlich kleine Kämpfe im Hier und Jetzt ernst zu nehmen, sie jedoch in das größere Bild einzuordnen. 3. Das heißt in der Praxis: SozialistInnen kämpfen für die Selbstermächtigung aller und sind keine StellvertreterInnen SozialistIn zu sein heißt also nicht einfach klugscheißend durch die Welt zu rennen und den Anderen zu erzählen, dass es jetzt aber mal höchste Eisenbahn wäre Marx zu verstehen. SozialistIn zu sein, bedeutet für die Selbstermächtigung der Menschen zu kämpfen. Wir retten nicht für die anderen die Welt, wir sind keine Märtyrer, sondern streiten mit den unterdrückten und ausgebeuteten Menschen für eine bessere Welt. Deshalb ist eins der wichtigsten Ziele, gemeinsame Kämpfe zu führen. Wir haben auch keine wie Marx sagt „fix und fertige Utopie“ mit der wir in die Welt treten, sondern wollen gemeinsam eine solche mit allen anderen entwickeln. Das heißt nicht, dass wir keine Vorstellung von dieser möglichen Welt haben. Unser Ziel ist die klassenlose Gesellschaft. Unsere Überzeugung ist aber, dass die Befreiung der ArbeiterInnenklasse nur das Werk der ArbeiterInnenklasse selbst sein kann, Veränderung muss von unten erkämpft werden

Selbsthilfe war. Nach Gramsci ist für organische Intellektuelle vor allem ihre organisierende Funktion zentral. Gemeint sind damit Leute die das alltägliche Handeln und Weltbilder von Menschen in ihrem Umfeld beeinflussen. Linke organische Intellektuelle handeln dabei emanzipatorischer als andere. Für uns bedeutet dies konkret, dass wir versuchen als sozialistische organische Intellektuelle viele Leute zu erreichen, diese für wirkliche Auseinandersetzungen zu gewinnen und für sozialistische Perspektiven zu begeistern. Eine SozialistIn kämpft also dafür, alle erdenklich geführten Kämpfe zu bündeln und diesen eine Führung zu bieten. Unter Führung verstehen wir dabei jedoch nicht, die Befehle zu geben und zu erwarten, dass diese mechanisch ausgeführt werden. Stattdessen geht es darum konkrete Angebote zu machen, diese mit den Aktiven zu diskutieren und dann gemeinsam anzugehen. Das heißt auch, dass SozialistInnen dafür kämpfen, dass Führung nicht aufgrund von Posten und Ämtern entsteht, sondern durch die individuellen Fähigkeiten, die je nach Situation angewandt werden können. Jede Genossin, jeder Genosse sollte deshalb dazu befähigt werden, wichtige Aufgaben zu übernehmen und ihr oder sein Wissen weiterzugeben, sowohl in der praktischen Arbeit, als auch auf der theoretischen Ebene.

4. Die Rolle einer SozialistIn in diesen Kämpfen um Selbstermächtigung, ist die einer Hilfe zur Selbsthilfe:

Protest und Widerstand im Aufbau von Organisationen, Netzwerke und Bewegungen

Wie auch in der Theorie und Analyse der Klassen- und Kräfteverhältnisse geht es in der konkreten Praxis um das Zusammenfügen, um das Vermitteln verschiedener individueller Erfahrungen zu kollektiven Kämpfen. Als organische Intellektuelle (Gramsci) nehmen wir dabei die Funktion einer Hilfe zur

Erst in der gemeinsamen Organisierung und kollektiver Praxis können Menschen die alltägliche Konkurrenz überwinden, Erfahrungen verallgemeinern und gemeinsam Perspektiven entwickeln. Es gilt Räume zu schaffen für die Analyse der Welt und Aneignung marxistischer-sozialistischer Theorien und Menschen einen Raum für Selbst-

40 ermächtigung zu bieten. Im Kollektiv zu lernen und Gegenmacht zu erfahren, sind die Basis für das Entwickeln einer Strategie hin zum “Noch-Nicht”, hin zu einer sozialistischen Weltordnung. Gerade deshalb ist es uns wichtig, uns um ein aktives Verhältnis zu Protesten, Streiks und Initiativen zu bemühen, gleichzeitig aber dabei eine gewisse Autonomie als Organisation zu bewahren um Handlungsfähig zu bleiben. Es geht uns darum, nicht sektiererisch gegenüber Menschen zu sein, die unsere Positionen nicht teilen und dabei gleichzeitig dennoch unsere Positionen und Vorschläge in Kämpfen mit ihnen stark zu machen und sie von einer linken Gesellschaftsperspektive zu überzeugen. der Hochschule zu sein? Was ist nun die Grundlage für einen sozialistischen Studierendenverband? Wir reden hierbei nicht nur über einen „Sozialistischen Verband“. Die Besonderheit des SDS liegt in zwei Punkten: A. Wir organisieren Studierende: das heißt zunächst, dass unsere Organisation aus einem bestimmten sozialen Milieu besteht, mit Vor- und Nachteilen für sozialistische Organisierung. B. die „Zielgruppe“ findet sich natürlich oft im konkreten an der Uni, dort sind wir aktiv, dort bauen wir auf. Aber wie oben beschrieben, sehen wir als SozialistInnen die Zusammenhänge. Wir sehen zum einen die Studis an der Uni, aber auch ein Studierendenverband kann und sollte über das Studi-Milieu hinaus Wirkung entfalten, in die Partei, ArbeiterInnenklasse usw. Wir wollen als SozialistInnen über die Uni hinauswirken. So hat Wolfgang Abendroth schon 1962 in der Zeitung des SDS „Neue Kritik“ die Rolle der Studierenden umrissen: „Aufgabe sozialistischer Studentengruppen muss es deshalb sein, darauf zu achten, dass sie nicht ihre kritischen Diskussionen untereinander und die an sich sehr notwendige Diskussion

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um die Form ihrer Ausbildungsstätten für den Nabel der Welt halten. Es kommt darauf an, die Kommunikation zwischen diesen kritischen Intellektuellen und der Masse der Bevölkerung, die allein für Demokratie und soziale Umgestaltung kämpfen kann, zu erhalten.“ In welchem ökonomischen Umfeld, in welcher Klassenlage finden diese Aufgaben und Herausforderungen für einen sozialistischen Studierendenverband aber nun genau statt? 1. Gesellschaft und Hochschule im Zusammenhang begreifen Die Hochschule befindet sich nicht im luftleeren Raum. Sie beeinflusst die Gesellschaft um sie herum (sowohl mit progressiven, aber ebenso mit reaktionären Ideen), aber noch viel mehr ist sie von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen abhängig. Lehre und Forschung leiden unter dem Diktat der Schuldenbremse, unter den strikten Vorgaben der Bologna-Reformen, unter ganz konkreten ökonomischen Zwängen (wie etwa Hörsaal-Mangel, oder einer dünnen Personaldecke bei Dozierenden), aber auch unter dem monotonen „Bulimie“-Lernstil des BA/ MA-Systems, dass kaum Freiraum für kritische (Aus)bildung lässt. Die heutige Massenuniversität hat ein gutes Stück dazu beigetragen den elitären Nimbus der Hochschule zu brechen. Zwar ist es immer noch ein gesellschaftliches Privileg und Kinder aus MigrantInnen und ArbeiterInnen-Familien haben immer noch bedeutend weniger Chancen einen akademischen Abschluss zu erreichen und dennoch: bei 2,8 Millionen Studierenden im Wintersemester 2016/2017 (noch 1970 waren es knapp über 400.000) und einer Quote über 50 % eines Jahrgangs die studienberechtigt sind (1970: 11 %), wird die Hochschule gesamtgesellschaftlicher und damit auch die dort gestellten Fragen und vor allem die dort auftauchenden Probleme, Sorgen,


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Nöte und Klassenstrukturen. Sind Studierende von heute also einfach Teil der ArbeiterInnen? Ganz so einfach ist es dann natürlich nicht. Wie oben schon beschrieben, bedeutet Studieren (im Vergleich zur Lohnarbeit), in den meisten Fällen eine etwas freiere Möglichkeit zur Einteilung der Lebenszeit, damit die Möglichkeit zu mehr politischer oder auch kultureller Teilhabe. Doch zugespitzt gefragt: können Studierende von dieser Teilhabe ihre Miete bezahlen? Können sie aufgrund dieser Privilegien jedes Semester für steigende Verwaltungsgebühren aufkommen? Zu kämpfen haben Studierende objektiv also vor allem mit ihrer Lage während des Studiums. Der Wohnraum wird teurer und knapper, die Bafög-Förderungsquote ist an einem Tiefpunkt angelangt und hält kaum mit steigenden Lebenshaltungskosten Schritt. Nebenjobs sind dementsprechend während des Studiums nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Das war zwar auch schon früher so, aber in Kombination mit dem extrem angespannten Zeitmanagement der heutigen Studiengänge führt das zu enormem Stress, bis hin zu psychischen Erkrankungen. So gab 2016 jede/r zweite Studierende an, unter hoher Stressbelastung zu leiden, jede/r Vierte hat sich psychologisch beraten lassen. Das sind die krassen Rahmenbedingungen unter denen Studium heute für viele stattfindet. Hinzu kommen Spaltungen der Studierenden untereinander. Ungeachtet dessen, dass der Bildungssektor insgesamt unter der Kürzungspolitik leidet, befördert u.A. die Exzellenzinitiative eine starke Unterscheidung auch zwischen den Studiengängen. Eine weitere Ausdifferenzierung findet in der Teilung zwischen Fachhochschulen und Universitäten statt1 . Beispielsweise findet sich die “Elite” mit akademisch-bürgerlichen Hintergrund eher im Medizinstudium an der Uni wieder, die SchulabgängerInnen

41 aus den “unteren Milieus” eher an der Fachhochschule im Fach Gesundheitswesen. Studierende sind also sowohl von der Uni, als auch von der Gesellschaft als Ganzes geprägt und beeinflusst. 2. Selbstermächtigung und Aktivierung an der Hochschule Die Crux für viele linke Bewegungen und Organisationen: Es besteht kein direktes Verhältnis zwischen objektiver Lage und subjektivem Empfinden. Die Feststellung, dass es nach wie vor eine massive ArbeiterInnenklasse an sich gibt, führt nicht automatisch zu einem Bewusstsein der Klasse für sich. Ebenso entspricht es nicht unserer Erfahrung, dass Studierende die unmittelbar eigene Lage als das drängendste Thema für eigene politische Aktivität empfinden. Was die soziale Lage angeht, erscheint es sogar oft gegenteilig: auch wenn die nackten Zahlen für eine Verschlechterung sprechen, wird das Studium immer noch als eine Art Zwischenphase verstanden, in der man Entbehrungen auf sich nimmt, während scheinbar am Horizont der Abschluss und der gut bezahlte Job wartet. Verheißt das für uns als sozialistischer Studierendenverband schlechte Perspektiven? Mitnichten! Apathisch ist die junge Generation nicht. Wenn wir über den großen Teich schauen, stehen wir manchmal mit offenen Mündern da, ob der Organisierungskampagnen wie bei Bernie Sanders. Hunderttausende junge Menschen begeistern sich für linke Ideen. John McDonell von der britischen Labour-Partei und einer der engsten Verbündeten Jeremy Corbyns brachte es in einer Rede auf dem Kongress der Partei auf den Punkt: „[We] no longer need to whisper the word ‚socialism‘“. Linke Ideen sind gerade bei denen auf dem Vormarsch, die die “Soziale Marktwirtschaft” nur noch aus Erzählungen kennen. Aber es sind eben nicht ausschließlich (oder manchmal überhaupt nicht) die vermeintlich klassischen, linken

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42 Themen, die sagenumwobene „soziale Frage“, die die jungen Menschen auf die Straße treibt. In Deutschland etwa erleben SPD und LINKE neue Eintrittswellen im Zusammenhang mit den Wahlerfolgen von AfD und Trump. Manchmal ist ein vager Antirassismus der Grund, manchmal ist es die Hoffnung auf ein anderes Europa, manchmal der Wunsch Wale zu retten und manchmal selbstverständlich auch ganz klassisch die Frage nach sozialer Gerechtigkeit. Oft schmecken uns diese diffusen Antworten nicht. Anstatt uns aber in die linke Wagenburg der wahren Lehre zurückzuziehen, müssen wir überlegen, wie wir den Veränderungswillen dieser vielen jungen Menschen fokussieren und mit einer sozialistischen Perspektive verbinden können. Die Frage lautet also: Wie durchbrechen wir einen Widerspruch von Revolutionsromantik, Reformismus-Illusion und individualistischer Konsumkritik? Wie gehen wir damit um, dass dieselbe Person, die ehrenamtlich Geflüchteten Deutschkurse anbietet, im nächsten Moment Martin Schulz wählt, obwohl dessen Partei den tausendfachen Tod von Menschen im Mittelmeer mitverschuldet und kein Problem damit hat, weiterhin Waffen und Krieg in die Herkunftsländer der Geflüchteten beim Deutschkurs zu exportieren? Studierende haben einerseits, wie wir alle, ein widersprüchliches Bewusstsein. Andererseits haben sie die Möglichkeit in der Uni und darüber hinaus sich selbst und die Gesellschaft zu verändern. Wenn wir als SozialistInnen nur danebenstehen, wenn unser Anker nicht bei den Studierenden liegt, die etwas ändern wollen, sondern tief und fest im wöchentlichen Plenumsraum begraben liegt, dann werden wir nicht vorankommen. Von einer sozialistischen Perspektive können wir die eigenen Kommiliton*innen nämlich vor allem dann überzeugen, wenn wir uns in der Wirklichkeit, d.h. in konkreten Kämpfen am Campus und darüber hinaus, als treibende Kraft der Veränderung bewei-

sen. 3. Aufbau und Aufgaben des SDS Eine Antwort ist: Studierende sowohl an ihren unmittelbaren ökonomischen und politischen Interessen zu organisieren und gleichzeitig in unsere Praxis einfließen zu lassen, dass sich Studierende als AkteurInnen in der Gesellschaft begreifen. Einfach ist das nicht, aber wir sollten es vielmehr als Chance begreifen, denn als Gefahr. Erst wenn es gelingt eine sozialistische Gegenhegemonie zu schaffen, die Studierte und nicht Studierte umfasst, werden wir gemeinsam in der Lage sein, große Veränderungen zu erkämpfen, als linker Studierendenverband können wir dabei ein zentraler Akteur sein. Wir haben eine Idee von Gesellschaft, die wir nicht verlieren dürfen, nur um Menschen zu gefallen. Es ist die Idee einer Gesellschaft der Vielen, über die Ideen der Gesellschaft der Wenigen, die Idee einer Gesellschaft, in der wir demokratisch und kollektiv über unsere Bedürfnisse entscheiden können und in der die Ausbeutung der ArbeiterInnenklasse ein Ende hat, also schlichtweg eine solidarische Gesellschaft fernab des Kapitalismus. Doch eben dieser Kapitalismus produziert Widersprüche am laufenden Band und Menschen sind sehr unterschiedlich von den jeweiligen Widersprüchen betroffen. Was die meisten teilen ist ihre Klassenlage. Spezieller wird es bei Themen wie Rassismus, Sexismus und vielen anderen Unterdrückungsformen. Die gesellschaftliche Linke macht dabei wiederholt den Kardinalfehler, die ökonomische Ausbeutung und die Unterdrückung anhand von Hautfarbe, Religion, Geschlecht usw als zwei unabhängige Auseinandersetzungen zu behandeln und im schlimmsten Fall nur eine Auseinandersetzung in den Fokus zu nehmen. Ob rassistische Ausführungen in der Vorlesung, sexistische Sprüche im Seminar, eine


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Mensa-Preiserhöhung, die Bundeswehr auf RekrutInnen-Fang oder eine AfD-Veranstaltung in der Stadt - als SDS sollten wir vor Ort sein, wenn Unterdrückung und Ausbeutung zu Tage tritt. Dabei wollen wir vor allem eines: Studierende zusammenbringen und Perspektiven aufzeigen. Das hat drei konkrete Folgen: 1. Wir müssen sehr präsent am Campus und im Austausch mit möglichst vielen Studierenden stehen. 2. Wir müssen besser darin werden, Protest und Widerstand zu organisieren. Wie gehe ich auf Leute zu und motiviere sie mit zur Demo oder zum Flashmob zu kommen? Welche Aktionsformen passt zu welchem Anlass, was können wir Neues ausprobieren? Und wie melde ich überhaupt eine Versammlung an? Wer in der Wirklichkeit über1

zeugen will stößt schnell auf diese Fragen. Damit einhergehen auch Auswertungsrunden: Warum ist die Veranstaltung gefloppt? Warum ist diese Aktion geglückt? Was lässt sich verallgemeinern und für den gesamten SDS nutzbar machen? 3. Daher ist es wichtig unsere Mitglieder durch politische Bildungsarbeit für solch eine Praxis zu empowern und ihnen die Möglichkeit für eine strategische Orientierung zu geben, damit wir nicht nur bei einem desorientierten Aktivismus verbleiben. Konkret bedeutet dies nicht nur Workshops und Veranstaltungen zu marxistischer Theorie zu machen, sondern auch Räume für Strategiediskussionen zu schaffen. Ebenso wichtig sind auch praktische Schulungen wie die StammtischkämpferInnen Schulungen oder Organizing Workshops.

Jürgen Zöllner in der FAZ 20.4.17 ‘Wann endet die spartanische Grundfinanzierung?’: “Außerdem könnte man ein Drittel der Studienplätze an Universitäten in Fachhochschulen verlagern. Das wäre kein Skandal, sondern würde mit einem Effek tivitäts-gewinn von 1,5 Milliarden Euro im Jahr zu Buche schlagen. Und es wäre überdies eine längst überfällige Anpassung an die Realität. Die Ausbildungskosten für einen Studenten sind an Fachhochschulen um etwa 30 Prozent geringer als an Universitäten. Viele junge Menschen werden an Fachhochschulen sogar für das, was sie später im Berufsleben benötigen, besser ausgebildet als an Universitäten.”

Wie weiter mit dem SDS? Marxistisch-Feministische Gruppe

I. Studierende und Klasse 1. Dutschke und die Studierenden als revolutionäres Subjekt? Für Rudi Dutschke waren Studierende Teil einer neuen revolutionären Avantgarde. Damit lag er damals ziemlich daneben. 68 studierten nur 6% einer Generation und der Großteil der damaligen Studierenden gehörte später zur gesellschaftlichen Elite. Heute beginnen etwa 45% einer Generation in Deutschland ein Studium. Nahezu alle größeren politisch-gesellschaftlichen Bewegungen – mit Ausnahme gewerkschaftlicher Kämpfe – werden heute von Studierenden oder (meist) prekären Akademiker*innen unserer Generation getragen: von Sanders-Unterstützer*innen, Podemos, Syriza, nuit debout oder Occupy. Ein ganzer Teil

der akademischen Jugend politisiert sich gerade nach links. Das wird die Linke überall verändern, es ist nur noch nicht klar, wie. Klar ist, dass uns als größtem und einzigem relevanten linken Studierendenverband in Deutschland eine zentrale Rolle in den nächsten Jahren zukommt. Diese Bedeutung sollten wir ernst nehmen! Klar ist aber auch, dass wir als Studierende nur ein Teil der Gesellschaft sind. Ohne ein Bündnis mit anderen Klassen/Schichten, insbesondere Lohnabhängigen/Arbeiter*innen werden wir kaum Veränderungen erreichen können. Um aber selbst wirkmächtig zu werden, brauchen wir ein Verständnis von uns selbst als gesellschaftlichem Akteur und der Klasse. 2. Sag mir wer deine Eltern sind und ich sage dir welcher Klasse du angehörst

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Das bedeutet, studieren, ist immer noch ein Privileg. Wer studiert, hat meist selber Eltern mit akademischem Abschluss und ohne Migrationsgeschichte. Zwar schließt nur ein Drittel der Generation ein Studium auch ab, aber bei so vielen Absolvent*innen ist trotzdem klar: nur ein kleiner Teil der Studierenden gehört später zur Elite. Die Herkunft der Studierenden ist sozial gemischt und ihre zukünftige Rolle in der Gesellschaft ist es ebenso. Im SDS zeigt sich das schon daran, dass einige von uns BAföG beantragen müssen, andere nicht. Die meisten von uns haben einen Nebenjob. Manche können aber allein von der Unterstützung ihrer Eltern leben. Zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass die Mehrheit der Studierenden später denselben Status hat wie vor dem Studium. Wer reiche Eltern hat, wird später wahrscheinlich ebenfalls reich. Im Studium selbst, ist davon mal mehr, mal weniger zu merken. Sicher ist aber, dass Kinder mit studierten Eltern meist schon mehr über die Uni wissen als Studierende aus Arbeiterfamilien oder mit Migrationsgeschichte, die noch dazu finanziell deutlich schlechter gestellt und größeren sozialen Risiken ausgesetzt sind. Zusätzlich sind Studierende mit Arbeiterklassenhintergrund und/oder Migrationsgeschichte häufiger von Diskriminierung betroffen. Selbst die Wissenschaft verleugnet oft ihre Lebenswirklichkeit und trägt somit auch nicht dazu bei, ihre eigenen Interessen zu erkennen und damit die Grundlage für eine gemeinsame Verbesserung zu schaffen. Das merken wir auch im SDS. Wer wie, also auf welche Weise von uns erreicht werden kann, hängt auch von der Herkunftsklasse, sowie von „gender“ und „race“ ab. Studis haben beispielsweise unterschiedliche zeitliche Ressourcen, die davon abhängen, ob sie neben dem Studium arbeiten müssen, ob sie Kinder haben usw. Aufgrund ihrer Sozialisation neigen Frauen* zudem dazu sich

...und wie gehts weiter?

weniger in linken Gruppen zu organisieren, als Männer. Diese Unterschiede sollten wir bei der Ansprache von Menschen im Blick behalten, statt sie zu negieren. Als SDS sollte unsere Politik da auf abzielen, die Bedingungen der Studierenden und auch unserer Mitglieder unmittelbar zu verbessern. Im AStA/StuRa und in hochschulpolitischen Kämpfen engagieren wir uns daher für eine Ausweitung des BAföGs, eine Abschaffung der (verdeckten) Studiengebühren und Anwesenheitspflichten, ein sozial ausgestaltetes Semesterticket – kurzum: alles was die Lebensbedingungen der Studierenden (insbesondere ohne reiche Eltern) verbessert, mehr Zeit für Bildung, Muße, (Selbst-)Fürsorglichkeit und das Politikmachen schafft. 3. Intelligenz und Solidarität Doch es ist nicht nur die Klasse, die das Studium und die Politik bestimmt. Im SDS sind weit überdurchschnittlich Studierende sozialer Fächer wie Lehramt, Soziale Arbeit usw. und Studierende mit Fächern mit großem Gesellschaftsbezug: Geistes-, Sozialwissenschaften und stark abgeschwächt Jura und VWL. Andere Fächer erreichen wir bislang viel zu wenig. Ein Interesse an der Gesellschaft und natürlich auch das Herkunftsmilieu (solidarisch-progressiv oder rückwärts-gewandt konservativ) machen einiges aus. Die Interessen der Klasse und solidarische gesellschaftliche Orientierungen ergänzen sich im SDS. Unsere Politik sollte dementsprechend auf beides abzielen: Klasseninteressen und das Interesse an einer solidarischen Gesellschaft. Studierende sind per se Intellektuelle. Sie erlangen im Studium sowohl ein technisches als auch ein spezielles Wissen über die Gesellschaft. Als linke Studierende haben wir daher die besondere Aufgabe uns um die Verbreitung und Vertiefung dieses Wissens untereinander als auch in der Ge-


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sellschaft, dem Betrieb und der Partei zu kümmern. Als Intellektuelle haben wir zudem die Aufgabe uns verstärkt über die Zukunft der Gesellschaft und die Strategie der Linken Gedanken zu machen. Linke Kräfte sind viel stärker als Liberale und Konservative auf politisches Bewusstsein angewiesen. Wie funktioniert die Gesellschaft und wie können wir sie zugunsten der Mehrheit verändern? Fragen, die sich Konservative und Liberale weitaus weniger stellen, denn sie wollen nur den status quo aufrecht erhalten (bzw. haben nur die Interessen von privilegierten Minderheiten vor Augen).

wie wir mehr Studiere de politisieren, gehen im SDS und der Linken seit jeher auseinander. Es gibt im wesentlichen fünf Möglichkeiten um Studierende zu erreichen, wenn sie nicht von alleine auf uns aufmerksam werden:

Aber: Intellektuelle neigen oft zur Selbstbespaßung und reiben sich so häufig in unsinnigen Debatten auf. Viel wichtiger ist es für uns „organische Intellektuelle“ (Gramsci) zu werden. Organische Intellektuelle sind mit ihrer Klasse verbunden und üben organisierende Funktionen aus: ob als Reinigungskraft und Betriebsrätin, als Historiker und lokaler K der der Partei usw. usf. Wer politisch die Gesellschaft aus den Augen verliert, nur theoretisiert oder nur nach dem eigenen Vorteil strebt, wird nichts erreichen.

III. Bisherige Debatten

II. Politisierung der Studierenden Gerade weil wir die Gesellschaft verändern wollen, brauchen wir als demokratische Sozialist*innen viele Mitstreiter*innen. Es gibt noch mehr Gründe außer den naheliegenden (man- and womanpower vergrößern). 1. Die Machtressourcen auf konse vativer und liberaler Seite sind viel größer. Sie haben den Staat, einen Großteil der Institutionen und viel größere finanzielle Ressourcen. Das merken wir vielerorts schon der ideologischen Vorherrschaft konservativer und liberaler Professor*i nen. Das gleichen Linke traditionell durch große Zahl aus (was bleibt ihnen auch anderes übrig). 2. Wenn der kommende Sozialismus demokratisch sein soll, ist er auf gesellschaftliche Mehrheiten angewiesen. Die Meinungen wie wir mehr werden und

1. Aktionen 2. Bildungsarbeit 3. Hochschulpolitische Interessenvertretung 4. Events 5. Kultur

In den bisherigen Strömungsdebatten des SDS vertrat Marx21 eine Aktions- und Eventorientierung.1 Hochschulpolitik wird von Marx21 hingegen abgelehnt – es sei denn, dass Thema ist gerade als Bewegung relevant (Bildungsstreik, Kürzungen). Im Vordergrund steht die Politisierung in der Aktion. Und wer könnte das großartige Gefühl leugnen etwas mit andern durchgesetzt zu haben? Ein wichtiger Teil der Politik und auch des Lernens findet in der Aktion statt ( Empowerment). Auch die Fokussierung auf Events ist Teil linker Politik. Gemeinsam mit anderen auf einer Demo oder einem großen Kongress zu sein, bringt ein gutes Gefühl und stärkt für künftige Auseinandersetzungen. Die Aktionen und Events dienen bei Marx21 (ähnlich bei anderen trotzkistischen Gruppen) dazu möglichst viele Leute zu rekrutieren. Der Inhalt der jeweiligen Veranstaltung, Demonstration und Aktion ist weniger wichtig als die fittesten Leute aus dem jeweiligen Bündnis als Kader zu gewinnen.Insofern wartet Marx21 immer auf die nächste „Bewegung“ (eigentlich eher Bürgerinitiative) um die Mobilisierungsmaschine wieder anzuwerfen (und diese im Zweifel auch hart gegen andere durchzusetzen).2 Das Konzept ist relativ ähnlich zu anderen trotzkistischen oder linksradika-

46 len Gruppierungen (oder linken Parteien wie der Rifondazione Communista oder der Parti de Gauche). Der Preis dafür ist eine relativ hohe Fluktuation der Mitgliederzahl. Unser Meinung nach ist das zu wenig für einen größeren Studierendenverband (und auch die Partei). Events und Aktionen sind ein Teil der politischen Arbeit. Sie sollten aber nicht zu inhaltsleerem Abfeiern verkommen. Das instrumentelle Arbeiten in Bündnissen hat den SDS (bis heute) bei vielen Bündnispartner*innen über viele Jahre in Misskredit gebracht. Politische Arbeit sollte auf Augenhöhe ablaufen - innerhalb des Verbandes und mit Bündnispartner*innen. Ein Beispiel wie eine Aktion ein sinnvoller Teil von politischer Arbeit darstellen kann ist für uns der Frauen*kampftag. Hier geht‘s nicht einfach um irgendwas, was gerade Leute „zieht“, sondern um einen Schwerpunkt unserer eigenen Inhalte. Mit dem Frauen*kampftag konnten wir diesen Schwerpunkt als eine feste wiederkehrende Größe linker Bewegungen und Gegenöffentlichkeit etablieren. Event, Aktion, Inhalte und (Selbst-) Bildung gehen hierbei eine organische Verbindung ein. IV. Hochschulpolitik als Gesellschaftspolitik Für eine langfristige politische Perspektive braucht es mehr als Bewegungshopping (bzw. Bürgerinitiativenhopping). Zentral ist für uns daher die Arbeit an der Uni. Die Uni ist in den letzten Jahren massiv von Sparmaßnahmen betroffen. Die Bildung wird in allen Fachbereichen zunehmend neoliberalisiert. Die Berufsperspektiven sind schlechter geworden und die Finanzierung des Studiums ist mit der Einschränkung des BAföGs, der Einführung offener und versteckter Studiengebühren und der massiven Erhöhung der Mieten schwieriger geworden. Die Uni und das Studium sind daher nicht abgekoppelt von der Gesellschaft, sondern

...und wie gehts weiter?

ein Teil des Ganzen. Der Kampf und um die Hochschule ist für uns ein wichtiger Teilkampf ums Ganze. Wir arbeiten daher in Fachschaftsräten, ASten und Studierendenräten aktiv mit. Über die Verfasste Studierendenschaft lassen sich die Interessen der Studierenden ähnlich wie in der Gewerkschaft vertreten. Wir wissen aber auch, dass heute nur eine Minderheit der Studierenden hochschulpolitisch aktiv oder interessiert ist. Die Arbeit in den Gremien sollte daher zielgerichtet erfolgen, egal ob im HoPo-Referat, im Referat für Politische Bildung, Geschlechtergleichberechtigung oder im Referat für studentische Hilfskräfte. Über diese Arbeit lässt sich einiges bewegen und sie muss langfristig ausgerichtet werden. Verankerung an der Hochschule heißt für uns aber auch gezielte Bündnispolitik an der Uni zu machen. Gute Zusammenarbeit mit anderen linken Gruppen, Gewerkschaften, aber auch linken Dozent*innen ist für den SDS elementar. Wenn linke Dozent*innen auf SDSVeranstaltungen referieren und umgekehrt linke Studis wissenschaftliche Hilfskräfte werden, haben wir an den Unis eine viel tiefere – auch inhaltliche Verankerung. V. Kampf um die Uni und die Köpfe Letztlich muss es uns doch auch darum gehen, die Unis nach links zu verschieben. Wenn bald die Hälfte einer Generation an die Uni geht, ist es gesellschaftlich enorm wichtig welche Inhalte dort vermittelt werden und wie dieser Ort gestaltet ist. Dafür brauchen wir mehr linke Inhalte in den Seminaren und Vorlesungen ebenso wie eine selbstverständliche linke Bildungsarbeit außerhalb universitärer Seminare. Regelmäßige Vorlesungsreihe, Lesekreise usw. sind für die Außenwirkung genauso wichtig wie die Selbstbildung. Letztlich ist der Kampf


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um die Uni auch ein Kampf um einen der wichtigsten Orte der Ideologieproduktion und damit der Ausrichtung der ganzen Gesellschaft.

nicht revolutionär war...“ suggerieren. Das Engagement geht danach unter erschwerten Bedingungen im Beruf, mit Kindern, in der Partei oder anderswo weiter.

Dieser Bildungsprozess fängt bei uns selbst an. Wir alle leben in einer neoliberalen Gesellschaft und dieses Denken durchzieht uns alle: Ungleichheitsideologien, Konkurrenzdenken und Egoismus. Unsere Aufgabe als SDS ist es daher kritische, marxistische, feministische, rassismuskritische Bildungsarbeit zu machen, die uns auch selbst ermächtigt: Wissen ist Macht, oder nach Marx: Die Idee wird zur materiellen Gewalt, wenn sie die Massen erfasst.

Wichtig ist es daher einander nicht allein zu lassen mit den Sorgen und Zweifeln und diese offen anzusprechen. Eine Gewähr gibt es nicht. Auch hier gilt: nur gemeinsam sind wir stark. Wer etwas verändern will, kann das nur mit Genoss*innen zusammen tun.

Die Fähigkeit kritischer Analyse und das Wissen um die Widersprüche in der kapitalistischen Gesellschaft + dem Wissen um Gesellschaftsveränderung geht auch nach dem Studium nicht mehr verloren. Unsere Arbeit an der Uni ist daher auch eine Arbeit an einer besseren Zukunft insgesamt. Frustration Eine längerfristige Perspektive für den Verband bedeutet aber auch eine realistische Strategie für die Mitglieder zu haben. Wer mit dem Engagement anfängt, ist schnell hoch motiviert dabei und steckt den Großteil seiner Lebenszeit ins politische Engagement. Bei vielen Aktiven setzt dann nach 2-3 Jahren die erste größere Ernüchterung angesichts der Kleinteiligkeit der Veränderungsprozesse ein. Das passiert insbesondere bei – sich als besonders (verbal-)radikal gebärdenden Gruppen aus dem linksradikalen, autonomem, trotzkistischen Spektrum und auch der SDS ist nicht davor gefeit. Deshalb ist es umso wichtiger nicht nur eine studentische, sondern eine realistische Gesellschaftsperspektive zu haben. Das linke Engagement hört nicht mit dem Studium auf wie manche Sprüche à la „Wer mit 20

Letztlich stellt sich für uns daher auch die Frage wie wir als Verband enger zusammenarbeiten können. Über die Vereinzelung der Basisgruppen werden wir auch nur vereinzelte Nadelstiche setzen können. Was uns momentan fehlt ist ein gemeinsames Projekt, das einerseits viele verschiedene Gruppen und Gruppierungen, aber andererseits auch die verschiedenen Aktions- und Engagementformen (siehe II.) organisch miteinander verbindet und so mittelfristig zu einem stärkeren Zusammenwachsen des Verbandes beitragen kann. Das würde uns alle nur stärker machen. Das alles ist nicht nur eine Frage für die Gegenwart, sondern auch die etwas fernere Zukunft: Als marxistisch geprägter Studierendenverband mit vielen Gemeinsamkeiten untereinander werden viele von uns später in Parteien, Bewegungen und Gewerkschaften sein. Unsere gemeinsame Verbandsmitglieschaft sollten wir daher als Machtressource zur progressiven Veränderung der Organisationen nutzen. VII. Überwindung des Kapitalismus Die Überwindung des Kapitalismus ist eine Lebensaufgabe und sie ist angesichts des Demokratieabbaus, des Klimawandels und des zunehmend autoritärer werdenden Neoliberalismus umso notwendiger! Demokratie und Soziale Sicherheit sind keine Selbstverständlichkeit. Durch die perma-

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48 nenten wirtschaftliche und politische Krise seit 2007 nimmt die politische Polarisierung in der Gesellschaft zu und die politischen Kämpfe werden heftiger. Kapitalismuskritik wird wieder in der Breite diskutiert während der Neoliberalismus immer aggressiver durchgesetzt wird. Feminismus wird zunehmend bekannt und populär während die Abwehrkämpfe gegen Gleichberechtigung heftiger werden und konservative Versu1 2

chen eine Rolle rückwärts gegen das bisher Erstrittende zu organisieren. Ökonomische Unsicherheit übersetzt sich keineswegs direkt in steigendes Klassenbewusstsein sondern teilweise auch in heftigerem Rassismus und Terrorisierung von Geflüchteten. Wir werden uns ordentlich rein hängen müssen um die Dinge zum Besseren zu wenden. Gehen wir es an!

Bildungsarbeit wird bei Marx21 ebenfalls groß geschrieben (allerdings intern und weniger im SDS). Wenig überraschend hoben Marx21 in ihrem Papier zur Aktionspolitik die Aktionsorientierung des historischen SDS positiv hervor. Leider berücksichtigten sie dabei nicht, dass der SDS sich nur anderthalb Jahre später auflöste.

Von der Empörung...wohin? Leon B. und Roberto del Aurel (dielinke.SDS Freiburg)

Anti-Totalitäre Grüße: Die Verfasser studieren Sozialwissenschaften in einer kleinen süddeutschen Stadt mit grünem Bürgermeister und antideutschem AstA. Sie haben viel Kontakt mit nicht-sozialistischen, um nicht zu sagen, bürgerlichen Menschen und haben noch nie Gramsci, Hegel oder Lenin im Original gelesen. Nichtsdestotrotz sind sie seit etwa einem Jahr aktive und kreative Mitglieder im SDS. Dieses Strategiepapier entspringt selbstverständlich ihren Eindrücken und Erlebnissen in der beschriebenen Umgebung. Ein Strategiepapier: Das heisst: Wo wollen wir hin, wo stehen wir aktuell, worüber verfügen wir, wie setzen wir unsere Prioritäten. Nicht-Abstract: Dieses Strategiepapier fordert dass der SDS seinen Fokus auf politische Bildung und studentische Kämpfe legt, mit dem langfristigen Ziel, linksradikale Positionen gesellschaftsfähig zu machen.

1. Soziale Widersprüche, um nicht zu sagen Ungerechtigkeiten, sind gegenwärtig offen-

sichtlich - Menschen ertrinken im Mittelmeer, meine Mensa schmeisst Reste weg statt zuzulassen dass sie gegessen werden, militärische Bündnisländer schaffen ihre eigene Demokratie ab, mein Chef trinkt 500 Euro-Whiskey und zahlt Mindestlohn, Wohnungslose erfrieren vor leerstehenden Häusern; das nicht mitzubekommen muss echt aufwendig sein 2. Es herrscht durchaus Ablehnung der aktuellen Verhältnisse - bei wem bei den oben genannten Punkten nicht die Alarmglocken klingeln, leidet vermutlich an Zynismus, Chauvinismus oder Empathielosigkeit 3. Politisierung ist einfach wie nie zuvor, es fehlen nur adäquate Antworten, die auf die Empörung folgen können - das Internet ermöglicht es allen, sich über aktuelle Ungerechtigkeiten und politische Debatten zu informieren, durch Videos und fehlende Redaktionszensur ist die Empörung persönlicher und intensiver als vor 20 Jahren - auf die Empörung folgt meist jedoch Ratlosigkeit, Ohnmachtsgefühl, oder gar Chauvinismus, gefährlicher Anti-Alles-Hass - der Ausdruck, die Welt sei zu komplex


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um sie zu verstehen oder zu verändern, ist bezeichnend für unsere Zeit

von Strategien oder 3. Vorwürfe der Realitätsferne

4. Der SDS ist wie keine andere Gruppierung in der Lage diese Antworten zu liefern (also zu erklären welche die zugrundeliegenden Ursachen sind die diese Widersprüche entstehen lassen) - die Studierendenschaft ist eine gesellschaftlich einmalige soziale Gruppe, die über Freiräume verfügt um sich zu organisieren und zu bilden - die studentische Position ermöglicht es, Konzepte gegen die herrschende Alternativlosigkeit hochzuhalten und zu entwickeln - der SDS ist aufgrund von Offenheit, relativer Ideologiefreiheit, breitem Profil und Bekanntheit Anlaufstelle für bisher nicht organisierte linke Studierende - der SDS hat durch seine Verbindung zur momentan einzigen relevanten linken Partei Deutschlands einzigartige Vorraussetzungen und Verbindungen zu Informationen, Medien und Netzwerken und politischen Persönlichkeiten

6.1: Klischees Die historischen Kommunistischen Parteien haben dafür gesorgt dass sozialistische Begriffe durch massive Klischees beeinträchtigt sind. - tritt man erstmal in Dialog mit den betroffenen Menschen kann man schnell klarstellen dass wir keine BefürworterInnen von Umerziehungslagern sind, nicht gegen, sondern für mehr Demokratie kämpfen und auch nicht an der Zahnbürste des anderen interessiert sind - Begriffe wie Sozialismus, Kommunismus, sind, wenn gut erklärt, schnell verstanden und sogleich als analytische Instrumente nutzbar, es muss nur geübt werden gelassen auf erste dümmliche Klischees zu reagieren und sie knackig zu erklären - sind die Begriffe klargestellt, ist es möglich und sinnvoll zu erklären weshalb diverse historische Beispiele nicht den ursprünglichen Bedeutungen der Begriffe entsprechen

5. Tatsächlich werden jedoch linke oder gar linksradikale Ansichten nicht nur skeptisch betrachtet sondern als weltfremd abgelehnt, sogar unter Studierenden sozialwissenschaftlicher Fakultäten - egal ob Klassenkampf, genderneutrale Sprache: linke Konzepte werden bestenfalls nicht ernst genommen - es ist wichtig zu erkennen dass das nicht nur ein Trend der „rechtspopulistischen Jahre“ oder „neoliberalen Jahrzehnte“ ist, eine viel grundsätzlichere Ursache ist sicherlich die deutsche Geschichte 6. Da die Gründe der Ablehnung jedoch meist nicht sehr fundiert sind, sind die Taktiken für erneute Legitimitätsgewinnung durchaus unkompliziert und erfolgsvorsprechend - Ablehnung besteht meist meist lediglich aufgrund von 1. Klischees, 2. Ablehnung

6.2: Ablehnung scheinbar typischer Strategien Das Bild von Linksradikalen ist von bestimmten Gruppierungen und deren inszenierten Gewaltbereitschaft, Abschottung und Intoleranz geprägt. - als linksradikale Person muss man sich darauf einstellen dass man ständig mit der Gewaltfrage und Extremismus-Theorien konfrontiert wird, mögen sie auch noch so abstrus sein - wir als SDS müssen einen ständigen Diskurs über sinnvolle Strategien führen - der SDS muss klar Position gegen Gewalt (aber für Selbstverteidigung), Hetze und Anti-Demokratie beziehen, in welchem Kontext auch immer - wir benötigen knackige Antworten auf Hufeisenextremismustheorien und müssen uns darin üben solchen Vorwürfen

50 abgeklärt zu begegnen 6.3: Vorwurf der Realitätsferne Die neoliberale Ideologie des „Müssen-Gürtel-enger-sonst-kein-Happa-Happa“ war extrem erfolgreich, und generiert den Eindruck, linke Forderungen seien weltfremd; sie ist aber leicht widerlegbar (-> Wegwerfgesellschaft). - bestes Beispiel Mindestlohn, bei dessen Einführung der Zusammenbruch der toitschen Wirtschaft befürchtet wurde. - in Verbindung mit der marxistischen Ökonomie-Analyse wird schnell deutlich woher der Konkurrenzdruck tatsächlich stammt. Letztendlich ist unser Kuchen groß genug, nur hat uns jemand weissgemacht dass es nicht unser Kuchen sei und jeder Krümel eine Spende an uns dreiste BittstellerInnen. - interessant ist im Zeitalter der digitalen Globalisierung auch eine empirische Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten des technisch machbaren, um so innovative Bilder eines Sozialismus des 21. Jahrhunderts entwerfen zu können - es gibt genügend konkrete Kämpfe und Errungenschaften, als dass wir uns als engagierte Progressive einen solchen Vorwurf gefallen lassen müssten 7. Die gegenwärtige Kritik aus der deutschen Linken hat diverse extrem riskante Mängel - es existiert ein echtes Problem mit verkürzter Systemkritik und Eliten-Bashing, auch wenn Elitenhass taktisch wertvoll sein kann - Kritik ist oft zu akteursbezogen und verkommt so zu Schuldvorwürfen, Anprangerungen oder personifizierter Kapitalismuskritik

8. Wichtigstes Aufgabe für den SDS sollte sein, Zusammenhänge, Ideologien und systemische Ursachen aufzuzeigen

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- unser Anspruch sollte es sein, die Ursachen kenntlich zu machen, die Akteure dazu bringen, so zu handeln wie sie es im aktuellen System tun 9. Denn die Arbeit, Widersprüche und Ungerechtigkeiten aufzudecken wird bereits von vielen anderen AkteurInnen geleistet - just check your facebook-timeline 10. Allerdings ist es wichtig, solche Widersprüche in den Leben der einzelnen Studierenden ausfindig zu machen - es ist eine Leistung, Menschen dazu zu bringen, zu akzeptieren dass sie Objekte von Machtverhältnissen und Ausbeutung sind - niemandem gefällt die Idee, dass man ein Opfer ist das eigentlich kämpfen müsste, es ist unangenehm ist die eigene Machtlosigkeit und Ausbeutung anzuerkennen - doch das ist zwingend notwendig um „Mitleids-“Linkstum auszumerzen, das sich nur damit auseinandersetzt wie sehr ANDEREN. GEHOLFEN. werden müsste 11. Wichtig ist der Kampf für eigene Freiheiten und Freiräume, was für uns heisst, primär an der Uni, in der Hochschulpolitik, zu kämpfen - erst sobald eigene Freiräume erkämpft wurden, kann man solidarisch mit und für andere kämpfen - an unzähligen Unis ist der Leistungsdruck auf den Studierenden so gewaltig, dass es für sie real nicht möglich ist, sich zu engagieren oder zu organisieren, somit ist es für Asten selbst ohne direkte Repression schwer, effektiv zu arbeiten - der Kampf für eigene Freiräume politisiert nachhaltig und macht die Einschränkungen und Unterdrückungsmechanismen deutlich in denen man sich selbst bewegt 12. Aktionismus & Demo-Hopping ist nicht nachhaltig - es besteht das Risiko, zu einer Kette an


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Reaktionen zu verkommen, statt Initiative zu ergreifen oder alternative Perspektiven zu entwickeln 13. Der SDS muss sich auf den Kampf um inhaltliche Hegemonie fokussieren - an der Uni muss für kritische Inhalte und kritische Theorie gearbeitet werden - kaum ein anderer Ort ist wichtiger um Konzepte, Analysen etc. zu verbreiten - der gesellschaftliche Diskurs muss erobert werden 14. Der Fokus des SDS muss auf politischer Bildung liegen 15. Diese aufklärerische Bildung muss aufbauen auf: 15.1: Marx und dessen… a) historischer Materialismus: denn aus diesem folgt… - … dass die Menschen ihre eigene Geschichte machen, aber aus unmittelbar vorgefundenen…ihr wisst schon… - … dass der Mensch nicht festgelegt ist, sondern sein Bewusstsein vom Sein geprägt ist, er ergo seine eigene Geschichte schreiben kann - … dass in der Politik letztendlich nicht das bessere Argument gewinnt, sondern entgegensetzte Klasseninteressen dafür sorgen dass Politik am Ende des Tages ein Machtkampf ist b) politische Ökonomie: denn diese bietet Einsichten über… - … die Gesetzmäßigkeiten, ewigen Widersprüche, Phänomene und strukturierenden Eigenschaften des Kapitalismus - … die Unvereinbarkeit des Kapitalismus mit der Idee einer gerechten und fairen Gesellschaft, da er sämtliche Menschen in Konkurrenz zueinander setzt - … das Paradoxon, dass unsere aktuelle Gesellschaft simultan von massivem Kon-

51 kurrenzdruck und völligem Güter-Überfluss (#Wegwerfgesellschaft) geprägt ist. - … die Möglichkeit einer Gesellschaft die frei von Not ist, denn real wäre es schon heute möglich die existentiellen Bedürfnisse der Menschheit zu decken; zusätzlich schaffen Digitalisierung, alternative Energien, genossenschaftliche Produktion die Vorraussetzungen für eine nachhaltige Bedarfswirtschaft -> aus Beidem folgt linksradikales (Klassen-)Bewusstsein und ein Wegfegen bürgerlicher (oder what.so.ever) Ideologie; es folgt die Erkenntnis dass unter der Systemlogik des Kapitalismus Reformen, Kompromisse, Mitleids-Politik und alternativer Konsum keine Lösung des Grundproblems sondern Symptombekämpfung darstellen; und das Fordern maximaler positiver Freiheit keine Träumerei sondern eine Pflicht ist 15.2: emanzipatorische soziologische/kulturwissenschaftliche Theorien: denn… - … diese sensibilisieren für die Möglichkeiten und Grenzen der Veränderung - … aus diesen folgt dass der Kampf um die Produktionsverhältnisse alleine nicht zur Emanzipation der Menschen führen wird: - die soziale Konstruktion von Unterschieden (Nation, Geschlecht, Rasse, was sonst nicht schon alles…) und die Konstruktion von Ideologien erfolgt auf der Ebene der Sprache und Praxen und kann autonom von den Produktionsverhältnissen bestehen (bspw. wird mit dem Untergang des Kapitalismus nicht der Rassismus verschwinden) - diese Unterdrückungsmechanismen folgen spezifischen Logiken, ergo ihre Überwindung ebenso 16. Es muss auf eine pluralistische Bildung geachtet werden - 365 Tage im Jahr rauschebärtige Autoren lesen? In linken Gruppen nichts ungewöhn-

52 liches. Wir dürfen uns ruhig neue Götzen aus der Post-Kaiserzeit suchen. 17. Es muss auf methodisch-didaktische Fortschrittlichkeit geachtet werden - 24/7 Lesekreis, natürlich im Original lesen? Nicht nur vong Motivation her miese Idee, sondern auch 1 sheesher Zeitaufwand. 18. Fähigkeiten schaffen: SDS-Menschen sollen sich bewusst darin üben, ihr Wissen weiterzugeben, insbesondere an Nicht-SozialistInnen 19. Alles, um auf die Mitte ausstrahlen zu können Unser Ziel ist es, „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.“ Unser erster Schritt dorthin besteht darin, Bewusstsein zu schaffen für Machtverhältnisse und Unterdrückungsmechanismen, theoretische Konzepte an die Hand zu geben um die Widersprüche und das sie gebärende System zu begreifen. Wenn wir Menschen mobilisieren wollen, müssen unsere Ideen akzeptiert werden können. Wenn wir die Gesellschaft verändern wollen, müssen unsere linksradikalen Ideen eine Mehrheit gewonnen haben. Über den zweiten Schritt möge gestritten werden, doch der erste Schritt kann kein anderer sein. Ziele für die nächsten 5 Jahre SDS: - Begriffe wie „Sozialismus“ und „Marx“ sollen wieder positiv konnotiert sein - jede SDS-Kaderin soll in der Lage sein, innerhalb von 5 Minuten den Sozialismus zu erklären - jedes neue Mitglied erhält bei Eintritt in den SDS als Prämie rote Boxhandschuhe. ins Gesicht. weil die Revo nichts für Weichlinge ist.

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Sozialistische Hochschulpolitik in bewegter Zeit – Gedanken zur Strategiediskussion im SDS auf dem Bundeskongress Juni 2017 SDS* Uni Hamburg Wo stehen wir? „In gewisser Hinsicht leben wir bereits in postneoliberalen Gesellschaften. Das Ideal des freien Marktes ist ein politischer Zombie, der zwar noch Leid verursacht und unverständliche Laute von sich gibt, den aber bereits alle für tot halten. Überall in der Welt entstehen mächtige Gegenbewegungen als Reaktion auf die neoliberale Dystopie.“1 Am 7./8. Juli will sich die Group of Twenty in Hamburg treffen. Die Wahl dieses Ortes ist Verzweiflung und Provokation. Gerade in der „Hauptstadt des deutschen Sozialismus“ (August Bebel) soll ein gescheitertes Politikprinzip verteidigt werden: der neoliberale Kapitalismus befindet sich – spätestens seit 2008 – in einer massiven Überakkumulations-, Legitimations- und Ökologiekrise. „We are the 99%“, denen die ebenso vermögenden 1% des globalen Establishments im Wege stehen. Nie war der Widerspruch zwischen der Potentialität einer „Welt des Friedens und der Freiheit“ (Schwur von Buchenwald) und der Realität weltweiter Barbarei größer. Global erhebt sich die „planetarische Zivilgesellschaft“ (Jean Ziegler) als mächtige Keimzelle einer solidarischen Gesellschaft. Ob der brasilianische Generalstreik mit 40 Millionen Beteiligten, die sozialistische Labour-Bewegung rund um Jeremy Corbyn, das rätedemokratische Gesellschaftsmodell in Rojava, der realisierte Sozialismus in Kuba oder die hunderttausendfache Anti-Freihandels-Bewegung in der BRD, das Neue drängt lebendig an die Oberfläche. Dagegen wollen

die G20-Staaten mit Öl das Feuer löschen und sich schrill als alternativlose Weltregierung in Szene setzen, auf dass verteidigt werden soll, Politik machten nur Experten und Märkte. Doch TINA ist tot und alle wissen, there is such thing as society. In Hamburg drückt sich das bei G20 in einer vielfältigen Protestchoreographie sowie über 14.000 Unterschriften für „verstärkte staatliche Investitionen in Arbeit, Bildung, Kultur und Gesundheit“, Friedenspolitik und die „Verwirklichung von Völker- und Menschenrecht im Rahmen der UNO“ aus, welche als Konsequenz die Absage des Gipfels fordern. Uns treibt doch alle um: Wie setzen wir die Menschenrechte durch? Was können wir gegen das Phänomen „Trump“ aus den Wissenschaften heraus unternehmen? Was heißt internationale Solidarität? Wie können wir zur Durchsetzung der Wissenschaftsfreiheit in der Türkei beitragen? Wie bereiten wir den Neuankommenden eine menschenwürdige Aufnahme? Was kann die Wissenschaft unternehmen, um das Grundrecht auf Gesundheit zur realisieren? Wie können wir dazu beitragen, dass es für alle besser wird? Letztendlich geht es nach wie vor um die soziale Realisierung von „Freiheit, Gleichheit, Solidarität“. Was tun? Die Kluft zwischen der sozialistischen Beantwortung dieser Fragen und der kapitalistischen Realität kann nur durch revolutionäre Praxis begriffen und geschlossen werden. Hochschulen sind dafür zentral:

54 Als Motoren der bürgerlichen Revolution und als antifaschistische Konsequenz von den 68ern erkämpft sind Wissenschaft und Hochschulen seit jeher ein Ort gesellschaftlicher Unruhe. Diese wissenschaftlichen Institutionen haben so besonders gute Bedingungen, gesellschaftlich für eine humane Entwicklung einzugreifen. Dem entgegen wird das Wahrnehmen dieser Aufgabe durch aggressive Angriffe auf die Wissenschaftlichkeit mit ‚alternative facts‘, Kürzungen staatlicher Finanzmittelzuweisung und Verunglimpfung intellektueller Arbeit neu versucht einzugrenzen. Denn das neoliberale Dogma der „unternehmerischen Hochschule“ ist erschöpft. Mit ihr sollte die Wissenschaft in den Dienst von Partikularinteressen gestellt werden. Mit chronischer Unterfinanzierung, Drittmittel-Jagd, ständigem Evaluationsdruck und Prestige-Show, sowie der Bachelor-Master-Quälerei und sozialer Selektion einhergehend mit Top-Down-Strukturen sollten die Hochschulen davon abgehalten werden, an progressiven Lösungen zu arbeiten. Doch der Kaiser ist nackt. Es bedarf der Menschen, das auszusprechen. Es geht nun darum, einen „Geist der Unterscheidung“ (Gramsci) zu entwickeln. „Wissenschaft ist also ein prinzipielles Gegenden-Strom-Schwimmen, dabei vor allem auch gegen den Strom der eigenen Vorurteile, und in der bürgerlichen Gesellschaft zudem gegen die eigene Tendenz zum Sich-Korrumpieren-Lassen und Klein-Beigeben gegenüber den herrschenden Kräften, denen die Erkenntnisse gegen den Strich gehen, die ihren Herrschaftsanspruch gefährden könnten.“2 Vor diesem Hintergund intensivieren und koordinieren wir unser Engagement als sozialistischer Studierendenverband für: Eine Zivilklausel und ein Kooperationsverbot mir der Bundeswehr für alle (Hoch-) Schulen und Hochschulgesetze. In die-

...und wie gehts weiter?

sem Sinne wollen wir alle ermutigen, die eigene Friedensbefürwortung politisch in der Wissenschaft auszudrücken – daraufhin, dass alle Kriege beendet werden. So wird auch die wesentliche Fluchtursache abgeschafft. Die Umkehrung des „Bologna“-Prozesses und Durchsetzung emanzipatorische Bildung. Denn niemand muss von dieser konkurrenz- und Leistungsenge gegängelt sein. Stattdessen setzen wir auf solidarisches Lernen zum Verstehen und Verbessern der Welt, soziale Öffnung und Bildung durch Wissenschaft zu mündigen Persönlichkeiten. Bedarfsgemäße Finanzierung dter Hochschulen und ein Ende der Schuldenbremse. Denn für sinnvolle Reformschritte benötigt die Wissenschaft, wie alle öffentlichen Einrichtungen, eine bedarfsgemäße Finanzierung. Eine kontinuierliche Protestbewegung gegen ‚Austerity‘ aus den öffentlichen und sozialen Bereichen zu formieren ist zentrales Anliegen. Den Ausbau des Sozialstaats durch die massive Förderung des Studierendenwerks, mit dem exemplarisch für die gesamte Bundesrepublik sozialer Wohnraum, inklusive Daseinsvorsorge und angemessene, sanktionsfreie Förderung (BAföG) entwickelt und durchgesetzt werden kann. Wir sind nicht eigenverantwortlich für unsere soziale Situation. Gemeinsames Engagement ist bereits eine Verbesserung unserer Lage! Eine solidarische Alternative gegen die Ungleichheits- und Leistungshetze von AfD & Co. Nicht „der Flüchtling“, „die Frauen“ oder das „links-rot-grün verseuchte 68er-Deutschland“ sind verantwortlich für die prekäre soziale Lage, sondern die neoliberale Politik, die die Reichen reicher, die Armen ärmer macht. Nie wieder


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Faschismus! Nie wieder Krieg! Der SDS muss lebendiger Bezugspunkt für alle sein, die die Verhältnisse hinterfragen und verändern wollen. Mit dem Anliegen nun nach dem Ende des Neoliberalismus das Neue auf die Welt zu bringen, engagieren wir uns in den Gremien der Hochschulen und Studierendenschaft, im freien zusmmenschluss studentInnenschaften, im Bund demokratischer Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen und weiteren Bünd1 2

nissen wie „Lernfabriken…meutern!“. Die spezifische Interessensvertretung der Studierenden wird im Einklang mit dem allgemeinen Wohl realisiert. Wir suchen die Kooperation mit den Gewerkschaften und besonders deren Jugenden, in der Friedensbewegung, in den sozialen Bewegungen, sowie mit progressiven Initiativen und Bündnissen. Verbesserungen beginnen mit Opposition! In diesem Sinne engagieren wir uns auch in der Partei.

Rendueles, Césa: Globale Regression und postkapitalistische Gegenbewegung, aus: Geiselberger, Heinrich(Hg.): Die große Regression. Eine internationale Debatte über die geistige Situation der Zeit, Berlin 2017, S. 236. Holzkamp, Klaus: Theorie und Praxis im Psychologiestudium, in: Forum Kritische Psychologie, 12.1983, S. 163 f.; zitiert nach: Kaindl, Christina(Hg.): Kritische Wissenschaften im Neoliberalismus, Marburg 2005, S. 7.

Haustürgespräche als Bestandteil aktionsorientierter Hochschulpolitik. Erste Erfahrungen des SDS Bremen. Daniel Urbach (dielinke.SDS Bremen)

Vorbereitung Generell lassen sich viele in unserer Gruppe gut für Aktionen, wo man viel mit Leuten in Gespräche kommt, begeistern. Deshalb hatten wir uns auch schon früh mit solchen Aktionsformen beschäftigt. Nachdem wir uns als SDS an den Haustürgesprächsaktionen der Linken beteiligt hatten und einen Aktionstag von ver.di mit einer Petition für mehr Personal im Krankenhaus in einem Krankenhaus mitgemacht haben, wollten wir mal ähnliche Aktionsformen bei Studierenden ausprobieren. Deshalb haben wir uns die Studiwohnheime als Aktionsort ausgesucht. Die konkrete Vorbereitung für die Haustürgespräche war dann auch nicht mehr so aufwendig. Es brauchte nur die Unterschriftenlisten und den Petitionstext und es mussten die Wohnheime ausgesucht werden. Zudem hatten wir uns davor noch mit kleinen Argumentations- und Rethoriktrainings gestärkt.

Themensetzung mit konkreter Auseinandersetzung Mit der Themensetzung ist uns die rot-grüne Regierung in Bremen etwas entgegen gekommen. Die Landesregierung hat hier vor kurzem beschlossen die Verwaltungskostenbeiträge (versteckte Studiengebühren) in den nächsten zwei Jahren stückweise um 50% zu erhöhen. Dank unserer guten Anbindung an die Fraktion waren wir die Ersten, die davon erfuhren und konnten uns früh etwas ausdenken. In Bremen ist es möglich eine Petition direkt bei der Bürgerschaft einzureichen und deshalb haben wir die Idee entwickelt eine Petition gegen die Erhöhung zu starten und dies mit Haustürgesprächen zu verbinden. Die Petition zu schreiben und einzureichen war kein großer Aufwand. Aktionen Am letzten Tag vor den Vorlesungen, also am Sonntag (2. April) sind wir dann ab 14

56 Uhr gestartet. Wir hatten uns eine Anlage mit 233 Wohnplätzen ausgesucht, die hauptsächlich aus drei bis acht WGs besteht. Wir waren mit sechs Leuten unterwegs und hatten uns auf drei 2er Teams aufgeteilt. Insgesamt waren wir 90 Minuten dort unterwegs. Dabei ist es uns gelungen in diesem Zeitraum 66 Unterschriften zu sammeln, ein Linkspartei-Genosse, der dort wohnt, für die Petition zu aktivieren und jemanden zu Treffen der die Aktion cool fand und vielleicht mitmachen will. Dies alles obwohl das Wetter wirklich sehr gut war und in den WGs deshalb teilweise nur ein bis zwei Leute gerade vor Ort waren. Zudem musste 2/3 der Studis erklärt werden was die Verwaltungskostenbeiträge eigentlich sind, da die meisten das überhaupt nicht kannten. Am Samstag den 8.4 hatten wir dann mit vier Leuten das ganze mit dem Canvassing noch mal im nächst größten Studiwohnheim wiederholt. Diesmal mit insgesamt 183 Wohnplätzen. Hauptsächlich 1-Zimmerwohnungen, aber auch einige 4er bis 6er WGs. Diesmal waren auch deutlich mehr Erasmusstudis dabei, unser Vorhaben mussten wir also häufig auf Englisch erzählen. Auffällig war hier das diesmal deutlich mehr Studis über die Erhöhung bescheid wussten. Dabei ist es uns gelungen innerhalb von einer Stunde 54 Unterschriften zu sammeln. Zudem eine Person zu treffen, die Interesse gezeigt hat, beim SDS mitzumachen. Eindrücke inklusiver und exklusiver Solidarität Wir konnten die Erfahrung machen, daas wir nicht abgewiesen wurden und uns fast immer die Tür aufgemacht wurde. Man merkte jedoch schon einen Unterschied zwischen WGs und kleineren Appartements was die Offenheit anging. In die WGs wurden wir sogar häufig eingeladen rein zu kommen. Zudem konnten wir die Erfahrung sammeln, dass nur wenige Leute Angst da-

...und wie gehts weiter?

vor hatten zu unterschreiben oder unsolidarisch gegenüber anderen Studis dachten. Nur sehr selten sagten Leute, dass es sie nicht interessiert, weil sie bald fertig mit dem Studium sind. Häufig konnten wir die Erfahrung sammeln, dass auch viele Leute die fast fertig waren, fertig waren mit dem Studium oder sogar gar nicht studierten und nur zu Besuch da waren, sehr gerne mit uns darüber redeten und die Petition unterschrieben. Es gab also nur wenige Eindrücke von exklusiver Solidarität. Insgesamt haben wir also durch 2,5 Stunden Canvassing 120 Unterschriften gesammelt, eine Person aktiviert und vielleicht zwei neue GenossInnen gewonnen. Dabei konnten wir zudem später an Infoständen auf dem Campus oder in Gesprächen mit KomilitonInnen feststellen, dass die Aktionen auch etwas aufgefallen sind. Die Vorbereitungen dafür betrugen dabei maximal 1,5-2 Stunden. Dementsprechend sehen wir es als einen Erfolg an, bei dem wir viel Spaß hatten, coole Erfahrungen gesammelt haben und unsere Gruppe gestärkt haben. Zudem betrachten wir es auch als ein Vorbild für andere Städte.


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