Geschäftsbericht 2009

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Vorwort

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Beschäftigung

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Soziale Sicherung

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Arbeitsrecht

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Tarifpolitik

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Bildung

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Europa und Internationales

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Gesellschaftspolitik

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Volkswirtschaft

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Presse- und Ă–ffentlichkeitsarbeit

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BDA-Organisation



Sehr geehrte Damen und Herren, in den vergangenen zwölf Monaten war die Arbeit der BDA im Wesentlichen von der Wirtschaftsund Finanzkrise geprägt. Zwar werden die Konjunkturprognosen nach oben korrigiert und zumindest gesamtwirtschaftlich wurde die Talsohle verlassen. Die deutsche Wirtschaft ist aber noch lange nicht über den Berg. Die Bewältigung der Krise wird auch im Jahr 2010 die Arbeit der BDA bestimmen. Der Arbeitsmarkt ist trotz der dramatischen Wirtschaftskrise bisher sehr stabil. Vielfach ist von einem „Arbeitsmarktwunder“ in Deutschland die Rede. Dazu haben die verbesserten Möglichkeiten der Kurzarbeit, moderne Tarifverträge und flexible Betriebsvereinbarungen beigetragen. Einen wesentlichen Beitrag haben aber die deutschen Unternehmen geleistet, die trotz der Krise mit großer Entschlossenheit alles getan haben, um Beschäftigung so weit wie möglich zu halten. Entscheidend ist, dass sie weiterhin – auch und gerade in den Krisenbranchen – alle Anstrengungen unternehmen, um die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, Strukturen anzupassen und gleichzeitig Beschäftigung zu sichern. Ob sie dazu in der Lage sind, hängt auch vom zentralen Thema „Unternehmensfinanzierung“ ab. Die mit Abstand wichtigste wirtschaftspolitische Aufgabe ist daher derzeit die Sicherung der Unternehmensfinanzierung. Es bedarf dringend weiterer Maßnahmen, damit die Banken in die Lage versetzt werden, den Unternehmen ausreichende Finanzierungsmittel zur Verfügung zu stellen. Hierzu benötigen wir u. a. wieder einen funktionierenden deutschen Verbriefungsmarkt mit Transparenz und klaren Regeln. Das sollte mit einer zeitlich befristeten Teilverbürgung aus dem „Wirtschaftsfonds Deutschland“ und einem Selbstbehalt der Banken verbunden werden. Kurzarbeit war das zweite Krisenthema 2009. Der erfreulich stabile Arbeitsmarkt darf nicht zur falschen Schlussfolgerung verleiten, die Krise sei in Deutschland bereits überwunden. 2010 wird ein sehr kritisches Jahr für den Arbeitsmarkt. Deshalb war die Entscheidung der Bundesregierung richtig, auch für im Jahr 2010 beginnende Kurz-

arbeit erleichterte Bedingungen vorzusehen. Die Strategie der Beschäftigungssicherung durch die erleichterte Durchführung von Kurzarbeit hat sich bewährt. Im kommenden Jahr muss auf Basis der wirtschaftlichen Entwicklung entschieden werden, ob und ggf. mit welchen Regelungen beim Kurzarbeitergeld weiterhin die Krisenfolgen abgemildert werden können. Die Koalitionsvereinbarung vom Oktober 2009 hat bei unseren Themen, vor allem in den Bereichen Arbeitsmarkt und Sozialpolitik, bemerkenswerte Weichenstellungen geboten: den Einstieg in die Entkopplung der Krankenversicherung vom Arbeitsverhältnis, die kapitalgedeckte Säule in der Pflegeversicherung und die Übernahme des krisenbedingten Defizits bei der Arbeitslosenversicherung aus Steuermitteln. In den nächsten Monaten wird es darum gehen, die Bundesregierung dabei zu unterstützen, die notwendigen Maßnahmen zu strukturellen Veränderungen unserer Sozialsysteme entschlossen und konsequent umzusetzen. Es wird unsere Aufgabe sein, sie daran zu erinnern, nach der Krise konsequent zu einem Kurs der Konsolidierung zurückzukehren und dabei neue Belastungen von Wirtschaft und Arbeit zu unterlassen. Wir werden sie auch daran messen, ob sie in den kommenden Jahren die Zukunftsinvestitionen, vor allem für Bildung und Innovation, stärkt. Der vorliegende Geschäftsbericht gibt Auskunft über die Konzepte der BDA und über die wichtigsten politischen Schwerpunkte im Jahr 2009.

Dr. Reinhard Göhner Hauptgeschäftsführer der BDA Dezember 2009 | Berlin

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Zügige Erholung am Arbeitsmarkt unterstützen Trotz der schweren internationalen Wirtschaftsund Finanzkrise mit massiven Absatzeinbrüchen in vielen Unternehmen ist der Arbeitsmarkt in diesem Jahr erstaunlich robust geblieben. International wird von einem deutschen „Arbeitsmarktwunder“ gesprochen, weil Deutschland als das nach Japan von allen großen OECD-Ländern am stärksten betroffene Land bisher nur einen vergleichsweise geringen Anstieg der Arbeitslosigkeit erlitten hat. Das zur Bundesagentur für Arbeit (BA) gehörende Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat berechnet, dass infolge des Rückgangs des ­Bruttoinlandsprodukts in der ersten Hälfte 2009 gegenüber dem ersten Halbjahr 2008 rein rechnerisch die Erwerbstätigenzahl um 3,2 Mio. hätte zurückgehen müssen. Tatsächlich ist der Produktionsausfall aber fast vollständig durch Arbeitszeitreduzierung und Verringerungen der Stundenproduktivität kompensiert worden. Die Unternehmen haben also gerade in einem kritischen Zeitpunkt der Krise durch ein in diesem Ausmaß bisher nicht gekanntes Festhalten an ihrem Personal zur Stabilität des deutschen Arbeitsmarkts und damit zur Stabilisierung der wirtschaftlichen Situation in Deutschland insgesamt beigetragen. Eine wichtige Rolle spielte dabei die Kurzarbeit. Nachdem im Mai mit über 1,5 Mio. Beziehern von konjunkturellem Kurzarbeitergeld ein vorläufiger Höhepunkt erreicht wurde, hat sich Kurzarbeit nach aktuellen Zahlen vom dritten Quartal 2009 auf dem hohen Niveau von über 1 Mio. betroffenen Arbeitnehmern eingependelt. Damit wurden viele hunderttausend Arbeitsplätze gesichert. Dass Kurzarbeit eine so starke Funktion als Stabilisator am Arbeitsmarkt erfüllen konnte, liegt vor allem an den von der BDA angestoßenen und durch den persönlichen Einsatz von Arbeitgeberpräsident Dr. Dieter Hundt erreichten weitgehenden Entlastungen der Betriebe bei den Sozialversicherungsbeiträgen. Dennoch kostet Kurzarbeit nach Prognosen des IAB die Unternehmen in Deutschland in diesem Jahr voraussichtlich immer noch mehr als 5 Mrd. € in Form der verbleibenden Remanenzkosten. Da die Krise am Arbeitsmarkt noch längst nicht überwunden ist, sondern die Wirt-

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schaftsexperten gerade für das nächste Jahr ein stärkeres Anwachsen der Arbeitslosigkeit erwarten, hat sich die BDA gegenüber der neuen Bundesregierung dafür eingesetzt, die ab nächstem Jahr auf sechs Monate zurückfallende Bezugszeit für Kurzarbeitergeld auf dem bisherigen Niveau fortzuschreiben. Die Bundesregierung hat daraufhin die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass Kurzarbeit im Jahr 2010 unter den gleichen Bedingungen möglich ist wie 2009. Im kommenden Jahr muss auf Basis der wirtschaftlichen Entwicklung entschieden werden, mit welchen Regelungen beim Kurzarbeitergeld auch über das Jahr 2010 hinaus die Krisenfolgen am Arbeitsmarkt abgemildert werden können. Wie erwartet, hat die Wirtschaftskrise gerade die Arbeitslosenversicherung schwer getroffen. Die Arbeitslosenversicherung hat vor allem auch aufgrund der internen Reformmaßnahmen in den letzten Jahren eine beispielgebende Erfolgsstory geschrieben und mit der ermöglichten Beitragssenkung von 6,5 auf 2,8 % Arbeitgeber und Arbeitnehmer in den Jahren 2007 bis 2010 um insgesamt über 100 Mrd. € entlastet. Zugleich konnte die BA eine Rücklage von 17 Mrd. € aufbauen, die allerdings durch die krisenbedingten Mehrausgaben Ende dieses Jahres weitgehend aufgezehrt sein wird. Um zu verhindern, dass die Arbeitslosenversicherung ohne eigene Schuld ab nächstem Jahr in ein gewaltiges Defizit läuft, das sie aus eigener Kraft nur bei einer massiven Beitragserhöhung stemmen könnte, hat sich die BDA frühzeitig gegenüber der Politik dafür eingesetzt, auch die krisenbedingten Mehrausgaben der BA in den Investitions- und Tilgungsfonds zu überführen. Es ist ein großer Erfolg, dass sich die Koalitionspartner darauf verständigt haben, den Beitragssatz in der Arbeitslosenversicherung zu stabilisieren und dazu das in der Arbeitslosenversicherung entstehende Defizit anstelle eines Darlehens durch einen Zuschuss aus Steuermitteln aufzufangen. Eine Beitragserhöhung wäre gerade in der jetzigen Situation Gift für Wachstum und Beschäftigung. Sie muss deshalb unbedingt vermieden werden. Unter dem Gesichtspunkt der weiteren Verbesserung der Leistungsfähigkeit und auch der finanziellen Nachhaltigkeit des ab 2011 geltenden Beitragssatzes von 3 % ist es wichtig, die


Strukturreformen in der Arbeitslosenversicherung konsequent fortzusetzen. Die Koalitionsparteien haben dazu zu Recht vereinbart, die Vielzahl der heutigen Arbeitsmarktinstrumente deutlich zu reduzieren und Arbeitsvermittlern vor Ort mehr Ermessensspielraum für einen flexiblen Instrumenteneinsatz zu geben. Dies ermöglicht eine bessere, zielgerichtete Förderung im Einzelfall. Das hilft nicht nur den arbeitslosen Menschen, es spart auch Geld. Leider hat sich auch die neue Koalition noch nicht dazu durchgerungen, der anstehenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zuvorzukommen und die Belastung der Beitragszahler mit dem sog. Eingliederungsbeitrag zu beseitigen. Mit dem Eingliederungsbeitrag wurden allein 2009 rd. 5 Mrd. € Beitragsgelder zweckentfremdet und zu Gunsten der staatlichen Fürsorgeleistung Arbeitslosengeld II in den Bundeshaushalt umgeleitet. Wäre die Arbeitslosenversicherung nicht seit 2005 mit dem früheren Aussteuerungsbetrag und jetzigen Eingliederungsbeitrag belastet worden, hätte sie bis Ende 2009 zur Bewältigung der Krise am Arbeitsmarkt in den nächsten Jahren eine zusätzliche Rücklage in Höhe von 20 Mrd. € bilden können. Damit wäre nicht nur der für nächstes Jahr in Höhe von 16 Mrd. € geplante Βundeszuschuss entbehrlich gewesen. Die Arbeitslosenversicherung wäre sogar im mittelfristigen Finanzszenario bis 2013 trotz der seit Ende des Zweiten Weltkriegs schwersten Rezession bei mehr als halbiertem Beitragssatz ohne diesen Raubzug des Bundes praktisch schuldenfrei. Die größte Herausforderung für die neue Bundesregierung stellt sich im Bereich der Arbeitsmarktpolitik bei der Neuorganisation der Grundsicherung für erwerbsfähige Hilfebedürftige. Dabei geht es nicht nur um eine bessere Hilfe für 5 Mio. Arbeitssuchende und ihre Familien und um den Abbau der inakzeptabel hohen Langzeitarbeitslosigkeit, sondern auch darum, unnötige Milliardenausgaben einzusparen. Hierzu ist eine leistungsfähige Organisation die Grundvoraussetzung. Die bisherigen Arbeitsgemeinschaften (ARGEn) aus Arbeitsagenturen und Kommunen werden diesen Anforderungen leider nicht gerecht und werden vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrige Mischverwaltung auch nur noch bis Ende 2010 geduldet. Für eine Verfassungsänderung zu Gunsten einer vorran-

gigen Verantwortung der Kommunen, deren ureigene Aufgabe die Integration von Menschen in die Gesellschaft ist, besteht derzeit keine Mehrheit. Deshalb muss jetzt schnellstmöglich eine freiwillige Zusammenarbeit von Arbeitsagenturen und Kommunen „unter einem Dach“ mit weitgehender Gestaltungsfreiheit, klaren Zuständigkeiten und damit klaren Verantwortlichkeiten, einer möglichst starken Beteiligung der Kommunen, vollständiger Transparenz sowie einer Steuerung nach Wirkung und Wirtschaftlichkeit hergestellt werden.

Arbeitsmarkt trotz Wirtschaftseinbruch überraschend stabil Trotz des massiven Konjunktureinbruchs zeigte sich der deutsche Arbeitsmarkt im Jahr 2009 erstaunlich robust. Die Arbeitslosigkeit stieg hierzulande weniger stark, als zunächst erwartet worden war, und auch weniger als in Ländern wie Spanien, Großbritannien oder den USA, wo die Wirtschaft nicht so stark schrumpfte. Mit zuletzt 3,2 Mio. registrierten Arbeitslosen im November waren zwar rd. 230.000 mehr Menschen ohne Arbeit als 2008. Dies war angesichts des heftigen Auftrags- und Absatzeinbruchs vor allem in weiten Teilen der Industrie aber nur ein sehr moderater Anstieg. Dass der Arbeitsmarkt nach wie vor recht stabil ist, zeigt auch ein Blick auf die Entwicklung der Erwerbstätigenzahl. Sie lag zuletzt lediglich 145.000 unter Vorjahresniveau (Stand Oktober) und hielt sich damit weiter deutlich über der 40-Mio.-Marke. Der kräftige Rückgang bei der Zahl der offenen Stellen spiegelt den konjunkturellen Einbruch dagegen ungleich deutlicher wider: Nach Erkenntnissen des IAB gab es im dritten Quartal 2009 zwar noch immer rd. 650.000 offene Stellen am ersten Arbeitsmarkt, gegenüber dem letzten Jahr bedeutet dies aber einen Rückgang um rd. ein Fünftel. Dabei sind die stark exportabhängigen Unternehmen im Westen Deutschlands von der Wirtschaftskrise deutlich stärker betroffen als die Unternehmen im Osten. Insgesamt ist der starke Rückgang der gemeldeten offenen Stellen am ersten Arbeitsmarkt in den letzten Monaten erfreulicherweise aber fast zum Stillstand gekommen.

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Neben anderen betrieblichen Maßnahmen zur Flexibilisierung hat die von der BA geförderte Kurzarbeit erheblich dazu beigetragen, dass Unternehmen in der Krise bisher weitgehend auf betriebsbedingte Kündigungen verzichten und Arbeitskräfte regelrecht „horten“ konnten. Im September 2009 (neuere Zahlen noch nicht verfügbar) bezogen rd. 1,1 Mio. Beschäftigte konjunkturelles Kurzarbeitergeld von der BA. Bei einem Arbeitsausfall von durchschnittlich rd. 30 % entspricht dies nach Berechnungen der BA über 300.000 Vollzeitstellen, die mittels Kurzarbeit gesichert werden konnten. Klar ist aber auch, dass die Lage am Arbeitsmarkt nur dann stabil bleiben und eine nachhaltige Erholung nur dann einsetzen kann, wenn die Konjunktur im In- und Ausland schnell und dauerhaft anzieht. Die sich inzwischen wieder leicht aufhellenden Wachstumsprognosen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass auf die neue Bundesregierung große Herausforderungen zukommen – nicht zuletzt auch, weil der Arbeitsmarkt stets verzögert auf konjunkturelle Entwicklungen reagiert: Nach voraussichtlich 3,4 Mio. Arbeitslosen im Jahresschnitt 2009 rechnet das IAB für 2010 mit einem Anstieg der jahresdurchschnittlichen Arbeitslosigkeit auf 3,9 bis 4,1 Mio. Personen. Dabei wirkt sich entlastend aus, dass das Arbeitskräfteangebot aufgrund der am Arbeitsmarkt bereits deutlich spürbaren demografischen Entwicklung im Jahresschnitt um 140.000 Personen zurückgeht. Da die Unternehmen in starkem Maße derzeit Arbeitskräfte „horten“, ist am Arbeitsmarkt ein enormer „Puffer“ in der Beschäftigung aufgebaut worden. Dies erklärt, warum das IAB selbst bei einem relativ kräftigen Wachstum des Bruttoinlandsprodukts im nächsten Jahr immer noch von einem erheblichen Anstieg der Arbeitslosigkeit ausgeht. Damit wird aber auch deutlich, wie risikobehaftet die Entwicklung am Arbeitsmarkt trotz aller hoffnungsvollen Anzeichen bleibt und dass eine Trendwende noch nicht erkennbar ist. Selbst bei einem nachhaltig anziehenden Wirtschaftswachstum muss aufgrund des entstandenen „Beschäftigungspuffers“ zunächst mit einer Phase ohne Arbeitsplatzaufbau gerechnet werden.

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Bemühungen zur Beschäftigungssicherung erfolgreich Die Unternehmen in Deutschland haben in der Krise bewiesen, dass sie einer vorausschauenden, nachhaltigen Personalpolitik eine zentrale Bedeutung beimessen. Sie schöpfen offensichtlich alle Möglichkeiten aus, um ihre Beschäftigten zu halten und Entlassungen, so weit es geht, zu vermeiden. Als sinnvollen Ansatz zur Beschäftigungssicherung in der Krise hat sich insbesondere die Flexibilisierung der Arbeitszeit durch den Abbau von Arbeitszeitguthaben und bezahlten Überstunden sowie den Einsatz von Kurzarbeit erwiesen. Anders als in der öffentlichen Debatte oft dargestellt, ist aber gerade die Kurzarbeit für die Unternehmen nicht kostenlos, sondern trotz der von der BDA eingeforderten, von der Bundesregierung auf den Weg gebrachten Erleichterungen immer noch ein teures Instrument: Das IAB ermittelte eine Verteilung der finanziellen Lasten der Kurzarbeit für 2009 auf die BA in Höhe von ca. 6 Mrd. €, auf die Arbeitnehmer durch Einkommensverlust in Höhe von ca. 3 Mrd. € und auf die Unternehmen in Höhe von 5 Mrd. €. Die bei den Unternehmen verbleibenden sog. Remanenzkosten sind Kosten, die für die durch Kurzarbeit ausgefallenen Arbeitsstunden beim Betrieb bestehen bleiben, obwohl de facto keine Arbeitsleistung erbracht wird. An diesen Zahlen wird aber auch die Bedeutung der von der BDA angestoßenen Erleichterungen für die Unternehmen beim Einsatz von Kurzarbeit für deren intensive Anwendung erkennbar: Nachdem bereits Ende 2008 die Bezugsdauer von Kurzarbeitergeld von 12 auf 18 Monate verlängert wurde, konnte unter maßgeblichem Einfluss der BDA mit dem „Gesetz zur Sicherung von Beschäftigung und Stabilität in Deutschland“ (Konjunkturpaket II) seit Februar 2009 zunächst mit der hälftigen Erstattung der – vom Arbeitgeber ansonsten allein zu tragenden – Sozialversicherungsbeiträge bei Kurzarbeit durch die BA eine erhebliche finanzielle Erleichterung für die Unternehmen erreicht werden. Die Beiträge wurden zunächst nur vollständig erstattet, wenn während des Arbeitsausfalls eine berücksichtigungsfähige Qualifizierung durchgeführt wurde. Zudem wurden die Zugangsvoraussetzungen zum Kurzarbeitergeld erleichtert – etwa durch den Verzicht auf das


Kurzarbeitergeld sichert Beschäftigung in der Krise Entwicklung der Zahlen von Personen in konjunktureller Kurzarbeit und von Personen in Anzeigen (April 2008 – September 2009)

Personen 1.600.000

1.400.000

1.200.000

1.000.000

800.000

600.000

400.000

200.000

0 Apr Mai Jun 08 08 08

Jul 08

Aug Sep Okt Nov Dez Jan Feb Mrz Apr Mai Jun 08 08 08 08 08 09 09 09 09 09 09

Jul 09

Aug Sep 09 09

Personen in konjunktureller Kurzarbeit Personen in Anzeigen Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Oktober 2009

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zwingende Erfordernis, dass mindestens ein Drittel des Betriebs von einem Entgeltausfall in Höhe von mindestens 10 % betroffen sein muss, oder durch den Verzicht auf den Aufbau von negativen Arbeitssalden (Minusstunden). Zur erleichterten Durchführung von Kurzarbeit hat zweifellos auch die in Gesprächen mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) und der BA durch die BDA auf untergesetzlicher Ebene vereinbarte ganz erhebliche Vereinfachung des Verwaltungsverfahrens bei der Beantragung von Kurzarbeitergeld beigetragen. Aufgrund des Andauerns der schlechten wirtschaftlichen Lage mussten die mit Kurzarbeit verbundenen Kosten weiter massiv gesenkt werden, um die positive arbeitsmarktpolitische Wirkung von Kurzarbeit zu erhalten. Arbeitgeberpräsident Dr. Dieter Hundt hat sich daher persönlich in Gesprächen mit der Bundeskanzlerin und Vertretern der Bundesregierung mit Nachdruck dafür eingesetzt, die Arbeitgeber bei Kurzarbeit vollständig von den Sozialversicherungsbeiträgen zu entlasten. Das durch diese Gespräche initiierte „Kurzarbeitergeld plus“ ermöglicht seit

Juli dieses Jahres bis Dezember 2010 allen Unternehmen eine vollständige Entlastung von den Sozialversicherungsbeiträgen nach sechs Monaten Kurzarbeit ohne die oftmals kaum zu erfüllende Vorbedingung der Weiterbildung während der ausfallenden Arbeitszeit. Da für die sechsmonatige Wartefrist auch die Kalendermonate ab Januar 2009 berücksichtigt wurden, wenn in diesen Monaten Kurzarbeitergeld bezogen wurde, war die volle Beitragserstattung bereits mit Inkrafttreten des Gesetzes zum 1. Juli 2009 möglich. Besonders hervorzuheben ist außerdem, dass für die Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge nicht auf den einzelnen kurzarbeitenden Arbeitnehmer abgestellt wird, sondern es ausreicht, dass Kurzarbeit im Betrieb durchgeführt wurde. Zudem konnte die BDA eine Klarstellung bewirken, dass die Sozialversicherungsbeiträge für die Kurzarbeiter in allen Betrieben eines Arbeitgebers erstattet werden, wenn Kurzarbeit in mindestens einem seiner Betriebe sechs Monate durchgeführt wurde. Durch diese Regelung wird gewährleistet, dass der Arbeitgeber Kurzarbeit flexibel einsetzen und auf andere Betriebe ausdehnen kann, ohne erneut mit den Sozialversicherungsbeiträgen für

Wirtschaftskrise erhöht Reformbedarf beim Insolvenzgeld Die in der Krise ansteigende Zahl der Unternehmensinsolvenzen wirkt sich zeitverzögert auch nachteilig auf die Höhe der Insolvenzgeldumlage aus. Nach einer Verordnung des BMAS muss die ausschließlich bei den Arbeitgebern erhobene Umlage zur Finanzierung des Insolvenzgelds 2010 von derzeit 0,1 % auf 0,41 % angehoben werden. Damit verbunden sind ein kontraproduktiver Anstieg der Lohnzusatzkosten und eine Verteuerung von Arbeit. Solche Mehrbelastungen sind gerade in der Krise Gift für die Beschäftigung und sollten daher vermieden werden. Die BDA hat sich deshalb gegenüber dem BMAS dafür eingesetzt, den Anstieg der Insolvenzgeldumlage zumindest abzufedern, indem drängende Strukturreformen auf den Weg gebracht werden. Vor allem muss das sog. vorfinanzierte Insolvenzgeld, auf das rd. 50 % der Ausgaben in diesem Bereich entfallen, als allgemeine, gesamtgesellschaftliche Aufgabe aus der alleinigen Arbeitgeberfinanzierung in die Steuerfinanzierung überführt werden. Das vorfinanzierte ­Insolvenzgeld dient nicht der rückwirkenden Absicherung des Arbeitnehmerlohns, sondern dem Gläubigerschutz, indem es als quasi bedingungslose Liquiditätshilfe zur Fortführung insolventer Betriebe genutzt wird. Eine Deckung des vorfinanzierten Insolvenzgelds mit Steuermitteln – notfalls durch eine Auslagerung der hieraus entstehenden Belastung in den Investitions- und Tilgungsfonds des Bundes – könnte den Anstieg der Insolvenzgeldumlage im Jahr 2010 auf 0,2 % abmildern. Das würde die Belastungen der Unternehmen 2010 um 1,4 Mrd. € verringern – Geld, das die Unternehmen gerade jetzt dringend für Investitionen und zur Beschäftigungssicherung benötigen.

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die Ausfallzeit belastet zu werden. Ohne diese beschriebenen Maßnahmen hätte die Kurzarbeit ihre Funktion als starker Stabilisator am Arbeitsmarkt kaum erfüllen können. Nachdem das Bundeskabinett noch Ende November beschlossen hat, auch für im Jahr 2010 beginnende Kurzarbeit die Möglichkeit zu eröffnen, Kurzarbeitergeld bis zu 18 Monate zu beziehen, ist Kurzarbeit – wofür sich die BDA eingesetzt hatte – auch im nächsten Jahr unter den gleichen Bedingungen wie in diesem Jahr einsetzbar. Inwieweit eine Verlängerung der erleichterten Durchführung von Kurzarbeit über den 31. Dezember 2010 hinaus erforderlich ist, muss im nächsten Jahr entschieden werden, wenn sich die weitere wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland klarer abzeichnet. So sinnvoll und segensreich Kurzarbeit als „Brücke“ für vorübergehende Umsatzeinbrüche wirken und dabei der Arbeitslosenversicherung sogar teureres Arbeitslosengeld ersparen kann, sie darf auf keinen Fall von der Marktentwicklung überholte Wirtschaftsstrukturen konservieren und erforderliche Strukturanpassungsprozesse verhindern. Deshalb sind auch Forderungen, mehrjährige Arbeitszeitverkürzungen staatlicherseits durch Steuer- und Beitragsfreiheit von Teillohnausgleichen zu fördern, entschieden abzulehnen.

Leistungsfähige Arbeitslosengeld-­IIVerwaltung schaffen Ein wesentlicher Hemmschuh für die nach wie vor dringend notwendige bessere Aktivierung, passgenaue Vermittlung und gezielte Förderung auch von geringer Qualifizierten und Langzeitarbeitslosen ist die weiterhin ungelöste Zuständigkeitsfrage für die staatliche Fürsorgeleistung Arbeitslosengeld II. Bereits im Dezember 2007 hatte das Bundesverfassungsgericht die zum 1. Januar 2005 eingerichteten ARGEn aus Arbeitsagenturen und Kommunen für verfassungswidrig erklärt und eine Neuorganisation bis spätestens 1. Januar 2011 eingefordert. Nachdem ein erster Vorschlag des BMAS und der BA zur Errichtung sog. Kooperativer Jobcenter bereits im vergangenen Jahr am Widerstand der Bundesländer gescheitert war, hatte das BMAS Anfang 2009 einen zweiten Vorstoß unternommen, die Mischverwaltung aus Kommunen und Arbeitsverwaltung in „Zentren für Arbeit

und Grundsicherung“ (ZAG) fortzuführen. Auch dieser von der BDA mit Nachdruck kritisierte Versuch scheiterte zu Recht durch die Ablehnung der ­CDU/­CSU-Bundestagsfraktion. Mit dem ZAG wäre der Irrweg einer nicht erfolgsfähigen Mischverwaltung nicht nur fortgesetzt und zementiert, sondern sogar noch verschlimmert worden: Die Betreuung der Arbeitslosengeld-II-Empfänger wäre durch neue Verwaltungsebenen zu Lasten der Betroffenen weiter bürokratisiert und das oberste Ziel, klare Entscheidungsstrukturen zu schaffen, vollkommen verfehlt worden. De facto wäre eine Umsetzung der ZAG auf die Etablierung eines MegaBundessozialamts unter Steuerung vom „grünen Tisch“ der Ministerialbürokratie des BMAS hinausgelaufen. Weniger statt mehr dezentraler Handlungskompetenz für eine zielgerichtete Förderung im Einzelfall nach Wirkung und Wirtschaftlichkeit wäre die unweigerliche Folge gewesen. Die BDA hat von Anfang an deutlich gemacht, dass eine Übertragung der Federführung für die Betreuung erwerbsfähiger Hilfebedürftiger auf die Kommunen die sinnvollste Lösung wäre. Die ganzheitliche Unterstützung erwerbsfähiger Hilfebedürftiger und ihrer Familien vor allem durch jugend-, sozial-, familien- und bildungspolitische Maßnahmen, die frühzeitig ansetzen und mit einer gezielten arbeitsmarktpolitischen Förderung ineinandergreifen müssen, zählt zu den ureigenen Aufgaben der kommunalen Ebene. Allerdings würde eine rein kommunale Lösung eine Verfassungsänderung erforderlich machen, für die derzeit keine politische Mehrheit absehbar ist. Die neue Bundesregierung hat daher im Koalitionsvertrag vereinbart, eine verfassungsfeste Neuregelung ohne Grundgesetzänderung auf den Weg zu bringen. Angestrebt wird eine getrennte Aufgabenwahrnehmung mit Leistungsgewährung „unter einem Dach“ auf der Basis freiwilliger Kooperationsvereinbarungen zwischen Arbeitsagenturen und Kommunen. Die diesbezüglich von Bundesministerin von der Leyen Anfang Dezember vorgelegten „Eckpunkte“ stellen einen guten Rahmen dar, um die Konstruktionsfehler der bisherigen ARGEn zu beseitigen, eine funktionierende Zusammenarbeit von Arbeitsagenturen und Kommunen gesetzlich zu ermöglichen und die Steuerbarkeit der Leistungserbringung im Interesse der Arbeitssuchenden spürbar zu verbessern. Notwendig sind vor allem endlich

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Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit kommt kaum voran Langzeitarbeitslosigkeit in der EU in den Jahren 2005–2008

in % 70

60

50

40

30

20

10

0 Deutschland

EU-15

Frankreich

2005 2006 2007 2008 Quelle: OECD-Beschäftigungsausblick 2009

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Spanien Großbritannien Dänemark

USA

Norwegen


Strukturen, die klare Zuständigkeiten und damit auch klare Verantwortlichkeiten für die Kommunen und Arbeitsagenturen erkennen lassen. Darüber hinaus bedarf es einer rechtssicheren, stärkeren Beteiligung der Kommunen etwa auch bei der Gestaltung der lokalen Arbeitsmarktpolitik sowie vollständiger Transparenz über Kosten und Wirkungen von Maßnahmen und Leistungen für ­Arbeitslosengeld-II-Bezieher. Im Interesse der Fürsorgeempfänger und der Steuerzahler, die das Arbeitslosengeld II finanzieren, müssen zudem die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass auch bei der Förderung erwerbsfähiger Hilfebedürftiger Maßnahmen konsequent nach den Kriterien von Wirkung und Wirtschaftlichkeit eingesetzt werden, wie dies heute bereits erfolgreich im Bereich der Arbeitslosenversicherung geschieht. Hierdurch wird eine passgenauere Förderung ermöglicht, die sich gleich in zweierlei Hinsicht auszahlt: Einerseits werden die Chancen auf eine zügige Integration in den Arbeitsmarkt verbessert und das Risiko der Langzeitarbeitslosigkeit reduziert, andererseits lassen sich so erhebliche Effizienzreserven mobilisieren, um die enorm hohen Ausgaben beim Arbeitslosengeld II zu reduzieren. Das Ziel muss sein: mehr Wirkung für weniger Geld. Um dies zu erreichen, sind zwischen Arbeitsagentur und Kommune gegenseitig vereinbarte kooperative Lösungen mit dezentraler Handlungskompetenz, der Möglichkeit gegenseitiger variabler Beauftragung und damit auch der federführenden Übernahme des Fallmanagements für Personengruppen mit besonderen sozialintegrativen Handlungsbedarfen durch die Kommunen erforderlich. Die Steuerung durch die Bundesregierung sollte sich auf Zielvereinbarungen mit der BA beschränken, das heißt, ein zentrales Durchsteuern der BMAS-Ministerialbürokratie muss ausgeschlossen werden. Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „Arbeitslosengeld II“ veröffentlicht.

Reformen in der Arbeitsmarktpolitik fortsetzen Der Arbeitslosenversicherung wurde in der Vergangenheit die Finanzierung immer neuer gesamtgesellschaftlicher Aufgaben aufgebürdet. Dies erweist sich in der aktuellen Krise, die den Haushalt der BA ohnehin stark belastet, einmal mehr als schwere Last: Bereits im letzten Jahr machten die gesamtgesellschaftlichen Leistungen fast ein Viertel aller Ausgaben im Haushalt der BA aus, 2009 summierten sich die Ausgaben für gesamtgesellschaftliche Aufgaben auf fast 10 Mrd. €. Nicht zuletzt angesichts des krisenbedingten Defizits bei der BA ist hier ein Kurswechsel dringlicher denn je. Der Arbeitslosenversicherung dürfen keine neuen Belastungen für gesamtgesellschaftliche Aufgaben übertragen werden, bereits übertragene Aufgaben müssen zurückgenommen oder in die Steuerfinanzierung überführt werden. Dies gilt zuallererst für den system- und verfassungswidrigen Eingliederungsbeitrag, mit dem die Beitragszahler zur Arbeitslosenversicherung hälftig an den Kosten für die Integration von Empfängern der staatlichen Fürsorgeleistung Arbeitslosengeld II beteiligt werden. Allein ohne diese Belastung wäre die BA trotz des mehr als halbierten Beitragssatzes schon in der Lage, die schwerste Rezession für die Bundesrepublik Deutschland aus eigener Kraft zu bewältigen. Überdies kommt es gerade jetzt in der Krise darauf an, dass die neue Bundesregierung die in der letzten Legislaturperiode begonnene Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente, wie im Koalitionsvertrag beschlossen, im Sinne einer Konzentration auf nachweislich integrationsfördernde Maßnahmen voranbringt. Alle Maßnahmen, die nachweislich unwirksam und ineffizient sind, müssen abgeschafft werden. Insgesamt muss es darum gehen, die Gesamtzahl der Arbeitsförderungsinstrumente durch Zusammenfassung in flexibleren Tatbeständen so weit wie möglich zu reduzieren und in den gesetzlichen Vorgaben zu straffen. Dies ist notwendig, um den Arbeitsvermittlern vor Ort größere Ermessensspielräume zu Gunsten eines zielgerichteteren Einsatzes der Förderinstrumente zu geben. Dies ist nicht nur im Interesse der Arbeitslosen, sondern birgt gerade auch in der jetzigen Krisen­situation

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weitere wichtige Einsparpotenziale durch einen effektiveren und effizienteren Mitteleinsatz. Vor diesem Hintergrund ist es erfreulich, dass nicht zuletzt auf Intervention der BDA insbesondere in den Verhandlungen zum Konjunkturpaket II und kurz vor der Bundestagswahl die von Teilen der Politik und den Gewerkschaften angestrebte Verlängerung der geförderten Altersteilzeit abgewendet werden konnte und im Koalitionsvertrag vereinbart wurde, die Förderung der Altersteilzeit wie gesetzlich vorgesehen Ende 2009 auslaufen zu lassen. Die beitragsfinanzierte Förderung der Altersteilzeit verursacht nicht nur enorm hohe Kosten für die Arbeitslosenversicherung, sondern ist

darüber hinaus vor allem auch ein Instrument der Frühverrentung, das nicht für mehr, sondern weniger Beschäftigung Älterer sorgt. Die Erfahrungen haben gezeigt, dass Arbeitsumverteilung nach dem Motto „Alt raus, Jung rein“ nicht funktioniert und hierdurch keine „Beschäftigungsbrücke“ für Jüngere gebaut wird. Selbst wenn Jüngere die frei gewordenen Arbeitsplätze der Älteren besetzen, werden vor allem solche Einstellungen gefördert, die ohnehin vorgenommen worden wären. Um die Beschäftigungsaussichten junger Menschen frühzeitig und nachhaltig zu verbessern, kommt es nicht zuletzt entscheidend darauf

Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Eingliederungsbeitrag rückt näher Zu den von mehreren Unternehmen mit Unterstützung der BDA im September 2008 erhobenen Verfassungsbeschwerden gegen den Eingliederungsbeitrag hat die BDA in ihrer Stellungnahme vom 27. Februar 2009 noch einmal herausgestellt, dass es für den massiven Griff des Bundes in die Kasse der Arbeitslosenversicherung, mit dem allein in diesem Jahr zweckgerichtete Beiträge in Höhe von rd. 5 Mrd. € und im nächsten Jahr sogar rd. 5,5 Mrd. € willkürlich umgewidmet und zur allgemeinen Finanzierung des Bundeshaushalts missbraucht werden, keine Legitimation gibt. Das BMAS hingegen leitet aus der umfassenden Aufgabe der Arbeitslosenversicherung zur ­Integration Arbeitsloser in den Arbeitsmarkt, der nicht in einen SGB-III- und SGB-II-Bereich zu trennen sei, die ­Finanzverantwortung der BA für die Kosten der Leistungen zur Eingliederung in Arbeit in der Grundsicherung für Arbeitssuchende her. Deshalb sei die hälftige Beteiligung der BA an den Kosten der Eingliederungsleistungen für Hilfebedürftige durch den Eingliederungsbeitrag gerechtfertigt. Mit Schreiben vom September 2009 sind die alternierenden Vorsitzenden des Verwaltungsrats der BA, Peter Clever (BDA) und Annelie Buntenbach (DGB), gegenüber dem Bundesverfassungsgericht dieser Argumentation ausdrücklich entgegengetreten. Von der vom BMAS unterstellten umfassenden Verantwortung der Arbeitslosenversicherung für die Integration Arbeitsloser in einen einheitlichen Arbeitsmarkt kann schon nach der Gesetzesbegründung zum Eingliederungsbeitrag keine Rede sein, weil Mitsprachebefugnisse der selbstverwalteten Arbeitslosenversicherung bei den Eingliederungsleistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sind. Darüber hinaus ist dem Vorstand der BA vom BMAS – entgegen der Notwendigkeit, den Arbeitsmarkt bei der Planung und Analyse von Maßnahmen immer einheitlich in den Blick zu nehmen – sogar ausdrücklich untersagt worden, dem Verwaltungsrat der BA allein nur schriftliche Informationen zu Entwicklung, Maßnahmen und Integrationsergebnissen im SGB-II-Bereich zu geben. Ergebnis der Argumentation des BMAS wäre somit, dass der Bund zwar auf die Finanzmittel der Arbeitslosenversicherung zurückgreift, den Beitragszahlern aber gleichzeitig jegliche Kontrolle über Wirtschaftlichkeit und Wirksamkeit der verwendeten Mittel verwehrt.

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an, sie bei der Berufsorientierung zielgerichtet zu unterstützen, damit der Übergang in Ausbildung und Beruf reibungslos gelingt. Mitte 2007 wurden die Fördermöglichkeiten der BA im Rahmen der vertieften Berufsorientierung nach dem SGB III erweitert, um dazu möglichst flächendeckend Anstöße zu geben. Viele Initiativen sind auf dieser Basis in den Bundesländern entstanden. Obgleich klar sein muss, dass die vertiefte Berufsorientierung fest an allen allgemeinbildenden Schulen verankert und gemeinsam mit externen Partnern umgesetzt werden muss, hat sich die BDA dafür eingesetzt, dass die zunächst bis Ende 2010 befristete Förderung noch dieses Jahr bis Ende 2013 verlängert wird. Nur so kann die Nachhaltigkeit der Projekte gesichert werden. Die Politik muss hierzu deshalb zeitnah eine Entscheidung treffen. Nicht nur im Bereich der Arbeitslosenversicherung, sondern gerade auch bei Empfängern der staatlichen Fürsorgeleistung Arbeitslosengeld II muss die Arbeitsmarktförderung stärker auf Wirkung und Wirtschaftlichkeit ausgerichtet und auf eine Integration in den ersten Arbeitsmarkt und die schnelle Überwindung der Hilfebedürftigkeit fokussiert werden. Hierfür muss nicht zuletzt das bestehende Kombi-Einkommen weiterentwickelt werden, wie dies zu Recht auch die Koalitionsparteien im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Dabei muss es darum gehen, Fehlanreize zu beseitigen, sich nur mit einem Minijob und einem kleinen Hinzuverdienst im Hartz-IV-Bezug einzurichten. Vielmehr müssen die Anreize zur Aufnahme einer Vollzeitbeschäftigung gestärkt werden, damit mehr Arbeitslosengeld-II-Bezieher den Sprung aus der Hilfebedürftigkeit schaffen. Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „Arbeitslosenversicherung“ und den kompakt „Kombi-Einkommen“ veröffentlicht.

Fachkräftesicherung bleibt zentrale Herausforderung Der konjunkturell bedingte Anstieg der Arbeitslosigkeit in der derzeitigen Krise ändert nichts daran, dass Deutschland allein wegen der demografischen Entwicklung auf eine strukturelle Fachkräftelücke zusteuert. Auch aktuell bestehen

in einigen Bereichen, wie z. B. bei den sozialen Berufen, Fachkräfteengpässe fort. Trotz der gravierenden Krise liegt auch der Bedarf der Wirtschaft bei MINT-Berufen in einigen Bereichen immer noch über dem verfügbaren Arbeitskräfteangebot. Einen Beitrag zur Feststellung zukünftiger Fachkräfteengpässe kann die vom BMAS im März 2009 ins Leben gerufene „Allianz zur Beratung der Bundesregierung in Fragen des Fachkräftebedarfs“ leisten, an der sich auch die BDA beteiligt und die Ende 2009 einen ersten Bericht vorlegen wird. Die Unternehmen engagieren sich folgerichtig auch in der Krise massiv für die Sicherung des Fachkräftenachwuchses. Die BDA wird weiter darauf dringen, dass die neue Bundesregierung die richtigen Anstrengungen für lebenslanges Lernen, für Verbesserungen im Bildungssystem sowie für mehr Erwerbsbeteiligung von Frauen und Älteren konsequent weiterverfolgt und verstärkt, damit im Rahmen eines Gesamtkonzepts zur Fachkräftesicherung möglichst alle Potenziale am Arbeitsmarkt erschlossen werden. Wesentlicher Bestandteil dieses Konzepts und eine der Zukunftsaufgaben in unserem Land ist auch die bessere Integration von Menschen mit Migrationshintergrund in allen Lebensbereichen. Die neue Koalition hat deshalb zu Recht in ihrem Koalitionsvertrag u. a. vereinbart, eine bessere Anerkennung im Ausland erworbener Bildungs- und Berufsabschlüsse gesetzlich zu fördern. Bei der Umsetzung in der kommenden Legislaturperiode gilt es zu berücksichtigen, dass weniger die formale Anerkennung von Bildungsabschlüssen im Vordergrund stehen sollte, die nur im Bereich der reglementierten Berufe Voraussetzung für die Berufsausübung ist. Vielmehr sollte so unbürokratisch wie möglich die Transparenz ausländischer Bildungsabschlüsse und im Ausland erworbener Qualifikationen und Kompetenzen erhöht werden. Integration von vornherein in den Blick nimmt eine gezielte arbeitsmarktorientierte Zuwanderungssteuerung über ein Punktesystem, für das die BDA seit langem wirbt. Daher ist nachdrücklich zu begrüßen, dass die neue Koalition die Zuwanderung ausländischer Fachkräfte erleichtern will und den Einstieg in eine nach zusammenhängenden, klaren, transparenten und gewichteten Kriterien wie z. B. Bedarf, Qualifizierung und Inte-

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grationsfähigkeiten gesteuerte Zuwanderung vereinbart hat. Gerade vor diesem Hintergrund wird die BDA auch die Initiative zur Erleichterung des internationalen Personalaustauschs („Blanket-Petition“) mit Nachdruck weiterverfolgen, damit die Rahmenbedingungen für den unternehmensinternen „Routineaustausch“ verbessert werden und der Standort Deutschland für international tätige Unternehmen attraktiv bleibt. Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „­Zuwanderung und Integration“ veröffentlicht.

Politik für behinderte Menschen auf bessere Integration ausrichten Durch das Übereinkommen der Vereinten Nationen (VN) über die Rechte von Menschen mit Behinderungen hat die Diskussion über eine Verbesserung der gesellschaftlichen Teilhabe behinderter Menschen einen neuen Schub bekommen. Aus Sicht der BDA ist eine Verbesserung der Situation behinderter Menschen und deren Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt unabhängig von der VN-Behindertenkonvention eine sozial- und arbeitsmarktpolitisch wichtige Aufgabe. Mit der alten Bundesregierung geht die BDA davon aus, dass das derzeit geltende Recht den Anforderungen der VN-Behindertenkonvention grundsätzlich genügt. Unabhängig davon tritt die BDA dafür ein, die Rahmenbedingungen für Menschen mit Behinderungen zu verbessern. Dazu muss grundsätzlich so früh wie möglich angesetzt werden. Das gemeinsame Leben und Lernen von behinderten und nicht behinderten Kindern sollte nach dem Grundsatz „So normal wie möglich, so speziell wie nötig“ intensiviert werden. Damit können Vorurteile und Vorbehalte schon früh abgebaut werden und Barrieren in den Köpfen gar nicht erst entstehen, mit deren Überwindung die Unternehmen bisher allzu oft bei der Integration in den Arbeitsmarkt alleingelassen werden. Um perspektivisch noch mehr Menschen mit Behinderungen eine Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt zu ermöglichen, gilt es darüber hinaus, unvoreingenommen in der kommenden Legislaturperiode zu überprüfen, welche bestehenden Strukturen, Fehlanreize und gesetzlichen Regelungen eine Integration in Arbeit erschweren. Im Bereich der beruflichen Rehabilitation muss eine möglichst schnelle (Wieder-)Aufnahme neuer Beschäftigung das zentrale Ziel sein. Unabdingbar ist hierbei, dass nicht nur hier, sondern im gesamten gegliederten System der Rehabilitation die Förderinstrumente wie in der Arbeitslosenversicherung transparent nach den Grundsätzen von Wirkung und Wirtschaftlichkeit ausgerichtet werden. Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „Beschäftigung schwerbehinderter Menschen“ veröffentlicht.

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Anhaltender Reformbedarf in allen Sozialversicherungszweigen CDU/CSU und SPD haben ihre im Koalitionsvertrag vom 11. November 2005 gegebene Zusage, die Beitragssätze zur Sozialversicherung unter 40 % zu senken, zum 1. Juli 2009 erfüllt. Die Beitragsbelastung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern durch die Sozialversicherung ist zur Jahresmitte auf gut 39,6 % zurückgegangen und damit so niedrig wie seit 1996 nicht mehr. Zur Zielerreichung hat im laufenden Jahr insbesondere das Konjunkturpaket II („Gesetz zur Sicherung von Beschäftigung und Stabilität in Deutschland“) beigetragen, das der Bundestag am 13. Februar 2009 verabschiedet hat. Hierdurch wurde der Beitragssatz zur gesetzlichen Krankenversicherung ab 1. Juli 2009 von 15,5 auf 14,9 % reduziert. Finanziert wird die Beitragssatzsenkung, indem der Bundeszuschuss zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) bereits bis 2012 – und nicht erst bis 2016 – auf 14 Mrd. € pro Jahr angehoben wird. Besser wäre allerdings gewesen, wenn die Senkung der Beitragsbelastung zumindest auch durch parallele Ausgaben senkende Strukturreformen erreicht worden wäre, statt – wie jetzt – ausschließlich durch die Inkaufnahme einer höheren Neuverschuldung des Bundes. Die Senkung der lohnbezogenen Sozialversicherungsbeiträge – und damit der Personalzusatzkosten – trägt dazu bei, bestehende Arbeitsplätze zu sichern und den konjunkturbedingten Anstieg der Arbeitslosenzahlen abzumildern. Obgleich der positive Beschäftigungseffekt niedrigerer Sozialversicherungsbeiträge im Wesentlichen auf der Verringerung der Arbeitskosten beruht, sind auch mit der Senkung der Arbeitnehmerbeiträge positive Wirkungen verbunden: Weniger Sozialversicherungsbeiträge bedeuten mehr Netto für die Beschäftigten und damit mehr Möglichkeiten für Konsum und Sparen. Sowohl die Arbeitskostenentlastung für die Betriebe als auch die Stärkung der Nettoeinkommen der Beschäftigten sind geeignet, einen Beitrag zur Konjunkturstützung zu leisten. Gleichzeitig machen niedrigere Sozialversicherungsbeiträge legale Arbeit lohnender und verringern damit die Anreize zur Schwarzarbeit.

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In der neuen Legislaturperiode muss es vor allem darum gehen, die unter der großen Koalition erreichte Reduzierung der Sozialabgabenlast für die Zukunft zu sichern und einen Wiederanstieg der Beitragssätze zur Sozialversicherung zu verhindern. Die schwarz-gelbe Koalition muss alles unterlassen, was Arbeit und Wirtschaft zusätzlich belastet. Nach wie vor gilt: In allen Sozialversicherungszweigen sind weitere Ausgaben senkende Strukturreformen unverzichtbar. Die bisherigen Maßnahmen reichen schon vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung nicht aus, die Beitragssatzsumme dauerhaft unter 40 % zu halten. Deshalb ist sehr zu begrüßen, dass die neue Bundesregierung zumindest die paritätisch finanzierten Sozialversicherungsbeiträge unter 40 % halten will. Die vorgesehene Übernahme der krisenbedingten Defizite aus der Kranken- und Arbeitslosenversicherung ist ein wichtiger und folgerichtiger Beitrag zur Begrenzung der Personalzusatzkosten. Kurzfristige Maßnahmen allein reichen jedoch nicht aus, vielmehr sind weiter gehende Schritte erforderlich. Im Bereich der Kranken- und Pflegeversicherung sind durchgängig wettbewerbliche Strukturen bei der Leistungserbringung erforderlich, um einen wirtschaftlichen Einsatz der Beitragsmittel zu gewährleisten. Die Finanzierung der Kranken- und Pflegeversicherung sollte von lohnbezogenen Beiträgen auf einkommensunabhängige Prämien umgestellt und damit vom Arbeitsverhältnis abgekoppelt werden. Die gesetzliche Rentenversicherung sollte stärker auf die Risiken des Alters und der Erwerbsminderung konzentriert werden. Daneben muss die ergänzende kapitalgedeckte Vorsorge weiter auf- und ausgebaut werden.

Sozialbudget: von „Sozialabbau“ keine Spur Das Sozialbudget, in dem die Bundesregierung regelmäßig alle Sozialausgaben zusammenfasst, hat sich im Jahr 2008 auf das neue Rekordniveau von 721,4 Mrd. € erhöht. Von einem systematischen „Sozialabbau“ – wie ihn Gewerkschaften, Sozialverbände und die Linkspartei immer wieder behaupten – kann deshalb keine Rede sein. Vielmehr wurden Kürzungen von einzelnen Sozial­


Gesamtsozialversicherungsbeitragssatz muss dauerhaft unter 40 % gehalten werden

in % 45 41,1 1,70

40

6,5

42,0

42,0

1,77

1,77

6,5

6,5

35,8

35

32,4 3,0

30 26,5

25

4,3

12,8

39,9

40,1

40,2

1,77

1,77

2,02

2,02

4,2

3,3

3,3

2,8 15,5

39,6 2,02 2,8

14,8

14,9

14,9

19,5

19,9

19,9

19,9

19,9

19,9

2006

2007

1. Januar 2008

1. Juli 2008

1. Januar 2009

1. Juli 2009

14,2

14,2

19,3

19,5

2000

2005

13,6

40,7

14,9

11,4

1,3 8,2

20 17,0

18,0

18,7

1980

1990

15

10

5

0 1970

Pflegeversicherung (Durchschnitt) Arbeitslosenversicherung Krankenversicherung (Durchschnitt) Rentenversicherung jeweils zum Stichtag 1. Januar; im Bundesdurchschnitt Quellen: Bundesministerium f체r Gesundheit und Deutsche Rentenversicherung Bund; eigene Darstellung der BDA

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Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und FDP vom 24. Oktober 2009 – die wichtigsten sozialpolitischen Vorhaben von A bis Z Altersarmut „(…) wir [wollen], dass sich die private und betriebliche Altersvorsorge auch für Geringverdiener lohnt und auch diejenigen, die ein Leben lang Vollzeit gearbeitet und vorgesorgt haben, ein Alterseinkommen oberhalb der Grundsicherung erhalten, das bedarfsabhängig und steuerfinanziert ist. Hierzu wird eine Regierungskommission einen Vorschlag für eine faire Anpassungsregel entwickeln.“ (Z. 3805–3813) ELENA „Die von Arbeitgebern auszustellenden Bescheinigungen und Entgeltnachweise werden bis spätestens 2015 in ein elektronisches Verfahren überführt.“ (Z. 384–386) Erziehungszeiten in der Alterssicherung „Wir werden im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten prüfen, wie wir die familienpolitische Komponente stärken und deshalb Erziehungsleistungen in der Alterssicherung noch besser berücksichtigen können.“ (Z. 3791–3795) Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung „Langfristig wird das bestehende Ausgleichssystem überführt in eine Ordnung mit mehr Beitragsautonomie, regionalen Differenzierungsmöglichkeiten und einkommensunabhängigen Arbeitnehmerbeiträgen, die sozial ausgeglichen werden. Weil wir eine weitgehende Entkoppelung der Gesundheitskosten von den Lohnzusatzkosten wollen, bleibt der Arbeitgeberanteil fest. Zu Beginn der Legislaturperiode wird eine Regierungskommission eingesetzt, die die notwendigen Schritte dazu festlegt.“ (Z. 3909–3915) Kapitalgedeckte Altersvorsorge „Wir bekennen uns zur staatlich geförderten Altersvorsorge. (…) Wir werden prüfen, ob es notwendig und finanziell darstellbar ist, weiteren Personengruppen, insbesondere Selbständigen, den Zugang zur staatlich geförderten Altersvorsorge zu ermöglichen.“ (Z. 3797–3803) Krankenhäuser „Die Leistungsfähigkeit der Krankenhäuser in den Regionen muss bei verlässlicher Investitionsfinanzierung gewahrt bleiben.“ (Z. 4075–4077) Künstlersozialversicherung „Wir werden die Stabilisierung der Künstlersozialversicherung mit einer transparenten und nachvollziehbaren Versicherungspflicht fortsetzen.“ (Z. 3766–3769) Lohnzusatzkosten „Wir streben an, die paritätisch finanzierten Lohnzusatzkosten (Sozialversicherungsbeiträge) unter 40 % vom Lohn zu halten.“ (Z. 77–78) „CDU, CSU und FDP haben das Anliegen, die krisenbedingten Einnahmeausfälle für die Arbeitslosen- und Krankenversicherung aus Steuermitteln aufzufangen. (…) die Lohnnebenkosten sollen zur Überwindung der Krise stabil gehalten werden. Damit spannen wir einen Schirm zum Schutz der Arbeitnehmer in der Krise auf.“ (Z. 572–576) Mehr- und Fremdbesitzverbot „Die freiberuflichen Apothekerinnen und Apotheker spielen für eine gute Arzneimittelversorgung eine zentrale und wichtige Rolle. Eine Änderung des bestehenden Mehr- und Fremdbesitzverbotes lehnen wir deshalb ab.“ (Z. 3935–3938) Pflegebedürftigkeitsbegriff „Wir wollen eine neue, differenziertere Definition der Pflegebedürftigkeit. Damit schaffen wir mehr Leistungsgerechtigkeit in der Pflegeversicherung. Es liegen bereits gute Ansätze vor, die Pflegebedürftigkeit so neu zu klassifizieren, dass nicht nur körperliche Beeinträchtigungen, sondern auch anderweitiger Betreuungsbedarf (…) berücksichtigt werden können.“ (Z. 4243–4247) Pflegequalität „Bei der Qualitätsprüfung muss die Ergebnisqualität Vorrang vor der Strukturqualität haben.“ (Z. 4240–4241)

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Pflegeversicherung „Die Pflegebedürftigen müssen auch künftig angemessene Pflegeleistungen zu einem bezahlbaren Preis erhalten. In der Form der Umlagefinanzierung kann die Pflegeversicherung jedoch ihre Aufgabe, allen Bürgern eine verlässliche Teilabsicherung der Pflegekosten zu garantieren, auf Dauer nicht erfüllen. Daher brauchen wir neben dem bestehenden Umlageverfahren eine Ergänzung durch Kapitaldeckung, die verpflichtend, individualisiert und generationengerecht ausgestaltet sein muss. Eine interministerielle Arbeitsgruppe wird dazu zeitnah einen Vorschlag ausarbeiten.“ (Z. 4256–4264) Prävention „Prävention kann dabei helfen, künftige Belastungen der Sozialsysteme zu verringern. Zielgruppenspezifische Aufklärung soll dazu beitragen, Eigenverantwortlichkeit und Gesundheitsbewusstsein zu stärken. Unsere Präventionsstrategie wird Vorhandenes bewerten und aufeinander abstimmen, nationale und internationale Erfahrungen und Erkenntnisse analysieren sowie auf bewährten Programmen und Strukturen aufbauen, diese weiterentwickeln und sie in die Fläche bringen.“ (Z. 3852–3858) Private Krankenversicherung „(…) für uns [sind] die privaten Krankenversicherungen als Voll- und Zusatzversicherung ein konstitutives Element in einem freiheitlichen Gesundheitswesen. Wir werden bei den Wahltarifen der gesetzlichen Krankenversicherung die Abgrenzung zwischen diesen beiden Versicherungssäulen klarer ausgestalten und die Möglichkeiten ihrer Zusammenarbeit (…) erweitern. Wir werden die Entwicklung im Basistarif der privaten Krankenversicherung beobachten. (…) Ein Wechsel in die private Krankenversicherung wird zukünftig wieder nach einmaligem Überschreiten der Jahresarbeitsentgeltgrenze möglich sein.“ (Z. 3917–3930) Rentenangleichung Ost/West „Das gesetzliche Rentensystem hat sich auch in den neuen Ländern bewährt. Wir führen in dieser Legislaturperiode ein einheitliches Rentensystem in Ost und West ein.“ (Z. 3815–3819) Risikostrukturausgleich „Wir wollen einen Einstieg in ein gerechteres, transparenteres Finanzierungssystem. Der Morbi-RSA wird auf das notwendige Maß reduziert, vereinfacht sowie unbürokratisch und unanfällig für Manipulationen gestaltet.“ (Z. 3896–3898) Selbstverwaltung im Gesundheitswesen „Wir streben in den Verwaltungsräten aller Krankenkassen gemäß der gemeinsamen Finanzierung auch die Vertretung der Arbeitgeberseite an.“ (Z. 4194–4195) Staatlich geförderte Altersvorsorge „Wir wollen, dass auch erwerbsgeminderte Menschen angemessen sozial abgesichert sind. Wir werden prüfen, ob und wie die Absicherung gegen das Erwerbsminderungsrisiko in der staatlich geförderten Vorsorge kostenneutral verbessert werden kann.“ (Z. 3759–3764) Unfallversicherung „Der Leistungskatalog wird mit Blick auf ein zielgenaues Leistungsrecht überprüft, die Wirtschaftlichkeit der gewerblichen Berufsgenossenschaften wird verbessert und das Recht der gesetzlichen Unfallversicherung entbürokratisiert.“ (Z. 3753–3757) Vereinheitlichung des Einkommensbegriffs „Wir prüfen, wie die Verpflichtungen und Schwellenwerte des Handels-, Steuer-, Arbeits- und Sozialrechts rechtsübergreifend harmonisiert werden können (z. B. Vereinheitlichung des Einkommensbegriffs).“ (Z. 382–386) Zuzahlung „Wir wollen die Zahlung der Praxisgebühr in ein unbürokratisches Erhebungsverfahren überführen.“ (Z. 4011–4013) Quelle: „Wachstum. Bildung. Zusammenhalt. – Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP“; eigene Zusammenstellung der BDA

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Immer mehr für Soziales – Sozialleistungsquote wieder deutlich gestiegen in %

35 30,3

30

31,3

31,2

31,9 30,3

28,3

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29,0

2007 p

2008 s

25,9

25

23,3 20,9

20 15 10 5 0 1960

1970

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1990

1995

2000

2005

Sozialbudget in Relation zum Bruttoinlandsprodukt nominal p: vorläufige Zahlen s: geschätzte Zahlen bis 1990: Westdeutschland, ab 1995: Gesamtdeutschland Quelle: Bundesministerium für Arbeit und Soziales; eigene Darstellung der BDA

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BDA | Geschäftsbericht 2009 | Soziale Sicherung

2006

2009 s


leistungen durch Leistungsausweitungen an anderer Stelle mehr als kompensiert. Der deutsche Sozialstaat ist trotz aller Reformen der vergangenen Jahre nicht abgebaut, sondern lediglich umgebaut worden.

bis ins vergangene Jahr andauernde Trend rückläufiger Sozialleistungsquoten wird dadurch abrupt beendet. Die Sozialleistungsquote soll danach um 2,9 Prozentpunkte auf 31,9 % in die Höhe schnellen.

In den letzten drei Jahren hat sich der Umfang der Sozialleistungen um 19,1 Mrd. € insgesamt bzw. 0,9 % pro Jahr erhöht. Grund für diese moderate Entwicklung war vor allem das gute konjunkturelle Umfeld: So ist in diesem Zeitraum die Zahl der Erwerbstätigen von 38,8 Mio. (2005) auf 40,3 Mio. (2008) gestiegen, und die Ausgaben der Arbeitslosenversicherung sind um insgesamt 15,5 Mrd. € bzw. jahresdurchschnittlich um 10,5 % gesunken. In allen anderen Zweigen der Sozialversicherung – mit Ausnahme der Unfallversicherung – ist es jedoch z. T. zu deutlichen Ausgabensteigerungen gekommen: Mit Abstand größter Kostentreiber war die GKV (+3,7 %­/­Jahr), gefolgt von der sozialen Pflegeversicherung ­(+2,3 %­/J­ ahr) und der gesetzlichen Rentenversicherung (+0,7 %/Jahr).

Auch für 2010 ist kein „Sozialabbau“ geplant. Dies gilt gerade mit Blick auf den Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP, der – anders als vielfach in der Öffentlichkeit behauptet – im Gegenteil sogar weitere Leistungsausweitungen vorsieht. So soll etwa das bereits bestehende Kindergeld mit mehr als 10 % deutlich erhöht, ein neues Betreuungsgeld eingeführt und das Schonvermögen für private Altersvorsorge verdreifacht werden. Die Umverteilung wird damit weiter zu- und nicht abnehmen.

Durch den 2006 einsetzenden Wirtschaftsaufschwung – das nominale Bruttoinlandsprodukt (BIP) legte in den vergangenen drei Jahren um durchschnittlich 3,6 % pro Jahr zu – hat sich das Verhältnis von Sozialaufwand zu Wirtschaftskraft trotz kontinuierlich steigender Sozialausgaben deutlich verbessert. Die Sozialleistungsquote ging von 31,3 % (2005) auf 29,0 % (2008) zurück, ohne dass es insgesamt zu einem „Sozialabbau“ gekommen ist. Auch werden noch immer deutlich mehr Mittel zur Erreichung sozialer Ziele verausgabt als vor der Wiedervereinigung (1990: 25,9 %). Für 2009 prognostiziert die Bundesregierung einen kräftigen Anstieg des Sozialbudgets um 32,6 Mrd. € bzw. 4,5 % auf 754 Mrd. €. Verantwortlich für den stärksten Zuwachs seit mehr als einem Jahrzehnt sind vor allem die weiter stark steigenden Ausgaben der Sozialversicherung: Bei der Arbeitslosenversicherung wird mit Mehrausgaben von 12,3 Mrd. €, bei der Krankenversicherung von 10 Mrd. €, bei der Rentenversicherung von 5,8 Mrd. € und bei der Pflegeversicherung von 1,4 Mrd. € gerechnet. Für das nominale BIP geht die Bundesregierung – im Rahmen ihrer Prognose des Sozialbudgets – hingegen von einem Rückgang um 5,3 % aus. Der

Gesetzliche Rentenversicherung: dauerhafte Mehrbelastung der Beitragszahler verhindern Das Bundeskabinett hat Ende April 2009 die „Verordnung zur Bestimmung der Rentenwerte in der gesetzlichen Rentenversicherung und in der Alterssicherung der Landwirte zum 1. Juli 2009“ (Rentenwertbestimmungsverordnung 2009) beschlossen. Dadurch sind die Renten zur Jahresmitte 2009 so stark erhöht worden wie seit über zehn Jahren nicht mehr: Der westdeutsche Aktuelle Rentenwert ist um 2,41 % auf 27,20 € und der Aktuelle Rentenwert (Ost) um 3,38 % auf 24,13 € angehoben worden. Der außergewöhnlich hohe Rentenanstieg beruht nicht zuletzt auf zwei Sondereffekten: Zum einen hat die Bundesregierung im vergangenen Jahr die mit der „Rentenreform 2001“ eingeführte Riester-Treppe für die Jahre 2008 und 2009 ausgesetzt („Gesetz zur Rentenanpassung 2008“). Dabei wären die Renten in diesem Jahr auch ohne Aussetzung der Riester-Treppe deutlich gestiegen (Westdeutschland: 1,77 %, Ostdeutschland: 2,74 %). Zum anderen hat das Statistische Bundesamt die Lohnentwicklung in den neuen Bundesländern bislang systematisch unterschätzt. Die nun vorgenommene Bereinigung des Schätzfehlers hat zur Folge, dass die Ostrenten um 0,97 Prozentpunkte stärker als die Westrenten dynamisiert werden.

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Die jüngste Rentenanpassung verdeutlicht erneut, welche Probleme und Widersprüche die Verwendung von Entgeltdaten aus der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) für die Rentenversicherung mit sich bringt. Sie führt in diesem Jahr dazu, dass die Anpassung der Ostrenten auf der Grundlage einer rein fiktiven Lohnsteigerung von 3,05 % erfolgt ist, die von der tatsächlichen, deutlich niedrigeren Lohnsteigerung in den neuen Ländern um fast einen Prozentpunkt abweicht. Dies widerspricht ebenso dem Grundsatz einer transparenten und nachvollziehbaren Rentenanpassung wie der Umstand, dass die Ostrenten in diesem Jahr spürbar stärker steigen als die Westrenten, obwohl die Entgeltsteigerung im Osten im vergangenen Jahr sogar um 0,1 Prozentpunkte niedriger lag als im Westen. Deshalb sollte bei der Rentenanpassung künftig – wie bereits im Jahr 2003 von der „Rürup-Kommission“ empfohlen und noch im Referentenentwurf des „RVNachhaltigkeitsgesetzes“ richtigerweise vorgesehen – auf die beitragspflichtigen Bruttolöhne und -gehälter zurückgegriffen werden. Vor dem Hintergrund des Frühjahrsgutachtens der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute, das für das laufende Jahr einen Rückgang der Bruttolöhne und -gehälter je Beschäftigten um 2,3 % prognostizierte, hat das Bundeskabinett am 6. Mai 2009 eine umfassende Rentengarantie ausgesprochen. Durch eine daraufhin beschlossene Gesetzesänderung ist festgelegt worden, dass Rentenkürzungen selbst dann ausgeschlossen sind, wenn die Arbeitnehmer Lohn- und Gehaltskürzungen hinnehmen müssen. Stattdessen bleiben die Bruttorenten in diesen Fällen nominal unverändert und die unterbliebenen Rentenkürzungen werden mit späteren Rentensteigerungen verrechnet. Die BDA hat die Festschreibung des Aktuellen Rentenwerts bei sinkenden Durchschnittslöhnen und -gehältern als Fehlentscheidung kritisiert, auch wegen der dadurch drohenden neuen Belastungen für die Beitragszahler. Mit der Rentengarantie hat die große Koalition das Vertrauen in eine stetige, berechenbare und verlässliche Rentenpolitik abermals untergraben. Nach der Aussetzung der Riester-Treppe in diesem und im vergangenen Jahr, durch welche die Rentner einseitig zu Lasten der Beitragszahler begünstigt worden sind, ist nun abermals ein

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wahlpolitisch motivierter Eingriff in die Rentenanpassungsformel erfolgt. Das seit 1957 geltende Prinzip der lohnbezogenen Rente wird so abgeschwächt. Zudem konterkariert die Rentengarantie die vom Gesetzgeber gewollte – und wegen des demografischen Wandels alternativlose – langfristige Absenkung des Rentenniveaus und dauerhafte Stabilisierung des Rentenbeitragssatzes. Umso wichtiger ist es, dass etwaige durch die Rentengarantie vermiedene Rentenkürzungen tatsächlich später nachgeholt werden. Die neue Bundesregierung muss bereits die in den Jahren 2005 und 2006 unterbliebenen Rentendämpfungen (1,75 % in den alten und 1,30 % in den neuen Bundesländern) ab 2011 schrittweise abarbeiten. In den Jahren 2012 und 2013 müssen zudem die ausgelassenen Riester-Treppen (bundeseinheitlich jeweils 0,65 %) nachgeholt werden. Würden unterlassene Rentendämpfungen nicht oder nur unvollständig nachgeholt, wären dauerhafte Mehrausgaben der gesetzlichen Rentenversicherung die Folge. Sie zögen letztlich Beitragssatzsteigerungen nach sich. Wenn der Gesetzgeber dennoch eine Rentengarantie für erforderlich hält, muss der Bund auch für die damit verbundenen Kosten aufkommen. In keinem Fall dürfen die finanziellen Folgewirkungen – wie nach geltendem Recht – einseitig zu Lasten der Beitragszahler gehen. Es kann insbesondere nicht sein, dass der Bund einerseits eine Rentengarantie ausspricht, bei sinkenden Löhnen und Gehältern aber andererseits seine Zuwendungen an die Rentenversicherung kürzt. Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „Gesetzliche Rentenversicherung“ veröffentlicht.

Vereinheitlichung der Rentenberechnung darf nicht zu Leistungsausweitungen führen Die BDA steht der – auch im Koalitionsvertrag enthaltenen – Forderung, die Rentenberechnung in Deutschland einheitlich und nicht mehr nach Ost und West unterschiedlich durchzuführen, grundsätzlich positiv gegenüber. Die ursprünglich maßgeblichen Gründe für die nach Ost und West


Hohe Rentenreserven trotz Wirtschaftskrise Rücklagen der allgemeinen Rentenversicherung am Jahresende

in Mrd. € 25

in Monatsausgaben 1,1

1,00

0,96

0,97

0,93

0,74

15

1,0 0,9

20

14,2

0,63

13,8

15,9

0,61

0,4

0,32

0,3

5,0

5

0,7

0,5

9,7

7,5

0,8

0,6

11,5

0,48

9,7

10

15,7

0,2 0,11

0,1

1,7

0 2000

2001

2002

2003

2004

2005

0,0 2006

2007

2008

2009 s

in Monatsausgaben in Mrd. € s: geschätzte Zahlen Quellen: Deutsche Rentenversicherung Bund und Bundesministerium für Arbeit und Soziales; eigene Darstellung der BDA

BDA | Geschäftsbericht 2009 | Soziale Sicherung

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getrennte Rentenberechnung liegen heute nicht mehr vor, so dass sich die bestehende Ungleichbehandlung von Ost- und Westversicherten bzw. -rentnern nur noch schwer rechtfertigen lässt. Dies gilt ganz besonders, weil das Verdienstniveau in Ostdeutschland nicht mehr generell unter dem in Westdeutschland liegt. Bei einer Aufhebung der Ost-West-Differenzierungen im Rentenrecht (Angleichung der Aktuellen Rentenwerte, der Berechnungsgrundlagen für die Ermittlung der Entgeltpunkte, der Beitragsbemessungsgrenzen, der Bezugsgrößen und der Hinzuverdienstgrenzen) muss gewährleistet werden, dass

die Umstellung aufwandsneutral erfolgt, d. h. für Versicherte, Betriebe und den Steuerzahler keine zusätzlichen Kosten entstehen,

keine neuen Ungleichbehandlungen von Ost- und Westversicherten bzw. Ost- und Westrentnern geschaffen werden,

die Umstellung für alle Beteiligten (Versicherte, Rentner, Betriebe und die Rentenversicherungsträger) so unbürokratisch wie möglich vorgenommen wird und

die Eigentumsposition der heutigen Rentner und die bereits begründeten Rentenanwartschaften künftiger Rentner gewahrt werden.

Diesen Anforderungen entspricht am besten der Vorschlag einer „Umbasierung der rentenrechtlich relevanten Größen auf bundeseinheitliche Größen“, den der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in seinem Jahresgutachten 2008/2009 unterbreitet hat. Dieser läuft darauf hinaus, die Aktuellen Rentenwerte Ost und West ab einem noch festzulegenden Stichtag zu vereinheitlichen und – zur Gewährleistung unveränderter Rentenzahlbeträge und bis dahin entstandener Rentenanwartschaften – eine einmalige Umbasierung der persönlichen Entgeltpunkte vorzunehmen.

Betriebliche Altersvorsorge stärken Die neue Regierungskoalition will die kapitalgedeckte Altersvorsorge ausdrücklich stärken. Das

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ist positiv, selbst wenn der Koalitionsvertrag keine konkreten Maßnahmen zur betrieblichen Altersvorsorge enthält. Detailaussagen sind auch weniger notwendig als vor allem das Bekenntnis, am weiter notwendigen Ausbau der zweiten und dritten Säule der Altersvorsorge festhalten zu wollen. Gerade die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise hat gezeigt, dass die betriebliche Altersvorsorge robust und leistungsfähig ist. Aufgrund der langfristigen und sicherheitsorientierten Anlagestrategien der Versorgungswerke sowie der tragfähigen Insolvenzsicherung durch den Pensions-Sicherungs-Verein (PSV), den Träger der Insolvenzsicherung der betrieblichen Altersvorsorge, besteht für die Zahlungen der Betriebsrenten zu keiner Zeit Gefahr. In diesen Zeiten bewährt sich das System der betrieblichen Altersvorsorge in Deutschland mit seiner zwei- bis dreistufigen Sicherung, in dem außer dem Versorgungsträger auch der Arbeitgeber und schließlich der PSV haften. Zudem sind die Anlagevorschriften in den versicherungsförmigen Durchführungswegen so restriktiv, dass auf jeden Fall die Zahlung der Betriebsrenten gewährleistet ist.

Beitragslast des PensionsSicherungs-Vereins begrenzen Die schwerste Wirtschaftskrise seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland hat dazu geführt, dass die dem PSV gemeldeten Schäden drastisch gestiegen sind. Aufgrund der eingetretenen Schäden in Höhe von rd. 4 Mrd. € musste der Beitragssatz für 2009 auf 14,2 Promille festgesetzt werden. Wäre die daraus resultierende Beitragsbelastung bereits in diesem Jahr in vollem Umfang fällig geworden, hätte dies zu einer erheblichen Belastung der Unternehmen mit insolvenzsicherungspflichtiger betrieblicher Altersvorsorge geführt und die ohnehin oftmals angespannte Liquiditätssituation weiter erschwert. Daher ist es zu begrüßen, dass der PSV – einer Empfehlung des BDA-Präsidiums folgend – beschlossen hat, die Beitragsbelastung auf dieses und die kommenden vier Jahre zu verteilen und die Belastung in diesem Jahr auf 8,2 Promille zu begrenzen. Die übrige Beitragsbelastung in Höhe von 6 Promille der jeweiligen Versorgungsverpflichtungen wird in gleichen Raten zum Ende der Jahre 2010 bis 2013 fällig. Trotz des diesjährigen Rekordschadens und der damit


Betriebsrenten in Deutschland durch sichere Anlagestrategie gesichert Geringer Aktienanteil im Vermögen der deutschen Versorgungsträger

Irland

54

Großbritannien

49

Australien

45

USA

45

Kanada

42

Japan

28

Niederlande

26

Schweiz

21

Frankreich

18

Deutschland

16

0

5

10

15

20

25

30

35

40

45

50

55

60

in %

Auswahl: 10 Länder mit größter Bedeutung der betrieblichen Altersversorgung; Vermögensanlage der internen und externen Versorgungsträger Quelle: Watson Wyatt

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verbundenen Rekordschadensbelastung der Arbeitgeber steht die Insolvenzsicherung der betrieblichen Altersvorsorge für die BDA außer Frage. Aus sozial- und personalpolitischen Gründen ist und bleibt die Insolvenzsicherung von innenfinanzierten Betriebsrentenzusagen unerlässlich. Der PSV als Selbsthilfeeinrichtung der deutschen Wirtschaft hat sich als Träger der Insolvenzsicherung der betrieblichen Altersvorsorge bewährt, ist langfristig kostengünstig und ohne vernünftige Alternative. Gleichwohl ist es erforderlich, nach Wegen für eine nachhaltige Begrenzung der PSV-Beitragsbelastung zu suchen. Hierzu hat die BDA einen Konzeptentwurf erarbeitet, der derzeit mit anderen Beteiligten der betrieblichen Altersvorsorge diskutiert wird. Die darin vorgesehene stärker risikoorientierte Beitragsstruktur des PSV kann langfristig zu einer Senkung des Schadensvolumens des PSV führen, weil auf diese Weise Anreize für Maßnahmen zur Schadensvermeidung bzw. -reduzierung gesetzt werden. Deshalb müssen die internen Abstimmungsprozesse zu diesen Überlegungen fortgesetzt und – mit Blick auf die ggf. erforderlichen gesetzlichen Änderungen – möglichst auch die Zustimmung der anderen Beteiligten in der betrieblichen Altersvorsorge erreicht werden.

Unnötige Vorgaben für Aufsichtsräte bei Einrichtungen der betrieblichen Altersvorsorge verhindert Vor dem Hintergrund des Gebots, zusätzliche bürokratische Belastungen für die betriebliche Altersvorsorge zu vermeiden, sind die Änderungen des im Juli 2009 verabschiedeten „Gesetzes zur Stärkung der Finanzmarkt- und Versicherungsaufsicht“ zu begrüßen. Der ursprüngliche Gesetzentwurf enthielt zusätzliche Regulierungen für Einrichtungen der betrieblichen Altersvorsorge. Besonders gravierend wäre für sie die Vorgabe von Eignungskriterien für die Aufsichtsratsmitglieder von Versicherungsunternehmen gewesen. Hiernach sollte die geforderte fachliche Eignung in der Regel dann vorliegen, wenn das Mitglied zuvor eine leitende Tätigkeit bei einem Versicherungsunternehmen ausgeübt hat. Ein solches Regelbeispiel hätte jedoch die Besetzung der Kontrollgremien von Pensionskassen und Pensionsfonds erheblich er-

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schwert, da die Mitglieder dieser – oftmals paritätisch von Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern besetzten – Aufsichtsräte diese Voraussetzung überwiegend nicht erfüllen, obgleich sie zur Aufsicht dieser Einrichtungen fachlich geeignet sind. Zudem spielt bei der Besetzung der Aufsichtsgremien neben den versicherungsspezifischen Kenntnissen auch die jeweilige Branchenzugehörigkeit eine wichtige Rolle. Folge der Anwendung des Regelbeispiels wäre gewesen, dass die Aufsicht über Einrichtungen der betrieblichen Altersvorsorge fast ausschließlich von branchenfremden Personen hätte wahrgenommen werden müssen, mit entsprechend negativen Auswirkungen auf die Akzeptanz dieser Einrichtungen. Der Gesetzgeber hat, nach einer gemeinsamen Intervention der BDA und des DGB, der besonderen Situation von Einrichtungen der betrieblichen Altersvorsorge Rechnung getragen, indem er für diese auf die Anwendung der engen Vorgaben für die Besetzung der Aufsichtsräte verzichtet hat.

Neues Bilanzrecht – Chance zur Vermeidung unnötiger Bürokratie verpasst Die Reform des Bilanzrechts („Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz“), die im Frühjahr 2009 verabschiedet wurde, wird die Unternehmen ab dem 1. Januar 2010 mit vermeidbarer Mehrbürokratie belasten, weil die neuen handelsrechtlichen Bewertungsvorschriften für Pensionsverpflichtungen nicht auf das Steuerrecht übertragen wurden. Nach derzeitigem Handelsbilanzrecht kann die Bewertung von Pensionsverpflichtungen nach steuerrechtlichen Vorschriften erfolgen. Für Geschäftsjahre, die nach dem 31. Dezember 2009 beginnen, sind Pensionsverpflichtungen dagegen nach neuen, von den steuerlichen Regelungen abweichenden Bewertungsvorschriften in der Handelsbilanz zu bewerten. Hierdurch müssen die Unternehmen ihre Pensionsverpflichtungen regelmäßig zweimal – Unternehmen mit internationaler Rechnungslegung sogar dreimal – gutachterlich bewerten lassen. Die durch diese Neuregelung verursachte zusätzliche bürokratische Belastung der Unternehmen wird vom Gesetzgeber mit ca. 60 Mio. € jährlich auch selbst ein-


geräumt, wobei diese Schätzung wahrscheinlich deutlich zu niedrig liegt. Dies hätte vermieden werden können, wenn der Vorschlag der BDA, die neuen handelsrechtlichen Bewertungsregelungen auch auf das Steuerrecht zu übertragen, aufgegriffen worden wäre. Der gegen diesen Vorschlag vorgebrachte Einwand, dass damit erhebliche Steuerausfälle verbunden seien, weil die neue handelsrechtliche Bewertung meist zu einem höheren Rückstellungsbedarf führen würde, ist nicht überzeugend. Zum einen würde der zusätzliche Rückstellungsbedarf nicht zu endgültigen Steuerausfällen führen, sondern lediglich zu Steuerstundungen, da die Rückstellungen bei Betriebsrentenauszahlung wieder gewinnerhöhend aufgelöst werden müssten. Zum anderen ließen sich die ohnehin nur vorübergehenden fiskalischen Auswirkungen durch eine angemessene Übergangsregelung erheblich minimieren. Die steuerliche Berücksichtigung der realistischeren handelsrechtlichen Bewertung der Pensionsverpflichtungen entspräche zudem dem Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit, wonach eine erhöhte Belastung auch die Besteuerungsgrundlage vermindert. Zu begrüßen ist jedoch, dass der Gesetzgeber zumindest einige Korrekturforderungen der BDA im Gesetzgebungsverfahren aufgegriffen hat. So wurde z. B. klargestellt, dass Unternehmen ihre Pensionsverpflichtungen auch mit einem pauschalen Zinssatz für das gesamte Unternehmen bewerten dürfen. Dadurch konnte zusätzlicher Aufwand vermieden werden, der durch die Zugrundelegung eines laufzeitadäquaten Zinssatzes für jede einzelne Betriebsrentenanwartschaft entstanden wäre.

Reform des Versorgungsausgleichs – nicht alle Chancen zur Aufwandsvermeidung wurden genutzt Das im März 2009 verabschiedete „Gesetz zur Strukturreform des Versorgungsausgleichs“ ist am 1. September 2009 in Kraft getreten. Diese Reform hat spürbare Auswirkungen auf die betriebliche Altersvorsorge und belastet somit die Arbeitgeber unmittelbar. Zwar wurden einige von

der BDA im Gesetzgebungsverfahren eingebrachte Forderungen berücksichtigt. Allerdings hat der Gesetzgeber nicht alle Chancen genutzt, um unnötige Mehrbelastungen für die betriebliche Altersvorsorge zu vermeiden. Die im Gesetz grundsätzlich vorgesehene zwangsweise Aufnahme der geschiedenen Ehegatten in die betrieblichen Versorgungssysteme bläht diese auf und führt somit zu mehr Bürokratie. Um dies zu vermeiden, sollten ausgleichsberechtigte geschiedene Ehegatten regelmäßig – unabhängig vom betroffenen Durchführungsweg – ohne Betragsobergrenzen abgefunden werden können. Zwar ist zu begrüßen, dass bei den internen Durchführungswegen (Direktzusage, Unterstützungskasse) dieser Forderung der BDA weitgehend entsprochen wurde, denn es wurde eine Betragsgrenze für das einseitige Abfindungsrecht der Arbeitgeber (externe Realteilung) bis zu einer Grenze von 64.800 €, bezogen auf das Jahr 2009, zugelassen. Bei den externen Durchführungswegen (Pensionskassen, Pensionsfonds und Direktversicherung) muss aber noch deutlich nachgebessert werden, da hier weiterhin nur Kleinstanwartschaften (bis zu 50 € Monatsrente) einseitig abgefunden werden dürfen. Bedauerlicherweise wurden verfallbare Betriebsrentenanwartschaften vom Versorgungsausgleich nicht ausgeschlossen. Damit bleibt eine weitere Vereinfachungsmöglichkeit ungenutzt. Zudem wäre es richtig gewesen, den belasteten Versorgungsträgern die Möglichkeit einzuräumen, sämtliche Kosten des Versorgungsausgleichs – unabhängig davon, ob die Anrechte im Wege der internen oder externen Realteilung geteilt werden – verursachergerecht auf die Ehegatten umzulegen. Der Bundestag hat zudem im Rahmen des Dritten SGB-IV-Änderungsgesetzes im Juni 2009 die gesetzlichen Voraussetzungen zur Errichtung der Versorgungsausgleichskasse geschaffen. Mit der Versorgungsausgleichskasse wird eine sinnvolle kapitalgedeckte Auffanglösung geschaffen für Ansprüche aus der externen Teilung von betrieblichen Anrechten, bei denen der ausgleichsberechtigte Ehegatte von seinem Auswahlrecht der Zielversorgung keinen Gebrauch macht. Die BDA hat die Errichtung der Versorgungsaus-

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Neuer Versorgungsausgleich bringt neue Aufgaben für Arbeitgeber Das neue Versorgungsausgleichsrecht gilt seit 1. September 2009 für alle Betriebsrentenzusagen, unabhängig von Durchführungsweg, Finanzierungsform oder Zusagegestaltung. Im Vergleich zum bisherigen Recht wird der neue Versorgungsausgleich deutlich stärker in die Systeme der betrieblichen Altersvorsorge eingreifen:

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Jedes Anrecht wird grundsätzlich (auf Renten- oder Kapitalwertbasis) innerhalb des jeweiligen ­Altersvorsorgesystems geteilt und ein neues Anrecht für die ausgleichsberechtigte Person in diesem System begründet (interne Realteilung).

In den Versorgungsausgleich werden alle bestehenden Anwartschaften und Ansprüche auf Versorgung und laufende Leistungen einbezogen, erstmals auch Kapitalzusagen.

Die Versorgungsträger haben den Familiengerichten Teilungsvorschläge zu unterbreiten, die den Entscheidungen zum Versorgungsausgleich zugrunde gelegt werden.

Das neue Anrecht muss grundsätzlich die gleiche „Qualität“ besitzen wie das ursprüngliche Anrecht (z. B. Insolvenzschutz, Anpassungsregelung, Wertentwicklung).

Die ausgleichsberechtigte Person erhält die Stellung eines ausgeschiedenen Arbeitnehmers im ­Betriebsrentensystem der ausgleichsverpflichteten Person.

Als Ausnahme zum Regelfall der internen Realteilung ist auch eine externe Realteilung möglich. In diesem Fall erhält die ausgleichsberechtigte Person statt der Begründung eines eigenen Anrechts im Versorgungssystem des geschiedenen Ehegatten das entsprechende Kapital in eine Zielversorgung ausbezahlt (falls keine Zielversorgung gewählt wird, fließt das Kapital in die Versorgungsausgleichskasse).

Die einseitige externe Realteilung durch den Versorgungsträger ist nur in Grenzen möglich. Diese ­liegen bei den internen Durchführungswegen in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze (2009: 64.800 €) und bei den externen Durchführungswegen in Höhe von 240 % des Kapitalwerts der Bezugsgröße gem. § 18 SGB IV (2009: 6.048 € bzw. 50,40 € monatliche Rente).

Eine einvernehmliche externe Realteilung mit allen Beteiligten ist in unbegrenzter Höhe zulässig.

Kosten dürfen auf die Ehegatten nur bei der internen Realteilung umgelegt werden. Kosten zur ­Ermittlung und Berechnung des Teilungsvorschlags können generell nicht umgelegt werden.

Der Versorgungsausgleich wird nicht durchgeführt, wenn bei einer Ehedauer von bis zu drei Jahren kein Antrag auf Durchführung gestellt wird oder der Ausgleichswert des einzelnen Anrechts oder der Wertunterschied von Anrechten gleicher Art die Bagatellgrenze der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 SBG IV (2009: 3.024 € bzw. 25,20 € monatliche Rente) nicht übersteigt.

Im schuldrechtlichen Versorgungsausgleich werden weiterhin nicht ausgleichsreife Anrechte, insbesondere verfallbare Anwartschaften, ausgeglichen.

Soweit Anrechte aus der betrieblichen oder privaten Altersvorsorge nach neuem Recht ausgeglichen wurden, sind nachträgliche Abänderungen ausgeschlossen.

Das neue Recht ist anzuwenden auf alle Verfahren, die nach dem 1. September 2009 eingeleitet werden. Für am 1. September 2009 bereits anhängige Verfahren gilt altes Recht, außer wenn keine erstinstanzliche Endentscheidung bis zum 31. August 2010 erfolgt.

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gleichskasse durch die Versicherungswirtschaft von Anfang an unterstützt, da sie insbesondere Transferprobleme im Rahmen der externen ­Realteilung, z. B. durch unterschiedliche Besteuerungsregime, vermeidet. Die BDA hat zu diesen Themen den kompakt „Betriebliche Altersvorsorge“ veröffentlicht.

Belastungen durch europäische Aufsichtsvorgaben vermeiden Unnötige und vermeidbare Bürokratie droht im Zusammenhang mit dem Vorhaben der EU-Kommission, eine zentrale europäische Finanzmarktaufsicht zu schaffen. Das gilt insbesondere für die Pläne zur Errichtung von drei Finanzaufsichtsbehörden, von denen eine speziell für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersvorsorge zuständig sein soll. Diese Behörden sollen mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattet werden. Das Ziel, die Finanzmarktaufsicht europaweit zu stärken, um einer erneuten Finanzmarktkrise vorzubeugen, ist grundsätzlich zu unterstützen. Für Einrichtungen der betrieblichen Altersvorsorge, Pensionskassen und Pensionsfonds ist nach den ersten Verordnungsentwürfen allerdings zu befürchten, dass diese mit einer Doppelaufsicht, sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene, belastet werden. Hinzu kämen Mehrkosten für Pensionskassen und Pensionsfonds infolge der Umlegung der Kosten für die neue Behörde auf die beaufsichtigten Einrichtungen sowie ggf. durch neue Mindeststandards für ihre Kalkulationen. Diese Mehrbelastungen müssen vermieden werden. In jedem Fall sollte sich die Bundesregierung bei der Besetzung der neuen EU-Finanzaufsichtsbehörden dafür einsetzen, dass bei der neuen europäischen Aufsicht auch genügend Sachverstand sowohl aus der Versicherungswirtschaft als auch aus dem Bereich der betrieblichen Altersvorsorge vertreten ist. Zu begrüßen ist, dass die zuständigen deutschen Ministerien bereits signalisiert haben, sich für entsprechende Korrekturen der bisherigen EU-Entwürfe einzusetzen. Positiv ist, dass der im Frühjahr 2009 vom Europäischen Parlament und dem Rat der EU-Finanzminister angenommene EU-Richtlinienentwurf zur

Aufnahme und Ausübung der Versicherungstätigkeit („Solvency II“) auf Einrichtungen der betrieblichen Altersvorsorge keine Anwendung finden wird. Hierfür haben sich die BDA und ihr europäischer Spitzenverband ­BUSINESSEUROPE intensiv eingesetzt. Im Zentrum dieses ­Richtlinienentwurfs, der bis zum 31. Oktober 2012 von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden muss, stehen neue Eigenkapitalvorschriften für Versicherungsunternehmen (Solvabilitätsvorschriften) sowie Regelungen zum Risikomanagement und z. B. Berichtspflichten. Eine Übertragung der Regelungen auf Einrichtungen der betrieblichen Altersvorsorge hätte bedeutet, dass diese aufgrund anderer Eigenkapitalanforderungen eine Unterdeckung in Bezug auf die zu erfüllenden Verpflichtungen aufgewiesen hätten. In der Folge wäre es oftmals zu einem erheblichen Nachschussbedarf der Trägerunternehmen gekommen und damit teilweise zu einer erheblichen Verteuerung der betrieblichen Altersvorsorge. Allerdings ist die Gefahr einer Verschärfung des Aufsichtsrechts für die betriebliche Altersvorsorge durch den europäischen Gesetzgeber noch nicht gebannt. So muss verhindert werden, dass bei der geplanten Überarbeitung der EUPensionsfondsrichtlinie Vorgaben, die möglicherweise für Lebensversicherungen ihre Berechtigung haben, einfach in die Pensionsfondsrichtlinie übernommen werden. Denn betriebliche Altersvorsorge ist vielfach gerade dadurch gekennzeichnet, dass der Arbeitgeber subsidiär für seine Zusage haftet, wenn der Versorgungsträger die Leistungen nicht erbringen kann. Deshalb wären hier z. B. höhere Anforderungen an das vorzuhaltende Eigenkapital für Einrichtungen der betrieblichen Altersvorsorge unpassend und belastend. Der überarbeitete EU-Richtlinienvorschlag zur Verbesserung der Mindeststandards von Betriebsrenten (vormals: „Portabilitätsrichtlinie“) vom 9. Oktober 2007 wurde während der derzeitigen schwedischen EU-Ratspräsidentschaft nicht aufgegriffen. Die BDA wird sich weiterhin dafür einsetzen, dass eine Verkürzung der Unverfallbarkeitsfristen und verschärfte Anpassungsregeln unterbleiben und die betriebliche Altersvorsorge keinen Schaden nimmt. Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „EU-Richtlinienvorschlag zur betrieblichen Altersvorsorge“ veröffentlicht.

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Grundlegende Reformen der Krankheitskostenfinanzierung zügig in Angriff nehmen Der im Koalitionsvertrag der schwarz-gelben Bundesregierung in Aussicht gestellte Einstieg in die Abkopplung der Gesundheitskosten von den Lohnzusatzkosten ist ein großer Schritt zur beschäftigungsfreundlichen Finanzierung der Krankheitskosten. Der Gesundheitssektor ist ein bedeutender Wachstumsbereich, der Innovationen fördert und wegen seiner Personalintensität auch erhebliche Arbeitsmarktrelevanz hat. Soweit das Wachstum in diesem Bereich jedoch über eine lohnbezogene Finanzierung zu steigenden Personalzusatzkosten bzw. Arbeitskosten führt, entstehen daraus ein schwerwiegendes Beschäftigungshemmnis sowie eine Bremse für das Wirtschaftswachstum insgesamt. Die Krankheitskostenfinanzierung muss daher vollständig vom Arbeitsverhältnis abgekoppelt werden. Die lohnbezogene Beitragsfinanzierung sollte auf ein einkommensunabhängiges Gesundheits­prämien­ modell mit solidarisch finanziertem sozialem Ausgleich für einkommensschwache Versicherte umgestellt werden. Damit wird eine finanzielle Überforderung von Versicherten hinreichend ausgeschlossen. Zur Festlegung der notwendigen Schritte für den Einstieg in ein gerechteres und transparenteres Finanzierungssystem in der GKV soll zu Beginn der Legislaturperiode eine Regierungskommission eingesetzt werden. Die Festlegung und Umsetzung des neuen Finanzierungssystems sollten möglichst zügig erfolgen. Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „Gesetzliche Krankenversicherung“ veröffentlicht.

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gesenkt. Die Beitragssatzsenkung entlastet die Arbeitgeber von Personalzusatzkosten und sorgt bei den Arbeitnehmern für mehr Netto vom Brutto. Finanziert wird die Absenkung des Beitragssatzes durch eine Erhöhung des Bundeszuschusses zur GKV bzw. an den Gesundheitsfonds von 3,2 Mrd. € im Jahr 2009 und 6,3 Mrd. € 2010. Der Bundeszuschuss erreicht so den ursprünglich für das Jahr 2016 vorgesehenen Endwert von 14 Mrd. € bereits im Jahr 2012. Die GKV profitiert durch die vorgezogene Erhöhung des Bundeszuschusses von zusätzlichen Mitteln in Höhe von insgesamt 28,8 Mrd. € im Vergleich zum alten Recht. Besser, als nur den Bundeszuschuss zu erhöhen, wäre allerdings gewesen, wenn die Senkung des Beitragssatzes zumindest auch durch parallele Ausgaben senkende Strukturreformen erreicht worden wäre. Durchsetzen konnte sich die BDA mit der Forderung, dass von der Senkung der Beitragslast in der GKV Arbeitnehmer und Betriebe gleichermaßen profitieren. Für beide Seiten reduziert sich der zu tragende Beitragssatzanteil um 0,3 Prozentpunkte. Warum allein die GKV – und nicht auch die private Krankenversicherung (PKV) – von den steigenden Bundeszuweisungen, die der teilweisen Finanzierung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben (z. B. beitragsfreie Mitversicherung von Kindern) dienen, profitieren soll, ist allerdings nicht nachvollziehbar. Hierdurch wird eine Wettbewerbsverzerrung zu Lasten der PKV herbeigeführt, in der für Kinder ein eigenständiger Versicherungsvertrag mit separater Beitragsleistung abzuschließen ist.

Krankenversicherung: Senkung der Beiträge trägt zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise bei

Gesundheitsfonds: geschätzte Finanzierungslücke unterstreicht die Notwendigkeit von Ausgaben senkenden Strukturreformen

Um die negativen Auswirkungen der Wirtschaftskrise zu bekämpfen, hat der Gesetzgeber am 13. Februar 2009 das Konjunkturpaket II („Gesetz zur Sicherung von Beschäftigung und Stabilität in Deutschland“) verabschiedet. In diesem Rahmen wurde auch der allgemeine Beitragssatz zur GKV zum 1. Juli 2009 von 15,5 auf 14,9 %

Der Gesundheitsfonds löst keines der aktuellen Probleme im Gesundheitsbereich wie z. B. überhöhte Ausgaben durch mangelnden Wettbewerb, demografieanfällige Finanzierung und die Abhängigkeit der Krankheitskostenfinanzierung vom Arbeitsverhältnis. Er ist aber auch nicht die

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Anhebung der Bundeszuschüsse an Krankenkassen wird vorgezogen1 Entwicklung des Bundeszuschusses zur GKV

in Mrd. € 16 14,0

14

14,0

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8

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4 4,0

2

0 2009

2010

1

2011

2012

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2015

2016

neues Recht (mit Konjunkturpaket II) altes Recht 1

Mit dem am 16. Dezember 2009 im Kabinett beschlossenen „Gesetz zur Stabilisierung der Finanzierung der Sozialversicherungssysteme“

werden die krisenbedingten Mindereinnahmen im Jahr 2010 durch einen zusätzlichen einmaligen Bundeszuschuss in Höhe von 3,9 Mrd. € ausgeglichen. Quelle: eigene Darstellung der BDA

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Ursache der Probleme der GKV und weder ein bürokratisches Monster noch für die geschätzten Mindereinnahmen in Höhe von 2,1 Mrd. € im Jahr 2009 verantwortlich. Diese sind der Verschlechterung der Lohn- und Beschäftigungsentwicklung infolge des konjunkturellen Einbruchs zuzuschreiben. Dieser Fehlbetrag wird durch das Vorziehen des Bundeszuschusses in den Januar 2010 ausgeglichen. Damit entfällt die Notwen-

digkeit eines Liquiditätsdarlehens des Bundes für 2009, dessen Rückzahlung 2011 hätte erfolgen müssen. Für das Jahr 2010 erwartet der Schätzerkreis eine Finanzierungslücke der GKV in Höhe von 7,9 Mrd. €. Die für das Jahr 2010 berechneten konjunkturbedingten Mindereinnahmen des Gesundheitsfonds sollen nach dem am 16. Dezember 2009 im Kabinett verabschiedeten „Gesetz zur Stabilisierung der Finanzierung der

BDA-Präsidium: Wahltarife in der gesetzlichen Krankenversicherung müssen bestimmten Anforderungen genügen Neben der Stärkung des Vertragswettbewerbs in den einzelnen Versorgungsbereichen des Gesundheitswesens können auch Wahltarife den Wettbewerb innerhalb der GKV fördern (z. B. Selbstbehalttarife, Tarife für besondere Versorgungsformen, Kostenerstattungstarife, Tarife für Leistungsbeschränkung bzw. -abwahl). Sie können zur Angebotsdifferenzierung, zur Angebotsoptimierung und zur Kostensenkung beitragen und den Krankenkassen bei der Mitgliedergewinnung bzw. -bindung helfen. Allerdings sind Wahltarife kein Selbstzweck. Sie müssen vielmehr folgenden Anforderungen genügen: Wahltarife müssen sich selbst tragen und dürfen daher nicht zu Mehrbelastungen der übrigen Beitragszahler führen. Ein Wahltarif, der sich nicht selbst trägt, wirkt beitragssatzsteigernd und kann damit zu höheren Arbeitskosten führen. Zudem können durch Quersubventionierung finanzierte Wahltarife den erwünschten solidarischen Ausgleich zwischen Gesunden und Kranken beschränken. Zu Recht hat der Gesetzgeber daher festgelegt, dass die Aufwendungen für jeden Wahltarif aus Einnahmen, Einsparungen und Effizienzsteigerungen, die durch diese Maßnahmen erzielt werden, finanziert werden müssen (§ 53 Abs. 9 SGB V). Wahltarife dürfen nur der Absicherung von Leistungen des Pflichtleistungskatalogs der GKV dienen. Die Absicherung von Leistungen, die darüber hinausgehen, muss den privaten Krankenversicherern überlassen bleiben. Dies gilt schon aus Gründen der Subsidiarität: Es gibt keinen Grund, warum Versicherungsschutz, der eine sozialstaatlich gebotene Grundversorgung übersteigt, durch öffentlich-rechtliche Körperschaften und damit durch mittelbare Staatsverwaltung gewährleistet werden sollte, wenn private Unternehmen dazu in mindestens gleicher Weise in der Lage sind. Hinzu kommt, dass ein Wettbewerb zwischen PKV und GKV um Zusatzleistungen in mehrfacher Hinsicht verzerrt wäre (z. B. in steuerlicher Hinsicht). Leistungen, die über den Leistungskatalog des SGB V hinausgehen, dürfen ausschließlich in Kooperationen mit der PKV in Form von Zusatzversicherungen (z. B. Zahnzusatzversicherungen, Privatbehandlung im Krankenhaus, Auslandskrankenversicherung etc.) angeboten werden. Damit wird der notwendigen Abgrenzung zwischen PKV und GKV Rechnung getragen. Vor diesem Hintergrund sind die im Koalitionsvertrag festgelegte klarere Abgrenzung zwischen der GKV und der PKV sowie der geplante Ausbau der Kooperationsmöglichkeiten im Bereich der Wahl­ tarife positiv zu werten.

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Sozialversicherungssysteme“ durch einen einmaligen zusätzlichen Bundeszuschuss in Höhe von 3,9 Mrd. € kompensiert werden. Der Zuschuss wird dabei voll über erhöhte Zahlungen des Gesundheitsfonds an die Krankenkassen verteilt. Die Zielsetzung, mit einer solchen Beteiligung des Bundes an den konjunkturbedingten Mindereinnahmen einen Beitrag zur Stabilisierung der Lohnzusatzkosten und damit zur Überwindung der Wirtschaftskrise zu leisten, ist zu begrüßen. Die für das Jahr 2010 erwartete Finanzierungslücke unterstreicht noch einmal die Notwendigkeit Ausgaben senkender Strukturreformen. Jährliche Ausgabenzuwächse von 7,2 Mrd. € oder 4,3 %, wie für 2010 prognostiziert, lassen sich dauerhaft nicht finanzieren. Wirksame Instrumente zur Kostenbegrenzung sind insbesondere mehr Wettbewerb und Vertragsfreiheit für die Akteure im Gesundheitswesen. Staatlicher Dirigismus hingegen ist kontraproduktiv. Es darf nicht sein, dass sich die Politik – wie im letzten Jahr – massiv in Vertragsverhandlungen der Krankenkassen mit Ärzten und Krankenhäusern einmischt und gegen den Widerstand des GKV-Spitzenverbands deutlich überhöhte Honorar- und Budgetzuwächse durchsetzt.

Zugang zur privaten Krankenversicherung erleichtert – weniger Bürokratie für die Unternehmen Zu einem pluralistischen Gesundheitssystem gehören leistungsfähige private Krankenversicherer, die für Systemwettbewerb und Wahlfreiheit für die Versicherten sorgen und darüber hinaus mit ihrem System der Kapitaldeckung zukunftsweisend sind. Deshalb ist es sehr zu begrüßen, dass die neue Bundesregierung die 2007 eingeführte wettbewerbsfeindliche und für die Arbeitgeber mit hohem bürokratischem Aufwand verbundene Regelung, nach der ein Wechsel in die PKV grundsätzlich erst nach einem dreijährigen Überschreiten der Versicherungspflichtgrenze zulässig ist, wieder zurücknehmen will. Damit wird eine Forderung der BDA umgesetzt. Die Abschaffung der Dreijahresregel trägt dazu bei, dass die privaten Krankenversicherer

weiterhin ausreichend Neuzugang erhalten. Zudem werden die Arbeitgeber von bürokratischem Aufwand entlastet. Heute bereitet insbesondere bei Neueinstellungen eine drei Jahre in die Vergangenheit gerichtete Betrachtung des jährlichen Arbeitsentgelts Schwierigkeiten, da der Arbeitgeber genaue Auskünfte aus allen Vorbeschäftigungen der vergangenen drei Jahre – einschließlich Unterbrechungen, Entgeltminderungen etc. – benötigt.

15. Arzneimittelgesetznovelle: Chance für mehr Wettbewerb im Arzneimittelbereich verpasst Die am 18. Juni 2009 vom Bundestag verabschiedete 15. Arzneimittelgesetznovelle („Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften“, AMG-Novelle) sieht u. a. vor, dass Einkaufsvorteile der Apotheken an die Krankenkassen weitergegeben werden müssen. Die dadurch beabsichtigte Entlastung der Krankenkassen um 0,3 Mrd. € ist zwar grundsätzlich zu begrüßen, allerdings ist keinesfalls sichergestellt, dass eine Entlastung in diesem Maße tatsächlich realisiert werden kann. Mit der Verpflichtung, Einkaufsvorteile an die Krankenkassen weiterzuleiten, vermindert sich nämlich der Anreiz der Apotheken, möglichst günstige Einkaufspreise auszuhandeln, erheblich. Zudem stellen die Änderungen keine Strukturreform der Arzneimittelversorgung dar und sind nicht zur Hebung der im Arzneimittelbereich vorhandenen Effizienzreserven geeignet. Sinnvoller als ein solcher staatlicher Eingriff wäre vielmehr eine Strukturreform zur Sicherung von Wettbewerb gewesen. Zur weiteren und vor allem nachhaltigen Entlastung der Krankenkassen im Arzneimittelbereich sind folgende Schritte notwendig:

Übergang zu einer wettbewerblichen Preisgestaltung durch Freigabe der Preissetzung

Liberalisierung des Arzneimittelvertriebs durch Zulassung von Mehr- und Fremdbesitz bei Apotheken

Stärkung der Eigenverantwortung der Versicherten durch anreizwirksame Selbstbeteiligungsregelungen

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Das Festhalten der schwarz-gelben Koalition am Mehr- und Fremdbesitzverbot sowie die geplante Beschränkung des Arzneimittelversandhandels durch das Verbot von sog. Pick-up-Stellen sind falsche Schritte und tragen nicht zu mehr Wettbewerb im Arzneimittelbereich bei. Zudem wurde der Krankengeldanspruch durch die 15. AMG-Novelle neu geregelt. Die neue Regelung sieht vor, dass Selbstständige und unständig bzw. kurzzeitig Beschäftigte den Krankengeldanspruch ab der siebten Woche der Arbeitsunfähigkeit entweder über das gesetzliche Krankengeld zum allgemeinen Beitragssatz oder über einen Wahltarif absichern können (Wahloption). Wird vom Versicherten ein höherer bzw. früherer Zahlungsanspruch gewünscht, so kann zu dessen Absicherung ergänzend ein Wahltarif gewählt werden. Die Wahltarife dürfen dabei künftig nicht mehr nach Alter, Geschlecht oder Krankheitsrisiko gestaffelt werden. Bestehende Wahltarife enden mit Inkrafttreten der Neuregelung. Die BDA hatte diese Regelungen kritisiert und die Rückkehr zum alten Recht, also unterschiedliche Krankengeldansprüche je nach

Zahlung des allgemeinen Beitragssatzes (ab der siebten Woche), eines erhöhten Beitragssatzes (ab der dritten Woche) oder eines ermäßigten Beitragssatzes (kein Krankengeldanspruch), gefordert. Die Neuregelung stellt keine ordnungspolitisch konsistente Lösung dar. Die vom Gesetzgeber mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz eingeführte Absicherung des Krankengelds für Selbstständige ausschließlich über Wahltarife sollte zu Wettbewerb zwischen allen gesetzlichen und privaten Krankenkassen führen. Durch die mit der 15. AMG-Novelle eingeführte Wahloption und das Verbot der ­Prämienstaffelung für die gesetzlichen Krankenkassen kann es nun zu Wettbewerbsverzerrungen kommen: Denn einerseits sind die gesetzlichen Krankenkassen weiterhin verpflichtet, Wahltarife anzubieten, dürfen die Prämien aber nicht mehr alters- und geschlechtsabhängig kalkulieren. Damit werden die Tarife für Versicherte mit geringem Erkrankungsrisiko aller Wahrscheinlichkeit nach unattraktiv. Andererseits können gerade Versicherte mit höherem Erkrankungsrisiko nun die Option des für sie günstigeren gesetzlichen Krankengelds wählen.

Fremdbesitzverbot: Urteil des Europäischen Gerichtshofs unverständlich und enttäuschend Enttäuschend ist das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zum Fremdbesitzverbot. Der EuGH stellt in seinem Urteil vom 19. Mai 2009 fest, dass das Fremdbesitzverbot, nach dem nur approbierte Pharmazeuten, nicht aber andere, wie z. B. Kapitalgesellschaften, Apotheken besitzen dürfen, nicht gegen Europarecht verstößt. Mit dem Urteil wurde die Chance für ein Mehr an Wettbewerb in der Arzneimittelversorgung verpasst. Es gibt keinen einleuchtenden Grund, warum – wie in der Urteilsbegründung behauptet – ein angestellter Apotheker im Gegensatz zu einem selbstständigen Apotheker die Gesundheit der Bevölkerung gefährden soll, zumal bereits heute nach bisherigem Recht der Betrieb von bis zu drei ­Filialapotheken, die unter Leitung eines approbierten angestellten Apothekers stehen, erlaubt ist. Die BDA fordert den Gesetzgeber dazu auf, sich nicht hinter dem Urteil des EuGH zu verstecken. Denn auch wenn das Fremdbesitzverbot nicht gegen Europarecht verstößt, ist es andererseits auch keineswegs europarechtlich geboten. Da der Ausbau von Wettbewerbselementen eines der wirksamsten Mittel zur Begrenzung der Ausgaben in der GKV ist, ist das Mehr- und Fremdbesitzverbot für Apotheken im Interesse einer höheren Wettbewerbsintensität in der Arzneimittelversorgung aufzuheben. Bezahlbare Arzneimittel sind wichtiger als das Festhalten an überkommenen zunftähnlichen Vertriebsstrukturen im Arzneimittelbereich.

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Bürgerentlastungsgesetz Krankenversicherung: verbesserte steuerliche Absetzbarkeit von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen Das am 19. Juni 2009 vom Bundestag verabschiedete Bürgerentlastungsgesetz Krankenversicherung („Gesetz zur verbesserten steuerlichen Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen“) sieht u. a. die verbesserte steuerliche Absetzbarkeit von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen vor und trägt damit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Februar 2008 Rechnung, nach denen eine dem Umfang nach hinreichende steuerliche Freistellung der zur Sicherung des Existenzminimums erforderlichen Beiträge zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung zu erfolgen hat. Um eine Gleichbehandlung von gesetzlich und privat Versicherten sicherzustellen, hat der Gesetzgeber entschieden, dass auch die Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung steuerlich berücksichtigt werden können. So sollen die Bürger um 8,4 Mrd. € pro Jahr entlastet werden. Dazu werden ab dem 1. Januar 2010 diejenigen Aufwendungen steuerlich berücksichtigt, die ein der gesetzlichen Kranken- und der sozialen Pflegeversicherung entsprechendes Leistungsniveau (Basisleistungen) absichern. Darüber hinaus können – entgegen dem Kabinettsentwurf und entsprechend einer Forderung der BDA – auch Beiträge zu Versicherungen gegen Arbeitslosigkeit, zu Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsversicherungen, zu Unfall- und Haftpflichtversicherungen sowie zu Lebensversicherungen weiterhin abgesetzt werden, wenn der festgesetzte Höchstbetrag von 1.900 € für Arbeitnehmer und Beihilfeberechtigte (bei Selbstständigen 2.800 €) durch die Kranken- und Pflegekassenbeiträge noch nicht ausgeschöpft ist. Sollten die tatsächlich geleisteten Beiträge zur Krankenund Pflegeversicherung über dieser Höchstgrenze liegen, so können diese voll angesetzt werden, die Abzugsmöglichkeit anderer Vorsorgeaufwendungen entfällt dann jedoch. Die Berechnung der begünstigten Beiträge für eine existenznotwendige Krankenversorgung an eine PKV (Basisleistungen) erfolgt durch pauschalierte, einheitliche, prozentuale Abschläge für Mehrleistungen, wie

z. B. Chefarztbehandlung und Einbettzimmer im Krankenhaus.

Geplante EU-PatientenrechteRichtlinie vorerst gescheitert Am 1. Dezember 2009 ist es dem Rat nicht gelungen, einen gemeinsamen Standpunkt zum „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung“ zu verabschieden. Die ablehnenden Mitgliedstaaten befürchten insbesondere, ihre Gesundheitssysteme umstrukturieren zu müssen, wenn – wie in dem Entwurf vorgesehen – auch Dienstleistungen privater Gesundheitsanbieter erstattet werden müssen. Ob es noch zu einer Einigung über den Entwurf im nächsten Jahr oder später kommen wird, ist derzeit nicht abzusehen. Der Richtlinienvorschlag sieht vor, dass Patienten, die Gesundheitsdienstleistungen im EUAusland in Anspruch nehmen, grundsätzlich eine Kostenerstattung in Höhe der inländischen Leistungssätze erhalten. Zudem soll er die Richtlinie über Dienstleistungen im Binnenmarkt ergänzen. Die BDA hat den Vorschlag als insgesamt überflüssig und enttäuschend beurteilt und abgelehnt: Zum einen besteht für einen solchen Richtlinienvorschlag keine Notwendigkeit, weil sich die derzeit noch offenen Fragen zur Patientenmobilität ebenso gut innerhalb des nationalen Rechts bzw. mit Hilfe der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 (Wanderarbeitnehmer) bzw. Verordnung (EG) Nr. 883/04 (Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit) regeln lassen. Für in Deutschland Versicherte ist die Kostenerstattungsmöglichkeit auch bereits weitgehend mit dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz zum 1. Januar 2004 erfolgt. Gleichzeitig wurde eine Rechtsgrundlage für den Abschluss von Verträgen mit EU-ausländischen Leistungsanbietern geschaffen. Zum anderen birgt der Richtlinienentwurf die Gefahr des Eingriffs in die nationalen Gestaltungskompetenzen. Die Schaffung europäischer Referenznetze, die Einsetzung eines Umsetzungsausschusses sowie die Einschränkung des Genehmigungsvorbehalts für Krankenhausbehandlungen (ohne gleichzeitige Budgetbereinigungsregeln) hebeln den nationalen Rahmen als Bezug für die Ge-

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sundheitsversorgung und ihre Finanzierung aus und unterlaufen, zumindest teilweise, das Subsidiaritätsprinzip. Die BDA lehnt den Versuch der EU, ihren Einfluss auf die nationale Gesundheitspolitik auszuweiten und damit das Subsidiaritätsprinzip zu unterlaufen, ab. Eine ausführliche Stellungnahme zum Richtlinienentwurf hat die BDA in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und -gestaltung (GVG) erarbeitet.

Pflegeversicherung: Neudefinition des Pflegebedürftigkeitsbegriffs darf Beitragszahler nicht belasten Im Frühjahr dieses Jahres hat der vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) im Oktober 2006 einberufene „Beirat zur Überprüfung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs“ seinen Abschlussbericht vorgelegt. Dieser – unter Mitwirkung der BDA erarbeitete – Bericht enthält konzeptionelle Überlegungen zur Schaffung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs und zur Einführung eines neuen, bundesweit einheitlichen Begutachtungsverfahrens. Gegenüber dem bisherigen Pflegebedürftigkeitsbegriff, der Kritikern zufolge zu verrichtungsbezogen und einseitig somatisch gefasst ist, beinhaltet die vom Pflegebeirat empfohlene Definition insbesondere zwei wesentliche Änderungen:

Maßstab zur Einschätzung von Pflegebedürftigkeit ist nicht die erforderliche Pflegezeit, sondern der Grad der Selbstständigkeit bei der Durchführung von Aktivitäten und der Gestaltung von Lebensbereichen.

Das neue Instrument zielt auf eine umfassende Berücksichtigung von Pflegebedürftigkeit, vermeidet also die Reduzierung von Pflegebedürftigkeit auf den Hilfebedarf bei bestimmten Alltagsverrichtungen. Es erfasst sowohl körperliche als auch kognitive und psychische Beeinträchtigungen (z. B. Demenz).

Die Anknüpfung an das Ausmaß der Selbstständigkeit ermögliche – so der Pflegebeirat – eine ganzheitliche Wahrnehmung der Lebenslage pflegebedürftiger Menschen und trage dadurch dazu

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bei, Ungleichbehandlungen zwischen Menschen mit verschiedenen Beeinträchtigungen oder ganzer Gruppen von Menschen zu vermeiden (= höhere Bedarfsgerechtigkeit). Das künftige Begutachtungsverfahren soll nach den Vorstellungen des Pflegebeirats modular aufgebaut sein. Dabei soll jedes der sechs Module eine Gruppe artverwandter Aktivitäten, Fähigkeiten oder einen Lebensbereich umfassen. Die Ergebnisse dieser Einschätzung sind die Grundlage für die Ermittlung eines Grads der Pflegebedürftigkeit („Bedarfsgrad“), der an die Stelle der heutigen Pflegestufen treten soll. Das neue Begutachtungsverfahren wird zu einer Erhöhung der Zahl der als pflegebedürftig klassifizierten Personen führen. Neben diesem Mengeneffekt wird es aber auch zu einem Struktureffekt kommen, der darin besteht, dass sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich die neuen Bedarfsgrade durchschnittlich höher liegen als die leistungsrechtlich gleichgesetzten alten Pflegestufen. Dieser Effekt ist nach Einschätzung des Pflegebeirats von fiskalisch größerer Relevanz als der Mengeneffekt. Dennoch ist es auch bei der vorgeschlagenen Neudefinition des ­Pflegebedürftigkeitsbegriffs möglich, einen Lösungsvorschlag zu erarbeiten, der dem gegenwärtigen Leistungsvolumen der Pflegeversicherung weitgehend entspricht. Auf diese Notwendigkeit einer kostenneutralen Umsetzung hat die BDA in den Beiratssitzungen immer wieder hingewiesen. Denn nachdem das Beitragsvolumen der Pflegeversicherung bereits durch das zum 1. Juli 2008 in Kraft getretene „Pflege-Weiterentwicklungsgesetz“ kräftig um 2,5 Mrd. €/Jahr bzw. fast 15 % ausgeweitet worden ist, darf es durch die Neufassung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs zu keiner weiteren Kostensteigerung für die Beitragszahler kommen. Dass dies möglich ist, zeigt auch der im Mai 2009 vom Pflegebeirat vorgelegte Umsetzungsbericht mit seinen kostenneutralen Szenarien. Die neue Regierungskoalition, die sich in ihrem Koalitionsvertrag ebenfalls für eine Neudefinition des Pflegebedürftigkeitsbegriffs ausgesprochen hat, sollte vor allem über die Festlegung der mit Leistungen unterlegten Bedarfsgrade, die Definition der Schwellenwerte der Bedarfsgrade und die


Soziale Pflegeversicherung – Beitragssatzerhöhung zum 1. Juli 2008 verhindert neues Defizit Jahresüberschüsse und -fehlbeträge

in Mio. €

1.200 900

900 630

600 300 0 –30

–60 –130

–300

–380

–360

–370

2005

2006

–320

–600 –690

–900

–820

–1.200 1999

2000

2001

2002

2003

2004

2007

2008

2009 s

s: geschätzte Zahl Quellen: Bundesministerium für Gesundheit und Bundesministerium für Arbeit und Soziales; eigene Darstellung der BDA; ohne Beachtung der einmaligen zusätzlichen Beiträge im Jahr 2006 durch die Vorverlegung der Beitragsfälligkeit (820 Mio. €)

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Leistungshöhe der einzelnen Bedarfsgrade die finanziellen Folgen für die Pflegeversicherung justieren und im Griff halten. Die von CDU/CSU und FDP geplante Ergänzung der umlagefinanzierten Pflegeversicherung um eine kapitalgedeckte Säule ist ein grundsätzlich richtiger Schritt. Damit korrigiert die schwarzgelbe Koalition einen Fehler, den sie seinerzeit selbst bei der Einführung dieses Sozialversicherungszweigs gemacht hat. Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „Soziale Pflegeversicherung“ veröffentlicht.

Unfallversicherung bei Berufskrankheiten ungerechtfertigt belastet – Entlastung durch Leistungsrechtsreform umgehend angehen Mit der zum 1. Juli 2009 in Kraft getretenen „Zweiten Verordnung zur Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung“ sind fünf Krankheiten in der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung geändert bzw. als Berufskrankheiten neu aufgenommen worden. Darüber hinaus sieht die Verordnung die unbegrenzt rückwirkende Anerkennung der Bergmannsbronchitis als Berufskrankheit vor. Die BDA hat sowohl gegenüber dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) als auch gegenüber dem federführenden Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik des ­Bundesrats die geplanten Änderungen im Berufskrankheitenrecht nachdrücklich abgelehnt. Insbesondere hat sie sich gegen die Anerkennung der Gon­ arthrose als Berufskrankheit ausgesprochen. Bei der Gonarthrose handelt es sich um eine Volkskrankheit, bei der eine ausreichend stringente Abgrenzung zu einer Berufskrankheit nicht möglich ist. Das Kausalitätsprinzip, nach dem nur eindeutig berufsbedingte Erkrankungen zu Lasten der Unfallversicherungsträger gehen dürfen, muss auch hier gelten. Eine klare Grenzziehung zwischen dem Sondersystem der gesetzlichen Unfallversicherung und der ansonsten zuständigen Kranken- und/oder Rentenversicherung ist unverzichtbar.

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Des Weiteren hat sich die BDA gegen den Wegfall der bisherigen Stichtagsregelung und damit gegen die unbegrenzt rückwirkende Anerkennung der Bergmannsbronchitis als Berufskrankheit gewandt. Für die Einführung einer derartigen singulären und unsystematischen Ausnahmeregelung von der sonst grundsätzlich geltenden Stichtagsregelung nur für den Fall der Bergmannsbronchitis fehlt jedes überzeugende Argument. Insbesondere kann der angeführte verbesserte untertägige Arbeitsschutz und damit der Präventionserfolg der Betriebe nicht als Grund für die unbegrenzte Ausweitung des Kreises der zu entschädigenden Versicherten in der Vergangenheit herangezogen werden. Es wäre sinnvoller gewesen, das Berufskrankheitenrecht insgesamt im Rahmen der dringend notwendigen umfassenden Reform des Leistungsrechts der Unfallversicherung neu zu gestalten. Die neue Koalition hat sich in ihrem Koalitionsvertrag ein zielgenaues Leistungsrecht auf die Agenda gesetzt. Die BDA begrüßt diese Zielsetzung nachdrücklich. Eine Reform des Leistungsrechts wird von Seiten der BDA seit langem gefordert und ist überfällig. Denn nur eine Leistungsrechtsreform ermöglicht die längst überfällige Beitragsentlastung der Unternehmen entsprechend den drastisch gesunkenen Unfallzahlen. Wesentliches Ziel dieser Reform muss eine Konzentration der Leistungen auf die Absicherung betriebsspezifischer Risiken und eine systemgerechte Ausgestaltung der Unfallrenten sein.

Bescheinigungswesen grundlegend vereinfachen – ELENAVerfahren weiter ausbauen Am 2. April 2009 ist das „Gesetz über das Verfahren des elektronischen Entgeltnachweises“ (ELENA-Verfahrensgesetz) in Kraft getreten. Mit dem ELENA-Verfahren wird die Verpflichtung der Arbeitgeber zur schriftlichen Ausstellung von Entgeltbescheinigungen, die als Grundlage für die Berechnung von Sozialleistungen ihrer Arbeitnehmer dienen (betrifft zunächst Arbeitslosengeld I, Eltern- und Wohngeld), durch die Verpflichtung zu einer monatlichen elektronischen Meldung von Entgeltdaten an eine zentrale Speicherstelle (bei der Deutschen Rentenversicherung Bund – ­DRV


Bund) ersetzt. Die Meldungen der Arbeitgeber erfolgen ab 2010, die betreffenden heutigen Papierbescheinigungen entfallen ab 2012 (nach Aufbau des „Datenpools“ bei der DRV Bund). Im Rahmen des Vermittlungsverfahrens zwischen Bundestag und Bundesrat konnte die BDA verhindern, dass noch in letzter Minute das Wohngeld aus dem Anwendungsbereich des ELENAVerfahrens herausgenommen wurde. Ohne die Intervention der BDA wäre das Ziel, mit der Einführung des elektronischen Entgeltnachweises in der Nettowirkung Bürokratie für die Arbeitgeber abzubauen, kaum mehr erreicht worden. Die BDA hat ihre Zustimmung zum ELENA-Verfahren immer davon abhängig gemacht, dass die Entlastung der Arbeitgeber durch den Wegfall von Entgeltbescheinigungspflichten größer ist als der administrative Aufwand der Arbeitgeber durch die mit dem ­ELENA-Verfahren verbundene monatliche Meldung. Fest steht, dass das Potenzial des ELENAVerfahrens mit dem jetzigen Gesetz bei Weitem nicht ausgeschöpft wird. Deshalb gilt es nunmehr, den Ausbau des Verfahrens zügig voranzutreiben. Notwendig ist ein klarer Fahrplan zur zeitnahen Ersetzung weiterer Bescheinigungspflichten der Arbeitgeber, so wie ihn auch der Nationale Normenkontrollrat fordert. Die BDA begrüßt ausdrücklich das im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP festgelegte Ziel, bis spätestens 2015 alle bisherigen Entgeltnachweise der Arbeitgeber durch das neue elektronische Verfahren zu ersetzen.

Verfahren ersetzt werden können, müssen sie entweder gänzlich entfallen oder durch die jedem Arbeitnehmer zur Verfügung stehende Verdienstbescheinigung (§ 108 Abs. 1 GewO) ersetzt werden. Im Oktober 2009 hat das BMAS hierzu auch endlich die lang diskutierte Entgeltbescheinigungsrichtlinie (EBeschR) vorgelegt, die eine Handlungsempfehlung an die Arbeitgeber zum inhaltlichen Mindestumfang von Verdienstbescheinigungen darstellt (§ 108 Abs. 3 GewO). Die Änderungswünsche der BDA wurden in der endgültigen Fassung der ­EBeschR berücksichtigt. Damit liegt nunmehr eine – von der BDA seit langem geforderte – „multifunktionale Verdienstbescheinigung“ vor, welche jegliche Sonderbescheinigungswünsche von Behörden und Beschäftigten obsolet macht.

Überarbeitung des Tätigkeitsschlüssels darf nicht zu hohem Mehraufwand bei den Arbeitgebern führen

Parallel gehören auch endlich die Einkommensbegriffe in den Leistungsgesetzen auf den Prüfstand. Die höchst unterschiedlichen Datenanforderungen für die Bewilligung von Sozialleistungen müssen so weit wie möglich vereinheitlicht werden. Nur dann kann der künftig vom Arbeitgeber monatlich für jeden Arbeitnehmer zu übermittelnde ELENA-Datensatz tatsächlich auf ein Minimum reduziert werden. Erfreulicherweise ist das Ziel der rechtsübergreifenden Vereinheitlichung der Einkommensbegriffe in den Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP aufgenommen worden.

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) entwickelt gegenwärtig eine neue Klassifikation der Berufe, die Mitte des Jahres 2010 fertig gestellt werden soll. Diese neue Klassifizierung soll u. a. Eingang in den sog. Tätigkeitsschlüssel im Meldeverfahren zur Sozialversicherung finden. Nach § 28a SGB IV sind die Arbeitgeber verpflichtet, für jeden versicherungspflichtig Beschäftigten bestimmte (anlassbezogene) Meldungen zur Sozialversicherung abzugeben. Die Meldungen haben u. a. auch Angaben über die Tätigkeit des Beschäftigten nach einem Schlüsselverzeichnis der BA, dem Tätigkeitsschlüssel, zu enthalten. Es handelt sich dabei heute um Angaben über die ausgeübte Tätigkeit, die Stellung im Beruf und die Ausbildung. In Zukunft – voraussichtlich ab 1. Dezember 2011 – sollen Angaben über den ausgeübten Beruf nach der Berufsklassifikation 2010 (Clusterung nach berufsfachlichen Kompetenzen), den höchsten Schulabschluss, den höchsten Ausbildungsabschluss etc. abgefragt werden. Die Angaben verwendet die BA zur Wahrnehmung ihres gesetzlichen Auftrags, eine Arbeitsmarkt- bzw. Beschäftigtenstatistik zu erstellen.

Soweit Arbeitgeberbescheinigungen dennoch bis auf Weiteres nicht durch das ELENA-

Eine aussagekräftige Beschäftigtenstatistik hat ihre Berechtigung, wenn der damit erreichte

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Mehrwert den dafür erforderlichen bürokratischen Aufwand bei den Arbeitgebern rechtfertigt. Ein Umstellungsaufwand pro Beschäftigten – für die Sichtung der Personalakte, Befragung des Arbeitnehmers, „Arbeitsplatzschau“ etc. – von bis zu einer Stunde, wie von einigen Unternehmen nach den bisher vorliegenden Informationen geschätzt, ist in jedem Fall inakzeptabel. Auch der derzeitige Zeitplan für die Einführung des neuen Tätigkeitsschlüssels scheint zu knapp bemessen. Die BDA hat daher eine Unternehmens-­ Arbeitsgruppe eingesetzt, um im weiteren Abstimmungsprozess mit der BA den Aufwand für die Unternehmen so weit wie möglich zu reduzieren.

Nichtraucherschutz: keine zusätzlichen EU-Regelungen erforderlich Die Europäische Kommission hat im Dezember 2008 die erste Stufe der Sozialpartneranhörung zum Nichtraucherschutz eingeleitet. In ihrem Konsultationsdokument weist sie darauf hin, dass eine Reihe von Mitgliedstaaten in jüngerer Zeit Nichtraucherschutzgesetze erlassen haben. Die ergriffenen Maßnahmen seien jedoch sehr unterschiedlich und sähen in einigen Fällen Ausnahmeregelungen für bestimmte Arbeitsstätten vor. Der Schutz der Arbeitnehmer vor Gesundheitsgefährdungen durch Tabakrauch sei daher bei Betrachtung aller Beschäftigungssektoren und Mitgliedstaaten weder vollständig noch einheitlich. Die Kommission erachtet es deshalb als notwendig, verstärkte Maßnahmen zum Nichtraucherschutz zu ergreifen. Erwogen werden von der Kommission sowohl verbindliche Regelungen wie auch nicht verbindliche Initiativen. Die BDA hat in ihrer Antwort auf das Konsultationsdokument nachdrücklich betont, dass der bestehende europäische Rechtsrahmen, insbesondere die Arbeitsschutzrahmenrichtlinie und die Arbeitsstättenrichtlinie, ausreichend ist, um die Arbeitnehmer vor Gesundheitsgefahren durch Tabakrauch am Arbeitsplatz zu schützen. Zudem liefe ein weiteres verbindliches europäisches Regelungsvorhaben der dringend erforderlichen Deregulierung des unüberschaubaren Regelungsgeflechts der europäischen Arbeitsschutzvorschriften zuwider.

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EU-Richtlinie zur künstlichen optischen Strahlung 1:1 umsetzen In den Jahren 2004 und 2005 wurde auf europäischer Ebene die Frage intensiv diskutiert, ob in den Anwendungsbereich der Richtlinie zur optischen Strahlung auch die natürliche optische Strahlung, also Sonnenlicht, aufzunehmen ist. Damals ist es gelungen, das Europäische Parlament und schlussendlich auch die Europäische Kommission davon zu überzeugen, Sonnenlicht aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie herauszunehmen. Trotzdem ist dieses Thema nun durch den nationalen Verordnungsgeber erneut auf die politische Tagesordnung gesetzt worden. Im hierzu vorgelegten Verordnungsentwurf des BMAS findet keine 1:1-Umsetzung des europäischen Rechts statt, sondern es wird „draufgesattelt“, indem die natürliche optische Strahlung in den Anwendungsbereich aufgenommen wird. Die Begründung des Verordnungsentwurfs weist zwar ausdrücklich darauf hin, dass lediglich eine Beratungs- und Unterweisungspflicht bei Sonnenlichtexposition vorgesehen ist. Es ist jedoch keineswegs ausgeschlossen, dass aus der erstmaligen Normierung eines Zusammenhangs zwischen Erkrankungen durch Sonnenlicht und dem Arbeitsverhältnis weitere Pflichten folgen können. In ihrer gemeinsamen Stellungnahme zum Verordnungsentwurf haben BDA und BDI darüber hinaus insbesondere die Ausweitung der Zuständigkeiten des Laserschutzbeauftragten in den Unternehmen sowie die geplanten Änderungen der Arbeitsstättenverordnung kritisiert, die in Bezug auf die Gefährdungsbeurteilung und deren Dokumentation weitreichende und nicht akzeptable Ausweitungen des Arbeitsschutzgesetzes durch die Hintertür bedeuten.

Beschäftigung stabilisiert „psychische Gesundheit“ Die Krankenkassen melden in ihren Statistiken zu Arbeitsunfähigkeiten in den letzten Jahren einen Anstieg der Fehlzeiten wegen psychischer Störungen. Mit diesem Trend werden geänderte Arbeitsbedingungen in Verbindung gebracht. Gestützt auf diese Meldungen und mitgelieferte Zah-


lenwerke wird von Seiten der Gewerkschaften im Zusammenhang mit psychischen Störungen von der „Volkskrankheit des 21. Jahrhunderts“ gesprochen. Ohne das Thema zu verharmlosen, ist es erforderlich, die Diskussion vor allem hinsichtlich der Wirkungen und der Verantwortlichkeiten für diesen Trend zu versachlichen. Seriöse wissenschaftliche Betrachtungen kommen zu dem Schluss, dass in den wenigen

vorliegenden Studien, in denen psychische Störungen über längere Zeiträume vergleichbar erfasst wurden, in den letzten Jahren keine bedeutsamen Zunahmen festzustellen waren. Psychische Belastungen treten bei vielen Arbeitsprozessen auf. Hieraus kann aber nicht geschlossen werden, dass für den wahrgenommenen Rückgang der psychischen Gesundheit in Deutschland maßgeblich die Arbeitswelt verantwortlich ist. Arbeit schafft vielmehr Selbstbestätigung und

Betriebliche Gesundheitsförderung: Unternehmen engagiert und erfolgreich Mit Beschluss vom 29. September 2009 hat sich die BDA zum Thema „betriebliche Gesundheitsförderung“ positioniert. Die Positionierung macht deutlich, dass sich die Betriebe bereits sehr erfolgreich im Bereich des gesetzlich verpflichtenden Arbeits- und Gesundheitsschutzes sowie im Bereich der freiwilligen Gesundheitsförderung engagieren. Der finanzielle Aufwand der Unternehmen für Prävention und Gesundheitsschutz ist erheblich: Von den insgesamt über 10 Mrd. €, die im Jahr 2007 insgesamt für Prävention und Gesundheitsschutz eingesetzt wurden, brachten die Betriebe mehr als 4 Mrd. € bzw. rd 44 % der Gesamtsumme auf (Gesundheitsausgabenrechnung des Statistischen Bundesamts). Dieses Engagement zeigt sichtbare Erfolge: Die Arbeitsunfälle sind in Deutschland in den letzten 15 Jahren noch einmal um 43 % gesunken, die Quote der Arbeitsunfälle je 1 Mio. Arbeitsstunden ist im gleichen Zeitraum sogar um 47 % zurückgegangen. Der Krankenstand der gesetzlich Versicherten bewegte sich im Jahr 2008 mit 3,4 % auf einem der niedrigsten Niveaus seit Einführung der Lohnfortzahlung und die Zahl der Arbeitnehmer, die aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig in den Ruhestand ausscheiden, hat sich seit 1993 nahezu halbiert. Allerdings haben Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung auch Grenzen: Die Unternehmen können ihre Beschäftigten lediglich dabei unterstützen, die eigene Gesundheit zu stärken. Erzwingen können sie ein gesundheitsbewusstes Verhalten nicht. Letztendlich bleibt jeder Einzelne für seine Gesundheit verantwortlich und gefordert, auf ungesunde Verhaltensweisen wie mangelnde Bewegung, falsche Ernährung, Genussmittelmissbrauch und eine unausgewogene Lebensweise in Bezug auf Entspannung und Erholung zu verzichten. Diese Verantwortung kann von niemandem abgenommen werden. Auch müssen die Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung in einem angemessenen Kosten-Nutzen-Verhältnis stehen. Letztlich werden die Betriebe nur solche Angebote dauerhaft aufrechterhalten, durch die sich mit vertretbarem Aufwand tatsächlich ein verbesserter Gesundheitszustand der Belegschaft erreichen lässt. Als für den Erfolg und die Akzeptanz von Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung wesentliche Punkte werden das freiwillige Angebot der Maßnahmen und die angemessene Berücksichtigung der sehr unterschiedlichen betrieblichen Voraussetzungen und Möglichkeiten identifiziert. Verbesserungen sind insbesondere im Bereich der Kooperation und Vernetzung der überbetrieblichen Akteure, der Erforschung der Wirksamkeit von Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung einschließlich der Vermittlung dieser Erkenntnisse an die Betriebe sowie im Bereich der Angebote für kleine und mittlere Unternehmen möglich und nötig.

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Anerkennung und ist damit eine wesentliche Ressource für psychische Gesundheit. Die Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage aufgrund psychischer Störungen ist bei Arbeitslosen doppelt so hoch wie bei Beschäftigten. Wenn es um psychische Gesundheit der Belegschaft geht, ist die Einflussmöglichkeit der Unternehmen sehr begrenzt. Denn die Ursachen von psychischen Störungen sind vielfältig. So haben z. B. die Disposition jedes Einzelnen sowie das Privatleben der Beschäftigten auf die psychische Gesundheit einen entscheidenden Einfluss. In einer Zeit, in der ein hohes Lebenstempo vielfach als Statussymbol missverstanden wird, ist dies zusätzlich zu bedenken. Dennoch versuchen die Betriebe, ihre Beschäftigten auch hier zu unterstützen. Sowohl an die betrieblichen Belange angepasste Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) als auch individuelle Maßnahmen bei Mitarbeitern mit besonderen Belastungssituationen werden bereits in großem Umfang umgesetzt. Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „Erfolgsfaktor Psychische Gesundheit“ veröffentlicht.

Sinnvolle Prävention von MuskelSkelett-Erkrankungen nicht durch Gesetze behindern Die Europäische Kommission erwägt eine neue umfassende EU-Richtlinie, die gesundheitliche Risiken beim Umgang mit schweren Lasten sowie der Bewegungsarmut bei Bildschirmarbeit gleichermaßen abdecken soll. Die BDA hat im Rahmen der Sozialpartnerkonsultation diesen Ansatz als grundsätzlich falsch bewertet. Zum einen besteht bereits ein umfassendes europäisches Regelwerk zur Vermeidung von MuskelSkelett-Erkrankungen (MSE). Zum anderen beinhaltet der aktuell bekannt gewordene Vorentwurf eines entsprechenden ­Richtlinienvorhabens zwei umfassende Listen an potenziellen Risikofaktoren. Bei den hierin enthaltenen ergonomischen Risiken, welche vom Arbeitgeber zu bewerten und zu vermeiden bzw. zu minimieren sind, sind nur ansatzweise Zusammenhänge zu arbeitsbedingten ­MSE erkennbar. Der Systematik des

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Vorentwurfs folgend, sind die gelisteten Faktoren sowohl einzeln als auch in der Wechselwirkung mit weiteren Faktoren der Liste zu bewerten. Vor dem Hintergrund einer unklaren UrsacheDosis-Wirkbeziehung und potenzieller Gesundheitsgefährdungen sowie unzähliger Kombinationsmöglichkeiten, die zu bewerten sind, ist dieser Regelungsansatz völlig unrealistisch. Das vorgesehene wissenschaftlich fragwürdige und unpraktikable Risikobewertungsverfahren würde zu immensen Belastungen für die Unternehmen führen, ohne positive gesundheitliche Wirkungen erwarten zu lassen. Präventionserfolg hängt wesentlich vom direkten Bezug zu den aus der Arbeitsaufgabe zu erwartenden Einflüssen auf den Bewegungsapparat ab. Eine nachhaltige Verminderung der Häufigkeit und Schwere von MSE und daraus entstehender Folgekosten ist ohnehin nur mit einem umfassenden gesundheitspolitischen Ansatz Erfolg versprechend. MSE werden zu einem erheblichen Teil bereits im Kindes- und Jugendalter angelegt (z. B. Haltungs-, Bewegungs- und Ernährungsstörungen), deshalb sollten präventive Maßnahmen bereits im Kindesalter beginnen. Nur so können entsprechende Lebens- und Verhaltensweisen positiv beeinflusst werden. Durch präventive Maßnahmen erst im Erwachsenenalter (Erwerbstätige) sind nur mit hohem Aufwand punktuell (bei bestimmten Diagnosen) gewisse messbare Erfolge zu erzielen. Eine Verengung der Sicht ausschließlich auf die Arbeitswelt ist deshalb nicht zielführend. Für eine entsprechende Umorientierung der europapolitischen Zielsetzungen im Bereich MSE wird sich die BDA weiter bei der EU-Kommission einsetzen.





Beschäftigungshemmnisse und Bürokratie im Arbeitsrecht abbauen Ein modernes, anpassungsfähiges Arbeitsrecht und ein durchgreifender Bürokratieabbau bleiben zentrale Elemente, um Beschäftigungsbremsen auf dem Arbeitsmarkt zu lösen. Auch wenn vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise die Sicherung der Unternehmensliquidität, die Verhinderung neuer Belastungen für Wirtschaft und Arbeitsplätze durch ein Belastungsmoratorium, die Konsolidierung der Staatsfinanzen und eine nachhaltige Entlastung der Arbeit durch eine Abgabenreduzierung im Vordergrund stehen, bleiben Bürokratieabbau und der Abbau von Beschäftigungshemmnissen im Arbeitsrecht zentrale Reformanliegen, um Beschäftigung zu fördern. Dass die Koalitionspartner sich im Rahmen ihrer Koalitionsvereinbarung nicht zu durchgreifenden Reformschritten auf dem Arbeitsmarkt durchringen konnten, bleibt vor diesem Hintergrund enttäuschend. Zwar ist der Bürokratieabbau mit vielen richtigen und wichtigen Ansatzpunkten fest im Vertrag verankert – genannt seien nur die Festlegung auf ein Nettoabbauziel, die Ausweitung der Kompetenzen des Nationalen Normenkontrollrats und vor allem das Bekenntnis, Belastungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) oder in Form neuer Richtlinien zu vermeiden. Der Bestand der arbeitsrechtlichen Normen und die dadurch ausgelöste Behinderung neuer Beschäftigung werden im Kern jedoch nicht angegangen. Als erster Schritt zum Abbau von Beschäftigungshemmnissen bleibt in der Koalitionsvereinbarung die Aufhebung des Vorbeschäftigungsverbots bei befristeten Arbeitsverhältnissen. Zehn Jahre nachdem Bundesregierung und Gesetzgeber die Idee hatten, ein befristetes Arbeitsverhältnis demjenigen zu verbieten, der irgendwann in seinem Leben, z. B. als Schüler oder Student oder aus anderen Gründen, schon einmal bei dem konkret in Aussicht genommenen Arbeitgeber eine Arbeitsstelle als Werksstudent oder Ferienjobber angenommen hatte, soll dieses Ewigkeitsverbot fallen. Das ist höchste Zeit und zeigt, dass zumindest ganz offenbar widersinnige

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BDA | Geschäftsbericht 2009 | Arbeitsrecht

Regelungen von der neuen Koalition angepasst werden sollen. Ebenso richtig ist das Bekenntnis, die Europäische Privatgesellschaft (EPG) auf europäischer Ebene voranzutreiben und damit die Attraktivität Deutschlands für den Sitz von Gesellschaften zu erhöhen. Hierzu soll neben die GmbH ebenso wie neben die AG in Form der SE ein europäisches Pendant gesetzt werden. Die Koalitionspartner haben erkannt, dass die mit heißer Nadel gestrickte Neufassung des Datenschutzes am Ende der vergangenen Legislaturperiode der Überprüfung bedarf. Der Schutz von Arbeitnehmerdaten ist ein wichtiges Anliegen – ebenso wie der Schutz von Unternehmensdaten vor unberechtigtem Zugriff. Dies sollte die Neuregelung klarstellen. Sie sollte kein neues Recht schaffen. Schon heute aber gibt es eine Vielzahl von Auslegungsfragen, die z. B. in Revisionsabteilungen großer Unternehmen zu völligem Unverständnis und teilweise zur Lähmung von Prozessen führen bei der Überprüfung, ob Gesetze, Rechtsverordnungen und interne Richtlinien eingehalten werden. Diese Rechtsunsicherheit sollte schnellstmöglich beendet werden, um innerhalb einer umfassenden Unternehmenscompliance ein vernünftiges Gleichgewicht von notwendiger Kontrolle und Datenschutz sicherzustellen. Ebenso erfreulich ist es, dass die Koalition sich darauf verständigt hat, die Schwellenwerte im Arbeitsrecht zu überprüfen. Vereinheitlichung und Anpassung können im Einzelfall sinnvoll sein. Mindestens ebenso wichtig ist es, die Berechnung der Arbeitnehmerzahlen, die für solche Schwellenwerte maßgeblich sind, auf eine einheitliche Grundlage zu stellen. Dafür muss der sog. Pro-rata-temporisGrundsatz umfassend verwirklicht werden. Hierzu bietet es sich an, Arbeitnehmer für das gesamte Individual- wie Kollektivarbeitsrecht einheitlich wie folgt anzusetzen:

Arbeitnehmer, die nicht mehr als 10 Stunden arbeiten, mit 0,25

Arbeitnehmer, die nicht mehr als 20 Stunden arbeiten, mit 0,5

Arbeitnehmer, die nicht mehr als 30 Stunden arbeiten, mit 0,75


Arbeitnehmer, die mehr als 30 Stunden arbeiten, mit 1

Eine solche einheitliche Berechnung kann die Anwendung vieler bürokratischer Vorschriften gerade für kleine und mittlere Unternehmen erleichtern und führt zu einer gerechten und sinnvollen Ermittlung der Beschäftigtenzahl. Die Herausforderungen für das Arbeitsrecht sind in der neuen Legislaturperiode vor dem Hintergrund der Krise keinesfalls kleiner geworden. Die von der Koalition vorgesehenen Teilregelungen können einen ersten Maßstab für mehr Anwenderfreundlichkeit im Arbeitsverhältnis setzen. Im Verlauf der neuen Legislaturperiode bedarf es aber weiterer mutiger Schritte, um Fehlentwicklungen zu korrigieren und Beschäftigungsbremsen zu lösen.

Bürokratieabbau konsequent vorantreiben Weniger Bürokratie macht einen Standort attraktiv und schafft Impulse für Wachstum und Beschäftigung. Eine konsequente Vorgehensweise beim Abbau bürokratischer Lasten der Unternehmen ist angesichts der wirtschaftlich angespannten Lage unumgänglich. Der notwendige Bürokratieabbau muss mit Nachdruck weiterverfolgt werden. Das Programm der alten Bundesregierung „Bürokratieabbau und bessere Rechtssetzung“, auf dessen Grundlage bis 2011 25 % der Bürokratiekosten für die Wirtschaft abgebaut werden sollen, muss intensiviert werden. Die Koalitionspartner haben das Wachstumspotenzial, das mit einem durchgreifenden Bürokratieabbau verbunden sein kann, nochmals hervorgehoben. Dieser Betonung im Koalitionsvertrag müssen durchgreifende Entlastungsschritte folgen. Das derzeitige Ergebnis der Bestandsmessung nach dem sog. Standardkostenmodell weist eine Belastung für die Wirtschaft von jährlich fast 48 Mrd. € auf. Zur Erreichung des 25%-Ziels (12 Mrd. €) müssen bis 2011 noch Abbaumaßnahmen von über 5 Mrd. € umgesetzt werden. Wichtig ist, dass für die zweite Hälfte des Bürokratieabbauziels Vereinfachungsmaßnahmen zügig erarbeitet und entsprechende Abbaumaßnahmen

eingeleitet werden. Der Bürokratieabbau darf sich nicht in der Messung von Lasten erschöpfen, sondern muss bei den Unternehmen spürbar werden. Die Wirtschaft hat detaillierte, umfassende Vereinfachungsvorschläge vorgelegt und aktualisiert diese regelmäßig. Sie betreffen das gesamte nationale und europäische Rechts- und Regelwerk. Bisher sind die Entlastungserfolge für die Wirtschaft noch gering. Sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene muss die Politik endlich das Potenzial eines konsequenten Bürokratieabbaus erkennen und ausschöpfen. Keinesfalls darf neue Bürokratie aufgebaut werden. Ein Belastungsmoratorium ist gerade auch vor dem Hintergrund der Krise notwendig. Die BDA setzt sich daher dafür ein, bürokratische Regelungen, die zu neuer Rechtsunsicherheit führen, z. B. im Arbeitnehmerdatenschutz, und eine Erweiterung des Antidiskriminierungsrechts durch eine neue Richtlinie auf EU-Ebene zu verhindern. Eine neue Antidiskriminierungsrichtlinie würde die ohnehin schon durch das AGG verursachte Rechtsunsicherheit noch vergrößern. Positiv ist, dass die Koalitionspartner sich entsprechend der Forderung der BDA hinsichtlich des 25%-Abbauziels zu einem Nettoabbauziel bekennen. Dies ist für den Erfolg des Programms zentral. Die Lücken in der Bestandsmessung müssen geschlossen werden. Insbesondere das Arbeitsrecht muss umfassend und nachhaltig in den Bürokratieabbauprozess mit einbezogen werden. Bei den rd. 9.000 gemessenen Informationspflichten wurden längst nicht alle Informationspflichten berücksichtigt. So ist etwa das Betriebsverfassungsgesetz voll von Informationspflichten. Diese werden allesamt ausgeklammert. Auch diese Pflichten müssen in den Messprozess einbezogen werden. Ob es sich dabei um überflüssige Bürokratie handelt, wird ein zweiter Prüfungsschritt erweisen. Die Überprüfung neuer Regelungsvorhaben auf deren bürokratische Belastungen im sog. Exante-Verfahren hat sich als erfolgreiches Mittel zur Vermeidung neuer Lasten erwiesen. Die BDA hat immer wieder darauf hingewiesen, dass die Unternehmen auch durch die Folge- und Umsetzungskosten, die über die Informationspflichten hinausgehen, erheblich belastet werden. Daher

BDA | Geschäftsbericht 2009 | Arbeitsrecht

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Bürokratie: Papierkram kostet Milliarden So viele Mio. € Bürokratiekosten verursachen diese Bundesministerien den Unternehmen pro Jahr

Finanzen

21.317

12.432

Justiz

13.868

7.923

Gesundheit

3.028

1.186

Arbeit und Soziales

2.778

152

2.654 1.303

Wirtschaft Umwelt

1.515 763

Inneres

1.444 961

Verkehr und Bau

455 45

Ernährung und Landwirtschaft

425 347

Familie, Senioren ...

81

Bildung und Forschung

32

Übrige Ressorts

16

Insgesamt

25.112

0

3.000

6.000

9.000

12.000

15.000

18.000

21.000

24.000

27.000

47.613

30.000 (...) 48.000 50.000 in Mio. €

insgesamt davon durch EU- und internationales Recht (mit)verursacht Bürokratiekosten: Informations- und Dokumentationspflichten aus Bundesrecht; Bundesministerium der Justiz: Zahlen enthalten die als Bürokratiekosten anerkannten Buchführungskosten in Höhe von 3,7 Mrd. €; übrige Ressorts: Auswärtiges Amt, Bundeskanzleramt, wirtschaftliche Zusammenarbeit, Verteidigung; Berechnungsstand: Dezember 2008, betrifft Vorschriften, die im September 2006 in Kraft waren Quelle: Bundesregierung

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BDA | Geschäftsbericht 2009 | Arbeitsrecht


Bürokratie durch Gesetzgebung hat vielfache kostspielige Folgen

Kosten für die Wirtschaft

Mittelbare Kosten

Kosten aus direkten Zahlungen an Verwaltungen

Beispiele: Gebühren Beiträge

Kosten aus Informationspflichten

Beispiele: Anträge Statistiken Steuererklärungen

Unmittelbare Kosten

Erfüllungskosten

Auswirkungen auf Investitionsvorhaben und Handel

Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit

Auswirkungen auf Innovationsentscheidungen

Beispiele: Maßnahmen zur Einhaltung von Standards und Grenzwerten

Nach dem Merkblatt des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie zur Ermittlung der Kostenfolgen und Preiswirkungen von Gesetzesvorlagen, Vorlagen von Rechtsverordnungen und von Verwaltungsvorschriften nach der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO), Stand: August 2007 Quelle: Jahresbericht 2009 des Normenkontrollrats

BDA | Geschäftsbericht 2009 | Arbeitsrecht

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muss das materielle Recht umfassend von Bürokratie bereinigt und in neuen Regelungsvorhaben auf Bürokratielasten hin geprüft werden. Insbesondere im Arbeits- und Sozialrecht existiert eine Menge überflüssiger Regelungen, deren Abschaffung die Unternehmen nachhaltig entlasten würde. Die neue Bundesregierung hat die Forderungen der BDA aufgegriffen und angekündigt, die Kompetenzen des Nationalen Normenkontrollrats entsprechend zu erweitern. Ziel muss es sein, mit Hilfe des Nationalen Normenkontrollrats die gesamten Belastungen aus neuen Regelungsvorhaben möglichst gering zu halten. Die BDA steht in ständigem Kontakt zum Nationalen Normenkontrollrat und der Geschäftsstelle Bürokratieabbau im Bundeskanzleramt und drängt weiterhin auf eine stärkere Einbindung der Wirtschaft durch die einzelnen Ressorts. Der Bürokratieabbau muss zu einer Gemeinschaftsak­ tion aller Beteiligten werden. Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „Bürokratieabbau“ veröffentlicht.

Beschäftigungshemmnisse beseitigen – für ein modernes Arbeitsrecht Das deutsche Arbeitsrecht ist vielfach unkalkulierbar und bietet wenig Rechtssicherheit. Es schadet damit primär den Arbeitssuchenden. Ein überreguliertes Arbeitsrecht ist eine Ursache der Langzeitarbeitslosigkeit.

Flexible Beschäftigungsformen erhalten und fortentwickeln Ein wichtiger Beschäftigungsmotor ist die Befristung eines Arbeitsvertrags. Gerade in wirtschaftlich unsicheren Zeiten sind befristete Arbeitsverträge für Arbeitgeber und Arbeitnehmer von großer Bedeutung, da die Möglichkeit zu unbefristeten Neueinstellungen bei unsicherer Wirtschaftslage vielfach fehlt. Flexible Beschäftigungsformen wie befristete Arbeitsverhältnisse und Zeitarbeit sind deshalb gerade in der aktuellen Lage ein wesentlicher Baustein für die Förderung von Beschäftigung. Sie bieten Arbeitssu-

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BDA | Geschäftsbericht 2009 | Arbeitsrecht

chenden und gering Qualifizierten einen Erfolg versprechenden Weg für einen Erst- oder Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt. Die Koalition hat die Bedeutung des Befristungsrechts erkannt und unternimmt erste Schritte, um hier Beschäftigungsbremsen zu lösen. Die Abschaffung des Ersteinstellungsgebots bei der sachgrundlosen Befristung, wie im Koalitionsvertrag festgeschrieben, ist zu begrüßen. Das Verbot, mit einem Arbeitnehmer einen sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrag abzuschließen, nur weil dieser einmal in der Vergangenheit bereits im Unternehmen beschäftigt war, wirkt wie ein Einstellungsverbot und vernichtet Beschäftigungschancen, insbesondere von Berufsanfängern. Befristete Arbeitsverhältnisse erleichtern gerade den Berufseinstieg junger qualifizierter Arbeitskräfte, die bereits während ihres Studiums in einem Unternehmen gearbeitet haben, um ­Praxiserfahrung zu sammeln. Neben dem Ersteinstellungsgebot trägt die formalistische Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zu Bürokratie und Unverständnis bei. Das BAG hält die Verlängerung eines befristeten Arbeitsvertrags nur für wirksam, wenn die Verlängerungsvereinbarung sich allein auf die Veränderung der Laufzeit des Vertrags beschränkt. Werden zum selben Zeitpunkt weitere Arbeitsbedingungen geändert, ist die Befristung unwirksam. Das gilt selbst dann, wenn Änderungen zu Gunsten des Arbeitnehmers vereinbart werden, wie z. B. eine Gehaltserhöhung. Diese Auslegung ist praxisfremd. Sie führt dazu, dass befristete Verträge zweimal „angefasst“ werden müssen, wenn dem Arbeitnehmer ein Vorteil gewährt werden soll – einmal, um den Vertrag zu verlängern, und ein zweites Mal, um die Gehaltserhöhung zu vereinbaren. Es muss sichergestellt werden, dass im Rahmen der Verlängerung einer sachgrundlosen Befristung zeitgleich auch andere Arbeitsbedingungen geändert werden können, ohne damit die Wirksamkeit der Befristung zu gefährden. Die Bundesregierung sollte bei der Änderung des Teilzeit- und Befristungsrechts diese Rechtsprechung korrigieren und zusätzlich eine Heilungsmöglichkeit für den Verstoß gegen das Schriftformerfordernis vorsehen.


Arbeitsmarkt: Deutschland bei Überregulierung vorn 0

1

2

3

Spanien

4

5

3,1

23,8

2,9

Frankreich

37,9

2,8

Portugal

6 Arbeitsmarktregulierung

Belgien

2,6

Deutschland

2,6

Italien

2,6

48,3 52,6 53,4 47,5

2,4 24,2

Österreich

2,4

Polen

29,0

2,3

Tschechien

2,2

Niederlande Ungarn

2,1

Südkorea

2,1

2,7

Schweden

50,2 36,3 47,6

2,1

12,4

1,9 16,1

Dänemark

1,7

Japan 1,1

Großbritannien Kanada

7,1

33,3 25,5

1,0

0,9 10,6

USA

0

10

20

30

40

50

60 in %

Index der Arbeitsmarktregulierung, Skala von 0 (keine Regulierung) bis 6 (starke Regulierung) Anteil der Langzeitarbeitslosen an allen Arbeitslosen in % Stand: 2008, Langzeitarbeitslose länger als ein Jahr arbeitslos Quelle: OECD

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Abfindungsoption schaffen Der geltende Kündigungsschutz ist ein wesentliches Beschäftigungshemmnis des Arbeitsrechts. Trotz oder gerade wegen seines hohen Regulierungsgrads führt er gerade für kleine und mittlere Betriebe zu Rechtsunsicherheit. Ergebnisse von Kündigungsschutzverfahren sind vielfach unkalkulierbar. Das Kündigungsschutzgesetz muss daher auf Beschäftigungsbarrieren überprüft und diese müssen weitgehend abgebaut werden. Hierzu bietet es sich an, eine Abfindungsoption als Alternative zum geltenden Kündigungsschutz einzuführen. Der Vorteil einer solchen

vertraglichen Abfindungsoption liegt darin, dass zu einem möglichst frühen Zeitpunkt die Kosten einer Beendigung vorhergesehen werden können. Anstelle des geltenden Kündigungsschutzes würde die Optionslösung ermöglichen, das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung bei gleichzeitigem Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage zu beenden. Je früher ein Abfindungsschutz vereinbart wird, desto eher kennen Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Bedingungen, unter denen das Arbeitsverhältnis enden kann. Das führt nicht nur zu einer erhöhten Kalkulierbarkeit, sondern auch einer Reduzierung von Prozesskosten und zu mehr Rechtssicherheit. Eine solche Ergänzung des Kündigungs-

Rechtsunsicherheit beim Kündigungsschutz führt zu Klageflut So viel Prozent der betroffenen Mitarbeiter haben gegen Kündigungen geklagt, die der Arbeitgeber ausgesprochen hat

in % 50

40

37,3

38,1

36,9 31,2

30 23,4

20

10

0 11 bis 49

50 bis 249

250 bis 499

500 und Insgesamt mehr

Befragung von 1.770 Unternehmen im Frühjahr 2008 Quelle: Institut der deutschen Wirtschaft Köln Consult GmbH

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BDA | Geschäftsbericht 2009 | Arbeitsrecht

Beschäftigte


schutzgesetzes führt zu keiner Änderung des geltenden Rechts für bestehende Arbeitsverträge. Die Schutzwirkung des Kündigungsschutzes wird nicht gemindert; bei Abschluss neuer Verträge erhalten Arbeitnehmer und Arbeitgeber vielmehr eine ergänzende Option und neue Gestaltungsspielräume. Neben der Einführung einer Abfindungsoption muss der Bestandsschutz praxistauglich weiterentwickelt werden. Ein Beitrag hierzu kann darin bestehen, die Schwellenwerte im Kündigungsschutzgesetz anzuheben, um so gerade kleine und mittlere Betriebe zu entlasten, für die die Vereinbarung einer Abfindung häufig zu teuer ist.

Insgesamt muss das gesamte Individualarbeitsrecht einer umfassenden Prüfung auf Beschäftigungshemmnisse unterzogen werden. Das gilt entsprechend für das kollektive Arbeitsrecht. Die Erhöhung der Anpassungsfähigkeit der Arbeitsbeziehungen ist Grundlage einer wirklichen Reform des Arbeitsrechts, die bestehende Beschäftigung sichern und neue Beschäftigungschancen schaffen hilft. Die Beispiele anderer Staaten Kontinentaleuropas – so Dänemarks – belegen klar, dass ein bewegliches Arbeitsrecht das Bewusstsein der Arbeitnehmer deutlich erhöht, in gesicherten Beschäftigungsverhältnissen zu leben.

Kündigungen sind meist mit hohen Abfindungen verbunden Durchschnittliche Abfindungshöhe im Kündigungsfall in €

in € 25.000 22.000

20.000 15.000

15.000

12.500

12.000

10.000 6.400

5.000

0 11 bis 49

50 bis 249

250 bis 499

500 und Insgesamt mehr

Beschäftigte

Befragung von 1.770 Unternehmen im Frühjahr 2008 Quelle: Institut der deutschen Wirtschaft Köln Consult GmbH

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Datenschutz im Arbeitsverhältnis muss übersichtlich und rechtssicher geregelt sein Durch die Einführung des § 32 in das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) soll die Geltung der datenschutzrechtlichen Regelungen für das Arbeitsverhältnis klargestellt werden. Erfolgen die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung der Daten zu Zwecken der Begründung, Durchführung oder Beendigung des Arbeitsverhältnisses, richtet sich ihre Zulässigkeit nach § 32 BDSG. Erfolgt die Datenverarbeitung zu anderen Zwecken, so richtet sich ihre Zulässigkeit nach den bisher einschlägigen Vorschriften. Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung sind ferner zulässig zur Aufklärung von Straftaten, wenn aufgrund zu dokumentierender Anhaltspunkte ein entsprechender begründeter Verdacht besteht. Die Verhinderung und Vermeidung von Straftaten richtet sich demgegenüber nach den allgemeinen Vorschriften. In der Gesetzesbegründung wird klargestellt, dass mit der Regelung keine Änderung der bisherigen Rechtslage verbunden ist. Dies war eine gegenüber ersten Entwürfen dringend notwendige Klarstellung. Korruptions- und Kriminalitätsbekämpfung müssen in Unternehmen effizient möglich bleiben. Ebenso bleibt z. B. der Einsatz von Videokameras in öffentlichen Verkaufsräumen möglich. Die Gesetzesbegründung ist eindeutig. Die Rechtsprechung darf nun nicht entgegen der Begründung den Anwendungsbereich der neuen Vorschrift ausdehnen oder die Verfolgung von Straftaten in den Betrieben einschränken. An der gebotenen restriktiven Auslegung der Rechtsprechung bestehen allerdings Zweifel vor dem Hintergrund der Entscheidung des BAG zur Mitbestimmung des Betriebsrats bei der Einführung technischer Anlagen. Nach dem Gesetzeswortlaut soll der Betriebsrat dann mitbestimmen, wenn eine technische Einrichtung dazu bestimmt ist, das Verhalten und die Leistung des Arbeitnehmers zu überwachen. Das BAG stellt entgegen dem Wortlaut auf die Eignung zur Überwachung ab. Die neue Legislaturperiode sollte genutzt werden, die Unklarheiten im novellierten BDSG auszuräumen.

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BDA | Geschäftsbericht 2009 | Arbeitsrecht

Die technische Entwicklung erfordert einen verantwortungsvollen und gewissenhaften Umgang mit Daten. Sollte der Gesetzgeber weitere Veränderungen des Datenschutzrechts ins Auge fassen, müssen solche Regelungen transparent und rechtssicher sein und Arbeitnehmer- und Unternehmensdaten gleichermaßen schützen. Das Datenschutzrecht im Rahmen des Arbeitsverhältnisses muss eine Balance gewährleisten zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers und der Pflicht des Arbeitgebers, für die Anwendung der Gesetze im Unternehmen zu sorgen. Inhaltliche Verbesserungen hinsichtlich Rechtsklarheit und -sicherheit sind insbesondere bei folgenden Themenbereichen denkbar:

Die effektive Kriminalitätsbekämpfung und die Bekämpfung von Korruption sind von herausragender Bedeutung. Hierzu gehört die Verhinderung von Straftaten ebenso wie deren Aufklärung.

Die Vertraulichkeit von Unternehmensdaten muss gewährleistet sein. Diese müssen wirkungsvoll vor dem Zugriff Unbefugter geschützt werden.

Vertragsverletzungen und strafrechtlich relevantes Verhalten im Zusammenhang mit der Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien am Arbeitsplatz müssen ausgeschlossen und ein effektives Risikomanagement betrieben werden können. Dazu gehört, wie das Beispiel Finnland zeigt, auch die Möglichkeit, E-Mails zu überprüfen.

Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats kann diesen in eine kritische Lage bringen, wenn er bei der Überwachung durch moderne Informations- und Kommunikationseinrichtungen einbezogen werden muss. Es ist daher zu überlegen, die Zustimmungsnotwendigkeit partiell durch eine nachträgliche Information zu ersetzen.

Der Datenaustausch im Konzern muss – auch über nationale Grenzen hinweg – erleichtert werden. Diese Forderung betrifft auch das europäische Recht. Bereits auf nationaler Ebene


kann aber klargestellt werden, dass die Funktionsübertragung im Konzernverbund ebenso wie die Auftragsdatenverarbeitung möglich ist, ohne die Einzeleinwilligung der betroffenen Arbeitnehmer einholen zu müssen.

Auch die Frage der Geltung des Fernmeldegeheimnisses bei der Nutzung betrieblicher Kommunikationsmittel durch die Arbeitnehmer ist mit großen Unsicherheiten behaftet. Diese Unsicherheiten führen dazu, dass sich Arbeitgeber bei der Kostenkontrolle – selbst bei offensichtlichen Missbrauchsfällen – in einer rechtlichen Grauzone befinden. Hier sind Regelungen notwendig, die dem Arbeitgeber ausreichende Kontrollmöglichkeiten einräumen.

Die Unternehmen tragen die Verantwortung für eine zuverlässige Anwendung der Gesetze (Compliance). Sie sind z. B. zu einer effizienten Korruptionsbekämpfung verpflichtet. Um sicherzustellen, dass Gesetze und interne Regelungen des Unternehmens eingehalten werden, muss eine wirksame Kontrolle möglich sein. Jede gesetzliche Regelung muss beides sichern, Datenschutz und die Einhaltung von Gesetzen und gesetzesähnlichen Regelungen. Die BDA setzt sich dafür ein, dass weitere Änderungen des Datenschutzrechts klare und rechtssichere Regeln für die Praxis zur Folge haben.

Einschneidender Wandel im Urlaubsrecht Am 20. Januar 2009 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH – C-350/06) auf die Vorlage des Landesarbeitsgerichts (LAG) Düsseldorf entschieden, dass die Richtlinie 2003/88/EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung mitgliedstaatlichen Regelungen entgegensteht, wonach der Urlaubsanspruch verfällt, auch wenn der Arbeitnehmer erkrankt war und aufgrund dieser Erkrankung von seinem Urlaubsanspruch nicht tatsächlich Gebrauch machen konnte. Bisher galt in Deutschland, dass der Urlaub, der nicht genommen wurde, spätestens am 31. März des auf das Urlaubsjahr folgenden Jahres verfiel. Dies galt auch, wenn der Mitarbeiter arbeitsunfähig erkrankt war und deshalb den Urlaub nicht nehmen

konnte. Der ­EuGH hat diese Rechtsprechung in seiner Entscheidung in der Rechtssache „Pereda“ (C-277/08) bestätigt. Das BAG hat daraufhin in seinem Urteil vom 24. März 2009 – 9 AZR 983/07 – seine über 25 Jahre währende Rechtsprechung geändert, nach der der Urlaub spätestens bis zum 31. März des Folgejahres zu nehmen war. Obwohl sowohl die Richtlinie 2003/88/EG als auch das Bundesurlaubsgesetz von einem Jahresurlaub ausgehen, d. h. von einem Urlaub, der an das ehemalige Urlaubsjahr gebunden ist, geht nun auch das BAG davon aus, dass der Urlaubsanspruch auch bei lang andauernder Krankheit nicht verfallen kann. Scheidet der Arbeitnehmer noch während seiner Erkrankung aus dem Arbeitsverhältnis aus, so hat er einen Anspruch auf Abgeltung des noch bestehenden Urlaubsanspruchs. Im Fall von Langzeiterkrankten sind die finanziellen Risiken dieser Rechtsprechungsänderung für den Arbeitgeber nicht kalkulierbar. Es besteht die Gefahr, dass in erheblichem Umfang Rückstellungen gebildet werden müssen, um den sich aus dieser Rechtsprechungsänderung ergebenden Risiken gerecht zu werden. Das BAG geht davon aus, dass Arbeitgeber zumindest ab dem Bekanntwerden des Vorlagebeschlusses des LAG Düsseldorf vom 2. August 2009 nicht mehr in ihrem Vertrauen auf die bisherige Rechtsprechung des BAG geschützt sind. Durch die Urteile des EuGH und des BAG ist eine erhebliche Rechtsunsicherheit entstanden. Arbeitgeber, die bisher auf Kündigungen bei langjährig erkrankten Arbeitnehmern verzichtet haben, werden vielfach gezwungen sein, diese Arbeitsverhältnisse zu beenden. Die Richtlinie betrifft nur den gesetzlichen Mindesturlaub. Daher ist es sehr zweifelhaft, dass das BAG nunmehr für den tariflichen Urlaub verlangt, dass eine Trennung zwischen gesetzlichem und tariflichem Urlaub erfolgt sein muss, damit der tarifliche Urlaub weiterhin verfallen kann. Damit mussten weder Arbeitnehmer noch Arbeitgeber rechnen. Die BDA hat in mehreren Rundschreiben ihre Mitglieder über die genannten Urteile und mögliche Folgen informiert. Darüber hinaus wurde eine

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Arbeitsgruppe eingerichtet, die Lösungsvorschläge zur Behandlung der Rechtsprechungsänderung erarbeiten soll. Die BDA wird sich dafür einsetzen, dass Arbeitgebern, die auf die bisherige Rechtsprechung des BAG vertraut haben, Vertrauensschutz gewährt wird und dass auf nationaler und europäischer Ebene Regelungen geschaffen werden, mit denen eine Begrenzung des Urlaubsanspruchs bei langjähriger Krankheit erreicht wird. Es muss klargestellt werden, dass der Urlaubsanspruch verfallen kann, sobald der Arbeitnehmer genesen ist und von seinem Urlaubsanspruch Gebrauch machen kann. Insbesondere im Zusammenhang mit einer möglichen Revision der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG wird sich die BDA dafür einsetzen, dass eine praxistaugliche Reform der Richtlinie stattfindet, die den Urlaubsanspruch auch bei Krankheit begrenzt. Hier muss der europäische Gesetzgeber insbesondere klarstellen, dass der Mindesturlaubsanspruch auf das jeweilige Urlaubsjahr beschränkt ist.

Neues zur Massenentlassung vom EuGH Nachdem der EuGH durch die Junk-Entscheidung aus dem Jahre 2005 massive Verwerfungen und große Rechtsunsicherheit verursacht hat, hat er mit einem Urteil vom 10. September 2009 einige Punkte zum Informations- und Konsultationsverfahren im Konzern aus der Richtlinie zu Massenentlassungen 98/59/EG klargestellt. Nach wie vor bleiben jedoch Unsicherheiten. Auch das BAG hat zu Recht in seiner Entscheidung vom 6. November 2008 (2 AZR 935/07) einige wichtige Zweifelsfragen in einer unbürokratischen klaren Weise geklärt. Darüber hinaus fordert die BDA seit langem weitere Korrekturen, um bestehende Rechtsunsicherheiten und bürokratischen Aufwand im Rahmen von Massenentlassungen einzudämmen. Dazu ist in den §§ 17, 18 KSchG der Begriff der Entlassung durch den Begriff der Kündigung zu ersetzen. Dies gilt allerdings nicht an den Stellen, die sich eindeutig auf die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses beziehen und nicht auf den Ausspruch der Kündigung.

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BDA | Geschäftsbericht 2009 | Arbeitsrecht

Betriebsübergangsrecht: Rechtssicherheit für Arbeitsbeziehung schaffen Die arbeitsrechtliche Begleitung unternehmensbezogener Umstrukturierungen gewinnt an Bedeutung in der Anwendung des Arbeitsrechts im Betrieb. Im Rahmen des Verkaufs, des Zukaufs und der Umstrukturierung von Betrieben und Betriebsteilen spielt § 613a BGB eine herausragende Rolle. Einen erheblichen Beitrag zu dieser Rechtsunsicherheit leistet die Rechtsprechung des EuGH. Der ­EuGH hat mit seiner jüngsten Entscheidung zum Betriebsübergang in der Rechtssache „Klarenberg“ (Urteil des ­EuGH vom 12. Februar 2009 – C-466/07) dazu beigetragen, dass bisher halbwegs klare Konturen in der Rechtsprechung des BAG wieder verwischt wurden. Nach der neueren Rechtsprechung des EuGH kann auch dann ein Betriebsübergang vorliegen, wenn der übergegangene Unternehmens- oder Betriebsteil seine organisatorische Selbstständigkeit nicht bewahrt, sofern die funktionelle Verknüpfung zwischen den übertragenen Produktionsfaktoren beibehalten wird und sie es dem Erwerber erlaubt, diese Faktoren zu nutzen, um derselben oder einer gleichartigen wirtschaftlichen Tätigkeit nachzugehen. Der EuGH hat damit den Begriff des Übergangs einer betrieblichen Einheit einer bloßen Tätigkeitsfortführung angenähert. Dies führt für Arbeitnehmer und Arbeitgeber teilweise zu völliger Unklarheit über die Frage, zwischen welchen Personen ein Arbeitsverhältnis überhaupt besteht. Ebenso vielfältig sind die Fragen, die sich aus der Rechtsprechung des BAG zu Verweisungsklauseln auf Tarifverträge ergeben. Ein dramatischer Rechtsprechungswandel, der von der jahrelangen Praxis der Gerichte abgewichen ist, solche Klauseln als Gleichstellungsabreden zwischen gewerkschaftlich organisierten und nicht organisierten Arbeitnehmern anzusehen, hat zu großer Unsicherheit geführt, die bis heute andauert, da viele Fragen neu gestellt werden und noch keine befriedigenden Antworten auf diese gefunden wurden. Um § 613a BGB praxistauglich zu gestalten, bedarf es daher einer grundlegenden Reform der


Vorschrift, deren Grundlage in der Betriebsübergangsrichtlinie gerade darin besteht, Übergänge zu erleichtern, nicht, sie zu erschweren. Hierzu gehört an erster Stelle eine Ausschlussfrist für den Widerspruch des Arbeitnehmers gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses von drei Monaten. Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „Betriebsübergang“ veröffentlicht.

AGG: viel Bürokratie und Rechtsunsicherheit erzeugende Prozesse Für die Unternehmen ist durch das am 18. August 2006 in Kraft getretene AGG ein bürokratischer und kostenträchtiger Begründungs- und Dokumentationsaufwand entstanden, der sich allein in den ersten Monaten nach dem Inkrafttreten auf 1,73 Mrd. € belaufen hat. Nach wie vor verursacht das Gesetz in den Unternehmen erhebliche Kosten. Außerdem ist das AGG ein Einfallstor für Rechtsmissbrauch. AGG-Hopper und Antidiskriminierungsvereine nutzen Unsicherheiten, um Entschädigungen und Kostenerstattungen zu erschleichen. Dieser Missbrauch muss zukünftig eingedämmt werden. Entschädigungs- und Schadensersatzansprüche sollten dazu generell beschränkt werden. Einer der größten Bürokratieverursacher im AGG ist die Beweislastumkehr des § 22 AGG: Danach muss der Arbeitgeber bereits nachweisen, dass keine Diskriminierung stattgefunden hat, wenn der Bewerber oder Arbeitnehmer Indizien anführt, die eine Benachteiligung vermuten lassen. Um im Falle der Klage eines Bewerbers Entlastungsbeweise erbringen zu können, müssen Unternehmen daher in bedeutendem Umfang Bewerberauswahlverfahren und Entscheidungsabläufe dokumentieren. Nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln Consult GmbH belaufen sich die Kosten des AGG allein für den Bewerbungs- und Einstellungsprozess für die Unternehmen in Deutschland auf jährlich 156 Mio. €. Dabei wäre es viel sinnvoller, weiter in freiwillige Initiativen der Wirtschaft zu investieren. Die Vorteile betrieblicher Vielfalt liegen auf der Hand und werden in der betrieblichen Personalpolitik erfolgreich umgesetzt. Die BDA selbst

unterstützt verschiedene Diversity-Initiativen auf nationaler und europäischer Ebene („Vielfalt als Chance“, „Charta der Vielfalt“, „For ­Diversity – Against Discrimination“). Das AGG erweist sich auch darüber hinaus als Auslöser erheblicher Rechtsunsicherheit. So hat eine Kammer des LAG Berlin-Brandenburg am 26. November 2008 – 15 Sa 517/08 – entschieden, dass Statistiken über die Besetzung von Leitungspositionen mit Männern im Verhältnis zur Geschlechterquote im Betrieb insgesamt als Indiz für eine Benachteiligung wegen des Geschlechts herangezogen werden können. Eine andere Kammer desselben Gerichts schränkte mit Urteil vom 12. Februar 2009 – 2 Sa 2070/08 – diese Aussage dahingehend ein, dass eine Statistik nur dann eine Indizwirkung entfalten kann, wenn sie im Bezug auf die konkrete Einstellung, Beförderung o. Ä. aussagekräftig ist. Wenn nicht einmal in ein und demselben LAG Einigkeit darüber herrscht, dass eine bloße Statistik niemals geeignet ist, als Indiz Beweiserleichterungen auszulösen, fragt sich, wie Unternehmen auf diesem Rechtsgebiet rechtssicher agieren sollen. Den Klägern geht es dabei regelmäßig nicht um die Stelle, ihr Ziel sind allein Schadensersatz und Entschädigung. Welche Konsequenzen dies für Unternehmen haben kann, zeigt das Urteil des LAG Berlin-Brandenburg vom 11. September 2008 – 20 Sa 2244/07: Danach soll bei Verstößen gegen die Benachteiligungsverbote durch Tarifvertragsbestimmungen eine Gleichstellung der Benachteiligten mit den (Meist-)Begünstigten erfolgen. Nach vielfacher Meinung ist eine Tarifvorschrift, die ein Arbeitsgericht für diskriminierend hält, nichtig (BAG-Urteil vom 28. Mai 1996 – 3 AZR 752/95). Die Nichtigkeit der Vorschrift widerspricht schon einer „Anpassung der diskriminierend nicht gewährten Leistung nach oben“. Zudem hängt es vom jeweiligen nationalen Recht ab, wie Verstöße gegen ein Verbotsgesetz zu behandeln sind. Richtigerweise bleibt nach dem Willen des deutschen Gesetzgebers nur der Verweis auf das übliche Entgelt entsprechend § 612 BGB. Eine Zusatzleistung gehört gerade nicht zum üblichen Entgelt. Es ist zudem unerlässlich, dass sich die Bundesregierung für die Erhaltung entsprechender

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vertraglicher Gestaltungsmöglichkeiten einsetzt, wenn auf europäischer Ebene wichtige Bausteine des deutschen Arbeitsrechts in Frage gestellt werden, wie etwa in einem aktuellen Vorlageverfahren: Das LAG Düsseldorf – 12 Sa 1311/07 – bittet den EuGH um eine Entscheidung, ob die Regelung des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB, wonach die Betriebszugehörigkeit vor Vollendung des 25. Lebensjahres bei der Berechnung der Kündigungsfrist unberücksichtigt bleibt, mit der europäischen Richtlinie 2000/78/EG vereinbar ist. Der Generalanwalt ist der Ansicht, dass Art. 6 Abs. 1 der Rahmenrichtlinie dahin auszulegen sei, dass er einer nationalen Rechtsvorschrift entgegensteht, die allgemein bestimmt, dass Beschäftigungszeiten, die vor der Vollendung des 25. Lebensjahres liegen, bei der Berechnung der Kündigungsfristen unberücksichtigt bleiben. Diese Regelung ist richtlinienkonform. Jedenfalls handelt es sich bei § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB um nachkonstitutionelles Recht, das allein vom Bundesverfassungsgericht zu verwerfen wäre. Demzufolge wäre das BAG verpflichtet, die Vorschrift zumindest solange weiterhin anzuwenden. Unerklärlicherweise hat die alte Bundesregierung die Vorschrift gegenüber dem EuGH selbst in Frage gestellt. Trotz der enormen Verunsicherung, die aus der Umsetzung der bereits bestehenden fünf Gleichbehandlungsrichtlinien resultiert, hält die EU-Kommission an ihren Plänen fest, eine weitere Gleichbehandlungsrichtlinie zu beschließen, die auf Art. 13 EG-Vertrag beruht. Ziel dieser Richtlinie ist es, die Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung ungeachtet der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung außerhalb des Arbeitsmarkts zu erreichen. Dieser ­Richtlinienvorschlag würde trotz bereits überregulierender Umsetzung im AGG erhebliche neue Belastungen nach sich ziehen. Die BDA hat sich nachdrücklich gegen eine solche Ausweitung der Richtlinien eingesetzt. Auch die Koalitionsvertragsparteien haben vereinbart, eine weitere Antidiskriminierungsrichtlinie abzulehnen. Die EU-Kommission hat zudem am 8. Oktober bzw. 29. Oktober 2009 gegen die Bundesrepublik Deutschland die zweite Stufe des Vertragsverletzungsverfahrens wegen unvollständiger Umsetzung der Genderrichtlinie vom 23. September 2002

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BDA | Geschäftsbericht 2009 | Arbeitsrecht

(Richtlinie 2002/73/EG), der Antirassismusrichtlinie (Richtlinie 2000/43/EG) und der Rahmenrichtlinie Beschäftigung (Richtlinie 2000/78/EG) eingeleitet. Die Kommission hat der Bundesregierung eine mit Gründen versehene Stellungnahme übermittelt. Deutschland hat nun zwei Monate Zeit, auf die Stellungnahme der Kommission zu reagieren. Um die Auswirkungen der aktuellen Entscheidungen und der Vorhaben auf europäischer Ebene zu evaluieren und die weitere Vorgehensweise zu besprechen, wird die BDA die Arbeit in der von ihr eingerichteten Arbeitsgruppe Antidiskriminierung intensivieren und ihren Handlungsleitfaden fortschreiben. Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „­Antidiskriminierung“ veröffentlicht.

Flexi-II-Gesetz – Erfolg der BDA zeigt sich in der Krise Die BDA hat im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum „Gesetz zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen und zur Änderung anderer Gesetze“ (Flexi-II-Gesetz) erreicht, dass Flexikonten, die dazu dienen, schwankende Auftragslagen auszugleichen, vom Anwendungsbereich des neuen Gesetzes ausgenommen bleiben. Es hat sich als durchschlagender Erfolg erwiesen, dass es gelungen ist, dieses Ziel umzusetzen und die notwendige Flexibilität für die Unternehmen zu erhalten. Gerade vor dem Hintergrund der wirtschaftlich schwierigen Lage zeigen sich die Vorteile von Arbeitszeitkonten: Durch ihren Einsatz kann das Arbeitszeitvolumen an die betrieblichen Bedürfnisse angepasst werden, indem je nach Auftragslage und dem wirtschaftlichen Umfeld passgenaue Arbeitszeitmodelle geschaffen werden. Durch den Abbau der Zeitguthaben wurden zu Beginn der Krise Kündigungen abgewendet und Arbeitsplätze erhalten. Arbeitszeitkonten sind daher als Instrument der flexiblen Arbeitszeit nicht mehr aus der betrieblichen Personalpolitik hinwegzudenken. Dies gilt sowohl für Konten, mit denen schwankende Auftragslagen ausgeglichen werden sollen (Flexikonten), als auch für Konten,


mit denen langfristige Ziele, insbesondere die individuelle und betriebliche Gestaltung des Erwerbslebens, geplant werden (Lang- und Lebensarbeitszeitkonten). Der Erfolg der BDA, Flexikonten vom Anwendungsbereich des ­Flexi-II-Gesetzes auszunehmen, trägt so letztendlich auch dazu bei, Beschäftigung zu sichern. Die Neuregelungen des Flexi-II-Gesetzes gelten für Langzeitkonten (Wertguthaben). Diese betreffen insbesondere die Führung und Verwaltung von Wertguthaben, deren Anlage und Insolvenzsicherung. Wertguthaben sind danach nun in Entgelt zu führen; darüber hinaus sind die Anlagebeschränkungen und die vorgeschriebene Werterhaltungsgarantie des § 7d SGB IV zu beachten. Auch die Vorschriften zur Insolvenzsicherungspflicht wurden durch Absenken der Grenzen und Erhöhung der Anforderungen an geeignete Insolvenzsicherungsmittel verschärft. Am 31. März 2009 erschien die Endfassung des Rundschreibens der Spitzenorganisationen der Sozialversicherungsträger, das der Auslegung des Gesetzes dienen soll. Durch eine enge Zusammenarbeit mit den Sozialversicherungsträgern im Vorfeld und die Abgabe einer Stellungnahme zum Entwurf dieses Schreibens konnte die BDA wichtige Klarstellungen erreichen. Auch nach Erscheinen der Endfassung des Rundschreibens der Sozialversicherungsträger nimmt die BDA weiterhin Einfluss, um noch offene Fragen unbürokratisch zu klären, um negative Folgen für die Verwendung von Wertguthaben möglichst gering zu halten. So wird die BDA auch künftig darauf hinwirken, dass eine Übergangsregelung für bereits bestehende Wertguthabenvereinbarungen insbesondere hinsichtlich der ­Werterhaltgarantie und der Anlagebeschränkungen gilt. Hier wäre z. B. ein Gleichklang mit der steuerrechtlichen Regelung denkbar. Darüber hinaus hatte sich die BDA an die Sozialversicherungsträger gewandt und diese aufgefordert, den im Rundschreiben aus § 7 Abs. 1a Satz 1 SGB IV gezogenen Schluss zu überdenken, dass bei einer Freistellung für einen Zeitraum von mehr als einem Monat im Rahmen eines Flexikontos die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung (nach einem Monat) endet.

Nach § 7 Abs. 1a Satz 1 SGB IV besteht ein Beschäftigungsverhältnis auch in Zeiten der Freistellung von der Arbeitsleistung von mehr als einem Monat, wenn während der Freistellung Arbeitsentgelt aus einem Wertguthaben nach § 7b SGB IV fällig ist. Die Auslegung der Spitzenverbände der Sozialversicherung ist vor allem vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur Freistellung von der Arbeitsleistung – zuletzt im Urteil vom 24. September 2008, B 12 KR 22/07 R – kritisch zu beurteilen. Dem BSG-Urteil zufolge liegt eine Beschäftigung im Sinne der Sozialversicherung auch in Zeiten vor, in denen einvernehmlich und unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts auf die Arbeitsleistung verzichtet wird, und zwar bis zum Ende des Arbeitsvertrags. Begründet wird dies insbesondere mit dem Schutzzweck der Sozialversicherung. Entgegen dem BSG-Urteil halten die Sozialversicherungsträger an ihrer Auslegung fest. Sie sehen insbesondere keinen Widerspruch zur Rechtsprechung des BSG. Im Antwortschreiben der Spitzenverbände an die BDA wird deutlich, dass die getroffene Auslegung nicht unmaßgeblich auf eine politische Intervention des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) zurückgeht. Für die Fälle, in denen eine Freistellung von mehr als einem Monat aus einem Flexikonto erfolgen soll, ist daher zu erwägen, den Fortbestand des sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses durch einen Tag Urlaub oder einen Tag tatsächlicher Arbeitsleistung zu gewährleisten. Damit beginnt die Monatsfrist in jedem Fall neu zu laufen. Dies zeigt wiederum, dass die „Einmonatsgrenze“ eine gänzlich überflüssige Konstruktion darstellt. Durch Intervention der BDA konnte im ­ chreiben zur steuerrechtlichen Behandlung von S Zeitwertkonten des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 17. Juni 2009 ein möglichst weitgehender Gleichklang mit der Anwendung im Sozialversicherungsrecht gewährleistet werden. So liegt z. B. dem im BMF-Schreiben verwandten Begriff des Zeitwertkontos der Begriff der Wertguthabenvereinbarung im Sinne von § 7b SGB IV zugrunde. Keine Zeitwertkonten sind demnach auch im steuerrechtlichen Sinne Flexi- oder Gleitzeitkonten. Das BMF-Schreiben weist aber auch Unklarheiten auf: Im Zusammenhang mit der steuer-

BDA | Geschäftsbericht 2009 | Arbeitsrecht

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lichen Anerkennung von Zeitwertkonten wirft das Schreiben Anlage-, Werterhaltung und Insolvenzsicherung von Wertguthaben durcheinander. Es wird nicht klar, wie die Finanzverwaltung die Insolvenzsicherung eines Arbeitszeitkontos bewerten will. Zudem muss es weiter möglich bleiben, dass Organe von Körperschaften Zeitwertkonten führen. Dies wurde im Januar dieses Jahres generell ausgeschlossen. Es gibt keine sachliche Rechtfertigung, dass dieser Personenkreis daran gehindert werden soll, in gleicher Weise die Vorteile eines Zeitwertkontos zu nutzen wie andere Mitarbeiter. Die BDA wird darauf dringen, dass z. B. Geschäftsführer einer GmbH auch weiterhin Vorteile von Arbeitszeitkonten nutzen können und der Begriff der Zeitwertkontengarantie dem der Werterhaltgarantie im sozialversicherungsrechtlichen Sinne angepasst wird. Das Schreiben enthält auch keine klarstellenden Aussagen zu Altersteilzeitvereinbarungen von Organen einer Gesellschaft. Da regelmäßig davon auszugehen ist, dass diese ebenfalls ein Wertguthaben bilden, bedarf es hier dringend einer Nachbesserung. Im Rahmen des Arbeitskreises Arbeitszeitkonten und durch die Diskussion zahlreicher Anfragen leistet die BDA einen wesentlichen Bei-

trag zur Verbreitung von Wertguthaben und zur Klärung der zentralen Fragen der Abgrenzung und Führung verschiedener Kontensysteme. Hierzu informiert die BDA ihre Mitgliedsverbände auf Veranstaltungen und rundschriftlich fortlaufend über alle neuen Entwicklungen dieser in Betrieben seit langem genutzten, nun aber mit vielfältigen Rechtsfragen belasteten Arbeitszeitsysteme. Demnächst wird die BDA eine Broschüre zu den Neuerungen herausgeben. Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „Insolvenzsicherung von Arbeitszeitkonten“ veröffentlicht.

Insolvenzanfechtung: Änderungen überflüssig In der vergangenen Legislaturperiode gab es Pläne, die Anfechtungsmöglichkeit hinsichtlich Arbeitsentgeltzahlungen durch eine Änderung der Insolvenzordnung einzuschränken. So wurde zuletzt diskutiert, einen § 130 Abs. 4 Insolvenzordnung (InsO) einzufügen. Diese Änderung sollte die Anfechtung von Arbeitsentgeltzahlungen durch den Arbeitgeber an eine positive

Wesentliche Neuregelungen in Kürze

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Der Begriff Wertguthaben wird in Abgrenzung zu Arbeitszeitguthaben definiert.

Die Verwendungszwecke der Wertguthaben in Form von gesetzlichen Freistellungsansprüchen und Regelbeispielen wurden in § 7c SGB IV festgeschrieben.

Bei der Führung von Wertguthaben sind die Beschränkungen des § 7d SGB IV zu beachten.

In § 7e SGB IV sind die gesetzlichen Folgen einer fehlenden oder nicht ausreichenden Insolvenzsicherung geregelt.

Das Wertguthaben kann bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach § 7f SGB IV auf die Deutsche Rentenversicherung Bund übertragen werden.

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Kenntnis des Arbeitnehmers von der Zahlungsunfähigkeit oder dem Eröffnungsantrag über das ­Insolvenzverfahren knüpfen. Derzeit unterliegt die Anfechtung des Insolvenzverwalters vor allem der selten erfüllten Voraussetzung der Kenntnis des Gläubigers von der Zahlungsunfähigkeit bzw. der Kenntnis von Umständen, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit schließen lassen. Eine solche Regelung, in der an die positive Kenntnis angeknüpft werden soll, ist daher überflüssig; sie greift vielmehr ohne Not in die Gesamtsystematik der Insolvenzordnung ein.

Arbeitgebers hatte (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO) bzw. nach § 130 Abs. 2 InsO aufgrund der Kenntnis von Umständen hätte wissen müssen, dass bei zutreffender rechtlicher Bewertung die Zahlungsunfähigkeit zweifelsfrei folgt (BGH, Urteil vom 20. November 2002 – 9 ZR 48/01; Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses des Bundestags zum Entwurf einer Insolvenzordnung, BT-Drucks. 12/7302, S. 173, zu § 145 Abs. 1, 2 InsO). Eine fahrlässige Unkenntnis reicht ohnehin nicht aus. Die Beweislast für die Kenntnis trifft stets den Insolvenzverwalter.

Hinsichtlich der Anfechtung von vorinsolvenzlichen Vergütungsansprüchen der Arbeitnehmer kommt als Anspruchsgrundlage § 130 InsO in Betracht, der die Fälle der kongruenten Deckung umfasst. Nach § 130 InsO sind kongruente Leistungen, d. h. Leistungen, auf die der Gläubiger in dieser Form und zu dieser Zeit einen Anspruch hatte, anfechtbar, wenn sie innerhalb der letzten drei Monate vor Insolvenzantragstellung vorgenommen wurden. Angefochten werden können daher nur in den letzten drei Monaten vor Eröffnungsantrag verspätet ausgezahlte Löhne. Für in diesen drei Monaten fälliges Entgelt, das der Arbeitgeber schuldig bleibt, erhalten die Arbeitnehmer Insolvenzgeld.

Durch die Insolvenzrechtsreform wurde das alte System der Vorrechte einzelner Gläubiger in einem langwierigen Prozess abgeschafft. Eine Aufweichung des Systems gleichwertiger Forderungen birgt die Gefahr, dass nach und nach weitere Vorrechte geregelt würden und man schließlich wieder den Stand des alten Systems der Konkursordnung erreichen würde. Dies liefe den wesentlichen Zielen der Reform, dem im Mittelpunkt stehenden Sanierungsgedanken, der damit zusammenhängenden Bekämpfung der Massearmut und dem Grundsatz der Gleichbehandlung der Gläubiger zuwider.

Schon heute steht insbesondere aufgrund der hohen Anforderungen an die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit, die der Bundesgerichtshof (BGH) in seinem jüngsten Urteil vom 19. Februar 2009 aufgestellt hat, vielfach kein Rückforderungsanspruch des Insolvenzverwalters. Mit diesem Urteil hat der BGH entschieden, dass es für den Schluss auf die Zahlungsunfähigkeit oder Zahlungseinstellung des Arbeitgebers allein nicht ausreicht, dass der Arbeitnehmer, dem der Arbeitgeber in der Krise noch Zahlungen auf rückständige Lohnforderungen gewährt, weiß, dass der Arbeitgeber außerdem noch anderen Arbeitnehmern Lohn schuldig ist. Auch treffe den Arbeitnehmer des Schuldners, der keine Einblicke in die Liquiditäts- oder Zahlungslage des Unternehmens hat, in der ihm bekannten Krise insoweit keine Erkundigungspflicht. An die subjektive Voraussetzung werden somit hohe Anforderungen gestellt. In den seltensten Fällen kann daher dem Arbeitnehmer nachgewiesen werden, dass er Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit des

Auch handelt es sich lediglich um Einzelfälle, in denen Insolvenzverwalter von ihrem Anfechtungsrecht von Vergütungsansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis Gebrauch machen. Dies wird auch aus den Antworten der Bundesregierung vom 21. September 2007 und 27. Februar 2009 auf die Kleinen Anfragen der Fraktion Die Linke (BT-Drucks. 16/6488 und 16/11928) deutlich. Dies bestätigt das Ergebnis einer unter seinen Mitgliedern durchgeführten Umfrage des Verbands der Insolvenzverwalter Deutschlands e. V. (VID), die ergab, dass 90 % der über 100 befragten ­Unternehmensinsolvenzverwalter noch nie oder nur bei einzelnen Mitarbeitern Lohnzahlungen angefochten haben. Die Rechtsprechung des BGH, wie in der Entscheidung vom 19. Februar 2009 nochmals detailliert bestätigt, schützt den Arbeitnehmer daher ausreichend davor, einer Insolvenzanfechtung ausgesetzt zu sein. Der Arbeitnehmer ist somit als Insolvenzgläubiger hinreichend durch die bestehende Rechtslage und Rechtsprechung geschützt. Darüber hinaus besteht kein beson-

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deres Schutzbedürfnis der Arbeitnehmer, ihre Rechtsposition durch das Erfordernis der „positiven Kenntnis“ gegenüber anderen Gläubigern zu verbessern. Eine Änderung des § 130 InsO durch die Hinzufügung eines Absatzes 4, der Sonderregelungen für Arbeitnehmer vorsieht, ist nicht notwendig. Gerade in der Wirtschaftskrise kann eine Ungleichbehandlung von Gläubigern nicht das richtige Mittel sein, Vertrauen aufzubauen.

Mitbestimmung muss modernisiert werden Der Koalitionsvertrag kündigt keine durchgreifenden Reformschritte in der Mitbestimmung an. Zweifelhaft ist, ob die Forderung nach einem Ehrenkodex für Betriebsräte der Praxis weiterhilft. Wenn man hier zu substanziellen Änderungen und Fortschritten kommen will, ist es wichtiger, Betriebsverfassungsverfahren deutlich zu beschleunigen. Insbesondere muss das Sozialplan- und Interessenausgleichsverfahren so beschleunigt werden, dass Betriebsänderungen nicht künstlich verzögert werden können. Ein Anhaltspunkt hierfür kann die von 1996 bis 1998 geltende Frist von höchstens drei Monaten für den Nachteilsausgleich sein. Der Modernisierungsbedarf bei der Unternehmensmitbestimmung steht weitgehend außer Diskussion. Im Jahr 2009 hat ein Arbeitskreis „Unternehmerische Mitbestimmung“, zusammengesetzt aus prominenten Professoren des Arbeits- und Gesellschaftsrechts, Vorschläge für eine Öffnung der Unternehmensmitbestimmung für Vereinbarungslösungen gemacht. Es handelt sich um erste Überlegungen, die zwar nicht ausreichend und teilweise sogar kritisch zu bewerten sind, die notwendige Diskussion aber weitertreiben. Die Vorschläge des Arbeitskreises bestätigen im Kern die Analyse der Kommission Mitbestimmung von BDA und BDI aus dem Jahr 2004. Auch die Entwicklung des europäischen Gesellschaftsrechts und der Rechtsprechung des ­EuGH unterstreicht die Notwendigkeit von Reformen. Deutschland muss sein weltweit isoliertes Mitbestimmungsrecht an ein im internationalen

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Kontext akzeptables Maß anpassen, um die Attraktivität des Standorts zu erhalten und noch zu steigern. Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „Betriebsverfassung“ und den kompakt „Unternehmensmitbestimmung“ veröffentlicht.

Europäische Privatgesellschaft schnell einführen und Mitbestimmung modernisieren Mit dem „Small Business Act“ versucht die Europäische Kommission bereits seit dem Jahr 2008, die Signale für kleine und mittlere Unternehmen in Europa auf Vorfahrt zu stellen. Insbesondere für kleine und mittlere Betriebe sollen Erleichterungen im europäischen Binnenmarkt geschaffen werden. Wichtiger Bestandteil dieses Programms ist der von der EU-Kommission vorgelegte Vorschlag einer Verordnung zur Einführung des Statuts der EPG. Sie soll als einheitliche europäische Rechtsform eine Alternative zur deutschen GmbH sein. Die Europäische Kommission schlägt für die Arbeitnehmerbeteiligung vor, dass jeweils das Recht des Staates Anwendung findet, in dem die EPG gegründet wird. Angesichts der Tatsache, dass die neue Gesellschaftsform insbesondere kleine und mittlere Unternehmen ansprechen soll, ist dies eine unkomplizierte Lösung. Das ­BMAS hat in der letzten Legislaturperiode diesen unbürokratischen Ansatz verhindert. Mit dieser Blockadehaltung wurde der Verzicht auf die Chancen der EPG gerade für kleine Unternehmen, die nicht mitbestimmt sind, in Kauf genommen. Ein jüngster Kompromissvorschlag der schwedischen Präsidentschaft, über den anlässlich des Wettbewerbsrats im Dezember 2009 keine Einigung erzielt wurde, hätte sogar noch zu einer Ausweitung der Mitbestimmung bei der Gründung einer EPG mit deutscher Beteiligung führen können. Es ist daher zu begrüßen, dass dieser Vorschlag nicht weiterverfolgt wird. Insbesondere ist nicht akzeptabel, die Möglichkeit einzuschränken, Satzungs- und Verwaltungssitz einer Gesellschaft zu trennen; das Ziel muss vielmehr eine einfache, transparente Regelung sein, die den Traditionen der Mitgliedstaaten in einheitlicher Weise gerecht


wird. Hierzu bietet sich in erster Linie die Orientierung am Recht des Gründungsstaats an. Die BDA hat sich in zahlreichen Stellungnahmen und Gesprächen – teilweise gemeinsam mit dem BDI – für die schnelle Einführung der EPG und für den Vorschlag der Europäischen Kommission eingesetzt. Die neue Bundesregierung muss das Vorhaben der Einführung der EPG im Europäischen Rat entsprechend ihrer Ankündigung im Koalitionsvertrag schnell vorantreiben.

Vorstandsvergütung – weitere Verrechtlichung unternehmerischer Prozesse sollte verhindert werden Maßnahmen, die eine nachhaltige Unternehmensentwicklung fördern, sind insbesondere vor dem aktuellen Hintergrund der Finanzmarktkrise zu begrüßen. Mit dem im Juni im Bundestag verabschiedeten Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung hat der Gesetzgeber über dieses Ziel hinausgeschossen. Es wurden zwar gegenüber den Planungen der Koalitionsfraktionen aufgrund der Kritik der BDA, die auch von den meisten Experten geteilt wurde, einige Punkte entschärft. So wurde die Regelung zur Herabsetzung der Vergütung bei einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage zu einer Soll-Vorschrift umgewandelt. Ebenso wurde die Regelung einer Mindestschadensersatzpflicht der Aufsichtsräte in Höhe des Mehrbetrags zur angemessenen Vergütung wieder gestrichen. Dennoch führt das Gesetz zu einer erheblichen Einschränkung der Vertragsautonomie, z. B. durch die Einführung eines zwingenden Selbstbehalts bei D&O-Versicherungen und die Einführung einer zweijährigen Karenzzeit für den Wechsel vom Vorstand in den Aufsichtsrat. Der Gesetzgeber hat dabei aus den Augen verloren, dass er bei Unternehmen, die von staatlichen Rettungsaktionen profitiert haben, und den übrigen Unternehmen unterschiedliche Maßstäbe anlegen muss. Allenfalls eine Staatsbeteiligung könnte so tiefgehende Eingriffe in die Unternehmensverfassung rechtfertigen. Die Entscheidung über die Vorstandsvergütung ist keine Aufgabe der Politik, sondern des Aufsichtsrats. Unternehmensinterne Prozesse können und dürfen nicht vollkommen verrechtlicht werden.

Vereinfachung des Arbeitnehmererfinderrechts erreicht Am 1. Oktober 2009 ist das Gesetz zur Vereinfachung und Modernisierung des Patentrechts in Kraft getreten. Im Rahmen dieses Gesetzes wurde auch ein Teil der von der BDA seit Jahren geforderten Vereinfachungen des Arbeitnehmererfindungsgesetzes vorgenommen. Es bedarf keiner ausdrücklichen Inanspruchnahme der Diensterfindung durch den Arbeitgeber mehr, um eine Überleitung der Rechte aus der Erfindung sicherzustellen. Die komplizierte beschränkte Inanspruchnahme einer Erfindung wurde abgeschafft. Für Erklärungen, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer abgeben müssen, wurde die Schriftform durch die Textform ersetzt. Die Änderungen erfüllen nicht alle Voraussetzungen, um das Arbeitnehmererfindungsrecht zu modernisieren, sind aber trotzdem ein wichtiger Reformschritt.

Pandemie – Arbeitsrecht vor neuen Herausforderungen Im Frühjahr 2009 ist in Mexiko die Influenza ­A­/­H1N1, die sog. Schweinegrippe, ausgebrochen. Mittlerweile hat sich die neue Grippe weltumfassend verbreitet. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat deshalb die höchste Warnstufe ausgerufen. Experten gehen davon aus, dass eine größere Verbreitung bevorsteht. Sowohl die neue Grippe als auch andere Epidemien können massive Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis haben. In diesem Zusammenhang stellen sich zahlreiche arbeitsrechtliche Fragen. So ist u. a. zu klären, inwieweit noch eine Arbeitspflicht im Fall der Pandemie besteht. Grundsätzlich ist dies zu bejahen, nur in Extremfällen kann die Arbeitspflicht des Arbeitnehmers entfallen. Erkrankt der Arbeitnehmer, hat er einen Entgeltfortzahlungsanspruch, es sei denn, er hat die Erkrankung selbst verschuldet, insbesondere wenn er sich gezielt dem Erkrankungsrisiko ausgesetzt hat. Darüber hinaus können auch behördliche Maßnahmen im Rahmen der Epidemie zum Tragen kommen. Die zuständigen Behörden können nach dem Infektionsschutzgesetz (IFSG) ein Tätigkeitsverbot erlassen oder einen Arbeitneh-

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mer unter Quarantäne stellen. Dies gilt bereits dann, wenn lediglich ein Ansteckungsverdacht vorliegt. Für die Zeit des Arbeitsausfalls hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Entschädigung nach dem IFSG, der Arbeitgeber hat dies jedoch vorzustrecken. Grundsätzlich besteht für den Arbeitgeber die Möglichkeit, diese Vorauszahlungen von der zuständigen Behörde erstattet zu bekommen. Die BDA hat bereits im Mai 2009 in einem Leitfaden ihre Mitglieder zu den arbeitsrechtlichen Folgen einer Pandemie informiert. Im Leitfaden finden sich insbesondere auch Hinweise, wie es einem Unternehmen gelingen kann, z. B. durch Anordnung von Hygienemaßnahmen die Auswirkungen der Pandemie auf ein Unternehmen zu verringern. Darüber hinaus finden sich in dem Leitfaden Hinweise zu den möglichen Regelungsinhalten einer präventiv abzuschließenden Betriebsvereinbarung. Die BDA hat den Leitfaden aufgrund zahlreicher weiterer auftretender Fragestellungen fortentwickelt und den Mitgliedern im August eine aktualisierte Fassung zur Verfügung gestellt. Der Leitfaden wird auch hinsichtlich künftig auftretender Fragestellungen weiterentwickelt. Nähere Informationen unter www.arbeitgeber.de > Themen A–Z > Pandemie.

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BDA | Geschäftsbericht 2009 | Arbeitsrecht





Tarifautonomie im 60. Jahr des Tarifvertragsgesetzes – Chancen und Risiken Im Frühjahr 2009 feierte die Tarifautonomie mit dem Grundgesetz und dem Tarifvertragsgesetz ihren 60. Geburtstag. Die ­Tarifvertragsparteien konnten zugleich in einem wirtschaftlich sehr schwierigen Umfeld beweisen, dass sie nach wie vor die notwendige Gestaltungskraft zur tarifautonomen Regelung des Arbeitslebens haben. Sie haben einen entscheidenden Anteil daran, dass die Unternehmen trotz Krise in großem Maße Beschäftigung sichern konnten. Vor diesem Hintergrund ist es unverständlich, dass zeitgleich mit dem Jubiläum der Gesetzgeber erstmals mit den Änderungen im Entsende- und Mindestarbeitsbedingungengesetz die Ermächtigung geschaffen hat, Tarifverträge durch eine staatliche Lohnfestsetzung außer Kraft zu setzen. Es ist zu hoffen, dass die neue Regierungskoalition dem Bekenntnis zur Tarifautonomie im Koalitionsvertrag Taten folgen lässt und den Tarifvorrang wiederherstellt. Aber nicht nur die Gesetzgebung gefährdet die Tarifautonomie, auch Veränderungen in der höchstrichterlichen Rechtsprechung, wie zuletzt mit der Anerkennung der Zulässigkeit von sog. FlashMob-Aktionen im Einzelhandel, rütteln daran.

Tarifjahr 2009 – im Zeichen der Wirtschaftskrise Das Tarifjahr 2009 stand ganz im Zeichen der Wirtschaftskrise. Die Bundesrepublik erlebte den schwersten Einbruch der Wirtschaft seit ihrer Gründung. Als exportorientierte Volkswirtschaft ist Deutschland besonders stark von der weltweiten Finanzmarkt- und Konjunkturkrise betroffen. Zwar mehrten sich in der zweiten Hälfte des Jahres die Zeichen der wirtschaftlichen Erholung, dennoch lag der Auftragsbestand vieler Unternehmen noch weit unter dem des Vorjahres. Es wird wohl noch einige Jahre dauern, bis die Wirtschaft das Niveau von 2008 erreicht hat. Trotz der wirtschaftlichen Schwierigkeiten sind die Unternehmen bestrebt, ihre Mitarbeiter zu halten. Dabei hilft das Instrument der Kurzarbeit. Aber auch die Tarifpolitik hat einen erheblichen

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BDA | Geschäftsbericht 2009 | Tarifpolitik

Anteil daran, dass die Unternehmen bislang weitgehend keine Personalanpassungen vornehmen mussten. Dies gilt nicht nur für aktuelle Tarifabschlüsse. Durch eine moderate und differenzierte Tarifpolitik der vergangenen Jahre konnte die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft erheblich verbessert werden. Zwar sind die Arbeitskosten deutscher Unternehmen im internationalen Vergleich immer noch hoch, der Abstand konnte jedoch deutlich verringert werden. Darüber hinaus zahlt sich die Tarifkultur mit einer neuen Balance zwischen Flächentarifvertrag und betrieblichen Vereinbarungen aus. Zahlreiche Öffnungen, Differenzierungen und Flexibilisierungen haben dafür gesorgt, dass den Betriebspartnern ein größerer Gestaltungsspielraum zukommt. Dadurch kann heute besser und gezielter auf die unterschiedlichen betrieblichen Anforderungen reagiert werden. Auch die damit einhergehende Entlastung der Unternehmen hat einen Anteil daran, dass sich die Krise bisher nicht in größerem Maße auf den Arbeitsmarkt ausgewirkt hat. Die BDA wird sich auch in Zukunft dafür einsetzen, dass der erfolgreiche Weg der Differenzierung fortgesetzt wird, um die Zukunft des Flächentarifvertrags zu sichern. Die Tarifabschlüsse dieses Jahres zeugen von einer angemessenen, beschäftigungsorientierten, differenzierten und flexiblen Tarifpolitik. Die vereinbarten Lohnsteigerungen sind moderat und bewegen sich – von wenigen Ausnahmen abgesehen – in einer Spanne von 0 bis 2,5 %, die meisten liegen unter 2 %. Es zeigt sich eine erhebliche Differenzierung zwischen den exportorientierten und damit stärker von der Krise betroffenen Branchen und den auf den Binnenmarkt ausgerichteten Wirtschaftsbereichen. Die Belastung im laufenden Jahr wird in zahlreichen Tarifverträgen durch vorgeschaltete Nullmonate abgemildert. Häufig sind Einmalzahlungen vorgesehen, die nicht dauerhaft tabellenwirksam und z. T. flexibel und differenziert ausgestaltet sind. Die Einmalzahlungen können z. T. durch betriebliche ­Vereinbarungen geändert und der Situation des Unternehmens angepasst werden. Hinzu kommen längere Laufzeiten von meist 24 Monaten, die nicht nur entlastend wirken, sondern den Unternehmen auch Planungssicherheit geben. Insgesamt haben sich die Gewerkschaften im Tarifjahr 2009 verantwortungsvoll verhalten.


Tarifjahr 2010/2011 – im Fokus der Beschäftigungssicherung Kündigungstermine

Branche

Tarifgebiete

Beschäftigte in 1.000

Gewerkschaft

02/10

Deutsche Lufthansa AG (Boden, Kabine)

West + Ost

65

ver.di

03/10 03/10–05/10

Landwirtschaft Chemische Industrie

West + Ost West + Ost

150 580

IG BAU IG BCE

04/10

Metall-/Elektroindustrie Bankgewerbe Papier-, Pappe- und Kunststoffverarbeitung Energieversorgung (E.ON-Bereich) Entsorgungswirtschaft

West + Ost West + Ost West + Ost

3.600 240 95

IGM ver.di, DBV ver.di

West + Ost West + Ost

30 20

ver.di, IG BCE ver.di

06/10

Energieversorgung (GWE-Bereich)

West + Ost

15

ver.di, IG BCE

07/10

Deutsche Bahn AG

West + Ost

140

Zeitungs- /Zeitschriftenverleger (Redakteure)

West + Ost

23

TRANSNET, GDBA, GDL ver.di, DJV

08/10

Stahlindustrie Papierindustrie Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau Dachdeckerhandwerk

West + Ost West West + Ost West + Ost

85 45 80 55

IGM IG BCE IG BAU IG BAU

09/10

Reisebürogewerbe Schuhindustrie Cigarettenindustrie

West + Ost West + Ost West + Ost

70 14 10

ver.di IG BCE NGG

10/10–11/10 10/10–12/10

Keramische Industrie Energieversorgung (RWE, Vattenfall, EnBW)

West West + Ost

25 60

IG BCE IG BCE/ver.di

11/10

Wohnungs-/Immobilienwirtschaft Papierindustrie

West + Ost Ost

50 5

IG BAU/ver.di IG BCE

12/10

Steinkohlenbergbau Feinkeramische Industrie Deutsche Telekom AG Öffentlicher Dienst (Länder, ohne Berlin)

West Ost West + Ost West + Ost

40 8 85 700

IG BCE IG BCE ver.di ver.di

01/11

Volkswagen AG

West

100

IGM

02/11

Textil- und Bekleidungsindustrie

West

130

IGM

03/11

Bauwirtschaft Druckindustrie Versicherungswirtschaft (Innendienst) Textilindustrie Einzelhandel Süßwarenindustrie

West + Ost West + Ost West + Ost Ost West + Ost West

700 170 170 15 2.700 50

IG BAU ver.di ver.di/DHV/DBV IGM ver.di NGG

04/11

Holz- und kunststoffverarbeitende Industrie

West + Ost

140

IGM

06/11

Maler- und Lackiererhandwerk

West + Ost

140

IG BAU

2010

2011

03/11–06/11 03/11–07/11

Quelle: BDA-Tarifarchiv

BDA | Geschäftsbericht 2009 | Tarifpolitik

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Dies gilt nicht nur für die vereinbarten Flächentarifverträge, sondern auch für zahlreiche betriebliche Vereinbarungen, die z. T. mit Unterstützung der Gewerkschaften zustande gekommen sind. In vielen Betrieben gibt es Vereinbarungen zur Beschäftigungssicherung. Häufig muss dazu von den Branchentarifverträgen abgewichen werden. Diese betrieblichen Bündnisse funktionieren. Es sind keine Fälle mehr bekannt, in denen Gewerkschaften versuchen, solche Vereinbarungen zu blockieren, wenn sie Arbeitnehmer, Betriebsräte und Arbeitgeber übereinstimmend wollen. Die vertrauensvolle Zusammenarbeit kann den wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen unterstützen und damit Arbeitsplätze sichern. Diese vertrauensvolle Zusammenarbeit gilt es zu stärken und weiterzuentwickeln. Die moderate Tarifpolitik dieses Jahres gilt es auch im kommenden Tarifjahr konsequent fortzusetzen. 2010 stehen in wichtigen Branchen, wie der Metall- und Elektroindustrie und der chemischen Industrie, Tarifverhandlungen an. Dabei wird die Krise die Anforderungen an die Tarifpartner weiter bestimmen. Auch wenn begründete Hoffnung besteht, dass sich die Wirtschaft im kommenden Jahr wieder erholt, ist die Krise noch nicht überwunden. Vor diesem Hintergrund besteht in den kommenden Tarifrunden kaum Verteilungsspielraum. In erster Linie muss es darum gehen, weiterhin Beschäftigung zu sichern. Bereits jetzt nehmen die Unternehmen große Anstrengungen auf sich, um ihre Arbeitnehmer in den Betrieben zu halten. Die Grenze der Belastbarkeit ist dabei für viele bereits erreicht. Ziel muss es sein, die Unternehmen mit den Abschlüssen nicht weiter zu belasten. Undifferenzierte Tarifsteigerungen, aber auch andere Belastungen, wären in einer solchen Situation kontraproduktiv und würden den unbestreitbaren Erfolg bisheriger Anstrengungen gefährden.

Entgeltabschlüsse 2009 – Maß halten in Zeiten der Krise Zwar orientierten sich die Forderungen häufig an den vorangegangenen Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs. Anders sind z. B. Forderungen nach Entgeltsteigerungen von 6 % im Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau, über 8 % im Gebäudereinigerhandwerk oder bis zu

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BDA | Geschäftsbericht 2009 | Tarifpolitik

10 % im Groß- und Außenhandel nicht zu erklären. Hinzu kam eine Kampfrhetorik, in der sogar schon vor Beginn der Verhandlungen mit massiven Arbeitskämpfen gedroht wurde, wie es z. B. im Handel zu beobachten war. Der erste Tarifabschluss, mit dem deutlich der schwierigen wirtschaftlichen Lage Rechnung getragen wurde, ist am 10. März in der Textil- und Modeindustrie erzielt worden. Vereinbart wurden eine Einmalzahlung von 340 € für 2009 sowie eine äußerst moderate Entgelterhöhung mit einer tabellenwirksamen Anhebung von 1,5 % zuzüglich eines monatlichen ­Sockelbetrags von 40 € ab 1. Januar 2010. Für Januar und Februar 2011 wurde eine weitere Einmalzahlung in Höhe von 99 € beschlossen. Durch die Möglichkeit der Differenzierung kann in beispielhafter Weise den unterschiedlichen Situationen der Unternehmen innerhalb der Branche sowie Unsicherheiten über die weitere wirtschaftliche Entwicklung Rechnung getragen werden. Die Einmalzahlung für 2009 konnte, bei gleichzeitiger Beschäftigungszusage, auf betrieblicher Ebene verschoben, gekürzt oder komplett gestrichen werden. Die Entgeltanhebung um 1,5 % ab Januar 2010 kann unter gleichen Bedingungen ganz oder teilweise bis Ende 2010 verschoben werden. Damit lassen sich auf betrieblicher Ebene die durch den Tarifabschluss bedingten finanziellen Belastungen der Unternehmen deutlich reduzieren. 2009 konnten sie sogar auf null abgesenkt werden. Auch der Tarifabschluss in der Stahlindustrie trägt der schwierigen Situation dieser Branche Rechnung, war sie doch als Rohstofflieferant der exportorientierten Metall- und Elektroindustrie in besonderem Maße von einem Auftragseinbruch betroffen. Bereits in der zweiten Verhandlungsrunde konnten sich die Tarifvertragsparteien am 1. April auf einen Abschluss mit einer Gesamtlaufzeit von 17 Monaten einigen. Nach neun Nullmonaten mit einer Einmalzahlung von 350 € wurden die Entgelte ab 1. Januar 2010 um 2 % angehoben. Zur Beschäftigungssicherung wurde der Spielraum erweitert, innerhalb dessen die Wochenarbeitszeit mit Teillohnausgleich abgesenkt werden kann, von bisher 30 auf bis zu 28 Stunden. Im privaten Bankgewerbe wurde mit dem Tarifabschluss am 22. April ein fast zehnmonatiger


tarifloser Zustand beendet. Der Abschluss gilt für 22 Monate und sieht, nach einer Einmalzahlung in Höhe von 200 € für Juli bis Oktobe 2008, rückwirkend ab November 2008 eine Entgeltsteigerung von 2,5 % vor. Dies entspricht der zu diesem Zeitpunkt bereits weitgehend umgesetzten Arbeitgeberempfehlung. Insgesamt blieb der Abschluss hinter dem zurück, was die Arbeitgeber selbst im Juli 2008 schon einmal angeboten hatten – eine Folge der Finanzmarktkrise, von der die Branche in besonderer Weise betroffen ist. Im Baugewerbe konnte am 23. Mai, im Rahmen der Schlichtung unter Leitung des früheren Bundeswirtschaftsministers Wolfgang Clement, ein für die Branche moderates Ergebnis erzielt werden. Innerhalb der 24 Monate Laufzeit sind die Entgelte in zwei Stufen anzuheben: am 1. Juni 2009 und am 1. April 2010 um jeweils 2,3 %. Hinzu kam eine Einmalzahlung in Höhe von 60 € im Juni 2009. Um das Auseinanderdriften der Löhne in Ost und West zu beenden, werden im Osten die Löhne um die absoluten Erhöhungsbeträge des Tarifgebiets West angehoben. Verbunden mit der sich vor allem im Osten auswirkenden Absenkung der Beschäftigungssicherungsklausel von 8 % auf 6 % bewirkt dies eine Annäherung der Löhne in Ost und West. Gleiches gilt beim Mindestlohn, wobei mit dem Verzicht auf den Mindestlohn II im Osten zusätzlich ein positives Signal für die langfristige Beschränkung auf nur einen Mindestlohn gegeben wurde. Der Tarifabschluss in der Druckindustrie vom 3. Juni trägt ebenfalls der schwierigen wirtschaftlichen Lage der Branche Rechnung, die insbesondere durch Einbrüche bei den Werbedruckaufträgen von der Wirtschaftskrise betroffen ist. Mit einer Entgeltanhebung nach zwölf Nullmonaten um 2 % ab dem 1. April 2010 und einer Einmalzahlung von 280 € für April 2009 bis März 2010 ist die Belastung moderat und die Unternehmen haben durch die 24 Monate Laufzeit Planungssicherheit. Allerdings mussten die Verhandlungen über den Manteltarifvertrag, insbesondere über die nicht mehr zeitgemäßen Arbeitszeit- und Maschinenbesetzungsregelungen, auf 2011 verschoben werden. In der Versicherungswirtschaft wurde für den Innendienst am 4. Juni bereits vier Monate vor

Ablauf des zu diesem Zeitpunkt noch geltenden Tarifvertrags ein Tarifergebnis erzielt. Der Abschluss sieht bei einer Laufzeit von 18 Monaten nach sechs Nullmonaten mit einer Einmalzahlung in Höhe von 250 € eine maßvolle Entgeltanhebung von 2,5 % ab 1. April 2010 vor. Im Vergleich zur vorherigen Tarifrunde konnten sich die Tarifpartner im Einzelhandel bereits nach kurzer Zeit auf einen neuen Abschluss verständigen. Nach vier Nullmonaten sieht der Tarifvertrag eine Entgeltanhebung um 2 % ab 1. September 2009 und um 1,5 % ab 1. September 2010 vor. Hinzu kommen eine Einmalzahlung in Höhe von 150 € im April 2010 sowie weitere 150 € als tarifliche Vorsorgezahlung. Nahezu zeitgleich mit der Tarifrunde im Einzelhandel begannen die Verhandlungen für den Groß- und Außenhandel. Hier konnte am 13. Oktober 2009 ein Pilotabschluss in Niedersachsen erzielt werden. Dank zusätzlicher Nullmonate und geringerer Einmalzahlungen wird der Situation im Groß- und Außenhandel Rechnung getragen, der vom Einbruch der Exportwirtschaft massiv betroffen ist. Der Abschluss sieht bei einer Laufzeit von 24 Monaten eine Entgelterhöhung von 2 % ab 1. Oktober 2009 sowie von 1,5 % ab 1. Juni 2010 vor. Die Einmalzahlung von 125 € ist beschränkt auf die beiden untersten Lohngruppen, diejenige von 60 € auf die Lohngruppe 3. Sowohl die Entgelterhöhungen als auch die Einmalzahlung können bei Kurzarbeit für die Dauer der Kurzarbeit betrieblich verschoben werden. Der Tarifabschluss im Garten-, Landschaftsund Sportplatzbau am 7. September 2009 sieht nach zwei Nullmonaten und einer Laufzeit von 14 Monaten im Osten eine Entgeltsteigerung um 2,6 % vor, im Westen um 2 %. Zudem gab es für die Beschäftigten in den alten Bundesländern eine Einmalzahlung von insgesamt 4,8 % eines Monatseinkommens. Mit den differenzierten Entgeltsteigerungen zielt der Abschluss wie auch der der Bauwirtschaft auf die Verringerung des Lohngefälles zwischen Ost und West. In Bereichen, die von der aktuellen Krise weniger betroffen sind, wie z. B. im Gebäudereinigerhandwerk und in der Ernährungsindustrie, wurden ein- bzw. zweistufige Tarifanhebungen

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Branchentarifverträge 2009 – im Zeichen der Krise Tarifbereich Laufzeit

Eckpunkte Tarifabschluss

Kali- und Steinsalzbergbau (1. Februar 2009 – 31. August 2010)

100 € einheitliche Tarifanhebung ab 02/09; 75 € einheitliche Tarifanhebung ab 01/10

Textil und Bekleidung (1. März 2009 – 28. Februar 2011)

2 Nullmonate; 340 € als Einmalzahlung für 05/09–12/09 (betrieblich abdingbar); 1,5 % (betrieblich bis 12/10 verschiebbar)+ 40 €/Monat ab 01/10; 99 € als Einmalzahlung für 01/11–02/11

Stahlindustrie (1. April 2009 – 31. August 2010)

9 Nullmonate; 350 € als Einmalzahlung für 04/09–12/09; 2,0 % ab 01/10

Brauereien Bayern (1. Januar 2009 – 28. Februar 2011)

3 Nullmonate; 3,0 % ab 04/09; 2,4 % ab 04/10; 150 € als Einmalzahlung (06/10)

Privates Bankgewerbe (1. Juli 2008 – 30. April 2010)

4 Nullmonate; 2,5 % ab 11/08; 200 € als Einmalzahlung (02/10)

Süßwarenindustrie (1. April 2009 – 30. April 2011)

2 Nullmonate; 3,0 % ab 06/09; 1,9 % ab 04/10

Deutsche Seehafenbetriebe (1. Juni 2009 – 31. Mai 2010)

9 Nullmonate; 550 € als Einmalzahlung (01/10); 1,0 % ab 03/10

Bauwirtschaft (1. April 2009 – 31. März 2011)

2 Nullmonate; 60 € als Einmalzahlung (06/09); 2,3 % ab 06/09; 2,3 % ab 04/10

Druckindustrie (1. April 2009 – 31. März 2011)

12 Nullmonate; 280 € als Einmalzahlung (09/09); 2,0 % ab 04/10

Versicherungswirtschaft (Innendienst) (1. Oktober 2009 – 31. März 2011)

6 Nullmonate; 250 € als Einmalzahlung (11/09); 2,5 % ab 04/10

Ziegelindustrie (ohne Bayern) (1. September 2009 – 31. August 2011)

12 Nullmonate; 500 € als Einmalzahlung für 09/08–08/09; 2,1 % ab 09/09; 2,1 % ab 09/10

Einzelhandel (1. Mai 2009 – 30. April 2011)

4 Nullmonate; 2,0 % ab 09/09; 1,5 % ab 09/10; 150 € als Einmalzahlung (04/10); 150 € als tarifliche Vorsorgezahlung

Maler- und Lackiererhandwerk (1. Juli 2009 – 30. Juni 2011)

3 Nullmonate; 2,3 % ab 10/09

Holz- und kunststoffverarbeitende Industrie (1. Mai 2009 – 30. April 2011)

6 Nullmonate; 200 € als Einmalzahlung (09/09); 1,5 % ab 11/09; 200 € als Einmalzahlung; 1,7 % ab 11/10

Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau (1. Juli 2009 – 31. August 2010)

2 Nullmonate; 2,0 % ab 09/09 (Ost: 2,6 % ab 09/09); 0,4 % (nur West) als monatliche Einmalzahlung für 09/09–08/10

Groß- und Außenhandel (1. Mai 2009 – 30. April 2011)

5 Nullmonate; 2,0 % ab 10/09; 1,5 % ab 06/10; 125 bzw. 60 € als Einmalzahlung für die EG I und II bzw. III (09/10) Entgelterhöhungen und Einmalzahlung können aus wirtschaftlichen Gründen (bei Kurzarbeit) betrieblich verschoben werden.

Quelle: BDA-Tarifarchiv

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vereinbart, die für 2009 überwiegend Entgeltsteigerungen um 3 % vorsehen. Die Belastung der Unternehmen konnte aber auch in diesen Bereichen durch längere Laufzeiten und Nullmonate abgefedert werden. In krisenresistenten Branchen wie z. B. der Energiewirtschaft waren sogar deutlich höhere Entgeltsteigerungen bis 4 % für 2009 zu verzeichnen.

Tarifvertrag – sicherer Hafen in stürmischen Zeiten Der Tarifvertrag erweist sich gerade in Krisenzeiten als äußerst hilfreiches und wichtiges Instrument. Mit Öffnungsklauseln, Korridoren, Absenkungsmöglichkeiten und Differenzierungsklauseln ist den Unternehmen ein wirkungsvolles Handwerkszeug gegeben, um zusätzlich zur Kurzarbeit flexibel reagieren zu können. Zum Beispiel kann in der Metall- und Elektroindustrie und der Stahlin-

dustrie – dort mit teilweisem Entgeltausgleich – die Wochenarbeitszeit auf 30 bzw. 28 Stunden abgesenkt werden. In der Entsorgungswirtschaft können die Entgelte bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten um bis zu 17 % reduziert und in der Bauwirtschaft kann die Jahressonderzahlung um fast 50 % gekürzt werden. Hinzu kommen Regelungen wie z. B. in der Metall- und Elektroindustrie oder der Textilindustrie, mit deren Hilfe auf betrieblicher Ebene Entgeltanhebungen verschoben oder ganz gestrichen werden können. Aber auch darüber hinaus können durch zusätzliche tarifvertragliche Vereinbarungen Belastungen reduziert und damit Unternehmen und Beschäftigung gesichert werden. So wurden in der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg mit einer Tarifvereinbarung zur Sicherung der Beschäftigung die Belastungen durch Zuschüsse zum Kurzarbeitergeld zumindest teilweise kompensiert. Zudem wurde in einigen Tarifgebieten der Metall- und Elektroindustrie vor dem Hintergrund der Krise vereinbart, dass

Wachstum der realen Tarifverdienste sichert Arbeitnehmerentgelte Die Lohn- und Tarifpolitik in Deutschland ist immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt, die durchschnittlichen realen Verdienste würden seit der Jahrtausendwende stagnieren, teilweise sogar rückläufig sein. Die Beschäftigten seien damit nur unzureichend am Wirtschaftswachstum beteiligt gewesen und hätten den Preis für die Sanierung der Wirtschaft zahlen müssen. Ein Blick auf die Entwicklung der realen Tarifverdienste zeigt ein anderes Bild. Im Zeitraum von 2001 bis 2008 sind die realen Tarifverdienste jährlich um durchschnittlich 0,3 % gewachsen. Damit legten die realen Tarifverdienste in Deutschland durchschnittlich stärker zu als in anderen „alten“ Mitgliedstaaten der EU (z. B. Niederlande 0,1 %, Italien 0,2 %, Spanien 0,3 %). Parallel zu dieser positiven realen Tariflohnentwicklung stieg die Zahl der Beschäftigten mit über 40 Mio. auf den höchsten Stand seit der Wiedervereinigung. Auch für 2009 zeichnet sich ein deutlich positives Wachstum der realen Tarifverdienste ab. Laut Herbstgutachten steigen die Tarifverdienste 2009 um 2,3 %, während die Inflationsrate lediglich 0,3 % betragen wird. Damit wachsen die realen Tarifverdienste deutlich stärker als die gesamtwirtschaftliche Produktivität (–2,0 %). Vor diesem Hintergrund gerät der Aufholprozess des Standorts Deutschland bei der internationalen Konkurrenzfähigkeit ins Stocken. Seit 2001 konnten sich die Arbeitskosten jeweils langsamer entwickeln als im europäischen Durchschnitt. Diesen Konvergenzprozess gilt es konsequent fortzusetzen.

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sachgrundlos befristete Arbeitsverhältnisse über die gesetzliche Höchstdauer von 24 Monaten hinaus verlängert werden können. Damit dürften zahlreiche Arbeitsplätze, die sonst wegen der Ungewissheit über die weitere wirtschaftliche Entwicklung nicht verlängert worden wären, erhalten bleiben. Die aktuellen Zahlen beweisen die ungebrochene Bedeutung des Tarifvertrags. 2008 waren mit 70.632 so viele Tarifverträge in Kraft wie nie zuvor. Dabei fällt auf, dass die Zahl der Flächentarifverträge um 2,5 % rückläufig war, während im gleichen Zeitraum fast 6 % mehr Haustarifverträge abgeschlossen wurden. Dies dürfte die

Bestätigung dafür sein, dass es zunehmend differenzierter Regelungen bedarf, die auf die Anforderungen der einzelnen Unternehmen zugeschnitten sind. Insgesamt ist der Tarifvertrag nach wie vor das prägende Element bei der Gestaltung der Arbeitsbeziehungen. 2008 waren in 62 % aller Betriebe für 81 % aller Arbeitnehmer die Arbeitsverhältnisse auf Basis von Tarifverträgen unmittelbar oder mittelbar geregelt. Damit hat sich die Tarifbindung weiter stabilisiert. Der Branchentarifvertrag konnte bei den Betrieben der neuen Bundesländer leicht an Zuspruch gewinnen und fand für mehr als die Hälfte aller Beschäftigten unmit-

Tarifvertrag weiterhin prägend Tarifbindung 2008 (2007), Beschäftigte in %

19 (19)

53 (53) 20 (20)

8 (8)

Branchentarifvertrag Haustarifvertrag Orientierung am Tarifvertrag ohne Tarifvertrag Quelle: IAB-Betriebspanel 2009

80

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telbare Anwendung. Zusätzlich zum Branchentarifvertrag regelten Haustarifverträge für 8 % aller Beschäftigten die Arbeitsverhältnisse und weitere 20 % der Arbeitnehmer waren in Unternehmen tätig, die zwar nicht unmittelbar tarifgebunden sind, sich aber an Tarifverträgen orientieren.

Vorrang der Tarifautonomie vor staatlicher Lohnfestsetzung garantieren Im April 2009 sind das neue Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG) und das geänderte Mindestarbeitsbedingungengesetz in Kraft getreten. In beiden Gesetzen wurde erstmals die ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung geschaffen, Tarifverträge durch staatliche Lohnfestsetzung außer Kraft zu setzen und damit unmittelbar in die Tarifautonomie einzugreifen. Der Anwendung dieser Ermächtigung durch die christlich-liberale Regierungskoalition steht das ausdrückliche Bekenntnis zur Tarifautonomie und deren Vorrang vor staatlicher Lohnfestsetzung im Koalitionsvertrag entgegen. Damit ist z. B. der Erlass der Mindestlohnverordnung für die Weiterbildung zwingend abzulehnen. Neben anderen rechtlichen Bedenken (In-sich-Geschäft, fehlende Repräsentativität) würde eine solche Verordnung auch Tarifverträge außer Kraft setzen. In der Konsequenz muss das Bekenntnis zum Vorrang der Tarifautonomie vor staatlicher Lohnfestsetzung aber gesetzgeberisch umgesetzt werden. Die in den Gesetzen geschaffene Ermächtigung zum Eingriff in Tarifverträge muss rückgängig gemacht und durch den Vorrang tarifvertraglicher Regelungen ersetzt werden. Im Übrigen konnten die Auswirkungen der Gesetzesänderungen begrenzt werden. So wurde beim AEntG mit der Beibehaltung der Anerkennung von tarifvertraglichen Ausschlussfristen zumindest an dieser Stelle ein weiter gehender Eingriff in die Tarifautonomie verhindert. Damit bleiben nach dem AEntG tarifvertragliche Regelungen möglich, die eine Geltendmachung von Ansprüchen auf maximal sechs Monate beschränken. Diese müssen in allgemeinverbindlich erklärten oder per Rechtsverordnung erstreckten Tarifverträgen selbst enthalten sein.

Anwendungsbereich des Entsende- und Mindestarbeitsbedingungengesetzes beschränkt Mit den Änderungen im AEntG haben insgesamt sechs neue Branchen Aufnahme in das Gesetz gefunden. Dies sind neben den Sicherheitsdienstleistungen, der Abfallwirtschaft einschließlich Straßenreinigung und Winterdienst, den Wäschereidienstleistungen im Objektkundengeschäft auch die Bergbauspezialarbeiten auf Steinkohlebergwerken und die Aus- und Weiterbildungsdienstleistungen der Arbeitsmarktförderung. Für den Bereich der Pflege wurde wegen der Beteiligung kirchlicher Träger und deren verfassungsrechtlicher Sonderstellung mit der Pflegekommission eine Sonderregelung getroffen. Die Pflegekommission, die mit Vertretern der Dienstgeber- und Dienstnehmerseite der Caritas, ver.di, der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände und des Arbeitgeberverbands Pflege besetzt ist, hat inzwischen nach entsprechendem Antrag ihre Arbeit aufgenommen. Ihr obliegt es, sich auf Mindestbedingungen zu verständigen, die dann per Verordnung für die gesamte Pflege verbindlich erklärt werden können. Aber auch dabei gilt es, bestehende Tarifverträge, wie sie z. B. der Arbeitgeberverband Pflege abgeschlossen hat, nicht außer Kraft zu setzen. Mit den Anträgen auf Allgemeinverbindlicherklärung aus den übrigen fünf neuen Branchen des AEntG hat sich im August 2009 der Tarifausschuss befasst. Nach der Neufassung des AEntG ist der Tarifausschuss bei einem erstmaligen Antrag auf Allgemeinverbindlicherklärung auch im Verordnungsverfahren zu beteiligen. Abgesehen von dem Antrag aus dem Bereich Weiterbildung haben die Arbeitgebervertreter im Tarifausschuss den Anträgen auf Allgemeinverbindlicherklärung aus den anderen Branchen zugestimmt. Es konnte in diesen Fällen insbesondere sichergestellt werden, dass kein Eingriff in Tarifverträge erfolgt. Die Mindestlohnverordnungen für die Bergbauspezialarbeiten auf Steinkohlebergwerken und für die Wäschereidienstleistungen im Objektkundengeschäft sind inzwischen im Bundesanzeiger veröffentlicht und damit in Kraft getreten. Offen ist – neben der Weiterbildung – auch der Antrag auf Erlass der Mindestlohnverordnung für das Wach- und Sicherheitsgewerbe. Der entspre-

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chende Antrag war von den DGB-Vertretern im Tarifausschuss abgelehnt worden. Hintergrund dürfte in erster Linie sein, dass der zugrunde liegende Mindestlohntarifvertrag mit einer christlichen Gewerkschaft abgeschlossen worden war. Der Abschluss eines Mindestlohntarifvertrags mit ver.di war zuvor an den völlig überzogenen Forderungen der Gewerkschaft gescheitert.

tuierenden Sitzung zusammengerufen. In diesem von Klaus von Dohnanyi geleiteten Ausschuss werden die Arbeitgeber durch Dr. Dieter Hundt und Otto Kentzler und die Gewerkschaften durch Michael Sommer und Prof. Ernst-Otto Kempen vertreten. Für die Wissenschaft wurden Prof. Wolfgang Franz und Prof. Jutta Allmendinger berufen.

Im Koalitionsvertrag haben sich ­CDU/CSU und FDP für eine Stärkung des Tarifausschusses im Verordnungsverfahren nach dem AEntG ausgesprochen. Damit kann es zu keinen neuen Branchenmindestlöhnen kommen, ohne dass der Tarifausschuss diesen zuvor zugestimmt hat. Die BDA wird sich im Übrigen dafür einsetzen, dass die Beteiligung des Tarifausschusses in Zukunft in einer öffentlichen Sitzung erfolgt und bei den neuen Branchen nicht auf den erstmaligen Antrag auf Allgemeinverbindlicherklärung nach deren Aufnahme in dieses Gesetz beschränkt sein darf. Mit dieser Beschränkung besteht die Gefahr, dass – nachdem irgendein Tarifvertrag im Verordnungsverfahren den Weg über den Tarifausschuss gegangen ist – bei jedem nachfolgenden Tarifvertrag unabhängig von seiner Regelungsmaterie das Rechtsverordnungsverfahren ohne Beteiligung des Tarifausschusses durchgeführt wird.

Ob es in der Zukunft zu einer Festsetzung von Mindestentgelten über das Mindestarbeitsbedingungengesetz kommen wird, ist offen. Entsprechende Anträge können von der Bundesregierung, den Bundesländern und den Spitzenorganisationen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer gestellt werden. Inzwischen liegt ein Antrag für die Call-Center-Branche – gestellt von der dbb tarifunion (ehemals Beamtenbund) – vor. Es gilt nun, die Voraussetzungen für die Anwendung des Gesetzes genau zu prüfen. Mit dem Bekenntnis zum Vorrang der Tarifautonomie im Koalitionsvertrag scheidet eine Anwendung des Gesetzes in Fällen aus, in denen durch die staatliche Lohnfestsetzung Tarifverträge außer Kraft gesetzt würden. Die Vertreter der BDA werden sich dafür einsetzen, dass bei Anträgen auf Festsetzung von Mindestentgelten nur eine dem Grundsatz der Tarifautonomie entsprechende Lösung in Betracht kommt. Damit scheidet die Einführung von Mindestlöhnen in Bereichen aus, die bundesweit flächendeckende Tarifverträge haben. Darüber hinaus gilt es aber auch darauf zu achten, dass gering Qualifizierte, Langzeitarbeitslose und Berufsanfänger eine Chance auf Einstieg in Arbeit haben. Die Anwendung des Mindestarbeitsbedingungengesetzes darf sich nicht gegen die Schwächsten am Arbeitsmarkt richten.

Neben der Ausweitung des AEntG ist in der vergangenen Legislaturperiode das Mindestarbeitsbedingungengesetz mit dem Ziel geändert worden, es zu reaktivieren – in den fast 60 Jahren seines Bestehens ist es nie zur Anwendung gekommen. Es soll in Branchen mit einer Tarifbindung unter 50 % die Festsetzung von Mindestentgelten ermöglichen, wobei ein Hauptausschuss das Vorliegen sozialer Verwerfungen feststellen und über das „Ob“ einer Festsetzung von Mindestentgelten für einzelne Wirtschaftsbereiche auf Antrag entscheiden soll. Ein gesondert für den entsprechenden Bereich zu bildender Fachausschuss entscheidet anschließend über die Höhe des Mindestentgelts. Danach kann eine Mindestlohnverordnung von der Bundesregierung erlassen werden. Noch vor den Bundestagswahlen wurde von Bundesarbeitsminister Scholz am 15. September 2009 der Hauptausschuss zu seiner konsti-

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CDU/CSU und FDP haben im Koalitionsvertrag vereinbart, eine gesetzliche Klarstellung der Rechtsprechung zur Sittenwidrigkeit von Löhnen vorzunehmen. Die deutschen Arbeitgeber sind gegen sittenwidrige Löhne. Bereits nach geltendem Recht sind sittenwidrige Löhne verboten. Die Rechtsprechung geht davon aus, dass ein Lohn in der Regel sittenwidrig ist, wenn er weniger als zwei Dritteln des für die Arbeitsleistung üblichen Entgelts entspricht. Ob eine Kodifizierung dieser Rechtsprechung sinnvoll ist, muss sorgfältig geprüft werden. Eine Änderung der Rechtslage ist von der Koalition offenbar nicht


Branchenmindestlöhne bleiben Ausnahme Branche

Laufzeit

Mindestentgelt in €/Stunde West

Ost

01.09.09–31.08.10

ML I: 10,80 ML II: 12,90

9,25

01.09.10–30.06.11

ML I: 10,90 ML II: 12,95

9,50

01.07.11–30.11.11

ML I: 11,00 ML II: 13,00

9,75

Bergbauspezialarbeiten auf Steinkohlebergwerken

24.10.09–31.12.10

11,17 12,41

Briefdienstleistungen

01.01.08–31.12.09

8,40 9,80

01.01.10–30.04.10

8,40 9,80

01.01.09–31.12.09

10,40

01.01.10–31.12.10

10,60

01.01.11–31.12.11

10,80

01.01.12–31.12.12

11,00

01.01.13–31.12.13

11,20

01.01.09–31.12.09

9,55

8,05

01.01.10–31.12.10

9,60

8,20

01.01.10–31.12.10

8,40

6,83

01.01.11–31.12.11

8,55

7,00

24.10.09–31.08.10

ML I: 9,50 ML II: 11,25

9,50

01.09.10–30.06.11

ML I: 9,50 ML II: 11,50

9,50

01.07.11–29.02.12

ML I: 9,75 ML II: 11,75

9,75

24.10.09–30.03.10

7,51

6,36

01.04.10–30.03.11

7,65

6,50

01.04.11–30.03.12

7,80

6,75

01.04.12–31.03.13

8,00

7,00

Abfallwirtschaft inkl. Straßenreinigung und Winterdienst

Ministerverordnung möglich

8,02

Aus- und Weiterbildungsdienstleistungen der Arbeitsmarktförderung

Rechtsverordnung nur durch Kabinett möglich

7,60 9,53–10,71 (regional differenziert) 10,93–12,28 (regional differenziert)

Wach- und Sicherheitsgewerbe

Rechtsverordnung nur durch Kabinett möglich

6,00–8,32 (regional differenziert)

Pflegedienste (Altenpflege) – geplant –

Pflegekommission einberufen

Festlegung erfolgt durch Pflegekommission

Bauwirtschaft

Dachdeckerhandwerk Antrag gestellt

Elektrohandwerk (AVE)

Gebäudereinigerhandwerk Antrag gestellt

Maler- und Lackiererhandwerk

Wäschereidienstleistungen im Objektkundengeschäft

8,00 9,00

6,00–6,50 (regional differenziert)

Quelle: BDA-Tarifarchiv

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beabsichtigt. Im Hinblick auf die Anwendung des Mindestarbeitsbedingungengesetzes kann davon ausgegangen werden, dass soziale Verwerfungen vorliegen, wenn eine erhebliche Zahl von Arbeitnehmern unterhalb der von der Rechtsprechung gesetzten Zweidrittelgrenze entlohnt wird. Einer gesetzlichen Regelung bedürfte es dazu allerdings nicht.

Fehlentwicklungen im Arbeitskampfrecht stoppen Die Tarifautonomie ist eine zentrale Säule der Sozialen Marktwirtschaft. Sie ist die Grundlage einer tariflichen Friedensordnung und hat sich auch in Zeiten der Krise bewährt. Aus der Tarifautonomie wird nicht nur das Recht abgeleitet, Tarifverträge zu verhandeln, sondern auch das Arbeitskampfrecht im Allgemeinen und das Streikrecht ebenso wie das Recht zur Aussperrung im Besonderen. In jüngster Zeit hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) mehrere Urteile gefällt, welche die Tarifautonomie im Kern gefährden. Unter dem Deckmantel der Verhältnismäßigkeit wurden die Arbeitskampfmittel der Gewerkschaften erweitert, die Friedenspflicht der Tarifverträge wurde ausgehöhlt und das Verhältnis von Tarifrecht zur Betriebsverfassung in Frage gestellt. In der aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung hat sich die Verschiebung der Grenzen des Arbeitskampfrechts zu Lasten der Tarifautonomie und der Betriebe fortgesetzt. Es wurden vom BAG wie bereits von den Vorinstanzen jüngst sog. Flash-Mob-Aktionen im Einzelhandel als mögliche Arbeitskampfmittel zur Unterstützung eines Hauptarbeitskampfs anerkannt. Im konkreten Fall hatte eine Gewerkschaft im Dezember 2007 zu einem solchen „Blitzpöbel“ aufgerufen. Interessenten konnten sich nach einer Anmeldung im Internet per SMS über den geplanten Zeitpunkt und den Ort der Aktion informieren lassen. Bei dem folgenden Zusammentreffen hatten die Teilnehmer zahlreiche Einkaufswagen randvoll gefüllt und dann ohne Begründung in verschiedenen Gängen der Filiale oder mit dem Vorwand, das Geld vergessen zu haben, an der Kasse stehen lassen. Andere „Flash-Mobber“ kauften Pfennigartikel und hielten so eigentliche Kaufinteressenten zurück.

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Mit der grundsätzlichen Anerkennung der Flash-Mob-Aktionen hat das BAG das Fundament des Arbeitskampfrechts um eine neue Qualität erweitert. Solche scheinbar spontanen, überfallartigen Aktionen würden als ergänzende Maßnahmen zu einem laufenden Arbeitskampf grundsätzlich der geschützten Koalitionsfreiheit unterfallen. Damit kommt nicht mehr nur die gezielte Verweigerung der Arbeitsleistung als mögliche Arbeitskampfmaßnahme in Betracht, sondern im Ergebnis auch die gezielte Sabotage des betrieblichen Ablaufs. Dies wirkt wie eine Betriebsblockade. Darüber hinaus weitet das BAG die Möglichkeit zur Einbeziehung Dritter in den Arbeitskampf aus. Besonders schwer wiegt, dass die Gewerkschaften nicht ausschließen können, dass an solchen streikbegleitenden Aktionen sonstige Aktivisten mitwirken und damit die Gewerkschaft die Kontrolle über das Gesamtgeschehen verliert. Der Arbeitskampf wird also vom Arbeitsvertrag und damit von dem Arbeitsverhältnis, dessen Unterstützung er nach den Grundsätzen der Tarifautonomie dienen soll, abgekoppelt. Dem Arbeitgeber werden Verteidigungsmöglichkeiten faktisch aus der Hand genommen. Er kann sich gegen den „Flash-Mob“ kaum wehren. Die vom BAG vorgeschlagene Schließung des Betriebes oder die Ausübung des Hausrechts ist realitätsfremd. Sie lassen sich erst einsetzen, wenn sich vermeintliche Kunden als „Flash-Mobber“ erweisen und der Betrieb ohnehin schon stillsteht. Das Urteil fügt sich in die Reihe der neuen Entscheidungen ein, mit denen die Streikmöglichkeiten in einer die Tarifautonomie gefährdenden Weise ausgeweitet werden. Dies gilt für Streiks um Tarifsozialpläne ebenso wie für Arbeitskämpfe zur Unterstützung fremder Tarifziele. Bei den Streiks um Tarifsozialpläne geht es den Gewerkschaften in Wirklichkeit darum, die unternehmerische Entscheidung für einen konkreten Standort zu beeinflussen. Im Ergebnis bedeutet dies, dass sich der Arbeitgeber gegen Forderungen von zwei Seiten zur Wehr setzen muss. Was die Gewerkschaften von ihm erzwingen wollen, verhandelt er im Zweifelsfall ohnehin mit seinem Betriebsrat. Der vom Gesetzgeber gewollte Vorrang des Betriebsverfassungsgesetzes wird ausgehebelt. Beim Unterstützungsstreik wird der Arbeitskampf in einem Tarifgebiet dadurch unterstützt, dass in


einem anderen Tarifgebiet oder in einem nicht mittelbar oder unmittelbar vom Arbeitskampf betroffenen Geschäftsfeld ebenfalls die Arbeit niedergelegt wird. Betroffen sind also nicht die Arbeitgeber, mit denen ein Tarifvertrag geschlossen werden soll, sondern andere Unternehmer, die die Tarifforderung nicht erfüllen können und vielfach noch nicht einmal mittelbar vom Tarifgeschehen erfasst sind. Dies verletzt das Vertrauen in die Friedenspflicht der Tarifverträge, insbesondere, wenn in den betroffenen Betrieben andere Tarifverträge gelten und sie gleichwohl zur Durchsetzung von Tarifforderungen anderer Unternehmen bestreikt werden können. Sollte die Rechtsprechung diese Regelhaftigkeit des Arbeitskampfs und die Friedenspflicht der Tarifverträge weiter in Frage stellen, muss die Tarifautonomie durch einen gesetzlichen Ordnungsrahmen geschützt werden.

Tarifeinheit gesetzlich klarstellen Neben der einseitigen Ausweitung gewerkschaftlicher Streikmöglichkeiten durch die Rechtsprechung gefährden weitere aktuelle Entwicklungen die Tarifautonomie. So ist bis heute unklar, wie die Rechtsprechung auf das Erstarken einzelner Fachgruppenvertretungen, sog. Spartengewerkschaften, reagieren wird. Die Zerfaserung der Tarifordnung durch Spartengewerkschaften gefährdet die Bereitschaft eines Unternehmens, dem Tarifsystem beizutreten und in ihm zu verbleiben. Bahn und Lufthansa mussten in diesem Jahr einen hohen Preis dafür zahlen, die Tarifeinheit im Betrieb zu sichern. Aber auch in anderen Bereichen tritt zunehmend das Problem auf, dass Spartengewerkschaften trotz eines für alle Beschäftigten geltenden Tarifvertrags versuchen, ihre Einzelinteressen durch Streik durchzusetzen. Eine zusätzliche Qualität erfährt diese Entwicklung durch das Zusammentreffen von Spartengewerkschaften und Unterstützungsstreiks, wie es am Flughafen Stuttgart zu beobachten war. Wenige Vorfeldlotsen, die „Parkeinweiser“ für Flugzeuge, hatten trotz des auch für sie geltenden ­TVöD versucht, einen eigenen Tarifvertrag durchzusetzen. Nur weil die Gewerkschaft der Fluglotsen im Rahmen eines Unterstützungsstreiks von Frankfurt aus den Stuttgarter Flughafen lahmlegte, konnte ein Ergebnis erzwungen werden.

Die Friedenspflicht während der Laufzeit eines Tarifvertrags ist eine wichtige Voraussetzung für eine funktionierende Tarifautonomie. Deshalb muss der bewährte Grundsatz der Tarifeinheit, wonach in einem Betrieb grundsätzlich nur ein Tarifvertrag mit demselben Geltungsbereich zur Anwendung kommen kann, weiter Gültigkeit haben. Den Unternehmen drohen ansonsten ständig Arbeitskämpfe, Tarifverträge verlieren ihre bindende Wirkung und das Tarifsystem gerät in Gefahr. Vor diesem Hintergrund setzt sich die BDA dafür ein, dass der Grundsatz der Tarifeinheit als tragende Säule des Tarifrechts gesetzlich abgesichert wird.

Spaltung der Belegschaft durch Anerkennung von Differenzierungsklauseln Seit einer Entscheidung des Großen Senats des BAG stand fest: Differenzierungsklauseln, die in Tarifverträgen eine unterschiedliche Behandlung von Gewerkschaftsmitgliedern und Nichtmitgliedern vorsehen, sind unzulässig. Diese klare Rechtslage wurde durch eine aktuelle Entscheidung des BAG aufgeweicht, in der zumindest eine einfache Differenzierungsklausel für grundsätzlich zulässig erklärt wurde. Ausdrücklich zugelassen hat das BAG aber nur eine solche Differenzierungsklausel, welche die Gewerkschaftszugehörigkeit des Arbeitnehmers zur Voraussetzung für einen bestimmten Anspruch machte, ohne es dem Arbeitgeber zu versagen, auf individualvertraglicher Ebene die Leistung auch anderen Arbeitnehmern zu gewähren. Aber auch die einfachen Differenzierungsklauseln sind nicht uneingeschränkt zulässig. Differenzierungsklauseln dürfen selbst nach dem BAG nicht an Regelungen des Austauschverhältnisses von Leistung und Gegenleistung anknüpfen, die Grundlage des laufenden Lebensunterhalts sind und die im Arbeitsleben jedenfalls regelmäßig als Maßstab für die Bemessung der angemessenen und üblichen Arbeitsbedingungen dienen. Auch die Differenzierung bei Sonderleistungen darf keine Höhe erreichen, die dieses Verhältnis im wirtschaftlichen Ergebnis maßgeblich beeinflusst. Der Arbeitgeber kann bei einer einfachen Differenzierungsklausel durch eine entsprechende Gestaltung der Bezugnahmeklausel oder andere

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vertragliche Regelungen mit Nichtgewerkschaftsmitgliedern sicherstellen, dass auch diesen die tarifvertraglich auf Gewerkschaftsmitglieder beschränkte Leistung zukommt. Anders ist es bei der sog. qualifizierten Differenzierungsklausel. Hier wird über ein ausdrückliches Verbot oder eine sog. Spannenklausel sichergestellt, dass die nicht oder in anderen Gewerkschaften Organisierten die Leistung nicht erhalten oder sich der Bonus für die Gewerkschaftsmitglieder entsprechend erhöht. Dies ist nicht nur ein Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit der nichttarifgebundenen Arbeitnehmer, sondern vor allem ein unzulässiger Eingriff in die Handlungsund Vertragsfreiheit der betroffenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Mit einer entsprechenden qualifizierten Differenzierungsklausel wird sich das BAG in naher Zukunft zu befassen haben. In der zugrunde liegenden Entscheidung hatte das Arbeitsgericht Hamburg eine solche Klausel für zulässig angesehen und Sprungrevision zum BAG zugelassen.

BAG zu OT-Mitgliedschaft Nachdem das BAG im vergangenen Jahr mit der grundsätzlichen Anerkennung der OT-Mitgliedschaft im Stufenmodell in einem erfreulichen Maße zur Rechtssicherheit beigetragen hat, konterkarieren aktuelle Entscheidungen zu den konkreten Satzungsanforderungen diese Rechtssicherheit wieder. Hintergrund der 2009 entschiedenen Fälle war die Frage, wie die Abgrenzung der OT-Mitgliedschaft von der T-Mitgliedschaft konkret aussehen muss. Das BAG hatte bereits 2008 darauf hingewiesen, dass die Arbeitgeberverbände bei Tarifangelegenheiten in ihren Satzungen die Befugnisse von OT- und T-Mitgliedern klar trennen müssen. Dies wurde in den folgenden Entscheidungen konkretisiert. Danach dürfen OT-Mitglieder keine Entscheidungsbefugnis bei tarifpolitischen Angelegenheiten haben oder diese unmittelbar beeinflussen können. So dürfen OT-Mitglieder z. B. nicht in die Tarifkommissionen des Verbands entsandt werden, den Verband im Außenverhältnis tarifpolitisch vertreten und über den konkreten Einsatz von Arbeitskampfmitteln entscheiden. Als zulässig wurde es vom BAG angesehen, wenn OT-Mitglieder die allgemeinen Mitwirkungsrechte eines „gewöhnlichen“ Vereins-

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mitglieds haben, die keinen Bezug zur Tarifpolitik aufweisen. Wo allerdings genau die Trennlinie zwischen zulässiger und unzulässiger Mitwirkung zu ziehen ist, lässt das BAG weitgehend offen. Dies gibt Anlass zur Sorge, dass bewusst eine Verunsicherung in Kauf genommen wird.

Tariftreueregelungen der Länder zu weitgehend Auf Länderebene gibt es Versuche, an Tariftreue­ regelungen festzuhalten, obwohl der Europäische Gerichtshof im „Rüffert-Urteil“ die Vereinbarkeit mit europäischem Recht verneint hat. Während die europarechtskonforme Umgestaltung der hamburgischen und niedersächsischen Vergabevorschriften allgemeinverbindliche Tarifverträge im Sinne des AEntG als maßgeblich für Tariftreueerklärungen vorsieht, gehen andere Länderinitiativen deutlich über dieses Regelungsmaß hinaus. So sind z. B. in Berlin, Bremen und Thüringen allgemeine Mindestlöhne sowie Tarifentgelte im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs als Vergabebedingungen geplant. Flankiert werden sollen diese Vorgaben mit teils umfangreichen Kontroll- und Sanktionsbefugnissen, die über die Regelungen des Vergaberechts auf Bundesebene und des ­AEntG hinausgehen. Diesen aktuellen Entwicklungen im Landesvergaberecht begegnen erhebliche europa- und verfassungsrechtliche Bedenken. Durch die unterschiedliche Behandlung werden Bieter, insbesondere die Personenverkehrsdienste, diskriminiert. Der Bereich Mindestlohn ist zudem eine Materie, die in die Zuständigkeit des Bundes fällt und im AEntG bereits abschließend geregelt ist. Das Vergaberecht dient der transparenten Versorgung der öffentlichen Hand mit Gütern und Dienstleistungen und hat sich in erster Linie an Aspekten der Wirtschaftlichkeit zu orientieren. Vor diesem Hintergrund sind insbesondere Tariftreueerklärungen und Mindestlöhne als arbeitsrechtliche Materie ein Fremdkörper im Vergaberecht.





Bildung ist Zukunftsthema Nummer eins Der Bildungsgipfel von Bund und Ländern und die Verabredung einer gemeinsamen Qualifizierungsinitiative für Deutschland „Aufstieg durch Bildung“ liegen ein Jahr zurück. In der tief greifenden Wirtschaftskrise des Jahres 2009 hat es sich bewährt, dass Bundeskanzlerin und Ministerpräsidenten gemeinsam Bildung zur Chefsache gemacht haben. Unter schwierigen Rahmenbedingungen sind erkennbare Fortschritte erzielt worden, z. B. bei der Verbesserung der Berufsorientierung in der Schule und beim Abbau gesetzlicher Hürden und formaler Ausschlussgründe, die bisher das Hochschulstudium beruflich Qualifizierter ohne Abitur weitgehend verhindert haben. Auf anderen Reformfeldern ist jedoch wenig Bewegung zu erkennen. Dazu gehören die Verbesserung der frühkindlichen Bildung, der bedarfsgerechte Ausbau der strukturierten Ganztagsschule, die Verbesserung der Studienbedingungen zur Verringerung der Abbrecherquote und entschiedene Schritte zu mehr Selbstständigkeit für Schulen und Hochschulen. Es ist deshalb sehr zu begrüßen, dass die neue Bundesregierung im Koalitionsvertrag Bildung als gesamtstaatliche Aufgabe in enger Partnerschaft von Bund, Ländern und Kommunen unter Wahrung der jeweiligen staatlichen Zuständigkeiten definiert. Mit der Zusicherung, die anteiligen Ausgaben des Bundes für Bildung und Forschung bis 2013 um insgesamt 12 Mrd. € zu erhöhen, bekennt sie sich zu den Zielen der Dresdner Bildungsinitiative von Bund und Ländern, Deutschland zur Bildungsrepublik zu machen und 10 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in Bildung und Forschung zu investieren. Erste Weichen zur Verteilung des erforderlichen finanziellen Aufwuchses zur Erreichung des 10%-Ziels wurden beim Treffen der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten der Länder am 16. Dezember 2009 gestellt. Wichtig ist, dass dies nun zügig konkretisiert und in wirksame Maßnahmen zur Verbesserung der Bildung umgesetzt wird. BDA und BDI unterstützen und bestärken die Politik darin, gerade jetzt die richtigen Entscheidungen für Investitionen in das Wissen und Können insbesondere der nachfolgenden Generationen zu treffen.

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Von der Sicherung optimaler Bildungschancen hängen nicht nur die Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit der Wirtschaft, sondern auch der Wohlstand und die soziale Sicherung der gesamten Gesellschaft ab. Um die mit knapp 8 % viel zu hohe Schulabbrecherquote zu halbieren und um den doppelten Abiturientenjahrgängen, die jetzt auf die Hochschulen zukommen, exzellente Studienbedingungen zu bieten, muss der Ressourcenspielraum, der durch die demografische Entwicklung entsteht, zur Verbesserung der Bildungsqualität in Schule und Hochschule genutzt werden. Frühe Sprachstandserhebungen und individuelle Förderung schon in der Vorschule müssen sicherstellen, dass insbesondere auch das Potenzial des stark anwachsenden Anteils von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund voll entfaltet wird.

Trotz schwieriger wirtschaftlicher Entwicklung weiterhin auf MINTNachwuchs setzen Gut qualifizierte Menschen sind die entscheidende Voraussetzung dafür, dass Deutschland langfristig wettbewerbs- und innovationsfähig bleibt. Deshalb kann die Krise nicht rechtfertigen, auf diesem Feld weniger Kraft und Mittel zu investieren. Der Fachkräftemangel bei Ingenieuren, Naturwissenschaftlern, Informatikern und Technikern ist kein konjunkturelles, sondern ein strukturelles Problem, das trotz der Krise fortbesteht. Zur quantitativen und qualitativen Sicherung des MINT-Nachwuchses müssen Unterricht und Lehre in Schule und Hochschule deshalb in diesem Bereich Prioritäten setzen. Das Ziel der Sicherung des MINT-Nachwuchses unterstützen BDA und BDI mit ihrer gemeinsamen Initiative „MINT Zukunft schaffen“, die 2009 fortgesetzt und weiter ausgebaut wurde. Anlässlich des 40. Jahrestags der Mondlandung präsentierte der Vorsitzende der Initiative, Thomas Sattelberger, Personalvorstand der Deutschen Telekom AG, der Öffentlichkeit im Juli das „MINT-Meter“, das monatsaktuell unter www.mintzukunftschaffen.de Daten, Zahlen und Fakten der aktuellen und künftigen MINT-Arbeitsmarktsituation (MINT-Lücke) sowie jährlich den Stand der aus den Benchmarks der Initiative ab-


geleiteten Indikatoren darstellt. Die MINT-Fachkräftelücke liegt derzeit bei rd. 40.000. Spätestens nach Ende des konjunkturellen Tiefs ist mit einer weiteren Öffnung dieser Lücke zu rechnen. Allein für altersbedingt ausscheidende MINTFachkräfte braucht die deutsche Wirtschaft jährlich 50.000 bis 60.000 Nachwuchskräfte. Weitere rd. 50.000 MINT-Professionals jährlich brauchen die Unternehmen, um zu expandieren. Die zu erwartende Zahl an Hochschulabsolventen kann diesen hohen Bedarf bei Weitem nicht decken. Das Netzwerk erreicht inzwischen mehr als

3 Mio. Schüler, Studierende und Lehrende. Eine Umfrage bei den Partnerinitiativen im Juni 2009 hat ergeben, dass es 31.000 Unternehmen sowie mehr als 33.000 Schulen und Hochschulen umfasst. Allein 4.000 Kontaktstellen zur Förderung der MINT-Ausbildung gibt es an Schulen und Hochschulen. Mehr als 88.000 Anfragen erreichen jährlich die Initiatoren im Partnernetz „MINT Zukunft schaffen“. Dabei erfasste die Befragung nur Aktivitäten, die rein aus Unternehmensmitteln finanziert sind. Die Ergebnisse beweisen: Die deutsche Wirtschaft meint ihr Engagement ernst.

Fachkräftelücken im MINT-Segment Anzahl 200.000

160.000

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80.000

40.000

0 Aug 2000

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MINT gesamt Ingenieure Datenverarbeitungsfachleute Techniker Naturwissenschaftler Quelle: eigene Berechnung auf Basis von Zahlen der Bundesagentur für Arbeit, 2009; IW-Zukunftspanel 2009

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Denn auch unter den gewandelten konjunkturellen Vorzeichen muss weiterhin unter jungen Menschen für MINT-Ausbildungs- und Studiengänge geworben werden. Dies geschah in großem Rahmen bei der zweiten MINT-Botschafterkonferenz, die am 2. November 2009 unter dem Motto „Brücke zur jungen Generation“ in Berlin stattfand. Unter den rd. 200 Teilnehmern waren insbesondere Schüler, Lehrer, Studierende, Eltern und Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik. Ein knappes Jahr nach dem Startschuss für die Botschafterinitiative verleihen bereits mehr als 1.500 Botschafter der in „MINT Zukunft schaffen“ organisierten Partner der Initiative ihr persönliches Gesicht. Sie stehen Schulen und Hochschulen in vielfältiger Weise mit ihren Kompetenzen und ihrem Engagement z. B. für Vorträge, Betriebsbesichtigungen oder auch Mentoring-Tätigkeiten zur Verfügung. Im Mittelpunkt der Konferenz standen erfolgreiche Beispiele von Botschaftertätigkeiten, die bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen Freude an Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik wecken und Perspektiven für eine berufliche MINT-Zukunft aufzeigen. Das Einstellungs- und Übernahmeverhalten der Unternehmen blieb bei MINT-Absolventen auch im Krisenjahr 2009 weitgehend konstant. Damit dies auch im kommenden Jahr so bleibt, haben sich Arbeitgeberpräsident Dr. Dieter Hundt und BDI-Präsident Prof. Dr. Dr. Hans-Peter Keitel mit einem gemeinsamen Schreiben an die Unternehmen in Deutschland gewandt und für eine nachhaltige Personalpolitik sowie ggf. die Nutzung von Überbrückungsinstrumenten geworben. Auch das Präsidium der BDA hat sich mit den aktuellen Chancen für MINT-Fachkräfte beschäftigt und Instrumente diskutiert, mit denen MINT-Absolventen in der Wirtschaftskrise Brücken in den Arbeitsmarkt gebaut werden können. Bundesbildungsministerin Prof. Dr. Annette Schavan hat sich mit den Spitzenorganisationen der deutschen Wirtschaft, den Gewerkschaften, der Bundesagentur für Arbeit, der Kultusministerkonferenz (KMK) und Vertretern von Forschung und Hochschulen über die aktuellen Beschäftigungsperspektiven von Ausbildungsabsolventen und jungen Ingenieuren am 18. September 2009 beraten und Folgegespräche auf Arbeitsebene im

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Zweimonatsrhythmus verabredet. Die BDA hat in diesen Gesprächen dargelegt, dass keine zusätzlichen Arbeitsmarktinstrumente erforderlich sind, weil die Unternehmen bei der Übernahme ihrer Auszubildenden und bei der Einstellung junger Ingenieure und Naturwissenschaftler weitgehend auf Kontinuität setzen. Auch wenn sich die Ingenieurlücke, d. h. die Differenz zwischen gesamtwirtschaftlichem Stellenangebot und Arbeitslosenzahl, im Vergleich zum August 2008 (68.000) und zum Juni 2009 (35.000) weiter geschlossen hat, liegt der Bedarf der Wirtschaft an Ingenieuren aktuell immer noch um knapp 30.000 über dem verfügbaren Angebot. Wirtschaft und Politik werden die Situation der Ausbildungs- und Hochschulabsolventen in den kommenden Monaten genau beobachten. Das verantwortungsbewusste Übernahme- und Einstellungsverhalten der Unternehmen und die ergänzenden Initiativen der Wirtschaft zur Vorbereitung von Beschäftigungsbrücken werden ausdrücklich anerkannt. Gemeinsames Ziel ist, negative Signale an die Jugendlichen, die heute ihre Studien- und Berufswahl treffen, zu vermeiden, um so den in den kommenden Jahren dringend benötigten technischen und naturwissenschaftlichen Fachkräftenachwuchs zu sichern. Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „MINT Zukunft schaffen“ sowie den kompakt „Fachkräftesicherung“ veröffentlicht.

Tagung „Schwache Schüler – stark machen“ erfolgreich durchgeführt Am 15. Juli wurde im Haus der Deutschen Wirtschaft die BDA/BDI-Tagung „Schwache Schüler – stark machen“ erfolgreich durchgeführt. Unter den 130 Teilnehmern befanden sich zahlreiche Lehrer, Studierende, Eltern und Vertreter aus Schule, Wissenschaft, Wirtschaft und Politik. Mit rd. einem Fünftel bilden schwache Schülerinnen und Schüler nach wie vor eine große Problemgruppe innerhalb des deutschen Schulsystems. Bislang ist es nicht gelungen, ihren Anteil deutlich und in der Breite zu senken. Dabei bemühen sich Lehrkräfte und Schulen oft sehr intensiv und engagiert um diese Zielgruppe. Zu häufig führen fehlende Ausbildungsreife oder ein Verlassen


Betrachtet man die Schulart, aus der junge Menschen ohne einen Hauptschulabschluss abgehen, so kommt die Mehrheit von ihnen inzwischen nicht mehr aus den Haupt-, sondern aus den Förderschulen. Während 1998 fast 42 % der Schüler ohne Abschluss dieser Schulform entstammten, waren dies 2007 bereits 54 %. Dies macht deutlich, dass bei der Förderung schwacher Schüler die Förderschulen verstärkt in den Blick genommen werden müssen. BDA und BDI engagieren sich seit langem dafür, die Talente von Förderschülern gezielt zu unterstützen und ihnen den Weg in

der Schule ohne Abschluss Jugendliche in Übergangsmaßnahmen, die die Defizite der Schulbildung zeit- und kostenintensiv ausgleichen und die notwendigen Kompetenzen nachträglich vermitteln müssen. Vor dem Hintergrund der rückläufigen demografischen Entwicklung und immer weniger Fachkräftenachwuchs, aber auch aus sozialen Gründen ist es nicht akzeptabel, dass einem Großteil der Jugendlichen der Übergang in Ausbildung nur auf Umwegen gelingt und viele sogar dauerhaft ohne eine abgeschlossene Qualifizierung bleiben.

Quote der Abgänger ohne Hauptschulabschluss sinkt nur langsam Abgänger ohne Hauptschulabschluss an altersgleicher Wohnbevölkerung

in % 12

10

9,0

9,1

9,4

9,7 9,2

8,8

8,6

8,1

8

8,0

7,7

6

4

2

0 1998

1999

2000

2001

2002

2003

2004

2005

2006

2007

Quelle: Kultusministerkonferenz, 2009

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Ausbildung zu ermöglichen. Beim Wettbewerb „Starke Schule – Deutschlands beste Schulen, die zur Ausbildungsreife führen“ erreichte 2009 mit der Fritz-Walter-Schule aus Kaiserslautern eine Förderschule den dritten Platz. Der Schule gelingt es, über 30 % ihrer Schulabgänger in eine reguläre Ausbildung und 90 % zum Hauptschulabschluss zu bringen. Das besondere Konzept der Schule wurde von ihrem Schulleiter Gerhard Bold im Rahmen der Tagung vorgestellt. Nach der Eröffnung der Tagung durch Dr. Gerhard F. Braun, Vizepräsident der BDA,

machte Prof. Thomas Rauschenbach, Direktor des Deutschen Jugendinstituts (DJI), in seinem Vortrag die Herausforderung deutlich, die schwache Schüler für das Schul- und Ausbildungssystem bedeuten. In der anschließenden Podiumsrunde diskutierten Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Schulen über konkrete Wege der individuellen Förderung von schwachen Schülern bis zur Einmündung in den Ausbildungsmarkt. In Foren vertieft behandelt wurden die Themen „Berufsorientierung“, „Jungen als besondere Problemgruppe schwacher Schüler“ sowie „Übergang von Schule in Ausbildung“.

Schwache Schüler stark machen – Forderungskatalog Präventiv ansetzen – Ausbildungsreife in der Schule sicherstellen Schulen müssen optimal auf den Übergang in Ausbildung vorbereiten und die Ausbildungsreife der Schulabgänger sicherstellen. Hierzu gehören neben den Kulturtechniken auch die Vermittlung ökonomischer Grundkenntnisse und eine fundierte Berufsorientierung. Praxisnah ansetzen – zum Lernen motivieren Gerade leistungsschwächere Jugendliche können durch einen konkreten Praxisbezug zum Lernen motiviert werden. So wird anschaulich, warum etwas gelernt wird. Erfolgserlebnisse stärken das Selbstbewusstsein der ansonsten häufig mit Misserfolgen konfrontierten Jugendlichen. Daher muss gerade die Qualifizierung von lernschwachen Jugendlichen in Schule, Berufsvorbereitung, Ausbildung und Nachqualifizierung stark an der Praxis ausgerichtet werden bzw. möglichst direkt in der betrieblichen Praxis erfolgen. Übergänge systematisieren – Transparenz schaffen Für die Jugendlichen, denen der Eintritt in Ausbildung trotz guter schulischer Vorbereitung nicht auf Anhieb gelingt, sind passende Übergänge nötig. Neben dem direkten Praxisbezug sollten solche Angebote differenziert auf die Problemlagen der Jugendlichen eingehen können. Darüber hinaus müssen die Kompetenzen, die in der Übergangsphase vermittelt werden, transparent gemacht werden. So können insbesondere Betriebe erkennen, welche Voraussetzungen der Jugendliche mitbringt, und ggf. einzelne fachliche Inhalte auf eine Ausbildung anrechnen. Ermöglicht wird so eine engere Verknüpfung mit der Ausbildung, die eine Doppelqualifizierung vermeidet. Angebote differenzieren – Einstiegsmöglichkeiten schaffen An der Schwelle zur Ausbildung stehen Jugendliche mit unterschiedlichem Begabungspotenzial und Interessen. Gleichzeitig gibt es berufliche Tätigkeiten mit unterschiedlichem Anforderungsprofil. Ausbildungsbzw. Qualifizierungsmöglichkeiten müssen stärker diesen unterschiedlichen Anforderungen gerecht werden und dafür differenziert gestaltet werden können. Jugendlichen, die (zunächst) keine komplette Ausbildung schaffen, muss die Vermittlung von Teilqualifizierungen ermöglicht werden. Diese Chance sollte auch Personen ohne Berufsabschluss in der Nachqualifizierung offenstehen.

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Oft fehlt an Schulen ein Gesamtkonzept, das die Einzelmaßnahmen zur Berufsorientierung sinnvoll miteinander verbindet und so zu einer systematischen und aufeinander aufbauenden Berufsorientierung führt. Diese Lücke soll mit dem neuen „Leitfaden Berufsorientierung“ der Bertelsmann Stiftung und der Bundesarbeitsgemeinschaft ­SCHULEWIRTSCHAFT geschlossen werden, der in einem der drei Nachmittagsforen vorgestellt wurde. Er bietet als Qualitätsmanagementsystem eine fundierte Unterstützung bei der Umsetzung schulindividueller, nachhaltiger Konzepte zur Berufsorientierung (www.schulewirtschaft.de). Nachdem über Jahre die Förderung von Mädchen ein besonderer Schwerpunkt war, sind nun Jungen unter den schwachen Schülern überproportional vertreten. Welche Faktoren für den mangelnden Bildungserfolg vieler Jungen ausschlaggebend sind, wurde von Prof. Dr. Bettina Hannover (FU Berlin) wissenschaftlich analysiert und in einem weiteren Forum vorgestellt. Lösungsansätze aus der Praxis zeigte Birgit Berendes, Leiterin der Möhnesee-Schule (Bundessieger Hauptschulpreis 2007), auf. Als beispielhaft für die erfolgreiche Gestaltung des Übergangs von Schule in Ausbildung wurde die Maßnahme „Starthilfe“ der Bayer AG in einem dritten Forum präsentiert. Sie bietet Jugendlichen ohne ausreichende Qualifikationen die Chance, schulische Defizite aufzuholen und berufsrelevante Kenntnisse zu erwerben. Mit diesem einjährigen Trainingsprogramm verhalf Bayer bislang knapp 700 Jugendlichen zu einer Lehrstelle im Unternehmen. Auch durch das Programm „Zukunft fördern. Vertiefte Berufsorientierung gestalten“ werden Schulen bei der Berufsorientierung unterstützt, indem sie aus zehn Modulen wählen können, angepasst an ihre individuellen Programme und Konzepte. Das Programm wird gefördert durch die Regionaldirektion NRW, die Bundesagentur für Arbeit und das Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen. Die BDA wird im Januar 2010 eine Dokumentation der Tagung veröffentlichen.

Lehrerbildung praxisnah gestalten Eine hochwertige und zielführende Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte ist ein entscheidender Schlüssel für Bildung und Erziehung in unseren Schulen. Die BDA setzt sich daher dafür ein, dass das Lehramtsstudium an deutschen Universitäten deutlich verbessert, praxisorientiert gestaltet und aus der kontraproduktiven staatlichen Detailsteuerung befreit wird. Ihre zentralen Forderungen haben BDA und BDI im Jahr 2008 in gemeinsamen Leitlinien für die Lehrerbildung formuliert und veröffentlicht. Im Sommer 2009 fand ein intensiver Austausch von BDA und BDI mit der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) über den Reformbedarf in der Lehrerbildung statt. Beide Partner stimmen in ihren Reformkonzepten zur Lehrerbildung weitgehend überein und vertreten gegenüber der Politik die Forderung, dass die Verantwortung der Hochschulen für die Lehramtsstudiengänge gestärkt werden muss. Zwar entwickeln die Länder einheitliche Standards für die Lehrerbildung, diese müssen jedoch von den Hochschulen in Bachelor- und Masterstudiengänge umgesetzt werden. Durch die Orientierung an einem vielfältigen und modernen Berufsbild des Lehrers muss bereits im Studium eine starke Praxisorientierung hergestellt werden. BDA, BDI und HRK werden sich weiterhin konsequent für eine Verbesserung der Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften einsetzen.

Ökonomische Bildung fest in der Schule verankern Ein großer Teil der Jugendlichen und jungen Erwachsenen hat Interesse an Wirtschaft und sieht Informationen über ökonomische Zusammenhänge als wichtig an. Dabei werden diese Informationen zunehmend von der Schule erwartet. Sieben von zehn jungen Menschen zwischen 14 und 24 Jahren fordern mehr Wirtschaft in der Schule, und nahezu acht von zehn Befragten (Jugendliche und Erwachsene) sprechen sich konkret für ein eigenes Schulfach „Wirtschaft“ aus.

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Um die wirtschaftliche Krise dauerhaft zu überwinden, muss es Politik und Wirtschaft gelingen, das Vertrauen in die Soziale Marktwirtschaft zurückzugewinnen. Dies kann vor allem durch eine breite und praktisch anwendbare ökonomische Bildung in der Schule umgesetzt werden. Ökonomische Bildung ermöglicht es, als mündige Wirtschafts- und Staatsbürger verantwortungsvoll zu handeln und die Soziale Marktwirtschaft als Lösung und nicht als Ursache der wirtschaftlichen Probleme zu erkennen. Gerade junge Menschen benötigen wirtschaftliche Grundkenntnisse und

Kompetenzen, um eine eigenverantwortliche und sachkundige Entscheidung für Ausbildung, Studium und berufliche Laufbahn zu treffen. Um die ökonomische Bildung an allgemeinbildenden Schulen zu fördern, ergreifen BDA und BDI vielfältige Initiativen. Der „Gemeinschaftsausschuss der Deutschen Gewerblichen Wirtschaft“ hat ein Konsortium um Prof. Dr. Thomas Retzmann (Universität Duisburg-Essen, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Ökonomische Bildung) damit beauftragt, Bildungsstandards für

Verstärkte Vermittlung ökonomischer Bildung in der Schule gefordert „Die Vermittlung wirtschaftlicher Zusammenhänge in der Schule sollte verstärkt werden.“

„Es sollte ein eigenes Schulfach ,Wirtschaft‘ eingeführt werden.“

in %

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2003 2006 2009 Quelle: Bankenverband; Jugendstudie 2009

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die ökonomische Bildung im Rahmen eines eigenständigen Schulfachs „Wirtschaft“ zu entwickeln. Unter dem Arbeitsthema „Wirtschaft in der Schule 2009/2010“ wird ebenfalls das Konzept eines entsprechenden Lehrerstudiengangs präsentiert werden. In Kontakt mit Schulbuchverlagen werden die Gestaltung von Schulbüchern und die ausgewogene und realistische Darstellung von Wirtschaftsthemen aktiv von der BDA unterstützt. Materialien zur Berufsorientierung in der Schule bilden dabei einen besonderen Schwerpunkt. BDA und BDI haben in einem gemeinsamen Beschluss ihre Forderung nach mehr und besserer ökonomischer Bildung in Schule und Hochschule erneuert und mit der Formulierung von Handlungsschwerpunkten untermauert. Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „Ökonomische Bildung“ veröffentlicht.

Deutscher Arbeitgeberpreis für Bildung zeichnet vorbildliche Vermittlung ökonomischer Bildung aus Mit dem Deutschen Arbeitgeberpreis für Bildung 2009, der in Kooperation mit der Deutschen Telekom AG vergeben wird, wurden beim Deutschen Arbeitgebertag eine Schule, eine Berufsschule und eine Hochschule ausgezeichnet, die beispielhafte Konzepte zur Vertiefung des Verständnisses von wirtschaftlichen Zusammenhängen umsetzen. Preisträger in der Kategorie „Schule“ ist das Evangelische Lichtenstern-Gymnasium Sachsen­ heim (Baden-Württemberg). Dort ist Ökonomie als eigenständiges Profilfach durchgängig ab Klasse 5 verankert. Es handelt sich um einen vom Kultusministerium Baden-Württemberg anerkannten Modellversuch, der seit sieben Jahren erfolgreich umgesetzt und kontinuierlich evaluiert wird. Das Konzept überzeugt durch sein vielfältiges Angebot zur ökonomischen Kompetenzentwicklung der Schüler, bei dem theoretische und praktische Bereiche miteinander verknüpft und handlungsorientiert vermittelt werden. Dabei wird altersgemäß ökonomisches Basiswissen in einem

wirtschaftsethischen Kontext vermittelt und fächerübergreifend vertieft. Dies reicht vom Thema „Landwirtschaft“ und den lokalen wirtschaftlichen Gegebenheiten von Weinbau und Saftherstellung (Unterstufe) bis hin zu ökologisch-sozialen Fragen der Globalisierung für die älteren Schüler. Innerhalb des Projekts „Lernen durch Lehren“ vermitteln Schülerinnen ihr Basiswissen im Bereich Ökonomie den Schülern der örtlichen Förderschule. Auch auf die Qualifikation der Lehrkräfte wird besonderer Wert gelegt: Entweder verfügen sie als Lehrer aus beruflichen Gymnasien über einen eigenen betriebswirtschaftlichen Hintergrund, oder sie werden durch das Programm „Wirtschaft online“ weiterqualifiziert. Preisträger in der Kategorie „Berufsschule“ ist die Louise-Schroeder-Schule in Wiesbaden. Mit der virtuellen Lernfirma „Parkhotel Wiesbaden KG“ gelingt es der Berufsschule, ein nachhaltig wirtschaftendes Unternehmen zu simulieren und damit das gesamte Curriculum für die Ausbildung von Hotel- und Restaurantfachleuten abzubilden. Vermittelt wird zudem die Zusatzqualifikation Hotelmanagement. Ausgehend von realitätsnahen ökonomischen Handlungs- und Entscheidungssituationen werden Lernsituationen in vollständigen Handlungszyklen weitgehend eigenverantwortlich und selbstgesteuert angelegt. In Kooperation mit dem Schülerbistro „Fresko“ werden Teile des Curriculums auch als Realprojekte vermittelt. Die Berufsschule legt bei der Gestaltung des Curriculums besonderen Wert auf Nachhaltigkeit und trägt den von der ­UNESCO verliehenen Titel „Offizielles Projekt der UN-Weltdekade 2009/2010 Bildung für nachhaltige Entwicklung“. Durch die Durchführung von schulinternen pädagogischen Tagen und die Einbindung von Lehrkräften in Fortbildungsreihen wird der Weiterqualifikation von Schülern und Lehrpersonal besonderes Gewicht verliehen. Preisträger in der Kategorie „Hochschule“ ist das Department für Wirtschafts- und Rechtswissenschaften der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Institut für Ökonomische Bildung (IfÖB), gemeinsam mit dem Institut für Ökonomische Bildung (IÖB), An-Institut der Universität Oldenburg. Beide Institute verfügen gemeinsam über ein schlüssiges Gesamtkonzept zur nachhaltigen Etablierung ökonomischer Bildung im Schulsystem im Rahmen der universitären Lehrerausbil-

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dung. Akkreditierte und internetgestützte Bachelor-/Masterstudiengänge für ökonomische Bildung zeigen konkret und gestützt durch Grundlagen- und Anwendungsforschung, wie ökonomische Bildung von Klasse 1 bis zum Abitur in allgemeinbildenden Schulen umgesetzt werden kann. Durch zahlreiche Veranstaltungen, Projekte und Wettbewerbe werden alle Anspruchsgruppen in die Gestaltung der ökonomischen Bildung einbezogen und ein ständiger Austausch zwischen diesen ermöglicht. Besondere Schwerpunkte bilden dabei die Qualifizierung von Lehrkräften für die Fächer „Wirtschaft“ und „Politik/Wirtschaft“ sowie die Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften während ihrer Berufspraxis.

Jahresthema SCHULEWIRTSCHAFT 2009/2010: „Ökonomische Bildung stärken“

men informieren und inspirieren lassen. Für Lehrkräfte steht vielfältiges Material bereit. So werden z. B. in den Reihen „Wirtschaft und Unterricht“ und „Thema Wirtschaft“ aktuelle Themen für den Einsatz im Unterricht didaktisch aufbereitet. Unternehmen des Netzwerks ­SCHULEWIRTSCHAFT öffnen ihre Tore für Betriebserkundungen, stellen Experten für den Unterricht zur Verfügung und ermöglichen am Lernort Betrieb die Zusammenarbeit in konkreten Projekten. Die Firmen bieten außerdem Praktika für Schüler sowie für Lehrkräfte an. Im Rahmen der SCHULEWIRTSCHAFTTagung zum Jahresthema am 2. Dezember 2009 in Köln wurden die Bedeutung der ökonomischen Bildung und ihre Zukunftsperspektiven beleuchtet, praktische Ansätze zur Umsetzung ökonomischer Themen in der Schule vorgestellt sowie erste Ergebnisse einer umfassenden Studie zum Bild von Unternehmern und Wirtschaft in Schulbüchern präsentiert. Weitere Informationen unter www.schulewirtschaft.de.

Das Netzwerk SCHULEWIRTSCHAFT hat sich für 2009/2010 den Themenschwerpunkt „Ökonomische Bildung stärken – Schule und Wirtschaft in der Sozialen Marktwirtschaft“ gesetzt. Hierzu gibt es bundesweit vielfältige Initiativen, Aktivitäten und Projekte. Damit die Jugendlichen sich bereits in der Praxis als Unternehmer erproben können, unterstützt z. B. das ­SCHULEWIRTSCHAFT-Projekt JUNIOR bundesweit den Aufbau von Schülerfirmen mit umfangreichen Angeboten von Materialien über Veranstaltungen bis hin zu europäischen Kontakten (www.juniorprojekt.de). Beim Wirtschaftsplanspiel „beachmanager“ des Arbeitskreises ­SCHULEWIRTSCHAFT Bayern schlüpfen Schüler bayerischer Hauptschulen in die Rolle von Unternehmern, die über mehrere Jahre hinweg an einem Badesee ein Freizeitund Wassersport-Center durch die Vermietung von Wassersportgeräten gewinnbringend führen­ (www.beachmanager.de). Auf Veranstaltungen und in Seminaren können sich Schulen, Schulverwaltung und Unterneh-

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Projekt „Netzwerk SCHULEWIRTSCHAFT in Ostdeutschland“ präsentiert erste Ergebnisse Im November 2008 starteten der Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Bundesländer, die BDA sowie die Bundesarbeitsgemeinschaft ­SCHULEWIRTSCHAFT und die Landesarbeitsgemeinschaften ­SCHULEWIRTSCHAFT in den neuen Ländern eine auf zwei Jahre angelegte intensive Zusammenarbeit im Projekt „Netzwerk ­SCHULEWIRTSCHAFT in Ostdeutschland“. Die Initiative wird durch strategische Partnerschaften mit der Bundesagentur für Arbeit und der Deutschen Kreditbank (DKB) unterstützt. Ziele der Initiative sind die Verbesserung der schulischen Berufs- und Studienwahlorientierung, die Steigerung der Berufsperspektiven sowie die Durchführung frühzeitig ansetzender Maßnahmen zur Fachkräftesicherung in ostdeutschen Betrieben. Junge Menschen sollen schon während der Schulzeit die regionale Unternehmenslandschaft und ihre Ausbildungs- und Berufsperspektiven


kennen lernen. Betriebe haben die Möglichkeit, in der Situation zurückgehender Schülerzahlen Fachkräftenachwuchs aktiv für ihren Berufszweig zu interessieren. Ein weiterer Schwerpunkt der Initiative ist das Anliegen, für lernschwächere Schülerinnen und Schüler besondere Fördermöglichkeiten zu entwickeln, die z. B. durch Betriebskontakte helfen, ihre Perspektiven auf eine Berufsausbildung zu verbessern. Beispielhaft hierfür wurde am 16. September 2009 ein „Schnuppertag“ von der DKB für Förderschüler in Brandenburg durchgeführt. 44 Schülerinnen und Schüler wurden von Auszubildenden der DKB Stiftung in Liebenberg eingewiesen und konnten einen praktischen Einblick in die verschiedenen Facetten der Berufe Garten- und Landschaftsbauer sowie Maler und Lackierer gewinnen. Ein weiterer Höhepunkt war die Begegnung mit dem mehrfachen Olympiasieger und Weltmeister im Biathlon Sven Fischer. In der lebhaften Gesprächsrunde bekamen die Mädchen und Jungen einen Eindruck von der Begeisterungsfähigkeit und der Leistungsbereitschaft eines vorbildlichen Sportlers. In der Diskussion kamen nicht nur die Trainingsmethoden und die Höhepunkte der Karriere von Sven Fischer zum Tragen, sondern auch der Umgang mit persönlichen oder sportlichen Niederlagen. Der „Schnuppertag“ war für die Schülerinnen und Schüler ein zusätzlicher Motivationsschub, die vor ihnen liegenden Aufgaben in der Schule und später bei der Berufswahl zu meistern. Weitere Informationen zu Projekten der an der Initiative beteiligten regionalen Arbeitskreise ­SCHULEWIRTSCHAFT unter www.schule-­ wirtschaft-ostdeutschland.de.

Verstärkte Zusammenarbeit von SCHULEWIRTSCHAFT mit der Bundesagentur für Arbeit Das Treffen zwischen dem Vorstandsvorsitzenden der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, und den Vorsitzenden der Bundesarbeitsgemeinschaft ­SCHULEWIRTSCHAFT, Ernst Baumann und Ulrich Wiethaup, am 29. Septem-

ber 2009 setzte Impulse für eine Aktivierung der Zusammenarbeit zwischen der Bundesagentur für Arbeit und dem Netzwerk ­SCHULEWIRTSCHAFT. In dem Gespräch ging es um die Vereinbarung von regelmäßigen Gesprächsrunden auf Leitungs- und Arbeitsebene, um die Expertise der jeweils anderen Seite besser zu nutzen. Ziel beider Organisationen ist es, durch die Zusammenarbeit gemeinsam für den erfolgreichen Übergang von Schülerinnen und Schülern in die betriebliche oder hochschulische Ausbildung zu sorgen und Synergieeffekte bei der Erarbeitung von Instrumenten und Materialien zu erzielen. Über eine Zusammenarbeit verschiedener Arbeitsgruppen zum Thema „Erfolgsfaktoren einer gelungenen Berufsorientierung“ sowie zur Durchführung gemeinsamer Kampagnen zu diesem Thema wurde Einvernehmen erzielt. Beide Organisationen empfehlen ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bzw. Mitgliedern, vor Ort in den regionalen Arbeitskreisen ­SCHULEWIRTSCHAFT zusammenzuarbeiten und aktiv aufeinander zuzugehen.

Systematische Berufsorientierung gegen den Fachkräftemangel Gemeinsam haben Bertelsmann Stiftung und Bundesarbeitsgemeinschaft ­SCHULEWIRTSCHAFT im September 2009 ein Praxishandbuch zur Berufs- und Studienorientierung entwickelt. Der neue Leitfaden soll die Schulen systematisch und praxisorientiert dabei unterstützen, ein umfassendes Gesamtkonzept zur Berufsorientierung umzusetzen. Trotz Wirtschaftskrise fehlt es in vielen Bereichen an qualifiziertem Nachwuchs – insbesondere in den naturwissenschaftlich-technischen Berufen. Diese werden noch immer von vielen Jugendlichen gemieden, oft aus mangelnder Kenntnis über die jeweiligen Zukunftsperspektiven. Sinkende Schülerzahlen verschärfen den Fachkräftemangel zusätzlich. Je kleiner die Schulentlass-Jahrgänge ausfallen, desto wichtiger ist es, dass alle Schüler zu einer Ausbildung oder einem Studium befähigt und motiviert werden, die notwendigen Anforderungen der Arbeitswelt kennen und eine fundierte Berufswahlentscheidung treffen.

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Doch noch immer sind Vorgaben zur Berufsorientierung in den Bildungs- und Lehrplänen der Länder vielerorts unkonkret. Ebenso wird Berufsorientierung an vielen Schulen nicht systematisch umgesetzt, es überwiegen die Einzelmaßnahmen. Aus diesem Grund haben ­SCHULEWIRTSCHAFT und die Bertelsmann Stiftung in Zusammenarbeit mit der MTO Psychologische Forschung und Beratung GmbH den „Leitfaden zur Berufsorientierung. Praxishandbuch zur qualitätszentrierten Berufs- und Studienorientierung an Schulen“ entwickelt. Der Leitfaden unterstützt Schulen dabei, mit einem Qualitätsmanagement ein Gesamtkonzept zur Berufsorientierung zu planen und umzusetzen. Dazu gibt es praktische Anleitungen und Unterrichtsmaterialien. Erprobt und evaluiert wurde der Leitfaden an Schulen in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen – mit Unterstützung der jeweiligen Landesarbeitsgemeinschaft.

hen. Geprägt war dieses Jahr vor allem vom demografiebedingten deutlichen Bewerberrückgang sowie der Wirtschaftskrise.

Der Leitfaden kann bestellt werden unter www.bertelsmann-stiftung.de.

Der deutliche Bewerberrückgang (–14 % zum 30. September) hat zum einen eine Entlastung des Ausbildungsmarkts mit sich gebracht. Dadurch, dass er größer ausfiel als der Stellenrückgang, haben sich die Chancen der Bewerber auf Ausbildung trotz Krise sogar verbessert. Zum anderen stellt der Bewerberrückgang aber viele ausbildungswillige Betriebe vor große Schwierigkeiten, überhaupt Bewerber für ihre Ausbildungsplätze zu finden. Damit ist – neben der konjunkturellen Krise – der Bewerberrückgang mit ein Grund für den Rückgang von Ausbildungsplätzen und -verträgen.

Positive Zwischenbilanz für den Ausbildungsmarkt 2009 gezogen Die Partner des Ausbildungspakts konnten am 13. Oktober im Rahmen einer gemeinsamen Pressekonferenz in Nürnberg, an der für BDA und BDI Arbeitgeberpräsident Dr. Dieter Hundt teilgenommen hat, eine positive Zwischenbilanz zum 30. September für das Ausbildungsjahr 2009 zie-

Dass die größte Wirtschaftskrise in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland spurlos am Ausbildungsmarkt vorübergeht, wäre eine Illusion. Allerdings hat sich gezeigt, dass die Unternehmen trotz schwieriger Rahmenbedingungen auf hohem Niveau an Ausbildung festhalten. Der Rückgang bei den gemeldeten betrieblichen Ausbildungsplätzen (–5,6 % zum 30. September) und den neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen (über alle Ausbildungsbereiche hinweg insgesamt –8,2 % zum 30. September) fällt daher vergleichsweise moderat aus. Rein rechnerisch wäre bei dem für 2009 prognostizierten Rückgang des BIP von 5 bis 6 % ein Minus von bis zu 18 % bei den Ausbildungsverträgen denkbar gewesen.

Wie wirkt sich rechnerisch die Konjunktur auf Ausbildung aus? Nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW) hat sich in den vergangenen zehn Jahren schon eine allgemeine Wirtschaftslage mit einem volkswirtschaftlichen Nullwachstum mit 22.000 weniger Ausbildungsverträgen negativ ausgewirkt. Jedes Wachstumsprozent ist dagegen mit einem Zuwachs von rd. 15.000 Verträgen positiv zu Buche geschlagen. Umgekehrt ergibt die Rechnung bei einem Rückgang des BIP von 2,5 bis 4,5 % einen Rückgang der Neuverträge um 60.000 bis 90.000. Bei einem aktuell prognostizierten Rückgang des BIP um 5 % wäre auf dieser Basis rechnerisch ein Rückgang um 97.500 Verträge bzw. rd. 16 % zu erwarten.

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Insgesamt konnte sich bereits die Zwischenbilanz zum 30. September 2009 sehen lassen: Die Zahl der zu diesem Zeitpunkt noch unvermittelt gemeldeten Bewerber ist mit 9.600 so gering wie noch nie seit der Wiedervereinigung. Sogar im Jahr 1992, als es erheblich mehr gemeldete Ausbildungsplätze als gemeldete Bewerber gab, lag die Zahl der bis Ende September noch unvermittelt gemeldeten Bewerber mit 12.980 höher als in diesem Jahr. Erfreulich ist auch, dass den 9.600 unvermittelten Bewerbern mit 17.250 Plätzen noch ausreichend unbesetzte Ausbildungs-

plätze gegenüberstehen. Somit konnte trotz Krise zum 30. September ein „Lehrstellenplus“ verzeichnet werden, das sogar größer ausfiel als im Vorjahr (2008: 5.000; 2009: 7.650). Hinzu kommt noch ein Großteil der von der Wirtschaft im Ausbildungspakt zugesagten 40.000 Plätze für Einstiegsqualifizierungen (EQ). Damit waren die Aussichten für die Nachvermittlung sehr gut. Die ersten Resultate bestätigen dies: Bis November konnte die Zahl der unvermittelten Bewerber weiter auf 5.900 reduziert werden. Ihnen standen zu diesem Zeitpunkt noch ausreichend unbesetzte

Trotz Wirtschaftskrise: so wenig unvermittelte Bewerber wie noch nie seit der Wiedervereinigung Bestand der zum 30. September bei den Arbeitsagenturen noch unvermittelt gemeldeten Ausbildungsplatzbewerber seit 1991

unvermittelte Ausbildungsplatzbewerber 60.000

44.084 38.458

40.000

35.675

30.000

24.962

20.000

29.365

35.015

32.660

23.383 18.970

12.975

40.504

23.642

17.759 13.626

10.000

49.487

47.399

50.000

20.462 14.479 9.603

0 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009

Quelle: Bundesagentur für Arbeit

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Ausbildungsplätze gegenüber. Eine endgültige Bilanz wird Anfang Februar 2010 gezogen. Besonders erfreulich ist zudem, dass sich aufgrund der sehr guten Ausbildungssituation im Jahr 2008 und der intensiven Bemühungen der Paktpartner auch die Situation der Altbewerber deutlich verbessert hat. Ihre absolute Zahl ist stark rückläufig (2008: 320.393; 2009: 243.791). Gleiches gilt für ihren Anteil an allen Bewerbern (2008: 51,6 %; 2009: 45,7 %). Auch bei den Paktzusagen konnte zum 30. September bereits eine erfreuliche Zwischenbilanz gezogen werden. Ihre Zusagen hat die Wirtschaft bereits erfüllt – die Anstrengungen gehen aber weiter. So wurden bis zum 30. September 59.700 neue Ausbildungsplätze (Zusage: 60.000) sowie 37.500 neue Ausbildungsbetriebe (Zusage: 30.000) geworben. Zudem wurden bisher 23.200 Plätze für EQ bereitgestellt. Da dieses Instrument schwerpunktmäßig in der Nachvermittlung zum Einsatz kommt, ist zu erwarten, dass sich die Zahl noch erhöht. Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „Ausbildungsmarkt“ sowie den kompakt „Ausbildungspakt“ veröffentlicht.

Berufsgruppen am Bedarf der Praxis orientiert ausbauen Für die Zukunftsfähigkeit der beruflichen Ausbildung ist entscheidend, dass Ausbildungsberufe den sich wandelnden Anforderungen der Praxis entsprechend weiterentwickelt werden. Nur so bleibt das duale System zentrale Quelle für den Fachkräftenachwuchs in Deutschland. Dieses Anliegen verfolgen BDA und BDI durch ihr kontinuierliches Engagement in der Neuordnung und Modernisierung von Ausbildungsberufen. BDA und BDI begrüßen – wie vom Innovationskreis berufliche Bildung empfohlen – grundsätzlich die Bildung von Berufsgruppen zur Steigerung der Mobilität während und nach der Ausbildung sowie die Vereinfachung der Beschulung. Berufsgruppen lassen sich aber nicht nach einem Einheitsmodell verordnen, hierzu sind die Anforderungen der betrieblichen Praxis zu heterogen. Vielmehr müssen die bereits heute existierenden differenzierten Strukturkonzepte in der Ausbildung auch in Zukunft genutzt und bei Bedarf entsprechend erweitert werden. Aber auch Einzelberufe müssen weiterhin eine Option sein – wenn ein entsprechend spezifischer Bedarf in der Praxis besteht.

Berufsgruppen am Bedarf der Praxis orientiert ausbauen Leitlinien für die Schaffung von Berufsgruppen:

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kein Einheitsmodell, flexible Strukturen nutzen

betrieblichen Bedarf als Maßstab setzen

Monoberufe als Strukturelemente der beruflichen Ausbildung beibehalten

fachliche Kompetenzen, nicht fachübergreifende Kompetenzen priorisieren

Neuordnungsverfahren effizient gestalten, Änderungsbedarf sorgfältig prüfen

identitätsstiftende Wirkung von Berufen beachten

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Vor diesem Hintergrund haben der BDA/BDIFachausschuss Bildung | Berufliche Bildung sowie der BDA/BDI-Arbeitskreis Berufsbildung einen Beschluss gefasst, in dem für ein differenziertes Berufsgruppenverständnis plädiert wird, praktische Beispiele gegeben und Leitlinien für die Schaffung von Berufsgruppen vorgegeben werden. Die wesentlichen Elemente dieses Beschlusses wurden auch in einem gemeinsamen Papier der im Kuratorium der Deutschen Wirtschaft für Berufsbildung (KWB) organisierten Spitzenorga-

nisationen der deutschen Wirtschaft zum Thema „Berufsgruppen“ aufgegriffen und in die politische Debatte eingebracht. Zum 1. August 2009 konnte die Ausbildung in drei neuen und in vier modernisierten Berufen starten. Bei der Neuordnung bzw. Modernisierung wurden verschiedene Strukturmodelle umgesetzt. Die zweijährige Ausbildung zum Industrieelektriker, für die sich BDA und BDI sowie die zuständigen Fachverbände intensiv eingesetzt haben, sieht eine Anrechnungsoption im Hinblick auf die

Modernisierung der Ausbildungsordnungen konkret Neue Berufe 2009: Bergbautechnologe/-technologin (vormals Bergbaumechaniker/-in), Industrieelektriker/-in (zweijähriger Beruf), Werkfeuerwehrmann/-frau Neu geordnet wurden die Berufe: Fotograf/-in, Keramiker/-in, Musikfachhändler/-in (vormals Musikalienhändler/-in), Modellbauer/-in (vormals Modellbauer/-in, Modellbaumechaniker/-in)

Technische/-r

Im weiteren Erarbeitungsverfahren für die Neuordnung zum 1. August 2010 befinden sich die Berufe: Böttcher/-in, Buchhändler/-in, Büchsenmacher/-in, Geomatiker/-in, Molkereifachmann/-frau, Papiertechnologe/-technologin, Pferdewirt/-in, Revierjäger/-in, Segelmacher/-in, Technische/-r Konfektionär/-in, Vermessungstechniker/-in In der beruflichen Fortbildung wurden im Berichtsjahr folgende Verordnungen erlassen (nach § 53 BBiG): Aus- und Weiterbildungspädagoge/-pädagogin, Berufspädagoge/-pädagogin, Fachwirt/-in für Versicherungen und Finanzen, Forstmaschinenführer/-in, Industriemeister/-in Fachrichtung Printmedien, Medienfachwirt/-in Digital, Medienfachwirt/-in Print, Meister/-in für Veranstaltungstechnik, Prozessmanager/-in Elektrotechnik, Tierpflegemeister/-in Im Neuordnungs- bzw. Erlassverfahren befinden sich die Fortbildungsverordnungen: Betriebswirt/-in (HwO), Fachwirt/-in für Logistik/Güterverkehr, Industriefachwirt/-in, Kraftverkehrsmeis­ ter/-in, Meister/-in für Lagerwirtschaft, Personaldienstleistungsfachwirt/-in, Polier/-in, Sportfachwirt/-in, Verkehrs-fachwirt/-in

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MINT-Botschafterkonferenz – „Brücke zur jungen Generation“

„10 Jahre Bologna – wo stehen wir?“

Deutscher Arbeitgeberpreis für Bildung: für vorbildliche Vermittlung ökonomischer Bildung

Teilnehmer der Podiumsdiskussion „Was hilft schwachen Schülern in die Ausbildung?“

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Tagung „Schwache Schüler – stark machen“ erfolgreich durchgeführt


3,5-jährigen Berufe der Metall- und Elektroindustrie vor. Damit wurde ein zusätzliches Angebot geschaffen, das nicht nur dem dringenden Bedarf der Betriebe an einer differenzierten Ausbildung Rechnung trägt, sondern insbesondere auch praktisch begabten Jugendlichen die Möglichkeit eines Einstiegs in die Berufsausbildung in diesem Bereich eröffnet. Der neue Beruf des Bergbautechnologen mit den Fachrichtungen Tiefbautechnik und Tiefbohrtechnik integriert eine entsprechende Berufsinitiative im Bereich der Tiefbohrtechnik in den vormaligen Beruf des Bergbaumechanikers. Damit werden neue Ausbildungsbereiche im Bergbau geschaffen und gleichzeitig der Fachkräftebedarf in Betrieben der Tiefbohrtechnik gesichert. Bei der Neuordnung der vormaligen Berufe Modellbauer und Modellbaumechaniker wurden einige Schnittstellen identifiziert, so dass beide Berufsprofile zu einem neuen Beruf des technischen Modellbauers mit drei Fachrichtungen (Gießerei, Karosserie und Produktion, Anschauung) zusammengeführt werden konnten. Auch in diesem Fall wurde dem Ansinnen einer verstärkten Bildung von Berufsgruppen gefolgt.

DQR muss Vielfalt und Hochwertigkeit der beruflichen Bildung sichtbar machen Der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und der KMK eingesetzte Arbeitskreis DQR, in dem BDA und BDI vertreten sind, hat nach fast zweijähriger Beratung im Februar 2009 einen Diskussionsvorschlag für einen Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR) vorgelegt. Auf acht Niveaus werden fachliche und personale Kompetenzen beschrieben, an denen sich die Einordnung der Qualifikationen orientieren soll. Alle Niveaus sollen prinzipiell durch Qualifikationen aller Bildungsbereiche erreicht werden können. Eine Reservierung einzelner Niveaus für Qualifikationen bestimmter Bereiche ist nicht vorgesehen. Damit wurden mehrere Kernanliegen der Wirtschaft verwirklicht. So genannte InputFaktoren wie Lernort, -zeit oder -aufwand bleiben grundsätzlich unberücksichtigt. Der Rahmen ist ausdrücklich entkoppelt von ­tarif- oder besol-

dungsrechtlichen Einstufungen und ändert nichts an dem bestehenden System der Zugangsberechtigungen. In einer sog. Erarbeitungsphase wird dieser Vorschlag gegenwärtig in ausgewählten Berufsund Tätigkeitsfeldern auf seine Funktionalität und Praxistauglichkeit hin untersucht. Hierzu werden durch eigens einberufene Expertengruppen, die mit Vertretern aller Bildungsbereiche besetzt sind, in den Bereichen Metall/Elektro, IT, Handel und Gesundheit exemplarisch Qualifikationen dem DQR zugeordnet. BDA und BDI sind in allen relevanten Arbeitsgruppen durch Fachexperten vertreten. Die Erfahrungen der Erarbeitungsphase werden entscheidende Auswirkungen auf die Umsetzung des DQR-Vorschlags haben. Dies betrifft insbesondere die Frage der Zuordnung der Qualifikationen. BDA und BDI fordern eine Zuordnung entsprechend den jeweils im Rahmen der Qualifikation vermittelten Kompetenzen und damit eine konsequente Umsetzung des „Outcome“-Ansatzes des europäischen Rahmens. Dies bietet die Chance, die Heterogenität und Hochwertigkeit der dualen Ausbildung abzubilden, indem Berufe entsprechend ihrem Kompetenzprofil auf unterschiedlichen – auch sehr hohen – Niveaus eingestuft werden. Eine pauschale Zuordnung formaler Qualifikationen – wie vielfach gefordert – würde hingegen der Kompetenzorientierung widersprechen und damit dem Anliegen des DQR zuwiderlaufen. Alle dreijährigen Ausbildungen würden dann z. B. bei der Einstufung identisch behandelt werden. Der Mehrwert des DQR im Sinne eines Transparenzinstruments ist dann mehr als fragwürdig. BDA und BDI werden sich auch im weiteren Verfahren für eine konsequente Umsetzung der Kompetenzorientierung einsetzen.

Durch Transparenz und Qualitätssicherung Mobilität in der Berufsbildung in Europa fördern Das Europäische Parlament und der Rat haben im Juni 2009 die Empfehlungen zur Einrichtung eines Europäischen Leistungspunkte-

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systems für die Berufsbildung (ECVET) sowie eines Europäischen Bezugsrahmens für die Qualitätssicherung in der beruflichen Aus- und Weiterbildung (EQARF) angenommen. Ein Leistungspunktesystem in der beruflichen Bildung soll in Zukunft die Anrechnung von im Ausland erworbenen beruflichen Teilqualifikationen erleichtern und somit das lebenslange Lernen fördern. Inwieweit das System außerhalb von Lernpartnerschaften genutzt werden kann, ist ebenso wie die Kompatibilität mit dem Leistungspunktesystem im Hochschulbereich (ECTS) noch nicht hinreichend geklärt. Beide Aspekte sind entscheidend für den Mehrwert eines derartigen Systems und wurden von BDA und BDI im Rahmen einer gemeinsamen Stellungnahme der Spitzenorganisationen der deutschen Wirtschaft anlässlich des Konsultationsverfahrens zu ­ECVET eingebracht. Die im Rahmen der europäischen Berufsbildungspolitik entwickelten Instrumente basieren auf dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens. Gemeinsame Grundsätze der Qualitätssicherung, wie sie in der EQARF-Empfehlung vorgeschlagen werden, sollen die gegenseitige Akzeptanz der unterschiedlichen Systeme erhöhen bzw. erleichtern. Dabei soll kein einheitliches System der Qualitätssicherung implementiert, sondern auf freiwilliger Basis den Mitgliedstaaten die Möglichkeit gegeben werden, eigene Systeme der Qualitätssicherung zu entwickeln oder zu verbessern. BDA und BDI haben sich in einer gemeinsamen Stellungnahme der Spitzenorganisationen der deutschen Wirtschaft für diesen flexiblen Ansatz eingesetzt. Die erfolgreiche Umsetzung der beiden neuen Instrumente erfordert die Einbeziehung aller relevanten Akteure. BDA und BDI sind sowohl auf nationaler wie auch auf europäischer Ebene im Rahmen verschiedener Gremien in die Umsetzung involviert. Auf Initiative der Bundesregierung wird seit längerem die Machbarkeit einer internationalen Vergleichsstudie in der beruflichen Bildung, eines sog. Large Scale Assessment (VET-LSA), überprüft. Die Entscheidung über die Durchführung einer entsprechenden Studie soll noch in diesem Jahr fallen. BDA und BDI unterstützen

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grundsätzlich die Idee eines Ländervergleichs der Berufsbildungssysteme. Voraussetzung für relevante Ergebnisse sind aber entsprechende Test­ instrumente, die berufliche Handlungsfähigkeit, das übergeordnete Ziel jeder Berufsausbildung, angemessen abbilden können. Inwieweit dabei zur Begrenzung des erforderlichen Aufwands praktische Tätigkeiten durch Simulationen angemessen wiedergegeben werden, ist bislang nur teilweise geklärt. BDA und BDI werden die Entwicklung eines entsprechenden Konzepts weiterhin konstruktiv kritisch begleiten. Auch im Hochschulbereich könnte es eine Vergleichsstudie ähnlich der bekannten PISAStudie im Schulbereich geben: Das AHELO-Projekt (Assessment of Higher Education Learning Outcomes) der OECD zielt auf einen länderübergreifenden Vergleich der hochschulischen Lernergebnisse. Sollte die derzeit laufende Machbarkeitsstudie zu einem positiven Ergebnis kommen, könnte AHELO im Jahr 2016 starten.

ESF-Sozialpartnerprogramm „weiter bilden“ gestartet Berufliche Weiterbildung gewinnt in einer Berufsund Arbeitswelt, die geprägt ist von sich wandelnden Anforderungen, immer größere Bedeutung. Wissen und Kompetenzen müssen kontinuierlich angepasst werden, gerade vor dem Hintergrund des demografischen Wandels, schnellerer technologischer Veränderungsprozesse und einer zunehmenden Internationalisierung. Berufliche Weiterbildung ist dabei zu verstehen als Investition in die Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit der Unternehmen und in die Beschäftigungsfähigkeit der Arbeitnehmer. Um die berufliche Weiterbildung von Beschäftigten und Unternehmen weiter zu stärken, hat das Bundesarbeitsministerium in Kooperation mit BDA und DGB ein Sozialpartnerprogramm des Europäischen Sozialfonds (ESF) zur Förderung der beruflichen Weiterbildung von Beschäftigten mit dem Titel „weiter bilden“ entwickelt. Voraussetzung für die Förderung ist die Existenz einer regionalen oder branchenbezogenen Vereinbarung der Sozialpartner zur Weiterbildung. Die Vereinbarung kann mit der Absicht abge-


schlossen werden, gezielt im Rahmen des Sozial­ partnerprogramms aktiv zu werden. Förderfähig sind sowohl Maßnahmen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für betriebliche Weiterbildung (z. B. Stärkung von Beratungsstrukturen, Ermittlung von betrieblichem Qualifizierungsbedarf etc.) wie auch konkrete Weiterbildungsmaßnahmen in Betrieben. Das Programm, für das bis 2013 ESF- und Bundesmittel in Höhe von insgesamt 140 Mio. € zur Verfügung stehen, hat im Juni 2009 begonnen. Anträge können kontinuierlich gestellt werden, Auswahlrunden sind vierteljährlich vorgesehen. Zur Umsetzung des Programms und Beratung von interessierten Sozialpartnern wurde eine Regiestelle eingerichtet (www.regiestelleweiterbildung.de). Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „Lebenslanges Lernen“ veröffentlicht.

Zehn Jahre Bologna-Prozess: Reformstufe II notwendig Vor zehn Jahren startete mit der Unterzeichnung der Bologna-Erklärung der Prozess zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Hochschulraums, dem mittlerweile 46 Staaten angehören. Ursprünglich sollte der Bologna-Prozess im Jahr 2010 abgeschlossen sein. Die ehrgeizigen Ziele wurden allerdings bisher noch nicht in vollem Umfang erreicht und erfordern weitere Anstrengungen. Das Ende April von den europäischen Bildungsministern verabschiedete LeuvenKommuniqué ist daher geprägt von der Erkenntnis, dass weniger die Festlegung neuer Ziele als vielmehr ein umfassender Konsolidierungsprozess notwendig ist, um den Bologna-Prozess zum Erfolg zu führen. Die Bologna Follow-up Group (BFUG), in der ­BUSINESSEUROPE durch die BDA vertreten ist, hat im September in Stockholm als wichtige Handlungsfelder eine deutliche Steigerung der Mobilität, die Verbesserung der Anerkennung im Ausland erbrachter Leistungen, eine höhere Transparenz über Hochschulen und Studiengänge, die verstärkte Berücksichtigung der Beschäftigungsfähigkeit als Studienziel sowie eine Verbesserung der sozialen Voraussetzungen im Studium benannt.

An den deutschen Hochschulen ist die strukturelle Umstellung inzwischen weit vorangeschritten: Etwa drei Viertel aller Studiengänge führen zu einem Bachelor- bzw. Masterabschluss, zwei Drittel aller Studienanfänger starten in einem solchen Studiengang. Allerdings gilt es, inhaltlich noch an vielen Stellen nachzusteuern und die neuen Studiengänge zu verbessern. Die Überfrachtung der Curricula hat vielerorts dazu geführt, dass Studiengänge kaum studierbar sind und insbesondere eine erhebliche Prüfungsbelastung beinhalten. Wo Überregulierung und detaillierte Vorgaben herrschen, haben Studierende zudem weniger Möglichkeiten, eine Studienphase im Ausland zu absolvieren. Auf diese Missstände haben auch die Studierenden mit ihrem im Juni 2009 begonnenen und im November erneut aufgenommenen „Bildungsstreik“ hingewiesen und einen Abbau der bestehenden Reformdefizite angemahnt. Bildungsministerin Prof. Dr. Annette Schavan und die KMK haben hierauf mittlerweile reagiert und weitere Reformen angekündigt. BDA und BDI haben zusammen mit dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und der HRK am 8. Juli eine Tagung zu dem Thema „10 Jahre Bologna – wo stehen wir?“ durchgeführt. Etwa 200 Vertreter aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik diskutierten gemeinsam über den aktuellen Umsetzungsstand des Bologna-Prozesses in Deutschland und definierten Handlungsfelder, in denen weiterer Reformbedarf besteht. Thomas Sattelberger, Personalvorstand der Deutschen Telekom AG und Vorsitzender des gemeinsamen BDA/BDI/HRK-Arbeitskreises Hochschule/Wirtschaft, eröffnete die Tagung und beschrieb die zentralen Anforderungen der Wirtschaft an eine gelungene Umsetzung des Bologna-Prozesses. So seien die Hochschulen in der Pflicht, zur Stärkung der Beschäftigungsfähigkeit der Absolventen und zur Verbesserung der Mobilität Curricula zu flexibilisieren und dadurch Praxisphasen und Auslandsaufenthalte zu ermöglichen. Überladene Studiengänge müssen entschlackt werden, um ihre Studierbarkeit zu gewährleisten. Dazu bedürfe es insbesondere auch einer kontinuierlichen Überprüfung der studentischen Arbeitsbelastung in den jeweiligen Studiengängen. Studiengänge, die bei der Umstellung auf die neue Struktur nur „um­etikettiert“ wurden, ohne dass grundsätzlich auch die Inhalte

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Immer mehr Bachelor- und Masterstudiengänge in Deutschland Wintersemester 1999/2000 bis Sommersemester 2009*

Bachelor- und Masterstudiengänge 10.000

9.000

8.000

7.000

6.000

5.000

4.000

3.000

2.000

1.000

0 WiSe SoSe WiSe SoSe WiSe SoSe WiSe SoSe WiSe SoSe WiSe SoSe WiSe SoSe WiSe SoSe WiSe SoSe WiSe SoSe 99/00 2000 00/01 2001 01/02 2002 02/03 2003 03/04 2004 04/05 2005 05/06 2006 06/07 2007 07/08 2008 08/09 2009

zusammen Bachelor Master * Ab dem Wintersemester 2007/2008 werden auslaufende Studiengänge nicht berücksichtigt. Quelle: HRK-Hochschulkompass, 1. März 2009 (SoSe 2009)

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Semester


auf den Prüfstand gestellt wurden, müssten reformiert werden. Dr. Arend Oetker, Präsident des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft, wies darüber hinaus auf die zentrale Bedeutung einer hochwertigen Hochschullehre hin. Auch die HRKPräsidentin Prof. Dr. Margret Wintermantel erkannte die weitere inhaltliche Umsetzung des BolognaProzesses als zentrale Aufgabe der Hochschulen an, wies aber auch auf die erheblichen Fortschritte in den vergangenen Jahren sowie die Notwendigkeit einer ausreichenden Finanzierung der Hochschulen durch die Länder hin. Beiträge aus der Sicht der Hochschulpolitik, der Hochschulforschung, innovativer Hochschulen wie auch der Studierenden und von Vertretern aus dem Ausland ermöglichten eine umfassende Bestandsaufnahme des Bologna-Prozesses. So verdeutlichte Prof. Dr. Stephan Jansen, Präsident der Zeppelin University, Friedrichshafen, die Spielräume der Hochschulen bei der Umsetzung der Reform. Prof. Dr. Frank Ziegele vom Centrum für Hochschulentwicklung deckte gängige Mythen um den Bologna-Prozess auf und zeichnete ein realistisches Bild der bisher erzielten Erfolge. Konsens bestand zwischen allen Vertretern darüber, dass der Bologna-Prozess fortgeführt werden, sich aber in Zukunft stärker an seinen eigentlichen Zielen orientieren müsse. Erste Erfolge der Studienreform spiegeln sich auch in der Akzeptanz der neuen Studienabschlüsse auf dem Arbeitsmarkt wider. Bereits jetzt schließen viele junge Menschen ihr Studium mit einem Bachelorabschluss ab und steigen direkt in den Beruf ein. Erste repräsentative Studien belegen, dass dieser Übergang gut gelingt. So entscheiden sich drei von fünf Bachelorabsolventen der Fachhochschulen für den direkten Einstieg in die Berufstätigkeit, bei den Universitäten ist dies bisher nur einer von fünf. Die Arbeitslosigkeit unter Bachelorabsolventen ist gering, Suchphasen auf dem Arbeitsmarkt sind für sie teilweise sogar kürzer als für Diplom-Absolventen. Auch sind Berufseinsteiger mit Bachelorabschluss mit ihrer Tätigkeit in gleichem Maße wie Beschäftigte mit anderen Hochschulabschlüssen zufrieden und empfinden sie als ausbildungsadäquat. Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „Hochschulpolitik“ veröffentlicht.

Rahmenbedingungen für Stipendienprogramme verbessern Die Wirtschaft leistet auf vielfältige Weise ihren Beitrag zur Unterstützung wissenschaftlicher Leistungen in Forschung und Lehre. Eine Möglichkeit des finanziellen Engagements sind Stipendien, die für zahlreiche Unternehmen und Verbände ein wichtiges Mittel für Talentförderung und -bindung sind. Als erstes Land hat Nordrhein-Westfalen im Sommer ein Stipendienmodell beschlossen, um die Zusammenarbeit von Unternehmen und Hochschulen bei Stipendienprogrammen weiter zu fördern. Gelder, die die nordrhein-westfälischen Hochschulen in eigener Initiative von privaten Gebern einwerben, werden vom Land in gleicher Höhe ergänzt. Bereits nach kurzer Zeit haben Unternehmen 1.400 Stipendien zur Verfügung gestellt, die bereits im laufenden Wintersemester den Studierenden des Landes zugutekommen. Die neue Bundesregierung plant nun die Ausweitung dieses Modells und die Etablierung eines nationalen Stipendienprogramms. Ein entsprechender Vorstoß des Landes Nordrhein-Westfalen war vorher am Widerstand einiger Länder gescheitert. Gleichzeitig soll auch die staatliche Begabtenförderung weiter ausgebaut werden. BDA und BDI begrüßen die Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Einrichtung von Stipendienprogrammen sowie die Förderung von Kooperationen zwischen Hochschulen und Unternehmen. Entscheidend für den Erfolg ist nun bei der Umsetzung, dass die stiftenden Unternehmen Möglichkeiten der individuellen Gestaltung der Programme behalten und die Stipendien in voller Höhe den Studierenden zugutekommen.

Durchlässigkeit erhöhen: Hochschulzugang für beruflich Qualifizierte öffnen! Die Wirtschaft setzt sich bereits seit langem für eine deutliche Erhöhung der Durchlässigkeit im Bildungssystem ein. Insbesondere müssen beruflich Qualifizierte die Möglichkeit erhalten, sich an den Hochschulen für ein Studium zu bewerben.

BDA | Geschäftsbericht 2009 | Bildung

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Gesetzliche Hürden und formale Ausschlussgründe sind angesichts des langfristig absehbaren Mangels an hochqualifizierten Fachkräften nicht hinnehmbar. 2008 haben BDA, BDI und HRK hierzu das gemeinsame Memorandum „Durchlässigkeit erhöhen: Hochschulzugang für beruflich Qualifizierte öffnen!“ verabschiedet und in zahlreichen Briefen und persönlichen Gesprächen mit den politischen Entscheidungsträgern auf Bundesund Länderebene auf eine rasche Umsetzung der politischen Willensbekundungen gedrängt. Bund und Länder haben dieses Anliegen beim Dresdner Bildungsgipfel im Oktober 2008 aufgegriffen und ein bundeseinheitliches Höchstmaß an gesetzlicher Regulierung für den Hochschulzugang ohne Abitur festgelegt. Demnach erhalten Absolventen einer Meisterprüfung sowie Inhaber gleichgestellter Abschlüsse den allgemeinen Hochschulzugang. Absolventen einer beruflichen Ausbildung mit dreijähriger Berufserfahrung können ein Studium aufnehmen, wenn sie zuvor eine Aufnahmeprüfung oder ein Probestudium erfolgreich absolviert haben. Im März 2009 hat auch die KMK einen entsprechenden Beschluss gefasst und damit den Weg für eine Umsetzung in den Landeshochschulgesetzen frei gemacht. Viele Länder haben daher in den letzten Monaten ihre Hochschulgesetze geändert und den Hochschulzugang für beruflich Qualifizierte teilweise erheblich erleichtert. Daher gelten in Brandenburg, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Sachsen derzeit sogar Regelungen, die die Hochschulen noch stärker öffnen als im Beschluss vorgesehen. In sechs Ländern gelten allerdings nach wie vor restriktivere Regelungen, die zeitnah reformiert werden müssen. Vorbildlich hat Sachsen seine Gesetzgebung zum Hochschulzugang reformiert: Dort wird seit Jahresbeginn als formale Voraussetzung lediglich eine berufliche Ausbildung verlangt. Die weitere Entscheidung überlässt der Gesetzgeber den Hochschulen, die sie nach transparenten und leistungsorientierten Kriterien treffen. BDA und BDI werden weiter dafür werben, dass dieses Modell auch in anderen Ländern umgesetzt wird. Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „Quartäre Bildung“ veröffentlicht.

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BDA | Geschäftsbericht 2009 | Bildung

Profilbildung ermöglichen – Transparenz erhöhen In einer ausdifferenzierten Hochschullandschaft mit einer Vielzahl unterschiedlicher Hochschulprofile sind Instrumente notwendig, um Transparenz für Studieninteressierte wie auch für Arbeitgeber zu schaffen. Die bisherigen weltweiten Hochschulrankings (wie z. B. das „Shanghai-Ranking“ oder das Ranking des Times Higher Education Supplement) beurteilen lediglich die Forschungsleistung der jeweiligen Hochschule, während die Leistungen in Studium und Lehre unberücksichtigt bleiben. Um der Vielfalt der Profile gerecht zu werden und auch die Lehrleistung von Hochschulen zu berücksichtigen, hat ein europäisches Konsortium in den letzten Jahren eine Klassifikation für Hochschulen entwickelt, mit der die verschiedenen Profile sowie Stärken und Schwächen der einzelnen Einrichtungen umfassend dargestellt werden können. Im Herbst 2009 hat die Europäische Kommission zudem die Entwicklung eines umfassenden europäischen Hochschulrankings in Auftrag gegeben. Auch die BFUG beschäftigt sich parallel mit Transparenzinstrumenten für den Hochschulbereich und hat hierzu eine Arbeitsgruppe eingerichtet. Die BDA begrüßt die Entwicklung von Rankings und anderen Instrumenten, die eine höhere Transparenz für die Stakeholder zum Ziel haben und umfassend über die Leistungsprofile der Hochschulen informieren. Dabei muss sichergestellt sein, dass sich die Ergebnisse nicht einseitig auf wenige Indikatoren stützen und insbesondere auch die Qualität der Lehre Bestandteil der Bewertung ist. Damit die Interessen der Arbeitgeber breite Berücksichtigung bei der Erarbeitung von Transparenzinstrumenten finden, ist die BDA sowohl in der Beratergruppe des EU-Projekts zur Entwicklung eines umfassenden europäischen Hochschulrankings als auch in der BFUG-Arbeitsgruppe zu Transparenzinstrumenten für den Hochschulbereich vertreten.

Die Hochschule der Zukunft Wie werden unsere Hochschulen im Jahr 2020 aussehen? In welches Hochschulsystem werden sie eingebettet sein? Die Antworten auf diese Fra-


gen werden maßgeblich davon abhängen, welche politischen Weichenstellungen heute getroffen werden. Bologna-Prozess, Hochschulpakt, die Förderprogramme für Spitzenforschung und die zunehmende Autonomie der Hochschulen weisen bereits in die richtige Richtung. Doch weitere und mutigere Schritte von Politik und Hochschulen sind notwendig, um den aktuellen Herausforderungen wirksam zu begegnen und die Chancen der Zukunft zu ergreifen. Für die Wirtschaft sind die Hochschulen Institutionen von zentraler Bedeutung für die Unternehmen und für die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands. BDA und BDI haben daher in diesem Jahr ein Leitbild für die Hochschule der Zukunft im Jahr 2020 erarbeitet und im November in den gemeinsamen Ausschüssen für Bildung und Forschung verabschiedet. Sie bündeln hierin ihre hochschulpolitischen Vorstellungen und schlagen eine Gesamtvision vor, an der sich die Weichenstellungen für die Zukunft orientieren sollten. Die Veröffentlichung erfolgt Anfang 2010.

BDA | Geschäftsbericht 2009 | Bildung

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Europa zwischen globaler Wirtschaftskrise und internen institutionellen Herausforderungen Für die Europäische Union war 2009 ein Jahr gravierender Probleme und massiver Herausforderungen: Die globale Finanzkrise hat im Jahr 2009 auf die Realwirtschaft durchgeschlagen und insbesondere durch die extreme Kreditverknappung für die Unternehmen eine gefährliche Wirtschaftskrise verursacht, die zu massiv steigender Arbeitslosigkeit führte und mehrere europäische Länder, insbesondere unter den neuen EU-Mitgliedstaaten, an den Rand des Staatsbankrotts brachte. In der Finanz- und Wirtschaftskrise werden der Mehrwert und die Herausforderung der EU als Akteur auf der globalen Ebene deutlich.

Währungsunion als Stabilitätsfaktor Die EU und insbesondere die gemeinsame Währung, der Euro, haben eine entscheidende Rolle dabei gespielt, die Auswirkungen der globalen Krise auf die EU-Mitgliedstaaten abzumildern und einzelne Mitgliedstaaten vor dem Staatsbankrott zu bewahren. Ihr Mehrwert wird durch den Beitrittsantrag Islands vom vergangenen Sommer besonders plastisch verdeutlicht: Dieses Land, das in der Vergangenheit nie EU-Mitglied werden wollte, ist durch die verheerenden Auswirkungen der Finanzkrise eines Besseren belehrt worden. Auch der deutlich positive Ausgang des zweiten Lissabon-Referendums in Irland am 2. Oktober 2009 ist größtenteils damit zu erklären, dass die globale Krise den Mehrwert der EU sichtbar gemacht hat.

Europäischen Ansatz der Finanzmarktregulierung global durchsetzen Die Europäische Währungsunion muss nun dringend ergänzt werden durch eine robuste europäische Regulierung und Aufsicht der Finanzmärkte. Die BDA unterstützt die auf der Grundlage des „De-Larosière“-Berichts erarbeiteten Vorschläge

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der Europäischen Kommission zur Verbesserung der Regulierung und Kontrolle der europäischen Finanzmärkte, insbesondere durch die Schaffung eines Europäischen Systems für die Finanzmarktaufsicht (= European System of ­Financial Supervisors – ESFS) und eines Europäischen Ausschusses für Systemrisiken (= European Systemic Risk Board – ESRB). Die von der Kommission vorgeschlagenen Kompetenzen des zu schaffenden ESFS, bei Konflikten zwischen nationalen Finanzaufsichtsbehörden verbindliche Entscheidungen herbeizuführen, dürfen nicht verwässert werden. Bei der konkreten Ausgestaltung dieser Aufsichtsorgane muss jedoch sichergestellt werden, dass Kohärenz mit den nationalen Aufsichtsbehören gewährleistet ist und unnötige Belastungen für die Unternehmen durch zusätzliche Berichtspflichten direkt an die europäischen Aufsichtsorgane vermieden werden. Die Ankündigung der neuen Bundesregierung, in der Europapolitik dafür Sorge zu tragen, dass Mitteilungsund Berichtspflichten der Unternehmen reduziert werden, ist gerade in diesem Zusammenhang sehr positiv zu bewerten. Die EU muss ihr Konzept der europäischen Regulierung und Aufsicht der Finanzmärkte jedoch auch als Grundlage für ein globales System der Finanzmarktregulierung durchsetzen. Auf den G20-Regierungstreffen im April 2009 in London und im September 2009 in Pittsburgh wurden erste Schritte in diese Richtung unternommen. Die EU muss jedoch ihr Gewicht im globalen Konzept der Wirtschaftsmächte noch erheblich stärken, um dem europäischen Ansatz der Finanzmarktregulierung auch global Gehör zu verschaffen. Um dies zu erreichen, muss die EU ihre Strategie darauf ausrichten, die Zusammenarbeit mit Japan, den „BRIC“-Staaten Brasilien, Russland, Indien, China, aber auch mit wichtigen afrikanischen Staaten zu intensivieren und Allianzen zu bilden. Die Schaffung einer europäischen Ratingagentur als Alternative zu den derzeit dominierenden US-amerikanischen Agenturen – ggf. gemeinsam mit den oben genannten Ländern – wäre ein wichtiger Schritt in diese Richtung.


Europäische Koordinierung der nationalen Konjunkturprogramme zur Bewältigung der Krise erfolgreich Eine ebenso wichtige Aufgabe für die EU bestand im Jahr 2009 darin, die jeweiligen nationalen Maßnahmen zur Bekämpfung der Krise, insbesondere die Konjunkturprogramme, so zu koordinieren, dass sie sich gegenseitig verstärken und nicht durch protektionistische Maßnahmen behindern. Der von der EU erfolgreich praktizierte Schutz des Binnenmarkts vor einer Aushöhlung durch einen Rückfall in protektionistische nationale Maßnahmen der Krisenbewältigung ist für die deutschen Unternehmen als besonders wichtig hervorzuheben: Der EU-Binnenmarkt ist für sie der entscheidende Absatzmarkt, wichtigster Investitionsstandort und stabile Basis für ihre weltweiten Aktivitäten: 59,5 % der deutschen Importe und 64,7 % der Exporte werden innerhalb der EU abgewickelt.

EU-Handlungsfähigkeit durch Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon gesichert Die Bewältigung der großen Herausforderungen, vor denen die EU im Jahr 2009 durch die Wirtschaftskrise stand, wurde durch die institutionelle Krise, in der sich die EU seit der Ablehnung des europäischen Verfassungsvertrags vor nunmehr vier Jahren befand, erheblich erschwert. Der Ratifizierungsprozess des Lissabon-Vertrags aus dem Jahr 2007, der durch das negative Ergebnis des irischen Referendums im Jahr 2008 ins Stocken geraten war, konnte mit der Unterschrift des tschechischen Präsidenten, Václav Klaus, am 3. November beendet werden. Nach der Ratifizierung in nunmehr allen 27 Mitgliedstaaten ist der Vertrag von Lissabon, der zu einer verbesserten Handlungsfähigkeit der EU beitragen wird, am 1. Dezember 2009 in Kraft getreten.

Institutionelle Konsolidierung hat Vorrang vor weiteren Erweiterungsschritten der EU Der jetzige Ratifizierungsprozess des Vertrags von Lissabon zeigt überdeutlich, dass die Erweiterung der EU vor ihrer Vertiefung die Umsetzung von notwendigen strukturellen Reformen für eine handlungsfähige Union sehr viel schwieriger gemacht hat. Vor diesem Hintergrund ist es umso wichtiger, dass zunächst die Vorgaben des ­Vertrags von Lissabon umgesetzt werden, bevor weitere Staaten der EU beitreten. Die laufenden Beitrittsverhandlungen müssen ohne Verwässerung der Prinzipien und Prozesse, die in den Verhandlungsmandaten vereinbart wurden, fortgesetzt werden. Dabei müssen sowohl die Entwicklung im Land der jeweiligen Beitrittskandidaten als auch die Aufnahmefähigkeit der EU beachtet werden. Die BDA hat diese Problematik in direkten Gesprächen mit führenden Vertretern der schwedischen Präsidentschaft in Stockholm angesprochen und im Interesse der Fortentwicklung der EU zur Zurückhaltung bei weiteren Erweiterungsschritten gemahnt. Sehr erfreulich ist, dass die neue Bundesregierung die gleiche Position wie die BDA einnimmt und für eine Erweiterungspolitik mit Augenmaß eintritt.

Europawahl schafft gute Grundlage für wirtschaftliche Kompetenz und sozialpolitische Vernunft Die Beteiligung an der Europawahl im Juni des Jahres war enttäuschend niedrig, das Ergebnis aber ermutigend: Sowohl in Deutschland als auch in allen großen Mitgliedstaaten der EU sind Parteien mit einem offenen Ohr für wirtschaftliche Vernunft die mit Abstand stärksten Kräfte geworden. In Deutschland erhielten CDU/CSU und FDP zusammen 48,8 % bzw. 54 Sitze, während SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke zusammen auf nur 40,4 % bzw. 45 Sitze kamen. Die Wahl des Europäischen Parlaments zeigt, dass die Bürger gerade im Zeichen der globalen Krise auf wirtschaftliche Vernunft und Kompetenz setzen. Die linken Parteien konnten ihre binnenmarkt-

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feindliche Kampagne, die auf Angstmacherei vor angeblichem Sozialdumping und dem Ruf nach gesetzlichen Mindestlöhnen gründete, nicht in einen Stimmenzuwachs umwandeln. Anlass zur Sorge ist, dass antieuropäische Kräfte in Großbritannien, Österreich und zahlreichen neuen Mitgliedstaaten enormen Auftrieb erhalten haben. Dieser Entwicklung muss das neue Parlament entgegenwirken, indem es seine Politik stärker an wirtschaftlicher Vernunft und gelebter Subsidiarität ausrichtet. Genaue diesen Wunsch haben die Bürger der EU bei der Wahl zum Ausdruck gebracht. Das neue Europäische Parlament steht gerade in der Sozialpolitik vor großen Herausforderungen, denn die z. T. äußerst kontraproduktiven Maßnahmen, die von der EU-Kommission und von Teilen des Parlaments im Zeichen des EUWahlkampfs beschlossen wurden, müssen gestoppt werden, um der europäischen Wirtschaft den Weg aus der Krise zu erleichtern und nicht zu erschweren.

Europäisches Belastungsmoratorium zum Schutz von Unternehmen und Arbeitsplätzen erforderlich Gerade jetzt, wo Millionen von Unternehmen um das Überleben kämpfen und alles tun, um so viele ihrer Beschäftigten wie möglich zu halten, darf die EU im Bereich der Sozialpolitik nicht mit ihren eigenen Regulierungsinitiativen Unternehmen zusätzlich belasten. Arbeitgeberpräsident Dr. Dieter Hundt hat deshalb vor der Bundespressekonferenz am 14. Mai 2009 in Berlin ein nationales und europäisches Belastungsmoratorium gefordert. Jegliche Regulierung, die Wirtschaft und Arbeit in der EU zusätzlich belastet, muss unterlassen werden. Zur Durchsetzung des erforderlichen Belastungsmoratoriums schlägt die BDA vor, in Kommission, Europäischem Parlament und Rat jegliche neuen belastenden Vorschläge abzuwehren und bereits initiierte Maßnahmen nicht aktiv weiterzuverfolgen. Die geplante neue Antidiskriminierungsrichtlinie und die Revision der Mutterschutzrichtlinie müssen daher gestoppt und die Arbeitszeitrichtlinie korrigiert werden. Auch die von Teilen des Europäischen Parlaments geforderte Verschärfung der

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Entsenderichtlinie hätte äußerst schädliche Auswirkungen und muss verhindert werden.

Zusätzliche Antidiskriminierungsrichtlinie kostentreibend und bürokratisch Obwohl es bereits weitreichende europäische Regelungen im Bereich der Antidiskriminierung gibt, wurde in den vergangenen Monaten in der EU an einer neuen und zusätzlichen Richtlinie gearbeitet, wobei die Übererfüllung europäischer Vorgaben durch das deutsche Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) nunmehr Pate stand für weiter gehende EU-Regulierung. Das von der BDA prophezeite und bekämpfte „Perpetuum mobile“ der Übererfüllung ist leider in Gang gekommen. Schon das AGG hat die Unternehmen in Deutschland im ersten Jahr mit rd. 1,7 Mrd. € belastet und zu massiver Rechtsunsicherheit geführt. Deshalb hatte die BDA die Initiative der Kommission für eine zusätzliche Antidiskriminierungsrichtlinie scharf kritisiert. Trotz intensiver Überzeugungsarbeit der Arbeitgeber und eindringlicher Warnungen vor zusätzlicher Bürokratie und Kosten hat das Europäische Parlament sich in seiner Stellungnahme zu diesem Kommissionsvorschlag für eine noch weiter gehende Ausweitung der EU-Antidiskriminierungsregeln ausgesprochen. Auch wenn das Europäische Parlament bei diesem Thema nur angehört wird und kein Mitentscheidungsrecht besitzt, so befördert es mit dieser Entschließung dennoch politisch den falschen Ansatz, den bereits die EU-Kommission mit ihrem Richtlinienvorschlag verfolgt. Die CDU/CSU-Gruppe sowie die deutschen Abgeordneten der liberalen Fraktion haben gegen die Stellungnahme gestimmt. Der von der BDA unterstützte Antrag, wonach der gesamte Kommissionsvorschlag wegen Verstoßes gegen das Subsidiaritätsprinzip und überflüssiger bürokratischer Belastungen abzulehnen sei, hatte bei der Abstimmung im Plenum jedoch keine Mehrheit gefunden, da die EVP-Abgeordneten aus anderen Ländern sich scheuten, diese klare Linie mitzutragen. Mit der Verabschiedung der Stellungnahme ist die Anhörung des Europäischen Parlaments


zu diesem Richtlinienvorschlag abgeschlossen. Der Rat muss gem. Art. 13 EG-Vertrag einstimmig über den Richtlinienvorschlag entscheiden. Die Bundesregierung hat sich bereits skeptisch zu dem Richtlinienvorschlag geäußert und wird in dieser Haltung von mehreren Mitgliedstaaten unterstützt. Im Koalitionsvertrag hat sich die neue Bundesregierung in entschiedener Klarheit gegen eine zusätzliche Antidiskriminierungsrichtlinie ausgesprochen.

Revision der Mutterschutzrichtlinie – schädliche Regulierung für deutsche Unternehmen vermeiden Die Kommission will den Mutterschutz von 14 auf 18 Wochen, Teile des Europäischen Parlaments wollen ihn auf bis zu 20 Wochen verlängern. Sie begründen dieses Vorhaben doppelt, nämlich mit dem Gesundheitsschutz und mit dem Erfordernis nach besserer Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Selbstverständlich ist Gesundheitsschutz für jede schwangere Frau notwendig. Die bestehenden Bestimmungen in Deutschland und die bereits existierenden EU-Mindestnormen tragen dieser Notwendigkeit hinreichend Rechnung. Zudem ist gerade in Deutschland die Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch das Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz im europäischen Vergleich vorbildlich geregelt. Die Vorschläge, die aus dem Frauenausschuss des Europäischen Parlaments kommen, entbehren jeglichen Realitätsbezugs und sind nochmals eine Steigerung der an sich bereits überflüssigen Revision, die die Kommission vorschlägt: Allein die vom Frauenausschuss vorgeschlagene Verlängerung des Mutterschaftsurlaubs von 14 auf 20 Wochen würde die deutschen Arbeitgeber mit ca. 700 Mio. € pro Jahr zusätzlich belasten, und das in einer Zeit, in der viele Unternehmen um jeden Euro Liquidität kämpfen und mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln versuchen ihre Beschäftigten zu halten. Die darüber hinaus vom Ausschuss geforderte Verschärfung des Kündigungsschutzes sowie weitgehende Dokumentationspflichten für Unternehmen würden sich im Ergebnis gegen die Frauen selbst richten, weil sie deren Beschäftigung unnötig weiter erschwerten.

Es war ein hoffnungsvolles Zeichen, dass das Plenum des Europäischen Parlaments im Mai entschied, diesen praxisuntauglichen Bericht zurück an den Ausschuss zu verweisen. Allerdings ist die Berichterstatterin auch im neuen Parlament Frau Estrela geblieben. Der von ihr im November vorgelegte Berichtsentwurf übernimmt in weiten Teilen die arbeitgeberschädlichen Änderungsanträge aus dem ursprünglichen Estrela-Bericht. Insbesondere die Kernforderung des Frauenausschusses, die von der Kommission vorgeschlagene Verlängerung des Mutterschaftsurlaubs von 14 auf 18 Wochen auf mindestens 20 Wochen auszudehnen, wird in dem neuen Berichtsentwurf aufrechterhalten. Die BDA ist mit zahlreichen Abgeordneten sowie mit dem zuständigen Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im intensiven Dialog. Zumindest im Ministerrat gibt es zunehmend Einsicht, dass hier eine Lösung gefunden werden muss, die Mutterschutz und Elternzeit in einer Gesamtbetrachtung würdigt und Länder mit so weitreichenden Bestimmungen zur Elternzeit wie z. B. Deutschland nicht schlechterstellt. Insbesondere dürfen für Unternehmen keine zusätzlichen Kosten entstehen. Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung betont auf der Grundlage der Subsidiarität die nationale Verantwortung in der europäischen Sozialpolitik. Damit spricht sie sich gegen den vorliegenden Richtlinienvorschlag aus und verfolgt in Einklang mit der Position der BDA eine Lösung, die keine zusätzlichen Belastungen für deutsche Unternehmen mit sich bringt.

Arbeitszeitrichtlinie: Kommission bereitet neuen Anlauf zur Revision der Arbeitszeitrichtlinie vor Nachdem das Europäische Parlament und der Rat in zweiter Lesung zur Arbeitszeitrichtlinie keinen Kompromiss auf der Grundlage des gemeinsamen Standpunkts des Rats vom vergangenen Jahr finden konnten, ist es trotz intensiver Verhandlungen auch im Vermittlungsausschuss nicht gelungen, sich zu Jahresbeginn auf einen gemeinsamen Text zu einigen. Damit ist der Vorschlag, den die Kommission im Jahr 2004 zur Revision der Arbeitszeitrichtlinie vorgelegt hatte, Anfang des Jahres endgültig gescheitert.

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Mutterschutz und Elternzeit im europäischen Vergleich – Deutschland vorbildlich bei Vereinbarkeit von Familie und Beruf

12 15

Belgien

48 45

Bulgarien Dänemark

40

18

Deutschland

156

14

Estland

72

20 23 21

Finnland Frankreich

156

16

Griechenland

17

28 26

Großbritannien

52

28

Irland Italien

20

Lettland

32

16

Litauen

42 40

156

18

Luxemburg

48

20

Malta

14

Niederlande

16

Österreich

16

Polen

24 26 104 156

18 12

Portugal

17

Rumänien

18

Schweden

24 72

14

Slowakei

156

28

Slowenien

15

Spanien

16

Tschechien

37 156 156

28

Ungarn

104

24 13

Zypern

0

20

18

40

60

80

100

120

140

160

180 in Wochen

Elternzeit Mutterschutz Quellen: COMMISSION OF THE EUROPEAN COMMUNITIES, Brussels, SEC(2008) 2526/2, COMMISSION STAFF WORKING DOCUMENT accompanying the Proposal for a DIRECTIVE OF THE EUROPEAN PARLIAMENT AND OF THE COUNCIL amending Council Directive 92/85/EEC, Impact Assessment Report. {COM(2008) 600}. {SEC(2008) 2527}; Botschaft Luxemburg und Botschaft Zypern in Berlin

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Dauer und Bezahlung von Mutterschutz und Elternzeit im europäischen Vergleich – Deutschland in der Spitzengruppe Mutterschutz

Elternzeit

Land

Dauer

Bezahlung

Dauer

Bezahlung

AT

16 Wochen

100 % Durchschnittsgehalt

104 Wochen

Pauschale

BE

15 Wochen

Abhängig von Sozialversicherung

12 Wochen

Sozialhilfe

BU

45 Wochen

19 Wochen + 2 Tage zu 90 % Durchschnittsgehalt, Rest Sozialleistung

24 Wochen (p. E.)

Nein

CY

18 Wochen

Abhängig vom Durchschnitt der im Vorjahr entrichteten Beiträge (Grundzulage: 75 % des wöch. Durchschnitts der im Vorjahr entrichteten Grundbeiträge, Zusatzzulage: 75 % des wöch. Durchschnitts der entrichteten Beiträge, die die entrichteten Grundbeiträge übersteigen)

13 Wochen maximal

Nein

CZ

28 Wochen

69 % des Jahresgehalts (mit Obergrenze)

Bis zu 156 Wochen (p. E.)

Pauschale aus Sozialversicherung, 3 unterschiedliche Beträge abhängig von Alter Kind

DE

14 Wochen

100 % des letzten Gehalts

156 Wochen

67 % des Nettoeinkommens mit Obergrenze für 12 Monate oder 14 Monate, falls Partner 2 Monate Elternzeit nimmt

DK

18 Wochen

Gemäß den meisten Tarifabkommen: 100 % des Gehalts

32 bis 40 Wochen

Mutterschaftsgeld für 32 Wochen

EE

20 Wochen

100 % des Durchschnittsgehalts des vergangenen Kalenderjahres

72 Wochen (kann verlängert werden, bis Kind 3 Jahre alt ist)

100 % des Durchschnittsgehalts (Obergrenze: 3-Faches des nationalen Durchschnittseinkommens); nach Ablauf von 72 Wochen nur noch Pauschale

EL

17 Wochen

100 %

28 Wochen

Keine Angaben

ES

16 Wochen

100 % der Berechnungsbasis

156 Wochen oder Nein 1 Stunde pro Woche oder Teilzeit

FI

21 Wochen

Zahlung abh. von vorherigem Gehalt (abnehmend nach den ersten 56 Arbeitstagen nach der Geburt), Mindestbetrag 15,20 € p. T., sonst abh. von Tarifabkommen

22 Wochen 4 Tage insgesamt, beginnend nach Mutterschutz

Ja, aber abnehmend: 75 % des durchschnittlichen Jahresgehalts (mit Obergrenze) für die ersten 30 Arbeitstage, dann 70 % mit Obergrenze

FR

16 Wochen

100 % des Gehalts der letzten 3 Monate (mit Obergrenze)

156 Wochen

Differenziertes System von Pauschalen

HU

24 Wochen

70 % des vorherigen Gehalts (Krankengeld)

104 Wochen (bis 520 Wochen)

70 % des vorherigen Gehalts mit Obergrenze für 104 Wochen (danach Pauschale)

IE

42 Wochen

26 Wochen werden auf 80%igem Gehaltsniveau bezahlt (mit Obergrenze)

14 Wochen (p. E.)

Nein

IT

20 Wochen

80 % des durchschnittlichen Tagesgehalts einen Monat vorausgehend der Beurlaubung

40 Wochen

30 % des Gehalts vor 3. Geburtstag des Kindes

LT

18 Wochen

100 % des Durchschnittsgehalts

156 Wochen

1. Jahr 100 % Gehalt, 2. Jahr 85 % Gehalt

LU

16 Wochen (wenn gestillt wird, 20 Wochen)

100 % des Durchschnittsgehalts

48 Wochen Vollzeit oder 24 Wochen halbtags

1.778,31 € bei Vollzeit bzw. 889,51 € halbtags

LV

16 Wochen

100 % des Durchschnittsgehalts

32 Wochen

70 % des Durchschnittsgehalts

MT

14 Wochen

Gehalt in voller Höhe

12 Wochen (p. E.) Nein

NL

16 Wochen

Gehalt in voller Höhe

26 Wochen

Steuererleichterung von 50 % des gesetzlichen Mindestlohns

PL

18 Wochen

100 % des Durchschnittsgehalts

156 Wochen

Pauschale für 24 Monate, falls Einkommen nicht gewisse Höhe überschreitet

PT

17 Wochen + 1 Tag

100 % des Grundgehalts

12 Wochen oder 15 Tage 100 % Grundgehalt, falls der Teilzeit 52 Wochen Vater Elternzeit nimmt

RO

18 Wochen

85 % des Durchschnittsgehalts

12 Wochen (p. E.) Pauschale

SE

7 Wochen vor + 55 Wochen 5 Tage werden zu 80 % Gehalt nach Entbindung; bezahlt, 12 Wochen 6 Tage werden nach bis Kind 18 Mona- Mindestgehalt bezahlt te alt ist

72 Wochen

80 % des Einkommens (mit Obergrenze)

SI

15 Wochen

100 % des Durchschnittsgehalts

37 Wochen + 1 Tag

100 % des Einkommens

SK

28 Wochen

55 % der tägl. Bemessungsgrundlage, Obergrenze 15.000 SK (ca. 500 €)

156 Wochen

Pauschale

UK

52 Wochen

Arbeitgeber zahlt die ersten 6 Wochen 90 % des vorherigen Gehalts, dann Pauschale (ca. 151 €)

13 Wochen (p. E.)

Nein

Quellen: COMMISSION OF THE EUROPEAN COMMUNITIES, Brussels, SEC(2008) 2526/2, ebd.; Botschaft Luxemburg und Botschaft Zypern in Berlin BDA | Geschäftsbericht 2009 | Europa und Internationales

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Seitdem versucht die Kommission die Rahmenbedingungen für einen zweiten Anlauf zur Revision der bestehenden Arbeitszeitrichtlinie abzustecken. Derzeit wird auf der Grundlage von Art. 138 EG-Vertrag eine erneute Sozialpartnerkonsultation erwogen. Im Rahmen dieser Diskussion stellt die Kommission zutreffend fest, dass gerade durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) die Anwendung der Arbeitszeitrichtlinie zu erheblicher Rechtsunsicherheit auf nationaler Ebene geführt hat. So hat der EuGH in den Fällen „Jaeger“ und „SIMAP“ geurteilt, dass Bereitschaftsdienst vollständig als Arbeitszeit anzusehen ist. Damit gelten auch die inaktiven Phasen der Bereitschaftszeit als Arbeitszeit. Folge dieser Anpassung sind höhere Kosten bzw. eine Senkung der Servicequalität durch einen geringeren Personaleinsatz in den Unternehmen, in denen Bereitschaftsdienst eine wichtige Rolle spielt. Mit einer Korrektur dieser EuGH-Rechtsprechung durch eine entsprechende Klarstellung in der Arbeitszeitrichtlinie könnte das deutsche Arbeitszeitgesetz wieder zu Gunsten der Arbeitszeitflexibilität geändert und die hohen Kosten für die Unternehmen zurückgenommen werden. Dabei muss die Möglichkeit zur Abweichung von der wöchentlichen Höchstarbeitszeit („opt out“) unangetastet bleiben. Ferner hat der EuGH in der Entscheidung „Schultz-Hoff“ geurteilt, dass Urlaub nicht verfällt, wenn Arbeitnehmer aus Gründen einer Erkrankung nicht in der Lage sind, diesen Urlaub anzutreten. Dies hat zur Folge, dass gerade bei Langzeiterkrankungen über mehrere Jahre Urlaubsansprüche mit entsprechendem Kostenrisiko auflaufen können, ohne dass der Zweck des Urlaubsrechts, nämlich die notwendige Erholung des Arbeitnehmers zu erreichen, erfüllt würde. Damit wird das deutsche Urlaubsrecht (§ 7 Abs. 3 BUrlG) auf den Kopf gestellt, da nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts davon ausgegangen werden konnte, dass Urlaubsansprüche auch bei Erkrankung eines Arbeitnehmers zum 31. Dezember des Urlaubsjahres bzw. zum 31. März des Folgejahres verfielen. Es bleibt abzuwarten, ob die Kommission auf der Grundlage der Sozialpartnerkonsultation einen Richtlinienvorschlag vorlegt, der den unbefriedi-

120

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genden Status quo, der durch die Rechtsprechung des EuGH entstanden ist, wieder bereinigt.

EuGH-Urteile „Viking“, „Laval“, „Rüffert“ und „EU-Kommission./.Luxemburg“ stärken soziale Dimension des europäischen Binnenmarkts – Forderungen nach Verschärfung der Entsenderichtlinie sind kontraproduktiv Der europäische Binnenmarkt ist nicht nur für die deutschen Unternehmen von wesentlicher Bedeutung, er hat europaweit dazu beigetragen, Wohlstand und Arbeitsplätze zu schaffen und damit sozialen Fortschritt in Europa zu fördern. Den jüngsten Beweis liefert die Entwicklung in den neuen mittel- und osteuropäischen Mitgliedstaaten der EU, wo sich die soziale Situation in den letzten Jahren erheblich verbessert hat, weil die wirtschaftliche Entwicklung positiv war: Das ProKopf-Einkommen in den neuen Mitgliedstaaten stieg seit 1999 um fast ein Drittel auf 52 % des Durchschnitts der alten Mitgliedstaaten. Dabei ist die Wirtschaftsleistung der neuen Mitgliedstaaten zwischen 2004 und 2008 gegenüber dem vorhergehenden Fünfjahreszeitraum um jährlich 5,5 % gestiegen, nachdem das Wachstum in der Zeit von 1999 bis 2003 um jährlich 3,5 % gestiegen war. Der europäische Binnenmarkt mit seinen vier Grundfreiheiten – Personenverkehrsfreiheit (dazu gehören die Arbeitnehmer- und Niederlassungsfreiheit), Warenverkehrsfreiheit, Dienstleistungsfreiheit und Kapitalverkehrsfreiheit – hat zu dieser Konvergenz grundlegend beigetragen. Vor diesem Hintergrund ist es richtig und begrüßenswert, dass der EuGH in den Rechtssachen „Viking“, „Laval“, „Rüffert“ und „EUKommission./.Luxemburg“ zu den im EG-Vertrag garantierten Grundfreiheiten des europäischen Binnenmarkts Stellung genommen und klargestellt hat, dass die Ausübung sozialer Grundrechte mit den Grundfreiheiten in einer angemessenen Balance stehen muss. So wurde einerseits das Recht der Gewerkschaften auf Ausübung kollektiver Rechte anerkannt. Gleichzeitig wurden aber die Schranken der kollektiven Rechte in


Europäischer Binnenmarkt schafft Wohlstand Entwicklung der Realeinkommen aus unselbstständiger Arbeit (einschl. Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung) pro Kopf in den neuen EU-Staaten 2000–2008

Rumänien

331,7

Lettland

188,5

Estland

132,5

Litauen

104,4

Ungarn

66,7

Bulgarien

51,9

Tschechien

49,1

Slowakei

48,1

Slowenien

40,3

Polen

19,0

0

40

80

120

160

200

240

280

320

360

400

in %

Quellen: Europäische Kommission, 2008; Berechnungen des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI)

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Europäischer Binnenmarkt schafft Arbeitsplätze Arbeitslosenquoten in den neuen EU-Staaten 2000 und 2008 im Vergleich – Jahresdurchschnitte nach Geschlecht und Altersgruppe

9,5

Slowakei 4,4

Slowenien

6,7 5,8

Rumänien

7,3 7,1

Polen Ungarn

16,1 7,8

6,4 5,8

Litauen

16,4 7,5

Lettland

13,7

5,5

Estland

12,9

4,4

Tschechien

8,7 5,6

Bulgarien

0

2

4

2008 2000 Quelle: Eurostat

122

18,8

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6

16,4

8

10

12

14

16

18

20

22

in %


Bezug auf die Grundfreiheiten des europäischen Binnenmarkts aufgezeigt. Der EuGH hat auch klargestellt, dass die Entsenderichtlinie ein Mindestmaß an Schutz für entsandte Arbeitnehmer gewährleisten soll. Die Richtlinie darf aber nicht dazu missbraucht werden, unter dem Deckmantel des Schutzes sozialer Rechte protektionistische Maßnahmen zu treffen, da dies zur Dienstleistungsfreiheit und zur Niederlassungsfreiheit im Widerspruch steht. Der EuGH stärkt mit dieser Rechtsprechung die Entwicklung des europäischen Binnenmarkts – und damit auch die soziale Dimension in Europa.

Verbesserte Durchsetzung der Entsenderichtlinie sinnvoll und notwendig Deshalb ist es verfehlt, wenn Kritiker dieser Rechtsprechung behaupten, dass das soziale Europa „unter die Räder der wirtschaftlichen Grundfreiheiten“ gerate. Mit einer sozialen Fortschrittsklausel im EU-Primärrecht soll erreicht werden, dass in Konfliktfällen die Grundfreiheiten nachrangig gelten. Dabei blieben aber letztlich gerade soziale Errungenschaften auf der Strecke. Sozialer Fortschritt wird immer nur auf Basis wirtschaftlichen Fortschritts realisiert, wie die Situation in den neuen mittel- und osteuropäischen Mitgliedstaaten der EU eindrucksvoll beweist. Ebenso verfehlt ist es, wenn Kritiker der Rechtsprechung dem EuGH vorwerfen, mit seiner Auslegung der Entsenderichtlinie „Sozialdumping Tür und Tor zu öffnen“. Die soziale Dimension des europäischen Binnenmarkts wird durch ein engmaschiges Netz an EU-weiten sozialen Mindeststandards und gerade auch durch die Entsenderichtlinie in angemessener Weise gewährleistet. Eine Überarbeitung der Entsenderichtlinie ist deshalb auch nicht erforderlich. Vielmehr müssen EU-Kommission und Mitgliedstaaten Mängel bei der praktischen Umsetzung, Anwendung und Durchsetzung der Entsenderichtlinie beheben. Dazu kann insbesondere die engere Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten, nationalen Behörden und der EU-Kommission zum Austausch von „good practices“ und bei Kontrollinstrumenten beitragen. Die EU-Kommission hat eine Expertengruppe aus Vertretern der Mitgliedstaaten und Beobachtern der

europäischen Sozialpartner eingesetzt, die sich mit den einzelnen Aspekten der Entsenderichtlinie beschäftigt. Ein Beispiel, wie die bestehenden Umsetzungs- und Vollzugsprobleme im Rahmen der gegenwärtig geltenden Entsenderichtlinie verringert werden können, ist die Datenbank der europäischen Bauwirtschaft, die auf einer Website mehrsprachig über die in den EU-Mitgliedstaaten anwendbaren Arbeitsbedingungen in der Bauwirtschaft (Mindestlöhne, Arbeitszeit, Urlaub, Urlaubskassenverfahren, Gesundheit und Sicherheit usw.) informiert. Auf diese Weise werden Baubetriebe und Arbeitnehmer, die vorübergehend in einem anderen Mitgliedstaat arbeiten, umfassend über das Arbeitsrecht in dem betreffenden Land und die einzuhaltenden Vorschriften informiert.

Neufassung der EBR-Richtlinie: praxistaugliche Regelungen sichergestellt Nachdem BUSINESSEUROPE und Europäischer Gewerkschaftsbund (EGB) mit ihren gemeinsamen Vorschlägen den Weg für eine zügige Neufassung der Richtlinie über Europäische Betriebsräte (EBR-Richtlinie) geebnet hatten, hat der Ministerrat den Richtlinienvorschlag im April 2009 formell angenommen. Zuvor hatte bereits das Europäische Parlament diesem Text zugestimmt. Damit ist die Richtlinie in erster Lesung verabschiedet worden. Die Mitgliedstaaten haben jetzt bis zum 5. Juni 2011 Zeit, um die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Dabei sind der Richtlinienvorschlag der EUKommission vom Sommer 2008 sowie die darauf basierenden gemeinsamen Sozialpartnervorschläge im Kern erhalten geblieben. Es ist dadurch sichergestellt, dass die Unternehmen und ihre Arbeitnehmervertreter über praxistaugliche und stabile rechtliche Rahmenbedingungen verfügen, die für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit in den Europäischen Betriebsräten notwendig sind. Im Vergleich zu den ursprünglichen Forderungen des Europäischen Parlaments und des EGB weist der jetzt angenommene Richtlinientext erhebliche substanzielle Verbesserungen auf. Dank des intensiven Lobbyings der europäischen Arbeitgeber bleibt der erfolgreiche Grundansatz der EBR-Richtlinie (Vorfahrt für maß­geschneiderte,

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Urteile des Europäischen Gerichtshofs stärken den EU-Binnenmarkt Viking (EuGH, Urteil vom 11. Dezember 2007, Rs. C-438/05) Sachverhalt: Zwischen Helsinki und Tallinn (Estland) verkehrt die Fähre „Rosella“, die der finnischen Reederei Viking gehört. Viking will die „Rosella“ in Estland registrieren lassen und einen Tarifvertrag mit einer estnischen Gewerkschaft schließen. Die finnische Seemannsgewerkschaft FSU verlangt, dass für die Besatzung weiter der bisherige Tarifvertrag gilt, und droht mit Streik. Zugleich weist die International Transport Workers’ Federation (ITF), der die FSU angehört, alle Mitgliedsgewerkschaften an, nicht mit Viking zu verhandeln. Viking erhebt Klage gegen die kollektiven Maßnahmen von ITF und FSU. EuGH-Entscheidung: Der EuGH erkennt zwar ein Grundrecht auf kollektive Maßnahmen an, jedoch muss sich die Ausübung einer solchen Maßnahme am sonstigen Gemeinschaftsrecht – insbesondere am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz – messen lassen. Werde die kollektive Maßnahme mit dem Zweck betrieben, ein Unternehmen dazu zu veranlassen, einen Tarifvertrag abzuschließen, der das Unternehmen davon abhalten kann, von seiner Niederlassungsfreiheit Gebrauch zu machen, stelle dies eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dar. Laval (EuGH, Urteil vom 17. Dezember 2007, Rs. C-341/05) Sachverhalt: Die schwedische Tochtergesellschaft der lettischen Baufirma Laval hat den Auftrag, in Schweden eine Schule zu bauen. Dazu entsendet Laval Arbeitnehmer aus Lettland nach Schweden, für die Laval mit der lettischen Gewerkschaft Tarifverträge unterzeichnet hat. In Schweden bestehen weder ein System der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen noch ein Mindestlohn. Die schwedische Bauarbeitergewerkschaft verhandelt ergebnislos mit Laval, um die im Baugewerbe der Region üblichen Durchschnittslöhne durchzusetzen. Daraufhin blockiert die Gewerkschaft auf Basis der „Lex Britannia“ die Baustelle. Letztlich müssen die Arbeitnehmer nach Lettland zurückkehren. Die Tochtergesellschaft von Laval wird für insolvent erklärt; Laval fordert daraufhin Schadensersatz. EuGH-Entscheidung: Der EuGH sieht den Baustellenboykott als Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit an. Eine solche Behinderung lasse sich nicht aus Gründen des Arbeitnehmerschutzes rechtfertigen. Ein Unternehmen könne nicht gezwungen werden, über das aus der Entsenderichtlinie folgende Maß hinaus Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen zu gewährleisten, wie es die Forderung der Gewerkschaft war. Rüffert (EuGH, Urteil vom 3. April 2008, Rs. C-346/06) Sachverhalt: Das Land Niedersachsen vergibt im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung einen Bauauftrag an ein Unternehmen, geknüpft an die durch das niedersächsische Landesvergabegesetz geforderte Auflage der Einhaltung tarifvertraglicher Löhne (Tariftreueerklärung). Ein polnischer Subunternehmer gerät in den Verdacht, Arbeiter zu einem Lohn beschäftigt zu haben, der unter dem im Baugewerbe-Tarifvertrag vorgesehenen Lohn lag. Das Land Niedersachsen beanstandet dies. EuGH-Entscheidung: Der EuGH hat derartige Tariftreueerklärungen für unzulässig erklärt, weil sie nicht in der EU-Entsenderichtlinie vorgesehen sind. Nach der EU-Entsenderichtlinie darf von ausländischen Baufirmen nur die Einhaltung von Mindestlöhnen oder von allgemeinverbindlichen Tarifverträgen verlangt werden. EU-Kommission./.Luxemburg (EuGH, Urteil vom 19. Juni 2008, Rs. C-319/06) Sachverhalt: Die EU-Kommission klagt gegen Luxemburg, weil nach ihrer Ansicht luxemburgische Gesetze gegen die Entsenderichtlinie verstoßen. Das luxemburgische Entsendegesetz sieht u. a. die automatische Anpassung der Entlohnung an die Entwicklung der Lebenshaltungskosten vor. Luxemburg macht geltend, die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, die Gegenstand der Rüge seien, gehörten zu den Vorschriften im Bereich der öffentlichen Ordnung und seien damit von der Entsenderichtlinie gedeckt. EuGH-Entscheidung: Der EuGH hat den Einwand, bei den nationalen Vorschriften handele es sich um zwingende Vorschriften im Bereich der öffentlichen Ordnung, abgelehnt. Was entsendende Unternehmen im Gastland einhalten müssen, sei abschließend in der Entsenderichtlinie aufgezählt. Die automatische Anpassung der Entlohnung an die Lebenshaltungskosten gehöre nicht dazu.

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unternehmensindividuelle Lösungen) erhalten. Die europäischen Arbeitgeber haben verhindert, dass über eine Verschärfung der EBR-Richtlinie neue Bürokratie in die Betriebe getragen und der Spielraum für maßgeschneiderte betriebliche Lösungen unnötig beschränkt wird. Zu diesem Zweck wird auch der Bestandsschutz für bereits abgeschlossene EBR-Vereinbarungen gewährleistet. Außerdem ist sichergestellt, dass der Europäische Betriebsrat in den Händen der Beschäftigten bleibt und nicht von europäischen Sozialpartnerorganisationen dominiert wird. Bei der Neufassung der Richtlinie sind erfolgreich Forderungen abgewehrt worden, betriebsfremden Funktionären mehr Einfluss gegenüber den Arbeitnehmervertretern aus den Betrieben einzuräumen. Die Einräumung solcher Rechte hätte gerade im Gegensatz zur eigentlichen Zielrichtung der Richtlinie gestanden, die die Verantwortung für das Format der Europäischen Betriebsräte in die Hände der betrieblichen Sozialpartner legt. Unmittelbar im Anschluss an die Verkündung der Richtlinie im Amtsblatt der EU hat die BDA in einer Ad-hoc-Sitzung im Mai 2009 in Berlin über die wesentlichen Neuerungen der Richtlinie für die Unternehmen informiert und die praktischen Aspekte mit Vertretern aus Verbänden und Unternehmen eingehend diskutiert. Die im Rahmen der Sitzung besprochenen praktischen Aspekte hat die BDA zu einem Leitfaden mit der politischen Bilanz und mit Hinweisen für die Unternehmenspraxis inklusive einer synoptischen Darstellung der ursprünglichen und der neu gefassten Richtlinie zusammengestellt. Das Augenmerk der BDA liegt nun auf dem Umsetzungsprozess auf nationaler Ebene, den die BDA intensiv begleitet. Dazu hat die BDA eine eigene Arbeitsgruppe aus Vertretern von Verbänden und Unternehmen eingerichtet. Gleichzeitig wird die BDA – wie schon bei der Umsetzung der ursprünglichen Richtlinie aus dem Jahr 1994 – in enger Zusammenarbeit mit ­BUSINESSEUROPE die Koordinierung der nationalen Umsetzungsprozesse in allen Mitgliedstaaten der EU sicherstellen, um die notwendige Kohärenz dieses Vorgangs zu gewährleisten. Zum Auftakt dieses Prozesses hat die Industrial Relations Working Group, die die Umsetzung der EBR-Richtlinie innerhalb von ­BUSINESSEUROPE begleitet, dazu im Septem-

ber 2009 eine Sondersitzung veranstaltet. Auf Anregung der BDA hat ­BUSINESSEUROPE diese Sitzung gezielt auch für Unternehmensvertreter geöffnet, damit sie ihre Praxiserfahrungen einbringen können. Sobald die Umsetzungsgesetze auf nationaler Ebene verabschiedet sind, wird ­BUSINESSEUROPE eine CD-ROM mit allen Umsetzungsgesetzen in englischer Übersetzung herausgeben, damit der Zugang zu diesen Gesetzen für die Unternehmen erleichtert wird.

Post-Lissabon-Strategie konsequent auf strategische Ansätze für Wachstum und Beschäftigung ausrichten Nachdem schon jetzt abzusehen ist, dass die ehrgeizigen Ziele der Lissabon-Strategie zum großen Teil nicht erreicht werden (rückläufige Ausgabenquote für Forschung und Entwicklung und Beschäftigungsquote im Jahr 2008 bei 65,9 % und angesichts der Krise im Jahr 2009 voraussichtlich deutlich unter 70 %), geht es nun darum, dass die Post-Lissabon-Strategie die richtigen Grundlagen und Zielsetzungen enthält. „Jobs, Jobs, Jobs“ muss die Devise für die Reformagenda lauten. Erst wenn es gelingt, nachhaltig neue Arbeitsplätze zu schaffen, kann die Wirtschaftskrise als überwunden betrachtet werden. Dafür muss die Wettbewerbsfähigkeit der EU als oberstes Ziel definiert werden. Weiterhin muss die neue Strategie Aspekte wie Finanzsicherheit (kein Haushaltsdefizit) und eine starke und krisenfeste Währung (Inflationsrate unter 2 %) ins Zentrum rücken und darf diesen Fokus nicht durch soziale und ökologische Ziele überfrachten. Ganz explizit muss es in der PostLissabon-Strategie auch um die Herausforderungen durch den demografischen Wandel gehen. Der Fachkräftemangel existiert bereits jetzt und wird uns in den Jahren, die vor uns liegen, mit voller Wucht treffen. Die Europäische Kommission rechnet mit einer Halbierung des durchschnittlichen Wirtschaftswachstums von 2,4 auf 1,3 % allein durch den demografischen Wandel. Im Jahr 2040 werden 11 % der europäischen Bevölkerung über 80 sein, im Jahr 2050 wird jeder Beschäftigte für 1,5 Ältere aufkommen müssen, heute liegt dieser Wert bei einer Person. Die Folgen für die sozialen Sicherungssysteme sind immens.

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Die BDA plant gemeinsam mit dem dänischen Arbeitgeberverband DA und dem spanischen Wirtschaftsverband CEOE hierzu eine vertiefende Analyse, mit dem Ziel, konkrete Politikvorschläge für die Post-Lissabon-Agenda vorzulegen. Die Europäische Kommission wird voraussichtlich Ende Oktober 2009 eine Konsultation zur Post-Lissabon-Strategie starten. Auf Grundlage der Ergebnisse sollen Anfang 2010 Empfehlungen vorgelegt werden, die dann vom Frühjahrsgipfel beschlossen werden sollen. BDA und ­BUSINESSEUROPE werden an diesem zentralen Projekt für die Zukunftsfähigkeit der EU intensiv mitwirken. Die Fokussierung der Post-2010-Lissabon-Agenda auf Wachstum und Beschäftigung wird auch von der neuen Bundesregierung gefordert. Die BDA unterstützt diese Linie der Bundesregierung voll inhaltlich. Es kommt jetzt darauf an zu vermeiden, dass erneut eine Verzettelung der Agenda in zu viele und z. T. inkompatible Einzelziele und Indikatoren stattfindet.

Europäischer Sozialer Dialog muss konstruktiven Beitrag zur Überwindung der Krise leisten! Das Arbeitsprogramm des Sozialen Dialogs für 2009 bis 2010 wurde im April dieses Jahres verabschiedet und auf dem Beschäftigungsgipfel vom 7. Mai 2009 vorgestellt. Die BDA hatte sich erfolgreich dafür eingesetzt, keine neuen Themen für verbindliche Sozialpartnerverhandlungen in das Arbeitsprogramm zu integrieren, sondern sich auf noch nicht abschließend behandelte wichtige Bereiche des alten Arbeitsprogramms zu konzentrieren. Somit geht es in diesem und im nächsten Jahr um:

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die Erarbeitung einer gemeinsamen Empfehlung zur Post-2010-Lissabon-Strategie, auch mit Blick auf die Wirtschafts- und Finanzkrise

eine gemeinsame Analyse der Auswirkungen des Klimawandels auf die Beschäftigung und die Identifizierung möglicher gemeinsamer Maßnahmen (Green Jobs)

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die gemeinsame Beobachtung der Umsetzung der Flexicurity-Prinzipien und der Beteiligung der Sozialpartner

die Themen „Mobilität der Arbeitskräfte“, „Migration und Integration“ mit dem Ziel, mögliche gemeinsame Maßnahmen zu identifizieren

Der Beschäftigungsgipfel am 7. Mai 2009 hat jedoch eine problematische Entwicklung des Sozialen Dialogs zutage gebracht: Der EGB war nicht mehr bereit, einer gemeinsamen Empfehlung zuzustimmen, in der das Flexicurity-Konzept als wichtiger Ansatz zur Überwindung der Wirtschaftskrise genannt werden sollte, obwohl er noch im vergangenen Jahr dieses Konzept positiv bewertet hatte. Dieses Abrücken von bereits vereinbarten gemeinsamen Positionen war sicherlich größtenteils dem Wahlkampf des Europäischen Parlaments geschuldet, in dem sich die Gewerkschaften gleichfalls mit Kampagnen gegen Sozialdumping zu profilieren versuchten. Doch auch in weiteren Themenbereichen werden die Verhandlungen schwieriger.

Schwierige Sozialpartnerverhandlungen zu „inclusive labour markets“ Ausgehend von der gemeinsamen Analyse der Arbeitsmärkte „Key Challenges Facing European Labour Markets: A Joint Analysis of European Social Partners“, die ­BUSINESSEUROPE und der EGB im Herbst 2007 vorgelegt hatten, wurden Sozialpartnerverhandlungen für eine Rahmenvereinbarung zu „inclusive labour markets“ aufgenommen, mit dem Fokus auf der Integration benachteiligter Gruppen in den Arbeitsmarkt. Mit diesem Thema hat sich ­BUSINESSEUROPE – und damit die BDA-Position – gegenüber dem EGB durchgesetzt, der ursprünglich eine Rahmenvereinbarung zum „Lebenslangen Lernen“ gefordert hatte. Die Verhandlungen haben am 17. Oktober 2008 begonnen. Im Verlauf der Verhandlungen allerdings zeigen die Gewerkschaften wenig Bereitschaft, auch die individuelle Verantwortung jedes Einzelnen für die eigene Beschäftigungsfähigkeit in der Rahmenvereinbarung anzuerkennen. Vor diesem Hintergrund wird es großer Anstrengung bedür-


fen, um die Verhandlungen wie geplant bis Ende des Jahres abschließen zu können.

Erfolgreicher Abschluss der Vereinbarung zum Elternurlaub könnte durch Europäisches Parlament gefährdet werden Einen Erfolg stellen die am 23. März 2009 abgeschlossenen Sozialpartnerverhandlungen zur Revision der Richtlinie zum Elternurlaub dar. Die branchenübergreifende Rahmenvereinbarung der Sozialpartner wurde in eine Richtlinie überführt. Am 30. November 2009 hat der Rat die Richtlinie verabschiedet. Die wichtigsten Änderungen, die in dieser Vereinbarung enthalten sind, betreffen die Erhöhung der Elternzeit von drei auf vier Monate je Elternteil und die Möglichkeit für Mitgliedstaaten bzw. Tarifpartner, eine finanzielle Unterstützung für die Zeit des Eltern­ urlaubs festzulegen. Für Deutschland sind mit dieser Sozialpartnervereinbarung keine Anpassungen notwendig. Das Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz erfasst bereits alle verhandelten Neuerungen. Der Arbeitgeberseite gelang es im Laufe der Verhandlungen, zahlreiche – sehr weitgehende und in der Folge für Unternehmen belastende – Forderungen der Gewerkschaften abzuwehren, wie z. B. einen zusätzlichen Anspruch von Vaterschaftsurlaub um die Zeit der Geburt, einen Adoptionsurlaub, der für den Adoptionsprozess zusätzlich zur Verfügung stehen sollte, sowie die Anhebung der Altersgrenze des Kindes auf zehn Jahre, um Elternurlaub in Anspruch nehmen zu können. Im weiteren Verfahren hatte die Kommission die Sozialpartnervereinbarung gefährdet: Im Entwurf einer Richtlinie zur Umsetzung der Sozialpartnervereinbarung hat die Kommission einen Artikel betreffend Sanktionen bei einem Verstoß gegen die Vereinbarung hinzugefügt, der mit den Sozialpartnern nicht abgestimmt war. Erst nachdem ­BUSINESSEUROPE, UEAPME, CEEP und EGB dieses unabgestimmte Vorgehen scharf kritisiert hatten, wurde eine Kompromisslösung in Anlehnung an eine bestehende Sozialpartnervereinbarung aus der Seeschifffahrt gefunden, die nun für alle Seiten akzeptabel ist.

Zusätzlich dazu hat das Europäische Parlament in einem Entschließungsentwurf zu der Sozialpartnervereinbarung die von den Gewerkschaften im Verlaufe der Verhandlungen vorgetragenen überzogenen Forderungen nach einem zusätzlichen Anspruch von Vaterschaftsurlaub und Adoptionsurlaub erneut vorgebracht sowie die Anhebung der Altersgrenze des Kindes, um Elternurlaub in Anspruch nehmen zu können. Statt sich mit solchen überzogenen Forderungen ins Abseits zu manövrieren, wäre das Europäische Parlament besser beraten, wenn es die von den Sozialpartnern erzielten Einigungen als solche respektieren würde.

Sozialpartneranalyse zu Auswirkungen der EuGH-Urteile – erfolgreicher Abschluss schwieriger Verhandlungen in Sicht Vor dem Hintergrund der protektionistischen Forderungen von Teilen des Europäischen Parlaments und des EGB nach einer Verschärfung der Entsenderichtlinie haben die europäischen Sozialpartner auf Initiative von ­BUSINESSEUROPE im März 2009 begonnen, mit Unterstützung der EU-Kommission die Urteile des EuGH in den Rechtssachen „Viking“, „Laval“, „Rüffert“ und „EUKommission./.Luxemburg“ eingehend auf die rechtlichen und tatsächlichen Auswirkungen für die Arbeitnehmer in Europa zu analysieren. Dabei hat ­BUSINESSEUROPE den von der BDA entwickelten Ansatz in die Diskussion eingebracht, dass die Grundfreiheiten des europäischen Binnenmarkts und soziale Grundrechte nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen, da der europäische Binnenmarkt gerade sozialen Fortschritt ermöglicht. Anhand von empirischen Untersuchungen haben die europäischen Arbeitgeber gezeigt, dass der europäische Binnenmarkt sowohl ein ökonomisches als auch ein soziales Projekt ist. Beschränkungen der Grundfreiheiten würden auch die soziale Dimension des Binnen­ markts beschädigen. Mit diesem offensiven Ansatz, der sich sowohl zu den Grundfreiheiten als auch zum Schutz sozialer Rechte bekennt, ist es bisher gelungen, den politischen Druck auf die EU-Kommission zur Revision der Entsenderichtlinie zu nehmen.

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BDA führt EU-Sozialpartnerseminar zu Umstrukturierung in Berlin durch Ein weiteres Projekt im Rahmen des Sozialen Dialogs ist eine Erhebung über die Rolle der Sozialpartner bei Umstrukturierungsprozessen in allen EU-Mitgliedstaaten. Der Berichtsentwurf für Deutschland wurde im Rahmen eines europäischen Sozialpartnerseminars am 31. März und 1. April 2009 in Berlin kritisch diskutiert, das von der BDA federführend durchgeführt wurde. Die Debatten während dieses Seminars machten deutlich, dass sowohl Arbeitgeber als auch Gewerkschaften das deutsche, auf der Tarifautonomie basierende System der industriellen Beziehungen wertschätzen und Eingriffe des europäischen oder deutschen Gesetzgebers grundsätzlich ablehnen.

Reform des sektoralen Sozialen Dialogs: Autonomie bewahren! Für den sektoralen Sozialen Dialog beabsichtigte die Kommission noch in diesem Jahr eine Mitteilung vorzulegen. Ihr geht es vor allem darum, die Akteure des sektoralen Sozialen Dialogs stärker unter Druck zu setzen, konkrete Ergebnisse zu liefern. Genau dies würde aber dem Grundprinzip des Sozialen Dialogs widersprechen, denn es sind die Sozialpartner selbst, die entscheiden, ob und welche Ergebnisse am Ende von Verhandlungen stehen. Hartnäckige Überzeugungsarbeit der BDA hat nun zumindest dazu geführt, dass diese Mitteilung verschoben wurde.

Fortentwicklung bei der EUZuwanderungs- und Asylpolitik muss auf Bedürfnisse der nationalen Arbeitsmärkte Rücksicht nehmen Alle Mitgliedstaaten der EU sind von internationalen Migrationsströmen betroffen und es ist eine wichtige Aufgabe, eine gemeinsame Einwanderungspolitik auf EU-Ebene zu entwickeln. Die von den Staats- und Regierungschefs angestrebte

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Weiterentwicklung einer europäischen Migrationspolitik ist grundsätzlich richtig. Es besteht in der Tat ein enger Zusammenhang zwischen Zuwanderung, Beschäftigung und der Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung. Unverzichtbar ist bei der Gestaltung der legalen Einwanderung auf europäischer Ebene jedoch der Grundsatz, dass die Regelung des Zugangs von Drittstaatsangehörigen zum nationalen Arbeitsmarkt Sache des jeweiligen Mitgliedstaats ist. Nur so ist eine nationale, an den Bedürfnissen des Arbeitsmarkts orientierte Zuwanderungssteuerung insbesondere über ein Punktesystem weiterhin möglich. Die BDA begrüßt daher nachdrücklich die im Koalitionsvertrag verankerte Position der neuen Bundesregierung, dass die EU-Mitgliedstaaten auch künftig die Zuständigkeit behalten müssen, über Zuwanderung in nationaler Verantwortung zu entscheiden. Die neue Bundesregierung wird erfreulicherweise darauf achten, dass das Subsidiaritätsprinzip beachtet wird und die bestehenden nationalen Grundsätze und Standards gewahrt bleiben. Die „Blue-Card“-Richtlinie, mit der Europa für Hochqualifizierte aus Drittstaaten attraktiver gemacht werden soll, wurde am 25. Mai 2009 vom Rat verabschiedet. Auch wenn die Richtlinie ein wichtiger Baustein im internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe und zur Bekämpfung bestehender und zukünftiger Fachkräfteengpässe in Europa sein kann, so ist angesichts der nach wie vor sehr hohen Anforderungen für den Erhalt einer EU Blue Card zu befürchten, dass ihre Wirkung in der Praxis begrenzt sein wird. Umso mehr gilt es, bei der Umsetzung in deutsches Recht keine weiteren Hürden zu errichten. Nachdrücklich zu begrüßen ist, dass neben der „BlueCard“-Richtlinie eine nationale arbeitsmarkt- und qualifikationsorientierte Zuwanderungssteuerung über ein Punktesystem weiterhin möglich sein wird. Die BDA hatte im Gesetzgebungsverfahren mit Erfolg darauf verwiesen, dass es keinen einheitlichen europäischen Arbeitsmarkt gibt und die optimalen Integrationsvoraussetzungen und Arbeitskräftebedarfe immer nur national beurteilt werden können, weshalb europäische Regelungen immer nur einen Rechtsrahmen setzen sollten, der den Mitgliedstaaten hinreichende Gestaltungsspielräume zur Anpassung an nationale


Gegebenheiten lässt. Der deutsche Gesetzgeber ist nun aufgefordert, die Richtlinie innerhalb der zweijährigen Umsetzungsfrist in deutsches Recht umzusetzen. EU-Kommission, Rat und Europäisches Parlament haben eine Einigung über den Sanktionsrichtlinienvorschlag erzielt. Das mit der Richtlinie verfolgte Ziel der Bekämpfung der illegalen Beschäftigung von Drittstaatsangehörigen ist grundsätzlich zu begrüßen, da illegale Beschäftigung und Schwarzarbeit vielfache negative Folgen haben und den Wettbewerb zu Lasten der sich rechtstreu verhaltenden Unternehmen verzerren, zu Einnahmeausfällen in den Sozialversicherungssystemen führen und die Steuermoral untergraben. Sie müssen daher effektiver als bisher eingedämmt werden. Mit einer Bekämpfung der Symptome – wie durch die Richtlinie vorgesehen – wird man jedoch keinen Erfolg haben, solange nicht die maßgebenden Ursachen für illegale Beschäftigung bekämpft werden. Stärkere Kontrollen und härtere Sanktionen haben nur wenig Erfolg, solange die tatsächlichen Ursachen (z. B. hohe Steuer- und Abgabenbelastung, Verunsicherung der Bürger durch die Steuer- und Sozialgesetzgebung, Verkürzung der Arbeitszeiten und zunehmende Regulierung des Arbeits­markts) bestehen bleiben. Verfehlt ist insbesondere die Regelung zur verschuldens­ unabhängigen Generalunternehmerhaftung, wonach der Unternehmer für seine direkten Subunternehmer haften soll, auch wenn er gar keine Kenntnis davon hat, dass dieser Subunternehmer Arbeitnehmer ohne Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis beschäftigt. Hier muss spätestens bei der Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht dafür Sorge getragen werden, dass diese Haftung dann nicht eingreift, wenn der Unternehmer bei der Auswahl des Subunternehmers die erforderliche Sorgfalt hat walten lassen. Die Kontrolle der Einhaltung von Recht und Gesetz ist eine originäre Aufgabe des Staates. Er darf diese nicht willkürlich den Unternehmen aufbürden und sie mit unverhältnismäßigen Kontroll- und Überprüfungspflichten überfrachten.

dafür ein, dass der Rat bei der Frage der Anhebung von Sozialleistungen für Asylbewerber dem Europäischen Parlament folgt, das die von der Europäischen Kommission vorgeschlagene pauschale Anhebung auf das in den jeweiligen Mitgliedstaaten geltende Sozialhilfeniveau ablehnt. Deutschland gewährt Asylbewerbern mit dem Asylbewerberleistungsgesetz eine angemessene Grundversorgung. Aufgrund der unterschiedlichen Höhe der Sozialhilfe würde eine Anhebung auf das jeweilige Sozialhilfeniveau gerade keine vergleichbaren Lebensbedingungen für Asylbewerber in allen Mitgliedstaaten gewährleisten, sondern sogar ihre unterschiedliche Behandlung in Europa eher noch verstärken. Folge wäre eine Umleitung von Zuwanderungsströmen in Länder mit hohem Sozialhilfeniveau. Damit würde die von der Europäischen Kommission angestrebte Eindämmung der innereuropäischen Migration von Asylbewerbern gerade nicht erreicht. Auf nationaler Ebene setzt sich die BDA dafür ein, dass jeder bei einem legalen Mindestaufenthalt von einem Jahr jederzeit eine Arbeit aufnehmen kann, um seinen Lebensunterhalt selbst bestreiten zu können. Damit wird vermieden, dass Menschen in die Fürsorgeempfängerposition gedrängt werden, in der sie schnell dauerhaft verbleiben, mit der Folge einer Belastung der Sozialkassen und letztendlich des Steuerzahlers. Wer die Zeit für den Arbeitsmarktzugang verkürzen will, muss beachten, dass daraus keine Fehlanreize entstehen, unter missbräuchlicher Berufung auf das Asylrecht nach Deutschland zu kommen, nur um hier eine Arbeit aufnehmen zu können. Die von der Kommission vorgeschlagene EU-einheitliche Sechsmonatsfrist für einen Zugang zum Arbeitsmarkt ist abzulehnen, weil die Entscheidung über Art und Maß des Arbeitsmarktzugangs für Drittstaatsangehörige zu Recht alleine Sache der Mitgliedstaaten ist und bleiben muss. Es gibt nämlich keinen einheitlichen europäischen Arbeitsmarkt, sondern immer nur regionale Arbeitsmärkte. Deshalb müssen die Mitgliedstaaten selbst über den Zugang zum Arbeitsmarkt unter Berücksichtigung der nationalen Gegebenheiten entscheiden können.

Bei den laufenden Beratungen über den Richtlinienvorschlag zur Festlegung von Mindeststandards für die Aufnahme von Asylbewerbern setzt sich die BDA in Berlin und Brüssel

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CSR: Erfolgsgeschichte fortsetzen – schädliche Regulierung verhindern Auf europäischer Ebene gewinnt das Thema „CSR“ (Corporate Social Responsibility) wieder an Fahrt. Die Europäische Kommission ist derzeit dabei, eine Reihe von sog. Transparency Workshops zu veranstalten, in denen eruiert werden soll, inwiefern eventuell doch standardisierte Vorgaben zur Berichterstattung entwickelt werden sollen. Dies wäre ein schwerer Rückschlag für die Erfolgsgeschichte der europäischen CSR-Allianz. Nach langen Diskussionen hatte die Kommission im Jahr 2006 mit der Vorlage ihrer Mitteilung die Grundlage für die europäische CSR-Allianz geschaffen, die seitdem erfolgreich als europäische Austauschplattform für das gesellschaftliche Engagement der Unternehmen funktioniert. Es ist im Interesse der Unternehmen, dass diese ­praxisorientierte Allianz von der neuen Kommission fortgeführt und nicht durch jedwede Art von Standardisierung oder gar ein europäisches CSR-Ranking („naming and shaming“) ersetzt wird. CSR ist zu vielfältig und komplex, als dass es sinnvoll standardisiert werden kann. Die Verantwortungen eines Bäckers, eines mittelständischen Automobilzulieferers, eines international vernetzten IT-Dienstleisters und eines international produzierenden Textilherstellers sind zu unterschiedlich, als dass hier einheitliche Benchmarks angelegt werden können. In Deutschland hat die Bundesregierung ihr CSR-Forum eingesetzt, das am 20. Januar 2009 erstmals tagte. Das Forum besteht aus 40 vom Bundesarbeitsministerium ausgewählten Personen aus den Bereichen Wirtschaft, Gewerkschaften, Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Stiftungen sowie aus den verschiedenen Ressorts der Bundesregierung. Aufgabe des Forums ist es, innerhalb von zwei Jahren Politikempfehlungen an die Bundesregierung zur Förderung von CSR zu erarbeiten, die dann in eine nationale CSRStrategie der Bundesregierung münden sollen. In einem Kabinettsbeschluss hat man sich auf ein gemeinsames Verständnis von CSR geeinigt sowie sechs Themenfelder identifiziert, für die bis Ende des Jahres politische Empfehlungen an die Bundesregierung erarbeitet werden sollen. Die sechs Bereiche sind:

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Aktionsfeld 1: Glaubwürdigkeit und Sichtbarkeit von CSR

Aktionsfeld 2: Förderung der Verbreitung des Themas „CSR“, insbesondere auch bei kleinen und mittleren Unternehmen

Aktionsfeld 3: Integration von CSR in Bildung, Qualifizierung, Wissenschaft und Forschung

Aktionsfeld 4: Stärkung von CSR in internationalen und entwicklungspolitischen Zusammenhängen

Aktionsfeld 5: Beitrag von CSR zur Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen

Aktionsfeld 6: Schaffung eines CSR-förderlichen Umfelds

Die BDA ist in allen sechs Arbeitsgruppen vertreten. Ziel ist, eine CSR-Strategie der Bundesregierung zu entwickeln, die wirklich CSR fördert und unterstützt und es nicht durch dirigistische Vorgaben für Unternehmen schwieriger macht, ihre CSR-Strategien bestmöglich und zielgerichtet zu realisieren. Die neue Bundesregierung wird die CSR-Arbeit mit dieser Zielsetzung konstruktiv angehen und hat dafür die volle Unterstützung der deutschen Arbeitgeber.

ISO 26000 zu Social Responsibility: untauglich für kleine und mittlere Unternehmen Seit 2004 ist die ISO (International Organization for Standardization) dabei, einen ISO-Leitfaden zu „Social Responsibility“ zu erarbeiten. Sie verlässt damit den ihr eigentlich zustehenden Bereich der technischen Normung und begibt sich auf das Gebiet der Arbeits- und Sozialstandards. Dabei ist die – nicht zuletzt auf Druck der BDA und der internationalen Arbeitgeberorganisation IOE gemachte – Vorgabe, dass dieser Leitfaden nicht zur Zertifizierung gedacht ist. Eine 450-köpfige, aus sechs verschiedenen Stakeholder-Kategorien (Wirtschaft, Gewerkschaften, Regierungen, Verbraucherorganisationen, Nichtregierungsorganisationen und „Sonstige“) bestehende Arbeits-


gruppe arbeitet an diesem Leitfaden, der sich ausdrücklich an alle Organisationen richten soll, nicht ausschließlich an Unternehmen. Im Vorfeld des diesjährigen Treffens der ISO Working Group (WG) in Québec wurde der letzte Arbeitsentwurf im Rahmen der ISO-Regularien unerwartet zu einem Draft International Standards (DIS) erklärt. Damit hat die ISO trotz der seitens der Wirtschaft vorgetragenen Kritik am letzten Arbeitsentwurf das Verfahren – zu Lasten der Qualität – beschleunigt. Zündstoff bietet auch nach dem Treffen in Québec weiterhin die Frage, inwieweit der ISOLeitfaden zu „Social Responsibility“ eben nur als Leitfaden betrachtet wird und nicht als Zertifizierungsgrundlage dient. Im Rahmen des WG-Treffens in Québec haben sich Regierungsvertreter für eine Zertifizierung ausgesprochen. Die in Québec von allen Stakeholder-Kategorien vorgebrachten Kommentare wurden von der ISO in den DIS eingearbeitet und zur weiteren Kommentierung an die nationalen Normungsinstitute (in Deutschland: DIN) wiederum zur Kommentierung gegeben. Die Frist für diese letzte Runde der Kommentierung läuft bis Februar 2010. Trotz weiterhin gravierender Bedenken der Wirtschaft hinsichtlich der Inhalte dieses Dokuments ist es im jetzigen Verfahrensstand kaum möglich, substanzielle Änderungen durchzusetzen. Die BDA wird daher gemeinsam mit den Wirtschaftsvertretern der anderen Länder darauf hinwirken, dass der vorliegende Normentwurf nicht die erforderliche Mehrheit der nationalen Normungsinstitute im weiteren ISO-Verfahren erhält und somit von der ISO nicht angenommen wird.

ILO – nur mit offenen Märkten kann Beschäftigung erhalten und die globale Krise überwunden werden Die jährlich stattfindende Internationale Arbeitskonferenz der ILO stand in diesem Jahr unter dem Zeichen der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise. Es waren die Arbeitgeber in der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), die während

der Sitzung des Verwaltungsrats im März 2009 einforderten, angesichts einer Krise dieses Ausmaßes nicht mit „business as usual“ fortzufahren, sondern sich während der diesjährigen Konferenz den beschäftigungs- und sozialpolitischen Folgen zu widmen. Nach anfänglichem Widerstand lenkten Gewerkschaften und Regierungen ein. Somit wurde die Tagesordnung der Konferenz kurzfristig geändert: Es wurde ein „Committee of the Whole (CoW) on Employment and Social Policy. Consequences of the Global Economic and Financial Crisis“ einberufen. Zusätzlich gab es einen globalen Beschäftigungsgipfel, bei dem sich Staats- und Regierungschefs sowie Minister aus zahlreichen ILO-Mitgliedstaaten einfanden. Das Ergebnis der Verhandlungen ist der „Global Jobs’ Pact“, eine gemeinsam von Gewerkschaften, Regierungen und Arbeitgebern getragene Antwort auf die Herausforderungen der Krise. Es werden keine Standardlösungen präsentiert, sondern vielmehr bietet der Pakt eine Reihe von möglichen Maßnahmen, die auf die jeweiligen Bedürfnisse jedes Landes zugeschnitten werden können. Dazu gehören z. B. öffentliche Infrastrukturinvestitionen, Beschäftigungsprogramme, die Stärkung der Sozialschutzsysteme und Mindestlöhne. Vor allem in Entwicklungsländern können solche Maßnahmen die Armut vermindern, die Nachfrage stärken und einen Beitrag zur volkswirtschaftlichen Stabilität leisten. Daher beinhaltet der Pakt auch einen Aufruf an die Geberländer und die internationalen Entwicklungsorganisationen zur Bereitstellung von Mitteln, um die Umsetzung der Empfehlungen in den Entwicklungsländern zu ermöglichen. Der „Global Jobs’ Pact“ erteilt Protektionismus eine klare Absage und plädiert für effiziente und zugleich gut regulierte Märkte sowie für eine Wende hin zu einer umwelt- und klimafreundlichen Produktionsweise. Mit dem „Global Jobs’ Pact“ ist ein wichtiges Ziel erreicht: Die ILO hat sich im Gefüge der internationalen Organisationen als wichtiger Mitgestalter positioniert und ist dabei im Rahmen ihres Mandats und ihrer Kernkompetenz geblieben: Beschäftigung, Arbeitsmärkte und Arbeitsbedingungen sowie die Unterstützung und Förderung nachhaltiger Unternehmen. In diesen Feldern hat

BDA | Geschäftsbericht 2009 | Europa und Internationales

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die ILO durch ihre dreigliedrige Struktur eine besondere Zuständigkeit. Die Arbeitgeber hatten die Konzentration auf diese Themen in den Verhandlungen immer wieder eingefordert und schließlich durchgesetzt.

fand ein umfassendes Echo in der internationalen Presse. Eine geschlossene und klare Absage an jedwede Form des Protektionismus, auch im Hinblick auf die Beschäftigungspolitik, war eine der Kernbotschaften dieses „Weltpanels“.

Konferenz der IOE: Empfehlungen der internationalen Arbeitgeber zur nachhaltigen Überwindung der Krise

G8-Arbeitsminister: entschlossene Maßnahmen gegen Finanzkrise erforderlich

Die europäischen und zentralasiatischen Mitglieder des internationalen Arbeitgeber­verbands IOE haben sich zu ihrer Jahresversammlung am 10. und 11. September 2009 in Riga getroffen. Zentrale Themen der Veranstaltung waren die Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise auf die Arbeitgeberverbände, die Reform der IOE, die Auswirkungen der Krise auf kleine und mittlere Unternehmen sowie Forderungen der europäischen und zentralasiatischen Arbeitgeber an die ILO. In der Diskussion wurde deutlich, dass die Initiativen und Aktivitäten der ILO nach wie vor zu wenig auf die Bedürfnisse der Wirtschaft zugeschnitten sind und zu wenig Relevanz für Unternehmen und Arbeitgeberverbände in Europa haben. Die ILO muss einen sehr viel praxisorientierteren und flexibleren Ansatz wählen und in ihrer Arbeit stärker die unterschiedlichen nationalen Rahmenbedingungen berücksichtigen. Das europäische Regionaltreffen der ILO im Frühjahr 2009 in Lissabon wurde dabei als ein erster Schritt in die richtige Richtung gewürdigt. In Lissabon hatten Regierungen, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände in sehr intensiven Diskussionen nach Antworten auf die Krise gesucht. Die IOE selbst unterzieht sich – u. a. auf Bestreben der BDA – einem umfassenden Reformprozess, um besser auf die Bedürfnisse ihrer Mitglieder eingehen zu können. Es geht hierbei vor allem darum, eine wirklich globale Stimme der Arbeitgeber zu etablieren. Wie notwendig das ist, hat sich durch die Herausforderungen der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise deutlich gezeigt. Ein hochkarätig und international besetztes Symposium der IOE im Februar 2009 in Lissabon

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BDA | Geschäftsbericht 2009 | Europa und Internationales

Im Vorfeld des G8-Gipfels vom 8. bis 10. Juli 2009 im italienischen L’Aquila haben Ministerpräsident Silvio Berlusconi und Arbeitsminister Maurizio Sacconi sich mit Vertretern von Arbeitnehmern und Arbeitgebern am 26. Juni 2009 in Rom getroffen, um mit ihnen Auswege aus der Krise zu diskutieren. Bei diesem Anlass forderte die BDA eine umfassende Reform der Finanzmärkte. Keine systemrelevante Finanzinstitution, kein systemrelevanter Markt und kein systemrelevantes Produkt darf unreguliert und ohne Kontrolle bleiben. Zudem ist das Geld weiterhin viel zu knapp. Gesunde Unternehmen dürfen aber nicht an fehlender Liquidität scheitern. Zweifellos müssen Wege gefunden werden, um die Auswirkungen der Krise auf Arbeitnehmer so weit wie möglich zu begrenzen. Aber das geht nur, wenn die Bedürfnisse der Unternehmen im Mittelpunkt der Maßnahmen stehen. Um Arbeitsplätze zu retten, müssen Unternehmen überleben können, so lauteten die zentralen Botschaften an die G8-Minister.

BIAC-Netzwerktreffen: Dialog mit OECD wichtig Angesichts der Wirtschafts- und Finanzkrise wächst die Bedeutung der OECD bei der Koordinierung der wirtschafts-, finanz- und sozialpolitischen Ansätze und Maßnahmen zur Überwindung der Krise. Darüber hinaus gewinnt die OECD gerade auch in Deutschland für die politischen Debatten auf nationaler Ebene stark an Bedeutung, wofür die PISA-Studie nur das auffälligste Beispiel ist. Deshalb hält es die BDA für wichtig, das Netzwerk der deutschen Vertreter, die in den Ausschüssen von BIAC (Business Advisory Commit-


tee to the OECD) und der OECD direkt aktiv sind, aufzubauen, zu pflegen und zu nutzen. Das zweite Netzwerktreffen fand Ende April 2009 statt. Dafür gelang es hochrangige Redner zu gewinnen, wie den Ständigen Vertreter der Bundesrepublik bei der OECD, Botschafter Dr. Johannes Westerhoff, den Generalsekretär von BIAC, Herrn Tadahiro Asami, den Chefvolkswirt der Deutschen Bank und Vorsitzenden des BIAC-Ausschusses für Wirtschaftspolitik, Prof. Norbert Walter, sowie den stellvertretenden Generalsekretär der OECD, Herrn Aart de Geus. Geleitet wurde das Netzwerktreffen vom Präsidenten der vbw – Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V., Herrn Randolf Rodenstock. Herr Rodenstock vertritt BDA und BDI auch im BIAC-Verwaltungsrat und ist Vizepräsident von BIAC. Aus aktuellem Anlass ging es vor allem um einen Austausch über die Folgen der Krise und darum, wie die OECD hier mit Politikvorschlägen für die Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik unterstützend einwirken kann. Die Ergebnisse dieser Diskussion hat Herr Rodenstock im Juni im Rahmen der OECD-Ministerkonsultation gegenüber den OECD-Fachministern an prominenter Stelle vertreten. Die zentralen Botschaften der Diskussion waren die Forderungen nach enger internationaler Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Krise, nach fairen internationalen Wettbewerbsbedingungen und nach rechtlichen Rahmenbedingungen, die Wachstum und Beschäftigung fördern. Gerade der letzten Forderung wurde von Seiten der BDA durch eine gemeinsame Veranstaltung mit der Weltbank zum „Doing-Business“-Bericht der Weltbank Nachdruck verliehen.

„Doing-Business“-Bericht der Weltbank macht deutlich: keine neuen Belastungen für Wirtschaft und Arbeit Im September hat die Weltbank den Bericht „­Doing Business 2010“ vorgestellt. In ihm werden die rechtlichen Rahmenbedingungen für Unternehmen in 183 Staaten miteinander verglichen. Anlässlich der Vorstellung des Berichts in Berlin gemeinsam mit der Weltbank erklärte Ernst Baumann, Vorsitzender des Ausschusses für Sozialpolitik in der EU der BDA, dass die neue Bundesregierung alles dafür tun muss, um bessere

Rahmenbedingungen für Wachstum, Beschäftigung und internationale Wettbewerbsfähigkeit zu schaffen. Es darf in den kommenden vier Jahren keine neuen Belastungen für Wirtschaft und Arbeit geben, d. h. keine weiteren Abgaben und Steuern und auch keine zusätzliche Bürokratie.

Mittelmeerregion = Partnerschaftsregion Im Rahmen des europäischen Förderprogramms „Invest in Med“ organisiert die BDA gemeinsam mit der vbw – Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V., der Deutsch-Arabischen Freundschaftsgesellschaft (DAFG) und dem Bildungswerk der Bayerischen Wirtschaft (bbw) ein mehrgliedriges Kooperationsprojekt mit den Arbeitgeberverbänden Algeriens (CGEA) und Tunesiens (UTICA). Ziel dieser Kooperation ist es, ein Netzwerk von tragfähigen Partnern vor Ort zu etablieren und die Geschäftskontakte auf beiden Seiten auszubauen. Delegationen waren bereits vom 20. bis 23. April 2009 in Berlin und München sowie vom 30. Mai bis 4. Juni 2009 in Algerien anlässlich der Industriemesse „Foire Internationale d’Alger“ (FIA). Weiterhin ist im Dezember 2009 eine Delegationsreise der BDA nach Israel geplant, auf persönliche Einladung des Präsidenten der „Manufacturers’ Association of Israel” (MAI), des wichtigsten Wirtschaftsverbands in Israel. Ziel dieser Reise ist der Erfahrungsaustausch über wirtschaftliche und sozialpolitische Entwicklungen in Israel und Deutschland. Zudem sollen die Möglichkeiten für eine Intensivierung der wirtschaftlichen Beziehungen (Handel und Direktinvestitionen) zwischen beiden Ländern ausgelotet und die Zusammenarbeit in den internationalen Organisationen (ILO, IOE, OECD, BIAC, ISO) gestärkt werden. Die Delegation wird dazu u. a. mit dem israelischen Premierminister Benjamin Netanyahu und dem israelischen Minister für Industrie, Handel und Arbeit, Benjamin Ben-Eliezer, zu Gesprächen zusammentreffen. Zudem ist ein Treffen mit hochrangigen Vertretern der palästinensischen Autonomiebehörde geplant.

BDA | Geschäftsbericht 2009 | Europa und Internationales

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Deutschland braucht bessere wirtschaftliche Rahmenbedingungen Ranking der Rahmenbedingungen im internationalen Vergleich

2010 Rank

2009 Rank

Economy

2010 Reforms

1

1

Singapore

3

2

2

New Zealand

0

3

3

Hong Kong, China

3

4

4

United States

0

5

6

United Kingdom

2

6

5

Denmark

0

7

7

Ireland

1

8

8

Canada

0

9

9

Australia

0

10

10

Norway

1

11

16

Georgia

2

12

12

Thailand

1

13

15

Saudi Arabia

2

14

11

Iceland

1

15

13

Japan

0

16

14

Finland

1

17

24

Mauritius

6

18

17

Sweden

0

19

23

Korea, Rep.

2

20

18

Bahrain

1

21

19

Switzerland

0

22

20

Belgium

2

23

21

Malaysia

2

24

22

Estonia

2

25

27

Germany

2

26

25

Lithuania

1

27

30

Latvia

2

28

26

Austria

0

29

29

Israel

1

30

28

Netherlands

1

183

Central African Republic

1

... 183

Quelle: Report „Doing Business 2010“ der Weltbank

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BDA | Geschäftsbericht 2009 | Europa und Internationales





Ein Grund zum Feiern: 60 Jahre Bundesrepublik Deutschland – 60 Jahre BDA Im Mai konnte die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland auf 60 Jahre gelebte Verfassungswirklichkeit zurückblicken. Mit dem Grundgesetz hat Deutschland eine Verfassung, die individuelle Freiheit ohne staatliche Überwachung und Kontrolle sichert. Sie ist Voraussetzung für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Sicherheit und sozialen Frieden, kulturelle Vielfalt und Wohlstand. Diese Freiheit manifestiert sich in unserer Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung, in der Sozialen Marktwirtschaft. Die Arbeitgeberverbände sind gemeinsam mit den Gewerkschaften als Tarifpartner ein wichtiger Teil der deutschen Demokratie. Seit 60 Jahren vertritt die BDA die Interessen der gesamten deutschen Wirtschaft in ihren zentralen politischen Anliegen. Die freiheitliche demokratische Grundordnung, die Soziale Marktwirtschaft und eine darauf gegründete Ordnungspolitik sind die Grundlagen des Handelns der Arbeitgeberverbände. Sie treten ein für unternehmerische Freiheit, ökonomische Leistungsfähigkeit und Verantwortung für das Gemeinwohl. Der 60. Geburtstag der Bundesrepublik Deutschland war für die BDA Grund zum Feiern. Das Bürgerfest der Bundesregierung am 23. Mai bot eine gute Gelegenheit, die BDA und ihre Konzepte und Positionen einem breiten Publikum vorzustellen. Die BDA hat zu diesem Thema die Broschüre „60 Jahre BDA – 60 Jahre Stimme der deutschen Wirtschaft“ mit Informationen zu Organisation, Leitbild und Positionen der BDA sowie den kompakt „60 Jahre Bundesrepublik Deutschland“ veröffentlicht.

Wirtschaft im Dialog – Wege aus der Vertrauenskrise Die Soziale Marktwirtschaft ist und bleibt alternativlos – als das Erfolgsmodell, auf dem unser Wohlstand beruht und das allein auch künftig Erfolg sichern kann. Alle Akteure in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sind gefordert, miteinan-

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BDA | Geschäftsbericht 2009 | Gesellschaftspolitik

der in Dialog zu treten und glaubwürdiges Vorbild zu sein, um die Menschen für die Soziale Marktwirtschaft zu gewinnen. Dies kann gelingen, wenn das Gespräch über die Grundlagen und Werte unserer freiheitlichen und sozialen Ordnung fortgesetzt wird. Die christlichen Kirchen bleiben in diesem Zusammenhang wichtige Gesprächspartner für die Arbeitgeber. Sie haben mit dem im Juli veröffentlichten Wort des Rats der EKD zur Wirtschafts- und Finanzkrise „Wie ein Riss in einer hohen Mauer“ und der Sozialenzyklika Papst Benedikts XVI. „Caritas in veritate“ wichtige Bezugspunkte und gute Impulse für die Diskussion gegeben. Es ist gut, dass die Kirchen den ernsthaften Dialog einer Pauschalkritik an der Wirtschaft vorziehen. Nur so sind wirtschaftsethische Stellungnahmen von kirchlicher Seite glaubhaft und wirkungsvoll, statt nur moralischer Appell zu sein. Eine ernst gemeinte Ethikdiskussion muss zu Schlussfolgerungen für ein verantwortliches Wirtschaften in einer globalisierten Welt führen und zu deren Umsetzung beitragen. Sie zeigt die Notwendigkeit, tiefer liegende Zusammenhänge von Wirtschaft und Gesellschaft wieder mehr zu betonen. Und sie birgt die Chance, sich auf die Grundprinzipien unserer freiheitlichen Wirtschaftsordnung zurückzubesinnen. Bei Veranstaltungen und in Gesprächen wurde deutlich, dass nur mit einer an den Grundsätzen der Sozialen Marktwirtschaft ausgerichteten Ordnungspolitik Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum, sozialer Ausgleich und Beschäftigung nachhaltig gesichert werden. Das ist auch eine der Grundaussagen der Unternehmerdenkschrift der EKD, mit der sich die evangelische Kirche bereits im Jahr 2008 frühzeitig positioniert hat. Die Soziale Marktwirtschaft braucht einen Staat, der dem Markt Regeln setzt und für ihre Durchsetzung sorgt. Daran hat es im Finanzmarkt und bei der Bankenaufsicht national, europäisch und global gemangelt – öffentlichen Warnungen, auch von Seiten der Kirchen, zum Trotz. Entscheidend ist aber auch, dass jeder Einzelne sich seiner Verantwortung bewusst ist. Letztlich kommt es auf das gute Zusammenspiel staatlicher Regulierung und individueller Verantwortung an. Die Soziale Marktwirtschaft lebt von Voraussetzungen, die sie selbst nicht schaffen kann. Sie ist auf Werte angewiesen, die vorgelebt und erlebbar gemacht werden müssen. Die Frage nach der Verantwortung der Wirtschaft muss des-


IV. Arbeitgeberforum Wirtschaft und Gesellschaft „Soziale Marktwirtschaft gestalten – Vertrauen zurückgewinnen“ Am 8. Juli 2009 veranstaltete die BDA im Haus der Deutschen Wirtschaft das IV. Arbeitgeberforum Wirtschaft und Gesellschaft zum Thema „Soziale Marktwirtschaft gestalten – Vertrauen zurückgewinnen“. Neben Arbeitgeberpräsident Dr. Dieter Hundt beleuchtete der damalige Ratsvorsitzende der EKD ­Bischof Dr. Wolfgang Huber das Thema in einer Rede. An der anschließenden Podiumsdiskussion wirkten Dr. h. c. Josef Beutelmann, Anton F. Börner und Prof. Dr. Ursula Nothelle-Wildfeuer mit. Im Mittelpunkt des Arbeitgeberforums stand die Frage, wie die Soziale Marktwirtschaft zukunftsfähig gestaltet und verloren gegangenes Vertrauen erneuert werden kann. Arbeitgeberpräsident Dr. Dieter Hundt hob in seiner Rede hervor, dass die Soziale Marktwirtschaft die bestmögliche Wirtschaftsordnung einer freiheitlichen Gesellschaft sei. Zweifellos habe die Finanzkrise dem Ansehen der Sozialen Marktwirtschaft geschadet. „Maßlosigkeit und auch fehlende Regeln haben zu Verwerfungen und einer Wirtschaftskrise ungeahnten Ausmaßes geführt.“ Allerdings sei es falsch und fahrlässig, diese Ausprägung des Kapitalismus mit der Sozialen Marktwirtschaft gleichzusetzen. Hundt räumte Fehler der Wirtschaft ein, mahnte aber auch ein Versagen des Staates an. An der Regulierung der Finanzmärkte habe es national und international gemangelt. „Hier liegt eine Ursache der Finanzkrise.“ Hundt warb dafür, sich angesichts der Krise auf die Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft zurückzubesinnen: „Rückbesinnung auf Freiheit und Verantwortung in Wirtschaft und Staat.“ Das Gebot der Stunde laute Nachhaltigkeit. Wer in der Wirtschaft Vertrauen schaffen wolle, müsse aber auch glaubhaft und dauerhaft Werte vorleben und sein Handeln begreifbar machen. Dann würden wir erleben, „dass ethische Werte langfristig auch wirtschaftliche Werte schaffen“. Bischof Dr. Wolfgang Huber wies auf die Unternehmerdenkschrift der EKD „Unternehmerisches Handeln in evangelischer Perspektive“ hin, „die schon vor der Krise zu einer Erneuerung des Verständnisses von Sozialer Marktwirtschaft aufgerufen und in diesem Zusammenhang bereits stärkere Regulierungen an den Finanzmärkten gefordert hat“. Wichtige Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft seien ins Hintertreffen geraten und auch ein Mangel an Verantwortungsbewusstsein habe maßgeblich zur aktuellen Krise beigetragen. „Deshalb brauchen wir jetzt nicht nur einen Konjunkturaufschwung, sondern auch einen Werteaufschwung.“ Das Fundament unserer Wirtschaftsordnung sei verantwortete Freiheit. „Freiheit ohne Verantwortung verkommt.“ Die nötige Erneuerung des Vertrauens lasse sich nur durch eine fundamentale Neuorientierung erreichen. Dazu müssten vier Ebenen zugleich in den Blick genommen werden: persönliches Verhalten, unternehmerische Verantwortung, politische Regulierung und soziokulturelle Orientierungen. „Verlässlichkeit, Transparenz, Ehrlichkeit gelten dabei als Werte, von denen das Vertrauen, das Unternehmen entgegengebracht wird, im besonderen Maß abhängt.“ Wie das Vertrauen in die Soziale Marktwirtschaft erneuert werden kann, war auch die Ausgangsfrage der Podiumsdiskussion. Die Teilnehmer waren sich einig, dass Voraussetzungen dafür eine der Freiheit und Verantwortung verpflichtete Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, ethisch handelnde Personen in Politik und Wirtschaft und eine gut funktionierende Regulierung der Finanzmärkte sind. Die Diskussion zeigte, dass Werteorientierung einerseits im Handeln der Verantwortlichen in Wirtschaft und Gesellschaft sichtbar und erlebbar sein muss. Andererseits müssen sich ethische Maßstäbe auch in einer guten Rahmenordnung – national wie international – widerspiegeln. Beides ist wichtige Voraussetzung für ein erneuertes Vertrauen in unsere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Das Arbeitgeberforum Wirtschaft und Gesellschaft gibt hochrangigen Persönlichkeiten aus Gesellschaft, Wirtschaft und Politik die Möglichkeit, zu zentralen Fragen der Gesellschaftspolitik Stellung zu beziehen und Impulse für die gesellschaftliche Debatte zu geben. Es wurde von der BDA im Jahr 2004 ins Leben gerufen, um die Diskussion über die Grundwerte unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zu intensivieren und ihr über das Tagesgeschehen hinaus mehr Öffentlichkeit zu verleihen. Die Tagungsdokumentationen der Arbeitgeberforen stehen unter www.arbeitgeber.de > Themen A–Z >  Arbeitgeberforum Wirtschaft und Gesellschaft zum Download zur Verfügung und können über den Online-Broschürenshop der BDA kostenlos bestellt werden.

BDA | Geschäftsbericht 2009 | Gesellschaftspolitik

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Arbeitgeberforum Wirtschaft und Gesellschaft | Juli 2009

Prof. Dr. Wolfgang Huber, ehem. Ratsvorsitzender der EKD, und Arbeitgeberpr채sident Dr. Dieter Hundt

Die BDA auf dem B체rgerfest zum 60. Geburtstag der Bundesrepublik Deutschland | Mai 2009

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BDA | Gesch채ftsbericht 2009 | Gesellschaftspolitik


halb immer sowohl die ordnungsethische als auch die unternehmensethische wie auch die individualethische Dimension mit einbeziehen.

grund der von der BDA mit Nachdruck vorgetragenen Bedenken wurde das Projekt HPI vom BMAS mittlerweile eingestellt.

„Wie Unternehmen Ethik treiben“ war der Untersuchungsgegenstand des empirischen Forschungsprojekts „Gelebte ­Unternehmensethik“ des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD (SI), dessen Ergebnisse im Rahmen einer Tagung im November in Bonn vorgestellt wurden. Die BDA hatte das SI in seinem Anliegen unterstützt und Kontakte zu einzelnen Unternehmen hergestellt sowie den Fortgang des Projekts beratend begleitet. Im Rahmen der Tagung wurde deutlich, dass die Führungskräfte in den Unternehmen eine wichtige Signalfunktion für die gelebte ­Unternehmensethik haben, Wertansprüche und Werthaltungen aber auch in die Governance-Strukturen eines Unternehmens eingebaut werden müssen. Dafür Sorge zu tragen ist wiederum eine wichtige Aufgabe der Unternehmensführung.

Der Erfolg betrieblicher Personalpolitik kann nicht allein an der Zustimmung der Mitarbeiter oder der puren Anzahl personalpolitischer Instrumente im Unternehmen gemessen werden; neben der Mitarbeiterorientierung haben Kunden-, Kosten- und insbesondere Leistungsorientierung hohe Relevanz für den unternehmerischen Erfolg. „Gutes“ HR-Management nach Lesart der Politik darf auch keine Option für die öffentliche Auftragsvergabe sein. In diesem Zusammenhang wurde jüngst z. B. über die Quotierung des Frauenanteils in Führungspositionen oder den Einsatz normierter Lohnmessinstrumente in den Unternehmen diskutiert. Diese sachwidrige Verknüpfung würde das freiwillige und umfangreiche Engagement der Unternehmen in diesen Bereichen ad absurdum führen und vor allem Rechtsunsicherheit schaffen. Das Vergaberecht darf nicht als Instrument zur Umsetzung gesellschaftspolitischer Forderungen missbraucht werden.

Die BDA hat zu diesen Themen den kompakt „Kirche und Wirtschaft“, den kompakt „Die Unternehmerdenkschrift der EKD“, den kompakt „Wirtschaftsethik“ und die argumente „Wirtschaft und Ethik – kein Widerspruch!“ veröffentlicht.

Betriebliche Personalpolitik nicht ideologisch aufladen Betriebliche Personalpolitik darf nicht – wie zuletzt beim Konzept des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) für einen „Human Poten­ tial Index“ (HPI) geschehen – für politische Ziele ohne betriebswirtschaftliche Relevanz zweckentfremdet werden. Unter dem Vorwand, die Personalarbeit professionalisieren zu wollen, wurden bei der Entwicklung des HPI einseitig interessengeleitete Schwerpunkte gesetzt, die mit den unternehmerischen Erfordernissen kaum in Einklang zu bringen sind. Die im SPD-Wahlprogramm avisierte Verknüpfung des HPI mit dem DGB-Index „Gute Arbeit“ hätte zudem bedeutet, dass ein mit Geldern des BMAS finanziertes Instrument als trojanisches Pferd fungiert hätte, um gewerkschaftliche Ideologie mit staatlicher Legitimation in den Unternehmen zu implementieren. Nicht zuletzt auf-

Berufliche Hemmnisse für Frauen beseitigen Die Chancengleichheit von Frauen und Männern am Arbeitsmarkt ist ein wichtiges Ziel, das die BDA nachdrücklich unterstützt. Die politischen Lösungsansätze dafür gehen jedoch z. T. an den tatsächlichen Ursachen vorbei. So sind mehr Frauen in Führungspositionen oder in Aufsichtsräten wünschenswert, aber Quoten dafür der falsche Weg. Auch bei der Auswahl von Führungskräften darf es keine geschlechtsspezifischen Privilegien geben. Frauen brauchen keine Quoten, sondern bessere Chancen zur Verwirklichung ihrer Berufskarriere. Es gilt, die Hemmnisse zu beseitigen, die Frauen an ihrer beruflichen Entwicklung hindern. Dazu zählen insbesondere eine nach wie vor unzureichende Kinderbetreuungsinfrastruktur, ein gesellschaftlich bedingtes, tradiertes Berufswahlverhalten oder auch Fehlanreize im Steuer- und Sozialversicherungsrecht. Letztlich hängt Chancengleichheit aber vor allem auch entscheidend von dem gelebten gesellschaftlichen Rollenverständnis ab. Die Familien- und Erziehungsarbeit wird auch heute häufig noch als vorrangige Auf-

BDA | Geschäftsbericht 2009 | Gesellschaftspolitik

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gabe der Frauen gesehen. Dies prägt berufliche Werdegänge ganz entscheidend, auch wenn inzwischen immer mehr Väter ihre Verantwortung gegenüber der Familie betonen und bewusst wahrnehmen. Die gemeinsamen Anstrengungen von Politik und Wirtschaft für eine höhere Erwerbsbeteiligung und einen verbesserten beruflichen Aufstieg von Frauen zeigen Erfolge. Dies dokumentiert u. a. die „Bilanz Chancengleichheit“,

die von der BDA zusammen mit den anderen Spitzenverbänden der Wirtschaft und dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend herausgegeben wird. Die BDA hat zu diesem Thema den kompakt „Chancengleichheit“, den kompakt „Familienpolitik“ und die argumente „Lohnunterschiede von Frauen und Männern“ veröffentlicht.

Solide Staatsfinanzen sicherstellen 47. Kolloquium der Walter-Raymond-Stiftung Die Stiftung ist dem regen Gedankenaustausch zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Politik verpflichtet und steht allen gesellschaftlichen Themen offen gegenüber. Sie leistet einen Beitrag zu einer auf Freiheit, Eigenverantwortung und Solidarität beruhenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Knapp 100 hochkarätige Repräsentanten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik diskutieren regelmäßig gesellschafts- wie wirtschaftspolitische Themen, denen eine hohe Bedeutung für Deutschlands Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung zukommt. Im Jahr des 50. Geburtstags der Walter-Raymond-Stiftung wurde das Thema „Solide Staatsfinanzen – die Finanzmarktkrise, ihre Folgen und ihre Lehren“ intensiv im Rahmen des Kolloquiums diskutiert. Den Auftakt gaben Vorträge von dem Bundesverfassungsrichter Prof. Dr. Dres. h. c. Hans-Jürgen Papier, dem Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank Dr. Thilo Sarrazin, dem Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen Prof. Dr. Clemens Fuest, der Steuerprofessorin Dr. Johanna Hey, dem Wirtschaftsethiker Prof. Dr. Karl Homann, dem Professor für Wirtschaftspolitik Dr. Hans Peter Grüner und dem Professor für Internationale Wirtschaft Dr. Karl-Heinz Paqué. Geprägt war der Diskurs von der Frage, inwieweit nach zunehmender Rendite strebende Manager, ungezügelte Finanzmärkte, zu lasche Regulierungen, eine extrem lockere US-Geldpolitik wie die Wohneigentumsförderung in den USA, aber auch eine Vernachlässigung zentraler Prinzipien wie Transparenz und Haftung die aktuelle Finanzmarktkrise mitverursacht bzw. genährt haben. Zugleich wurde intensiv darüber beraten, wie zerstörtes Vertrauen in die Märkte wiederhergestellt werden kann, welche Rolle Moral und Wettbewerb dabei einnehmen und wie eine bessere Finanzmarktregulierung ausgestaltet sein könnte. Auch die fiskalischen Herausforderungen mit immens gestiegenen Staatsschulden und die zwangsläufige Frage nach der künftigen Konsolidierungsstrategie standen im Mittelpunkt des Kolloquiums. Die Vorträge und Ergebnisse des Kolloquiums liegen im Band 49 der Großen Reihe der WalterRaymond-Stiftung vor. Das nächste Kolloquium im April 2010 unter dem Arbeitstitel „Rückbesinnung auf die ordnungspolitische Dimension“ setzt den Diskurs des vorangegangenen Kolloquiums fort. Es geht dabei u. a. auch um die Frage, wie eine erfolgreiche Ausstiegsstrategie aus den massiven staatlichen Hilfen gestaltet sein muss, um die Gefahr stetig steigender Staatsschulden abzuwenden. Zentraler Angelpunkt bei diesem Kolloquium soll zudem die Frage nach der künftigen deutschen Wirtschaftspolitik und ihrer Auswirkung auf das deutsche Geschäftsmodell sein, wobei letztlich auch die Einbindung Deutschlands in die Europäische Union von erheblicher Bedeutung ist.

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BDA | Geschäftsbericht 2009 | Gesellschaftspolitik





Deutschland lässt Konjunkturtiefpunkt hinter sich

frage nach Waren und Dienstleistungen kamen auch Entspannungssignale von den Finanzmärkten. Die Rückkehr der Zuversicht bei den Unternehmen kommt auch in den Geschäftsaussichten zum Tragen, wie sie die weitere Erholung des ifo Geschäftsklimaindex belegt.

Die deutsche Wirtschaft hat sich im dritten Quartal 2009 weiter vom konjunkturellen Tiefpunkt entfernt, auf den sie nach dem Einbruch zum Jahreswechsel 2008/2009 gefallen war. Dazu trägt bei, dass die Konjunktur zwischenzeitlich deutlich an Fahrt gewonnen und sich schneller erholt hat als noch zu Beginn des Jahres erwartet. Mehrere Faktoren haben maßgeblich dazu beigetragen: Neben der sich seit einiger Zeit belebenden Nach-

Auch der fortgesetzten Aufhellung des internationalen Umfelds kommt eine wichtige Rolle zu. Dennoch gibt es nicht nur positive Signale. So nahm die gewerbliche Investitionstätigkeit ab, insbesondere die Beschaffung von Ausrüstungsgütern. Der bislang stabilisierend wirkende private

Geschäftsklima leicht verbessert ifo Geschäftsklimaindex Deutschland

Punkte 100

95

94,6

93,9 92,7 90,5

90,0

90

91,3 92,0

86,0

85,9

85

87,4

83,8

83,1

84,4 82,7

80

82,6

82,2

75 Aug 08

Sep 08

Okt 08

Nov 08

Dez 08

Quelle: ifo Institut, Konjunkturtest Oktober 2009

146

BDA | Geschäftsbericht 2009 | Volkswirtschaft

Jan 09

Feb 09

Mrz 09

Apr 09

Mai 09

Jun 09

Jul 09

Aug 09

Sep 09

Okt 09

Nov 09


Konsum hat im dritten Quartal kaum noch zugelegt. Zum einen waren die Einzelhandelsumsätze rückläufig. Zum anderen haben die privaten Autokäufe im Sommer gegenüber dem ausgesprochen hohen Vorquartalsstand erkennbar nachgelassen. Alles in allem dürfte sich der Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in diesem Jahr auf rd. 5 % belaufen. Ob das Wachstum im kommenden Jahr in Größenordnungen von bis zu 2 % vordringt, hängt ganz wesentlich auch davon ab, ob die Kredithürde sinkt und eine drohende Kreditklemme vermieden wird und wie kräftig die Auslandsnachfrage anzieht.

Auftragseingänge ziehen an Die Entwicklung der Auftragseingänge ist ermutigend. Die Nachfrage nach Industrieerzeugnissen belebt sich wieder. Im dritten Quartal nahmen die Auftragseingänge in der Industrie preis- und saisonbereinigt kräftig um 8,9 % gegenüber dem Vorquartal zu. Zum Gesamtbild gehört aber auch, dass ohne den zeitlich befristeten Absatzboom im Automobilsektor das Expansionstempo der Investitionsgüterindustrie sowohl bei den Inlandsbestellungen als auch in Bezug auf ausländische Nachfrager deutlich verhaltener war. Bei den Kon-

Kredithürde für das verarbeitende Gewerbe steigt deutlich Anteil der Unternehmen, die eine restriktive Kreditvergabe melden

in % 60

50

40

30

20

10

0 Mrz Aug Mrz Aug Mrz Aug Nov Dez Jan Feb Mrz Apr Mai Jun 06 06 07 07 08 08 08 08 09 09 09 09 09 09

Jul 09

Aug Sep Okt Nov 09 09 09 09

kleine Unternehmen mittlere Unternehmen große Unternehmen Quelle: ifo Institut, Konjunkturtest November 2009

BDA | Geschäftsbericht 2009 | Volkswirtschaft

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Kapazit채tsauslastung deutlich gesunken Kapazit채tsauslastung im verarbeitenden Gewerbe

in %, saisonbereinigt 100

95

90

85

88,2

87,6

87,6

87,0 87,2

87,1

84,8

86,2

80

75

76,2

72,1 71,8

70

71,1

65 1. Q. 07

2. Q. 07

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Quelle: Deutsche Bundesbank, Monatsbericht Oktober 2009

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BDA | Gesch채ftsbericht 2009 | Volkswirtschaft

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sumgütern zeigte sich bisher zwar noch keine echte Belebung, die Bestellungen waren hier zuvor jedoch auch deutlich weniger geschrumpft. Insgesamt konzentriert sich die Wirtschaftskrise bislang auf die Industrie. Im Vergleich zur Auftragslage hat sich die industrielle Erzeugung bislang nur moderat erholt. Entsprechend gering ist nach wie vor die Kapazitätsauslastung, die im dritten Quartal bei lediglich 71 % lag. Laut aktueller Konjunkturumfrage des ­DIHK deutet sich hier jedoch eine Wende an. Erfreulich viele Unternehmen berichten von einer verbesserten Geschäftslage und auch von aufgehellten Erwartungen, insbesondere bei dem für die deutsche Wirtschaft wichtigen Export.

Öffentliche Investitionen dramatisch gering Die staatliche Investitionstätigkeit in Deutschland ist seit längerem rückläufig. Lag sie Anfang der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts noch bei 4,5 % des BIP, erreichte sie im Jahr 2008 nur noch rd. 1,5 %. Verglichen mit der EU-15 (2,5 %), der EU-27 (2,65 %), den USA (3,5 %) und Japan (3 %) liegt Deutschland abgeschlagen auf dem vorletzten Platz vor Österreich (1 %). Noch schlechter stellt sich die Situation bei Betrachtung der Nettoinvestitionen dar: Im Verhältnis zum BIP sank die öffentliche Nettoinvestitionsquote von rd. 3 % im Jahr 1970 auf gut 0,5 % Mitte der achtziger Jahre. Seit dem Jahr 2003 ist sie sogar leicht negativ. Studien zu staatlichen Investitionen und Wirtschaftswachstum belegen die hohe Bedeutung von Investitionen in die Infrastruktur für das Potenzialwachstum einer Volkswirtschaft. Investitionen in die Bildungseinrichtungen, die Verkehrsinfrastruktur sowie die Ver- und Entsorgungssysteme heben den Wachstumspfad an. Um Wachstum, Arbeit und Wohlstand langfristig zu verbessern, müssen die öffentlichen Haushalte unter Beachtung der Verschuldensregeln ihre investiven Ausgaben zu Lasten konsumtiver Ausgaben umschichten. Im Einzelfall kann es aber auch durchaus sinnvoll sein, dass der Staat Aufgabengebiete in den privaten Verantwortungsbereich auslagert, der dann Leistungen gegen kostendeckende Entgelte zur Verfügung stellt.

Diese Option sollte angesichts der sich weiter verschärfenden Lage der öffentlichen Haushalte ergebnisoffen und vorurteilsfrei geprüft werden. Deutschland kann sich eine weitere Vernachlässigung seiner Infrastruktur nicht leisten.

Unternehmensfinanzierung sichern – Kreditklemme vermeiden Die wichtigste wirtschaftspolitische Aufgabe ist derzeit die Sicherung einer ausreichenden Unternehmensfinanzierung. In den nächsten Monaten besteht in Deutschland zunehmend die Gefahr einer Kreditklemme. Dafür gibt es mehrere Gründe: Die Kreditinstitute müssen als Folge verschlechterter Unternehmensbewertungen bestehende Unternehmenskredite mit mehr Eigenkapital unterlegen. Zunehmend fallen Auslandsbanken und Landesbanken als Kreditgeber aus. Ferner sind die Bankbilanzen noch nicht vollständig von faulen Wertpapieren befreit, so dass auch hier Abschreibungsbedarf besteht. All dies geht zu Lasten des knappen Eigenkapitals der Banken und engt den Spielraum zur Kreditvergabe ein. Das in der abgelaufenen Legislaturperiode geschnürte Finanzierungshilfepaket ist bereits auf eine große Nachfrage seitens der Unternehmen gestoßen und hat zweifelsohne einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung der Konjunktur geleistet. Zwar lässt sich derzeit keine flächendeckende Kreditklemme feststellen – dennoch ist es für viele Unternehmen schwieriger und teurer geworden, Kredite zu bekommen. Die laut ifo Institut weiterhin steigende Kredithürde für Unternehmen aller Größenklassen macht deutlich, dass weitere Maßnahmen zur Sicherung eines ausreichenden Kreditangebots zu akzeptablen Konditionen in Deutschland dringend notwendig sind. Die neue Bundesregierung hat die Notwendigkeit, eine drohende Verschlechterung der Bedingungen zur Unternehmensfinanzierung zu vermeiden, erkannt: Zu begrüßen sind die bereits in der gemeinsamen Abschlusserklärung des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) und des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie (BMWi) sowie der Spitzenverbände der Kreditwirtschaft und der Spitzenverbände der Wirtschaft vom 1. September 2009 zugesagten

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Gemeinsame Abschlusserklärung vom 1. September 2009 – Kreditklemme vermeiden Auszug aus der gemeinsamen Abschlusserklärung des BMF und des BMWi sowie der Spitzenverbände der Kreditwirtschaft und der Spitzenverbände der Wirtschaft vom 1. September 2009 Von Bundesregierung und Wirtschaft beschlossene Maßnahmen zur Vermeidung einer Kreditklemme:

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Die Bundesregierung wird, wie bereits angekündigt, den Ankauf Hermes-gedeckter Exportkredite durch die KfW mit dem Ziel anschließender Verbriefung sowie eine staatliche Ergänzung der privaten Kreditversicherung einleiten. Diese Maßnahmen werden durch Bilanzentlastung und Risikosenkung die Kreditvergabe an Unternehmen erleichtern. Darüber hinaus wird mit der Gewährung von KfWGlobaldarlehen zur Refinanzierung von Mittelstandskrediten der Geschäftsbanken an Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft ein weiteres Instrument zur Verfügung gestellt. Die Globaldarlehen sind untrennbar verbunden mit einer Nachweispflicht der Kreditinstitute über die Weitergabe der Mittel an die Unternehmen. Nach Beendigung der Krise müssen die Eigenkapitalpuffer der Kreditinstitute unter Berücksichtigung der jeweiligen Geschäfts- und Institutsrisiken risikoadäquat angepasst werden. Die Verbände und die Bundesregierung sind sich einig, dass dabei die negativen Auswirkungen auf die weitere Kreditvergabe zu berücksichtigen sind.

Die deutsche Kreditwirtschaft wird, wie auch bisher, alle ihr im Rahmen der jeweiligen Geschäftsmodelle gegebenen Möglichkeiten ausschöpfen, die Kreditversorgung der deutschen Wirtschaft auch in den kommenden Monaten sicherzustellen. Um eine umfassende Transparenz bezüglich der Kreditvergabepraxis zu erhalten, wird die Deutsche Bundesbank gebeten, ihre „Sonderumfrage zum Kreditgeschäft deutscher Banken mit inländischen Unternehmen“ vierteljährlich vorzulegen, um eine Identifikation und Einschätzung möglicher Risikofaktoren und Problemfelder für die nähere Zukunft zu ermöglichen. Die unterzeichnenden Verbände werden hierfür alle vorhandenen Daten zur Verfügung stellen und auf dieser Basis gemeinsam mit der Bundesregierung die Lage der Unternehmensfinanzierung zeitnah analysieren. Weiterhin wird die deutsche Kreditwirtschaft die Verbesserungen ihrer Refinanzierungssituation auch bei den Konditionen ihrer Finanzierungsangebote für Privatkunden (Baufinanzierung, Konsumentenkredite, Dispo-Kredite) einfließen lassen; dies natürlich in Abhängigkeit von deren Bonität und einer üblichen Risikoprüfung.

Die Spitzenverbände der Wirtschaft werben bei ihren Mitgliedsunternehmen dafür, alle im Rahmen der jeweiligen Geschäftsmodelle gegebenen Möglichkeiten zu nutzen, die von der Bundesregierung zur Verfügung gestellten Instrumente anzuwenden, um ihren Teil zur Linderung der Konsequenzen der internationalen Finanzkrise beizutragen. Dies bedeutet insbesondere, Arbeitsplätze so weit wie möglich zu schützen, durch den Bezug des Kurzarbeitergelds in der Krise an ihren gut ausgebildeten Fachkräften festzuhalten und Phasen von Kurzarbeit sinnvoll für Qualifizierung und Fortbildung zu nutzen.

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Maßnahmen: So wurde das Instrumentarium der ­KfW um den Ankauf sog. Hermes-gedeckter Exportkredite (Exportkredite, die gegen Käufer- und Länderrisiken durch die vom Bund beauftragte Euler Hermes Kreditversicherungs-AG versichert werden) erweitert. Zusätzlich wurde die staatliche Ergänzung von privaten Warenkreditversicherungen vereinbart. Damit kann die KfW einen Teil des Förderungsausfallrisikos, der von den privaten Versicherungen nicht getragen wird, übernehmen. Das hier vorgesehene Aufstockungsmodell soll voraussichtlich Ende Dezember 2009 bzw. Anfang Januar 2010 mit einem Gewährleistungsvolumen von 7,5 Mrd. € aus dem „Wirtschaftsfonds Deutschland“ starten. Ein weiteres Instrument wurde mit dem KfW-Globaldarlehen mit einem Gesamtvolumen von 10 Mrd. € geschaffen. Seit Ende September bietet die KfW den Banken Globaldarlehen zur Refinanzierung von Unternehmenskrediten an. Durch die Weitergabe der guten KfW-Bonität an die Banken soll die Kreditversorgung der Unternehmen gestärkt werden. Da das Kreditrisiko dabei aber bei den Banken bleibt, ist zu befürchten, dass das Globaldarlehen nicht die gewünschte Wirkung zur Vermeidung einer drohenden Kreditklemme zeigen wird. Notwendig ist daher, dass die Globaldarlehen mit Möglichkeiten der Haftungsbegrenzung der Banken verbunden werden. Dies mindert die Eigenkapitalanforderungen an die Banken und erleichtert zugleich die Weitergabe entsprechender Kredite an die Unternehmen. Dabei muss allerdings sichergestellt werden, dass die Banken nicht der KfW und damit letztlich dem Steuerzahler ihre besonders schlechten Risiken aufbürden. Hilfreich ist auch die anlässlich des GipfelGesprächs der Bundesregierung mit Repräsentanten der Wirtschafts- und Kreditverbände sowie der Gewerkschaften am 2. Dezember 2009 erfolgte Einsetzung eines Kreditmediators. Seine Aufgabe besteht darin, Beschwerden kreditsuchender Unternehmen zu bündeln und konstruktive Lösungen mit der Kreditwirtschaft zu erarbeiten. Die Wirksamkeit der von verschiedenen Kreditinstitutsgruppen angekündigten zusätzlichen Fonds, die u. a. der Eigenkapitalstärkung des Mittelstands zugutekommen sollen, bleibt abzuwarten.

Es müssen allerdings weitere Maßnahmen ergriffen werden, damit die Banken den Unternehmen ausreichende Finanzierungsmittel zu verkraftbaren Konditionen zur Verfügung stellen können. Insbesondere sollte der Verbriefungsmarkt wieder mit staatlicher Unterstützung angeschoben werden. Verbriefungen setzen bei den Banken Eigenkapital frei, welches wiederum die Vergabe neuer Kredite an die Unternehmen ermöglicht. Das im Rahmen des „Wirtschaftsfonds Deutschland“ bereits bestehende Bürgschaftsprogramm sollte auf Verbriefungen durch die KfW ausgedehnt werden. Dabei soll sich der KfW-Anteil auf lediglich 10 bis 20 % erstrecken, während die Verbriefungen nutzende Geschäftsbank ebenfalls einen Teil des Risikos in der eigenen Bilanz behalten muss. Bei der Wiederbelebung des Verbriefungsmarkts darf es allerdings nicht um intransparente Verbriefungen gehen, wie sie im angelsächsischen Raum in den vergangenen Jahren vorgenommen wurden, sondern um über die KfW-Plattform durchgeführte Kreditverbriefungen, deren Qualität erwiesenermaßen gewährleistet, dass Ausfälle minimal sind. Die Pläne der Kreditwirtschaft, ein Premium-Segment mit hohen Qualitätsstandards zu etablieren, sind insofern ein richtiger Schritt, um mit diesem erfolgreichen Ansatz fortzufahren.

Sanierung der Staatsfinanzen – oberste Priorität für die neue Legislaturperiode Die gegenwärtige drastisch angespannte Lage der öffentlichen Haushalte – mit einer Defizitquote für 2009 von voraussichtlich rd. 3 % und für 2010 mit mehr als 5 % des BIP – ist eine gewaltige Bedrohung. Die zügige Rückführung der hohen Neuverschuldung und die Einhaltung der neuen verfassungsrechtlichen Schuldenregel mit einem nahezu ausgeglichenen Bundeshaushalt für 2016 müssen daher oberste Priorität haben. Zu Recht stellt der Koalitionsvertrag heraus, dass die Haushaltskonsolidierung auch die Grundlage für die Sicherung unseres Sozialstaats ist, da einem überschuldeten Staat am Ende immer das Geld für die sozial Bedürftigen fehlen wird. Ein Staat, der sich immer weiter verschuldet, kommt zudem Bürger und Unternehmen teuer zu stehen: Stetig zunehmende Staatsschulden

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Stark steigende Staatsschulden und Staatsdefizite in Deutschland Schuldenstand in % des BIP

Haushaltssaldo in % des BIP

90

–8 –7

85 –5,9

80

–6

78,7

–5 75

–4,0

73,4

–3,8

70

67,8

–3

67,6

65,6

65

–4

–3,9

–3,3

65,1

65,9

–2

63,8

–1

–1,5

60 –0,2

0

–0,1

55

1 2

50 2003

2004

2005

2006

2007

2008

2009

2010

Gesamtstaatlicher Haushaltssaldo Schuldenstand Quelle: Commission of the European Communities, Report from the Commission: Germany, SEC(2009) 1270, 7. Oktober 2009

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Generationengerechte Finanzen – „Goldene Regeln“ der Haushaltspolitik befolgen Richtschnur der Haushaltspolitik in der 17. Legislaturperiode ist die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse. Der Koalitionsvertrag fordert zudem die Einhaltung von „Goldenen Regeln“:

Alle staatlich übernommenen Aufgaben werden auf ihre Notwendigkeit hin überprüft. Jeder Ausgabenbereich muss einen Beitrag zur Erfüllung der Anforderungen der neuen Schuldenregel leisten.

Alle neuen finanzwirksamen Vorhaben und Belastungen auf der Einnahmen- und Ausgabenseite müssen in ihren Wirkungen umfassend ausgewiesen werden. Für die Maßnahmen, die nicht im Rahmen des beschlossenen Finanzrahmens zusätzlich finanziert werden sollen, ist grundsätzlich eine unmittelbare, vollständige und dauerhafte Gegenfinanzierung im jeweiligen Etat des Bundeshaushalts sicherzustellen.

Das Ausgabenwachstum muss unter dem Wachstum des BIP (real) liegen.

Alle Maßnahmen des Koalitionsvertrags stehen unter Finanzierungsvorbehalt.

Politische Zielsetzungen haben sich stärker als bisher an qualitativen und nicht mehr nur an quantitativen Anforderungen zu orientieren.

Alle Einnahmen stehen grundsätzlich dem Gesamthaushalt zur Verfügung.

Die Weiterentwicklung in den Zweigen der Sozialversicherung muss ebenfalls dem Erfordernis der Schuldenregel des Bundes Rechnung tragen.

Wir werden auf eine ausgewogene Lastenverteilung zwischen den Ebenen der öffentlichen Haushalte achten.

Zukünftig werden wichtige Eckwerte des Haushalts vorab verbindlich vom Bundeskabinett vorgegeben und damit zur Grundlage für das regierungsinterne Aufstellungsverfahren in den Einzelplänen gemacht. Der parlamentarische Teil des Haushaltsaufstellungsverfahrens bleibt davon unberührt.

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führen letztlich zu höheren Steuerlasten. Zudem beanspruchen anwachsende Zinsausgaben einen immer höheren Anteil an den staatlichen Ausgaben – zu Lasten wichtiger staatlicher Investitionen, u. a. für Bildung und Forschung. Auch deshalb hat sich die BDA nachdrücklich für die im Jahr 2009 im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse eingesetzt, da dies eine zentrale Grundlage für die langfristige Finanzierbarkeit staatlicher Aufgaben schafft. Die neue Bundesregierung steht vor einer gewaltigen Herausforderung: Krisenbedingt wird die Neuverschuldung des Staates 2010 ca. 130 Mrd. € betragen. Die Schuldenstandsquote wird in den nächsten Jahren mit über 80 % des BIP weit über der Referenzgröße des EGVertrags von 60 % liegen. Die krisenbedingte Ausweitung der Staatsverschuldung war notwendig und richtig – sie muss jetzt aber zügig zurückgeführt werden. Die Haushaltskonsolidierung kann dabei nur mit einer Doppelstrategie gelingen: Es müssen die geeigneten Rahmenbedingungen für nachhaltiges Wirtschaftswachstum ebenso gelegt werden wie bei den Ausgaben gespart werden. Beides ist unverzichtbar: Nur durch Wachstum oder nur durch Sparen werden die öffentlichen Haushalte nicht saniert werden können. Nur auf automatisch steigende Steuereinnahmen im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs zu setzen, wird zur Konsolidierung daher nicht ausreichen. Insofern sind auch von der Ausgabenseite – nach Überwindung des wirtschaftlichen Abschwungs – stärkere Anstrengungen gefordert: Damit gehören letztlich alle konsumtiven Ausgaben und alle Subventionen auf den Prüfstand. Dies umso mehr, als eine Staatsquote von knapp 50 % der ökonomischen Dynamik abträglich ist. Ohne Begrenzung der Sozialausgaben wird eine nachhaltige Konsolidierung der öffentlichen Haushalte kaum gelingen. Auf Sozialleistungen entfällt mittlerweile knapp ein Drittel des BIP. In keinem anderen OECD-Land entfällt ein größerer Anteil der Staatsausgaben auf den Sozialbereich als in Deutschland. Würde Deutschland prozentual zum BIP genauso viel für Soziales ausgeben wie die übrigen EU-Länder, könnten jährlich rd. 50 Mrd. € gespart werden.

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Krisenverschärfende Elemente der Unternehmensteuerreform 2008 beseitigen Mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz wird die schwarz-gelbe Koalition zum 1. Januar 2010 die von der BDA und den anderen Spitzenverbänden der Wirtschaft wiederholt in der vergangenen Legislaturperiode angemahnten Forderungen nach einer Korrektur der krisenverschärfenden Elemente der Unternehmensteuerreform umsetzen. Zwar konnten bereits vor der parlamentarischen Sommerpause Nachbesserungen erreicht werden. Zum Beispiel wurde die Freigrenze bei der Zinsschranke von 1 auf 3 Mio. € befristet auf die Veranlagungszeiträume 2008 und 2009 angehoben. Damit sollte sichergestellt werden, dass Unternehmen mit einem krisenbedingt erhöhten Fremdkapitalbedarf keine steuerlichen Nachteile befürchten müssen. Aber nicht allein die fehlende Planungssicherheit über diese beiden Jahre hinaus ist problematisch. Unternehmen mit einem abweichenden Wirtschaftsjahr hätten diese Regelung schon im Wirtschaftsjahr 2009/2010 nicht mehr nutzen können. Zur Erleichterung von Unternehmenssanierungen sind zudem die Beschränkung der Verlustverrechnung und die nur eingeschränkte Nutzung von Verlustvorträgen durch eine sog. Sanierungsklausel gelockert worden, wobei sich der Anwendungszeitraum auf Anteilsübertragungen bis zum 31. Dezember 2009 erstreckt. Durch diese Klausel wird unter bestimmten Bedingungen der Beteiligungserwerb sanierungsbedürftiger Unternehmen von der Verlustverrechnungsbeschränkung ausgenommen. Ziel des Beteiligungserwerbs ist dabei, die Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung des Unternehmens zu verhindern und zugleich wesentliche Betriebsstrukturen zu erhalten. Insgesamt ist die Sanierungsklausel durch die sehr komplexen Anforderungen nur eingeschränkt praxistauglich. Das am 18. Dezember 2009 verabschiedete Wachstumsbeschleunigungsgesetz sieht im Rahmen des „Steuerlichen Sofortprogramms krisenentschärfender Maßnahmen“ die Beseitigung einer Vielzahl unternehmensbelastender Regelungen vor. Dazu gehören u. a. eine dauerhafte


Steuerliches Sofortprogramm der Bundesregierung: Maßnahmen des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes – Wachstumshemmnisse beseitigen Das am 18. Dezember 2009 verabschiedete Wachstumsbeschleunigungsgesetz setzt die im Koalitionsvertrag von Union und FDP angekündigten steuerlichen Sofortmaßnahmen um. Damit sollen u. a. schnell und effektiv Wachstumshemmnisse im Unternehmensteuerrecht beseitigt werden. Das Wachstumsbeschleunigungsgesetz enthält zudem Nachbesserungen beim Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht sowie Maßnahmen zur steuerlichen Entlastung und Förderung von Familien mit Kindern. Zu den Maßnahmen mit einem Entlastungsvolumen bei voller Jahreswirkung von gut 8 Mrd. € gehören u. a.:

bei der Zinsschranke steuerlich entlastende Maßnahmen in einem Volumen von jährlich 360 Mio. € durch: die dauerhafte Einführung einer höheren Freigrenze von 3 Mio. € (§ 52 Abs. 12d EStG) die Einführung eines EBITDA-Vortrags rückwirkend ab dem Jahr 2007 für einen Zeitraum von jeweils fünf Jahren (§§ 4h Abs. 1, 52 Abs. 12d EStG) die Verbesserung der Anwendung der sog. Escape-Klausel für Konzerne (§§ 4h Abs. 2, 52 Abs. 12d EStG)

bei der Verlustnutzungsbeschränkung steuerlich entlastende Maßnahmen in einem Volumen von jährlich 1.340 Mio. € durch: die Aufhebung der zeitlichen Beschränkung bei der mit dem Bürgerentlastungsgesetz Krankenversicherung eingeführten körperschaftsteuerlichen Sanierungsklausel (§§ 8c Abs. 1a, 34 Abs. 7c KStG) die Zulassung des Abzugs von Verlusten bei bestimmten konzerninternen Umgliederungen (§ 8c Abs. 1 KStG) die Zulassung des Übergangs der Verluste in Höhe der stillen Reserven bei Beteiligungserwerben an Körperschaften (§§ 8c Abs. 1, 34 Abs. 7b KStG)

bei der gewerbesteuerlichen Hinzurechnung die Reduzierung des Hinzurechnungssatzes bei Miet- und Pachtzinsen für die Benutzung von unbeweglichen Wirtschaftsgütern von 65 auf 50 % (§ 8 Nr. 1e GewStG) mit einem Entlastungsvolumen von jährlich 80 Mio. €

bei der Grunderwerbsteuer die Erleichterung von Umstrukturierungen von Unternehmen durch Einführung einer Konzernklausel (§ 6a GrEStG) mit einem jährlichen Volumen von 200 Mio. €

die Einführung einer Regelung zur Sofortabschreibung von Wirtschaftsgütern bis 410 € sowie die Zulassung eines Wahlrechts zur Bildung eines Sammelpostens für alle Wirtschaftsgüter zwischen 150 und 1.000 € (§§ 6 Abs. 2 und 2a, 9 Abs. 1, 52 Abs. 16 und 23d EStG) mit einem Entlastungs­ volumen von jährlich 400 Mio. €

bei der Umsatzsteuer die Absenkung des Steuersatzes für Beherbergungsleistungen im Hotelund Gastronomiegewerbe auf 7 % (§ 12 Abs. 2 UStG) mit einem Entlastungsvolumen von jährlich 945 Mio. €

die Anhebung der Kinderfreibeträge von insgesamt 6.024 auf 7.008 € ab dem Veranlagungszeitraum 2010 sowie die Erhöhung des Kindergelds je Kind und Monat um 20 € (§§ 32 Abs. 6, 66 Abs. 1 EStG, § 6 BKGG) mit einem Finanzierungsvolumen von jährlich 4.600 Mio. €

bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer die Änderung der Lohnsummenklausel und des Behaltenszeitraums für Unternehmen (§§ 13a, 37 Abs. 1 ErbStG), die Senkung der Steuerbelastung für Geschwister und Geschwisterkinder durch einen neuen Steuertarif von 15 bis 43 % (§ 19 Abs. 1 ErbStG) mit einem Finanzierungsvolumen von jährlich 420 Mio. €

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Lockerung der Zinsschranke (z. B. durch die Festschreibung einer Freigrenze von 3 Mio. € für den Zinsabzug), Erleichterungen beim Verlustabzug und eine Reduzierung des Hinzurechnungssatzes bei Immobilienmieten von 65 auf 50 % bei der Gewerbesteuer. Diese Schritte sind konsequent, denn es macht keinen Sinn, Unternehmen in ihrer Substanz derart zu besteuern, dass sie in eine Existenz bedrohende Krise geraten können, um ihnen dann aus Steuermitteln – z. B. dem „Wirtschaftsfonds Deutschland“ – über die Existenzkrise hinwegzuhelfen. Das im Koalitionsvertrag angekündigte Sofortprogramm bei der Erbschaftsteuer, mit dem u. a. die Bedingungen für die Unternehmensnachfolge durch eine Verkürzung der Weiterführungszeiträume und die Absenkung der erforderlichen Lohnsumme krisenfest gemacht werden sollen, wird ebenfalls im Rahmen des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes umgesetzt. Die in der vergangenen Legislaturperiode eingeführte Regelung bei der Unternehmensnachfolge ist zu kompliziert und wird vor allem bei der Lohnsummenregelung nicht den Realitäten der Krise gerecht. Aus diesem Grund sieht das Wachstumsbeschleunigungsgesetz nun eine von sieben auf fünf Jahre reduzierte Haltefrist bei einer von 650 auf 400 % der Ausgangslohnsumme verringerten Lohnsumme vor, damit Unternehmenserben den „Verschonungsabschlag“ von 85 % in Anspruch nehmen können. Bei der zweiten Variante, der sog. Optionsverschonung, die eine vollständige Befreiung von Unternehmenserben von der Erbschaftsbesteuerung ermöglicht, sinkt die Haltefrist von zehn auf sieben Jahre und die einzuhaltende Lohnsumme von 1.000 auf 700 %. Zudem ist vorgesehen, dass Betriebe, die nicht mehr als 20 Beschäftigte haben, nicht der Lohnsummenregelung unterliegen sollen.

Mitarbeiterkapitalbeteiligung – offene Fragen zügig klären Mit dem Inkrafttreten des Mitarbeiterkapitalbeteiligungsgesetzes am 1. April 2009 wurde die steuerliche Förderung von Mitarbeiterkapitalbeteiligungen deutlich verbessert. Unter anderem wurde mit dem Gesetz der Fördersatz zur Arbeitnehmer-Sparzulage, die in betriebliche

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und außerbetriebliche Beteiligungen angelegt werden kann, angehoben, ebenso wie die Einkommensgrenzen, bis zu denen die Arbeitnehmer-Sparzulage gewährt wird. Auch die Grenze für die steuerliche Förderung der Mitarbeiterkapitalbeteiligung ist von 135 € auf 360 € jährlich gestiegen. Das BMF hat zum Mitarbeiterkapitalbeteiligungsgesetz mittlerweile ein BMF-Schreiben vorgelegt, mit dem die Unklarheiten hinsichtlich der steuerlichen Behandlung von Mitarbeiterkapitalbeteiligungen, zu denen sich die BDA zusammen mit den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft kritisch geäußert hatte, beseitigt werden sollen. Erfreulicherweise ist das BMF bei einigen Punkten der Argumentation der BDA gefolgt: So werden laut BMF-Schreiben ins Ausland entsandte Arbeitnehmer ebenso wie Organe von Körperschaften, Mandatsträger und zum Zeitpunkt der Überlassung der Vermögensbeteiligung aus dem Unternehmen ausscheidende Arbeitnehmer nicht in den Kreis derjenigen einbezogen, für die nach der gesetzlichen Neuregelung gleiche Bedingungen gelten müssen, damit Mitarbeiterkapitalbeteiligungen steuer- und beitragsfrei gewährt werden können. Auch bleibt die Steuerfreiheit der übrigen Arbeitnehmer erhalten, wenn der Arbeitgeber begründet davon ausgegangen war, dass ein bestimmter Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmergruppe nicht einzubeziehen ist und sich im Nachhinein etwas anderes herausstellt. Dennoch ist eine Vielzahl von Fragen offengeblieben. Klargestellt werden sollte insbesondere, dass die Steuer- und Beitragsfreiheit von Mitarbeiterkapitalbeteiligungen nicht dadurch gefährdet wird, dass Arbeitnehmer mit einem ruhenden Dienstverhältnis – z. B. während der Elternzeit oder während des Zivil- oder Militär­ diensts – nicht berücksichtigt werden. Der Begriff des „gegenwärtigen Dienstverhältnisses“ sollte in diesem Sinne mit dem „aktiven Dienstverhältnis“ gleichgesetzt werden. Geklärt werden muss auch, was unter „Unternehmen“ zu verstehen ist, die steuer- und beitragsfreie Mitarbeiterkapitalbeteiligungen gewähren können. Hier ist ein weiter Unternehmensbegriff im Sinne des weit gefassten Arbeitgeberbegriffs erforderlich. Das würde möglichst vielen Arbeitgebern erlauben, geförderte Mitarbeiterkapitalbeteiligung zu gewähren.


Das BMF bleibt aufgefordert, die von der BDA zusammen mit den anderen Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft in einer Stellungnahme verlangte Klärung weiterhin offener Fragen bald zu gewährleisten. Andernfalls würde die Inanspruchnahme der neuen Förderung weiterhin unnötig behindert. Das am 16. Dezember 2009 vom Bundeskabinett beschlossene „Gesetz zur Umsetzung steuerrechtlicher EU-Vorgaben“ sieht eine Ausweitung der Förderung der Mitarbeiterkapitalbeteiligung vor, die grundsätzlich zu befürworten ist: Geplant ist dabei, dass die bereits in diesem Jahr erweiterte steuerliche Förderung künftig nicht mehr auf zusätzliche, neben dem Arbeitslohn gewährte Leistungen des Arbeitgebers beschränkt sein soll, sondern auf Entgeltumwandlungen ausgedehnt wird. Zu bedenken ist allerdings, dass die finanziellen Möglichkeiten eines Arbeitnehmers begrenzt sind. Damit können vermehrte Entgeltumwandlungen für Mitarbeiterkapitalbeteiligungen geringere Entgeltumwandlung für betriebliche Altersversorgung zur Folge haben. Die Mitarbeiterkapitalbeteiligung ist dabei – anders als die betriebliche Altersversorgung – sowohl im Zeitpunkt der Einzahlung bei einer Höhe von bis zu 360 € als auch bei der späteren Entnahme steuerfrei. Diese besondere steuerliche Begünstigung kann dazu führen, dass sich Arbeitnehmer verstärkt für die Mitarbeiterkapitalbeteiligung entscheiden werden – zumal im Bereich der betrieblichen Altersversorgung strengere Anforderungen (z. B. grundsätzlich keine Auszahlung vor Vollendung des 60. Lebensjahres, lebenslange Rentenzahlungen in der Leistungsphase, Schutz bei Insolvenz des Arbeitgebers) bestehen. Der Ausbau der betrieblichen Altersversorgung würde damit gebremst.

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Dieter Hundt: Akute Gefahr einer breiten Kreditklemme (Freie Presse Chemnitz, 25. November 2009)

Wirtschaft stabilisieren und Arbeitsplätze sichern Die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der BDA hat im zu Ende gehenden Jahr 2009 ihre wesentliche Aufgabe darin gesehen, den massiven Einsatz der BDA für die Beschäftigungssicherheit in Deutschland deutlich zu machen. Angesichts der schwersten Wirtschafts- und Finanzmarktkrise seit Gründung der Bundesrepublik konnte so ein positives Bild der Arbeitgeber in der Öffentlichkeit gezeichnet werden. Auch vor dem Hintergrund der zahlreichen Wahlen und vor allem der Bundestagswahl ging es darum, ein klares und konturenscharfes Profil der Arbeitgeber zu prägen, die politischen Aussagen auf den Punkt zu bringen und in die Öffentlichkeit zu transportieren. Dabei setzte die BDA in ihrer Pressearbeit nicht auf falsche Versprechungen, sondern warb sachlich und fundiert für eine Politik zur Stabilisierung der Wirtschaft und Sicherung von Arbeitsplätzen.

BDA-Appell an die Politik: Klare Prioritäten setzen! Die schwere Wirtschafts- und Finanzmarktkrise war Auslöser zahlreicher Presseaktivitäten. Arbeitgeberpräsident Dr. Dieter Hundt hat in diversen Interviews, Presseerklärungen und Reden stets deutlich gemacht, dass Deutschland gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten eine nachhaltige und verlässliche Politik braucht, die sich an den Grundsätzen der Sozialen Marktwirtschaft ausrichtet. Auch im Bundestagswahlkampf spielte die Finanzmarktkrise eine herausragende Rolle. Die BDA bezog öffentlich Stellung und appellierte an die Politik, „Weichen zu stellen für Wachstum, Beschäftigung und dauerhafte Wettbewerbsfähigkeit“. Was Deutschland in der neuen Legislaturperiode brauche, sei eine verlässliche und nachhaltige Politik, die klare Prioritäten benenne. In Presse, Funk und Fernsehen warb der Arbeitgeberpräsident für vier wichtige Ziele. Dazu gehörte an erster Stelle die Sicherung der Unternehmensfinanzierung, während das zweitwichtigste Ziel lautete, keine neuen Belastungen

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BDA | Geschäftsbericht 2009 | Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

für Wirtschaft und Arbeit zu schaffen. Erforderlich sei ein Belastungsmoratorium für die Wirtschaft. Als dritte Priorität sprach sich Dr. Dieter Hundt für eine schnelle Rückkehr zu einer Politik der konsequenten Haushaltskonsolidierung aus. Schließlich – als viertes Ziel – soll die Politik mittelfristig eine Senkung von Abgaben und Steuern im Auge behalten. Unmittelbar nach Veröffentlichung des Koalitionsvertrags bezog die BDA Stellung und bewertete die Koalitionsvereinbarung als einen „guten Kompass für die nächsten Jahre“, der die „Weichen für Wachstum und für Strukturveränderungen im Sozialversicherungs- und Steuersystem“ stelle. In seinem Pressestatement und in zahlreichen TV-Auftritten begrüßte Arbeitgeberpräsident Dr. Dieter Hundt u. a. den Einstieg in die Entkopplung der Kosten für Gesundheit und Pflege vom Arbeitsverhältnis, um die Systeme zukunftsfähig zu machen. Auch die Übernahme der krisenbedingten Defizite aus Kranken- und Arbeitslosenversicherung bezeichnete er als einen wichtigen und folgerichtigen Beitrag zur Begrenzung der Lohnzusatzkosten. Hundt lobte zudem, dass die Koalitionspartner der drohenden Kreditklemme entgegentreten und Maßnahmen zur Sicherung der Unternehmensfinanzierung ergreifen wollten.

Deutscher Arbeitgebertag 2009 fand überwältigendes Presseecho Mit über 1.700 Gästen aus Wirtschaft und Politik avancierte der Deutsche Arbeitgebertag am 24. November 2009 wieder zu einem viel beachteten Medienereignis. Rund 150 Journalisten und Medienvertreter aus dem In- und Ausland berichteten ausführlich über diese Veranstaltung, die aus dem politischen Eventkalender der deutschen Hauptstadt längst nicht mehr wegzudenken ist. Entsprechend überwältigend fiel das Presseecho aus: Liveschaltungen der großen Nachrichtensender, Hörfunkberichte und Beiträge in allen überregionalen Tageszeitungen waren ein deutlicher Beleg für das starke Interesse der Medien. Im Mittelpunkt des diesjährigen Arbeitgebertags standen vor allem die Redebeiträge von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und Arbeitgeberpräsident Dr. Dieter Hundt. Aber auch


„Ich warne vor weiteren Subventionen“ Der Staat soll keine Unternehmen sanieren, sagt Arbeitgeberchef Hundt (Stuttgarter Nachrichten, 2. Februar 2009)

Wirtschaft lobt schwarz-gelben Start (Die Welt, 26. Oktober 2009)

die Auftritte des frischgebackenen SPD-Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel, der neuen Bundesminister Rainer Brüderle und Dr. Franz Josef Jung sowie des Bundesvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen, Cem Özdemir, fanden viel Beachtung.

Auch mehrere hochkarätig besetzte Podiumsdiskussionen stießen auf eine breite Resonanz. Abgerundet wurde der Deutsche Arbeitgebertag traditionell mit der Verleihung des Arbeitgeberpreises für Bildung, diesmal in Kooperation mit der Deutschen Telekom AG.

Pressestimmen Die oft beklagte Grauzone in Sachen Datenschutz entsteht also nicht durch einen Mangel an Regelungen, sondern durch ihre Unübersichtlichkeit. Arbeitgeber, die herausfinden wollen, was sie dürfen, müssen in einer Unmenge von Datenschutzgesetzen, Arbeitsrichtlinien und Gerichtsurteilen wühlen. Diese Rechtslage gilt es zu ordnen und transparenter zu machen. Die Welt, 17. Februar 2009 Einen eindeutigen Schwenk – weg von einer auf mehr Beschäftigungsteilhabe ausgerichteten Arbeitsmarktpolitik hin zu paternalistischer Fürsorge – stellen die verlängerte Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes für Ältere und der erleichterte Zugang von Künstlern in die Versicherung dar. Verheerend wäre es, gäbe die Koalition im Wahlkampf dem Anliegen der Gewerkschaften nach und führte die Frührente auf Staatskosten wieder ein. FAZ, 22. Mai 2009 Lobenswert auch der neue Appell von Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt an die Unternehmen, „die Möglichkeiten der Beschäftigungssicherheit zu nutzen, soweit es die wirtschaftliche Lage erlaubt“. Genau diese soziale Verantwortung wird nötig sein im Krisenjahr 2009. Bremer Nachrichten, 29. Mai 2009 Die Vereinbarung, den Arbeitgeberbeitrag einzufrieren, ist im Interesse der Beschäftigung sinnvoll. FAZ, 24. Oktober 2009 Hundt hat die Gefahren für die Wirtschaft klipp und klar benannt. Obwohl die Finanzmärkte mit billigem Geld der Notenbanken geflutet, die Banken mit staatlichen Milliardengarantien gestützt werden, drohen die Unternehmen finanziell auszutrocknen, weil ihnen der Kredithahn zugedreht wird. Ostsee-Zeitung, 25. November 2009

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Arbeitgeber warnen vor populistischer Politik (Handelsblatt, 14. April 2009)

Den Wandel der Medienlandschaft aktiv gestalten

BDA setzt auch auf Internet und eigene Publikationen

Die BDA nutzt die breite Palette ihrer Möglichkeiten, um die Positionen der Arbeitgeber in die Öffentlichkeit zu tragen. Zu den täglichen Aufgaben der BDA-Pressestelle gehören u. a. die Beantwortung von Anfragen, das Erarbeiten und Verbreiten von Stellungnahmen und Presseerklärungen. Das Aufgabenspektrum der BDAKommunikation reicht aber weit darüber hinaus: Sie führt Pressekonferenzen durch, bereitet Interviews, Hörfunk- und TV-Auftritte vor und ist ständiger Ansprechpartner für die Journalisten. Die Pressearbeit der BDA und ihr Verhältnis zu den Journalisten sind geprägt von Offenheit und Ehrlichkeit, Akzeptanz und gegenseitigem Vertrauen. Damit leistet sie einen wichtigen Beitrag zur Durchsetzung und Verbreitung der Positionen der deutschen Arbeitgeber.

Neben ihrer Pressearbeit setzt die BDA auch auf eigene Publikationen und Medien. Als wichtigste und schnellste Informationsquelle hat sich insbesondere die Internetseite ­www.arbeitgeber.de etabliert, die seit ihrem Relaunch im November des vergangenen Jahres permanent weiterentwickelt wurde. Der Internetauftritt der BDA hält Medien, Politik, Unternehmen und interessierte Bürger täglich mit den neuesten Informationen auf dem Laufenden. Wenn nötig, wird die Startseite mehrmals am Tag überarbeitet, um der Aktualität gehorchend unterschiedliche Themen in den Fokus zu rücken. Großer Beliebtheit erfreuen sich vor allem die übersichtlichen und prägnanten Info-Angebote kompakt und argumente. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Verlinkungen zu weiterführenden Partner-Webseiten und Initiativen.

Im Unterschied zu früher spielen in der täglichen Presse- und Öffentlichkeitsarbeit das Internet und neue Kommunikationstechnologien eine immer wichtigere Rolle. So hat sich u. a. die Zahl der Anfragen von Online-Redaktionen deutlich erhöht. Schnell, aber trotzdem seriös darauf zu reagieren, ist das Gebot der Stunde.

Neu hinzugekommen sind die beiden Dienste RSS und Twitter. Interessierte können mit Hilfe des RSS-Feed stets die neuesten Pressemitteilungen der BDA abonnieren und sind so immer auf dem neuesten Stand. Und auch dank des Kurzmitteilungs-Abos Twitter kann man sich stets auf dem Laufenden halten. In einer neuen Version präsentiert sich auch der Online-Shop. Über ihn kann der Nutzer zahlreiche interessante Broschüren der BDA bestellen. Ein Downloadcenter ermöglicht darüber hinaus das unkomplizierte und schnelle Herunterladen aktueller Stellungnahmen und Beiträge.

Blogs, Twitter, RSS-Feeds und BewegtbildKommunikation stellen ebenfalls neue Herausforderungen dar. In der öffentlichen Wahrnehmung nimmt neben traditionellen Medien die Bedeutung der neuen Echtzeit-Angebote offenkundig zu. Dieser grundlegende Wandel der Medienlandschaft steht erst an seinem Anfang, und die BDA gestaltet ihn aktiv mit. In der internen Kommunikation setzt die BDA weiterhin auf eine enge Vernetzung zu den Pressestellen der Mitgliedsverbände. Im Arbeitskreis Presse- und Öffentlichkeitsarbeit kommen die Pressesprecher von BDA und Mitgliedsverbänden mehrmals im Jahr zusammen, um Erfahrungen auszutauschen und medienrelevante Themen zu diskutieren.

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BDA | Geschäftsbericht 2009 | Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

Neben der BDA-Internetseite gibt es mit dem „BDA Newsletter“ und dem „Euro-Info“ weitere Informationsdienste. Die Dienste können kostenfrei über die Internetseite abonniert werden. Darüber hinaus ist die BDA mit der Beilage „Arbeitgeber – Das BDA-Spezial zur unternehmerischen Sozialpolitik“ in der Zeitschrift PERSONAL vertreten. Sie versorgt die Leser in kompakter Form mit wichtigen Hintergrundinformationen und aktuellen politischen Analysen. Die Zielgruppen sind Meinungsbildner, Unternehmer, Personaler, Politiker, Wissenschaftler, Lehrer und Studierende. Weitere Infos im Internet unter www.personal-im-web.de.


„Nach der Krise liegt Deutschland vorn“ Gastkommentar Dieter Hundt (Bild am Sonntag, 8. Februar 2009)

„Es muss nachhaltig gewirtschaftet werden“ (Der Tagesspiegel, 13. Juli 2009)

BDA | Geschäftsbericht 2009 | Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

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BDA-Mitgliedsverbände 56 Bundesfachverbände

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Allianz Deutscher Produzenten – Film & Fernsehen e. V. Arbeitgeberverband der Cigarettenindustrie Arbeitgeberverband der Deutschen Glasindustrie e. V. Arbeitgeberverband der Deutschen Immobilienwirtschaft e. V. Arbeitgeberverband der Deutschen Kautschukindustrie (ADK) e. V. Arbeitgeberverband der Mobilitäts- und Verkehrsdienstleister e. V. (Agv MoVe) Arbeitgeberverband der Versicherungsunternehmen in Deutschland Arbeitgeberverband des privaten Bankgewerbes e. V. Arbeitgeberverband Deutscher Eisenbahnen e. V. – Eisenbahnen, Berg- u. Seilbahnen, Kraftverkehrsbetriebe – Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister e. V. (AMP) Arbeitgeberverband Neue Brief- und Zustelldienste e. V. Arbeitgeberverband Pflege e. V. Arbeitgeberverband Postdienste e. V. Arbeitgeberverband Stahl e. V. Arbeitgebervereinigung Nahrung und Genuß e. V. Arbeitsgemeinschaft Keramische Industrie e. V. Arbeitsgemeinschaft Schuhe/Leder BDE Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft e. V. BdKEP Bundesverband der Kurier-Express-Post-Dienste e. V. Bundesarbeitgeberverband Chemie e. V. Bundesverband der Systemgastronomie BdS e. V. Bundesverband der Zigarrenindustrie e. V. (BdZ) Bundesverband Deutscher Dienstleistungsunternehmen e. V. Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger e. V. Bundesverband Druck und Medien e. V. Bundesverband Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau e. V. Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen e. V. Bundesverband Zeitarbeit Personal-Dienstleistungen e. V. (BZA) Deutscher Braunkohlen-Industrie-Verein e. V. Deutscher Bühnenverein Bundesverband der Theater und Orchester Deutscher Hotel- und Gaststättenverband e. V. (DEHOGA) DSSV e. V. Arbeitgeberverband deutscher Fitness- und Gesundheits-Anlagen GESAMTMETALL Gesamtverband der Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektro-Industrie e. V. Gesamtverband der Deutschen Land- und Forstwirtschaftlichen Arbeitgeberverbände e. V. Gesamtverband der deutschen Textil- und Modeindustrie e. V. – Arbeitgeberverbund – Gesamtverband Steinkohle (GVSt) Handelsverband Deutschland (HDE) Der Einzelhandel Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e. V. Hauptverband der Deutschen Holz und Kunststoffe verarbeitenden Industrie und verwandter Industriezweige e. V. Hauptverband Papier- und Kunststoffverarbeitung (HPV) e. V. – Sozialpolitischer Hauptausschuss – Sozialpolitische Arbeitsgemeinschaft Steine und Erden Sozialpolitische Arbeitsgemeinschaft Telekommunikation (ArgeTel) Sozialpolitische Arbeitsgemeinschaft Verkehr (SAV) Unternehmerverband Deutsches Handwerk (UDH) Verband der Deutschen Säge- und Holzindustrie e. V. Verband Deutscher Reeder e. V. Verband Deutscher Zeitschriftenverleger e. V. (VDZ) Verband diakonischer Dienstgeber in Deutschland e. V. (VdDD) Verein der Zuckerindustrie Vereinigung der Arbeitgeberverbände der Deutschen Papierindustrie e. V. Vereinigung der Arbeitgeberverbände energie- und versorgungswirtschaftlicher Unternehmungen (VAEU) Vereinigung Rohstoffe und Bergbau VKS – Verband der Kali- und Salzindustrie e. V. WEG Wirtschaftsverband Erdöl- und Erdgasgewinnung e. V. Zentralverband des Deutschen Baugewerbes e. V. ZGV – Zentralverband Gewerblicher Verbundgruppen e. V.

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14 Landesvereinigungen

UVNord – Vereinigung der Unternehmensverbände in Hamburg und Schleswig-Holstein e. V.

Vereinigung der Unternehmensverbände für Mecklenburg-Vorpommern e. V.

Die Unternehmensverbände im Lande Bremen e. V. Unternehmerverbände Niedersachsen e. V. Vereinigung der Unternehmensverbände in Berlin und Brandenburg e. V. Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände Sachsen-Anhalt e. V.

Landesvereinigung der Unternehmensverbände Nordrhein-Westfalen e. V. (unternehmer nrw)

Vereinigung der Sächsischen Wirtschaft e. V. (VSW) Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände e. V.

Verband der Wirtschaft Thüringens e. V.

Landesvereinigung Unternehmerverbände Rheinland-Pfalz (LVU)

Vereinigung der Saarländischen Unternehmensverbände e. V. Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V. Landesvereinigung Baden-Württembergischer Arbeitgeberverbände e. V.

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BDA-Präsidium Präsident

Dr. Dieter Hundt

Präsident Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Aufsichtsratsvorsitzender Allgaier Werke GmbH

Ehrenpräsident

Prof. Dr. Klaus Murmann

Ehrenpräsident Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände vorm. Vorstandsvorsitzender Sauer-Danfoss Inc.

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Vizepräsidenten

Dr. h. c. Josef Beutelmann

Vorsitzender Arbeitgeberverband der Versicherungsunternehmen in Deutschland Vorsitzender der Vorstände Barmenia Versicherungen

Dr. Gerhard F. Braun

Präsident Landesvereinigung Unternehmerverbände Rheinland-Pfalz Geschäftsführender Gesellschafter Karl Otto Braun GmbH & Co. KG

Dr. Eckhard Cordes

Vorstandsvorsitzender Metro AG

Martin Kannegiesser

Präsident GESAMTMETALL Gesamtverband der Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektro-Industrie Geschäftsführender Gesellschafter Herbert Kannegiesser GmbH

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Otto Kentzler

Präsident Zentralverband des Deutschen Handwerks Geschäftsführender Gesellschafter Kentzler GmbH & Co. KG

Dr. Walter Koch

Gesellschafter Dillinger Fabrik gelochter Bleche GmbH

Randolf Rodenstock

Präsident Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft Geschäftsführender Gesellschafter Optische Werke G. Rodenstock GmbH & Co. KG

Dr. h. c. Eggert Voscherau

Präsident Bundesarbeitgeberverband Chemie Aufsichtsratsvorsitzender BASF SE

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Weitere Mitglieder des Präsidiums

Dr. Frank Appel

Vorstand Arbeitgeberverband Postdienste Vorstandsvorsitzender Deutsche Post DHL

Peter Barz

Vorsitzender Arbeitgebervereinigung Nahrung und Genuß Aufsichtsratsmitglied Unilever Deutschland Holding GmbH

Anton F. Börner

Präsident Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen Persönlich haftender Gesellschafter Börner + Co.

Hans-Dieter Bremer

Präsident Vereinigung der Unternehmensverbände für Mecklenburg-Vorpommern Geschäftsführer Beton-Service GmbH

Wolfgang Brinkmann

Vizepräsident Gesamtverband der deutschen Textil- und Modeindustrie Geschäftsführender Gesellschafter F.W. Brinkmann GmbH

Dr. Jürgen Deilmann

Ehrenmitglied im Präsidium der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Gesellschafter Deilmann Montan GmbH

BDA | Geschäftsbericht 2009 | BDA-Organisation

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Dr. Rainer Dulger

Vorstandsmitglied Landesvereinigung BadenWürttembergischer Arbeitgeberverbände Geschäftsführender Gesellschafter ProMinent Dosiertechnik AG

Goetz von Engelbrechten

Vizepräsident Unternehmerverbände Niedersachsen

Bodo Finger

Präsident Vereinigung der Sächsischen Wirtschaft Geschäftsführender Gesellschafter Chemnitzer Zahnradfabrik GmbH & Co. KG

Günther Fleig

Vorstandsvorsitzender Hanns Martin Schleyer-Stiftung

Heide Franken

Geschäftsführerin Randstad Deutschland GmbH & Co. KG

Hartmut Geldmacher

Vorsitzender Vereinigung der Arbeitgeberverbände energieund versorgungswirtschaftlicher Unternehmungen Vorstandsmitglied E.ON Energie AG

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Wolfgang Goebel

Vorstandsvorsitzender Bundesverband der Systemgastronomie Vorstandsmitglied McDonald‘s Deutschland Inc.

Dr. Reinhard Göhner

Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände

Ulrich Grillo

Präsident WirtschaftsVereinigung Metalle Vorstandsvorsitzender Grillo-Werke AG

Dr. Rüdiger Grube

Vorstandsvorsitzender Deutsche Bahn AG

Helmut Heinen

Präsident Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger Geschäftsführer Heinen-Verlag GmbH

Klaus Hering

Vizepräsident Hauptverband der Deutschen Bauindustrie Gesellschafter NOBA Schlüsselfertigbau GmbH

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Dr. Fritz-Heinz Himmelreich

vorm. Hauptgeschäftsführer Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände

Ingrid Hofmann

Vizepräsidentin Bundesverband Zeitarbeit Personal-Dienstleistungen Geschäftsführende Gesellschafterin I.K. Hofmann GmbH

Burkhard Ischler

Präsident Vereinigung der Unternehmensverbände in Berlin und Brandenburg Leiter Berliner Büro der Leitung Siemens AG

Dr. Eckart John von Freyend

Präsident Institut der deutschen Wirtschaft Köln Vorstandssprecher Walter-Raymond-Stiftung

Arndt Kirchhoff

Vorsitzender der Geschäftsführung Kirchhoff Automotive GmbH & Co. KG

Helmut F. Koch

Vorsitzender Arbeitgeberverband Stahl Aufsichtsratsmitglied Mannesmannröhren-Werke AG

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Ingo Kramer

Präsident Unternehmensverbände im Lande Bremen Geschäftsführender Gesellschafter J.H.K. Anlagenbau und Service GmbH & Co. KG

Harald Krüger

Vorstandsmitglied BMW AG

Lothar Lampe

Präsident Gesamtverband der Deutschen Land- und Forstwirtschaftlichen Arbeitgeberverbände

Stefan H. Lauer

Vorsitzender Sozialpolitische Arbeitsgemeinschaft Verkehr Vorstandsmitglied Deutsche Lufthansa AG

Horst-Werner Maier-Hunke

Präsident Landesvereinigung der Unternehmensverbände Nordrhein-Westfalen Geschäftsführer DURABLE Hunke & Jochheim GmbH & Co. KG

Dr. Arend Oetker

Geschäftsführender Gesellschafter Dr. Arend Oetker Holding GmbH & Co. KG

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Wilfried Porth

Vorstandsmitglied Daimler AG

Dr. Wolfgang Pütz

Vizepräsident Bundesverband Druck und Medien Geschäftsführender Gesellschafter J.F. Ziegler KG

Prof. Dr. Siegfried Russwurm Vorstandsmitglied Siemens AG

Josef Sanktjohanser

Präsident Hauptverband des Deutschen Einzelhandels Vorstandsmitglied REWE-Zentral-AG

Thomas Sattelberger

Vorstandsmitglied Deutsche Telekom AG

Ulrich Sieber

Vorsitzender Arbeitgeberverband des privaten Bankgewerbes Vorstandsmitglied Commerzbank AG

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Margret Suckale

Senior Vice President Global HR Executive Management and Development BASF SE

Bernd Tönjes

Präsident Gesamtverband Steinkohle Vorstandsvorsitzender RAG Deutsche Steinkohle AG

Ulrich Wachholtz

Präsident UVNord – Vereinigung der Unternehmensverbände in Hamburg und Schleswig-Holstein Geschäftsführer Karl Wachholtz Verlag GmbH & Co. KG

Prof. Dieter Weidemann

Präsident Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände

Wolfgang Zahn

Präsident Verband der Wirtschaft Thüringens Geschäftsführer Robert Bosch Fahrzeugelektrik Eisenach GmbH

Das Präsidium ist das zentrale Entscheidungsorgan der BDA | Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Es leitet die Tätigkeit der BDA im Rahmen der Richt­ linien des Vorstands. Das Präsidium diskutiert in regelmäßigen Abständen aktuelle sozialpolitische Fragen und bestimmt dazu die Position der BDA. Das Präsidium setzt sich zusammen aus dem Präsidenten, acht Vizepräsidenten, einschließlich des Schatzmeisters, sowie weiteren Mitgliedern des Präsidiums.

BDA | Geschäftsbericht 2009 | BDA-Organisation

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Vorsitzende der Ausschüsse

BDA-Vorstand Neben den gewählten Mitgliedern des Präsidiums gehören folgende Damen und Herren dem Vorstand an:

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Prof. Thomas Bauer Michael Behrendt Dr. Rolf Bender Ulrich Alfred Büchner Prof. Dr. Hubert Burda Dr. Hans Ulrich Dorau Frank Dupré Volker Enkerts Ernst Fischer Florian Gerster Rainer Göhner Thomas Greiner Klemens Gutmann Jörg Hagmaier Siegfried Hanke Matthias Hartung Theo Hermann Dr. Gernot Kalkoffen Franz Bernd Köster Thomas Kretschmann Peter Kurth Rainer J. Marschaus Reinhard Müller-Gei Dr. Christoph E. Palmer Rudolf Pfeiffer Eberhard Potempa Hanns-Jürgen Redeker Ralph Rieker Prof. Dr. Markus Rückert Manfred Rycken Jürgen Schitthelm Dirk Schlüter Otmar Schön Birgit Schwarze Johannes Schwörer Dr. Theo Spettmann Norbert Steiner Dr. Sven Vogt Ulrich Weber Dietmar Welslau Prof. Dr. Franz-Josef Wodopia

Dr. Gerhard F. Braun BDA/BDI Fachausschuss Bildung | Berufliche Bildung Hans-Dieter Bremer Ausschuss Arbeitssicherheit Prof. Dr. Michael Heise Ausschuss für Volkswirtschaftliche Fragen Klaus Hofer Ausschuss Betriebliche Altersvorsorge Ingrid Hofmann Ausschuss Betriebliche Personalpolitik Michael Klein Ausschuss Arbeitsmarktfragen Dr. Walter Koch Ausschuss Haushalt Stefan H. Lauer Ausschuss Arbeitsrecht Dr. Wolfgang Pütz Ausschuss Lohn- und Tarifpolitik Randolf Rodenstock Ausschuss Soziale Sicherung Margret Suckale Ausschuss Sozialpolitik in der EU

BDA | Geschäftsbericht 2009 | BDA-Organisation

Gemeinsames Präsidium von BDA und BDI Alternierende Vorsitzende Dr. Dieter Hundt Prof. Dr. Dr. Hans-Peter Keitel Weitere Mitglieder des Präsidiums

Dr. h. c. Josef Beutelmann Herbert Bodner Dr. Gerhard F. Braun Dr. Eckhard Cordes Martin Kannegiesser Otto Kentzler Dr. Walter Koch Prof. Dr. Ulrich Lehner Friedhelm Loh Dr. Arend Oetker Randolf Rodenstock Prof. Dr. Dr. h. c. August-Wilhelm Scheer Prof. Dr. Dr. h. c. Ekkehard D. Schulz Jürgen R. Thumann Dr. h. c. Eggert Voscherau Matthias Wissmann Dr. E. h. Manfred Wittenstein


In memoriam Sie waren der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände in langjähriger Mitarbeit verbunden und hatten wesentlichen Anteil an der Gestaltung unternehmerischer Sozialpolitik. Wir gedenken ihrer.

Rechtsanwalt Karl Bayer

Ehem. Hauptgeschäftsführer VBM – Verband der Bayerischen Metall- und Elektro-Industrie e. V. Ehem. Hauptgeschäftsführer Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V. 6. Januar 2009

Dietmar von Dippel

Ehem. Hauptgeschäftsführer Unternehmens- und Arbeitgeberverband für Großhandel und Dienstleistungen e. V. Ehem. Geschäftsführer Landesverband des Groß- und Außenhandels von Berlin und Brandenburg e. V. 27. März 2009

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Organigramm

Präsident Dr. Dieter Hundt Sekretariat Ulrike Kümpel-Moderau T -1004 F -1005

Hauptgeschäftsführer Dr. Reinhard Göhner

Mitglied der Hauptgeschäftsführung Alexander Gunkel**

Sekretariat Anne-Katrin Biereigel* T -1008 F -1015 hgf.mail@arbeitgeber.de

Sekretariat Ulrike Kümpel-Moderau Marina Reikowski T -1007/1006 F -1005 hgf.mail@arbeitgeber.de

Verwaltung und Verbandsorganisation

Soziale Sicherung

Volkswirtschaft | Finanzen | Steuern, Walter-RaymondStiftung

Arbeitsrecht

Lohn- und Tarifpolitik

Abteilungsleitung

Abteilungsleitung

Abteilungsleitung

Abteilungsleitung

Abteilungsleitung

Sekretariat

Sekretariat

Sekretariat

Sekretariat

Sekretariat

organisation@arbeitgeber.de

soziale.sicherung@arbeitgeber.de

volkswirtschaft@arbeitgeber.de

arbeitsrecht@arbeitgeber.de

tarifpolitik@arbeitgeber.de

Kaufmännische Assistenz Katrin Altmann*

Referenten (m/w)

Referenten (m/w)

Referenten (m/w)

Referenten (m/w)

Arbeitswissenschaft

Organisation Kornelia Wendt

Redaktion SAE Barbara Braun

Tarifarchiv Michaela Grebasch Freimut Wolny Astrid Bohn

Sekretariat

Institut für Sozial- und Wirtschaftspolitische Ausbildung

Ulrich Hüttenbach** Martin Pulm

Janet Wiecker T -1100 F -1105

Adressverwaltung Thomas Bieche Manuel Schiller

Einkauf und Services

Sven Kochanowski einkauf.mail@arbeitgeber.de Bibliothek Anke Beyer-Stamm Service Frank Halup Astrid Leu

Finanzen

Martin Pulm Gudrun Häntsch Sirpa Ohm Viola Rieche finanzen.mail@arbeitgeber.de

Informations- und Kommunikationstechnik Martin Brüning Thomas Hyrbaczek Christian Seipp Hans-Jürgen Tunze iuk.mail@arbeitgeber.de

Personal

Astrid Zippel Katrin Rennicke personal.mail@arbeitgeber.de

Dr. Volker Hansen Gert Nachtigal

Ingrid Schramm Heike Bozan T -1600 F -1605

Eva Barlage-Melber Stefan Haussmann Dr. Martin Kröger Susanne Lexa Saskia Osing* Florian Swyter

Norbert Breutmann

Carola Wünsche T -1604 F -1605 soziale.sicherung@arbeitgeber.de

Ottheinrich Freiherr von Weitershausen* Dr. Oliver Perschau Cornelia Hentschel T -1950 F -1955

Elisaveta Boykinska Dr. Hans-Jürgen Völz

Ottheinrich Freiherr von Weitershausen

Sekretariat

Ellen Dumschat T -1954 F -1955 info@iswa-online.de

Roland Wolf Thomas Prinz*

Manuela Hahn Simone Scharf T -1200 F -1205

Manja Barth Nora Braun Kristina Huke Martin Eckstein Mathias Stanke

Rainer Huke*

Marina Fahrentholtz Katrin Franz T -1300 F -1305

Benjamin Kaiser Paul Noll Dr. Mandy Reichel


T +49 30 2033-0 F +49 30 2033-1055 bda@arbeitgeber.de www.arbeitgeber.de Stand: 1. Januar 2010 ** Qualitätsmanagementkoordinator * Qualitätsmanagementbeauftragte

Mitglied der Hauptgeschäftsführung Peter Clever

Sekretariat Beate Murtezani T -1009 F -1015 hgf.mail@arbeitgeber.de

Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

Planung | Koordination | Grundsatzfragen

Arbeitsmarkt

Bildung | Berufliche Bildung

Europäische Union und Internationale Sozialpolitik

Abteilungsleitung

Abteilungsleitung

Abteilungsleitung

Abteilungsleitung

Abteilungsleitung

Sekretariat

Sekretariat

Sekretariat

Sekretariat

Sekretariat

presse@arbeitgeber.de

grundsatz@arbeitgeber.de

arbeitsmarkt@arbeitgeber.de

bildung@arbeitgeber.de

europa@arbeitgeber.de

Referenten (m/w)

Referenten (m/w)

Referenten (m/w)

Referenten (m/w)

Referenten (m/w)

Leiter der Pressestelle

Büro des Präsidenten und des Hauptgeschäftsführers

Betriebliche Personalpolitik

Sekretariat

Sekretariat

Sekretariat

grundsatz@arbeitgeber.de

arbeitsmarkt@arbeitgeber.de

bruessel@arbeitgeber.de

Dr. Uwe Mazura Jörg Swane

Claudia Jungkowski Claudia Kurschat T -1800 F -1805

Karoline Lerche Dr. Viktor Otto Dr. Heinz Schmitz Andreas Timm

Dr. Heinz Schmitz

Christina Ramb** Kristian Schalter

Kati Hildebrandt T -1070 F -1075

Tabea Kölbel

Kristian Schalter Benjamin Koller

Sabrina Paul T -1020 F -1025

Dr. Jürgen Wuttke Alexander Wilhelm

Susanne Peronne Marion Blumauer T -1400 F -1405

Dr. Thomas Günther Torsten Petrak Dr. Anna Robra

Dr. Alexander Böhne* Jana Schimke

Doreen Mertens T -1410 F -1405

Dr. Barbara Dorn Dr. Donate Kluxen-Pyta Tanja Nackmayr Katja Rasch Allmuth Rudolf Sevim Ünal T -1500 F -1505

Dr. Lena Behmenburg Henning Dettleff Helga Janitz Yvonne Kohlmann Susanne Müller* Eva Strube

Renate Hornung-Draus Antje Gerstein*

Bianca Voyé* Marion Hirte Janine Spolaczyk T -1900 F -1905

Anton Bauch Angela Schneider-Bodien Stefan Sträßer Matthias Thorns

BDI/BDA The German Business Representation Antje Gerstein* Brigitte De Vita Andres Rojas del Rio Astrid Schwarz T +32 2 792 10 50 F +32 2 792 10 55


BDA | Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Mitglied von BUSINESSEUROPE Hausadresse: Haus der Deutschen Wirtschaft Breite Straße 29, 10178 Berlin Briefadresse: 11054 Berlin T +49 30 2033-1070 F +49 30 2033-1075 bda@arbeitgeber.de www.arbeitgeber.de Redaktionsschluss: 18. Dezember 2009 BDA-Organisation: Stand 1. Januar 2010 Fotografie: Christian Kruppa | www.christiankruppa.de Thomas Köhler | www.photothek.net adisa, Aeolos, olly, moonrun, Petr Nad, RRF, Marcel Mooij, U.P.images, Phoenixpix, Nikada | www.istockphoto.com Bernd Kröger, Franz Pfluegl, svlumagraphica | www.fotolia.de misterQM, micjan | www.photocase.de




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