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BILDUNG schafft ZUKUNFT
Integration durch Bildung Potenzial von Migrantenkindern entfalten
Integration durch Bildung Potenzial von Migrantenkindern entfalten
Stand: August 2006 Alle Rechte vorbehalten Printed in Germany Gestaltung: J端rgens. Design + Kommunikation, Berlin ISBN 3-938349-22-0
Inhaltsverzeichnis
Chancen von Migrantenkindern verbessern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
Im Kindergarten: Vorschulprogramm als erste Stufe des Bildungssystems ausbauen. . . . 8 > Obligatorisches Vorschulcurriculum entwickeln,
Sprache systematisch fördern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 > Eltern und Familien einbeziehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 > Qualität der pädagogischen Arbeit sichern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
In der Schule: Kompetenzen fördern, Begabungen entfalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 > Sprache als Schlüssel fördern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 > Lernen differenzieren, individuell fördern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 > Persönliche und soziale Kompetenzen stärken . . . . . . . . . . . . . . . . 30 > Diagnostik systematisieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
In der Beruflichen Bildung: Mehr Jugendliche mit Migrationshintergrund motivieren und integrieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 > Berufsorientierung und Berufsvorbereitung verbessern. . . . . . . . . . 37 > Flankierende Unterstützung in der Ausbildung
intensivieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 > Interkulturelles Potenzial nutzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 > Lernen in der Berufsschule differenzieren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
Kurzfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
Chancen von Migrantenkindern verbessern Deutschland und die europäischen Staaten sind keine geschlossenen Nationalstaaten traditioneller Prägung mehr, sondern weltoffene Gesellschaften mit einer Vielzahl von Minderheiten. Migranten sind ein Bestandteil unserer Gesellschaft und Migrantenkinder ein wachsender Teil der Schülerschaft. Im Jahr 2004 lebten in Deutschland 7,3 Millionen ausländische Staatsbürger und rund 7 Millionen deutsche Staatsbürger, die im Ausland geboren sind und nach Zuwanderung die Staatsangehörigkeit erhalten haben. Jeder fünfte Einwohner in Deutschland und jeder fünfte Schüler hat heute einen Migrationshintergrund. Der Begriff „Migrationshintergrund“ ist durch die PISA-Studien gängig geworden: Maßgeblich ist dabei nicht die Staatsangehörigkeit, sondern der Geburtsort der Eltern. „Migrantenkinder“ sind daher keineswegs nur die Jugendlichen ausländischer Staatsangehörigkeit, sondern darüber hinaus alle, bei denen mindestens ein Elternteil im Ausland geboren wurde (z.B. Kinder aus ehemaligen Gastarbeiter-, Aussiedler- oder Flüchtlingsfamilien). Die PISA-Studie 2003 hat bei den Schülern in Deutschland einen Migrationshintergrund von insgesamt 22 % erhoben. Dabei sind 9,2 % der Schüler und ihre Eltern im Ausland geboren und nach Deutschland zugewandert; 6,1 % der Jugendlichen sind als „erste Generation“ in Deutschland und beide Elternteile im Ausland geboren; bei 6,9 % ist ein Elternteil in Deutschland geboren. Der Anteil der Migrantenkinder an der Schülerschaft ist regional höchst unterschiedlich: Während sie in den neuen Bundesländern nicht ins Gewicht fallen, machen sie in westdeutschen Großstädten mehr als ein Drittel der Schüler aus. So haben in Bremen 36 %, in Hamburg 35 %, in Baden-Württemberg, Hessen und Nordrhein-Westfalen rund ein Drittel, in Berlin, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen rund ein Viertel sowie in Bayern und im Saarland rund ein Fünftel der Schüler bei PISA 2003 einen Migrationshintergrund.
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Diese Anteile werden in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit eher steigen als sinken. Prognosen sprechen für das Jahr 2020 von mindestens 30 % Migrantenkindern bundesweit und von 50 % in den Großstädten; dabei haben einige Gemeinden heute schon einen solchen Anteil. Migrantenkinder können daher nicht länger als „Ausnahmephänomen“ betrachtet werden, sondern sind eine gewichtige Gruppe mit wachsender Bedeutung. Die beiden größten Gruppen innerhalb der Migrantenkinder sind Schüler türkischer Herkunft und Schüler aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Das Bildungssystem hat eine entscheidende Bedeutung für die gelingende Integration. In Kindergarten und Schule wird die deutsche Sprache vermittelt; sie ist der Schlüssel, ohne den unsere Gesellschaft und ihre verschiedenen Arbeits- und Lebensbereiche verschlossen bleiben. Auch das Kennen- und Verstehenlernen der Landeskultur findet im Bildungswesen statt: Historisches Wissen, maßgebliche Literatur, gängige Lieder lernen die Kinder – mit oder ohne Migrationshintergrund – ebenso in Kindergarten und Schule kennen wie die Rationalität der wissenschaftlich-technischen Welt und die demokratische Ordnung in Europa. In der beruflichen Bildung wird praktisches und theoretisches Wissen über Arbeitswelt und Beruf vermittelt; die Ausbildung ist der entscheidende Zugang zum Arbeitsmarkt. Wer auf dieser Basis eine qualifizierte Tätigkeit ausübt, findet seinen Platz in der Gesellschaft und nimmt an ihrer Entwicklung teil. Allgemeine Bildung und Berufsbildung sind daher maßgeblich für die Integration und die Teilhabechancen der Zuwandererkinder an Gesellschaft und Wirtschaft. Umso gravierender ist es, dass diese Integration bislang nicht als gelungen gelten kann. Auch wenn es Beispiele hervorragender Integration Einzelner gibt, weisen die Daten in Schule und Ausbildung auf gravierende Mängel und bedenkliche Fehlentwicklungen hin. Vor allem die PISAStudie hat dies in einer bis dahin nicht wahrgenommenen Deutlichkeit festgestellt und kann als letzter Auslöser für einen Bewusstseinswandel
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in Deutschland gelten. Das Thema Migrantenkinder steht daher inzwischen weit oben auf der politischen Tagesordnung. Wir müssen in einer Zeit des globalen Wettbewerbs alles daran setzen, Talente und Potenziale zur Entfaltung zu bringen – auch und erst recht das Potenzial der Migrantenkinder. Wirtschaft und Gesellschaft sind auf Know-how, Kreativität und Innovation angewiesen, während der demografische Wandel zugleich dazu führt, dass die Basis dafür immer schmaler wird. Die Bedeutung der beachtlichen Gruppe von Migrantenkindern wird daher umso stärker wachsen, nicht nur, aber auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Die vorhandene Vielfalt der Kulturen in unserer weltoffenen Gesellschaft kann zu einem produktiven Wettbewerbsfaktor in der globalisierten Wirtschaft werden. Mitarbeiter mit interkulturellen Kompetenzen werden wichtiger, wenn auch das wirtschaftliche Umfeld, die Kunden und Zulieferer kulturell immer mehr diversifizieren. Das gilt national wie international; nicht nur die großen Unternehmen, auch kleine Betriebe agieren längst in globalen Märkten und sind international aufgestellt. Mehrsprachigkeit und Interkulturalität werden somit zu Schlüsselkompetenzen. Deutschland kann dabei von seinen Migranten lernen. Der Bildungspolitik kommt für diese Entwicklung zentrale Bedeutung zu. Migrantenkinder werden zum einen von einer allgemeinen Qualitätsverbesserung der Schule profitieren. Darüber hinaus brauchen sie besondere Fördermaßnahmen für ihre Sprachkompetenzen im Deutschen. Diese müssen möglichst früh im Kindergarten beginnen und kontinuierlich über die Schullaufbahn fortgesetzt werden. Die Unterstützung durch die Eltern und ihre Einbeziehung in Kindergarten und Schule wie beim Übergang in die berufliche Bildung sind für den Erfolg der Kinder unverzichtbar. Auf der Basis einer deutlich besseren Schulbildung wird auch der Weg in die berufliche Bildung besser gelingen. Informationen über das berufliche Bildungssystem und frühzeitige Berufsvorbereitung müssen hinzukommen.
Chancen von Migrantenkindern verbessern
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Die Politik hat bereits Maßnahmen beschlossen: Die Sprachförderung von Zuwandererkindern wird zurzeit massiv ausgebaut. Dies findet die volle Unterstützung der Arbeitgeber. Unter der Decke mangelnder Deutschkenntnisse verbergen sich viele Begabungen und Talente, die es sichtbar zu machen und weiter zu entfalten gilt. Die Förderung von Zuwandererkindern ist daher eine große Herausforderung für unsere Zukunft. Der Wirtschaft – wie der Gesellschaft – dürfen die vielfältigen Begabungen und die besonderen Kompetenzen der jungen Migranten nicht verloren gehen.
Im Kindergarten: Vorschulprogramm als erste Stufe des Bildungssystems ausbauen Der schulische und spätere berufliche Erfolg von Migrantenkindern hängt ganz entscheidend von guten Deutschkenntnissen ab. Deshalb müssen ungleiche Startbedingungen in der Sprachentwicklung von Kindern noch vor Schulbeginn so weit wie möglich ausgeglichen werden. Migrantenkinder brauchen eine frühestmögliche und intensive sprachliche Förderung, die das Elternhaus oft nicht leisten kann. Die Sprachförderung ist in Kindergarten und Grundschule eine zentrale und prioritäre Aufgabe, um allen Kindern die Chance auf einen erfolgreichen Bildungsweg zu eröffnen. Die Berliner Sprachstandserhebungen „Deutsch Plus“ der Jahre 2004 und 2005 ergaben, dass Fünfjährige mit Kindergartenbesuch beim Schuleintritt deutlich besser deutsch sprachen als diejenigen, die keinen Kindergarten besucht hatten. Je länger die Kinder im Kindergarten gefördert wurden, umso geringer waren die Sprachlücken bei der Einschulung. Die PISA-Studie der OECD hat gezeigt, dass Jugendliche, die mindestens ein Jahr den Kindergarten besucht haben, deutlich bessere Leistungen in der Schule erreichen, als diejenigen, die keinen Kindergarten besucht haben. Zudem hat die IGLU-Studie für die Grundschule bestätigt, dass Viert-
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klässler aus bildungsfernen Schichten deutlich bessere Lernkompetenzen aufweisen, wenn sie zuvor mehr als ein Jahr den Kindergarten besucht haben. Dies gilt in besonderem Maß auch für Migrantenkinder und ihre Sprachkompetenzen. Tatsächlich aber besuchen sie seltener den Kindergarten als ihre Altersgenossen: 16 % der ausländischen Kinder besuchen im Vorschuljahr keinen Kindergarten, während es bei den Kindern ohne Migrationshintergrund nur 8 % sind. Dabei fällt die Beteiligung regional sehr unterschiedlich aus: Während in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg 85 % der dreijährigen Migrantenkinder 2004 den Kindergarten besuchten, waren dies in Niedersachsen mit 63 % und Hamburg mit 50 % nur wenig mehr als die Hälfte. Ursache sind meistens mangelnde Informationen, ein knappes Angebot oder die Kindergartengebühren.
Beteiligungsquote von Kindern in Kinderkrippen und -gärten in Prozent Unter 3
3-4 Jahre
4-5 Jahre
5-6 Jahre
6-8 Jahre
Alle Kinder
5,9
54, 7
83,2
89, 6
89, 2
Ausländische Kinder
5,6
50, 7
77,3
84, 3
83, 8
Quelle: Statistisches Bundesamt Mikrozensus 2003; in: Sechster Bericht über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland, Juni 2005 (früheres Bundesgebiet)
Obligatorisches Vorschulcurriculum entwickeln, Sprache systematisch fördern Deshalb halten wir Arbeitgeber es für richtig, mindestens das letzte Kindergartenjahr für alle Kinder obligatorisch zu machen und mit einem systematischen Vorschulcurriculum zu verbinden. Ein verpflichtendes Vorschuljahr muss als Teil des öffentlichen Bildungssystems konsequenterweise beitragsfrei sein. So ist beispielsweise im Saarland der Anteil der Zuwandererkinder in den Kindergärten gestiegen, seit das letzte Kinder-
Im Kindergarten
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gartenjahr kostenfrei angeboten und zudem mit einer speziellen Sprachförderung verbunden wird. Das Vorschulprogramm muss für alle Kinder spätestens im Alter von fünf Jahren beginnen. Sie durchlaufen eine ausführliche Kinder-Untersuchung. Dabei müssen die Kinder ganzheitlich betrachtet werden: Es kann nicht nur um medizinische und psychologische, sondern muss mehr noch um kognitive und sprachliche Aspekte gehen. Die Untersuchungsergebnisse müssen dem Kindergarten Anhaltspunkte für besondere Stärken und auch Bedürfnisse des Kindes geben und ein individuelles Förderprofil für die weitere pädagogische Arbeit der Frühpädagoginnen* wie auch für die Eltern ermöglichen. Das obligatorische Vorschuljahr ist ein wichtiger Schritt und kurzfristig umzusetzen. Mittelfristig ist ein noch früherer obligatorischer Kindergartenbesuch ab 3 Jahren anzustreben. Die ausführliche Kinder-Untersuchung wird dann ebenfalls bereits mit 3 Jahren stattfinden. Der Kindergarten kann es dann in ganz anderem Maße als heute leisten, die Kinder in den folgenden Jahren bis zum Übergang in die Schule in der nötigen Breite und mit einem systematischen Stufenprogramm zu fördern, Kompetenzen aufzubauen und so die optimale Basis für ihre weitere Bildungsbiografie zu schaffen. Im Kindergarten profitieren die Kinder von systematischen und gezielten Hilfestellungen und Fördermaßnahmen beim Erlernen der deutschen Sprache. Spracherwerb und -entwicklung sind durch konsequente sprachliche Begleitung, durch qualifizierte Unterstützung und pädagogisch-therapeutische Förderangebote sowie mit einem inhaltlich-thematisch und methodisch-didaktisch veränderten Spiel- und Lernangebot zu fördern. Kinder werden zudem am besten von anderen Kindern motiviert, spielerisch die Sprache zu erlernen. Nicht zuletzt fördert der Kindergartenbesuch die soziale Integration der Zuwandererkinder und das tolerante und verständnisvolle Miteinander der nächsten Generationen. * Wegen des hohen Frauenanteils ist hier der weibliche Oberbegriff gewählt.
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Integration ist wichtig und lange vernachlässigt worden; aber interkulturelle Kompetenzen sind ebenso wichtig und werden in Zukunft noch weiter an Bedeutung gewinnen. Ein weiterer Schritt ist es daher, die Muttersprache von Migrantenkindern mit in den Kindergartenalltag einzubeziehen. Es ist empfehlenswert, in Kindergärten mit hohem Migrantenanteil zweisprachige Frühpädagoginnen mit Migrationshintergrund zu beschäftigen mit dem Ziel, dass Migrantenkinder die deutsche Sprache erlernen und zugleich ihre Herkunftssprache pflegen; außerdem werden so die interkulturellen Kompetenzen aller Kinder gestärkt. Erfahrungen anderer Länder zeigen, dass die Präsenz von Pädagoginnen mit Migrationshintergrund von den Migranteneltern als ein Zeichen für die Offenheit und Vielfalt und auch für die Relevanz von Kinderbetreuungseinrichtungen gewertet wird und die Bereitschaft zum konsequenten Kindergartenbesuch fördert.
Obligatorisches Vorschulprogramm entwickeln, Sprache systematisch fördern: > Obligatorisches beitragsfreies Vorschuljahr mit intensiver
Sprachförderung im Kindergarten > Sprachstandsfeststellung und ausführliche Kinder-Untersuchung > Mittelfristig verbindlicher beitragsfreier Kindergartenbesuch ab
3 Jahren > Gezielte Unterstützung der sprachlichen Entwicklung > Interkulturelle Kompetenzen entwickeln > Beschäftigung von zweisprachigen Frühpädagoginnen mit Mi-
grationshintergrund in Kindergärten mit hohem Migrantenanteil
Im Kindergarten
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Eltern und Familien einbeziehen Für einen erfolgreichen und dauerhaften Spracherwerb ist die intensive Einbindung der Eltern in die pädagogische Arbeit unerlässlich. Dazu gehört auch, Eltern mit geringen Deutschkenntnissen in die Sprachförderung zu integrieren. Eine große Chance besteht darin, durch generationsübergreifende Programme in Kindergärten und Grundschulen die Sprach-, Lese- und Schreibfähigkeiten von Migrantenkindern und ihren Eltern gemeinsam zu entwickeln. Durch gemeinsame Aktivitäten von Eltern und Kindern werden Interesse an Lesen und Schreiben geweckt, der praktische Umgang mit Lernmaterialien geübt und die Unterstützungssysteme zum Erlernen der Sprache bekannt gemacht. Die Frühpädagoginnen verstehen sich als erste Anlaufstelle für die Eltern in Erziehungsfragen. Sie binden die Eltern in die Bildungs- und Erziehungsarbeit des Kindergartens ein. Gerade Eltern mit nicht-europäischem kulturellem Hintergrund müssen die leitenden Werte der Bildung und Erziehung in Deutschland oft erst kennen und verstehen lernen. Der Kindergarten ist für sie dabei der nächste Ansprechpartner, den sie bereits gut kennen und dem sie vertrauen können. Kindergärten können zu diesem Zweck mit Elternvereinen, Elternakademien und Familienbildungsstätten etc. zusammen arbeiten oder sogar selbst zu einem Eltern-Kindoder Familienzentrum ausgebaut werden. Bei weitergehendem Hilfebedarf kann der Kindergarten Eltern weitervermitteln an Erziehungs- und Familienberatungsstellen, Jugendämter und psychosoziale Dienste.
Eltern und Familien einbeziehen: > Gemeinsame Programme zur Sprachentwicklung für Kinder und
Eltern > Einbeziehen der Eltern in die pädagogische Arbeit des Kinder-
gartens > Beraten und ggf. Weitervermitteln der Eltern in Erziehungsfragen
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Qualität der pädagogischen Arbeit sichern Der Kindergarten insgesamt wird zur Basis des Bildungssystems. Schon im Kindergarten muss auch zielorientiert und systematisch gelernt werden. Der Kindergarten soll wie bisher betreuen und erziehen, aber stärker als bisher bilden und lernen lassen. Das Lernen gelingt dabei nicht von selbst und ohne Zutun, sondern braucht eine systematische Förderung durch gezielte Angebote. Die Sprachförderung ist dabei zentraler Bestandteil eines umfassenden Bildungs- und Erziehungsplans „Frühkindliche Bildung“, der Lernziele und Lernwege für die Jüngsten definiert und dabei einen Schwerpunkt in der Sprachförderung setzt. Der Bildungs- und Erziehungsplan macht den Bildungsauftrag des Kindergartens verbindlich und gibt der pädagogischen Arbeit eine klare Orientierung. Die Kultusminister sind gefordert, Bildungspläne „Frühkindliche Bildung“ zu entwickeln und in der Kultusministerkonferenz gemeinsam bundesweite Standards zu vereinbaren. Zur Qualitätssicherung der pädagogischen Arbeit im Kindergarten ist die regelmäßige Evaluation notwendig. Der Erfolg früher Förderung wird sich zum großen Teil erst in der Grundschule zeigen; Kindergarten und Grundschule brauchen daher gemeinsame Evaluierungsinstrumente und -verfahren, damit die Richtigkeit von Fördermaßnahmen und -programmen festgestellt und bei Bedarf die Fördersystematik verbessert oder umgestellt werden kann. Um der neuen Aufgabe des Kindergartens als Ort systematischen und zielorientierten Lernens gerecht zu werden, brauchen mindestens die Einrichtungs- und Gruppenleiterinnen eine pädagogisch-psychologische Hochschulausbildung auf dem Stand der Lehr-Lernforschung, die ihnen diagnostische und methodisch-didaktische Kompetenzen vermittelt. Der Umgang mit Heterogenität, mit sprachlicher und kultureller Vielfalt muss dabei eine zentrale Rolle spielen. Auch die Fachschul-Ausbildung der weiteren Mitarbeiterinnen im Kindergarten muss qualitativ verbessert und um diese wichtiger werdenden Kompetenzen ergänzt werden.
Im Kindergarten
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Qualität der pädagogischen Arbeit sichern: > Qualitätssicherung der Kindergartenarbeit durch Bildungs- und
Erziehungsplan > Standards „Frühkindliche Bildung“ > Gemeinsame Evaluierungsverfahren für Kindergarten und
Grundschule > Pädagogisch-psychologische Hochschulausbildung der Kinder-
gartenleiterinnen mit diagnostischen und interkulturellen Kompetenzen > Verbesserung der Ausbildung der Kindergarten-Mitarbeiterinnen
In der Schule: Kompetenzen fördern, Begabungen entfalten Die internationalen Vergleichsstudien IGLU und PISA haben vor allem einen dringenden Handlungsbedarf für die Förderung von Zuwandererkindern in der Schule aufgezeigt. In der Grundschulstudie IGLU erwiesen sich 25 % der Migrantenkinder in Deutschland als schwache Leser und Rechner; der Leistungsabstand zwischen Kindern mit und ohne Migrationshintergrund lag bei rund einem Schuljahr. Bei den 15-Jährigen, die für die PISA-Studie getestet wurden, ist der Abstand noch größer und beträgt bis zu zwei Schuljahre. Besonders erschreckend an den Ergebnissen waren nicht alleine die Zahlen, sondern die Tatsache, dass rund 70 % – in PISA 2003 sogar fast 80 % – der Migrantenkinder, die die Lernziele nicht erreichen, bereits in Deutschland geboren sind und das deutsche Bildungssystem von Anfang an durchlaufen haben. Erst in späterem Lebensalter aus dem Ausland zugewanderte Jugendliche hatten zum Teil sogar deutlich besser bei den Leistungstests abgeschnitten als schon hier geborene Jugendliche ausländischer Eltern. Das ist im internationalen Vergleich einmalig. Zu-
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sätzlich zeigte PISA 2000, „dass 15-Jährige, die aus Familien stammen, in denen serbisch, kroatisch oder bosnisch bzw. türkisch oder kurdisch gesprochen wird…, über geringere Lesekompetenz verfügen als die Vergleichsgruppen in Norwegen, Schweden, Österreich und der Schweiz“. Allgemein bildende Schulen, Absolventen/ Abgänger und Absolventinnen/ Abgängerinnen des Schuljahr 2003/04 nach Abschlussarten Abschlussart
Einheit
Ohne Hauptschulabschluss Mit Hauptschulabschluss Mit Realschulabschluss Mit Fachhochschulreife Mit allgemeiner Hochschulreife Insgesamt 1
Insgesamt 1 000 1 000 1 000 1 000 1 000 1 000
Absolventen/ Abgänger Insgesamt
Deutsche
Ausländer
82,2 246,2 419,8 11,7 226,4
66,9 211,6 393,7 10,6 218,9
15,3 34,6 26,1 1,1 7,5
986,3
901,7
84,6
7,4 23,5 43,7 1,2 24,3
18,1 40,9 30,8 1,3 8,9
Abschlussstruktur - insgesamt Ohne Hauptschulabschluss Mit Hauptschulabschluss Mit Realschulabschluss Mit Fachhochschulreife Mit allgemeiner Hochschulreife Insgesamt 1
(insgesamt = 100) % 8,3 % 25,0 % 42,6 % 1,2 % 23,0 100
100
100
darunter: weiblich Ohne Hauptschulabschluss 1 000 29,6 Mit Hauptschulabschluss 1 000 104,5 Mit Realschulabschluss 1 000 216,6 Mit Fachhochschulreife 1 000 6,2 Mit allgemeiner Hochschulreife 1 000 128,4
%
23,9 88,4 202,7 5,6 124,2
5,8 16,1 13,9 0,6 4,2
Zusammen 1
444,8
40,6
5,4 19,9 45,6 1,3 27,9
14,2 39,6 34,3 1,5 10,5
100
100
1 000
484,4
Abschlussstruktur - weiblich Ohne Hauptschulabschluss Mit Hauptschulabschluss Mit Realschulabschluss Mit Fachhochschulreife Mit allgemeiner Hochschulreife Zusammen 1
(zusammen = 100) % 6,1 % 21,5 % 44,6 % 1,3 % 26,5 %
100
1
Abweichungen durch Rundungen möglich. Aktualisiert am 26. Oktober 2005. Statistisches Bundesamt 2005
In der Schule
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Ebenfalls sehr unbefriedigend ist die bisherige Bilanz der Bildungsbeteiligung von Zuwandererkindern: Zuwandererkinder sind an der Hauptschule mit 50 % über- und am Gymnasium mit 9 % unterrepräsentiert. Dabei schaffen es Mädchen – ähnlich wie deutsche Mädchen – eher auf weiterführende Schulformen als Jungen. Unter den Migranten haben die Herkunftsgruppen sehr unterschiedliche Bildungserfolge; so sind die zugewanderten Jugendlichen aus der ehemaligen Sowjetunion weit stärker an der Realschule vertreten als Kinder türkischer Herkunft. In den 1970er Jahren verließen noch rund 50 % der ausländischen Jugendlichen die Schule ohne Abschluss. 2002 waren es noch 20 % und 2004 18,1 % – aber bei den deutschen Schülern lediglich 7,4 %. Nur spanische Schüler erreichen eine annähernde Bildungsbeteiligung wie ihre deutschen Altersgenossen. Ursache des großen Leistungsabstands ist vor allem die mangelnde deutsche Sprachkompetenz. „Schülerinnen und Schüler, die zu Hause nicht die Sprache sprechen, in der der Unterricht gehalten wird, … entwickeln deutlich geringere Kompetenzen“. Aber nur die Hälfte der Jugendlichen mit Migrationshintergrund spricht im Alltag vorwiegend deutsch. Die Befunde belegen, dass sogar „die Unterschiede in den mathematischen Kompetenzen zwischen Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund stärker auf den Sprachgebrauch als auf den Migrationsstatus zurückzuführen“ sind (PISA 2003). Schüler, die vorwiegend deutsch sprechen, erreichten unter den Migranten die höchsten Durchschnittswerte im Schülerleistungsvergleich PISA; sie lagen in den meisten Bundesländern etwa im Landesdurchschnitt. Diese Gruppe erreicht auch deutlich höhere Lesekompetenzen, die nahe an den Landesdurchschnitten liegen. Dagegen schneiden Jugendliche, die primär ihre Herkunftssprache verwenden, deutlich unter dem Durchschnitt ab. Von Schülern polnischer und italienischer Abstammung sprechen zuhause 60 % primär deutsch, aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion 46 %. Die meisten Jugendlichen aus dem ehemaligen Jugoslawien und der Türkei sprechen dagegen deutsch nur neben ihrer Herkunftssprache. Kinder türkischer Eltern bilden mit 20 % den größten Teil der Schüler, die vor allem ihre Herkunftssprache sprechen.
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Problematisch ist insbesondere auch die in Deutschland außerordentlich starke Abhängigkeit des Bildungserfolgs von der sozio-ökonomischen Herkunft. Diese enge Koppelung schlägt sich bei Migrantenkindern besonders nieder, die oft aus einfachen Verhältnissen kommen: Sie besuchen zu 50 % eine Hauptschule. Allerdings erreichen in Österreich und der Schweiz Migrantenkinder aus der Türkei und der Sowjetunion bessere Kompetenzwerte als in Deutschland, und dies obwohl der sozioökonomische Status der Familien jeweils gleich ist. Das Potenzial der Jugendlichen wird also in Deutschland besonders unzureichend in Kompetenzen umgesetzt.
Sprache als Schlüssel fördern Die Förderung der sprachlichen und dabei insbesondere auch der Lesekompetenz im Deutschen erweist sich daher als der entscheidende Schlüssel für den Schul- und Bildungserfolg der Migrantenkinder: Sprachförderung geschieht nicht von alleine, sondern braucht gezielte Begleitung und Unterstützung. Sprachfördermaßnahmen müssen so früh wie möglich einsetzen; sie dürfen aber nach dem Kindergarten bzw. der Vorschule oder Vorbereitungsklasse nicht aufhören, sondern müssen weiter angeboten und durchgeführt werden: Die bisherige eher punktuelle Förderung muss zu einer kontinuierlichen Förderung ausgebaut werden. Der derzeitige starke Ausbau der Sprachförderung im Kindergarten in vielen Ländern und Kommunen darf nicht dazu führen, die Sprachförderung in der Schule zu reduzieren. Sie muss im Gegenteil über die gesamte Pflichtschulzeit hinweg – mit unterrichtlichen wie außerunterrichtlichen Maßnahmen – ausgebaut werden. Sie kann auch nicht allein dem Deutschunterricht überantwortet werden, sondern braucht ein zielgruppenorientiertes Konzept für „Deutsch als Zweitsprache“ (DAZ).
In der Schule
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Jacobs Sommercamp 150 Kinder mit Migrationshintergrund aus 23 Bremer Grundschulen wurden im Sommer 2004 auf eine Reise in das Land der Sprache und des Theaters eingeladen. In Schullandheimen nahmen die Drittklässler an verschiedenen Maßnahmen der Sprachförderung und an vielfältigen Freizeitaktivitäten teil. Im Theaterprogramm erarbeiteten sie gemeinsam mit professionellen Theaterpädagoginnen Material für eine Aufführung, die sie zum Abschluss des Projekts im Bremer Waldau-Theater zeigten. Im Deutschunterricht lernten sie, dass der „Chef“ im Satz das Verb ist und wie sich Verben und andere Wörter im Satz ändern. In der Freizeit wurde gemalt, gebastelt, Sport getrieben und vieles mehr. Das JacobsSommercamp war für die Kinder ein außergewöhnliches Erlebnis. Es wurde vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin begleitet. Dabei zeigte sich, dass sich auch im relativ kurzen Zeitraum eines Sommercamps die sprachlichen Kompetenzen der Migrantenkinder – sogar deutlicher als erwartet – wirksam steigern ließen. www.mpib-berlin.mpg.de/forschung/eub/projekte/jacobs-sommercamp.htm
Stiftung Mercator: Förderunterricht durch Studierende Wenn die Zeugnisse vergeben werden, muss sich der 14-jährige Edvin aus Bosnien keine Sorgen machen. Denn er ist einer von 1.300 Schülern aus dem Ruhrgebiet, die am Projekt „Förderunterricht für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund" der Stiftung Mercator teilnehmen. Mit dem Projekt „Förderunterricht" bietet die Essener Stiftung Mercator ein konkretes Modell an 35 Standorten: Bereits in der Schule können mit gezieltem Förderunterricht die sprachlichen und fach-
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lichen Leistungen verbessert werden, die die Chancen auf einen qualifizierten Schulabschluss und damit auf einen Ausbildungsplatz erhöhen. Dass das Projekt erfolgreich ist, wird nicht nur aufgrund der großen Nachfrage bei den Schülern deutlich, sondern auch dadurch, dass ihre Leistungen sich deutlich verbessern. Die Schüler werden zudem in ihrem Selbstbewusstsein und in ihrer Persönlichkeit gestärkt. So kann auch Edvin, Schüler der Willi-Brandt-Gesamtschule in Bottrop, diesmal ohne Sorge sein Halbjahreszeugnis entgegennehmen: „Ich bin seit einem halben Jahr beim Förderunterricht und merke erste Fortschritte. Meine Noten haben sich verbessert, in Mathe von 3 auf 2 und in Deutsch von 4 auf 3. Seit dem Förderunterricht habe ich mehr Lust im Unterricht mitzumachen. Das macht mich glücklich und ich komme gern zum Förderunterricht." In Kleingruppen von drei bis sieben Kindern werden die Schüler mehrmals in der Woche sprachlich und fachlich gefördert, aber auch in ihrer persönlichen und familiären Situation unterstützt. Das Besondere an dem Konzept der Stiftung Mercator ist, dass auch die Förderlehrer vom Unterricht profitieren. Für ihre Tätigkeit werden die Studierenden, überwiegend Lehramtsstudierende, durch die beteiligten Hochschulen pädagogisch geschult und begleitet. Die zukünftigen Lehrer können so wichtige Praxiserfahrungen sammeln und werden optimal auf ihren Berufsalltag vorbereitet. www.stiftung-mercator.de
Insbesondere müssen fremd- und mehrsprachig aufgewachsene Kinder an die spezifische Fachsprache der Schule herangeführt werden, die sich vom gesprochenen Deutsch des Alltags – auch der deutsch sprechenden Migranten – deutlich unterscheidet und eher der Schriftsprache entspricht. Die DESI-Studie 2006 hat gezeigt, dass die sprachliche Förderung von Schülern besser gelingt, wenn das Lehrerteam einer Schule sich über die zentrale Bedeutung der Sprache einig ist und der Sprachkompetenz einen hohen Stellenwert im Unterricht zuweist.
In der Schule
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Besonders wichtig ist die Förderung der Lesekompetenz. Kinder aus sozial benachteiligten Schichten können ihre Startnachteile am besten ausgleichen, wenn sie lesen: „15-Jährige, die viel lesen, aber sozio-ökonomisch benachteiligt sind, erreichen bessere Leistungen als Jugendliche aus besser situierten und sozial intakteren Elternhäusern, die wenig lesen“ (OECD Bildung auf einen Blick 2002). Besondere Projekte innerhalb der Schule oder mit externen Partnern wie Erzählwerkstatt, Geschichtensammlungen und Theaterspielen können die Sprachentwicklung der Kinder unterstützen und zur Leselust motivieren. Sprachunterricht betrifft alle Fächer: Auch in Mathematik und den Naturwissenschaften stellen sich mit Textaufgaben, Beschreibungen von Experimenten und Naturphänomenen oder Referaten und Präsentationen Aufgaben, die Sprachkompetenz benötigen – allgemeine und fachbezogene – und mit denen diese wiederum gefördert werden kann. Lehrkräfte aller Fächer müssen daher in ihrer Aus- und Fortbildung auch auf die Vermittlung von Sprachkompetenz vorbereitet werden. Sie müssen zudem berücksichtigen, dass andere Kulturen auch andere Konzepte von Zeit und Raum oder Zählweisen haben, von denen die Kinder geprägt sind. Die außerunterrichtlichen Sprachfördermaßnahmen für Migrantenkinder haben auch auf die jeweiligen Fächer Bezug zu nehmen.
FörMig: Programm der Bund-Länder-Kommission zur Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund Das Programm FörMig konzentriert sich auf die sprachliche Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Es werden innovative Ansätze entwickelt, erprobt und überprüft, die sich für die Förderung der sprachlichen Fähigkeiten von Kindern und Jugendlichen mit zwei oder mehr Sprachen möglichst optimal eignen. Anregungen für diese Entwicklungen werden aus Ländern gewonnen, die heute schon bessere Erfolge bei der Förderung von Zuwandererkindern erzielen als Deutschland.
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Kernanliegen ist der kumulative Aufbau von schul- und bildungssprachlichen Fähigkeiten als wesentliche Voraussetzung für schulischen Erfolg. Denn ein kompetenter Umgang mit den Themen und Inhalten, die in einem Bildungsgang angeeignet werden sollen, ist nur möglich, wenn dafür die fachspezifischen schul- und bildungssprachlichen Kompetenzen vorhanden sind. Voraussetzung ist eine systematische, über längere Dauer kontinuierliche, die vorhandenen sprachlichen Fähigkeiten und Ressourcen möglichst umfassend berücksichtigende Förderung. Sprachliche Förderung kann nicht nur vorbereitend erfolgen, sondern muss zumindest über solche Phasen der Bildungsbiographie hinweg begleiten, in denen die domänen- bzw. fachspezifischen sprachlichen Anforderungen sich ausdifferenzieren. Kooperative Sprachförderung Der kumulative Aufbau schul- und bildungsrelevanter sprachlicher Fähigkeiten erfordert es, dass möglichst alle an der Sprachförderung Beteiligten zusammenwirken. Die Zusammenarbeit von Schule, Elternhaus und außerschulischen Einrichtungen ist daher ebenso wichtig wie die Mitwirkung von Lehrkräften verschiedener Lernbereiche bzw. Fächer. Sprachförderung an bildungsbiographischen Schnittstellen Zur Kumulation von sprachlichen Fähigkeiten im Sinne der Weiterentwicklung des bereits Erreichten ist eine enge Kooperation an den Übergängen im Bildungssystem erforderlich; die Zusammenarbeit der Institutionen ist bislang nicht selbstverständlich. Im Programm FörMig sollen daher Innovationsideen entwickelt werden, die helfen, die an den Schwellen der individuellen Bildungsbiographie bestehenden strukturellen Grenzen zu überwinden. Auf Diagnoseergebnisse aufbauende Förderung Die Förderung von Fähigkeiten setzt den Einsatz von adäquaten förderdiagnostischen Verfahren voraus. Daher werden Verfahren
In der Schule
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(weiter-)entwickelt oder erprobt und Konzepte der Förderung erarbeitet, die an die Diagnoseergebnisse so gut wie möglich anschließen. An FörMig beteiligen sich 10 Bundesländer und das Institut für International und Interkulturell Vergleichende Erziehungswissenschaft der Universität Hamburg. www.blk-foermig.uni-hamburg.de
Die Herkunft der Kinder und ihrer Familie mit ihrer Sprache und Kultur soll keineswegs verleugnet oder vernachlässigt, sondern im Gegenteil weiter gepflegt und auch Kindern ohne Migrationsgeschichte nahe gebracht werden. Mehrsprachigkeit und Interkulturalität sind in einer weltoffenen Gesellschaft und international verflochtenen Wirtschaft neue und zentrale Schlüsselqualifikationen. Schulen müssen die vorhandenen unterschiedlichen kulturellen Hintergründe ihrer Schüler stärker als Chance begreifen und für die Kompetenzvermittlung nutzen. Die Akzeptanz ihrer Kultur wird für Migrantenkinder und ihre Familien die Akzeptanz der Schule erleichtern und ihre Leistungs- und Integrationsbereitschaft fördern.
Sprachzentrum der Schillerschule Esslingen Erster Preisträger Hauptschulpreis 2003 Das Sprachzentrum ist eine eigenständige Einrichtung der Schillerschule. Es hat die Aufgabe, durch vielseitige inner- und außerschulische Angebote sowohl das Erlernen der deutschen Sprache zu erleichtern als auch die mannigfaltigen Muttersprachen der Schüler – 65 % sind Migranten – zu pflegen. Mehrsprachigkeit ist das Grundthema des Sprachzentrums: Neugier auf Sprache, Interesse an der Verschiedenartigkeit von Sprache, Kennenlernen anderer Sprachen – Sprachenlernen wird nicht nur als Erfordernis an Zuwanderer, sondern als Reichtum und Bildung für alle verstanden. Das gemein-
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same Lernen hilft zudem, Vorurteile zu überwinden. Die Schule kooperiert mit vielen Partnern. In der Sprachwerkstatt können sich Schüler von Klasse 2 bis 9 mit modernen Sprachen beschäftigen z.B. Englisch, Türkisch, Dänisch, Griechisch etc. Die Wünsche werden durch Fragebögen ermittelt. 2003 besuchten 120 Schüler in 18 Gruppen mehrere Sprachkurse, die von 13 Erwachsenen (Lehrern, Lehrbeauftragten, Eltern) geleitet wurden. In Kooperation mit der Stadt werden Deutschkurse für Migranten angeboten. In der Elternschule können türkischsprachige Frauen Deutsch lernen und Vorträge auf Türkisch hören; eine Kinderbetreuung steht zur Verfügung. Im Projekt „Wegweiser“ wird die Sprachförderung mit der Persönlichkeitsbildung und Berufsorientierung kombiniert. Es wird von Studierenden der Hochschule für Sozialwesen entwickelt und durchgeführt. www.schillerghs.es.schule-bw.de
Nicht selten herrscht anstatt interkultureller Kompetenz ein doppelter Analphabetismus vor. In der Grundschule ist daher die Alphabetisierung der Migrantenkinder in ihrer Herkunftssprache zu prüfen und zu ermöglichen. Schulen müssen über die entsprechenden Möglichkeiten verfügen können, um eine solche Alphabetisierung – je nach sprachlicher Zusammensetzung ihrer Schülerschaft – anbieten und zum Teil ihres Schulprofils machen zu können. Auch bilinguale Grundschulen sind ein sinnvolles Modell. Sprachen großer Gruppen wie z.B. Türkisch sind – nach englisch – als zweite oder dritte Fremdsprache an den weiterführenden Schulen anzubieten. An jeder Schule ist eine Zertifizierung der Beherrschung der Herkunftssprache für die Schüler – als Teil ihres Portfolios – möglich zu machen. Die Ergebnisse der DESI-Studie belegen, dass mehrsprachig aufgewachsene Kinder sogar über ein insgesamt verbessertes Sprachvermögen verfügen.
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Interkulturelle Kompetenzen für alle Schüler können durch Fächer übergreifendes Lernen wie durch eine internationale Ausrichtung innerhalb der Fächer gestärkt werden. Bezüge auf die verschiedenen Herkunftskulturen im Schulleben, bei Festen und Ereignissen kommen hinzu. Internationaler Schüleraustausch und Schulpartnerschaften bereichern die Erfahrungswelt und das Weltbild der Jugendlichen. Die Verwendung des Deutschen als vorwiegende Umgangssprache im Alltag und auch in der Familie ist für den Lern- und Bildungserfolg der Kinder entscheidend. Eltern und Familien von Migrantenkindern müssen daher in die Sprachförderung der Schule einbezogen werden. Mit zielgenauen Programmen kann die Sprach-, Lese- und Schreibfähigkeit von Migranteneltern weiter entwickelt werden. Durch gemeinsame Aktivitäten von Eltern und ihren Kindern werden Interesse an Lesen und Schreiben geweckt und der praktische Umgang mit Lernmaterialien geübt. Auch bei der Förderung des Lesens ist das Engagement der Eltern unersetzbar: Lesefreude und -häufigkeit steigern die Sprachkompetenz der Kinder und Jugendlichen am effektivsten.
Sprache als Schlüssel fördern: > Sprach- und Lesekompetenz im Deutschen nachhaltig fördern > Kontinuierliche Förderung durch die gesamte Pflichtschulzeit
schaffen > Fach- und Bildungssprache der Schule vermitteln > Sprachkompetenz in allen Fächern schulen > Zusätzliche Projekte zur Sprachförderung durchführen > Interkulturelle Kompetenzen stärken > Alphabetisierung in der Herkunftssprache ermöglichen > Mehrsprachigkeit unterstützen > Herkunftssprache zertifizieren, als 2./3. Fremdsprache anbieten > Migrantenfamilien in Sprach- und Leseförderung einbeziehen
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Lernen differenzieren, individuell fördern Migrantenkinder profitieren von einer allgemeinen Qualitätsverbesserung des Schulwesens besonders. Die PISA-Studie hat gezeigt, dass sie in denjenigen Ländern bessere Kompetenzen erzielen, in denen auch das Leistungsniveau insgesamt höher liegt. In Bayern, das in PISA 2000 wie 2003 mit seinen Schülerleistungen in Deutschland weit an der Spitze lag, erreichten die Migrantenkinder beim Lesen den allgemeinen Durchschnittswert der gesamten Testgruppe 15-jähriger Schüler in ganz Deutschland. Gehören bei den schulischen Spitzenreitern Bayern 20 % und Baden-Württemberg 25 % der Migrantenkinder zu den „schwachen Lesern“, sind es in Bremen, Saarland, Schleswig-Holstein und NordrheinWestfalen mehr als 35 %. Ihr Anteil an der höchsten Leistungsgruppe beträgt 6 % in Bayern und 2 % in Bremen und Niedersachsen.
„Die Länder mit hervorragenden Leistungen in der Gruppe der Schüler mit in Deutschland geborenen Eltern weisen in der Regel auch überdurchschnittliche Leistungen bei Schülern mit Migrationsgeschichte auf. Dies gilt umgekehrt auch für Länder mit schlechten Leistungen von Schülern mit in Deutschland geborenen Eltern, wo auch die Schüler aus Migrationsfamilien schlecht abschneiden. Der Zusammenhang zwischen den Ländermittelwerten für die Schülergruppe mit und ohne Migrationshintergrund ist ... sehr eng.“ PISA 2000 – Die Länder der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich. Opladen: Leske + Budrich, 2002, S. 84
Die Lehrerausbildung muss hochwertig und praxisnah sein: Lehrkräfte brauchen nicht nur Fachwissen, sondern auch psychologische und pädagogische, diagnostische und methodische Kompetenzen. Vor allem der Umgang mit den höchst unterschiedlichen Lernvoraussetzungen der Schülerschaft muss in der Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte aller Schulformen im Mittelpunkt stehen. Schon in den Praxisphasen während des
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Studiums müssen sie die Heterogenität und Mehrsprachigkeit der Schüler kennenlernen. Interkulturelle Pädagogik muss selbstverständlicher Teil der Lehrerausbildung sein. Für das Unterrichten, Begleiten und Fördern von Migrantenkindern ist zudem kulturelles Hintergrundwissen notwendig, um andere Vorgehensund Verhaltensweisen von Kindern unterschiedlicher kultureller Prägung zu verstehen und bewerten zu können. Auch die Lehrerfortbildung wird hierbei verstärkt einen Schwerpunkt setzen müssen. Ein besserer Umgang mit der Heterogenität der Jugendlichen muss dabei auch die unterschiedlichen Bedürfnisse der Jungen und der Mädchen einschließen. Individuelle Förderung und differenziertes Lernen müssen zum Generalprogramm der Schulen werden. Sie sind für eine Verbesserung der Schülerleistungen unabdingbar und zugleich das größte Defizit in allen Schulformen. Methodisch-didaktische Elemente wie Lernpläne, Lesetagebücher, Wochenplan-, Frei- und Projektarbeit sorgen nicht nur für ein aktives, sondern auch für ein individualisiertes Lernen. Insbesondere Migrantenkinder brauchen ein methodisches und selbst verantwortetes Lernen, um ihre Lernweisen und -erfolge selbst weiter verbessern zu können. Erst eine Individualisierung des Lernens kann alle Talente und Begabungen zur Entfaltung bringen. Die persönliche Beratung und Begleitung jedes einzelnen Schülers durch die Schule kommt hinzu. Es reicht nicht aus, dass die Schule nur Angebote macht oder der Lehrer unterrichtet und auf der anderen Seite die Schüler zusehen, was sie mitmachen und mitnehmen. Jeder einzelne bedarf der Zuwendung, Förderung und aktiven Unterstützung: Kein Kind darf zurückbleiben – auch kein Migrantenkind. Regelmäßige StärkenSchwächen-Analysen, verbindliche Beratungsgespräche – auch gemeinsam mit den Eltern – und ggf. individuelle Lern- und Förderpläne sind notwendig; die Ergebnisse werden im Portfolio des Schülers dokumentiert. Die Schule führt halbjährliche verbindliche Elterngespräche durch, in denen Lehrer und Eltern sich über den Entwicklungsstand des Kindes
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austauschen und über das weitere Vorgehen beraten. Bei Bedarf wird als Resultat ein gemeinsamer Förderplan aufgestellt, umgesetzt und in der Folge auf seine Wirkung hin überprüft. Migranteneltern brauchen Informationsmaterial in ihrer Herkunftssprache, um sich über das deutsche Bildungssystem und seine Möglichkeiten für ihr Kind selbst informieren zu können. Die Chancen von Bildung und Ausbildung für ihr Kind in einer technologiebasierten Wirtschaft und Informationsgesellschaft müssen ihnen deutlich werden.
Interkulturelle Elternarbeit Köln Die Koordinierungsstelle „Interkulturelle Elternarbeit“ in Köln setzt darauf, Migranteneltern „in gleicher Augenhöhe“ zu begegnen und ihre Erwartungen und Nöte ernst zu nehmen. Elternsemimare in der Schule oder in lokalen interkulturellen Zentren informieren die Eltern darüber, wie sie den Schulerfolg ihrer Kinder unterstützen können. Individuelle Beratungen für Jugendliche und ihre Eltern, auch mit Hausbesuchen, kommen hinzu. Für dringende Sofort-Fragen steht eine Eltern-Hotline zur Verfügung. Betriebserkundungen zeigen den Eltern die Vielfalt der Berufsausbildungen; dabei sind erfolgreiche Mitarbeiter mit Migrationshintergrund die Gesprächspartner. Beteiligt sind der Arbeitgeberverband der Metall- und Elektroindustrie Köln, das Schulamt für die Stadt Köln, das Interkulturelle Referat der Stadt Köln, der Deutsch-Türkische Verein und weitere lokale Partner. www.bildung.koeln.de/regionale-projekte/equal
Außerschulische Mentoren können sich darüber hinaus Kindern und Jugendlichen mit besonderem Bedarf an persönlicher Begleitung zuwenden und sie unterstützen. Solche lebens- und berufserfahrenen Begleiter können – ohne die Zwänge schulischer Leistungsanforderungen –
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die sprachliche Praxis ihrer Schützlinge verbessern, Verhaltensweisen korrigieren, sie beraten und informieren. Für Kinder aus Migrationsfamilien sind Lehrkräfte mit Migrationshintergrund eine Hilfe und Lernmotivation und ein großes Vorbild. Abiturienten aus Migrantenfamilien sind verstärkt auf den Lehrerberuf aufmerksam zu machen und gezielt dafür zu werben. Lehrer mit einem anderen kulturellen Hintergrund sind auch für Kinder deutscher Herkunft und für das Lehrerkollegium insgesamt eine Bereicherung.
Deutscher Arbeitgeberpreis für Bildung 2005 Schule entwickelt eigenes Fortbildungskonzept Die Grundschule am Theodor-Heuss-Platz liegt in einem sozial problematischen Umfeld in München-Neuperlach. Knapp 80 % der Schüler sind Migantenkinder aus 30 verschiedenen Ländern. Vor 5 Jahren haben Lehrkräfte und Schulleitung auf die immer schwieriger werdende Situation an ihrer Schule mit einem Neustart reagiert – trotz allem Wohlwollen der Lehrer gegenüber den Migrantenkindern schlugen sich die absolvierten Fortbildungen nicht in schulischem Erfolg nieder. Das Schul-Team hat sich daher zusammengesetzt, ein Konzept für das Profil der Schule erarbeitet und daraus ein eigenes Programm für die weitere Qualifizierung der Lehrkräfte erarbeitet. Die Frage „Was brauchen wir an unserer Schule und für unsere Schüler?“ wurde zum Dreh- und Angelpunkt aller weiteren Maßnahmen. Das Lehrer-Kollegium ist seitdem zu einem Team zusammengewachsen, das an einem Strang zieht. Durch die regelmäßigen Anpassungen des Schulprofils an die aktuellen Erfordernisse und die selbstverständliche, tägliche Zusammenarbeit der Lehrkräfte kommen große Probleme gar nicht mehr auf.
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In Workshops hat man seinerzeit die Probleme analysiert, eine Hierarchie der Bedürfnisse erarbeitet und Fortbildungsschwerpunkte identifiziert. Seitdem finden jährlich Fortbildungen aus den beiden Bereichen „Erwerben interkultureller und sozialer Kompetenz“ und „Effektivierung der Methodik“ statt. Einblick in andere Kulturkreise, deren Erziehungsweise und Umgangsformen wie in Erwartungshaltung und Bildungsstand der Migranteneltern gehören ebenso dazu wie „Lernen lernen“, offener Unterricht, Projektarbeit oder Spracherwerb von Kindern. Die Kinder bringen ihre unterschiedlichen Herkunftshintergründe in die Schule mit ein und wachsen dort zu einer Schulgemeinschaft zusammen. Gegenseitige Besuche von Moschee und Kirche ergänzen das interkulturelle Schulfest. Die Werteerziehung steht jeden Monat unter einem bestimmten Motto. Theatervorführungen und Lesezelte stärken das Miteinander wie die sprachliche Kompetenz. Auch externe Institutionen, z.B. Siemens, sind beteiligt.
Lernen differenzieren, individuell fördern: > Qualitätsverbesserung der Schule hebt Leistungsniveau der
Migrantenkinder > Lehrerausbildung muss auf kulturelle Heterogenität der Schüler
vorbereiten > Selbstständiges methodisches Lernen stärkt Selbstkompetenz > Kontinuierliche Beratung und Begleitung sind notwendig > Elterngespräche finden halbjährlich verbindlich statt > Außerschulische Mentoren helfen > Lehrer mit Migrationshintergrund werden geworben
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Persönliche und soziale Kompetenzen stärken Werteerziehung ist eine Aufgabe, die die Schule wahrnehmen muss und die bei Migrantenkindern besondere Bedeutung hat. Die allgemein bildende Schule vermittelt die kulturellen Kernbestände unseres Landes und die tragenden Werte Europas. Die in der Schule geltenden Normen und Regeln müssen von der Schulgemeinschaft klar definiert und ihre Achtung muss eingefordert werden. Respekt vor den Menschen, die innerhalb und außerhalb der Schule begegnen, hat dabei oberste Priorität. Gewalt kann ebenso wenig toleriert werden wie Diskriminierung wegen des Geschlechts oder der Herkunft. Kommunikations- und Teamfähigkeit, Verantwortung und Selbstständigkeit, Selbstvertrauen und Vertrauen in andere, Selbstbewusstsein und Toleranz sind zentrale persönliche und soziale Kompetenzen, die junge Menschen lernen und erfahren müssen. Die Kooperation mit den Eltern und Familien betrifft auch die sozialen und persönlichen Kompetenzen der Kinder. Ziel ist eine Erziehungspartnerschaft von Schule und Eltern. Schulen können die Eltern in Erziehungsfragen beraten und thematische Elternabende zu konkreten pädagogischen Fragen anbieten. Dabei müssen ihnen Dolmetscher zur Verfügung stehen. Elternvereine müssen von sich aus auf Migranteneltern zugehen und sie in ihre Aktivitäten einbeziehen, Schulen die Kooperation mit den Migrantenorganisationen und anderen institutionellen Ansprechpartnern und Multiplikatoren vor Ort suchen.
Frieden-Volksschule in Schweinfurt In der Hauptschule im fränkischen Schweinfurt haben 70 % der Schüler einen Migrationshintergrund mit 26 verschiedenen Sprachen. Aus dieser Vielfalt hat die Friedensschule ihr Schulprogramm als „interkulturelle Begegnungsstätte“ entwickelt. Aus dem Leitsatz „Gemeinsam gut sein – interkulturell stark in der Schule und im Leben“ wurde ein Gesamtkonzept entwickelt, das von allen Beteiligten mitgetragen
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und von externen Partnern – bis hin zur örtlichen Moschee – unterstützt wird. Die Verschiedenheit der Schüler wird als ihre Gemeinsamkeit begriffen. Regelmäßige Absolventen- und weitere gezielte Befragungen sorgen für die Evaluation und Qualitätssicherung der schulischen Arbeit. Schüler erkunden ihre Herkunftsländer, stellen Kleidung, Küche und Kultur den Mitschülern vor. Gastauftritte von Musikern und Dichtern anderer Herkunft ergänzen die international ausgerichteten Schulfeste. Diese Anerkennung stärkt das Selbstbewusstsein der Migrantenkinder entscheidend. Mit einem „Sozialpreis“ ehrt die Friedenschule besonderes soziales Engagement von Schülern. Persönliche Kompetenzen wie Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und Höflichkeit werden im Schulalltag groß geschrieben. Schüler und Lehrer haben in der Schulvereinbarung einen Verhaltenskodex akzeptiert. Am „Dress Day“ kommen alle gut angezogen in die Schule. Der Kontakt zu den Eltern wird durch Dolmetscherinnen bei den Einzelgesprächen und der „Elternakademie“ der Schule unterstützt, in der Deutsch-Kurse und Erziehungsberatung durch einen türkischen Psychologen angeboten werden. Lehrer mit russischem, albanischem und italienischem Migrationshintergrund unterrichten an der Friedenschule. Wert gelegt wird aber auch auf Englisch als internationale Kommunikationssprache; Englisch-Lehrer der Friedenschule nehmen jährlich an – selbst finanzierten – Fortbildungen in England teil. Die berufsvorbereitenden Praktika werden vor allem in Ausbildungsbetrieben abgeleistet, die von Meistern mit Migrationshintergrund geführt werden. Durch die Kooperation mit einer Reihe von Innungen und Betrieben ist die Berufsvorbereitung praxisnah. Alle Bemühungen werden im Berufswahlpass und in einem zeugnisergänzenden Zertifikat dokumentiert. www.friedenschule-sw.de
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Erziehung zur Demokratie und zur bürgerschaftlichen Mitverantwortung beginnt in der Schule. Schüler brauchen dabei Möglichkeiten, selbst Verantwortung wahrzunehmen oder demokratische Verfahrensweisen einzuüben. Ehrenamtliche Aktivitäten oder besonderes schulisches Engagement von Schülern werden ebenfalls in ihrem Portfolio dokumentiert. Ein Unterricht in der jeweiligen Religion – allen voran ein islamischer Religionsunterricht – in deutscher Sprache und durch in Deutschland ausgebildete Lehrer ist notwendig; er wird das ethische Urteils- und Reflexionsvermögen schärfen und die Werte der Religion mit den Werten des Grundgesetzes und der europäischen Demokratien verbinden können.
„Wechselseitige Wahrnehmung und Achtung sind unabdingbare Voraussetzungen für ein friedliches Miteinander. Die Mehrheitsgesellschaft muss die mitgebrachten Werte und Prägungen der Zuwanderer – soweit diese mit den Grundwerten unserer Verfassung vereinbar sind – respektieren. Die Zuwanderer ihrerseits sind gehalten, den Traditionen der Mehrheitsgesellschaft mit Verständnis und Wertschätzung zu begegnen.“ Wort der Deutschen Bischöfe zur Integration von Zuwanderern 2003
Persönliche und soziale Kompetenzen stärken: > Werteerziehung als Aufgabe der Schule stärken > Schulregeln akzeptieren und umsetzen > Kommunikations- und Teamfähigkeit, Verantwortung und
Selbstständigkeit etc. lernen und erfahren > Selbstbewusstsein und Toleranz entwickeln > Eltern in Erziehungsfragen beraten, Erziehungspartnerschaft auf-
bauen > Kooperation mit weiteren Ansprechpartnern vor Ort suchen > Islamischen Religionsunterricht in deutscher Sprache anbieten
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Diagnostik systematisieren Die Übergänge zwischen den verschiedenen Stationen der Bildungslaufbahn sind vor allem für Migrantenkinder überaus kritische Schwellen und müssen weitaus besser geebnet werden als bisher. Der Weg in die Gesellschaft darf nicht durch eine Aneinanderreihung von Misserfolgserlebnissen geprägt sein. Vor der Grundschule werden sie häufiger als deutschsprachige Kinder zurückgestellt; dabei hat die PISA-Studie gezeigt, dass Rückstellungen – ebenso wie Klassenwiederholungen – keine Verbesserung der Schulleistung bedeuten, sondern die schlechteren Leistungen sich fortsetzen. Kritisch ist zudem der Übergang von der Grundschule in die weiterführende Schule bzw. die Wahl der Schulform. Die sprachlichen Beeinträchtigungen führen zu einer Bildungsbeteiligung ausländischer Kinder, die nicht der Beteiligung deutscher Kinder entspricht. Eine neu aufgestellte und effektive Sprachförderung in Kindergarten und Grundschule wird daher entscheidend dazu beitragen, diese Übergänge so zu gestalten, dass sie der individuellen Leistungsfähigkeit des einzelnen Kindes gerecht werden. Die Wahl der weiterführenden Schule darf zudem keine definitive Festlegung des Schulabschlusses sein, sondern muss für weitere Wege offen bleiben – Abschlüsse müssen Anschlüsse bieten. Das ist zwar in der Theorie bereits der Fall, aber noch nicht in der Alltagspraxis die Realität. Wenn alle Talente gewonnen werden sollen, muss Durchlässigkeit ein Anliegen mit neuer Prioritätensetzung sein. Die Beobachtung und Diagnostik einerseits, die individuelle Förderung und Unterstützung andererseits müssen daher kontinuierlich gepflegt werden und in den verschiedenen Bildungsphasen aufeinander aufbauen. Die Fortführung des Portfolios vom ersten Kindergartentag über Grundschule und weiterführende Schule bis zum Abschluss kann dabei wirksam helfen. Nur durch Kontinuität kann eine nachhaltige Förderung und ein kumulativer Entwicklungsprozess mit klaren Lern- und Leistungszuwächsen erreicht werden.
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Pädagogen in Kindergarten und Schulen brauchen dringend diagnostische Kompetenzen und geeignete diagnostische Instrumente. Intuitive Einschätzungen des Kindes reichen nicht aus, wenn kein gemeinsamer kultureller Hintergrund Schüler und Pädagogen verbindet; standardisierte und wissenschaftlich evaluierte Verfahren sind stattdessen notwendig. Die Expertise von Schulpsychologen muss zur Verfügung stehen und auch genutzt werden.
START: Schülerstipendien für begabte Zuwanderer der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung Mit START fördert die Hertie-Stiftung begabte und engagierte Zuwandererkinder, um sie auf dem Weg zum Abitur zu unterstützen. Die materielle Förderung der 14- bis 18-jährigen Jugendlichen umfasst monatlich 100 Euro Bildungsgeld. Damit sollen die Stipendiaten die Kosten für bildungsrelevante Erfordernisse wie gezielten Förderunterricht, Computerkurse, Deutsch- oder Fremdsprachenkurse, Praktika, Studienfahrten oder sonstige Fortbildungen bestreiten. Für eine internetfähige PC-Grundausstattung können einmalig und zweckgebunden bis zu 1.800 Euro beantragt werden. Weitere Fördermittel bis zu einer Höhe von 500 Euro pro Jahr können bewilligt werden. Noch wichtiger als die materielle Unterstützung ist die ideelle Förderung, die von der Hertie-Stiftung angeboten wird: Sie umfasst jährlich zwei Bildungsseminare, Exkursionen, das Jahrestreffen aller Stipendiaten, Sommerakademien, Beratungsangebote, Netzwerke der Stipendiaten und Alumni sowie Kontakte zu Hochschulen und Studienförderwerken. www.start.ghst.de
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Talent im Land: Schülerstipendien für begabte Zuwanderer der Robert Bosch Stiftung
Talent im Land beschränkt sich nicht auf die finanzielle Unterstützung der Stipendiaten, sondern verfolgt ein umfassendes Förderkonzept, das das schulische, familiäre und gesellschaftliche Umfeld berücksichtigt. Zur Förderung gehören ein monatliches Stipendium von durchschnittlich 200 € (insbesondere für Lern- und Arbeitsmittel, Kulturausgaben, Prüfungsvorbereitungen und Fortbildungskurse), Zusatzunterricht in Deutsch oder in Fremdsprachen, Klassenfahrten und die Anschaffung eines Computers, je nach Bedarf persönliche Beratung, ein Bildungsprogramm mit Studientagen, Seminaren und Sommerakademien. www.robert-bosch-stiftung/talent_im_land.de/
Diagnostik systematisieren: > individuelle Förderung kontinuierlich pflegen, Portfolios fort-
führen > diagnostische Kompetenzen der Pädagogen schulen > diagnostische Instrumente verbessern und zur Verfügung stellen > standardisierte wissenschaftlich evaluierte Verfahren entwickeln > schulpsychologische Dienste nutzen
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In der Beruflichen Bildung: Mehr Jugendliche mit Migrationshintergrund motivieren und integrieren Auch in der beruflichen Bildung bleiben die Potenziale von Jugendlichen mit Migrationshintergrund bisher noch ungenutzt. Wie bedeutend diese Gruppe dabei ist, machen folgende Zahlen deutlich: Während die amtliche Berufsbildungsstatistik, die nur Jugendliche mit ausländischer Staatsbürgerschaft erfasst, von ca. 12 % der Jugendlichen ausgeht, haben tatsächlich rund 30 % der Jugendlichen einen Migrationshintergrund. Die Ausbildungsbeteiligungsquote bei ausländischen Jugendlichen liegt deutlich niedriger als bei deutschen Jugendlichen: 27 % der ausländischen Jugendlichen befanden sich 2003/04 in einer dualen Ausbildung gegenüber 60 % der deutschen Jugendlichen. Betrug die Quote noch 1994 34 %, waren es zehn Jahre später nur noch 27 %. Von den ausländischen Jugendlichen sind 38,7 % daher ungelernt im Vergleich zu 8,7 % deutschen Jugendlichen. Auch in der Bewerber-Statistik der Bundesagentur für Arbeit sind ausländische Jugendliche unter den gemeldeten Bewerbern für Berufsausbildungsstellen mit 8,3 % unterrepräsentiert. Ihre Realisierungschancen sind schlechter als bei deutschen Jugendlichen, in der Gruppe der unvermittelten Bewerber sind sie mit 10,3 % überrepräsentiert (2004/05). Bei Ausbildungsgängen, die eine berufliche Grundausbildung vermitteln, sind ausländische Jugendliche überrepräsentiert: 15 % aller jugendlichen Teilnehmer im BVJ und BGJ haben eine ausländische Staatsbürgerschaft. Im Durchschnitt werden 21,9 % aller Ausbildungsverträge wieder gelöst, die Quote der Vertragsabbrüche liegt dabei in den Wirtschaftsbereichen und Betrieben, in denen ausländische Jugendliche am häufigsten vertreten sind, besonders hoch (Handwerk 26,8 %, Freie Berufe 24,5 %) ebenso wie die Prüfungsmisserfolge (durchschnittliche Durchfallquote im ersten Anlauf 12 %, im Handwerk 18 %, bei Berufen Maler/Lackierer sogar
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23 %, Elektroinstallateure 26 %). 37 % der jungen Erwachsenen mit Migrationshintergrund ohne Berufsabschluss haben eine Ausbildung ganz abgebrochen. Das Spektrum der Ausbildungsberufe, in die ausländische Jugendliche einmünden, ist schmaler als bei ihren deutschen Altersgenossen. 43 % aller ausländischen Auszubildenden lernen in den 10 Berufen, in die sie am häufigsten einmünden (u. a. Friseurin, Verkäuferin, Pharmazeutischkaufmännische(r) Angestellte(r), Arzthelferin, Maler/ Lackierer, Elektroinstallateur). Besonders unterrepräsentiert sind ausländische Jugendliche in den neuen IT- und Medienberufen mit nur 3 % und im öffentlichen Dienst mit lediglich 2,2 %. Bemerkbar macht sich auch, dass Migranten vielfach informelle Netzwerke fehlen: 25 % der deutschen Auszubildenden verdanken ihren Ausbildungsplatz der Vermittlung durch die Eltern gegenüber 13 % bei den ausländischen Jugendlichen.
Berufsorientierung und Berufsvorbereitung verbessern Die Berufsorientierung der Migrantenkinder muss an den Schulen ein größeres Gewicht erhalten. Zum Schulprogramm gehört heute auch eine Berufswegeplanung mit systematisch aufeinander aufbauenden Schritten schon ab Klasse 5, die auch dokumentiert werden. Lehrkräfte kennen die Stärken und Schwächen ihrer Schüler gut, beraten sie bei der Vorbereitung der Berufswahl und helfen bei der Suche nach Praktika. Auch bei den Elterngesprächen muss die Berufsorientierung der Jugendlichen ein regelmäßiges Thema sein. Die Lehrkräfte müssen daher über die möglichen Berufswege, Ausbildungsberufe und Chancen des Arbeitsmarktes gut informiert und auf dem aktuellen Stand sein. Schulen und Betriebe arbeiten für eine bessere Berufsorientierung verstärkt zusammen: Einblicke in die berufliche Praxis, regelmäßige Schüler-
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und Lehrerpraktika, Erkundungen und Tage der offenen Tür – oder für die Mädchen der Girls’ Day – helfen Lehrern und Schülern, sich ein fundiertes Bild von der Berufswelt, ihren Anforderungen und Möglichkeiten zu machen. Dieses Engagement wird in den regionalen Arbeitskreisen SCHULEWIRTSCHAFT gebündelt und gefördert. Praxisklassen und ähnliche Konzepte mit einer festen Kooperation zwischen Schulen und Betrieben, bei denen Jugendliche Tagespraktika in Betrieben absolvieren, helfen insbesondere Schülern, die in Gefahr eines Schulabbruchs stehen und ohne dieses Angebot keinen Schulabschluss geschweige denn einen Ausbildungsplatz erhalten. Sie sind auszuweiten und für Jugendliche mit entsprechenden Problemlagen verstärkt anzubieten. Der Übergang von der Schule in die Ausbildung kann nicht alleine durch die Schule geleistet werden. Auch die Arbeitsagenturen müssen die Beratung durch eine genaue Diagnose der Fähigkeiten der Bewerber mit Profilings und Kompetenzchecks verbessern. Berufsinformationen der Arbeitsagentur – auch für weniger bekannte und gefragte Berufe – müssen in die dominierenden Herkunftssprachen übersetzt werden, interkulturell geschulte Berater für die Beratung und Begleitung zur Verfügung stehen und verstärkt Migranten selbst als Berater und Vermittler beschäftigt werden. Das deutsche System der dualen Ausbildung ist den meisten Eltern und Familien aus ihrer Heimat nicht bekannt; sie können daher die Bedeutung nicht immer richtig einschätzen. Schüler und ihre Eltern sind daher für den Wert einer Berufsausbildung weiter zu sensibilisieren. Sie brauchen Informationen über die ganze Breite des Berufswahlspektrums wie über Berufe und Regionen mit Bewerbermangel, ggf. durch zielgruppenorientierte Veranstaltungen. Erfolgreiche Vorbilder von Migranten bewirken auch dabei mehr als mancher abstrakte Vortrag. Betriebe können gezielt Migranteneltern zu Betriebserkundungen einladen, damit diese sich selbst einen Eindruck von den Anforderungen, aber auch von den Chancen für ihre Kinder machen.
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Insgesamt ist die Kooperation der verschiedenen Akteure notwendig. Dazu gehört vor allem auch das soziale Umfeld der Migranten, insbesondere Migrantenorganisationen und -vereine. Öffentlichkeitsarbeit über zielgruppenspezifische Multiplikatoren – wie etwa religiöse Autoritäten – kommt hinzu.
„Moscheen aktiv für Berufsbildung“ Rund 2.500 Imame und Vorsitzende von Moscheevereinen nahmen 2005 an der bundesweiten Veranstaltungsreihe „Moscheen aktiv für Berufsbildung“ teil und informierten sich über das duale Ausbildungssystem. Ziel der Reihe war, Imame und Vereinsvorsitzende für das Thema „Berufliche Ausbildung“ zu sensibilisieren, damit sie bei Jugendlichen, Eltern und Unternehmern für die betriebliche Ausbildung werben. Sie bilden wichtige Multiplikatoren mit Brückenfunktion. Auf den Veranstaltungen erhielten die Teilnehmer Basisinformationen zur dualen Ausbildung und lernten Ansprechpartner in Fragen der Berufsausbildung kennen. Initiiert wurde die Kampagne von der Koordinierungsstelle KAUSA, der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB), dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). www.kausa.de
Um transparent zu machen, welche Anforderungen für einen erfolgreichen Übergang von der Schule in Ausbildung gestellt werden, haben die Spitzenverbände der Wirtschaft und die Bundesregierung unter Federführung der Bundesagentur für Arbeit im „Nationalen Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs in Deutschland“ gemeinsam definiert, was unter Ausbildungsreife zu verstehen ist. Die allgemeine Ausbildungsreife
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ist dabei von der spezifischen Berufseignung und der konkreten Vermittelbarkeit auf dem Ausbildungsmarkt zu unterscheiden. Sie beinhaltet grundlegende kognitive, persönliche und soziale Dispositionen, psychische und physische Belastbarkeit, Merkmale allgemeiner Bildungs- und Arbeitsfähigkeit und schulische Basiskenntnisse. Die Pakt-Partner haben einen Kriterienkatalog als Orientierungsrahmen zur Beurteilung der Ausbildungsreife entwickelt; er fließt in die Neukonzeption der Berufsberatung der Bundesagentur für Arbeit ein und soll insbesondere auch Schulen Hinweise für ihre konkrete Bildungsarbeit geben, Betrieben Transparenz über die Mindestanforderungen an Auszubildende geben und auch Jugendliche und ihre Eltern über die allgemeinen Voraussetzungen für eine Ausbildung informieren.
Der Kriterienkatalog zur Ausbildungsreife und weitere Informationen zum Ausbildungspakt finden sich unter www.pakt-fuer-ausbildung.de
Für Jugendliche, die nicht direkt von der Schule in Ausbildung übergehen können und gezielt gefördert werden müssen, sind praxisnahe und bedarfsgerechte Berufsvorbereitungsmaßnahmen einzusetzen. Bewährt haben sich modulare bzw. Teilqualifizierungskonzepte, die Praxisphasen in Betrieben umfassen. Diese sind zu diesem Zweck weiterzuentwickeln und breiter umzusetzen. Für mehr Transparenz sind die vermittelten Qualifikationen durch Träger oder Unternehmen zu dokumentieren und zu zertifizieren. Insbesondere die neuen Einstiegsqualifizierungen (EQJ) sind ein effizientes Instrument der Hinführung von Jugendlichen zur Ausbildung und Beschäftigung. Die EQJ-Begleitforschung hat gezeigt, dass sich EQJ als Brücke in Ausbildung mit einem Übergang von gut 60 Prozent der Teilnehmer bewährt hat, wobei jugendliche Migranten ebenso häufig in Ausbildung einmünden wie Teilnehmer ohne Migrationshintergrund.
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Bildungswerk der Thüringer Wirtschaft: Beratungsstelle für jugendliche Migranten zur Berufsorientierung Pädagogische Fachkräfte begleiten im Rahmen des EQUAL-Projektes Integra.net Jugendliche mit Migrationshintergrund in Ostthüringen. Inhaltlich stehen berufsorientierende Angebote und die persönliche Biographieplanung im Mittelpunkt. Durch Betriebserkundungen und Praktikumsphasen sollen die jungen Frauen und Männer ihren Berufswunsch konkretisieren und einen Einstieg in einen Ausbildungsberuf oder ein Studium schaffen. In Zusammenarbeit mit den Betrieben werden die Praxisphasen genutzt, um auf die Chancen der kulturellen Vielfalt hinzuweisen und eine gleichberechtigte und partnerschaftliche Zusammenarbeit anzustreben. Grundwerte wie Offenheit, Toleranz, Zivilcourage sowie die Übernahme von Verantwortung sollen helfen, mögliche Vorurteile im sozialen Umfeld abzubauen bzw. gar nicht aufkommen zu lassen. Methodisch wird auf kulturelle und sportliche Initiativen zurückgegriffen, wie z.B. Kunstausstellungen, Lesungen, Fotoarbeiten, Musik, Tanz, Filme und Sportaktivitäten. Für das Teilprojekt ist das Bildungswerk der Thüringer Wirtschaft verantwortlich. www.bwtw.de
Berufsorientierung und Berufsvorbereitung verbessern: Schulen: > verankern Berufswegeplanung im Schulprogramm > begleiten Berufsorientierung durch Lehrer, beziehen Eltern ein > kooperieren mit Betrieben > richten Praxisklassen für Schülergruppen ein
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Arbeitsagenturen: > führen Profilings und Kompetenzchecks durch > haben Migranten und interkulturell geschulte Mitarbeiter als Be-
rater > bieten zielgruppenorientierte Informationen und Veranstaltungen
an Betriebe: > kooperieren mit Schulen > bieten Praktika an > laden Migrantenfamilien zu Betriebserkundungen ein
Berufsvobereitung: > wird verstärkt bedarfsgerecht und praxisnah ausgerichtet > wird verstärkt als Einstiegsqualifizierung angeboten
Flankierende Unterstützung in der Ausbildung intensivieren Die Integration in Ausbildung und ihre erfolgreiche Absolvierung kann insbesondere dadurch verbessert werden, dass flankierende Unterstützungsangebote auch während der Ausbildung bereit stehen, um noch bestehende Defizite gezielt auszugleichen und Betriebe wie Auszubildende nicht allein zu lassen. Insbesondere Mentoring und Coaching durch ältere oder ehemalige Mitarbeiter, durch die Nutzung der Vorbildfunktion von erfolgreichen Migranten im Betrieb, durch den Erfahrungsaustausch mit älteren Auszubildenden (z.B. Azubi-Stammtisch) oder auch durch Ausbilder mit Migrationshintergrund sind dabei eine wichtige Unterstützung. Möglich sind zudem die ausbildungsbegleitenden Hilfen (abH), die von den Arbeitsagenturen finanziert werden und Maßnahmen zum Abbau von Sprach- und Bildungsdefiziten, zur Förderung
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der Fachpraxis und Fachtheorie oder zur sozialpädagogischen Begleitung umfassen. Bei Jugendlichen ohne Schulabschluss muss in der Regel fachtheoretische Unterstützung geleistet werden. Flankierende Maßnahmen können auch dazu beitragen, mehr ausländische Betriebe für die Ausbildung junger Menschen – gerade auch mit Migrationshintergrund – zu gewinnen. Damit können mehr Ausbildungsplätze geschaffen werden. Nach einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln fühlen sich von den ausländischen und ausbildungsfähigen, aber nicht ausbildenden Betrieben nur 29 % ausreichend über die Kernbereiche der betrieblichen Ausbildung informiert. Sie müssen verstärkt angesprochen, über das deutsche Ausbildungssystem informiert und in der Folge auch weiter begleitet werden. Externes Ausbildungsmanagement, das Betrieben die organisatorischen Fragen der Ausbildung abnimmt, kann hier sinnvoll sein. Zudem ist Verbundausbildung sinnvoll, in deren Rahmen deutsche und ausländische Betriebe bei der Ausbildung kooperieren und mit der ausbildungsunerfahrene Betriebe an Ausbildung herangeführt werden.
Projekt MOVA der Stadt München Durch gezielte Akquisition in 83 Betrieben mit Inhabern ausländischer Herkunft sorgte das Projekt „Mobilisierung von Ausbildungsstellen bei Arbeitgebern ausländischer Herkunft“ (MOVA) für 200 neue Ausbildungsplätze. Dabei fanden viele Jugendliche mit Migrationshintergrund, die auf dem Lehrstellenmarkt als benachteiligt galten, einen Ausbildungsplatz. Die Ausbildungsberaterin spürte die Unternehmen mit Inhabern ausländischer Herkunft auf und kontaktierte 1.300 Betriebe. Der persönliche Besuch in den Betrieben ist oft die Initialzündung: Die Projektleiterin informiert die Inhaber über das duale Ausbildungssystem, vermittelt Kontakt zur Industrie- und Handelskammer und zu Berufsschulen und betreut, berät und unterstützt die zukünftigen Ausbildungsbetriebe.
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64 % der Jugendlichen waren ausländischer Herkunft. Viele der Betriebe legen Wert auf das zweisprachige Potenzial der Jugendlichen, weil auch der Kundenkreis zum großen Teil nicht-deutscher Herkunft ist. Die Ausbildungsplätze sind überwiegend in kleineren Betrieben entstanden, deren Personal aus fünf bis zehn Mitarbeitern besteht. Träger des Projekts ist das Referat für Arbeit und Wirtschaft der Stadt München. www.kausa.de
Flankierende Unterstützung intensivieren: > Mit Mentoring und Coaching sowie ausbildungsbegleitenden
Hilfen (abH) den Ausbildungsverlauf unterstützen > Unternehmer mit Migrationshintergrund für die Ausbildung ge-
winnen
Interkulturelles Potenzial nutzen In einer zunehmend international agierenden Wirtschaft mit Geschäftskontakten oder Unternehmensteilen im Ausland werden internationale Kompetenzen immer wichtiger – nicht nur bei Führungs-, sondern auch bei Fachkräften. Die Vermittlung dieser Kompetenzen gewinnt damit auch in der beruflichen Bildung immer mehr an Bedeutung. Eine interkulturelle Öffnung der beruflichen Bildung, die gerade auch die Potenziale der jugendlichen Migranten in den Blick nimmt, ist vor diesem Hintergrund sinnvoll. Es kommt hierbei darauf an, schon bei der Auswahl der künftigen Auszubildenden die Potenziale dieser Zielgruppe zu erkennen und sie während der Ausbildung gezielt zu fördern und zu nutzen.
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So können bei betrieblichen Auswahlverfahren Fähigkeiten von Migranten wie ihre interkulturellen Kompetenzen und die oft vorhandene Mehrsprachigkeit als Stärke berücksichtigt werden. Während der Ausbildung können diese Kompetenzen vertieft und erweitert werden durch gezielte Praktika im Ausland, Projekte mit ausländischen Unternehmensteilen und die Vermittlung internationaler Zusatzqualifikationen, insbesondere durch berufsbezogenen Sprachenunterricht. Zu prüfen ist dabei, ob auch ausländische Abschlüsse und Zertifikate erworben werden können. Dies steigert die Chancen auf einem zunehmend internationalen Arbeitsmarkt. Zudem können die interkulturellen Kompetenzen der Auszubildenden (auch Ausbilder) mit Migrationshintergrund verstärkt auch für die internationale Kompetenzentwicklung aller Auszubildenden im Betrieb genutzt werden. Dies kann beispielsweise durch die Ausbildung in interkulturellen Teams, Tandembildung oder durch interkulturell orientierte Projekte erfolgen.
Bildungswerk der Baden-Württembergischen Wirtschaft: Entwicklungspartnerschaft zip – Zukunftsorientierte Interkulturelle Personalentwicklungsstrategien Unter Federführung der BBQ Berufliche Bildung gGmbH des Bildungswerks der Baden-Württembergischen Wirtschaft e.V. haben sich im Großraum Stuttgart sieben Bildungsträger und die öffentliche Verwaltung im Rahmen der Gemeinschaftsinitiative EQUAL zum Projekt zip zusammengeschlossen. Die zentralen Ziele des Projektes sind das systematische Erschließen interkultureller Ressourcen in Unternehmen und die Stärkung der Arbeitsmarktfähigkeit von Benachteiligten. Dabei geht das Projekt davon aus, dass „Diversity“ unter Mitarbeitern eines Unternehmens als produktiver Faktor genutzt werden kann, sofern sie erschlossen und nutzbar gemacht wird.
In der Beruflichen Bildung
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Neben der Durchführung von Schulungen und Beratungen entwickeln und erproben die Projektpartner ein Cultural Audit Verfahren. Das Projekt hat folgende Zielgruppen: (1) Beschäftigte in Unternehmen - insbesondere KMU - und in der öffentlichen Verwaltung, insbesondere auch mit Migrationshintergrund (2) Entscheidungsträger und Personalverantwortliche in Unternehmen (3) Benachteiligte Jugendliche und Erwachsene, die ihre Arbeitsmarkfähigkeit verbessern möchten. www.zip-equal.eu
SICK AG, Waldkirch: Modulares Konzept Die SICK AG, ein mittelständisches, international operierendes Unternehmen in der Fabrik- und Prozessautomation mit 4.000 Mitarbeitern, hat ein umfassendes, modular aufgebautes Konzept zum Aufbau und zur Förderung interkultureller Kompetenz entwickelt. Es setzt bereits bei den Mitarbeiterkindern an und erstreckt sich bis in die betriebliche Weiterbildung. Die Mitarbeiterkinder können an einem internationalen Austauschprogramm mit Kindern von Mitarbeitern aus anderen Ländern teilnehmen, wodurch sich auf privater Basis ein internationales Netzwerk unter Sick -Mitarbeitern aufbauen soll. In der Ausbildung wird zunächst gezielt die Fremdsprachenkompetenz der Auszubildenden durch Sprachreisen gefördert. In der zweiten Hälfte der Ausbildung wird über ein Einführungsseminar in interkulturelle Kompetenz der Auslandseinsatz in einer ausländischen Tochterfirma vorbereitet. Die 8-12 wöchige Tätigkeit im Ausland wird umfassend evaluiert und dokumentiert. Das modular aufgebaute Qualifizierungskonzept bietet dabei die Möglichkeit, auf das
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Interesse und die Vorkenntnisse der Auszubildenden einzugehen sowie den Aufbau interkultureller Kompetenz passgenau in die betrieblichen Prozesse zu integrieren. www.sick.de
Werteorientierung in der Berufsausbildung bei der Deutschen Telekom Das so genannte „Dortmunder Modell“ steht für eine ganzheitliche Betrachtung des Themas Werteorientierung, indem die Themen Gewalt, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in der beruflichen Erstausbildung intensiv behandelt werden. Das Modell beinhaltet fünf Säulen (Studienfahrten, Foren, Lernaufträge, Abwechslung im Alltag und Regionales) mit jeweils unterschiedlichen Möglichkeiten, die Auszubildenden und allen an der Ausbildung Beteiligten für die Werteorientierung im Unternehmen zu sensibilisieren, Vorurteile abzubauen und zu einer differenzierten Meinungsbildung anzuregen. Im Rahmen des Abschlusses eines Manteltarifvertrags für Auszubildende wurde das Thema Werteorientierung im August 2000 erstmals und im August 2005 erneut tarifvertraglich verankert.
Auch die Anerkennung von im Ausland erworbenen (Teil-) Qualifikationen ist wichtig, um Doppelqualifikationen zu vermeiden und Potenziale richtig zu nutzen, und entspricht besser den Bildungsbiographien von Migrantenkindern. Die Schaffung eines europäischen Raums der Berufsbildung im Rahmen des Brügge-Kopenhagen-Prozesses mit einem „European Qualifications Framework“ ist insbesondere für spät zugewanderte Jugendliche von erheblicher Bedeutung, die bereits eine Ausbildung angefangen oder sogar abgeschlossen haben. Der Euro-Pass als umfassendes Bewerberportfolio hilft Unternehmen, die Stärken der Ausbildungsbewerber – unabhängig davon, wo sie erworben wurden – besser einzuschätzen.
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Lernen in der Berufsschule differenzieren In der Berufsschule steht die weitere Förderung der Sprachkompetenz im Deutsch-Unterricht an. Für Jugendliche mit Migrationshintergrund ist vor allem die Vermittlung der berufstypischen Sprache wichtig. Bei den allgemein bildenden Fächern wie Deutsch – auf die immerhin ein Drittel der Unterrichtszeit an der Berufsschule entfällt – fehlt den Berufsschulen vor allem eine differenzierte Lernorganisation, die dem unterschiedlichen Qualifikationsstand der Auszubildenden – vom Hauptschüler ohne Abschluss bis zum Abiturienten – sowie dem spezifischen Bedarf der einzelnen Berufe Rechnung trägt. Berufsschulen brauchen daher eine Differenzierung ihrer Lernangebote, um Schüler ihren unterschiedlichen Eingangsvoraussetzungen entsprechend individuell fördern und unterrichten zu können. Neben dem gezielten, differenzierten Defizitausgleich ist zudem in der Berufsschule die Weiterentwicklung der Herkunftssprache und die Zweisprachigkeit der Migranten als besondere Qualifikation zu fördern. Um Mehrsprachigkeit und auch interkulturelle Kompetenz weiter zu fördern, können Berufsschulen gezielte Angebote entwickeln. So können Spezialkurse angeboten (z.B. Landeskunde), Auslandsaufenthalte/-praktika organisiert, interkulturelle Projekte durchgeführt oder Muttersprachler im Unterricht eingesetzt werden. Zu prüfen ist durch die Berufsschulen, inwieweit ausländische Abschlüsse und Zertifikate dabei erworben werden können. Dabei sollten nicht nur die internationale Potenziale der Schüler mit Migrationshintergrund gefördert, sondern ihre Potenziale für eine Kompetenzentwicklung aller Berufsschüler – und Berufsschullehrer – genutzt werden. Hierfür kommen beispielsweise gemeinsame, gezielt auf den interkulturellen Kompetenzerwerb ausgerichtete Projekte oder Tandembildungen in Frage.
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Kooperationskonzept der Staatlichen Berufsschule Altötting: Die staatliche Berufsschule Altötting hat zur Förderung von interkultureller Kompetenz ihrer Auszubildenden ein umfassendes Kooperationskonzept aufgebaut. Seit 1980 werden verschiedene, langfristig angelegte Praxisprojekte mit Einrichtungen u. a. in Afrika und den USA durchgeführt, in denen die Auszubildenden erste Arbeitserfahrungen im Ausland sammeln und sich dabei gezielt mit ausländischen Arbeits- und Lebensweisen auseinander setzen. Die unterschiedlichen Kooperationsaktivitäten verfolgen somit alle ein duales Prinzip zum Aufbau interkultureller Kompetenz: die Förderung von Fach- und Humankompetenzen. Besonders hervorzuheben ist eine mehr als zehnjährige Partnerschaft mit dem North Central Technical College Wisconsin (USA). Im Rahmen dieser Partnerschaft wird u. a. für angehende Mechatroniker aus Deutschland ein betrieblicher Auftrag einer deutschen Firma für die USA simuliert. Die Planungsphase erfolgt mittels einer virtuellen Kommunikationsplattform im Internet. Die Umsetzung wird vor Ort durch binationale Kleingruppen von Auszubildenden in einem US-amerikanischen Partnerunternehmen gesteuert. Der Aufbau von interkultureller Kompetenz erfolgt somit unmittelbar in betrieblichen Prozessen. Daneben lernen die Auszubildenden den amerikanischen Alltag u. a. durch das Leben in ihrer Gastfamilie kennen. www.bsaoe.de
Zur Qualitätsverbesserung des Berufsschulunterrichts sind die Ausstattung der Schulen mit modernen Unterrichtsmitteln und die fachliche, aber auch methodisch-didaktische Qualifikation der Berufsschullehrer, insbesondere auch in Fremdsprachen, ausschlaggebend. Darüber hinaus brauchen Berufsschulen – wie allgemein bildende Schulen – mehr Selbstständigkeit, um größere inhaltliche, finanzielle und personelle Freiräume zu erhalten und auf den Bedarf ihrer Schüler flexibler und besser eingehen zu können.
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Lernen in der Berufsschule differenzieren: > Deutschförderung fortsetzen > berufstypische Sprache vermitteln > Lernangebote für Kompetenzniveaus der Berufsschüler differen-
zieren > Internationale Kompetenzen der Berufsschüler mit Migrations-
hintergrund gezielt weiterentwickeln > Interkulturelle Potenziale für alle Schüler nutzen > Qualität des Unterrichts und der Lehreraus- und -fortbildung
verbessern
Kurzfassung Migrantenkinder sind kein „Ausnahmephänomen“, sondern eine gewichtige Gruppe mit wachsender Bedeutung. Ziel muss es sein, ihre Teilhabechancen an unserer Gesellschaft zu verbessern, ihr Potenzial zu entfalten und ihre Integration zu fördern. Dabei ist das Beherrschen der deutschen Sprache von entscheidender Bedeutung. 1.
Sprachförderung muss so früh wie möglich beginnen. Für den Kindergarten wird daher ein Vorschulprogramm entwickelt, das vor allem die systematische Sprachentwicklung fördert. Verbindliche Standards für dieses Vorschulprogramm, die Evaluation der erreichten Ergebnisse und die pädagogisch-psychologische Hochschulausbildung der Kindergartenleitung werden die Qualität und Zielgenauigkeit der Fördermaßnahmen sichern. Als erste Stufe des Bildungssystems wird der Kindergarten obligatorisch und beitragsfrei.
2.
In der Schule muss die Sprachförderung kontinuierlich fortgesetzt und vertieft werden. Das Alltagsdeutsch wird zum Schriftdeutsch weiterentwickelt, und dies in allen Fächern ebenso wie in außer-
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unterrichtlichen Fördermaßnahmen. Lehrkräfte werden in ihrer Ausund Fortbildung auf eine mehrsprachige heterogene Schülerschaft und auf die Vermittlung von Sprachkompetenz vorbereitet. Je nach Schulprofil werden Migrantenkinder zudem in ihrer Herkunftssprache alphabetisiert, wird diese zertifiziert oder als weitere Fremdsprache angeboten. 3.
Interkulturelle Kompetenzen sind in einer weltoffenen Gesellschaft und globalen Wirtschaft Schlüsselkompetenzen. Sie werden durch das Anknüpfen an die unterschiedlichen Herkunftswelten der Migrantenkinder und eine internationale Ausrichtung der Schulfächer sowie durch interkulturelle Bezüge im Schulleben, bei Festen und Ereignissen gestärkt. Internationaler Schüleraustausch und Schulpartnerschaften bereichern die Erfahrungswelt der Jugendlichen.
4.
Gute Sprach- und Lesekompetenzen im Deutschen können – wie PISA zeigt – die Nachteile der oft ungünstigen sozio-ökonomischen Herkunft der Migrantenkinder vollständig ausgleichen: Eine umfassende und intensive Sprachförderung wird daher auch ihre bislang unbefriedigende Bildungsbeteiligung deutlich verbessern. Lehrkräfte müssen zudem treffsichere diagnostische Instrumente nutzen können. Lernfortschritte und Leistungen werden – ebenso wie ehrenamtliche Aktivitäten und berufsvorbereitende Maßnahmen – im Portfolio des Schülers dokumentiert.
5.
Die Werteerziehung und die Stärkung der sozialen Kompetenzen der Schüler gehören zum Bildungsauftrag der Schule und werden von der Gesellschaft unterstützt. Kommunikations- und Teamfähigkeit, Verantwortung und Selbstständigkeit, Selbstvertrauen und Vertrauen in andere, Selbstbewusstsein und Toleranz sind zentrale persönliche und soziale Kompetenzen, die junge Menschen lernen und erfahren müssen.
6.
In der beruflichen Bildung eröffnen bessere Sprachkompetenzen Jugendlichen mit Migrationshintergrund neue Chancen auf eine
Kurzfassung
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Ausbildung. Sie werden über die Bedeutung der dualen Ausbildung und das Berufswahlspektrum informiert und auf die Berufswelt durch Schule, Arbeitsagentur und Betriebe vorbereitet. Die interkulturellen Kompetenzen und die oft vorhandene Mehrsprachigkeit der Migranten werden als Stärke gesehen, in der Ausbildung vertieft und erweitert und für alle Auszubildenden nutzbar gemacht. Die Integration in Ausbildung und ihr erfolgreiches Absolvieren wird insbesondere durch flankierende Unterstützungsangebote während der Ausbildung erleichtert. Unternehmer mit Migrationsintergrund werden zunehmend für die Ausbildung gewonnen. Die Berufsschule differenziert ihr Angebot für die unterschiedlichen Lernvoraussetzungen ihrer Schülerschaft. 7.
Bei allen Bildungsstationen – vom Kindergarten über die Schule bis hin zum Übergang in die berufliche Bildung – ist das Einbeziehen der Eltern und Familien unverzichtbar und ein entscheidender Faktor für den Bildungserfolg der Kinder. Die Pflege des Deutschsprechen und -lesen auch zuhause ist für die Sprachkompetenz der Kinder von herausragender Bedeutung. Eltern werden dabei von Kindergärten, Schulen und anderen Bildungseinrichtungen unterstützt. Sie werden in Erziehungsfragen beraten und über die Chancen der Schul- und Berufsbildung in Deutschland informiert.
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Weitere Publikationen 1. Positionspapiere der BDA zur Bildungspolitik BILDUNG schafft ZUKUNFT Das Bildungsprogramm der Arbeitgeber (2005) ISBN 3-938349-04-2 Band 1: Führungskraft Lehrer Empfehlungen der Wirtschaft für ein Lehrerleitbild (2001) ISBN 3-938349-03-4 Band 2: Bildungsauftrag Werteerziehung Selbstständig denken, verantwortlich handeln (2002) ISBN 3-938349-02-6 Band 3: Weiterbildung durch Hochschulen Gemeinsame Empfehlungen (2003) ISBN 3-936074-28-3 Band 4: Option für die Jugend Schulbildung verbessern, Ausbildungsfähigkeit fördern, Berufsorientierung intensivieren (2003) ISBN 3-9808995-1-9 Band 5: Wegweiser der Wissensgesellschaft Zur Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit unserer Hochschulen (2003) ISBN 3-936074-27-5 Band 6: Master of Education Für eine neue Lehrerbildung (2003) ISBN 3-9808995-3-5 Band 7: Memorandum zur gestuften Studienstruktur Bachelor und Master (2003), ISBN 3-938349-06-9
Weitere Publikationen
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Band 8: Studienbeiträge und die Reform der Studienfinanzierung Ein Modellvorschlag (2004) ISBN 3-9808995-5-1 Band 9: Selbstständige Schule Freiräume schaffen, Verantwortung übernehmen, Qualität entwickeln (2004) ISBN 3-938349-00-X Band 10: Bildungsbiografien und Berufskarrieren neu entwickeln Für ein durchlässiges Bildungssystem (2005) ISBN 3-938349-07-7 Band 11: Schule 2015 Ein Besuch in der Schule der Zukunft. (2006) ISBN 3-938349-16-6 Band 12: Bessere Bildungschancen durch frühe Förderung Positionspapier zur Frühkindlichen Bildung (2006) ISBN 3-938349-23-9
2. Sozialpartner-Erklärungen zur Bildungspolitik Wirtschaft – notwendig für die schulische Allgemeinbildung Gemeinsame Initiative von Eltern, Lehrern, Wissenschaft, Arbeitgebern und Gewerkschaften (2000) Gemeinsame Erklärung von BDA und DGB zu Ganztagsangeboten (2003) Eckpunkte – Empfehlungen für ein Kerncurriculum Wirtschaft einschließlich Qualitätskriterien für die Lehreraus- und Fortbildung sowie Betriebspraktika von Lehrern und Schülern Gemeinsame Arbeitsgruppe von WMK, KMK, BDA, BDI, DIHK, ZDH und DGB (2003) Gemeinsame Erklärung von BDA und DGB zu den Konsequenzen aus den Ergebnissen von „PISA 2“ (2005)
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3. Positionspapiere europäischer Arbeitgeberverbände zur Bildungspolitik In search of quality in schools The employers’ perspective (2000) Empowering the teaching profession and modernizing school management The employers’ perspective (2003) ISBN 3-9808995-0-0
4. Handreichungen zur Bildungsarbeit Auswahlgespräche mit Studienbewerbern Handreichung für Hochschulen (2001) Der Ausbildungspakt beginnt in der Schule Handreichung für Schulen, Unternehmen und Verbände (2005) Innovation durch Nachwuchsförderung – MINT-Initiativen der Arbeitgeber Handreichung für Schulen, Unternehmen und Verbände, 2. erweiterte Auflage (2005) ISBN 3-938349-01-8 Auf Erfolgskurs mit Bachelor- und Masterabsolventen in Ihrem Unternehmen Handreichung für Unternehmen (2005) ISBN 3-938349-08-5 PROFILehrer Handreichung für Lehrer, Schulleiter und Studierende zur Personalentwicklung von Lehrkräften (2005) ISBN 3-938349-09-3
Weitere Publikationen
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Q-Prozess Online-Evaluationsinstrument zur internen Qualitätsentwicklung von Schulen (2005)
5. Chroniken/Dokumentationen der BDA-Bildungsarbeit 50 Jahre SCHULEWIRTSCHAFT – Traditon, Innovation, Vision Chronik eines Erfolges (2003) Mit der Abschlussprüfung die Hauptschule stärken Dokumentation der gemeinsamen Tagung von Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und Initiative Hauptschule e. V. 16. Dezember 2002 & Ergebnisse einer Umfrage der BDA zu den Anforderungen der Betriebe an einen Hauptschulabschluss (2004) 5 Jahre Deutscher Arbeitgeberpreis für Bildung Dokumentation (2004)
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Notizen
Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Abt. Bildung / Berufliche Bildung im Haus der Deutschen Wirtschaft Breite StraĂ&#x;e 29 10178 Berlin Telefon: 030 / 20 33 -15 00 Telefax: 030 / 20 33 -15 05 E-Mail: Abt_05@bda-online.de www.bda-online.de
ISBN 3-938349-22-0