Gefunden vom MS Schrittmacher Team im Schiffer/Leon Archiv der Akademie der Künste - Berlin https://archiv.adk.de/objekt/1809398
Anita Berber
Songtext von Macellus Schiffer (vermutlich mitte der zwanziger Jahre entstanden)
Die Weaner hoams sie einfach rausgeschmissen!
Weil sie das weaner Stadtbild ruiniert!
Anita Berber hat darob gekichert!
Und hat sich darum doch nicht umfrisiert!
Weil sie´s gewagt hat ein Gesicht zu machen
Das einem lieben Hascherl „Pfui Spinne“ schien Sprach der Seargeant: „Was sind denn das für Sachen?
Anita – zu schade ist für Dich das liebe, fesche guate, wearner Wien!“
Berlin ist gegen die Anita friedlich!
Man schimpft uff ihr bei eine Lage Bier!
Doch weil der Urberliner – Urgjemütlich Jewöhnt er mit die Zeiten sich an ihr!
Nur keen Uffregung – um Jottes Willen!
Sie is mschugge – Lasst det Kind den Spleen!
Nu – soll se machen! – doch man denkt im Stillen: „Anita – zu schade is für Dich de olle, jute, ehrliche Balin!“
Die Jungfrau mag die „Sarah“ göttlich segnen!
Es gab sehr selten eine Pompadour!
Und mags auch Niddy Impekovens regnen –
Anita Berbers gibt´s alle 10.000 Jahre nur!
Die Donau gluckert, dreckig fleusst die Pleisse
Man kriegt Kinder selbst im pussligen Polzin!
Wer aber wagt es laut zu sagen: „Scheiße!“
Anita – Du bist zu schade für Wean / Balin!
Gefunden vom MS Schrittmacher Team
Anita Berber in Astarte in dem verschollenen Dokumentarfilm Moderne Tänze zum Programm »Tänze des Lasters, des Grauens und der Ekstase« Diese Filmstills sind die einzigen erhaltenen bewegten Bilder von Anita Berbers Bühnenchoreographien, gefunden im Trailer zum Stummfilm Der Walzer von Strauß (1925) Filmarchiv Austria
Gefunden vom MS Schrittmacher Team in Die Bühne 21, 1925, S. 16 Österreichische National Bibliothek
Gefunden vom MS Schrittmacher Team Helene Grimm-Reiter „Taubstumme lernen tanzen, Tanzschrift ersetzt das Gehör“ Bibliothek UDK Berlin
Gefunden und zusammengefügt vom MS Schrittmacher Team
Kritikerstreit Konta/Tschuppik Wien 1922
Wiener Mittags-Zeitung, 16. November 1922
Nacktabend.
Anita Berber – Sebastian Droste.
Etwa tausend Kartenkauflustige mussten Dienstag nachts wütend das Täfelchen „Ausverkauft“ vor den Schaltern der Konzerthauskassen lesen. Ungemein feines Publikum strömte in den großen Saal, die Herren zumeist in Smokings, die Damen, reizende junge Mädchen und reizende junge Frauen mit blendend weißen Armen und blütenweißen Nacken und mit all dem Blütenweißen, was die modernen Soireetoilleten sonst noch sehen lassen. Aber – was bedeuten diese Schaustellungen gegen die Freigebigkeit [sic!] der beiden Tanzenden!
Anita Berber wiegt ihren fabelhaft geschmeidigen und gelenkigen Körper in blendender N acktheit und – mit der fortschreitenden Zeit – wird sie immer nackter und dann noch nackter, endlich, in dem Tanz „Astarte“ am nacktesten. Das Wort „Tanz“ ist nur eine Verlegenheitsphrase. Denn das, was Anita Berber und auch Sebastian Droste bieten, sind keine Tänze. Im besten Fall rhythmische Bewegungen gegen den Geist der Musik. Sebastian Droste will sich nicht spotten lassen. Auch er ist nackt; einmal kleidet ihn eine azurblaue, schwimmhosenähnliche Hülle – in dem Schaustück „Märtyrer“ – ein andermal Goldbronzelack – in dem Schaustück „Aegyptischer Königssohn“. Die Titel der Schaustücke sind raffiniert klug ersonnen. Da gibt es noch einen byzantinischen Peitschentanz, eine Vision, ein Haus der Irren und eine Nacht der Borgia. Auch eines, das „Selbstmord“ heißt. Es wird auf Bruchstücke der Cis- Moll-Sonate Beethovens gemimt. Wissen Anita Berber und Sebastian Droste, daß es ein Heiligenstädter Testament gibt, das mit den Worten beginnt: „O ihr Menschen, die ihr mich für feindselig, störrisch oder misanthro pisch haltet?“... [sic!] Wissen Anita Berber und Sebastian Droste, daß es eine Giulia Giucciardi gegeben hat? Hätte Beethoven geahnt, daß einmal Tanzende auf durcheinandergeschmissene Fragmente aus seiner Ciss-Moll-Sonate ein Schaustück „Selbstmord“ stellen werden, das folgenden netten Inhalt hat: ein torkelnder Mann empfangt [sic!] aus den Händen eines nackten Weibes einen grünen Strick, mit dem er sich erdrosselt – dann kriecht das nackte Weib zum Leichnam und windet sich über und neben dem Toten in verzückter Extase – er hätte sich wohl mit echt Beethovenischem [sic!] Stolz als Menschenhasser bekannt. Aber nein – diese Verhunzung eines seiner ergreifendsten Werke konnte er nicht ahnen.
Und dann noch zwei Schaustücke: „Cocain und Morphium“. Beide von Anita Berber agiert. Grauen und Ekel schütteln ihren Leib. Mit gräßlicher Natürlichkeit massieren ihre schönen Hände die Gurgel, in der – wie das schon nach dem Genusse von Giftstoffen sein mag – üble Dinge aufsteigen. Dieser Plastik in der Imitation eines gastrischen Phänomens muß die Kraft eine Suggestion innegewohnt haben. Ich mußte mich mit aller Gewalt gegen ein geradezu dämonisch leidenschaftliches Vorhaben wehren. Die Bürde des Kritikeramtes hat mich wieder zur Vernunft gebracht. Denn sonst – sonst wäre ich auf das Podium gesprungen und hätte, zwar angezogen,aber immerhin von grellstem Linsenlicht beleuchtet, eine Apotheose des Speiens getanzt. Konta
Wiener Sonn- und Montagszeitung 20.11.1922
Die nackte Tänzerin und der keusche Kritiker.
Es ist etwas Erfreuliches zu melden: In einer Zeit da Theaterdirektoren, Konzertunternehmer, Künstler und Rezitatoren dieMüdigkeit des Publikums beklagen, gelingt es eines Abends, den größten Saal Wiens, den Konzerthaussaal, bis auf den letzten Platz zu füllen. E in Blick in den Rieseraum verrät, daß die totgesagte Zweimillionenstadt noch immer mit den anderen Zentren wetteifern kann: Es ist ein angenehmes Bild, viele schöne Frauen und eine Gesellschaft zu sehen, deren äußeren gehaben
man es anmerkt, daß sie der alten Freud am Schönen nicht entsagt hat. Ein solches Bild ist selten geworden; kein Theater, kein Konzert vermag es heute zu bieten. Das Wunder gelang einer schlanken Tänzerin: Fräulein Anita Berber.
Wer einfachen Erklärungen aus dem Wege geht, mag darüber grübeln, warum gerade die zwei Worte „Anita Berber“ eine so starke Anziehungskraft besitzen, die pädagogisch veranlagten Köpfe werden wahrscheinlich um eine Antwort nicht verlegen sein und zum so und sovielten Male das abgeleierte Lied vom verfallenen Geschmack hersagen, dem es zu danken sei, daß zwar „ernste“ Kunst vergebens auf Gäste warte, die Spekulation auf den „Kitzel der Sinne“ sich dagegen bezahlt mache. Andere wieder, sittlich Entrüstete, werden auf das Plakat hinweisen, das „Tänze des Lasters“, „Tänze des Grauens“ ankündigte und dadurch die stärkste Lockung übte. Solchen Betrachtungen gegenüber muss man das Publikum in Schutz nehmen. Es ist erfreulich, daß es sich weder von dem Geschwätz der Pädagogen, noch von dem Surren der Entrüsteten irritieren lässt. Sondern seinem Instinkt folgt, der in diesem Falle die Gewissheit gab, das Vollkommene, das Vollendete zu sehen. Ja man wußte es, Anita Berber werde sich allen Augen zeigen, wie Gott sie erschaffen hat. Gab es an diesem Abend in Wien etwas gleich Vollendetes, etwas Vollkommeneres zu sehen? War die Erwartung nicht berechtigt? Konnte von all jenen, die an diesem Abend Besonderes, Ungewöhnliches, Schönes sich versprachen, auch nur einer mit dem Geschenke Anita Berbers wetteifern?
Die Erwartung war berechtigt; die schlanke Tänzerin trat mit einem königlichen Brokatmantel vor das Publikum, hoheitsvoll wie aus einer anderen Welt, selbstsicher und selbstverständlich, ließ den feierlichen Mantel von den Schultern fallen und war nackt. Dann tanzte sie und einigen tausend Augen war es vergönnt, die schöne, schlanke Frau sehen zu dürfen. Das Publikum – man sah es ihm an – verabschiedete sich nach überlautem Beifall wie ein dankbarer Gast, der sich beschenkt fühlt. Nicht eine Stimme der Unzufriedenheit oder Enttäuschung; Vollendetes beglückt.
Da meldet sich nun in einem Wiener Blatt ein Mann und sucht diesen Abend in unflätiger Sprache zu beschmutzen; er spricht in einem Ton, dessen sich Kutscher schämen würden; er sagt nämlich, er wäre angesichts der Darbietungen am liebste auf das Podium gesprungen und hätte dort Tänze des Speiens aufgeführt. Der Mann ist, so versichern seine Kollegen, „Kritiker“. Er zeichnet mit „K“. Daß Menschen dieses Kalibers „Kritik“ üben dürfen in einer Stadt, die ehedem die Auszeichnung genoß, als Stätte eines literarisch verfeinerten Geschmacks neben Paris genannt zu werden, ist eine Sache für sich. Darüber sollen sich die Zeitungsleute untereinander unterhalten. Aber es ist notwendig und wichtig zu fragen, woher solches Plebejertum den Mut nimmt, die Mediokrität seiner Augen und Sinne als Richtmaß aufzustellen? Er gehört nämlich nicht etwa zu jenen sittlich Entrüsteten, denen der Anblick des Nackten als Sünde erscheint; der Mann ist kein Katholik, kein Frömmling. Er tut zwar so, als ob ihn das musikalische am Tanze chockiert hätte, zum Schluß aber lässt er diese Maske fallen und stellt sich als das vor, was er ist: als der körperlich und seelisch defekte Diurnist, der das Vollendete ehrlich haßt, weil es sein Widerpart, der unerreichbare Gegenpol seiner selbst ist. Es wäre nicht wert so viele Worte an ihn zu verschwenden, wenn der Mann nicht ein Typus wäre. Es gibt heute in Wien einen ganzen Chor dieser bösartigen, dürftigen Diurnistenseelen, die einem trotz ihrem Unglück dem Schönen immer noch zugeneigte, liebenswerte, anmutige, lebensfrohe Stadt schulmeistern möchten. Sie projizieren die defekte ihres Leibes nach außen, nehmen die Kümmerlichkeiten ihres eigenen Daseins als Maßstab fürs Ganze und fordern, daß die Glücklicheren, Schönen, Freien sich nach den Buckligen, Griesgrä migen, Unfreien zu richten haben. Woher kommt es, daß ein solcher mensch bei dem Anblick einer schönen Frau Mißmut, Haß, Neid empfindet? Man braucht nur ihn, seinen Körper und die Weiblichkeit seines Kreises anzusehen. Zwingt diese Menschen, gleich Anita Berber, die Probe aufs Exempel zu machen, und ihr werdet alles wissen! Auf dem Podium der Nacktheit hilft keine intellektuelle Umhüllung, zieht sie aus, stellt sie nackt vor euch: mit einem Schlage wird euch alles klar sein. der Haß der minderen Kreatur gegen das Vollkommene hat nichts mit sozialem Unmut zu tun; die ärmste Bauernmagd, der hübsche Proletarierjunge werden die Probe bestehen. Nur die Diurnisten nicht. Sie tragen das Schnorrertum im Leibe. Ach, mit welchem Aufwand müht sich dieses physiologische Diurnistentum, seine Defekte ins Moralische umzulügen, wie sehr ist es bestrebt, das Schöne, Vollkommenere mit sozialem oder moralischem Schimpf zu bewerfen, als „Sinnenkitzel“, „Luxus“, „Prunk“ zu degradieren. Es ist ein Unglück, häßlich,
bucklig, triefäugig,engbrüstig, lebensunfroh, unheiter, verdüstert zu sein. Ein Unglück beim Anblick in den Spiegel vor sich selber Ekel empfinden zu müssen. Es ist menschlich und gut, die Welt nicht nach ihren natürlichen Gaben zu sondern und eine Herrschaft der Schönen zu fordern.Aber ganz unmöglich, eine Vermessenheit gegen Gott und die Welt ist, was die Diurnisten anstreben: daß sich die übrigen, die Vollkommeneren, die Gesunden und Freien nach ihnen richten sollen. Der Haß macht die Buckligen und Schweißfüßler größenwahnsinnig. Statt zu schweigen, üben sie „Kritik“ an den anderen.
Der Herr „K,“ der Anita Berber bespeien will, wird gut tun seinen versprochenen Tanz im eigenen Heim aufzuführen. Aber um Gottes Willen nicht nackt. Kajetan.
Wiener Mittags-Zeitung, 20. November 1922
Anita Berbers ritterlicher Verteidiger
Herr Tschuppik verteidigt heute in einem Artikel der „Wiener Sonn- und Montagszeitung“ die in meiner, in der „Wiener Mittags-Zeitung“ vom 16. November veröffentlichten Kritik seiner Meinung nach in einer Sprache, derer sich Kutscher schämen müßten, angegriffene Nackttänzerin Anita Berber. Daß Herr Tschuppik, der seinen Artikel als mutiger Mann mit dem Decknamen „Kajetan“ Zeichnet, nicht lesen kann, das beweist unwiderleglich der Passus seiner Anpöbelung , in welchem er meinem Artikel die Unterschrift K unterschiebt, während er doch mit meinem vollen Namen gezeichnet war. Aber ein weiterer Beweis spricht für das Nichtlesenkönnen Tschuppiks. Er behauptet, daß ich als mindere Kreatur nicht fähig bin, das Vollkommene in der Erscheinung der nackten Anita Berber zu erkennen. Ich zähle – seiner Meinung nach – zu den Diurnistenseelen, die in der Wiener Journalistik zum Typus geworden wären. Aber Herr Tschuppik verbindet diese Unfähigkeit im Lesen mit einer erstaunlichen Kunst des ihm in bewundernswerter Vollendung eigentümlichen Verdrehens. Ich stehe nicht an, in Anita Berber eine vollkommene Kreatur zu erkennen keine niedere. Ich lehne mich nur dagegen auf, daß eine Nackttänzerin auf durcheinandergeschmissene Fragmente aus Beethovens Cis-Moll-Sonate ein Schaustück tanzt, das „Selbstmord“ heißt. Gegen diese Verhunzung Beethovens empört sich meine Anschauung von Kunst, die glücklicherweise schon in der Kinderstube durch das Empfangen von Beethovenscher Kammermusik das Heiligenstädter Testament zu verstehen lernte, ein Dokument, das für Individuen, die einen gegen den Musikkritiker der „Neuen Freien Presse“ hinterhältig geschriebenen Artikel mit dem Wort „Kusch!“ beenden, nicht geschrieben wurd. Der „Kusch“-Mann erfrecht sich aber auch, in bübischen Worten die „Weiblichkeit meines Kreises“ in den Schmutz seiner Berber-Verteidigung zu ziehen. Diese Wendung allein stigmatisiert die Sehnsucht eines Philisters, der durch Großmäuligkeit immer gern von sich reden machen mö chte, nach einer ihm nicht erreichbaren Reinheit.
Konta
Wiener Sonn- und Montagszeitung 27.11.1922
Anita Berber und Beethoven
Jener vor acht Tagen hier erwähnte Keuschheitsapostel, dessen Drohnung das Podium des Konzerthaussaales zu verunreinigen, Anlaß zu einer Betrachtung gegeben hat, legt Wert auf die Feststellung, daß er mit einem Komponisten gleichen Pseudonyms, mit dem Autor der Operette „Der bucklige Geiger“ identisch ist, in der Kinderstube nicht mit Griestasch (?), sondern mit Beethovenscher Musik aufgepäppelt wurde und das Heiligenstädter Testament empfangen habe, also gewissermaßen Erbe, Nachfolger und Verwandter Beethovens sei. Er empfiehlt sein reines
Gemüt dem verehrten Publikum, seine Werke aber Herrn Dr. Korngold. Der Grad der Verwandtschaft mit dem Hause Beethoven ist trotz dieser Daten nicht so leicht festzustellen; die Entfernung zum Testament wird ungefähr jener entsprechen, die zwischen dem Werke beethovens und dem „buckligen Geiger“ liegt. Es ist immer mißlich, sich auf so vage Verwandtschaft zu berufen, hier aber erst recht, wo Streit um die Beziehung eines graziösen Frauenkörpers zu Beethovens Musik, die Antwort herausfordern mußte, daß ein gerades Tanzbein auf jeden Fall Beethovenschen Tönen näher steht, als ein buckliger Geiger. Diese Wahrheit nicht zu sehen, ihr mit einer unappetitlichen Drohung zu begegnen, schien typisch zu sein, typisch als Merkmal jener unfrohen, bösartigen Naturen, welche – um ein diskretes Wort Nietzsches zu gebrauchen – physiologische Missverständnisse so gern ins Moralische umlügen. Und nur das Typische, nicht das Spezielle war Gegenstand der Betrachtung. Da aber nun mal von der speziellen Kinderstube die Rede gewesen ist, scheint es doch, daß Nestle´s Kindermehl ihrem Sprößling wohler getan hätte, als Beethoven.
Kajetan
Wiener Mittagszeitung, 27.11.1922
Wieder ein Nacktabend
Diesmal heißt die mutige Frau, die ihren schönen Körper nackt zur Schau stellt, Claire Bauroff. Alles Marktschreierische wird vermieden. Claire Bauroff weiß, daß das großartige Ebenmaß ihrer Nacktheit weder eines Lacks noch eines Lakels bedarf, weder eines Kosmetikums noch eines „ritterlichen Verteidigers“ – es wirkt überwältigend, weil das hehrste Wunder der Natur, der hüllenlose junge Frauenleib, unbeklekst und unerotisch gezeigt wir d.
Auch die Bauroff ist keine begnadete Tänzerin. Der erste Teil ihres Nacktabends in der Sezession verzichtet auf die Musik. Diese Neuerung ist wärmstens zu begrüßen. Dadurch kommt der Rhythmus zur Geltung, der in den Proportionen des Frauenkörpers liegt (...).
Im Tanz hat Claire Bauroff vorläufig nicht viel neues zu sagen. Die Sprache ihrer Tänze auf Musik liebt die Abwechslung. Es wird in Po-esie und Prosa deklamiert. Von Profanierung solcher Musik, die nie für Tanzereien geschrieben war, will Claire Bauroff nichts wissen. Sie ehrt dadurch sich selbst und die Schönheit ihrer malerischen Frauenjugend.“
K.
Gefunden vom MS Schrittmacher Team in Die Muskete 1.1.1923
Gefunden vom MS Schrittmacher Team in Rudolf Herrmann, Kampftag gegen die Ratten VolksZeitung 17.12.1922
Gefunden vom MS Schrittmacher Team in – Der Montag mit dem Sport-Montag 18.12.1922 , S.2
Sie will keine Nackttänzerin sein
Intime Bekenntnisse der Tänzerin Anita Berber.
Der Portier des Hotels „Erzherzog Karl“ spricht mechanisch ohne aufzusehen: Anita Berber, zweiten Stock, 122.“
Und wir klopfen schon an die Tür. Ein großer schlanker Mann mit Brillen erscheint in der halbgeöffneten Tür:
„Womit kann ich dienen?“
Wir stellen uns vor. Er tut dasselbe.
„Sebastian Droste mein Name.“
Herr Droste ,der Tanzpartner der Anita Berber, teilt uns mit, daß die Künstlerin im Bette liegt und leider nicht empfangen kann. Eine Frauenstimme tönt drinnen:
„Aber Engel, er geniert mich nicht.“
Wir sitzen beim Bette der Beber…Sie ist stark geschminkt, trägt zur Zeit kurz geschnittene rote Haare (früher einmal war blondes Haar die Mode), eine rohseidene Hemdbluse und eine Seidendecke. Die Hemdbluse steht vorne an der Brust – offenbar aus Zerstreutheit – offen und gewährt dem Beobachter eine nicht uninteressante Perspektive
Im Zimmer selbst stehen und sitzen drei gut gekleidete junge Leute herum, die gierig jedem Blicke und jeder Bewegung der Künstlerin folgen. Der eine, Herr Droste, spricht mit einer gelangweilten Miene über den Skandal der vergangenen Tage. Wir wenden uns an Anita Berber und bitten sie, die Geschichte ihrer Verhaftung zu erzählen.
„Es war vorgestern, Mittwoch. Um 12 Uhr klopfte man an die Tür. Wie lagen noch beide – sie zeigte auf Droste – im Bett. Wir fragten:
´Wer da?`
`Die Polizei´
Wir mussten natürlich die Tür öffnen. An der Tür drangen
zwei Detektive und zwei Wachleute
in das Zimmer ein. Ihnen folgten die Theaterdirektoren, die die Anzeige erstattet haben. Der eine Detektiv hielt eine feierliche Ansprache an mich und meinen Bräutigam, deren Schluß war, daß wir somit verhaftet seien und uns sofort ankleiden und mitgehen müßten.“
„Und haben Sie diesem Befehl auch Folge geleistet?“, fragen wir.
„Ist mir nicht im Traum eingefallen“, erwiderte Anita Berber.
„Wir telefonierten unserem Rechtsanwalt, der kurz nachher erschien. Dann folgten erregte Szenen.
Die beiden Rechtsanwälte, die Direktoren und Detektives disputierten hier im Zimmer von 2 Uhr bis 7 Uhr abends. Inzwischen stand die Angelegenheit für uns des öfteren so schlecht, daß wir neuerlich aufgefordert wurden, der Wache zu folgen. Schließlich kam ein Übereinkommen zustande, wonach alle drei Direktoren auf mein Auftreten verzichten. Nun trete ich nirgends auf. Basta.“
„Haben Sie die Absicht Wien zu verlassen?“
„Ja, aber vor meiner Abreise gastiere ich in den Kammerspielen mit Herrn Droste. Vom 21. Dezember angefangen. Am 3. Jänner bin ich schon in Paris.“
„In welchen Lokalen treten Sie in Paris auf?“
„Im Champs Elysées und im Palais Royal.“
„Was sind Ihre weiteren Pläne?“
„Nach meinem Pariser Aufenthalt fahre ich wahrscheinlich nach Budapest. Dort ist jetzt ein neues Etablissement, das Pail Mail, eröffnet worden. Man bietet mir eine Monatsgage von zwei Millionen Ungarnkronen (60 Millionen österreichische Kronen. Anmerkung der Redaktion) und volle Verpflegung im Hotel Ritz an. Was später geschehen wird…wie soll ich´s wissen…“
Und Anita Berber lacht.
Auf die Bitte, über ihre Vergangenheit zu erzählen, berichtet Sie, sie tanzt seit sieben Jahren.
„Seit meinem fünfzehnten Lebensjahr, bitte.“ – Anita lacht – „Jetzt können Sie sich leicht ausrechnen, wie alt ich bin.“
Sie ist noch tatsächlich jung, jung und frisch, trotz der Schminke. Sie erzählt weiter.
„Mein eigentlicher Entdecker war der Filmregisseur Richard Oswald. Ich trat in den großen Prostitutionsfilmen der „Mico“ auf. Dann tanzte ich in verschiedenen Varietes. Und nun bin ich da.“
„Verzeihen Sie mir eine wirklich indiskrete Frage“, stottern wir. „Eine Legende wird seit Wochen in Wien verbreitet, eine Legende, die Sie zur gleichen Zeit sehr lasterhaft und auch äußerst tugendsam erscheinen läßt. Man spricht einerseits, daß Sie in der Liebe Kinder und Frauen dem männlichen Geschlecht vorziehen, andererseits, dass Sie noch nie einen Mann kennen gelernt haben“
Anita Berber gerät fast in Wut:
„Hauptsächlich die letztere Behauptung ist eine infame Lüge. Sie können es ruhig schreiben. Ich bin doch eine geschiedene Frau. Und schreiben Sie, bitte“ – bei diesen Worten streift ihr Blick fast zärtlich Herrn Droste – „daß ich gerade im Begriffe bin ein zweitesmal zu heiraten.“
„Warum betonen Sie so ausdrücklich die Lügenhaftigkeit der letzteren Insinuation?“
„Auch die erste ist eine Lüge“, antwortet Anita Berber, Sebastian Droste fällt ihr in das Wort.
„Lesbos ist versunken wie die legendäre Stadt Vineta, oder der Weltteil Atlantis.“
„Sie haben etwas aus Ihrer Vergangenheit verschwiegen. Sie hatten bereits einen Zwischenfall in Österreich? Vor zwei Jahren, am Semmering?“
„Ach“, sagt sie lachend, „auch das ist in Wien bekannt! Diese Journalisten…“
Und sie erzählt uns, daß sie vor zwei Jahren einige Wochen am Semmering verbrachte, wo ihr beim Rodelfahren zwei Ungarinnen „zwischen die Beine gefahren sind“.
„Ich verprügelte die beiden solange ich mich rühren konnte“, beendete Anita Berber ihr Geschichtchen mir rührender Einfachheit.
Herr Droste übernimmt nun das Wort:
„All´ dies, und noch viel mehr aus der Vergangenheit der Frau Berber wird in unserem gemeinsamen Werke, das jetzt im Gloriette-Verlag erscheint, veröffentlicht. Der Titel des Buches ist: `Die Tänze des Lasters, des Grauens und der Ekstase´.“
„Ein intressesanter Titel…“
„Ja“ - fällt uns Frau Berber ins Wort – „und Gedichte von mir werden in dem Buche veröffentlicht. Expressionistische, natürlich.“
„Frau Berber ist auch eine hervorragende Kunstzeichnerin“, assistiert Herr Droste. „Noch eines will ich feststellen“, sagt jetzt Anita Berber ernst. „Ich bin keine Nackttänzerin. Das griechische liegt mir nicht, ich verabscheue die klassischen Tänze. Und doch schildert man mich überall als Nackttänzerin.“
Also hat man der armen Tänzerin wirklich unrecht getan? Oder hat auch das Publikum sowie der Besucher weit mehr von hüllenloser Schönheit Anita Berbers geschaut, als sie eigentlich selbst zeigen wollte…?
Gefunden vom MS Schrittmacher Team in - Der Montag mit dem Sport-Montag 18.12.1922, S2
Interview