Sacre
Mauro de Candia Gregor Zรถllig Mary Wigman
[ Foto ] Hsiao-Ting Liao, Dirk Kazmierczak
SACRE // Seite 04
FIAT LUX URAUFFÜHRUNG Mauro de Candia // Seite 18
RAUSCHEN URAUFFÜHRUNG Gregor Zöllig // Seite 32
LE SACRE DU PRINTEMPS Mary Wigman
Eine REKONSTRUKTION
SACRE
Eine Koproduktion der Dance Company Theater Osnabrück und des Tanztheaters Bielefeld FIAT LUX URAUFFÜHRUNG
Theater Osnabrück
Mauro de Candia // Bühne und Kostüme Alfred Peter // Mauro de Candia // Dramaturgie Patricia Stöckemannn // Choreographische Assiszenz Miroslaw Zydowicz // Musik Arvo Pärt: Trisagion für Streichorchester; Darf ich … ( für Violine Solo, Röhrenglocke in Cis und Streicher) © Universal Edition AG Wien
Musikalische Leitung
Choreographie
Vasna Felicia Aguilar // Saori Ando // Chris Bauer // Hsiao-Ting Liao // Noemi Emanuela Martone // Etienne Aweh // Keith Chin // Gustavo Gomes // Christopher Havner // Amadeus Marek Pawlica
TANZ
RAUSCHEN
URAUFFÜHRUNG
Gregor Zöllig // Choreographie Gregor Zöllig in Zusammenarbeit mit den Tänzern // Bühne und Kostüme Alfred Peter // Dramaturgie Diether Schlicker // Choreo graphische Assistenz Susan McDonald // Musik Steve Reich: Eight Lines. Aufführungsrechte: Boosey & Hawkes Bote & Bock GmbH, Berlin, für Hendon Music Inc.
Licht
Daniel Inbal // Solo-Violine Michal Majersky / Na Hyun Kim // Uwe Tepe // Mit dem Osnabrücker Symphonieorchester
Miroslaw Zydowicz // Korrepetition Wladimir Krasmann // Ausstattungs Irina Spreckelmeyer // Inspizienz Cornelia Schlopschnat // Technische Direktion Karl Schnabel // Bühnenmeister Thomas Buller // Beleuchtungsmeister Uwe Tepe // Technische Projektleitung Alexander Heilscher // Konstruktion Timo Baumann // Tontechnik Thilo Priess Werkstättenleiter Eckhard vom Hofe // Leiter Tischlerei Michael Schwarz // Stellv. Werkstättenleiter Alexander Heilscher // Maske Siegfried Schoder // Requisite Volker Witte // Damenschneiderei Christine Saurbier // Herrenschneiderei Thorsten Budischewski // Schlosserei Wolfram Bergmann // Dekorationswerkstatt Hans-Michael van Eijsden // Malersaal Fritz Heinrichs // Theaterplastik Alexander Gehring Trainingsleitung
assistenz
Idee und Inszenierung
Claudia Braubach // Hsuan Cheng // Anna Eriksson // Ursina Hemmi // Brigitte Uray // Gianni Cuccaro // Dirk Kazmierczak // Tiago Manquinho // Wilson Mosquera Suarez // Simon Wiersma
TANZ
Theater Bielefeld Musikalische Leitung Alexander Kalajdzic / Elisa Gogou // Solo-Violine Simon Monger / Luitgard Goette // Licht Peter Lorenz // Mit den Bielefelder Philharmonikern
Susan McDonald // Tanztheater-Korrepetition Evelyn Knorre-Bogdan // AusOlga Gromova // Technische Direktion Reinhard Hühne // Produktionsleitung Christa Beland // Technische Einrichtung Karin Kurk // Inspizienz Michela Saulig // Ton Thomas Noack // Christian Frees // Falko Heidemann // Michael Stellbrink // Masken und Frisuren Ute Köring // Leiter der Kostümabteilung Thomas Wittland // Kostümassistenz Katja Menninger // Gewandmeisterinnen Katrin Mondorf // Silke Wille // Requisite Anke Freyer // Vorstand des Malersaals Edgar Hahn Trainingsleitung
stattungsassistenz
LE SACRE DU PRINTEMPS
EINE REKONSTRUKTION
Ein Tanzfonds Erbe Projekt Choreographie Mary Wigman // Rekonstruktion Henrietta Horn (künstlerische Leitung) // Susan Barnett // Katharine Sehnert // Beratung und Unterstützung Brigitta Herrmann // Emma Lewis Thomas // Susanne Linke // Bühne und Kostüme Alfred Peter (nach Wilhelm Reinking) // Projektleitung Patricia Stöckemann // Assistenz Susan McDonald // Miroslaw Zydowicz // Musik Igor Strawinsky: Le Sacre du Printemps. Aufführungsrechte: Boosey & Hawkes Bote & Bock GmbH, Berlin, für Hawkes & Son (London)
Vasna Felicia Aguilar / Hsuan Cheng / Anna Eriksson / Hsiao-Ting Liao / Brigitte Uray / Kathrina Wilke // Der Weise Dirk Kazmierczak // Mütterliche Gestalt Claudia Braubach // Zwei Priesterinnen Chris Bauer // Da Soul Chung // Ein Liebespaar Saori Ando / Ursina Hemmi // Tim Gerhards / Wilson Mosquera Suarez // Ein Jüngling Gianni Cuccaro / Gustavo Gomes / Tiago Manquinho // Anführer des Männertanzes Gianni Cuccaro / Amadeus Marek Pawlica // Chor der Mädchen Vasna Felicia Aguilar // Saori Ando // Hsuan Cheng // Anna Eriksson // Ursina Hemmi // Anne-Hélène Kotoujansky // Hsiao-Ting Liao // Noemi Emanuela Martone // Brigitte Uray // Léa Thomen // Kathrina Wilke // Chor der Jünglinge Etienne Aweh // Keith Chin // Gianni Cuccaro // Tim Gerhards // Gustavo Gomes // Christopher Havner // Tiago Manquinho // Wilson Mosquera Suarez // Amadeus Marek Pawlica // Simon Wiersma // Die Gruppe der Ältesten Miroslaw Zydowicz // Statisterie des Theaters Bielefeld (Maximilian Blasius, Patrick Kaminski, Hans-Jürgen Neumann, Helmut Ritz, Christian Schütz, Norbert Steidl) Die Erwählte
Die Abendbesetzung entnehmen Sie bitte dem Aushang im Foyer.
Premiere Osnabrück 09.11.2013, Theater am Domhof // Premiere Bielefeld 17.11.2013, Stadttheater Aufführungsdauer ca. 2 Stunden, eine Pause (nach Rauschen) Die Uraufführung Le Sacre du Printemps von Mary Wigmans fand am 24.09.1957 an der Städtischen Oper Berlin statt. In Rauschen wird Stroboskoplicht eingesetzt. Details erhalten Sie an der Infotheke.
»Le Sacre du Printemps« wird gefördert von TANZFONDS ERBE – Eine Initiative der Kulturstiftung des Bundes
[ Foto ] Hsiao-Ting Liao // Christopher Havner
URAUFFĂœHRUNG
FIAT LUX Mauro de Candia
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[ Foto ] Hsiao-Ting Liao
Die Diagonale als Referenz Mauro de Candia über »Fiat Lux« Le Sacre du Printemps ist das Referenzstück dieses Abends. Wenn ich an das Werk denke, habe ich immer ein großes Ensemble vor Augen. Eine Architektur von Gruppen, die sich im Raum bewegen. Choreographische Formen, die Situationen schaffen und etwas erzählen. Und natürlich die Herausforderung, die die Musik an den Choreographen stellt. Die Gruppe, ihre Architektur in der Bewegung, die Struktur der Formen, ihre Geometrie waren Elemente, mit denen ich konzeptionell in Fiat Lux gearbeitet habe. Darüber hinaus ging es mir um die Emotionalität und die Konnotationen, die sich über die choreographische Struktur, das Licht und die Musik von Arvo Pärt herstellen. Das erste Bild, das mir in den Sinn kam, als ich Trisagion von Pärt hörte, war
das Licht als eine Reise im Raum und in einer anderen Dimension. Ich fand die Idee schön, weil die Aspekte Licht – Dunkelheit, Raum – Tiefe eine gedanklich-ästhetische Linie meiner Arbeit fortsetzen. Choreographisch greife ich, als Referenz, die Raumdiagonale auf, die in Wigmans Sacre die Mittelachse der Boden-Ellipse bildet. Das ständige Changieren zwischen Symmetrien und Asymmetrien in Fiat Lux findet in der Reihenbildung auf dieser Diagonale zur Ruhe. Mit diesem sehr deutlichen Bezug wollte ich zu Sacre von Mary Wigman überleiten und eine choreographische Verbindung schaffen. Für mich ist Fiat Lux zugleich die Vorbereitung auf und die Konfrontation mit Le Sacre du Printemps innerhalb eines Abends.
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[ Foto Oben ] Saori Ando // Etienne Aweh // Chris Bauer // Amadeus Marek Pawlica [ Foto unten ] Etienne Aweh // Chris Bauer // Gustavo Gomes // Keith Chin
[ Foto ] Etienne Aweh // Keith Chin // Christopher Havner // Hsiao-Ting Liao // Saori Ando
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[ Foto ] Etienne Aweh // Keith Chin // Noemi Emanuela Martone // Chris Bauer // Saori Ando // Amadeus Marek Pawlica
[ Foto ] Ensemble
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[ Foto s] Ensemble
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[ Foto Oben ] Gustavo Gomes // Hsiao-Ting Liao // Keith Chin // Christopher Havner // Noemi Emanuela Martone // Amadeus Marek Pawlica [ Foto unten ] Ensemble [ Foto links ] Gustavo Gomes // Chris Bauer // Hsiao-Ting Liao // Christopher Havner // Keith Chin // Saori Ando
[ Foto ] Tiago Manquinho
URAUFFร HRUNG
RAUSCHEN Gregor Zรถllig
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[ Foto ] Gianni Cuccaro // Wilson Mosquera Suarez // Ursina Hemmi // Hsuan Cheng // Simon Wiersma
Rauschen Annäherung an einen Begriff Rauschen bezeichnet ein akustisches Phänomen, welches aus einer Vielzahl von Tönen und Geräuschen besteht, die vom Hörer nicht mehr klar unterschieden werden können und deren Quelle nicht eindeutig ausgemacht werden kann. Die Physik versteht unter Rauschen allgemein eine Störgröße mit einem breiten und unspezifischen Frequenzspektrum. Die wahrnehmbare Diffusität des Rauschens ist somit das Gegenteil alles Konkreten und Unterscheidbaren. Beispiele eines akustisch wahrnehmbaren Rauschens sind das Rauschen in der Natur (Bäume oder fließende Gewässer), das Rauschen des Verkehrs oder der Industrie, das Rauschen in elektrischen Kanälen oder das Rauschen des eigenen Organismus. Gleich welches Rauschen, es bleibt immer schwer bestimmbar. In der deutschen Romantik um 1800 wird das Rauschen der Natur zu einem stark beachteten Phänomen. Rauschen verweist hier zum einen auf etwas Geheimnisvolles und Rätselhaftes, zum anderen steht es für den Gegensatz zu Ordnung, Struktur und klarer Bedeutung und verweist somit auf Unordnung, Chaos oder gar Störung. Das Rauschen nimmt Einzug in die Literatur. Kaum ein Dichter dieser Zeit, der diesen Begriff auslässt. Dieses Phänomen wird als Gegenbewegung zur Aufklärung verstanden, welche das Rationale und die Klarheit im Ausdruck bevorzugte. Nun will aber die Romantik gerade das eigentlich Unsagbare sowie unerklärliche Phänomene der Natur zum Gegenstand von Literatur machen. Besonders der undurchdringliche, dunkle Wald und das unaufhörlich fließende Ge
wässer haben die Dichter inspiriert. Gerade das Geheimnisvolle, Vage und Unbestimmbare des Natur-Rauschens wurde in den Vordergrund gestellt. Im Zeitalter der Moderne erhält der Begriff des Rauschens eine Erweiterung und gewinnt somit an Bedeutung. Mit der Industrialisierung der Gesellschaft, mit dem Entstehen der Großstädte sowie mit der Entwicklung des motorisierten Verkehrs bezieht sich das Rauschen nun nicht mehr nur auf in der Natur vorkommende Geräusche, sondern auch auf den Sound des modernen Lebens. Vor allem die Dichter des Expressionismus thematisieren das Rauschen der Großstadt, des Verkehrs und der Maschinen als Phänomen einer undurchschaubaren und unkontrollierbaren Masse, mit der sich das Individuum auseinandersetzen muss. Im heutigen digitalen Zeitalter kommt zu den Geräuschkulissen der Natur und der Industrie das Rauschen der unaufhörlichen Informationsflut. Permanente Kommunikation und Erreichbarkeit werden, im Gesamten betrachtet, zu einem diffusen Strom aus ununterscheidbaren Informationssplittern. Egal wo, egal wann, kann der heutige Mensch an diesem Datenstrom teilhaben.
Diether Schlicker
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Ac h , n i c h t das b u n t e Uf e r fl i e h e t v o r 체 b e r , s o n d e r n d e r M e n s c h u n d s e i n S t ro m ; e w i g b l체 h e n Ja h r e s z e i t e n i n d e n G채 r t e n d e s G e s ta d e s h i n au f u n d h i n a b ; a b e r n u r w i r rauschen einmal vor den G채rten vorbei und kehren nicht um.
Jean Paul
[ Foto oben ] Anna Eriksson // Brigitte Uray [ Foto links] Ursina Hemmi
[ Foto ] Anna Eriksson // Simon Wiersma // Brigitte Uray // Gianni Cuccaro
D i e i n t e r e s sa n t e s t e n Z e i t e n des Menschendaseins sind n i c h t d i e , i n w e lc h e n m a n s i c h d e r Illu s i o n h i n g i b t, sein Leben selbst führen z u kö n n e n , n a c h l i n ks o d e r r e c h ts a b z u w e i c h e n , z u beharren oder aufzugeben, sondern die, in denen man d e n F lü g e ls c h l a g d e s Sc h i c ksa ls d e u t l i c h ü b e r s e i n e m Ko p f e r a u s c h e n h ö r t.
Wilhelm Raabe
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[ Foto Oben ] Ensemble [ Foto unten ] Gianni Cuccaro [ Foto links ] Wilson Mosquera Suarez // Gianni Cuccaro
[ Foto ] Wilson Mosquera Suarez
Das Beste ist die tiefe Stille, in der ich gegen die Welt lebe und wachse und gewinne, was sie mir mit Feuer und Schwert nicht nehmen kรถnnen. Johann Wolfgang Goethe
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[ Foto Oben ] Hsuan Cheng [ Foto unten ] Gianni Cuccaro [ Foto rechts ] Ensemble
[ Foto ] Tiago Manquinho // Chris Bauer // Dirk Kazmierczak // Hsuan Cheng // Da Soul Chung // und Ensemble
Eine rekonstruktion
LE SACRE DU PRINTEMPS Mary Wigman
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L e S a c r e d u P r i n t e m ps v o n M a r y W i g m a n
Eine Rekonstruktion Vor 100 Jahren löste die Uraufführung des Balletts Le Sacre du Printemps von Igor Strawinsky in der Choreographie von Vaslav Nijinsky einen der größten Skandale in der Theatergeschichte aus. Seitdem hat Strawinskys bahnbrechende Komposition immer wieder Choreographen herausgefordert, ihre eigenen Bühnenversionen dieser einzigartigen Musik zu schaffen. Mary Wigman, eine der bedeutendsten Protagonistinnen des modernen Tanzes in Deutschland, hat ihre choreographische Umsetzung des Werks am 24. September 1957 an der Städtischen Oper in Berlin mit dem dortigen Ballettensemble herausgebracht. Nach der Premiere und einer Serie von Vorstellungen ist dieses Auftragswerk der Berliner Festwochen nie wieder aufgeführt worden. Die Idee, Wigmans Sacre-Version nach 56 Jahren auf die Bühne zurück zu holen, entstand, als von der Kulturstiftung des Bundes der TANZFONDS ERBE ausgeschrieben wurde. Er rief dazu auf, sich mit dem ver loren gegangenen Tanzerbe und Repertoire des Tanzes in Deutschland zu befassen, dieses wieder sichtbar zu machen und die Geschichte des Tanzes zu vergegenwärtigen und zu reflektieren. Der 100. Geburtstag des Balletts Le Sacre du Printemps von Igor Strawinsky und das 40. Todesjahr von Mary Wigman 2013 gaben weiteren Anlass, sich für die Rekonstruktion dieses Werkes in diesem Jahr einzusetzen. Der verhältnismäßig umfangreiche Materialbestand zu Sacre bildete die Grundlage für den endgültigen Entschluss, die Rekonstruktion zu wagen. Im Archiv der Akademie der Künste Berlin liegt der Nachlass von Mary Wigman. Dort finden sich ihre Aufzeichnungen zu Sacre –
zahlreiche kolorierte Skizzen, handschriftliche Entwürfe, Notizen, ihr Klavierauszug mit wegweisenden Eintragungen und Fotos. Ergänzendes Material hält das Deutsche Tanzarchiv Köln bereit, wo das so genannte Familienarchiv Wigmans und der Nachlass von Dore Hoyer archiviert sind. Dore Hoyer hat die Rolle des »Opfers« bzw. der »Erwählten« in Wigmans Sacre selbst kreiert und getanzt. Sie ist für dieses Werk von besonderer Bedeutung. Eine entscheidende Frage war: Wie kann man es leisten, ein solches Stück zu rekonstruieren, es aus der Zweidimensionalität der Skizzen und Aufzeichnungen in die Dreidimensionalität der Bewegung und des Raumes zu übersetzen und verantwortungsbewusst wieder auf die Bühne zurück zu bringen? Es stand sehr schnell fest, dass nicht ein Einzelner sondern nur ein Team ein solches Vorhaben realisieren kann. Und zwar ein Team, das sich durch unterschiedliche Erfahrungen auszeichnet und sich bei den vielfältigen Aufgaben, Herausforderungen und Fragestellungen bei so einer Rekonstruktion ergänzt. Letztlich ging es nicht nur um die reine Rekonstruktionsarbeit – eine akribische, »archäologische« nahezu wissenschaftliche Arbeit – sondern auch um die Probenarbeit mit den Tänzern im Tanzsaal und die Erarbeitung des Stücks für die Bühne. Deshalb mussten zu diesem Team – nicht zuletzt auch um choreographische Leerstellen in der Rekonstruktion des Stücks füllen zu können – eine Choreo graphin als künstlerische Leitung gehören, eine choreographische Mitarbeiterin sowie Zeitzeuginnen, die bei Wigman studiert, bestenfalls die Proben von Sacre miterlebt und das Stück selbst getanzt haben.
Die gewünschte Besetzung konnte gewonnen werden mit Henrietta Horn, Susan Barnett und der ehemaligen WigmanSchülerin Katharine Sehnert, unterstützt von Emma Lewis Thomas und Brigitta Herrmann aus den USA. Beide haben bei Mary Wigman in Berlin studiert und Sacre 1957 in verschiedenen Vorstellungen getanzt. Eine weitere Frage stellte sich: Wie erfolgt der Umgang mit dem Bühnenbild und den Kostümen, die von Wilhelm Reinking in Zusammenarbeit mit Mary Wigman geschaffen wurden? Mit dieser Aufgabe wurde der Bühnenbildner Alfred Peter betraut, der sich zusammen mit Henrietta Horn, dem Rekonstruktionsteam sowie den Gewandmeister/innen und den Werk stättenleitern der Theater in den Prozess einer Lösung anhand der technischen Zeichnung des Bühnenbildes und der Kostümfigurinen von Reinking sowie von Schwarz-Weiß-Fotos begeben hat. Ein separater und zugleich immer wieder auf die choreographische Rekonstruktions arbeit bezogener Prozess. Voraussetzung für das gesamte Projekt war die Mitwirkung der Archive. Ohne die Unterstützung und konstruktive Mitarbeit von Stephan Dörschel, Archiv der Akademie der Künste Berlin, Dr. Frank-Manuel Peter, Deutsches Tanzarchivs Köln und Dr. Hedwig Müller, Theaterwissenschaftliche Sammlung, Universität zu Köln wäre dieses Rekonstruktionsvorhaben schon im Vorfeld gescheitert. Um die Rekonstruktion schließlich realisieren zu können, haben sich in einer groß angelegten Kooperation die beiden Tanzensembles der Theater Osnabrück und
Bielefeld zusammengeschlossen. Sie bringen mit ihren jeweils zehn Tänzer/innen sowie fünf Gasttänzer/innen und zusätzlichen vier Akteuren das Werk gemeinsam auf die Bühne zurück. Damit wird die Anzahl der Originalbesetzung von 45 auf 29 Tänzer/innen herunter gebrochen, proportional zu den kleineren Bühnenmaßen in Osnabrück und Bielefeld. So wie bei der Uraufführung die Orchesterfassung von Le Sacre du Printemps gespielt wurde, wird das Werk auch in Osnabrück und Bielefeld live mit Orchester erklingen. Das Bayerische Staatsballett München, Kooperationspartner des Projekts, übernimmt die von Osnabrück/Bielefeld rekonstruierte Fassung von Wigmans Le Sacre du Printemps und bringt sie im Juni 2014 in München mit 45 Tänzer/innen heraus. Diese Rekonstruktion hat sich zur Aufgabe gemacht, eines der wichtigsten Ballette des 20. Jahrhunderts in der Version einer der wegweisenden deutschen Tanzschöpferinnen erneut zur Diskussion zu stellen und ein Stück Tanzerbe zu vergegenwärtigen. Gefördert wird dieses einzigartige Rekonstruktionsprojekt vom TANZFONDS ERBE, einer Initiative der Kulturstiftung des Bundes.
Patricia Stöckemann
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Tänzerische Bildfolge 1. Teil Das Fest
Introduktion Die Weihe des Festplatzes Die Entführung Feierlicher Reigen Männertanz Die Bahn des Weisen Der Kuss für die Erde Der Tanz für die Erde
2. Teil Das Opfer
Introduktion Frühlingsabend Die Erwählung Die Anrufung der Ahnen Die Bestätigung (und Verherrlichung) der Erwählten durch die Ältesten und Weisen Der Opfertanz
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Proben 1957
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1 Mary Wigman, Dore Hoyer, Majid Kashef und Lilo Herbeth 02 Dore Hoyer, Mary Wigman 03 L ilo Herbeth, Dore Hoyer, Emma Lewis Thomas und Majid Kashef 04 Else B端chner und Mary Wigman 05 D ore Hoyer und Majid Kashef 06 D ore Hoyer 07 D ore Hoyer 08 D ore Hoyer 05
09 D ore Hoyer und Ensemble 10 D ore Hoyer und Ensemble
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Mary Wigman
Von tänzerischer Gestaltung Ein telefonischer Anruf … der Hörer fällt mir fast aus der Hand. Habe ich recht gehört? Le Sacre du Printemps, Strawinskys Frühlingsweihe – Wunschtraum seit Jahren. Und nun Erfüllung? Die Phantasie beginnt zu arbeiten. Ein Gewoge von bewegten Formen steigt vor dem inneren Auge auf. Räume, Landschaften und Menschen in Bewegung. Vorsichtig tastet man sich an das Werk heran, versucht es von allen Seiten her einzukreisen, es in sich aufzunehmen. Man entdeckt und entwirrt den roten Faden, der sich als Idee durch das Ganze zieht, den Leitfaden, mit dessen Hilfe man nun selber ein vielformiges Gewebe spinnen soll – wenn auch vom Geist der Musik inspiriert und getragen – ein Eigenleben gewinnen muss, um seine szenische Berechtigung auszuweisen. Man träumt und plant, begeistert sich an den eigenen Einfällen, entwirft in schnellen Zügen eine tänzerisch bewegte Szene, die man gleich darauf verwirft, und nähert sich dabei Schritt für Schritt dem Augenblick, in dem das Reich der Phantasie dem Raum der Wirklichkeiten weichen muss. Das ist die erste Phase, die der Tanzgestalter zu durchmessen hat. Die erste und wohl auch immer die beglückendste! Denn hier ist er noch ungehemmt und ungebunden. Hier darf er der eigenen Phantasie freien Lauf lassen. Denn noch steht er nicht unter dem Gesetz von Form und Zahl, das ihm das musikalische Werk in seiner Einmaligkeit und Endgültigkeit auferlegt. Die eigentliche und für die tänzerische Gestaltung entscheidende Arbeit beginnt erst in der Auseinandersetzung mit dem
Werk als unantastbarer, unabänderlicher musikalischer Kunstform. Trotz der tiefgegründeten Verwandtschaft, die zwischen Musik und Tanz besteht, unterstehen die beiden künstlerischen Sprachen ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten, in denen sie sich häufig begegnen, aber ebenso häufig auch voneinander abweichen. Welcher Choreograph kennt sie nicht, diese geradezu teuflischen Konflikte, in die er sich gestellt sieht, wenn die beiden bisher so ausgewogen miteinander verlaufenden künstlerischen Linien plötzlich auseinanderbrechen? Für die Lösung einer solchen scheinbar geringfügigen Störung braucht es oft mehr Zeit und Überlegung als für die Durchgestaltung eines sehr viel längeren tänzerischen Ablaufs nötig war. Wer weiß um das Leid, um den stillschweigenden Verzicht des Choreographen, wenn dieser seine schönsten tänzerischen Einfälle der Unumstößlichkeit der musikalischen Struktur opfern muss? Wer ahnt etwas von dem Ringen um eine einzige Gebärde, um jenen einen kleinen Schritt, der den Übergang von einem Thema zum anderen ermöglichen würde und sich nicht finden lassen will? Man weiß zwar, dass die organische Lösung sich eines Tages von selber einstellen wird. Aber die Zeit drängt, und den Luxus des geduldigen Abwartens kann man sich nicht mehr gestatten. Denn inzwischen ist man längst in die dritte Arbeitsphase eingetreten. Die Werkproben haben begonnen, die Arbeit an und mit dem lebendigen Material, mit den Tänzern. Raumfragen werden festgelegt. Gruppierungen und ihre Auflösungen
werden ausprobiert. Gliederungen und Phrasierungen müssen überprüft und rhythmische Abläufe geübt und wieder geübt werden. Und überall wird gezählt. Die Musiker zählen und die Tänzer zählen. Es geht um Taktwerte, Akzentsetzungen, Pausen. Man versteht sich nicht immer, aber man verständigt sich. Denn die Musiker zählen im Sinn der musikalischen Struktur, während die Tänzer von der körperlichen Bewegung, vom rhythmischen Atem aus zur Zahl gelangen. Ernüchterung auf der ganzen Linie. Das Stadium, durch das jeder schöpferische Prozess hindurchgeführt werden muss, wenn er zu einem künstlerischen Ergebnis gelangen soll. Voller Sehnsucht denkt der Choreograph an die Zeit des ersten Planens und Entwerfens zurück. Bis zu welchem Grad wird sich seine ursprüngliche Konzeption den realen Gegebenheiten und Auswertungsmöglichkeiten der Szene fügen müssen? – Kunst ist nicht Nachahmung. Sie ist Erfindung. Der Choreograph und Tanzregisseur ist keineswegs nur der Übersetzer einer bereits bestehenden Kunstform in eine andere Sprache. Er ist darüber hinaus auch Erfinder und hat als solcher seine vollschöpferischen Fähigkeiten einzusetzen. Welcher Tanzgestalter möchte sich mit einer nur illustrierenden Ausdeutung der Musik begnügen? Seine Aufgabe ist es, eine Ausdrucksform zu schaffen, die aus dem Geist der Musik und aus dem Geist des Tanzes gleicherweise gestaltet ist und sich im Miteinanderwirken der beiden künstlerischen Sprachen – und im Hören und im Schauen – als organisch notwendiger Bestand der szenischen Einheit behauptet.
Es gäbe noch vieles über den Werdegang einer solchen für die Bühne bestimmten Arbeit zu erzählen: über die Geduld, die nicht etwa nur der Choreograph den Tänzern gegenüber aufzubringen hat, sondern die in weit größerem Maße die Tänzer mit ihren Choreographen haben müssen, – über die schwankenden Arbeitstemperaturen, die die Skala von fanatischer Besessenheit bis zur mechanischen Funktion, und umgekehrt, durchlaufen, – über das Austanzen des durchkomponierten Werkes, das den Tänzern die Freiheit der persönlichen Aussage zurückgibt und dem Werk als solchem den lebendig pulsierenden Atem, den es braucht, um wirken zu können, – und nicht zuletzt über den schmerzlichen Augenblick, in dem der Choreograph das ihm ans Herz gewachsene Werk abgeben muss. Das Werk hat sich vor seinen Augen verselbständigt, und er tritt davor zurück in der Erkenntnis, dass seine Arbeitsleistung und sein persönlicher Einsatz nicht mehr und nicht weniger bedeuten als »Dienst am Werk«. Wenn ich den Versuch unternommen habe, mit dem hier Gesagten ein wenig hinter die Kulissen zu leuchten, so geschieht dies nicht so sehr in eigener Sache, als vielmehr aus dem Wunsch heraus, auch dem Außenstehenden einmal einen Einblick in die tänzerische Werkstatt zu geben. Vor allem aber, um den Tänzern und Choreographen, die jahrein, jahraus an unseren Theatern mit aller ihrer beruflichen Hingabe arbeiten, den Dank abzustatten, der ihnen gebührt.
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Proben 1957 11 D ore Hoyer 12 D ore Hoyer und Majid Kashef [ vorne ], Emma Lewis Thomas und Lilo Herbeth [ dahinter] 13 D ore Hoyer 14 D ore Hoyer und Ensemble 11
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Mary Wigmans notizen
Die Grundidee des Strawinsky Balletts Frühlingsweihe ist die Idee der erdhaften Schwere. Der Maler ( Roerich) musste das Starre, Krustige der Erde, die noch der Winterschlaf gefangen hält, darstellen. Der Musiker die elementare Gewalt des durchbrechenden Frühlings, das schmerzhafte Knospen jungen Lebens. Die Tänzer – und hier lag eine wesentliche Neuerung auf dem Gebiet des Balletts und des Tanzes überhaupt – mussten die Schwere der Erde darstellen. Sie mussten ihre Körper belasten, sie zu schweren Gewichten werden lassen: vor allem die tanzende Priesterin in ihrem Schlusstanz, der die harte, verkrustete Erde bezaubern, elektrisieren, der sie anfeuern soll, neues Leben zu treiben, sich zu verjüngen. Die Tänzerin muss die ganze Last der Erde auf sich nehmen, um sie in den Rausch einer Erneuerung des Lebens zu versetzen. In Frühlingsweihe ist es demnach die Idee der Schwere, die der einzelne Künstler in den Grenzen seines Materials schöpferisch darzustellen hatte – die Idee der Schwere, die zugleich das Werk als Ganzes künstlerisch durchformte. Prähistorisch, mythisch ist diese Welt, in der durch tiefst symbolische Riten der Frühling celebriert wird.
Das Panische nicht vergessen! Die Erde, Urkern alles Lebens, wird geweiht. Sie wird verkörpert und geküsst. Der Frühling, Erwecker der Erde, Symbol ewiger Neugeburt, wird celebriert. Cortège du Sage wie ein Klangrest der Steinzeit – der Älteste des Geschlechts, dieser uralte, heilige Mann, dieser fast versteinerte Weise – der Älteste küsst die Erde. Urritus heidnischer Naturvölker. Die Nacht der Tag- und Nachtgleiche, nach heidnischem Glauben der Zeitpunkt der Erweichung der hart verkrusteten Erde, der Schneeschmelze, des beginnenden Wachstums, wird klingend gemacht. Plein-air, man spürt das »Air« dieser Nacht, das geheimnisvolle erste Rauschen, Säuseln des Frühlings – das Tasten des halbbewussten Menschen, der »wie im Dunkeln geht, ohne die Gegenstände zu sehen, und der, unsicher vor Befangenheit und Bangigkeit, um sich schaut.« Frost wird zum Frösteln, zum Erschauern des Urmenschen, des Primitiven vor der Allmacht der Natur – der zuckende Schmerz der Erde, deren Eisdecke zuschmilzt, deren Krusten aufbrechen, um neuem Leben Raum zu schaffen, wird sinnbildhaft zum Schmerz des gebärenden Menschen, der Mutter – im übertragenen Sinn des schöpferischen Menschen.
Das Menschenopfer ist Sinnbild des Opfers, das jeder einzelne Mensch durch seinen Tod dem Leben bringen muss, auf dass es in seinem Fluss nicht gehemmt wird. Das Leben erkauft sich durch den Tod – das pessimistisch – schmerzhaft – symbolische Grundmotiv des 2. Teiles Das Opfer.
Lobpreisung der Auserwählten: Ausdruck robuster Kraft, Incarnation manisch-religiöser Verzückung männlichen Urstammes.
Der archaisch-sakrale »Kuss der Erde«, das Stampfen, Auflockern des Bodens, die Beschwörung der Ältesten, Anrufung der Ahnen, das vulkanische »Austanzen der Erde«.
Form A – B – A – C – A
Die Art, wie im zweiten Teil die Tänzerin die Erde hypnotisiert, sie in den Taumel einer Erneuerung des Lebens versetzt – bereits in diesem gesamten dichterschen Vorwurf trägt das Ballett die Prägung eines genial concipierten, zutiefst religiösen Bühnenwerkes. Es ist eine Natur-Religion des primitiven Menschen, der mit der Erde aufs Engste verbunden lebt. Die dichterisch-religiöse Welt dieses Balletts regte Strawinsky zu einer mehr als congenialen Musik an. Durch die Tongestaltung erdhafter Urschwere – 1. Teil – und convulsivisch aufzuckenden Urschmerzes – 2. Teil – aus tänzerischem Geist wurde das Musikschaffen der Gegenwart von Grund auf revolutioniert.
Opfertanz: schmerzhafte Verzückung der todgeweihten Priesterin.
Bebende Bewegung – beharrliche Bewegung – bis zum Erklimmen der nächsten Stufe. – Bohrend – atemberaubend – allmählich sich Aufzehren, sich Ausgeben. Frühlingsweihe: Apotheose schöpferischen Schmerzes. Geburt des Frühlings – Geburt des Menschen – unter unsäglichen Schmerzen, krampfhaften Zuckungen.
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Proben 1957 16 Majid Kashef [ mit Strick], Emma Lewis Thomas [ Ganz hinten], Friedel Herfurth [ in gestreifter Bluse ], Lilo Herbeth [ erh채lt die Krone ], Dore Hoyer und Gudrun Leben [ rechts ] 17 D ore Hoyer und Ensemble 18 D ore Hoyer und Ensemble 19 D ore Hoyer und Ensemble
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Mary Wigman
Über die Inszenierung von Strawinskys »Le Sacre du Printemps« Die Vorstellungswelt des Werkes leitet sich von jenem uralten Quellbezirk ab, in dem der Tanz, als eine der künstlerischen Sprachen des Menschen, dereinst seinen Gestaltungstrieb empfing. Denn er wurzelt im Bereich eines theatralischen Geschehens, das Darsteller und Zuschauer in gläubiger Übereinstimmung als Einheit umfing: im Kultischen. In dieser Rück bezogenheit auf Urtümliches und Urzeitliches, auf Mythos, Sage und Legende, auf Gemeinschaftserleben und Gemeinschaftsgestaltung, liegt die Faszination, die das Werk allein schon vom Stoff her auf den Tanzgestalter ausübt. Die rhythmische Kraft der Musik ist er regend, aufpeitschend, überwältigend. Die Großartigkeit des vielfarbigen und vielformigen Klanggewebes ist nicht leicht zu entwirren, und ihr spezifisch tänzerischer Bestand tritt nicht sofort in Erscheinung. Bis zu welchem Grad ist die Musik überhaupt »tanzbar«? Der üblichen Interpretation eines für den Tanz komponierten Werkes – in seinem Wechsel von pantomimisch ausgedeuteter Handlung und abstrakten Tanzformen – scheint sie sich zu entziehen. Sie gestattet keine Demonstration tänzerisch-technischer Brillanz und versagt sich jeder Art der Überbauung durch nur szenisch bedingte Wirkungen. Durch konzertante Aufführungen ist uns das Werk so vertraut, daß wir es als zeitnahe Musik empfinden und erleben. Darum vermochte ich den »Bildern aus dem heidnischen Rußland« weder einen archaisch-barbarischen Charakter noch das Gewand einer opernhaft-dekorativen Ausstattung zu geben. Ich sah sie vielmehr in einen gewissermaßen zeitlosen Raum gestellt, der die Wahrung ihrer kultisch
bedingten Ideenwelt gestatten und den tänzerisch bewegten Gesamtablauf als Raumsprache verdeutlichen würde. So wurde die Frühlingsweihe kein Ballett, keine dramatisierte Tanz-Pantomime, sondern erhielt ihre szenische Fassung in einem chorischen Bewegungsgeschehen, das die musikalischen Inhalte und Vorgänge in großen Linien versinnbildlichen sollte. Diese Inhalte stützen sich auf urzeitliche Begebenheiten, auf Sitten und Gebräuche eines Volksstammes, der in grauer Vorzeit seine religiösen Vorstellungen zu symbolhaften Bildern und Formen verwoben und in der kultischen Feier seiner Frühlingsweihe gestaltet hatte. Von Generation zu Generation überliefert, wurde dieses heilig gehaltene Symbolgut als rituelles Begängnis dargebracht und dargestellt: im Tanz. Denken und Fühlen des noch ganz natur verbundenen Stammes war der Erde zugewandt. Sie stand im Mittelpunkt aller gläubigen Verehrung als die Urmutter, die Leben schenkende und Leben bewahrende große Göttin, die über Werden und Vergehen in der Natur bestimmte und auch das Schicksal des Stammes in ihrer allmächtigen Hand hielt. Jedes Jahr, wenn die Erde aus ihrem Win terschlaf erwacht und ihren Schoß aufs Neue der Sonne darbietet, wenn das große Jubilate der Lebensneuerung in allen Geschöpfen der Erde aufklingt, dann rüstet sich der Stamm zur Feier seines höchsten Jahresfestes, zur Einsegnung des Frühlings. Der von alters her für dieses Fest bestimmte Tanzplatz wird aufs Neue geweiht, und unter der Führung der Ältesten, der Mütter und Weisen bringen die jungen Menschen der wiedererblühenden Erde ihre tänzerische Huldigung dar. Im festlich beschwing-
ten Reigen, im Liebesspiel der Entführung, in feierlichem Schreiten und demütigem Sich-Beugen, im straffen Rhythmus eines männlichen Tanzes werden die geheimnisvollen Kräfte der Erde beschworen und verherrlicht. Ehrfürchtig neigt sich der Weise des Stammes und segnet den Heimatboden mit dem Kuß der Liebe, unter dem die Erde aufbricht und sich dem rhythmischen Pulsschlag der tanzenden Jugend vermählt. Wenn die Nacht heraufsteigt und ihre dunklen Schatten über die Erde breitet, wenn das Abendlied der Vögel verstummt und die jungen Menschen in zärtlichem Liebesgeflüster über den stillen Tanzplatz schreiten, dann ist die Stunde gekommen, die seit Menschengedenken den dramatischen Höhepunkt des Festes bildet, die Stunde des Opfers. Das Mädchen, das in stiller Versunkenheit den Tanzplatz betritt, ist die Auserwählte, die vor allen anderen Erkorenen und von den Ältesten des Stammes für würdig befunden wurde, das Frühlingsopfer zu vollziehen. Ihr ist die liebende Hingabe an einen anderen jungen Menschen versagt. Getragen von dem Glauben an die magischen Kräfte reiner jungfräulicher Selbsthingabe, wird sie im Rausch des ekstatischen Opfertanzes ihr Blut verströmen und damit ihrem Stamm den Segen der Erde aufs Neue erwirken. Sie weiß um ihre Bestimmung. Denn an den langen Winterabenden wurde sie von den Müttern in die Geheimnisse des Rituals eingeweiht, im Ertragen und Erdulden, im Sich-Versenken und Sich-Erleuchten von ihnen unterwiesen. Sie werden ihr auch in den letzten und schwersten Augenblicken der Selbstüberwindung und Selbstentäußerung beistehen. Ein altes Hirtenlied erklingt. Seit
undenklichen Zeiten hat es die Stammesmitglieder zu der düsteren Feierlichkeit des Frühlingsopfers zusammengerufen. So strömen sie auch heute herbei, um die Sakraltänzerin mit den Attributen des Opfertanzes zu schmücken. Gefesselt und gekrönt wird sie der Erde anheimgegeben und dem Himmel dargeboten – in einer symbolischen Gebärdenhandlung, durch die man die göttlichen Elemente miteinander zu versöhnen glaubte. Schweigend und in banger Erwartung verharren die Menschen. Ist nicht ihr Stammesschicksal in die asketische Gestalt der Tänzerin gelegt? Wird sie das Opfer vollbringen, und wird es angenommen werden? Von Fessel und Krone befreit, beginnt sie zu tanzen. Unter den rhythmischen Stößen, den aufpeitschenden Zuckungen scheint der tanzende Körper zerbrechen zu wollen, um immer wieder von Neuem der Anziehungskraft der Erde zu trotzen und sich Schritt für Schritt durch die verschiedenen Phasen des Opfertanzes hindurchzukämpfen. In wollüstiger Raserei über den Erdboden gejagt, überwältigt und wie ans Kreuz geschlagen – in schwerelosem Fliegen und triumphaler Entrücktheit aufwärts getrieben – bis zu den letzten verzückten Gebärden des körperlichen Sich-Auslöschens, in denen der symbolische Opfertod gipfelt. Die Frühlingsweihe ist vollzogen. Das Opfer wurde gebracht und ward angenommen. Aufs Neue weiß sich der Stamm in der Gnade der Erde und in der Verheißung ihres Segens.
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Tagebucheintragungen und Briefe
(Ein gezeichneter Pfeil verweist auf einen zweiten aufgeklebten Zeitungsausschnitt)
Mary Wigman hat ihre Arbeit an Le Sacre du Printemps in ihrem Tagebuch und vor allem in ihren Briefen an ihre engste Vertraute, ihre Cousine Martha Reuther beschrieben. Mary Wigmans Schreibweise ist in diesen Auszügen beibehalten.
[…] Auf einer Pressekonferenz berichtete Tatjana Gsovsky gestern über ihre vergangene und zukünftige Arbeit mit dem Berliner Ballett. […] Daß Mary Wigman – wie die B.Z. gestern meldete – während der Berliner Festwochen Strawinskys „Le Sacre du Printemps“ inszenieren wird, erfülle sie mit gro-
ßer Freude. „Soll die Mary sich damit abquälen, die Solistin auszuwählen. Ich bin froh, daß ich mal abseits stehen darf und zusehen kann!“ Dies der „kollegiale“ Kommentar der Künstlerin Gsovsky zu dem Auftrag, den die Künstlerin Wigman bekam.
2 4 . 0 2 . 5 7 / / Ta g e b u c h Heute ist der 24. Februar. Am 15. Januar erhielt ich die Einladung zu Sacre – ich habe es nicht erreicht mit Westermann noch mit Ebert auch nur einmal zu sprechen ... und sehe bereits rot.
(Auf die Tagebuchseite aufgeklebt ist ein Zeitungsartikel, vermutlich aus der Berliner Zeitung)
Der Kultursenator ruft – Mary Wigman und andere Es ist etwas sehr wichtiges geschehen. Wichtig für das Berliner Kunstleben – ganz besonders für die kommenden Berliner Festwochen im Herbst: der Kultursenator Professor Tiburtius, hat Mary Wigman eingeladen, während der Festwochen an der Städtischen Oper Strawinskys Ballett „Le Sacre du Printemps“ („Frühlingsweihe“) zu inszenieren. Abwechslung! Mal endlich, Herr Senator! Die B.Z. hat vor zwei Monaten also nicht umsonst darauf aufmerksam gemacht, daß Berlin als Theaterstadt es sich
nicht leisten könne, Mary Wigman, die international bedeutendste deutsche Tanzschöpferin, nach Mannheim gehen zu lassen. Die B.Z. hatte auch festgestellt, daß der Stil des Balletts der Städtischen Oper Abwechslung braucht, wenn er nicht in Monotonie erstarren will. Jetzt wird Mary Wigman an den Berliner Festspielen teilnehmen. Wenn überhaupt eine Attraktion Ausländer zu den Berliner Festspielen locken könnte (zahlende Gäste) – dann eine Mary Wigman-Inszenierung. […]
Wie soll es denn etwas werden, wenn es mit Stunk beginnt? Wie gelingen wenn man auf nichts anderes als Ausweichung und Verschiebung trifft.
28.02.57 // Brief an Martha Reuther Ach, Liebste, schwere Tage waren es für mich, in denen ich wieder einmal einen jener Konflikte mit mir auszufechten hatte, die mein ganzes Leben durchzogen und bestimmt haben. Die Konflikte zwischen persönlichem und künstlerischem. Natürlich trug auch dieses Mal wieder die künstlerische Aufgabe den Sieg davon. Ich fliege nicht nach U.S.A. im Frühling. Dieser Verzicht ist mir entsetzlich schwer gefallen, nachdem ich mich innerlich ganz darauf eingestellt hatte und auch schon Flugpläne etc. studiert hatte. – Ich werde die Sacre du Printemps hier machen. Aber nicht einen Augenblick hatte ich damit gerechnet, dass diese Arbeit mir einen solchen Strich durch die Privatrechnung ziehen würde. Hatte selbstverständlich angenommen, dass die Einstudierung nach den Theaterferien, vom 6. August bis Ende September stattfinden würde. Nun hatte ich endlich ein ausgiebiges Gespräch mit dem Intendanten der West Berliner Oper. Und es kam alles ganz anders als der kleine Moritz es sich gedacht hatte. Ich muss mit den Proben am 1. Juni anfangen und muss das Werk bis zum 6. Juli bühnenfertig haben. Am 10. August kann es dann wieder aufgenommen werden, aber nur noch für die Gesamtproben auf der Bühne. Die Première soll um den 20. September sein. Das heißt für mich schon jetzt mit allen Fasern in das sehr schwierige musikalische Werk eindringen, Pläne zu machen, Stichproben in der Schule, einen geeigneten Bühnenbildner finden, Kostüme bestimmen. Ich muss es 100 % vorbereiten, denn die Arbeit mit der zwar sehr guten aber nur, nur, nur auf Ballett eingestellten und eingeschulten Tanzgrupe wird mehr als einen Nervenstrang kosten. Unter diesen Umständen wär es Wahnsinn gewesen davon zu fliegen. Ich hätte nichts von der Reise gehabt, weil mir die Peitsche der künstlerischen Verpflichtung den Nacken und den Rücken wund geschlagen hätte. Ich musste Dir dieses noch schnell schreiben. Der Grund übrigens für diese geradezu blödsinnige Probeneinteilung liegt nicht etwa am schlechten Willen von Seiten des Theaters. Sondern an der Tatsache, dass West Berlin nur ein einziges Musiktheater, die städtische Oper hat. In keinem anderen Raum wären die
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Sacre aufführbar, die einen großen Platz für das riesige Orchester brauchen, das nun einmal dazu gehört. In Ost-Berlin haben sie 3 große Opernhäuser! Die noch dazu alle bespielbar sind, während die große, repräsentative Charlottenburger Oper bei uns in Trümmern liegt. Schon darum sehnt man sich nach der Vereinigung von West- u. Ost Berlin! […]
11.03.57 // Brief an Martha Reuther […] Sacre du Printemps auf der Langspielplatte und dem Klavierauszug vor mir in kurzen Abständen 2 mal gehört und nachher erledigt. Obwohl ich das Werk nun so oft gehört habe, kann ich [es] im Klavierauszug immer noch nicht einwandfrei nachlesen und habe es noch lange, lange nicht etwa im Ohr. Es fasziniert mich und macht mich verrückt – aber ich muss es ja erreichen es auch nüchtern zu lesen und mich mit seiner entsetzlich komplizierten Rhythmik auseinander zu setzen. […] Schlimm ist immer wieder, dass das rein Organisatorische nicht so recht in Gang kommen will. Die leitenden Stellen mit den dazu gehörenden Männern sind partout nicht zu sprechen. Und ich kann ja auf eigene Faust nichts unternehmen, weder einen Kapell meister engagieren noch einen Bühnenbildner bestimmen. […] Über das nächste Wochenende fliege ich nach Hamburg – 3 Fliegen mit einer Klappe! – Einmal um einer Freundin, die Verlegerin bei S. Fischer und dem Christian Wegner Verlag ist und die sehr krank ist, Trost zuzusprechen, zum 2. um mir die Matinée meiner Schülerin und Assistentin Manya Chmièl anzusehen, zum 3. um mit Dore Hoyer über ihre eventuelle Mitwirkung bei den Sacre du Printemps zu sprechen. Wozu zum 4. wahrscheinlich noch ein Rundfunkgespräch zwischen 3 Tänzerinnen kommen wird. MW älteste Generation, Dore Hoyer zweite und Manya Chmièl 3. Generation. – Es würde als Abschluss der Berliner Woche in Hamburg sein und vermutlich so anständig bezahlt, dass die Flugkarte dabei herauskäme. […]
26.04.57 // Brief an Martha Reuther Und schon sehr spät in der Nacht. […] Ich habe aber wenigstens die Befriedigung doch allerlei hinter mich gebracht zu haben. Alle Nylon-Wäsche plus Blusen gewaschen und sauber im Schrank aufgehängt. […] Verabredungen getroffen mit Architektin-Freundin für morgen Abend, die versucht hat ein Plastilin Modell für den Sacre Bühnenraum zu modellieren, ferner Montag auch für den Bühnenbildner, der vermutlich die Szene gestalten soll. Und last not least den Tonbandapparat erstanden, der mir die Proben erleichtern, ja, überhaupt möglich machen soll. Es gab mir ja doch einen kleinen Stich als ich die 10 Hundert Markscheine auf den Tisch legte, auf der anderen Seite aber die Freude hochkam, dass es nun wohl doch ernstlich losgehen wird. Beim Wurschtebrot, das ich mir zum Abendessen bestellt hatte, kam Hesschen mit ihrem Radio herein: Frau Wigman, Karajan dirigiert Beethovens 9. und die Berliner Philhar-
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moniker spielen. Da versank mit einem Male die übrige Welt und als der letzte Satz mit dem großen Chor »Freude schöner Götterfunke« einsetzte, musste ich heulen wie ein Schlosshund bis es zu Ende war. Weiß nicht, ob aus Ergriffenheit oder Beklommenheit! Es war grandios! Dirigent und Musiker haben es herrlich interpretiert und ich musste daran denken, dass Beethoven ein gebrochener Mensch war, taub, als er diesen unerhörten musikalischen Satz schrieb, in dem er das Leben verherrlicht, das ihm selber nichts mehr zu bieten hatte. Mein Gott, und dann stümpert man selber an einer Aufgabe herum und bildet sich gelegentlich sogar ein »schöpferisch« zu sein! […]
05.05.57 // Brief an Martha Reuther […] Der Gesundheitsgott scheint zwar auch mir selber nicht gerade gut gesinnt. Denn er hat mir etwas auferlegt, was auch nicht gerade angenehm ist. »Vom Hunde gebissen!« Hesschen lacht zwar sadistisch, wenn sie mich sieht »in welcher Bierkneipe haben Sie sich in eine Schlägerei eingelassen?« Freitagabend war ich zu einer Party im Hause des Malers Theodor Werner eingeladen. […] Plötzlich springt der wonnige kleine pechschwarze Pudel des Hauses auf meinen Schoß, und schon war es geschehen. Er hat mich in die Nase gebissen. Es tat irrsinnig weh, das Blut strömte, und ich dachte einen Augenblick lang die Nase sei weg. Aber sie war noch da! […] Und heute […] um 5 erschienen […] 2 Musiker, um die »illegale« Bandaufnahme von der Sacre-Platte zu machen. Man braucht nämlich eigentlich eine Lizenz dafür, die ich natürlich nicht habe. Aber da dieses Band nur für Arbeitszwecke bestimmt ist, kann eigentlich Niemand was dagegen einwenden. Es dauerte bis 8 Uhr abends! Aber es klingt großartig, und ich bin einfach seelig, dass das nun da ist. Morgen Abend kommt Dore Hoyer für eine Woche hierher, um die Rolle der Sakralfigur im Sacre mit mir anzulegen. Kurzum, ich kann an Arbeitsmangel nicht klagen! […]
13.05.57 // Brief an Martha Reuther Liebste Martha, es ist doch wieder fast Mitternacht geworden bis ich mir das Gefühl eines menschlichen Individuums zurückgeben konnte. Habe mich ins behagliche Bett begeben, um Dir noch einen Gruß zu schreiben […]. Aber mach Dir keine Sorge um meinen Hundebiss! Die äußeren Verunstaltungen sind prima verheilt, man sieht keinen Kratzer mehr. […] Beichten muss ich noch, das ich arg deprimiert bin diese Tage. Sacre natürlich. Den ersten Tanz hatte ich mit meinen Schülern so weit ausprobiert, dass ich glaubte, ich könnte ihn ungefähr so einstudieren. Aber am 2. bin ich völlig gescheitert, nicht an der Idee, die nach wie vor gut ist – aber an der Musik, die tänzerisch nicht gestaltbar ist. Es wäre nicht so schlimm, wenn die Zeit nicht so drängte! Gott sei Dank ist wenigstens Dore Hoyer wieder fort! Sie ist von Natur ein Menschenfresser und derart egozentrisch, dass sie Jeden fertig macht, der mit ihr zu tun hat. Dabei werde ich mit ihr noch am allerbesten fertig! Aber es kostet halt Nerven! Und in der
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Nacht von Sonnabend auf Sonntag hatte ich zum ersten Mal seit vielen Monaten wieder diese scheußlichen Beklemmungen, die eine völlig schlaflose Nacht bedeuten. Aber auch das hat sich wieder gegeben! Ach, Liebste, diese Aufgabe, die ich mir ja zutiefst so sehr gewünscht habe, scheint wirklich der Kampf auf Leben und Tod zu sein. Ganz so schlimm wäre sie nicht, wenn ich nicht so ohne jede Hilfe von außen hier wäre. Ist es nur Mangel an rationeller Organisation, oder ist es passive Resistenz? Ich bin von Natur aus so gar nicht misstrauisch, aber ich fürchte, meine Gutgläubigkeit ist falsch am Platz. Übrigens ließ mir der Senator für Volksbildung mitteilen, dass er mir am 24. Mai das große Verdienstkreuz zu überreichen hätte. Das kleine habe ich ja schon seit ein paar Jahren. Welch eine Farce im Grunde! Mir wäre es lieber, die würden mir einen geeigneten Probenraum zur Verfügung stellen! […]
23.05.57 // Brief an Martha Reuther […] Ich ertrinke in Arbeit und muss den Tagesrhythmus mal wieder völlig umstellen. Seit letzten Monat Bühnenproben. Höllisch! Riesenraum, ahnungslose musikalische Korrepetitoren, die wie Halb-Idioten vor dem schweren Werk stehen, und den vierhändig gesetzten Klavierauszug so jämmerlich spielen, dass man damit nicht proben kann. Ich bin gezwungen eine Pianistin von mir mitzubringen, die sich für das Werk brennend interessiert und meine einzige Stütze ist. Die Technik funktioniert überhaupt nicht. D.h. die Verständigung mit der Tonband-Kabine (im Keller!) ist so mühsam, dass man endlos Zeit verliert. […] Und statt der Herz-Stärkungsspritzen, die mein Doktor mir 2 mal wöchentlich verabreichen möchte, bräuchte ich Geduld-Verlängerungs-Spritzen! […] Ich habe den ersten Tanz gestellt, d.h. in der Anlage fertig, aber nicht studiert. Den 2. als Duett mit 3 Mütterlichen Figuren dazu, und einem Mädchen- und Männerchor angelegt. Es sieht alles grauenhaft aus, aber ich denke ich werde die Konzeption beibehalten. Auch der 3. Tanz, ein feierlicher Reigen wurde versucht und kann von der Gestaltung aus so bleiben. Aber ich hätte heute heulen können, wenn ich mir die kleinen belanglosen Ballettmädchen ansah, die weder ein rhythmisches noch ein Raumgefühl haben, noch vom Stil oder vom Inhalt her angreifbar sind. Geduld – Geduld !! […] Ach ja – morgen ist wieder so ein irrer Tag. Früh von 10 bis 13 Uhr Probe im kleinen Ballettsaal, und mit den Mädchen. Um 4 in der Schule, Probe mit den eigenen Schülern, um dem Kultur-Senator, der um 5 erscheinen wird, die Schule in Tätigkeit zu zeigen. Er hat den Auftrag mir das große Verdienstkreuz zu überreichen. […] O, mein Sacre – Sacre – Sacre – immer wieder muss ich es verlassen, wenn ich gerade geschafft hatte mich in eine stille Versenkung mit ihm zu begeben! Ich möchte es ja so gern schaffen, will ihm so gern mein Herzblut geben, bis auf den letzten Tropfen!
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27.05.57 // Brief an Martha Reuther
11.06.57 // Brief an Martha Reuther
Ach, Geliebtes, ich bin ja abends nun immer total fertig und oft will auch nachts der ruhige Schlaf nicht so recht kommen.
[…] Inzwischen ging der Tag zu Ende. Von 11 bis 4 Uhr in der Oper, Probe. Um 5 Uhr zu Mittag gegessen. Punkt 6 Uhr war der Bühnenbildner bei mir, mit dem ich bis 10 Uhr (positiv!) beraten habe. Hesschen ging aus Verzweiflung ins Kino! Bin totmüde, aber beschwingt, trotz allem. […]
Und doch, und doch: es ist schön so – und wären nicht die ewigen organisatorischen Hindernisse – ich wäre restlos glücklich. Ich wage es gar nicht zu schreiben wie meine Tage aussehen. Du würdest die Hände über dem Kopf zusammen schlagen! Morgens wieder von 10 – 15 Uhr Probe auf der Bühne der Städtischen Oper. Und das bedeutet, dass ich nicht vor 4 Uhr zu Hause bin, da anschließend organisatorische Besprechungen notwendig sind. Und abends um 7 Uhr Prüfung in meiner Schule, die bis 10 Uhr dauern wird. Auch die Sonntage müssen dran glauben, mit Besprechungen mit Generalmusikdirektor, Bühnenbildner etc. Aber langsam, langsam lichtet sich das Chaos. Und das »Corps de ballet« benimmt sich soweit auch anständig. Ob das, was ich vor mir sehe und in endlosen Arbeitsstunden für mich ausdenke, aufzeichne, auszähle etwas wird, das weiß ich noch nicht. Die große, nackte Bühne, der ewige Zug, dem man dort ausgesetzt ist, die ständig überlaute Stimme, mit der man sich verständigen muss, das Prasseln der Musik durch die Lautsprecher, die schwierige Verständigung mit dem in seiner Kellerkabine amtierenden Tonbandmeister – das alles sind ungewöhnliche Beanspruchungen der Nerven. Aber ich habe auch die Leute, die Techniker und Musiker so weit, dass sie mitmachen und das ist mehr als ich erwarten kann. […]
16.06.57 // Brief an Martha Reuther So ein wunderschöner Sommer-Sonntag-Morgen! […] Es wird kochend heiß bei uns werden, aber ich brauche ja nicht in die staubige und stickige Luft des alten Opernhauses, noch in die schweißtriefende Atmosphäre des Ballettsaals. Brauche nicht stundenlang mit angestrengter Stimme rufen, donnern, flüstern, brüllen . – Und noch ist die Luft frisch und eine angenehme Kühle weht durch die Zimmer. […] Und ich mache Pause vor dem Ansturm der Strawinsky Musik, die dann wieder stundenlang auf mich eintrompeten, hämmern, flüstern und singen wird, muss – denn ich werde am Dienstag endlich mit der Gestaltung des II. Teiles des Werkes beginnen. Und der ist musikalisch noch schwerer als der I. Teil!
Übrigens die Feier der Überreichung des großen Verdienstkreuzes, die am 24. Mai nachmittags um 5 Uhr in meiner Schule stattfand, war bezaubernd! […] Und meine Vorausberechnung hat sich 100 % bewährt, nämlich, das man uns bei der Arbeit überraschte, dass ich meine schwarze Arbeitsuniform angezogen hatte, von der sich das Kreuz sehr wirkungsvoll abhob, dass ich was zu trinken bestellt hatte, plus 6 Pfund Gebäck und 100 Zigaretten – es war alles richtig, denn sogar der Senator, der sonst nie Zeit hat, blieb 2 Stunden da, unterhielt sich vorzüglich und freute sich sichtlich über die unbekümmerte Jugend. […] Das ist also auch überstanden. Ich weiß bloß nicht, wo ich den eleganten Kasten mit dem Kreuz und die Urkunde aufbewahren soll. Selbst in unserem Miniatur Wäscheschrank ist kein Platz dafür. Wozu Hesschen sich lakonisch äußerte: »Legen Sie es doch in den Eisschrank – da ist sowie nie was Vernünftiges drin.« […]
Tief gerührt und beseeligt nahm ich gestern die von Dir gestiftete alkoholische Sendung in Empfang, und sage Dir von ganzem Herzen Dank dafür. Das schaumige, erfrischende Getränk ist tatsächlich Medizin in diesen Wochen, und erspart mir den spätabendlichen starken Kaffee, der mir die Nachtarbeit ermöglicht. Nur dass ich dann nicht einschlafen kann, während der Sekt auch anregt, aber den Schlaf nicht verscheucht.
02.06.57 // Brief an Martha Reuther
Heute geht es – endlich – wieder mal auf die Bühne. Ich muss den II. Teil starten und habe beinahe Angst davor. Außerdem ist es ein riesiges Stück Arbeit im Zusammenhang mit der geradezu grausamen Musik in diesem Teil. Halt mir die Daumen! Und schon meldet sich die Schneiderei und braucht mich für Besprechungen und Entscheidungen. […] Nun wird es Zeit zum »Packen« der täglichen Hebammentasche, die oft den putzigsten Inhalt aufweist. Heute z. B. enthält sie außer Klavierauszug, Skizzenbuch, Notizblock, Trauben zucker, Sandalen, Socken, Handtasche auch noch 5 Meter von Hesschens Wäscheleine, mit der ich die Fesselung der Sakraltänzerin versuchen will. Gebe Gott, dass meine Fantasie mir keinen Streich gespielt hat! […]
[…] Es ist so ein wunderschöner Sonntag, blau, sonnig und leuchtend. Man könnte meinen, man sei in der Sommerfrische! Aber ich warte auf meinen Generalmusikdirektor und 2 Korrepetitoren, um mit ihnen Le Sacre musikalisch durchzuarbeiten. Höchste Zeit! Die Arbeit auf der Bühne geht weiter, langsam, mir viel zu langsam. Und die inneren und äußeren Kämpfe marschieren im Takt und Rhythmus fröhlich mit. […]
20.06.57 // Brief an Martha Reuther […] Hier hatten wir eine geradezu afrikanische Hitze und die Arbeit in dem kleinen Ballettsaal, unterm Dach des alten Opernhauses und mit wenigstens 24 Menschen auf einmal drin, war alles andere als Vergnügen. Aber ich habe auch das soweit ganz ordentlich durchgehalten!
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0 2 . 0 7 . 5 7 / / Ta g e b u c h Februar – März – April –Mai – Juni –Juli – wozu Tagebuch? Eigentlich standen die ganzen Monate ja doch nur im Zeichen des Sacre du Printemps. Und das Ergebnis dieser Monsterarbeit, in die ich pausenlos meine Liebe, meine Inbrunst, meine Fantasie und last not least meine ganze Nervenkraft gegeben habe? Unsicherheit bis zum Gefühl des Versagens. Es gab Momente in denen ich mir gesagt habe: es wird, es nimmt Gestalt an. Und nun ich vor dem Abschluss stehe, mit nur noch 4 Proben vor mir, bin ich verzagt: und innerlich unzufrieden. Der gefürchtete Zusammenbruch, immer wieder von Neuem hinausgeschoben, kam in ganz anderer Form als erwartet. Ich habe die Nerven nicht verloren. Aber ich bin gestern auf dem provisorischen Bühnenaufbau gestürzt, sehr schwer sogar. Am Schlimmsten betroffen der linke Fuß. Ich kann ihn nicht benutzen und schmerzhaft ist die Sache auch. Trotzdem war ich heute morgen zur Probe im Theater, auf die Bühne getragen, und die Probe von einem Sessel aus geleitet. Die Qual nicht beweglich zu sein, nicht eingreifen zu können ist noch größer als alle Schmerzen. Und wenn ich mir das Gestümper der Tänzer ansehe, die gerade jetzt fest angepackt werden müssten, könnte ich heulen. Sie haben von sich aus nichts mehr zu geben, sind müde, stumpf und 100 % ferienreif. Soll ich von all den Widerwärtigkeiten schreiben, von den großen und kleinen Hindernissen, die der Arbeit im Wege standen? Und von dem größten Kreuz, das ich mir selber auferlegt habe: Dore Hoyer. Wozu? Ich muss ja alles doch ganz allein verantworten. Auch das Bühnenbild das in seiner ersten Kühnheit so vielversprechend war. Und nun nichts mehr davon hat, weil ich von der vorgestellten Schräge so weit heruntergehen musste. Vielleicht sehe ich alles so düster, weil ich selber so geschunden bin. Vielleicht brauche ich selber einen Abstand zu der Arbeit, von der ich nicht weiß ob sie gut oder schlecht ist. […]
05.07.57 // Brief an Martha Reuther Meine Liebste, afrikanische Hitze herrscht auch bei uns schon seit Wochen, und Du wirst Dir vorstellen können, was für eine Tortur die Bühnenproben waren, die immer nur in der glühenden Mittagshitze zwischen 13 und 15 Uhr stattfinden konnten. Reduzierte Leistungsfähigkeit auf der ganzen Linie natürlich! Meine 45 gequälten Tänzer hockten oft schläfrig und lustlos auf der Bühne, und ich konnte ihnen nicht einmal böse sein deshalb. Dazwischen tobte sich dann meine böse Hexe Dore Hoyer mit ihrer ans Hysterische grenzenden Besessenheit aus. Ich musste mich eisern an der eigenen Kandare halten, um die Nerven nicht zu verlieren. Habe sie auch nicht ein einziges Mal verloren und konnte drum das »Gesicht bewahren«, den Menschen wie dem Werk gegenüber. Am Montag freilich erreichte mich das Schicksal dann doch und in ganz anderer Art als ich es hätte ahnen können. Wir hatten zum ersten Mal die Bühne in ihrem provisorischen szenischen Aufbau, und ich hatte die ganze Zeit aufgepasst, dass den Tänzern an den leicht gefährlichen Stellen nichts passierte. Bis mich das Schicksal dann selber ereilte und
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ich, durch einen Scheinwerferstrahl geblendet über 2 Stufen herunterstürzte. Der Schock war schlimm! Aber es ist nicht so viel passiert, wie man zuerst gefürchtet hatte.
die Hunde gegangen. Von vorn – von vorn! Man wusste da ja, aber es ist halt doch grausam. Ich will ja so gern und muss ja auch, auf Teufel komm raus, durchhalten. […]
Mein Arzt war auch bald zur Stelle, nahm mich sofort zum Röntgen mit und war wie stets wenn es ernst wird, meine beste Medizin. Verletzt ist nur der linke Fuß, und zwar ist der ganze Mittelfuß heftig verprellt und verzerrt. 12 Stunden lang hatte ich grässliche Schmerzen, aber dann ließen sie nach. Die jungen Balletttänzer waren reizend. Sie trugen mich von der Taxe auf die Bühne, in den Zuschauerraum oder oben in den Rang hinauf. Auf diese Weise brauchte ich keine Probe absagen und habe Heute geschafft, was mir als Aufgabe gestellt wurde. Das Werk ist in seinen großen Linien komponiert. Es wird noch tüchtiges Stück Arbeit kosten bis es bühnenreif ist. Aber dafür ist dann nah den Theaterferien auch wieder Zeit und die Tänzer sind dann ausgeruht und wieder leistungsfähig. Der kranke Fuß ist noch geschwollen und durch den Stützverband, den ich für die erste Probe bekam, hat sich ein Ekzem gebildet, das brennt und juckt wie der Teufel, aber ich kann schon wieder ganz flott humpeln und hoffe, dass es nicht mehr allzu lange dauern wird, dass der Schaden ganz behoben ist. […] Aber sorgen brauchst Du Dich um mich nicht, Liebste, nicht eine Minute lang. Ich habe dem Sacre ja nun mein »Opfer« gebracht und bin dankbar, dass es nicht ein noch schwereres von mir verlangte.
Und nun sage ich Dir gute Nacht, Liebste! Denn Morgen ist ein toller Tag für mich. Proben von 10 bis 14 Uhr – und abends von 18 bis 21 Uhr. Uff. […]
Jetzt liege ich auf meinem Bett und schwitze geduldig vor mich hin. Eine erstmalige Riesenlast ist von mir genommen, denn eigentlich habe ich Ferien, weil ich schon Heute Mittag Schluss mit den Proben gemacht habe. Am Dienstag will ich nach Zürich fliegen und wenn ich auch hier noch eine Menge zu erledigen und in Ordnung zu bringen habe, so brauche ich das nicht gehetzt tun. Arzt, Bestrahlungen, einigen Schülern weh tun, weil ich ihnen vom weiteren Studium abraten muss, eine Tänzerin an die Luft setzen, weil sie nicht genügt etc. […]
14.08.57 // Brief an Martha Reuther Geliebteste – der erste ganz schwere Arbeitstag liegt hinter mir, und die nächsten werden wohl noch schwerer werden. Ich werde strammstehen müssen. […] Es ist nach wie vor so, als wären alle Teufel losgelassen um das Gelingen des Sacre zu verhindern. Ich weiß gar nicht mehr, ob ich Dir je von den Besetzungsschwierigkeiten geschrieben habe, mit denen ich mich herumzuschlagen hatte, auch von der Schweiz aus. Nachdem sich nun endlich die Primaballerina hier bereit erklärt hatte die Rolle Dore Hoyers in 2. Besetzung zu übernehmen und ich bereits 3 mal in meiner Schule mit ihr geprobt hatte, kam dann plötzlich ihre gänzlich unerwartete Absage – und nun muss ich mich erneut mit einer Tänzerin befassen, die das Format für die Aufgabe in keiner Hinsicht hat. – Ob sich Mannheim wohl bewusst ist, was es an seinem Intendanten hat? Die Schüler richtig zu schätzen, das lerne ich erst hier, wo sie einen berühmten Namen und einen Kavalier großen Formats haben, der aber nie für sein Theater da ist, und alles laufen lässt wie es will. So konnten wir auch heute nicht, wie versprochen, auf die Bühne, sondern ich musste mich 4 Stunden lang in dem engen Ballettsaal mit meinen 40 Tänzern abfinden. Es war grässlich! Und natürlich war in den 5 Wochen Theaterferien sehr viel vergessen und vor
1 8 . 0 8 . 5 7 / / Ta g e b u c h Sind denn alle Teufel losgelassen, um mir das Gelingen des Sacre zu erschweren? Bin schon wieder gestürzt, dieses Mal im eigenen Garten. Hand verstaucht, noch dazu die rechte. Sie tut noch immer ziemlich weh. Und der linke Ellenbogen auch. Du liebe Zeit, die alten Knochen! Ich muss ihnen so viel mehr abringen als sie ertragen mögen. […] Als erstes wurde mir wieder eine ganze Bühnenprobe weggenommen. Als zweites hatte ich bereits 2 mal mit Gisela Deege gearbeitet, als sie mir erklärte, sie könne die 2. Besetzung doch nicht übernehmen. Gründe? Prestige? Angst um die Ausnahmestellung der Primaballerina? Oder Angst vor der Musik, zu der sie selbstverständlich keinen sofortigen Zugang hatte. Ich will die kleinen Hindernisse gar nicht weiter erwähnen. Aber wieder 14 Tage Pause!!! Und es wird das Gleiche sein wie es jetzt nach den Ferien war! Nicht vergessen, aber alles verschlampt. Und die Spannkraft zum Teufel, die zu Beginn, zur Zeit der Erfindung bei den Tänzern da war. Ich habe den Eindruck, dass das rein Choreographische doch sehr gut ist. Und alles wird nun noch von der Darstellung und der sauberen Werkarbeit abhängen.
23.08.57 // Brief an Martha Reuther Liebste Martha, der Tag war lang und hart. Und ich bin heute bereits so week-end müde, dass ich am Liebsten alle Viere von mir strecken möchte. Eigentlich gibt es gar kein »weekend«. Denn am Sonntag muss ich vormittags in meiner Schule mit der »2. Besetzung der Sakraltänzerin« arbeiten […]. Sonst sitze ich wie auf Kohlen. Proben-Pause bis 1. September, aber immer unterwegs: Kostümbildnerin, Bühnenbildner. Und heute Nachmittag war der Dramaturg der Oper bei mir, und wir haben über das Programmheft und seine Gestaltung gesprochen. Natürlich hat MW in Bezug auf ihre Arbeit den schwierigsten Anteil zu bewältigen. Heute Abend war meine Friseuse 2 Stunden da – das hat mir den Rest gegeben. Drum muss ich auch ins Bett. Denn Morgen früh kommt Hesschen mit dem Frühstück kurz nach 7 Uhr. 9.30 muss ich in der Schule sein: Versorgungsamt – Besprechung, wegen einer angeblichen Schülerin, an die ich mich partout nicht erinnere. Fotografische Aufnahmen der D.P.A., die ich nicht ablehnen darf. Besprechung mit einer im Examen durchgefallenen Schülerin, die bösartig ist. Unterricht und Überwachung einer Lehrprobe. Und nachmittags eine private Sacre-Probe in der Schule, um einen der notwendig gewordenen Ersatz-Figuren einzuweihen. Es langt! […]
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0 1 . 0 9 . 5 7 / / Ta g e b u c h Da haben wir es! Schon beginnt die Presse ihr unersättliches Maul aufzureißen – und hier sitze ich, bis zur Verzweiflung beklommen. Wieder mals war das Sacre auf Eis gelegt, 14 Tage lang. Nichts konnte vorangetrieben, nichts ausgearbeitet werden. Und keine Bühne mehr bis zum allerletzten Endspurt. Ein Saal in der technischen Hochschule. Voilà tout. Dabei müsste ich den Schluss noch einmal auf seine Bühnenwirksamkeit hin überarbeiten. Er ist, vom Chor aus gesehen zu starr, zu schwach. Mein Gott – wann – wie ? Bühnenbild – Kostüme – Musik – ich müsste wie eine Wahnsinnige herum rasen. Nirgendwo eine wirkliche Hilfe. […] Schicksal, nimm Deinen Lauf… […] Das Herz ist komisch – ist es überhaupt noch da? Nur das schwere Atmen erinnert daran – Ob ich wohl »nachher« die Kraft und die Energie zum »Erholen« finde? Ich werde es nötig haben. Aus den »Sprüchen der Weisheit«, die meist beim Zähneputzen entstehen: »Putz die Zähne, schönes Kind …« und »Weißt Du noch wie Sagebiel Dir einst auf die Füße fiel …«. Also: Der Mensch kann doch nur einmal ganz und gar pleite gehen. Und wenn das dann passiert ist, so ist es halt gescheh’n. Er fängt ja trotzdem wieder noch mal von vorne an, vorausgesetzt, dass er noch lebt und noch mal wieder kann. Immer wenn die Erregung am Stärksten, ist der Quatsch am Intensivsten! Wenn ich morgens, im Bett, mich auf das Sacre zu konzentrieren versuche, purzelt er dazwischen: Reime über das Streichholz, die Marmelade, das Vögelchen oder die Strümpfe … Zum Auswachsen! Ich war bei einer Orchesterprobe. Sie war eigentlich schaurig und man fragt sich wie wollen Dirigent und Musiker das hinkriegen? Und trotzdem: welch ein Unterschied zwischen der Platte und dem lebendigen Orchester ! Wäre es nur erst alles vorüber. Die Erregung wächst, wird unerträglich. Aber möchtest Du sie missen? Sei ehrlich!
04.09.57 // Brief an Martha Reuther Seit 3 Wochen das erste warme Vollbad! Ich habe es wollüstig genossen und komme mir geradezu verjüngt vor. Unser uralter Warmwasserboiler war nämlich kaputt. Er hatte, weiß Gott, eine lange Lebensdauer – und dass er noch einmal repariert werden konnte, ist fast wie ein Wunder. […] Mich selber trifft das alles nur als leise Unbequemlichkeiten! Denn Sinnen und Trachten gilt nur der Sacre. Und heute Abend sehe ich nur noch rot vor Wut und Verzweiflung. Denn wieder hat man mir von den knapp bemessenen Proben 4 in dieser Woche gestrichen und ich habe keine Möglichkeit mehr zum Durcharbeiten, Ausfeilen, zur eigentlichen handwerklichen Arbeit. Was nützt die anständige Choreographie, wenn die Darstellung schlampig ist? Und das ist sie leider Gottes. Dabei sind die Tänzer so überaus beengt durch andere Arbeiten, dass ich nicht viel von ihnen verlangen kann. Ich will gewiss nichts mies machen, aber es ist wirklich zum Wahnsinnig werden. […] Ach, Liebste, wenn Du ahntest wie unbeschreiblich ich mich auf Dich freue! Und wie rasend gern ich dir eine gute Arbeit zeigen möchte. So wie sie jetzt aussieht, kann ich nur um ein Wunder beten. […]
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0 6 . 0 3 . 5 7 / / B r i e f a n D o r e H oy e r Dore, danke für Brief. Ich sitze da mit schwerem Herz-Klopfen in der Blutbahn. Sacre du printemps – Berliner Festwochen im September – Städtische Oper und dortige Ballett-Gruppe. Ich muss es machen, nachdem mich Mannheim dafür freigegeben hat. Ich will es auch, obwohl mir das Werk allein von der Musik her unbezwinglich scheint. Und auf alles Übrige werde ich verzichten, denn die Probemöglichkeiten liegen denkbar ungünstig. Nur chorische Lösung möglich aber eine Zentralfigur, in der Gestalt der geopferten und sich selbst opfernden Tänzerin. Nun Ja, es ist kein Wunder, dass ich vor den inneren Augen Dein Bild habe. Natürlich kann ich Dich heute nicht offiziell fragen. Nur erst privat und heimlich! Ob Du möchtest, ob du könntest. Proben vom 1. Juni bis 10. Juli – Dann wieder vom 14. August an bis 9. Sept. und von da ab bis 22. Sept. (Premiere) nur noch Orchesterproben etc. Schreib mir doch, bitte, ganz kurz wie Du überhaupt dazu stehst, und ob es zeitlich menschenmöglich wäre. Heute nichts mehr als dieses! Und meine innigen Grüße. Deine Mary
0 4 . 0 4 . 5 7 / / B r i e f a n D o r e H oy e r Hat Ebert, Intendant der städt. Oper Dir geschrieben? Er hatte es mir versprochen – ist aber wieder mal nicht zu erreichen, da verreist. Ich habe auch inzwischen mit Dr. von Westermann gesprochen, der 100 % für Deinen Einsatz im Sacre war. Ach, Dore, ich kann keine andere Tänzerin als Dich darin sehen! Je mehr ich mich in die Musik einarbeite, umso betörender wird sie. Verbindliche Grüße
1 4 . 0 8 . 5 7 / / B r i e f a n D o r e H oy e r Alle Teufel scheinen immer wieder los gelassen, um das Gelingen des Sacre zu gefährden. 2. Besetzung: wie entsetzlich schwer es war, Inge Höhnisch nachträglich und im Grunde viel zu spät beizubringen, dass sie die Rolle nicht tanzen könnte! Wie leicht es war Gisela Deege zur Übernahme zu bewegen. 3 mal hatte ich mit ihr bereits in der Schule gearbeitet und hatte das Gefühl, sie würde es, ohne dein Vorbild kriegen. Und dann plötzlich ihre geradezu verzweifelte Absage. Der ureigentliche Grund? Ich weiß es nicht mal genau. Prestigefragen oder doch die Angst vor dem Opfertanz? Nun – betteln kommt nicht in Frage und ich werde es eben doch mit
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der Höhnisch studieren. Um so mehr als ich hoffe, dass du nicht nur die ersten 3 Vorstellungen tanzen wirst. Ich weiß, dass die Intendanz selber Wert darauf legt. [...] Aber als ich wieder zurück war, habe ich mich hingesetzt und mir das ganze Werk auf der Markevitch Platte vorgespielt – und es war neu, herrlich, faszinierend wie am ersten Tag! Heute morgen: Keine Bühne. Sie waren mit ihrem neu eingebauten Stellwerk nicht fertig! Also: Ballettsaal! Grauenhaft. Chaos – nur dass die Theatertänzer so gut wie nichts vergessen hatten. Morgen soll die Bühne in ihrem Originalaufbau fertig sein. Hoffentlich! Und dann wird die schwierige Aufgabe sein, die Auftritte und Abgänge choreographisch festzulegen. Aber das Alles wird und braucht Dich im Augenblick nicht zu interessieren. [...] Komm gesund zu uns zurück, Dore – und mit ausgeruhten Nerven, – obwohl das Drüben ja eigentlich kein nervenberuhigendes Klima ist. Ich habe Dich sehr lieb und bin Deine Mary.
szene. Allerdings räumlich nach Mary’s Rezept und auch sonst haut sie mir immer wieder kapputt, weil sie nur ihre eigene Handschrift behalten will. Allmählich kostet es mich Überwindung, nur Putzmädel zu sein. Choreographisch ist alles großartig. Die tänzerische Ausführung zum größten Teil furchtbar anzusehen. Niemals werde ich mit nur klassischen Leuten ein kultisch betontes Werk arbeiten. Es bleibt ohne Blut und Atem. Mir ist dauernd zum Heulen und möchte am liebsten davon laufen, weil ich es sinnlos finde, dass ich dabei bin. Ich wohne zwar allein, aber in einem Gerümpel von Möbeln. Wenn es mir gelingt, meinen Rückflug auf den 16. umzulegen, bleibe ich den Sonntag bei Dir. Wie schön wäre es, wenn wir bisschen in den Wald fahren könnten und dort herumliefen. Wenn du mir doch mal kurz schreiben würdest. Ich bin so müde und könnte 8 Tage Ferien brauchen. Grüß Deinen Mann + Claus Dich küsst Deine Dore
0 1 . 0 7 . 5 7 / / B r i e f D o r e H oy e r a n Wa lt r a u d L u l e y 1 2 . 0 5 . 5 7 / / B r i e f D o r e H oy e r a n Wa lt r a u d L u l e y (Freundin von Dore Hoyer) Liebste! Mary hat mich völlig in den Sacre eingespannt, und ich habe bereits die gute Hälfte meines Solotanzes kompositorisch fertig. Mein Vertrag mit der Oper ist auch schon getätigt. Mary arbeitet schon seit langem mit ihren Schülern am ersten Tanz. Sehr einfach. Mit List und Tücke versuche ich manches davon mit mehr tänzerischer Fülle zu versehen. Mary nimmt an, wenn auch innerlich etwas kochend. Auch arbeitet sie so langsam, dass einem manchmal das Gähnen ankommen möchte. Sie erklärt stundenlang, aber nur gefühlsmäßig und inhaltlich, statt tänzerische Formen zu übermitteln. Aber lass man, es kommt trotzdem hin. Sie braucht halt dreifach mehr Zeit als unsereiner. Die Einfälle kommen ihr nicht spontan. Ihre inhaltliche Konzeption ist großartig! Sie baut im Zeitalter des Matriarchats auf. Stunde habe ich gestern auf Bitte der Schüler auch gegeben. Die sind dann immer sehr glücklich. Jetzt ist es morgens. Ich gehe jetzt wieder in die Schule und arbeite bis Mittag an meinem Tanz. 17 Uhr setze ich mich in den Zug gen Hamburg. Mein Rücken ist etwas besser aber noch lange nicht gut. Bilder kriege ich von Enkelmann erst in den nächsten Tagen nach Hamburg geschickt, weil er dieser Tage (8.–11.) das Ballett in der Hbg. Staatsoper fotografiert. Berlin liebe ich heiß!! Ab morgen muss ich wieder umschalten auf meine Arbeit. Sei mit Deinem Mann und Claus lieb gegrüßt. Ich küsse Dich sehr innig und bin Deine Dore
0 7 . 0 6 . 5 7 / / B r i e f D o r e H oy e r a n Wa lt r a u d L u l e y Meine Waltraud – was gäbe ich darum, wenn ich Dich jetzt, gerade jetzt bei mir hätte. Die Arbeit wird mir bald zu viel. Es ist kein reines Vergnügen, Mary zu assistieren. Die Proben liegen [hier ] bis 15 Uhr, 16 Uhr, weil wir die Bühne [nur immer] ab 1 Uhr haben. Vorher im Ballettsaal. Der I. Teil ist kompositorisch fertig. Ich mache eine Männertanz
Geliebtes – es war schön Deine Stimme zu hören. Hier gibt es viel Arbeit. So allmählich stützt sich Mary doch auf mich, weil sie merkt, dass es mit mir zusammen rascher zu Klärungen kommt. Aber heute geschah etwas Entsetzliches; Mary strauchelte über eine Stufe auf der Bühne und stürzte lang hin. 1 Minute herrschte Theaterstille, weil Mary wie im Starrkrampf blieb. Dann öffnete sie die Augen, völlig abwesend und irr. Langsam erholte sie sich und wurde in ein Zimmer getragen, nachdem sie mich wie ein hilfloses Kind bat, die Probe weiterzuführen. Gott sei dank stellte der herbeigerufene Arzt fest, dass nichts Ernsthaftes passiert war. Morgen wird sie sicher wieder zur Probe kommen.
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G e sp r ä c h m i t H e n r i e t ta H o r n u n d S u s a n B a r n e t t
Wo liegt jetzt die Wahrheit? [Patricia Stöckemann] Als ich euch fragte, ob ihr Le Sacre du Printemps von Mary Wigman rekonstruieren würdet, um es wieder auf die Bühne zurück zu holen, was ging euch da durch den Kopf? [Henrietta Horn] Ich dachte: Nein! Ich fühle mich für Mary Wigman nicht kompetent genug und verfüge nur über tanzhistorisches Basiswissen. Von Sacre gibt es für mich eine Version, das ist die von Pina Bausch. Ich hatte gar keine Motivation. Dann aber kam die Neugier. Ich wollte mir das Material ansehen, schauen, was es überhaupt gibt. Und ich war fasziniert und habe dann ja gesagt. Aber immer mit dem Gefühl: Mal schauen, ob das überhaupt geht, mal sehen, ob ich das kann. Und damit konnte ich dann in die Arbeit einsteigen. [Patricia Stöckemann] Für dich, Susan, war die Situation eine andere, wenn ich mich richtig erinnere ... [Susan Barnett] Ich war überrascht über die Projektidee. Aber bei mir war von Beginn an die Neugier da. Ich wollte wissen, wo die Anfänge des modernen Tanzes liegen. Die Herausforderung bestand darin, selbst zu versuchen, in diese Bewegungssprache, in die Gedankensprache, in diese Welt einzutauchen, nicht über FilmDokumente, sondern ganz konkret über die Bewegung. Wo das alles hinführen sollte, darüber habe ich zu dem Zeitpunkt gar nicht nachgedacht. Premiere, Vorstellungen – das war noch ganz weit weg. [Patricia Stöckemann] Als ihr beide zugesagt habt, habe ich euch das Mate rial – Fotos, Skizzen, Aufzeichnungen von Wigman – zukommen lassen, ganz
unsortiert. Es zu sortieren, wurde ein Teil des Rekonstruktionsprozesses. [Henrietta Horn] Ich habe mir das angeguckt und gedacht: Ich verstehe überhaupt nichts. Wenig war in chronologischer Reihenfolge archiviert. Das hatte für mich überhaupt kein System. Ich habe auch nicht gesehen, wo da jemals ein System erkennbar sein könnte. Wir haben uns dann in Essen getroffen und die Materialien durchgesehen. Ich habe mit Katharine Sehnert da gesessen und die Fotos angeguckt. Sie kommentierte die Fotos und ich habe mir das sofort aufgeschrieben. Wenn ich mir diese Notizen heute anschaue, hatte auch das weder Hand noch Fuß. Wir waren alle erst mal ganz schön am Rumstochern. Das Schöne war: Nach meinem ersten Frustrationsanfall habe ich die ganzen Unterlagen auseinandergenommen und nach den Überschriften geordnet, die Mary Wigman wunderbarerweise auf jeder Seite ihrer Skizzen gemacht hat. Ich begann ganz grob zu sortieren. Dann hatte ich immerhin schon Häufchen. Glücklicherweise hatte Susan ihre Unterlagen noch nicht auseinandergerupft. Anhand unserer beiden Ordnungshäufchen konnten wir immer ablesen und nachvollziehen, was frühere und was spätere Gedanken waren. Aber es blieb immer noch ein Wust von Papier. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass ich irgendwann bei jedem Blatt weiß, wo es hingehört. [Patricia Stöckemann] Es gab ja zwei Phasen in diesem Rekonstruktionspro zess: Die reine Rekonstruktionsphase, die ihr eben schon angesprochen habt, und die Probenphase mit den Tänzern. Wie würdet ihr diese Prozesse beschreiben?
[Susan Barnett] Für mich war von Anfang an wichtig zu wissen, dass ich diese Aufgabe nicht alleine lösen muss, dass wir ein Team sind. Jede von uns hatte etwas anderes, was sie zu diesem Prozess beitragen konnte. Henrietta hatte von Beginn an sehr auf die Musik und Musikalität gesetzt und ist sehr von Wigmans Angaben in ihrem Klavierauszug ausgegangen sowie von allen anderen Skizzen und Informationen. Katharine hatte als Schwerpunkt die Motive. Sie war für uns eine Art Übersetzerin, wenn es um Begriffe wie Schreiten, Gleiten, Vibrieren ging. Für mich war hier vieles Neuland. Ich hatte von diesen Begriffen noch nie gehört. Aber im Team war es möglich, sich Schritt für Schritt gemeinsam vorzutasten. Den ersten Teil, die reine Rekonstruktionsphase, würde ich fast als einen archäologischen Rechercheprozess beschreiben. Wir haben aus dem Material für uns zuerst eine Logik herausgearbeitet, die dann Tanz wurde. [Henrietta Horn] Ja, überhaupt erst einmal eine Ordnung, auch im Arbeitsprozess, herzustellen, war wichtig. Anfang des Jahres hatten Susan und ich uns in Bremen getroffen. Ich brachte die Seiten über den ersten Tanz mit, den Mary Wigman sehr akribisch aufgeschrieben hatte: 24 Laufschritte für die Männer, dann Sturz, dann neun Takte Vibrato. Dann haben wir versucht, das mal zu tanzen. Das war sehr lustig. Aber es war nichts, weil man diese Angaben so vielfältig interpretieren kann. Da war Katharine Sehnert dann phantastisch, weil sie sagen konnte: Das geht so und das geht so ... Am Ende des Prozesses gab es dann immer wieder viel Raum für Interpretation, aber zu Beginn war es einfach sehr gut, wenn
jemand ganz klar gesagt hat: Das geht so. Schwierig waren die Stellen, an denen man spekulieren musste: Es könnte so gewesen sein, aber auch so. Dann widersprachen sich die Notizen mit dem Klavierauszug, die Skizzen sagten wieder was anderes, und auf dem Foto war dann noch mal was anderes zu sehen. Wo liegt jetzt die Wahrheit? Oder: Wo liegt die Essenz der Szene? Und das dann zu entscheiden ... [Susan Barnett] Da warst du aber auch sehr diszipliniert. Wenn du festgestellt hast, dass etwas rein spekulativ war, bist du immer wieder zu den Fakten zurück gegangen, zu dem Ausgangspunkt, den Aufzeichnungen. Nur wenn uns die Fakten nicht weiter führten, dann mussten wir spekulieren. Und das haben wir dann auch als Team gemacht. Wir haben geschaut, ob wir nicht doch irgendwo noch Informationen finden, die uns weiterbringen. Das fand ich das Erstaunliche an dem ganzen Prozess: Manchmal haben wir gedacht, wir hätten alle Informationen rausgezogen aus den Skizzen und Aufzeichnungen. Wenn wir dann wieder zum Originalmaterial zurück gegangen sind, haben wir plötzlich doch noch den einen oder anderen Hinweis entdeckt, der für eine bestimmte Szene bedeutsam war. [Henrietta Horn] Wenn man wieder zurück kommt, gewissermaßen auf das Skelett der Information, ist das toll. Bei jedem Neulesen hat man das Gefühl, man müsste wieder was verändern. Das ist ein wirklich sehr lebendiger Prozess. [Patricia Stöckemann] Susan, du hast vorhin das Wort »übersetzen« benutzt, das ich sehr schön finde. Die Übersetzung von einer Sprache in eine andere ist ja
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ein vergleichbarer Vorgang. Für mich war faszinierend, als ich euch im Tanz saal mit den Fotos und Skizzen arbeiten sah – wie ihr die darin festgehaltenen Bewegungen und Gedanken von Wigman rausgeholt und dann in Bewegung über setzt habt, sozusagen aus der Zweidimen sionalität des Papiers in die Dreidimen sionlität des Körpers und des Raums. Das habe ich als faszinierend und berüh rend erlebt. [Susan Barnett] Ich erinnere mich, dass wir fast gejubelt haben, als wir den ersten Tanz halbwegs entziffert hatten. [Henrietta Horn] Als wir ihn durchtanzen konnten. [Susan Barnett] Dann hat er sich noch mal ein bisschen verändert. [Henrietta Horn] So richtig gejubelt habe ich erst später. Wir hatten ja Vorproben mit den zehn Tänzern aus Bielefeld. Bis dahin musste Susan immer zehn Männer verkörpern und ich zehn Frauen, wenn wir etwas ausprobieren wollten. Und nun konnte man das wenigstens mal mit fünf Männern und fünf Frauen probieren und anschauen. Es war wirklich schön zu erkennen, wie Wigman das gemeint hat oder gemeint haben könnte. Die Logik des Stücks erschließt sich einem erst dann, wenn man es nicht selbst tanzt, sondern drauf guckt. Die Vorproben haben in mir regelrecht eine Ruhe geschaffen. [Patricia Stöckemann] Es gibt auch Leer stellen in dem Stück, die größte ist die Rolle der »Erwählten«, des »Opfers«. Hat es andere Leerstellen gegeben, mit denen ihr euch auseinandersetzen musstet?
[Henrietta Horn] Zum Beispiel den Wettkampf. Da gibt es zu zwanzig Takten keine Notizen von Wigman. Aus dem Briefwechsel zwischen Dore Hoyer und Mary Wigman geht hervor, dass Dore Hoyer diesen Tanz choreographiert hat, das heißt, Wigman hat sich da rausgehalten. Dore Hoyer hat nichts aufgeschrieben. Deshalb gibt es keine Notizen oder Skizzen. Auch bei den Ritualfiguren und den Ältesten gibt es viele Leerstellen. Einige sind leicht zu erschließen, aus der Situation heraus, aber andere, da haben wir einen langen Weg zurückgelegt, um die Bewegungen rauszufinden oder eine Möglichkeit zu finden, wie man damit jetzt umgehen kann. [Patricia Stöckemann] Könnt ihr den Umgang mit Leerstellen vielleicht an der Rolle des »Opfers« bzw. der »Erwählten«, wie Wigman sie auch nannte, beschrei ben? Dore Hoyer hat diesen Part getanzt und selbst für sich kreiert. Davon gibt es keine Aufzeichnungen. Wie habt ihr euch dieser Rolle, diesem Solo genähert? [Henrietta Horn] Das waren viele verschiedene Schritte. Erst einmal haben wir diesen Part lange links liegen lassen, weil dazu einfach kein Material zu finden war. [Susan Barnett] Wir hatten die Fotos. Wir hatten also wenigstens Anhaltspunkte. [Henrietta Horn] Ja genau, wir hatten vierzehn Fotos. Und dann hatten wir beide im Mai Proben mit Brigitta Herrmann, Emma Lewis Thomas und Katharine Sehnert. Susanne Linke war auch teilweise dabei. Dort haben wir uns insbesondere auf die Rolle von Dore Hoyer konzentriert. Wir haben die Damen immer wieder gebeten zu sagen, was ihnen einfällt. Ob sie
irgendwelche Bewegungsmotive erinnern. Manche Sachen kamen sofort. Emma Lewis Thomas fielen gleich die Zuckungen am Anfang des Solos ein. Herauszufinden, was das in der konkreten Bewegung bedeutet, war dann wieder ein sehr, sehr langer, mühsamer Prozess. Die Damen hatten einerseits eine vage Erinnerung, konnten aber wenig zeigen. Es blieb immer das große Fragezeichen: Wie war es jetzt genau? Wir haben dann versucht, die Musik des Solos in etwa zu strukturieren: Das könnte da gewesen sein, das könnte da gewesen sein. Ich glaube, dass sich im Laufe der zwei Wochen, die wir zusammen gearbeitet haben, auch viele persönliche Ideen in diese Arbeit eingeschlichen haben. Niemand wusste, wie es war. Das blieb so bis zum Schluss. Wir haben dann gemeinsam etwas geschaffen, woran ich mich für die weitere Arbeit orientieren konnte. Aber das hatte nichts mit Fakten zu tun, das war eine Mischung aus verschiedenen individuellen Wahrnehmungen und Erinnerungen. [Susan Barnett] Es gab mögliche Motive, teilweise aus den Fotos, teilweise aus den Erinnerungen, teilweise aus der eigenen Annäherung an Dore Hoyer. [Henrietta Horn] Es waren Motive, die Dore Hoyer benutzt hat. Ob die jetzt alle in diesem Solo vorkamen, das weiß ich nicht. Ich weiß auch nicht, ob man sich so konkret an etwas erinnern kann, was man selbst nie getanzt hat. Es ist überhaupt erstaunlich, wie viel Erinnerung nach über fünfzig Jahren noch hochkam. Und das war auch sehr berührend.
[Patricia Stöckemann] Erinnerung an das, was die Damen selber getanzt haben … [Susan Barnett] … auch an das, was sie gesehen haben. Es war beides. Beides war diffus auf der einen Seite und plötzlich relativ konkret auf der anderen. [Patricia Stöckemann] Wie würdet ihr diesen archäologischen Prozess, diese Arbeit, die ihr tut, definieren? Als Rekon struktion? [Henrietta Horn] Als eine Folge von unheimlich vielen Schritten. Der erste Teil des Prozesses hat sich sehr eng entlang der Fakten vollzogen und es ging darum, immer weitere Fakten zu sammeln. Der nächste Schritt waren Entwürfe von Bewegungen im Raum, der ersten choreographischen Strukturen. Das praktische Ausprobieren und die permanente Frage: Wie könnte das gewesen sein? Welche der vielen Möglichkeiten ist gemeint? Dann wieder die Betrachtung der Bewegungen im Kontext: Es ist ja nicht nur ein Tänzer, der das macht, sondern es sind viele Tänzer. Was aber macht das wiederum mit den einzelnen Bewegungen? Dann entfernt man sich eigentlich schon wieder von den Fakten. Und dann setzt für mich, wenn ich draufgucke, die Frage nach meinem eigenen choreographischen Verständnis ein: Wenn das so ist, dann muss das oder das aber früher oder später passieren. Und wieder die Frage: Macht das Sinn? Sind die Reaktionen in der Bewegung logisch? Was ist mit den Stellen, wo nicht viel dazu geschrieben steht? Da könnte dieses oder jenes gemeint sein. Und da entscheide ich jetzt, was für mich richtig scheint. Wichtig ist, dass es in der Dynamik bleibt,
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dass es im Stil bleibt, dass es nicht einfach irgendwelche Bewegungen sind aus einem völlig anderen Bewegungskontext. Wir versuchen damit sehr sorgfältig umzugehen. An diesem Punkt sind wir jetzt auch in den Proben. Was wir nicht haben, haben wir nicht. Es gibt eigentlich keine Fakten, es gibt Informationen, die man auf verschiedene Weise lesen kann. Das finde ich eigentlich toll. Es bleibt so lebendig. [Susan Barnett] Wir können nicht wissen, wie das Stück tatsächlich ausgesehen hat. Aber mit den Informationen, die wir dazu haben, gehen wir so verantwortlich wie möglich um. Das Zeitlose an diesem Stück versuchen wir lebendig zu halten. Ob »Rekonstruktion« das Projekt richtig beschreibt, weiß ich nicht. [Henrietta Horn] Das hört sich so stabil an … [Patricia Stöckemann] … und es ist eher fragil … [Henrietta Horn] … und das ist ja auch das Wertvolle daran. Selbst wenn ich mein eigenes Stück rekonstruieren würde, ist es ja nichts Festgeschriebenes. Es gibt natürlich Sachen, die müssen so sein. Im Falle von Sacre lässt beispielsweise die Musik nicht alles zu. Diese Musik hat so viel Klarheit und macht so viele Vorgaben. Auch Mary Wigman hat damit gehadert. Sie hat immer wieder gemerkt, dass man mit dieser Musik nicht machen kann, was man will. Man muss wirklich in vielem der Musik folgen, wenn man so choreographiert, wie sie es tut. Ich bewundere wirklich, wie sie das organisiert hat, wie sie das gefüllt hat, wie sie die Musik aufnimmt und in Bewegung überträgt. Das ist wunderbar. Ich
bin noch viel zu sehr im Prozess drin, um die nötige Distanz zu dem Stück zu haben. Aber so, wie ich es jetzt mit den Tänzern sehe, bin ich immer wieder fasziniert davon, wie sie diese großen Gruppen hin und her schiebt. Auf einmal ist das Bild da und dann wieder das. Die Energie bleibt im Fluss. Ich finde das sehr, sehr schön zu sehen. Das nimmt einen mit. [Patricia Stöckemann] Ihr habt gesagt, es geht auch darum, das Zeitlose darin zu erkennen. [Susan Barnett] Das Stück hat eine Logik in dem, wie Mary Wigman es aufgebaut hat, eine Kraft, eine Ordnung. Wie sie mit den Gruppensequenzen umgegangen ist, wie sie das Szenisch-Choreographische mit der Musik zusammengebracht hat – ich denke schon, dass das etwas Zeitloses in sich trägt. [Patricia Stöckemann] Wie erlebt ihr die zweite Phase dieses Projekts, die Proben arbeit mit den Tänzern? [Henrietta Horn] Als total befreiend. Endlich sieht man die Choreographie. Es gab so vieles, was wir uns nur theoretisch überlegt haben und nun sieht man es. Am Anfang habe ich mich immer gefragt, warum ich als Choreographin hier überhaupt dabei bin, ich habe keinen Wert darin gesehen. Aber jetzt erkenne ich den Sinn, denn jetzt sehe ich die Stellen wo ich denke: Das hier muss ein bisschen mehr dahin gerückt sein, das da muss früher passieren usw. Und wie gesagt, ich nehme mir auch die Freiheit, das zu tun, das zu entscheiden. Wenn es sich als falsch erweist, muss man es wieder anders machen. Aber es macht sehr viel Freude und die Tänzer sind so gut
dabei. Die spüren auch, dass da etwas ist. Wir versuchen, ihre Energie zu nutzen. Das lässt das Stück auch zu und das ist so schön daran. Man kann das wirklich wunderbar tanzen. [Susan Barnett] Ich denke, es gibt in dieser Arbeit zwei Aspekte: Das eine ist die Rekonstruktion der gesamten Gruppenszenen, die die Tänzer jetzt wunderbar umsetzen. Das andere ist – wie damals auch – die Arbeit an dem Solopart, der Rolle, die Dore Hoyer kreiert hat. Damit ist Henrietta im Moment intensiv beschäftigt. Sie er arbeitet sich diesen Part mit ihrem eigenen Körper, um ihn auf die Solotänzerinnen zu übertragen. Die Tänzerinnen selbst begeben sich dabei wiederum in eine ganz tiefe Recherchearbeit. Das, was Henrietta für sich gefunden und inkorporiert hat, muss jede Tänzerin, die diese Rolle tanzt, für sich auch noch mal (er)schaffen. Und das ist die Arbeit, die parallel zum Prozess mit der Ensemble-Arbeit passiert. Bei den Ensembleszenen hatten wir sehr viel Material, das uns geholfen hat, die Szenen zu rekonstruieren. Und hier verläuft die Recherche über einen völlig anderen Weg. Man sucht die Inspiration über die Fotos, über die Zeitzeuginnen, über das Hörensagen, über die Briefe … [Henrietta Horn] …und über Dore Hoyers Afectos humanos, das einzige Solo, das filmisch aufgezeichnet wurde. Da kann man ihre Bewegungsqualität überhaupt erahnen. Die Musik lässt ja auch nicht dauernd alles zu. Da muss man erst mal einen Weg finden und mit der Musik umgehen. Man kann sie nicht ignorieren. Und dann muss man das alles wieder loslassen, um dann das Solo wieder entstehen lassen
zu können. Ich habe für mich irgendwann beschlossen, wenn ich das den Tänzerinnen zeigen soll, dann muss ich es selber können. Ich kann nicht mit denen improvisieren zum Thema: Solo von Sacre á la Dore Hoyer, das ist völlig unmöglich. Da waren schon sehr viele Stadien, bevor das überhaupt an die Tänzerinnen gegangen ist. Ich hätte nichts dagegen gehabt, wenn es jemand anderes gemacht hätte, muss ich ehrlich sagen. Für die Tänzerinnen ist das schon eine große Herausforderung. Aber sie sind echt toll dabei. Auch das ist überaus bereichernd, immer wieder, in jeder Probe. Diese Ruhe, diese Konzentration, wie sie das machen … Wunderbar.
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G e sp r ä c h m i t K at h a r i n e S e h n e r t
Versuchen kann man es ja Was dachtest du, als ich dich fragte, ob du uns unterstützen würdest, Le Sacre du Printemps zu rekonstruieren? Zuerst war ich sehr überrascht über dieses Vorhaben. Ich erinnerte mich auch an meine frühere Haltung, die ja auch Marys Haltung war: Sie war gegen Rekonstruktionen und wollte nie, dass ihre Tänze wieder aufgenommen werden, weder von ihr selbst noch von anderen. Und ich dachte auch: Wie soll das gehen, Sacre ist doch ein Mammutwerk. Aber dann erhielt ich die Skizzen und Unterlagen und sah, dass mehr Material vorhanden war, als ich angenommen hatte. Und ich dachte: Versuchen kann man es ja. Hat sich deine Haltung gegenüber der Rekonstruktion inzwischen verändert? Durch Wigmans Skizzen kann man den choreographisch–chorischen Ablauf ersehen. Und das war schon ein spannender Moment! Zu sehen oder zu erleben, wie in einem gemeinsamen, sehr intensiven Rekonstruktionsprozess aus dem archivierten Material ein choreographisches Gebilde wieder entsteht. Und dieses Gebilde musste jetzt mit Leben, sprich Bewegung gefüllt werden. Da konnte ich jetzt ohne große Probleme auf meine vielen Jahre an ihrem Berliner Studio zurück greifen. Ich war dabei selbst überrascht festzustellen, in welchem Ausmaß sich ihre spezielle Bewegungssprache in meinem Körper eingegraben hat. Es war, als wäre ich zu meinen Wurzeln zurückgekehrt. Die Essenz des Stückes hat auch heute noch Aktualität, meiner Meinung nach. In unserer schnelllebigen Zeit hat man mitunter vergessen, dass auch der Körper seine ureigene Sprache hat, unabhängig von einer
brillanten Technik. Ein Werk, wie Wigmans Sacre, macht das wieder deutlich. Die Bildfolge, das Libretto von Wigmans Sacre entspricht nahezu dem OriginalLibretto von Nicholas Roerich und Igor Strawinsky. Wigman scheint sich daran sehr orientiert zu haben. Sie hat sich absolut dieser Musik untergeordnet. Das war für sie eigentlich ein Novum. Sie mochte diese Musik sehr, sagte aber auch: Die Musik ist so stark, ich kann sie tänzerisch nicht einfach untermalen. Ich kann ihr nur was Chorisches, Räumliches entgegenstellen – die Geschichte des Stücks spricht für sich. Hast du das Stück damals gesehen? Ich habe die Proben im Studio bei Wigman mitgemacht, die so genannten Vorproben. Aber bei den Proben, die in der Oper stattgefunden haben, war ich nicht dabei. Darum habe ich auch keine tragfähige Erinnerung an das Solo von Dore Hoyer, die die Rolle des Opfers getanzt hat. Im Gegensatz zu ihren Solotanz-Zyklen, die ich noch sehr plastisch vor mir sehe. Sacre habe ich auf der Bühne bei der Premiere gesehen. Das ist lange her. Wie würdest du den Rekonstruktions prozess beschreiben? Am Anfang stand die gemeinsame Deutung der Bild-Skizzen und ihrer schriftlichen Aufzeichnungen. Und das war schon ein bisschen schwierig, da es zum Teil verschiedene Fassungen von einer Szene gab, da sie ja auch innerhalb ihres Schaffensprozesses ständige Veränderungen vornahm. Welche Fassung war jetzt die
endgültige? Im weiteren Verlauf kam die Bewegungsfindung dazu, manchmal detailliert beschrieben, manchmal eher vage oder gar nicht. Eine weitere Herausforderung war, die Bewegungsverbindung von einer fixierten (gezeichneten) Pose A zu Pose B zu finden. Sehr spannend. Und da kam mir sehr zugute, dass ich ihr Kompositions-Prinzip kannte: jede Bewegung gebiert aus sich heraus die folgende und muss jedes Mal der Stimmung oder Atmosphäre entsprechend neu kreiert werden. Sie lehnte es ab, antrainierte, gelernte Bewegungen quasi als Bausteine aneinander zu reihen. Diese Art zu arbeiten war natürlich sehr zeitaufwendig. Und heute in dieser Form nicht mehr machbar. Schade! Zum jetzigen Stand ist es für mich immer noch ein Prozess in progress. Denkst du, dass Mary Wigmans Sacre für die heutige Tänzergeneration noch eine Gültigkeit hat? Ja, das hoffe ich. Es ist ihr letztes Bühnenwerk, ein Alterswerk, und enthält die Essenz ihres gesamten Schaffens, es reflektiert ihre Ansicht und ihr philosophisches Verständnis von Tanz. Und dieses Erbe sollte so lang als möglich bewahrt werden. An den zahlreichen Research-Projekten sieht man vielleicht, dass da generell auch ein gewisses Bedürfnis besteht. Es geht nicht nur um das »handwerkliche« Rüstzeug, was für sie ein Grundelement war, sondern auch um die Besinnung auf die Bewegung an sich, mit ihrem eigenen Aussagewert, um die unterschiedlichen Intensitäten und Schattierungen, um den Bezug zum Raum und um den tänzerischen Atem, der hinter allem steht. Bei der Vertiefung habe ich gemerkt, dass Wigmans Sacre eigentlich ein choreographisches Lehrstück ist, eine
bewegte Architektur mit einer unglaublichen Vielfalt an Raumformen. Ich selbst bin den Weg zum Stück nicht über eine körperliche oder emotionale Erinnerung gegangen, sondern bin Wigmans Arbeitsprozess gefolgt, so weit das möglich war. Also könntest du nicht sagen, inwieweit sich die Rekonstruktion mit der Vorstel lung von 1957 deckt? Ich möchte mit einem Zitat von Mary antworten: »Das spontan Erfundene lässt sich in der gleichen Form nicht wiederholen, und kein Rekonstruktionsversuch hat noch je etwas getaugt. Hat es sich aber um einen echten schöpferischen Einfall gehandelt, so steigt das scheinbar Verlorene doch wieder aus der Versenkung herauf, um sich, vom Ballast seiner Schlacken befreit, zur richtigen Stunde am richtigen Platz zu behaupten.« Und das scheint mir jetzt und hier der Fall zu sein.
Die Fragen stellte Patricia Stöckemann
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G e sp r ä c h m i t B r i g i t ta H e r r m a n n
Jede Bewegung mit dem Atem verbinden Sie haben in Le Sacre du Printemps von Mary Wigman 1957 mitgetanzt. Erinnern Sie sich an die Vorstellungen? Ich kann mich an die Vorstellungen als beteiligte Tänzerin erinnern und an die Proben auf der Bühne. Ich trug ein Kostüm und eine Perücke. Was für ein Kostüm hatten Sie? Es war ein langes Kleid, ich glaube, es hatte lange Ärmel. Es kratzte, es war ein etwas derber Stoff und die Perücke war aus Schaumgummi, das wurde am Kopf angeklebt. Das war nicht sehr angenehm. An solche Sachen erinnert man sich. An was erinnern Sie sich aus den Proben zu Sacre? Haben Sie im Studio von Mary Wigman geprobt? Mary hat die Möglichkeit genutzt, mit ihren Schülern im Studio etwas auszuprobieren. Das war so bei Sacre oder auch bei ihrer Inszenierung Alkestis, der Oper von Gluck. Ich erinnere mich, dass wir an Schritten und Haltungen gearbeitet haben. Das Studio war nicht sehr groß. Aber ich kann mich auch an die Bühnenproben erinnern. An die Schräge, die ansteigende Ellipse. War das eine Umstellung vom flachen Boden im Studio auf diese Schräge? Es hat sich zunächst merkwürdig angefühlt, man musste sich orientieren. Wir haben uns aber nicht wirklich damit aus einandergesetzt. Man hat es angenommen, probiert und sich zurechtgefunden. Waren Sie noch Studentin zu der Zeit?
Ich bin erst im Januar 1957 in die WigmanSchule gekommen. Und die Proben begannen ja schon 1957. Das muss im Frühjahr gewesen sein. Worum ging es Mary Wigman in ihrem Unterricht? Die Übungsstunden, die Wigman selbst gegeben hat, haben bestimmte Qualitäten angesprochen. Mal ging es ums Gleiten, dann ums Schwingen, das nächste Mal war das Vibrato dran. Über die Zeit haben sich diese Qualitäten mehr und mehr im Körper eingeprägt. Sind diese Elemente in die Sacre-Choreo graphie eingeflossen? Ja, ganz bestimmt. Was ist das Besondere an dem Vibrato? In den Notizen zu Sacre kommt der Begriff mehrfach vor. Mary Wigman ist immer vom Atem ausgegangen. Bei ihr war jede Bewegung mit dem Atem verbunden. Man musste sich den eigenen Atem bewusst machen. So wie ich es erinnere, sind die unterschiedlichen Qualitäten mit einer bestimmten Gangart verbunden und erhalten durch den Atem eine bestimmte Form und Aussage. Das Gleiten ist etwas ganz Ebenmäßiges und wird durch den ebenmäßigen Atem erzeugt und getragen. Das Vibrato hat dieses leicht Erregte und ist bedingt durch einen pulsierenden Atem. Das Schwingen hat dann wieder einen anderen Atem und Atemrhythmus. Hinzu kommen verschiedene Tempi in der Ausführung, erst langsame, dann sich steigernde, kombiniert mit Schritten und schließlich koordiniert mit Armgesten.
Hat das Vibrato auch einen bestimmten Ansatz? Ja, eben vom Atem her und dann von den Füßen, von den Fußgelenken, vom Setzen der Füße. Es gibt verschiedene Variationen: auf flachem Fuß oder auf halber Spitze oder auf noch höherer halber Spitze – in unterschiedlichem Tempo. Es hatte immer mit der dahinter stehenden Idee zu tun. Was war das Besondere an Wigmans Unterricht? Sie hat wiederholt betont: Ich will keine kleinen Wigmans ausbilden, sondern jeder muss seinen eigenen Weg finden. Ihr Ansatz der Bewegungssprache ging aus vom Verinnerlichen einer Idee, eines Bildes und führte zu einer Formgebung in einer Bewegungsgestalt. Das war für mich eine Inspiration. Ihre Bewegungen waren so klar, so einfach, so treffend. Sie hat immer wieder betont: Wenn du Himmel meinst, kannst du nicht Erde sagen. Die Hände haben bei ihr eine große Rolle in der Aussage gespielt. Das Gesicht ebenso. Mir ist das erst später richtig bewusst geworden. Wie stehen Sie zu der Rekonstruktion von Wigmans Sacre? Ich finde es sehr mutig, so etwas anzugehen. Und wie es angegangen wurde – mit einer Choreographin und den Zeitzeugen, die Wigman-Erfahrung haben – das hat mich sehr begeistert. Als ich im Frühjahr hier war, war ich davon angetan, wie gut wir im Team zusammen arbeiten. Ich war mir ja überhaupt nicht sicher, an was ich mich erinnere. Ich hatte mir zwar die Musik zu Hause angehört und das Skizzenbuch durchgeblättert und mir Gedanken
gemacht. Aber erst im Team, in dem wir uns gegenseitig inspiriert haben, kamen dann die Erinnerungen hoch, auch körperlich. Das war unerwartet. Was war das für ein Gefühl für Sie? Das war schön, sehr schön wie man sich dann doch erinnert hat, auch im Zusammenhang mit der Musik. Wie beurteilen Sie die Versuche des Rekonstruktionsteams, die Leerstellen in der Choreographie, das heißt die Stellen, zu denen es keine Notizen gibt, zu füllen? Das ist eine riesige Aufgabe für Henrietta Horn, diese Verantwortung zu tragen. Ich weiß nicht, ob es für mich möglich gewesen wäre, so etwas anzunehmen. Aber sie ist jung und hat auch den Hintergrund durch ihre eigene künstlerische Arbeit. Bezüglich der Leerstellen muss das Team Entscheidungen treffen. Ich finde das sehr mutig, dass sie das angenommen hat und sich mit ihrem ganzen Wesen da hinein begibt und versucht, diese Stellen auch zu füllen. Ich bin mir sicher, dass sie es im besten Sinne tut. Die Rolle des »Opfers«, der »Erwählten«, die Dore Hoyer getanzt hat, ist eine Leer stelle. Es gibt keine Notizen von ihr dazu. Wie haben Sie Dore Hoyer in dieser Rolle erlebt? Mich hat Dore Hoyer als Tänzerin fasziniert. Sie war das Vorbild einer Solotänzerin für mich. Mary Wigman habe ich ja nie tanzen sehen. Dore Hoyer hatte eine sehr starke, asketische, sinnliche Ausstrahlung und war von einer vergeistigten, athle tischen Körperlichkeit. Ihre Bewegungs-
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sprache war – wie die von Mary Wigman – sehr genau und klar. Sie hat in ihrer Bewegung »ausgesprochen«, was sie meinte. Ihre Bewegungen waren von der innerlichen Aussage her geformt. Sie haben gestern in der Probe zum ersten Mal eine Gruppenszene gesehen. Kommt sie dem nahe, was Sie von Le Sacre du Printemps 1957 erinnern? Diese Gruppenbewegung, dieses Kommen und Gehen, die Bewegungsqualität – da dachte ich: Nein, so war das, glaube ich, nicht. Da muss noch irgendwas geändert werden. Die choreographische Grund struktur ist jedoch sichtbar. Das ist schön zu sehen. Wir wissen, dass Wigman gegen Rekon struktionen war. Wie bewerten Sie diese Haltung? Ich denke, ihre Solotänze waren immer an ihre persönliche Lebenserfahrung gebunden. Die wollte sie nicht wieder getanzt sehen und auch nicht mehr selbst tanzen. Sacre war etwas anderes. Sacre war ein Auftragswerk. Deshalb denke ich, sie würde sich freuen, wenn sie sehen würde, mit welch großem Interesse, mit wie viel Arbeit und Intensität von verschiedenen Seiten versucht wird, dieses Werk wieder zu beleben. Vielleicht wäre sie kritisch, aber ich denke, dass sie sich sehr freuen würde, das zu sehen.
Die Fragen stellte Patricia Stöckemann
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R e ko n s t r u k t i o n s und Probenphase 2013 01 H enrietta Horn 02 Katharine Sehnert, Henrietta Horn 03 H enrietta Horn, Katharine Sehnert 04 B rigitta Herrmann, Susan Barnett und Ensemble 05 H enrietta Horn, Susan Barnett 06 Katharine Sehnert 07 Mauro de Candia, Henrietta Horn, Emma Lewis Thomas und Brigitta Herrmann 01
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08 H enrietta Horn und Ensemble
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[ Fotos Oben und rechts ] Ensemble
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[ Foto ] Ensemble
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[ Foto Oben ] Wilson Mosquera Suarez // Etienne Aweh // Gustavo Gomes // Tim Gerhards [ Foto links ] Tim Gerhards // Gianni Cuccaro
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[ Foto Oben ] Wilson Mosquera Suarez // Tiago Manquinho // Simon Wiersma // Kathrina Wilke // Gianni Cuccaro [ Foto links ] Tiago Manquinho // Wilson Mosquera Suarez // Simon Wiersma // Gianni Cuccaro
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[ Foto ] Da Soul Chung // Dirk Kazmierczak // Chris Bauer // und Ensemble
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[ Fotos Oben ] Ensemble [ Foto rechts ] Claudia Braubach // Dirk Kazmierczak
[ Fotos ] Dirk Kazmierczak und Ensemble
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[ Foto Oben ] Amadeus Marek Pawlica // Saori Ando [ Foto unten ] Hsuan Cheng // Tiago Manquinho [ Foto Links ] Tim Gerhards // Anne-Hélène Kotoujansky
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[ Foto Oben ] Hsiao-Ting Liao // Dirk Kazmierczak [ Foto rechts ] Hsuan Cheng und Ensemble
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[ Foto ] Hsuan Cheng // Claudia Braubach // und Ensemble
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[ Fotos ] Hsiao-Ting Liao
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[ Fotos ] Hsuan Cheng
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[ Fotos ] Hsiao-Ting Liao
[ Foto ] Ensemble
Anhang
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Biografien
M au ro d e C a n d i a C h o r e o g r a p h i e » F i at Lu x « Mauro de Candia, Jahrgang 1981, begann im Alter von zehn Jahren zu tanzen. Die russische Tänzerin und legendäre Pädagogin Marika Besobrasova entdeckte ihn und ermöglichte ihm – nach kurzen Stationen an der Ballettschule der Mailänder Scala und der Ballettschule Rudra Béjart in Lausanne – seine Ausbildung als Stipendiat der John GilpinStiftung an der Académie de Danse Classique Princesse Grace in Monte Carlo. Von 2001 bis 2006 war er Solist des Balletts der Staatsoper Hannover unter der Leitung von Stephan Thoss, der eigens für ihn neue Werke und Partien kreiert hat. Während seiner Laufbahn als professioneller Tänzer hat Mauro de Candia Hauptrollen in Stücken von Maurice Béjart, Jiri Kylián, Mats Ek, William Forsythe, Ohad Naharin und Marco Goecke getanzt. Als freischaffender Choreograph arbeitete er ab 2007 u. a. für das Royal Ballet of Flanders, das MaggioDanza in Florenz, das Milwaukee Ballet, für Introdans, das Ballett Augsburg, das Staatsballett Berlin und dessen Ballettintendant Vladimir Malakhov. 1997 hat er in seiner Heimatstadt Barletta den Verein Arte&BallettO gegründet und 2005 das ApuliArteFestival sowie den International Award ApuliArte. Für seine künstlerische Arbeit erhielt er zahlreiche Preise und Ehrungen. Unter anderem wurde er 2007 von dem Tanzmagazin Dance for you als junger Nachwuchschoreograph nominiert und 2009 mit der Silbermedaille von dem italienischen Präsidenten Giorgio Napolitano ausgezeichnet. Seit der Spielzeit 2012/13 ist Mauro de Candia künstlerischer Leiter der Dance Company Theater Osnabrück.
G r e g o r Zö ll i g C h o r e o g r a p h i e » R a u s c h e n « Gregor Zöllig, geboren 1965 in St. Gallen, ist seit der Spielzeit 2005/06 Leiter des Tanztheaters Bielefeld. Nach seiner Tänzerausbildung an der Folkwang Musikhochschule bildete er sich an der Stuttgarter John Cranko Ballettakademie weiter. Seine ersten Engagements als Tänzer und Solotänzer führten ihn an die Theater Aachen und Münster, wo er auch eigene Choreographien zeigte. 1996 wurde Gregor Zöllig Assistent und Gasttrainingsleiter beim Bremer Tanztheater unter der künstlerischen Leitung von Urs Dietrich. Als Gastchoreograph arbeitete er am Tanzwerk Nürnberg/Ballett Nürnberg unter der künstlerischen Leitung von Jean Renshaw und Dirk Elwert, am Staatstheater Schwerin, am Ballett Vorpommern, am Theater Münster, am Oldenburgischen Staatstheater sowie am Tanztheater Nürnberg unter der Leitung von Daniela Kurz mit einer Teilchoreographie für Winterreise von Schubert. Letztere gewann den Bayerischen Theaterpreis 2000 in der Sparte Tanz. 1995 gründete er seine eigene Kompanie. Von 1997 bis 2005 war er Leiter und Choreograph des Tanztheaters der Städtischen Bühnen Osnabrück. Dort etablierte er sein Forum für modernen und zeitgenössischen Tanz, mit dem er schließlich an das Theater Bielefeld wechselte. Für seine Choreographie Erste Symphonie von Johannes Brahms wurde er
2009 für den deutschen Theaterpreis DER FAUST nominiert. Gregor Zöllig gründete außer dem viel beachtete und bundesweit anerkannte Initiativen wie Tanzboden – das erste deutsche Netzwerk städtischer und staatlicher Tanzensembles sowie das Laientanzprojekt Zeitsprung. Letztere Projektreihe hat er gemeinsam mit Royston Maldoom entwickelt.
M a r y W i g m a n C h o r e o g r a p h i e » L e S ac r e d u P r i n t e m ps « Mary Wigman (1886–1973) zählt zu den bedeutendsten Tänzerpersönlichkeiten im 20. Jahrhundert. Sie hat in ihrer Dresdener Schule unzählige Tänzerinnen und Tänzer ausgebildet, die den Ausdruckstanz, den modernen Tanz, in Deutschland bestimmten und in die Welt getragen haben (u. a. Gret Palucca, Harald Kreutzberg, Yvonne Georgi, Hanya Holm). Ihre künstlerische und pädagogische Wirkkraft war von internationaler Ausstrahlung. Schüler/innen kamen aus verschiedenen Ländern und Kontinenten in ihre Dresdner Schule (1920–1942), nach dem Zweiten Weltkrieg zu ihr nach Leipzig zum Studium ( 1943– 1948) und dann in ihr Berliner Studio, wo sie von 1949 bis 1967 unterrichtete. Tourneen führten Mary Wigman als Tänzerin durch Europa und über den Atlantik, u. a. nach New York, wo sie die Carnegie Hall füllte und wo sie mit den Größen des amerikanischen Modern Dance wie Martha Graham zusammentraf und einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf den amerikanischen modernen Tanz ausübte. Mary Wigman gilt bis heute als eine der einflussreichsten Tanzkünstlerinnen des modernen Tanzes deutscher Provenienz. In den 1950er Jahren, in denen sie nicht mehr als Tänzerin aktiv war, aber weiterhin schöpferisch tätig, schuf sie ihre großen Inszenierungen in Mannheim (wie Händels Saul oder Glucks Alkestis). Von den Berliner Festwochen erhielt sie 1957 den Auftrag, für das Ballettensemble der Städtischen Oper Le Sacre du Printemps zu choreographieren. Die Berliner Presse resümierte: »Endlich. Denn Berlin als Theaterstadt könne es sich nicht leisten, Mary Wigman, die international bedeutendste Tanzschöpferin, nach Mannheim gehen zu lassen, und nicht nach Berlin zu holen.« Wigmans Sacre-Version reiht sich ein in die der bedeutendsten Bühnenfassungen dieses Werkes.
H e n r i e t ta H o r n R e ko n s t r u k t i o n » L e S ac r e d u P r i n t e m ps « Henrietta Horn studierte von 1987 bis 1992 an der Deutschen Sporthochschule Köln mit dem Schwerpunkt »Elementarer Tanz«. Anschließend absolvierte sie ein Bühnentanzstudium an der Folkwang Hochschule in Essen. Schon während ihres Studiums entstanden erste eigene choreographische Arbeiten. Von 1999 bis 2008 übernahm Henrietta Horn gemeinsam mit Pina Bausch die künstlerische Leitung des Folkwang Tanz Studios. Im gleichen Jahr entstand ihre Choreographie Solo, die mit großem Erfolg bis heute auf
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nationalen und internationalen Bühnen gezeigt wird. In den neun Jahren ihrer Leitungstätigkeit choreographierte Henrietta Horn zehn Stücke für das Ensemble des Folkwang Tanz Studios, die im Rahmen einer intensiven Gastspieltätigkeit im In- und Ausland gezeigt wurden. Darüber hinaus wird Henrietta Horn auch immer wieder eingeladen, als Gastchoreographin zu arbeiten. So choreographierte sie 2002 zur Eröffnung des Goethe Instituts Jakarta ein Stück für indonesische Tänzerinnen und Tänzer. 2006 entstand Reveil mit Tänzerinnen und Tänzern aus Kamerun und 2009 kreierte Henrietta Horn blue hour für Studenten der Theaterhochschule Damaskus. 2010 zeichnete sie für die Choreographie der Eröffnungsveranstaltung zur Kulturhauptstadt Ruhr 2010 verantwortlich, außerdem arbeitete sie mit der Rambert Dance Company London, dem Bremer Tanztheater und dem Tanztheater Bielefeld zusammen.
und 1986 die Gruppe Kontinuum. Es folgten zahlreiche Gastspiele, choreographische Arbeiten u.a. am Opernhaus Bremen und Tanzseminare. Seit 1988 wieder verstärkt SoloArbeiten und Gastspiele in Mexico, USA, Deutschland. Für ihr Tanzsolo lautloses echo erhielt sie 1994 den Kölner Tanzpreis. 1992 initiierte sie die Reihe MultiArt – Künstler zu Gast im TANZRAUM mit regelmäßig stattfindenden spartenübergreifenden Aufführungen. Seit 2003 ist sie wieder freischaffend tätig. Sie gibt regelmäßig Seminare und Lecture demonstrations in Einführung in den Wigman-Stil u. a. bei PACT Zollverein, Essen und an verschiedenen Hochschulen in Deutschland und Russland. Coaching und künstlerische Beraterin beim Re-Enactment Projekt A Mary Wigman Evening von und mit Fabian Barba bei K3 Kampnagel Hamburg. 2009 erhielt sie den Ehrentheaterpreis der Stadt Köln für ihr Lebenswerk.
S u sa n B a r n e t t R e ko n s t r u k t i o n » L e Sac r e d u P r i n t e m ps «
Al f r e d P e t e r B ü h n e u n d Ko s t ü m e
Susan Barnett – in Wales geboren, in Chile und Peru aufgewachsen – erhielt ihre Tanz ausbildung in England. Ab 1978 folgten Engagements an verschiedenen Theatern in Deutschland und in Chile. Von 1985 bis 1993 gehörte sie zum Ensemble von Hans Kresnik in Heidelberg und Bremen. Ab 1993 arbeitete sie als Trainingsleiterin, als Co-Autorin für Dokumentationen des Deutschen Tanzfilminstituts Bremen und als Projektleiterin von Tanzfestivals und Veranstaltungen. 2004 schloss sie ein tanzwissenschaftliches Studium am Laban Center, London, ab. Als Trainingsleiterin und künstlerische Mitarbeiterin war sie von 2004 bis 2012 am Tanztheater Bremen unter der Leitung von Urs Dietrich engagiert.
Alfred Peter studierte in der Meisterklasse für Bühnen- und Filmgestaltung an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien bei Axel Manthey und Klaus Zehelein. Er entwarf Bühnen- und Kostümbilder u.a. für das Bremer Theater, das Tiroler Landestheater Innsbruck, die Münchner Kammerspiele, das Aalto Theater Essen, das Luzerner Theater, die Oper Graz und die Oper Frankfurt. Im Bereich Tanz arbeitete er mit Rose Breuss in Wien, mit Urs Dietrich am Bremer Tanztheater und mit Darrel Toulon in Graz zusammen. In der Spielzeit 2012/13 war er verantwortlich für Bühne und Kostüme des dreiteiligen Tanzabends Auch / Effekte / Pixelmann von Reinhild Hoffmann, Susanne Linke und Henrietta Horn am Theater Bielefeld.
I n g e K at h a r i n e S e h n e rt R e ko n s t r u k t i o n » L e S a c r e d u P r i n t e m ps « Inge Katharine Sehnert studierte von 1955 bis 1963 Tanz und Tanzpädagogik bei Mary Wigman in Berlin. 1962 war sie Mitgründerin der Gruppe Motion, eine der ersten Gruppe der Freien Szene. Von 1970 bis 1974 tanzte sie im Folkwang-Tanzstudio (FTS) in Essen und war Probenassistentin von Pina Bausch. Ein Studium der Kinetographie und eigene choreographische Arbeiten u. a. in Detmold, Darmstadt und diverse Lehraufträge folgten. Von 1974 bis 1980 war sie als Pädagogin und Choreographin in Frankfurt tätig und gründete dort die Gruppe Mobile. Sie realisierte eigene Produktionen am Theater am Turm (TAT) und führte Lehrerfortbildungs-Seminare Tanz in Schulen in Hessen durch. Seit 1981 lebt und arbeitet sie in Köln. Hier gründete sie den TANZRAUM als ein kreatives Zentrum
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Textnachweise
S. 6 Originalbeitrag für dieses Programmbuch S. 20 Originalbeitrag für dieses Programmbuch S. 34– 35 Originalbeitrag für dieses Programmbuch S. 36, 42, 43, 46, 47, 50–52, 62, 65, 67 Notizen, Texte, Tagebucheintragungen von Mary Wigman // Mary-WigmanArchiv der Akademie der Künste Berlin // © Mary Wigman-Stiftung im Deutschen Tanzarchiv Köln S. 53, 55, 56, 59–62, 64, 65, 67 Briefe von Mary Wigman // Mary-Wigman-Familienarchiv im Deutschen Tanzarchiv Köln // © Mary Wigman-Stiftung im Deutschen Tanzarchiv Köln S. 71– 73 Briefe von und an Dore Hoyer // Dore-Hoyer-Archiv im Deutschen Tanzarchiv Köln // © Deutsches Tanzarchiv Köln S. 76–81 Originalbeitrag für dieses Programmbuch S. 84–85 Originalbeitrag für dieses Programmbuch S. 88–90 Originalbeitrag für dieses Programmbuch
Bildnachweise
Gestaltung Jennifer Dreier Titel S. U2+U3 Proben zu Le Sacre du Printemps 2013 // Fotos: Bettina Stöß S. 4–5 Proben zu Fiat Lux // Foto: Jörg Landsberg S. 6 –7 Proben zu Fiat Lux // Foto: Bettina Stöß S. 8–13 Proben zu Fiat Lux // Fotos: Jörg Landsberg S. 14 Proben zu Fiat Lux // Foto: Bettina Stöß S. 15–16 Proben zu Fiat Lux // Fotos: Jörg Landsberg S. 17 o. Proben zu Fiat Lux // Foto: Bettina Stöß S. 17 u. Proben zu Fiat Lux // Foto: Jörg Landsberg S. 18–19 Proben zu Rauschen // Foto: Bettina Stöß S. 21–31 Proben zu Rauschen // Fotos: Bettina Stöß S. 32–33 Proben zu Le Sacre du Printemps 2013 // Foto: Jörg Landsberg S. 37 Erwin Bredow (Der Weise) und Ensemble // Foto: S. Enkelmann / Deutsches Tanzarchiv Köln // © VG Bildkunst Bonn S. 38–39 Programmzettel der Uraufführung Le Sacre du Printemps von Mary Wigman // Deutsches Tanzarchiv Köln S. 40–41 Proben zu Le Sacre du Printemps 1957 // Fotos: Harry Croner / Stadtmuseum Berlin S. 44–45 Proben zu Le Sacre du Printemps 1957 // Fotos: Harry Croner / Stadtmuseum Berlin S. 48–49 Proben zu Le Sacre du Printemps 1957 // Fotos: Harry Croner / Stadtmuseum Berlin S. 54 Skizzen von Mary Wigman zu Le Sacre du Printemps // Mary-Wigman-Archiv der
Akademie der Künste Berlin // © Mary Wigman-Stiftung im Deutschen Tanzarchiv Köln S. 57–58 Skizzen von Mary Wigman zu Le Sacre du Printemps // Mary-Wigman-Archiv der Akademie der Künste Berlin // © Mary Wigman-Stiftung im Deutschen Tanzarchiv Köln S. 63 Skizzen von Mary Wigman zu Le Sacre du Printemps // Mary-Wigman-Archiv der Akademie der Künste Berlin // © Mary Wigman-Stiftung im Deutschen Tanzarchiv Köln S. 66 Skizzen von Mary Wigman zu Le Sacre du Printemps // Mary-Wigman-Archiv der Akademie der Künste Berlin // © Mary Wigman-Stiftung im Deutschen Tanzarchiv Köln S. 70 Skizzen von Mary Wigman zu Le Sacre du Printemps // Mary-Wigman-Archiv der Akademie der Künste Berlin // © Mary Wigman-Stiftung im Deutschen Tanzarchiv Köln S. 68–69 Mary Wigman bei einer Probe in ihrem Berliner Studio 1957 // Foto: S. Enkelmann / Deutsches Tanzarchiv Köln // © VG Bildkunst Bonn S. 74 Probe zu Le Sacre du Printemps mit Mary Wigman (vorne Mitte) und Produktionsteam // Foto: S. Enkelmann / Deutsches Tanzarchiv Köln // © VG Bildkunst Bonn S. 75 Dore Hoyer und Ensemble in Le Sacre du Printemps 1957 // Fotos: S. Enkelmann / Deutsches Tanzarchiv Köln // © VG Bildkunst Bonn S. 82–83 Dore Hoyer und Majid Kashef in Le Sacre du Printemps 1957 // Foto: S. Enkelmann / Deutsches Tanzarchiv Köln //© VG Bildkunst Bonn S. 86–87 Szenenfotos aus Le Sacre du Printemps 1957 // Foto: S. Enkelmann / Deutsches Tanzarchiv Köln // © VG Bildkunst Bonn S. 91 Mary Wigman bei einer Probe in ihrem Berliner Studio 1957 // Foto: S. Enkelmann / Deutsches Tanzarchiv Köln // © VG Bildkunst Bonn S. 92–93 Fotos aus der Rekonstruktions- und Probenphase Le Sacre du Printemps 2013 von Henrietta Horn und Patricia Stöckemann S. 94 o. Proben zu Le Sacre du Printemps 2013 // Foto: Jörg Landsberg S. 94 u. Proben zu Le Sacre du Printemps 2013 // Foto: Bettina Stöß S. 95–99 Proben zu Le Sacre du Printemps 2013 // Fotos: Jörg Landsberg S. 100 Proben zu Le Sacre du Printemps 2013 // Foto: Bettina Stöß S. 101–103 Proben zu Le Sacre du Printemps 2013 // Fotos: Jörg Landsberg S. 104–107 Proben zu Le Sacre du Printemps 2013 // Fotos: Bettina Stöß S. 108 Proben zu Le Sacre du Printemps 2013 // Foto: Jörg Landsberg S. 109 Proben zu Le Sacre du Printemps 2013 // Fotos: Bettina Stöß S. 110 Proben zu Le Sacre du Printemps 2013 // Foto: Jörg Landsberg S. 111–118 Proben zu Le Sacre du Printemps 2013 // Fotos: Bettina Stöß S. 119 Proben zu Le Sacre du Printemps 2013 // Foto: Jörg Landsberg S. 120–121 Proben zu Fiat Lux // Foto: Bettina Stöß
Ko o p e r at i o n spa r t n e r d e r R e ko n s t r u k t i o n » L e Sa c r e d u P r i n t e m ps « v o n M a ry W i g m a n Mary Wigman Archiv der Akademie der Künste Berlin Deutsches Tanzarchiv Köln Mary Wigman Stiftung im Deutschen Tanzarchiv Köln Theaterwissenschaftliche Sammlung der Universität zu Köln Bayerisches Staatsballett
Da n k a n Stephan Dörschel / / Stefan Hilterhaus / / Dr. Hedwig Müller / / Thomas Ohlendorf / / Dr. Frank-Manuel Peter / / Bettina Raeder / / Bärbel Reißmann / / Barbara Schäche / / Zoë Schepke / / Garnet Schuldt-Hiddemann / / Irene Sieben / / Bernd Steinmann / / Luise Steinmann / / Yvonne White / / Stiftung Stadtmuseum Berlin / / Fotosammlung Landesarchiv Berlin / / Deutsches Literaturarchiv Marbach / / PACT Zollverein / / Folkwang Universität der Künste / / Hochschule für Musik und Tanz Köln / / … und an all die vielen Nichtgenannten, die dieses Projekt unterstützt haben.
F oy e r au ss t e llu n g z u M a r y W i g m a n UND » L e Sa c r e d u P r i n t e m ps « Theater Osnabrück November 2013 bis Januar 2014 / / Stadttheater Bielefeld November 2013 bis Januar 2014 / / Idee Mauro de Candia / / Konzept Hedwig Müller, Patricia Stöckemann / / Grafik und Umsetzung Osnabrück Irina Spreckelmeyer
S y m po s i u m z u » L e Sac r e d u P r i n t e m p s « a u s w e i b l i c h e r P e r s p e k t i v e 8. und 9. November, Theater Osnabrück, oberes Foyer / / Konzept Mauro de Candia, Patricia Stöckemann / / Referentinnen Dr. Sabine Huschka, Dr. Hedwig Müller, Dr. Oberzaucher-Schüller, Dr. Katja Schneider / / Podiumsteilnehmer/innen Jo Ann Endicott, Henrietta Horn, Ivan Lisˇka
IM P RE S S UM Herausgeber Theater Bielefeld und Theater Osnabrück / / Intendanz Theater Bielefeld Michael Heicks / / Intendanz Theater Osnabrück Dr. Ralf Waldschmidt / / Redaktion Dr. Patricia Stöckemann und Diether Schlicker / / Gestaltung Jennifer Dreier / / Druck Bösmann Medien und Druck GmbH & Co. KG, Detmold [ Foto ] Hsuan Cheng
Wir bitten Sie, während der Vorstellung Ihre Mobiltelefone auszuschalten. Filmen, Fotografieren und jede weitere Form elektronischer Aufzeichnungen sind aus rechtlichen Gründen nicht gestattet.
Das Theater Osnabrück wird gefördert aus Mitteln der Stadt Osnabrück, des Landes Niedersachsen sowie des Landkreises Osnabrück.
Das Theater Bielefeld wird gefördert durch