Der Pechvogel (Ο Άτυχος) – Νίκου Ευάγγελος

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Der Pechvogel (Ο Άτυχος) – Νίκου Ευάγγελος

KAPITEL #1

Es regnete und die Straße war glatt. Die Schienen der Straßenbahn strahlten auf der nassen Straße. Petros klappte den Kragen hoch und klapperte vor Kälte mit den Zähnen, er ging die Treppe langsam, langsam herunter, zu sich selbst sprechend: "Wieder ohne Essen heute." Er bog um die Ecke, von wo das kleine Lebensmittelgeschäft von Frau Kaliopi zu sehen war. Das Licht im Schaufenster gab Leben auf die Dekoration, die die junge Verkäuferin gemacht


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hatte. Ein Korb voll mit einer Flasche Wein, Brot, Käse, Nüsse, eine Tafel Schokolade und die schönen Blumen: Dies machte alles sehr feierlich. Petros stand kurz vor dem Schaufenster und schaute mit etwas Wut alles an. Er sah ins Lebensmittelgeschäft und erblickte die alte Frau Kaliopi, die ein paar Sachen auf dem Regal zurechtmachte. Die junge Verkäuferin war nicht zu sehen. Sehr nervös blickte er auf die Armbanduhr: 18.20 Uhr murmelte er. Das kann nicht sein: Sie ist bestimmt hier, dachte er sich. Es ist noch viel zu früh: Sie macht um 19.00 Uhr Feierabend; Petros wußte das ganz genau. Das war nicht das erste Mal, wo er vor dem Schaufenster stand. Mehrere Male hatte er die junge Verkäuferin beobachtet und wußte genau, um wieviel Uhr sie Schluß machte. Er wußte, daß sie den Bus von der nächsten Bushaltestelle nahm und daß sie in Richtung Süden fuhr. Er wußte, daß die alte Frau, die das Lebensmittelgeschäft hatte, seit sehr langer Zeit Witwe war und er wußte sehr gut, daß die Alte nicht nur kurzsichtig war, sondern auch an Rückenschmerzen leidete, und daß sie in der Wohnung, die über dem Geschäft lag und ihr auch gehörte, alleine wohnte. Petros wohnte ein paar Häuser weiter. Er kam vom Dorf in die Stadt, um zu arbeiten. Er wohnte seit zwei Jahren dort. Es kam aber alles nicht so leicht, wie er es sich gedacht hatte. Er wechselte viele Arbeitsstellen; er arbeitete als Schmied, auf der Baustelle und danach im Hafen. Jetzt aber, seit er acht Monate arbeitslos war, kurz vor Weihnachten und Neujahr, da stand er mit


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leerem Magen da. Er ging von dem Schaufenster weg in Richtung Stadtmitte. Er erinnerte sich an seinen Vater, seine Mutter und die kleine Schwester Eleni, die weinte, als er damals vom Dorf wegfuhr. Er erinnerte sich an die Worte seines Vaters als er sagte: "Bleib bei uns, mein Kind. Wir können uns das Land, das wir besitzen, bearbeiten und wenn das nicht genug ist, können wir noch Land verpachten. Das reicht dann bestimmt, um gut zu leben. Er erinnerte sich, daß ihn alle bis zum Bahnhof begleiteten, wo er dann den Bus nahm. Er erinnerte sich, daß er seit langem keinen Brief mehr geschrieben hatte. Seine Augen wurden feucht: Wer weiß, was seine Mutter sich denkt. Er schob die Hände in die Taschen und ging weiter. Eine Gruppe junger Leute kam von der anderen Seite sehr krakeelend. Der eine Junge, der nicht älter als 15 Jahre sein dürfte, hielt eine Flasche in der Hand, hob sie hoch und versuchte, sie mit Gewalt leerzutrinken. Ein Mädchen aus der Gruppe schrie und machte wilde Bewegungen mit den Händen, weil gerade ein Auto mit hoher Geschwindigkeit vorbeiraste und das Wasser von der Straße hochspritzte. Der Größte aus der Gruppe fragte laut, in welche Diskothek sie gehen sollten. Ein Mädchen sang einen Rock-and-Rol1 und klatschte dazu mit den Händen. Der Regen hatte sich verstärkt und im Licht der Laterne sah man, daß es gleich schneien würde. Petros beeilte sich, ohne zu wissen, wohin er geht. Jetzt regnete es ganz stark und der pfeifende Wind bewegte die


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Markise eines Geschäftes. Petros stellte sich unter die Markise, um sich vor dem starken Regen zu schützen: Das Wetter war auch gegen ihn. Ein Paar ging sehr schnell vorbei und als der Schirm an die Markise hakte, schreckte Petros auf und sprang zur Seite. Er hörte die Frau sagen: "Thanasi mußte lange auf der Bank warten!" Petros machte die Augen auf, er drehte sich um und starrte den Mann voller Wut an. Er knirschte die Zähne zusammen und ballte die Fäuste. Er war außer sich. "Sieh mal, es gibt noch Leute, die auch zur Bank gehen. Und ich?" Er trat mit den Schuhen gegen die Wand des Geschäftes und murmelte vor sich hin. Er verfluchte sein Schicksal, das ihn vergessen hatte und quälte. Alle waren sie gegen ihn, dachte er. Der Bauunternehmer, sein Onkel, der ihm nicht geholfen hatte, in der Konservenfabrik Arbeit zu finden, und dann noch dieses Wetter, das gar nicht aufhören wollte. Verflucht noch einmal, sagte er und trat mit Wut nochmals gegen die Wand. Petros konnte nicht mehr. Der Regen kam voller Kraft herunter. Er wollte sich bewegen, wollte laufen; er wollte etwas sagen, sich mit jemand unterhalten. Mit wem aber? Er stand ganz allein da und vergessen. Dimitrios und Nikos, die er beide von der vorletzten Arbeitsstelle an der Baustelle kannte, waren nicht mehr da: Sie waren nach Australien ausgewandert. Wer weiß, was die beiden jetzt machen, dachte er. Er ging weiter durch den Reger,, den Kopf gesenkt und mit langen Schritten auf dem menschenleeren Bürgersteig.


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Ich weiß nicht, was ich machen soll, sagte er zu sich. Ob ich hinunter gehen soll zur Busagentur um jemanden zu bitten, mich ohne Fahrschein mitfahren zu lassen? Oder soll ich es per Anhalter versuchen? Soll ich wieder zurückfahren ins Dorf? Wie werden mich die Leute dort aufnehmen? Was werden sie sagen? Sie alle werden im Dorfcafé sitzen können und ohne Probleme Kaffee trinken können. Aber ich? "Nein, das ist nicht möglich", sagte er laut. "Nein, das ist unmöglich. Ich kann es nicht machen." Nach zwei Jahren zurückkehren und wie ein Bettler vor meinem Vater stehen?. Ohne Geld für einen Kaffee und eine Schachtel Zigaretten. "Nein, das ist nicht möglich. Ich kann es nicht", sagte er laut, ohne zu merken, daß er sich mit sich selbst unterhalten hatte. Das merkte er erst, als zwei junge Mädchen, die an der Bushaltestelle standen, anfingen zu lachen. Voller Überraschung schaute er mit wildem Blick die Mädchen an und ging schneller. Wenn ich bloß eine Zigarette hätte. Hätte ich bloß eine Zigarette, dachte er. Dort, weit entfernt auf der anderen Seite, sah er einen Kiosk. Er hielt an, sah sich um, die Straße war frei. Er ging zur anderen Straßenseite, bog in Richtung Kiosk und ging weiter. Hatte der Weg kein Ende? Oh, Gott, ein paar Meter noch. Er konnte nicht mehr. Sein Haar konnte das Wasser nicht mehr aufhalten. Das Wasser floß über seinen Nacken. "Oh, Gott", sagte Petros laut und streifte mit der Hand über sein Gesicht. Unter der Markise vom Kiosk hielt er an und holte tief Luft.


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Jemand hatte gerade eingekauft und nahm den Rest vom 1.000-Drachmen-Schein. Voll Neid blickte Petros auf die 100-Drachmen-Scheine, die der andere zusammenknickte und in seine Tasche schob. Viele Dinge gingen in diesem Moment durch seinen Kopf. Er machte die Augen zu und schüttelte den Kopf. Das Wasser spritzte herum. Ein Soldat wollte gerade telefonieren und stieß mit ihm zusammen. "Verzeihung!", sagte der Soldat. Petros stellte sich an die Seite und hörte, wie der Soldat mit seiner Mutter telefonierte. Er hörte wie er sagte, sie solle sich keine Sorgen machen und daß es ihm gut ginge und er vielleicht zu Weihnachten nach Hause fahren würde, um mit ihr zu feiern. Petros Augen wurden feucht, er schaute den Soldat an. Er konnte es nicht mehr aushalten. "Heh, Du, Soldat!. Gibst Du mir eine Zigarette?", fragte er. Der Soldat öffnete die Packung und bot ihm eine an. Er streckte den Arm ängstlich aus, die Finger griffen nicht zu. Was war mit ihm los? Er hatte die Zigarette zwischen die Lippen gesteckt und zog die Flamme des Streichholzes ein. "Mann, was ist das für ein Sauwetter!" sagte der Soldat, hob den Kragen hoch und lief schnell weg. Petros stand unter der Markise, rauchte und dachte nach. "Wie kann der Mensch nur werden!" Auf der anderen Straßenseite hörte er eine Gruppe von Leuten lachen. Dort war ein Kino, er hatte es nicht gemerkt. Die Reklamelichter erleuchteten die Umgebung und die nasse Straße glitzerte wie ein Spiegel. Er schmiß die Kippe weg und ging auf die andere Straßenseite. Er sah nach, was


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heute gespielt wurde, was morgen und was in der nächsten Woche lief. In seiner Phantasie reiste er weit. Er war Pilot beim Militär, war reich und hatte alles. Er stand da. Er stand da wie eine Statue. Er führte seine Hand über sein Gesicht und fand die Wirklichkeit wieder. Er fand sich wieder, naß, hungrig, ohne zu wissen, wohin er gehen sollte und daß er die Kinoreklame sah, ohne ins Kino gehen zu können, weil er kein Geld hatte. Er sah auf die große Uhr, die an der Wand im Uhren- und Schmuckgeschäft hing. Die Uhr zeigte zwanzig Minuten nach 20Uhr. Seine Uhr hatte Petros schon lange verkauft. Vor drei Monaten schon, weil es damals auch schon so schlimm war wie heute. Er erinnerte sich, wie schwer es war. Das war die erste Uhr, die er besessen hatte. Die erste Uhr von Fani, seiner Verlobten. Er hatte von jemandem gehört, daß sie schon ein Jahr mit einem aus Thessaloniki verheiratet war. Was sollte sie auch machen? Ich habe sie vergessen, dachte er, genau wie meine ganze Familie. Ein Auto hielt am Straßenrand und ein Herr fragte ihn nach einer Straße. "Ich weiß nicht", sagte er. "Ich weiß nicht, ich bin auch nicht von hier", und nahm den Weg zurück zu seiner Wohnung. Zum Glück hatte er die Miete für drei Monate im voraus bezahlt. Was würde ich machen, wenn ich auch aus der Wohnung weg müßte? Der Regen hatte aufgehört und es war viel kälter geworden. Petros sprang hoch und er dachte, es wäre besser etwas zu laufen, damit ihm warm wird. Hatte er die Kraft? Sein Magen knurrte. "Wie werde ich heute


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abend wieder schlafen können?", fragte er sich. "Wenn ich wenigstens eine Schachtel Zigaretten hätte, würde mir die Nacht nicht so schwerfallen." Petros hielt an und plötzlich kehrte er um in Richtung Kiosk, wo er vor einer Stunde mit dem Soldaten sprach. Ein Krankenwagen fuhr mit hoher Geschwindigkeit und die Sirene heulte "Tatüü, tataa" und unterbrach die Stille. Jemand ist tot, sagte er. Jemand ist schwer krank, vielleicht vor Hunger? Er bekam Angstgefühle. Er fing an zu laufen, schnell, schnell, noch schneller. "Nein, ich will nicht. Nein, ich will nicht. Nein, Nein" schrie er laut. Er war schon wieder am Kino. Schnell die Straße rüber und schon war er am Kiosk. Er bückte sich, sagte: "Eine Schachtel Zigaretten und zwei Schachteln Kekse!" Der Verkäufer fragte ihn, ob er alles einpacken solle. Petros, ohne etwas zu sagen, schob die Zigaretten in die Tasche seines Mantels und tat, als ob er sein Geld herausholen wollte. Er schaute nach links und rechts, schnappte die Kekse und lief schnell weg. "Heh, Hilfe! Dieb! Polizei, Polizei!", schrie der Verkäufer und ging nach draußen. "Polizei, Polizei!". Petros konnte nicht mehr laufen. Er war schon in einer dunklen Nebenstraße, jetzt ging er langsam und ab und zu drehte er sich um. Plötzlich hörte er ein Auto. Petros sprang in die Nebenstraße und versteckte sich hinter einem dicken Baum. Das war keine Polizei. "Alles umsonst", sagte er. "Ist besser, wenn ich vorsichtig bin. Muß ich auch sein, bis ich zu Hause bin", murmelte er. Er machte die Schachtel Kekse auf und steckte


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zwei von den runden Dingern in den Mund. Er aß wie ein Hund, noch einen, und noch einen. Er hustete: "Huch, huch, huch”. Er bekam keine Luft mehr. "Huch, huch, huch." Er hielt sich an der Mauer des Hauses fest, wartete ein wenig und ging dann wieder weiter in Richtung Wohnung. Er holte die Zigaretten heraus, steckte sich eine an und atmete kräftig ein, damit die Lunge mit Rauch gefüllt wurde. Ihm wurde schwindelig. Oh, Gott. Er hielt sich mit der rechten Hand die Stirn und ging langsam. Irgendwie aber war er zufrieden. Ich werde meinen Magen mit Keksen vollstopfen, dachte er und ein oder zwei Zigaretten rauchen und dann rasch ins Bett gehen. Er fühlte sich glücklich. §


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KAPITEL #2

Der Kioskverkäufer war sehr durcheinander und voller Angst wählte er die Nummer der Polizei und erzählte ganz genau war passiert war. Sie sagten ihm, daß sie vorbeifahren würden, um alles aufzunehmen. Der Verkäufer beschwerte sich, er erzählte, wie der Mann ausgesehen hat und daß die Polizei sofort losfahren sollte, den der Dieb sei nicht weit weg…

ΠΕΡΙΣΣΟΤΕΡΑ…


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