Ausgabe Aare, AZA 1953 Sion Response Zentral, Psdg DP AG, Ent. bez.A 44631
MM22, 26.5.2015 | www.migrosmagazin.ch
Nachbarn Illustration: Badoux
Eine Sonderausgabe ßber die Menschen in unserer Nähe
Bitte Wohnungswechsel der Post melden oder dem regionalen Mitgliederdienst: Tel. 058 565 84 01, E-Mail: dienstleistungen@gmaare.migros.ch
4 | MM22, 26.5.2015
MM22, 26.5.2015 | 5
W
30
38
Editorial
«Hallo, Nachbar!»
86 Generationen
Pult an Pult mit dem Gschpänli. 13 Bauernkinder
Hof an Hof im Napfgebiet. 18 Bänz Friedli 20 Wöchnerinnen
Bett an Bett im Spital. 22 Grenzgänger
Steg an Steg am Rhein. 25 Schicksal
Tür an Tür mit einer Toten.
Sonderheft
Steuerfuss an Steuerfuss in der Innerschweiz. Zaun an Zaun mit «Superstar» Luca Hänni. 38 Sträflinge
Zelle an Zelle hinter Gittern. 43 Fussballfans
Schulter an Schulter im Stadion. 82 Auswanderer
Balkon an Balkon in Hongkong.
91 Streithähne
Rasen an Rasen mit dem Feind. 94 Scientologen
Flyer an Flyer mit der Sekte. 97 Tierfreundinnen
Ei um Ei im Hühnerstall. 98 Sprachgrenzler
Dorf an Village im Seeland. 110 Wohngemeinschaft
51 Saisonküche
Beere um Beere im Rezept. 63 Knusprige Snacks 64 Sommerideen 69 Sommerwettbewerb 70 Cumulus digital einlösen 73 Die Bouillon-Revolution
77 Neues aus Ihrer Region Aktionen, Reportagen und interessante News aus den Genossenschaften. 101 Glücksgriff 103 Rätsel/Impressum 108 Cumulus
M-Infoline: Tel. 0848 84 0848* oder Fax 0041 44 277 20 09 (Ausland). www.migros.ch/kundendienst; www.migros.ch Cumulus: Tel. 0848 85 0848* oder +41 44 444 88 44 (Ausland). cumulus@migros.ch; www.migros.ch/cumulus Redaktion Migros-Magazin: Limmatstrasse 152, Postfach 1766, 8031 Zürich, Tel. 058 577 12 12, Fax 058 577 12 08. redaktion@migrosmagazin.ch; www.migrosmagazin.ch * Normaltarif
Anzeige
Beet an Beet im Schrebergarten.
Migros-Welt
33 Kantonsgrenzler
Der Schweizer Comiczeichner Badoux (51) hat sich für diese Ausgabe des Migros-Magazins mächtig ins Zeug gelegt. Herausgekommen sind 20 Comics, die fast ein wenig an die legendäre Zeichentrickfigur La Linea erinnern.
88 Grüne Daumen
30 Wasserratten
Tuch an Tuch in der Badi.
13
Haus an Haus mit dem Ersatzgrosi.
Zahnbürste an Zahnbürste in der Gross-WG.
36 Promi
86
Artikel um Artikel an der Kasse.
28 Parlamentarier
Bank an Bank im Bundeshaus.
Nachbarn – Geschichten über die Menschen in unserer Nähe.
Ich kann nur empfehlen: Versuchen Sie es wieder einmal! Das Leben besteht nicht nur aus Social-Media-Beziehungen, aus «Best Friends Forever» auf Handydistanz. Nein, ganz in der Nähe gibt es Menschen mit spannenden Geschichten, die wir selten erfahren, News aus dem Dorf oder der Stadt, die an uns vorübergehen.
Hans Schneeberger, Chefredaktor hans.schneeberger@migrosmedien.ch
8 Mitbewohnerinnen
10 Schulfreunde
Meine Frau und ich haben vor zwei Jahren den Versuch gewagt und ganz spontan einige nähere und weitere Nachbarn an unserer Quartierstrasse zu einem Fest eingeladen. Das Wetter liess uns etwas im Stich, aber die Stimmung war aufgeräumt. Alle haben sich gefreut, man hat geplaudert, getratscht, Neuigkeiten ausgetauscht. Nachbarschaft gepflegt halt.
Den Tag der Nachbarn am 29. Mai haben wir zum Anlass genommen, ein Mal Nachbarschaft in all ihren Facetten zu zeigen. Nicht nur die Nachbarn jenseits des Gartenzauns, sondern noch viele Nachbarschaftsformen mehr. Über die Landesgrenze, über die Sprachgrenze, ja sogar Nachbarschaft über den Tod hinaus.
85 Supermarktkollegen
Wand an Wand mit der Schlummermutter.
Weshalb ist das so? Weshalb ist das Stichwort Nachbar heute mit derart vielen negativen Assoziationen behaftet? Wieso lese ich, wenn ich zum Thema «Nachbarschaft» recherchiere, erst einmal über «Lärmbeschwerden», «Kinderterror», «Grenzstreitigkeiten»? Ist es in Zeiten von Dichtestress, Reihenhäuschen und individueller Lebensweise nicht mehr möglich, einfach gute Nachbarn zu sein?
Dieses Jahr werden wir diesen Event wiederholen. Mit noch mehr Gästen aus dem Quartier, denen wir zu selten begegnen. Menschen, für die wir in der Hetze des Alltags zu wenig Zeit haben. Bethli, die nicht mehr so gut zu Fuss ist, aber uns auf der Strasse immer anstrahlt. Die Kinder aus der Nummer 10, bei denen uns Annika auf dem Gartentor stehend, erwartet. Oder der Architekt aus der Nummer 8, der die halbe Stadt kennt. Und alle freuen sich darauf. Jeder bringt etwas mit. Einen Insalata mista, eine Quarkcreme oder einen Kuchen. Vielleicht auch eine Flasche aus dem Keller. Nachbarschaft halt.
Nachbarn
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Editorial
«Hallo, Nachbar!»
86 Generationen
Pult an Pult mit dem Gschpänli. 13 Bauernkinder
Hof an Hof im Napfgebiet. 18 Bänz Friedli 20 Wöchnerinnen
Bett an Bett im Spital. 22 Grenzgänger
Steg an Steg am Rhein. 25 Schicksal
Tür an Tür mit einer Toten.
Sonderheft
Steuerfuss an Steuerfuss in der Innerschweiz. Zaun an Zaun mit «Superstar» Luca Hänni. 38 Sträflinge
Zelle an Zelle hinter Gittern. 43 Fussballfans
Schulter an Schulter im Stadion. 82 Auswanderer
Balkon an Balkon in Hongkong.
91 Streithähne
Rasen an Rasen mit dem Feind. 94 Scientologen
Flyer an Flyer mit der Sekte. 97 Tierfreundinnen
Ei um Ei im Hühnerstall. 98 Sprachgrenzler
Dorf an Village im Seeland. 110 Wohngemeinschaft
51 Saisonküche
Beere um Beere im Rezept. 63 Knusprige Snacks 64 Sommerideen 69 Sommerwettbewerb 70 Cumulus digital einlösen 73 Die Bouillon-Revolution
77 Neues aus Ihrer Region Aktionen, Reportagen und interessante News aus den Genossenschaften. 101 Glücksgriff 103 Rätsel/Impressum 108 Cumulus
M-Infoline: Tel. 0848 84 0848* oder Fax 0041 44 277 20 09 (Ausland). www.migros.ch/kundendienst; www.migros.ch Cumulus: Tel. 0848 85 0848* oder +41 44 444 88 44 (Ausland). cumulus@migros.ch; www.migros.ch/cumulus Redaktion Migros-Magazin: Limmatstrasse 152, Postfach 1766, 8031 Zürich, Tel. 058 577 12 12, Fax 058 577 12 08. redaktion@migrosmagazin.ch; www.migrosmagazin.ch * Normaltarif
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Beet an Beet im Schrebergarten.
Migros-Welt
33 Kantonsgrenzler
Der Schweizer Comiczeichner Badoux (51) hat sich für diese Ausgabe des Migros-Magazins mächtig ins Zeug gelegt. Herausgekommen sind 20 Comics, die fast ein wenig an die legendäre Zeichentrickfigur La Linea erinnern.
88 Grüne Daumen
30 Wasserratten
Tuch an Tuch in der Badi.
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Haus an Haus mit dem Ersatzgrosi.
Zahnbürste an Zahnbürste in der Gross-WG.
36 Promi
86
Artikel um Artikel an der Kasse.
28 Parlamentarier
Bank an Bank im Bundeshaus.
Nachbarn – Geschichten über die Menschen in unserer Nähe.
Ich kann nur empfehlen: Versuchen Sie es wieder einmal! Das Leben besteht nicht nur aus Social-Media-Beziehungen, aus «Best Friends Forever» auf Handydistanz. Nein, ganz in der Nähe gibt es Menschen mit spannenden Geschichten, die wir selten erfahren, News aus dem Dorf oder der Stadt, die an uns vorübergehen.
Hans Schneeberger, Chefredaktor hans.schneeberger@migrosmedien.ch
8 Mitbewohnerinnen
10 Schulfreunde
Meine Frau und ich haben vor zwei Jahren den Versuch gewagt und ganz spontan einige nähere und weitere Nachbarn an unserer Quartierstrasse zu einem Fest eingeladen. Das Wetter liess uns etwas im Stich, aber die Stimmung war aufgeräumt. Alle haben sich gefreut, man hat geplaudert, getratscht, Neuigkeiten ausgetauscht. Nachbarschaft gepflegt halt.
Den Tag der Nachbarn am 29. Mai haben wir zum Anlass genommen, ein Mal Nachbarschaft in all ihren Facetten zu zeigen. Nicht nur die Nachbarn jenseits des Gartenzauns, sondern noch viele Nachbarschaftsformen mehr. Über die Landesgrenze, über die Sprachgrenze, ja sogar Nachbarschaft über den Tod hinaus.
85 Supermarktkollegen
Wand an Wand mit der Schlummermutter.
Weshalb ist das so? Weshalb ist das Stichwort Nachbar heute mit derart vielen negativen Assoziationen behaftet? Wieso lese ich, wenn ich zum Thema «Nachbarschaft» recherchiere, erst einmal über «Lärmbeschwerden», «Kinderterror», «Grenzstreitigkeiten»? Ist es in Zeiten von Dichtestress, Reihenhäuschen und individueller Lebensweise nicht mehr möglich, einfach gute Nachbarn zu sein?
Dieses Jahr werden wir diesen Event wiederholen. Mit noch mehr Gästen aus dem Quartier, denen wir zu selten begegnen. Menschen, für die wir in der Hetze des Alltags zu wenig Zeit haben. Bethli, die nicht mehr so gut zu Fuss ist, aber uns auf der Strasse immer anstrahlt. Die Kinder aus der Nummer 10, bei denen uns Annika auf dem Gartentor stehend, erwartet. Oder der Architekt aus der Nummer 8, der die halbe Stadt kennt. Und alle freuen sich darauf. Jeder bringt etwas mit. Einen Insalata mista, eine Quarkcreme oder einen Kuchen. Vielleicht auch eine Flasche aus dem Keller. Nachbarschaft halt.
Nachbarn
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MM22, 26.5.2015 | NACHBARN
Mein Nachbar – der Mithäftling
«Es ist wichtig, eine Vertrauensperson zu haben» Kreshnik Krasniqi
Ihre Nachbarschaft ist nicht freiwillig: Kreshnik Krasniqi und Petar Gashi sitzen beide im Regionalgefängnis Thun in Untersuchungshaft, Zelle an Zelle. Die beiden Kosovaren haben sich auf Anhieb gut verstanden. Text: Ralf Kaminski
S
ie machen, was alle guten Nach barn tun: Sie helfen sich aus mit Kaffee, tauschen die Tageszei tungen, gehen sogar zusammen spazieren. Nur eins dürfen sie nicht: ihr Zuhause verlassen. Kreshnik Krasniqi* (43) und Petar Gashi* (51) sitzen beide in Untersuchungshaft im Regionalgefängnis Thun BE. Krasniqi wegen Diebstahls, Gashi wegen Einbruchs. Kennengelernt haben sie sich bei einem Spaziergang in einem der Innenhöfe mit den hohen Mau ern, am 22. Oktober 2014. Damals wurde Krasniqi vom Regionalgefängnis Burgdorf nach Thun verlegt, wo Gashi bereits seit Mitte Juni sass. «Wir sprechen die gleiche Sprache, deshalb haben wir miteinander zu reden begonnen», sagt Krasniqi. Sie sprechen zusammen über alles
Die Kosovaren verstanden sich auf Anhieb, seit vier Monaten bewohnen sie benachbarte Zellen. «Natürlich lernt man unter diesen Bedingungen nur bestimmte Seiten voneinander kennen», sagt Gashi. «Man kann nirgends zu sammen hin, lernt weder Freunde noch die Familie des anderen kennen.» Aber sie reden viel, «über alles», sagt Krasniqi. Ihre Familien, die Politik im Kosovo, *Namen der Redaktion bekannt
Bilder: Salvatore Vinci
Sport, ihre Situation, auch über ihre Taten, die Gründe, die Scham. Beide sind schon zum zweiten Mal im Gefängnis. «Das ist auch richtig so. Wir haben Fehler gemacht, und das muss bestraft werden», sagt Gashi, der einige Jahre mit einer Schweizerin verheiratet war und nach der Scheidung auf die schiefe Bahn geriet. Sein erster Gefängnis aufenthalt in St. Gallen kostete ihn die CBewilligung und führte zu einem zehnjährigen Landesverweis. Trotzdem kam er in die Schweiz zurück, weil er hier noch immer Familie hat. Er arbeitete erst schwarz auf dem Bau und machte dann den erwähnten Einbruch. «Ich schäme mich, und ich bin froh, dass wir hier in Thun so gut behandelt werden. Die Betreuer sind alle sehr anständig, und das Essen ist gut.» Viele sässen im Gefängnis und würden über die Schweiz schimpfen. «Dabei haben sie Scheisse gebaut. Sie sind schuld, nicht die Schweiz. Es ist ein schönes Land.» Auch Krasniqi war nur als Tourist hier. Er lebt eigentlich in Holland, ist auch geschieden und hat zwei Kinder, die bei ihrer Mutter wohnen. Monatelang schon hat er sie nicht mehr gesehen. «Ich geriet an die falschen Leute, habe viel getrunken und dann diese Dummheit gemacht.» Er beteiligte sich am Diebstahl einer grossen
NACHBARN | MM22, 26.5.2015 | 39
Zelle an Zelle: Kreshnik Krasniqi (vorn) und Petar Gashi im Regionalgefängnis Thun.
NACHBARN | MM22, 26.5.2015 | 13
Meine weit entfernten Nachbarn
«Ich schätze vor allem die Ruhe hier oben. Hier spüre ich die Natur noch ganz nah» Pia Vogel
Vier Kilometer Luftlinie trennen die beiden Familien Roos und Vogel im Napfgebiet. Eine Seilbahn, eine Kinderfreundschaft und eine Ziege verbinden sie. Text: Monica Müller Bilder: Salvatore Vinci
NACHBARN | MM22, 26.5.2015 | 15
1
1 Lea Roos und Linus
Vogel sitzen nur selten gemeinsam in der blauen Gondel, welche die Höfe ihrer Familien verbindet.
2 Sieben Minuten dauert die 1270-Meter-Fahrt im Seilbähnli vom Schwändi nach Ober Länggrat LU. 3 Lea und Linus führen
die Ziegen auf dem Breitäbnet spazieren.
3
2
L
ea Roos (9) und Linus Vogel (9) trennt eine Seilbahn. Oder eher ein Seilbähnli. Vier Personen haben Platz in der blauen Gondel, die vom Schwändi nach Ober Länggrat LU fährt. Morgens um 7.20 Uhr fährt Linus mit dem Velo vom Hof seiner Familie auf dem Breitäbnet zur Bergstation und lässt sich die 1270 Meter zur Talstation hinunterseilen. Sieben Minuten später trifft er auf Lea. Meistens bleibt noch kurz Zeit zum Fangis spielen, bis sie mit dem Schulbus nach Romoos LU in die Primarschule fahren. In der Freizeit treffen sie sich kaum, dafür ist die Distanz zwischen den Höfen mit vier Kilometern Luftlinie schlicht zu gross. Über die Kinder haben sich auch die Familien näher kennengelernt. Pia und Stefan Vogel (beide 46) betreiben auf dem Breitäbnet einen Biohof
mit 24 Kühen, 8 Geissen, 12 Hasen, 5 Hühnern und 3 Katzen. Sie leben vom Fleisch- und Holzverkauf, Stefan Vogel ist zudem Präsident der Strassengenossenschaft Kleiner Susten. Ihre Töchter Carolin (14) und Julia (12) besuchen die Kantonsschule in Willisau LU, Linus die Primarschule. Alle packen zu Hause mit an. Die vier Kinder helfen melken
David (34) und Martina (35) Roos haben ihre Kühe im Schwesterboden vor zwei Jahren wegen des tiefen Milchpreises verkauft. Seither setzen sie auf Schafsmilch in Bioqualität, 75 Tiere haben sie aktuell. David Roos arbeitet auch auswärts, im Tiefbaugeschäft seines Vaters, oder er montiert Solarzellen auf Dächern. Gehts los zum «Mälä», kommen die vier Kinder Lea (9), Sara (7), David (5) und Marco (2) mit in
NACHBARN | MM22, 26.5.2015 | 17
1
den Stall und helfen – der Kleinste mit der Heugabel. Die Gemeinde Romoos ist mit 37 Quadratkilometern Fläche etwa gleich gross wie der Kanton Basel-Stadt. Bloss hat Romoos etwa 700 Einwohner, in Basel-Stadt sind es rund 190 000. Das Napfgebiet ist zerklüftet, die Höfe sind abgelegen. So gefällts den Familien Roos und Vogel. «Wir kennen es nicht anders», sagt David Roos beim gemeinsamen Kafi mit Marmorkuchen und Schoggicrème bei den Nachbarn. Seine Frau erzählt, dass sie einmal kurz im Gemeindehaus des Nachbardorfs Doppleschwand gewohnt habe. «Sehr ungewohnt», sagt sie. Dieses Gefühl, dass jeder sieht, was man macht, habe ihr nicht behagt. Pia Vogel pflichtet ihr bei: «Ich schätze vor allem die Ruhe hier oben. Hier spüre ich die Natur noch ganz nah.» Zur Vor-
stellung, in der Stadt zu wohnen, sagen alle nur «Jesses nei!». Wie gehts Ziege Kläri?
Oft sehen sich die beiden Familien bloss aus der Ferne. Dann winken sie sich mit der Heugabel zu. Treffen sie sich in der Schule oder Kirche, tauschen sie sich auch über Kläri, die Ziege, welche die Vogels der Familie Roos abgekauft haben, aus. Eben hat sie zwei Böckli bekommen, das gibt Trockenfleisch und Würste im Herbst. Im Alltag helfen sich die Vogels und Roos’ vor allem beim Transport der Kinder. «Mal bringen wir eins hoch, mal bringen sie eins runter», sagt Martina Roos. Auch wenn sie alle die Abgeschiedenheit schätzen – sie sind froh, dass es da jemanden gibt, den sie anrufen könnten, sollten sie Hilfe brauchen. «Das gibt uns ein gutes Gefühl», sagt Pia Vogel. MM
2
1 Von links: David,
Sara, Julia, Lea und Linus tollen mit Kläri und ihren zwei Böckli sowie weiteren Ziegen über die Wiese beim Hof der Familie Vogel.
2 Ein seltenes Treffen fast aller Familienmitglieder auf dem Breitäbnet: David und Martina Roos (hinten rechts) mit Marco, Sara, Lea und David. Stefan und Pia Vogel (hinten Mitte) mit Julia und Linus. Martin (59, ganz links) wohnt auch bei ihnen.
NACHBARN | MM22, 26.5.2015 | 91
Erika Sprenger beim Einsammeln von fremdem Laub. Schuld daran: die Pappeln des Nachbarn im Hintergrund.
Mein Nachbar – die Nervensäge
«Seit 31 Jahren rechen wir fremdes Laub!» Erika Sprenger
Zwietracht im Thurgau: Erika Sprenger ärgert sich über das Laub, das vom Garten des Nachbarn auf ihr Grundstück weht. Eine Geschichte über zwei Streithähne und zu viele Pappeln. Text: Anne-Sophie Keller
Bilder: Salvatore Vinci
NACHBARN | MM22, 26.5.2015 | 93
Was tun bei Zoff mit dem Nachbarn? Die Tipps. Migrosmagazin.ch
M
an kann nicht sagen, dass Erika Sprenger (74) gut auf das Thema Nachbarschaft zu sprechen ist. Das Problem ist aber nicht direkt ihr Nachbar, der hier gern einfach Peter Müller genannt werden möchte, sondern die Botanik. Seit Jahrzehnten besitzt Peter Müller 14 Pappeln, die in 13 Meter Ent fernung zum Haus des Ehepaars Sprenger stehen. Das hat Folgen: «Dachrinne, Balkon, Hausplatz und Garten sind bei uns das ganze Jahr hindurch mit Ästen und Laub belegt. Bei Gewitter und Sturm ist es arg», sagt Sprenger. Das Laub mit dem Handrechen zu entfernen bringe jeweils wenig. «Dann fährt er unmittelbar nachher freund licherweise mit dem Motormäher durch seinen Garten und befördert das Laub von seinem Areal wieder zu uns.» Damit nicht genug: Müller habe einen Landwirt gesucht, der Schweinegülle auf sein Areal verteilt, damit es stinke. Die letzten 31 Jahre seien nicht einfach gewesen, sagt Erika Sprenger. Nun will der Unruhestifter von nebenan auch noch seine Garage zur Töffliwerkstatt umbauen. Daraufhin reich te Sprenger Einspruch gegen das Baugesuch ein. Es gehe ihr um den Umweltschutz. «Streit ist ihr Hobby»
Der beschuldigte Nachbar zeigt sich teilweise einsichtig: «Manchmal gefällt mir das auch nicht, wie es hier aussieht», sagt Peter Müller (67). Ende April habe sich dann die Gemeinde eingeschaltet. Frau Sprenger habe gedroht, das Laub in seinen Teich zu werfen. «Von wegen Umweltschutz», spottet Müller. Später habe Frau Sprenger ihn noch beim Kanton angeschwärzt. Er sei ein «böser Hagel», soll sie gesagt haben. Danach habe sie ihm einen Ast vor die Haustür gelegt. Als Warnung, wie Peter Müller meint. «Streit ist ihr Hobby. Vor Jahren hatte sie mit einem Bauern über die Heubelüftung und den Dreck ge stritten. Wenn alle so wären, gäbe es gar keine Bäume mehr. Von wo soll denn der Sauerstoff herkommen?», fragt er sich. Er sei zu alt für solche Stürmereien. Bis die Sache mit der Garage kam: «Ich habe keine Pensionskasse; ich muss arbeiten. Der Umbau der Garage zur Werk statt ist wichtig für mich.» Also ging er Unterschriften sammeln. Erika Sprenger habe geschimpft wie ein «Wald voller Affen». «Wissen Sie, Fehler habe ich schon gemacht», gibt Peter Müller zu, «zum Beispiel mal im Garten Sperrholz verbrannt.» Damit habe er aber aufgehört. Nur schon wegen des Teichs. Erika Sprenger habe er nun versprochen, sich um das Laub zu kümmern. Und auch sie kann der Geschichte etwas Gutes abgewinnen: «Immerhin ist mein 84jähriger Mann heute noch fit, nachdem er 31 Jahre lang fremdes Laub zusammengesammelt hat.» Wenn Herr Müller wolle, dann solle er halt diese Garage ein richten. Die Einsprache habe sie mittlerweile zurückgezogen. MM
Dass sich der beschuldigte Nachbar zumindest teilweise einsichtig zeigt, freut Erika Sprenger.
30 | MM22, 26.5.2015 | NACHBARN
Meine Nachbarin – die Frau auf dem Badetuch nebenan
«Das Privatleben sollte man nicht thematisieren» Vera Lutz
Am Eröffnungstag der Badi Dreilinden in St. Gallen treffen sie sich und verbringen danach drei Monate fast täglich nebeneinander – bis die Saison zu Ende geht. Vera Lutz und Elsa Sturzenegger kennen sich nur vom Badetuch. Text: Laila Schläfli
E
inen Sommer lang liegen sie nur wenige Meter ausein ander: «Ich sehe Vera immer, wenn ich ins Wasser steige», sagt Elsa Sturzenegger (77), «und dann schwatzen wir zusammen.» Beide gehören einer Gruppe von rund zehn Leuten an, welche die drei monatige Badesaison im Familienbad Dreilinden oberhalb von St. Gallen verbringt. «Es sind immer die gleichen hier, darum ist es so lustig.» Die Liegeplätze sind seit über zehn Jahren dieselben, Stammplätze sozu sagen. Notfalls verteidigen sie diese auch – «mittels useekle», präzisiert Sturzeneggers Partner. Um unnötige Schwierigkeiten mit anderen Bade gästen zu vermeiden, halten sie sich gegenseitig die Plätze frei. Vera Lutz (74) kommt um 9 Uhr morgens, Sturzenegger ein wenig später. Beide sind sich einig: «Am Morgen ist es am schönsten.» Die Tage verbringen sie mit Lesen, Schwimmen, Picknicken und Plau dern. Von Kindesbeinen an kommen sie hierher, doch der Kontakt zuein
Bild: Salvatore Vinci
ander begann erst mit ihren Pensio nierungen vor gut zehn Jahren. Seit dann sind die ehemaligen Verkäufe rinnen täglich in die Badi gegangen. Vera Lutz kam früher schon in ihren Mittagspausen zum Schwimmen, sie ist die Wasserratte der beiden. Heute schwimmt sie einen bis zweieinhalb Kilometer pro Tag. Die regelmässige Bewegung scheint sich positiv auszu wirken: Beide wirken deutlich jünger, als sie sind. «Wir sind die, die auch bei halbbatzigem Wetter in die Badi gehen», sagt Elsa Sturzenegger. «So gar Nieselregen stehen wir durch», ergänzt ihre BadiNachbarin. Heim gehen gilt nicht, da müsste schon ein ganztägiges Unwetter anstehen. Bei kurzen Gewittern flüchten die beiden unters Garderobendach. Wetter, Enten und Clique sind erlaubt
Das «Dreilinden» ist am Waldrand gelegen und bietet mit seinem Weiher chlorfreies Naturwasser an. Das schätzen die beiden. Sturzenegger und ihr Partner wohnen in der Nähe, Lutz kommt vom anderen Ende der
Stadt. «Ah was? Det wohnsch du?», fragt Sturzenegger. In zehn Jahren hatten sie noch nie darüber geredet, wer wo lebt. «Das Privatleben sollte man nicht thematisieren», sagt Lutz: «Das ist schliesslich privat.» Elsa Sturzenegger nickt zustimmend. Themen ohne Tabu sind: Wetter, Enten oder Leute aus der Clique – zum Beispiel, wenn jemand fehlt. Das einzig Persönliche, über das sie reden, ist Sturzeneggers Partner: Den lernte sie in der Badi kennen, er gehört zur Gruppe. Alle drei sind Dauergäste mit Kabine. Darin lagern sie Badehosen, Tücher, Liegestühle, Sonnenschirme und Prosecco – «für Fäschtli», erklärt Sturzenegger. Etwa bei Saisonstart und ende. Letzteres feiern sie mit Sekt, Snacks und Grill. Dann kommt die Verabschiedung für neun Monate: «En guete Winter!», wünschen sie sich. «Man könnte eigentlich ausser halb der Saison auch mal abmachen», sinniert Sturzenegger. Aber auch so ist es für beide in Ordnung – jede hat schliesslich ihr eigenes Leben. MM
NACHBARN | MM22, 26.5.2015 | 31
Beim Stammplatz kennen sie keinen Spass: Die Badi-Freundinnen Elsa Sturzenegger (links) und Vera Lutz.
NACHBARN | MM22, 26.5.2015 | 97
Meine Nachbarin – die Hühnerfrau
«Die Hühner weggeben? Kommt gar nicht in Frage!» Martina Häfelfinger Seit mehr als 40 Jahren hält Margrit Ammann Hühner als Nutztiere, seit gut zwei Jahren unterstützt Martina Häfelfinger ihre betagte Nachbarin beim Betreuen der Tiere. Dabei profitiert die junge Mutter vom umfangreichen Wissen der Rentnerin. Text: Laila Schläfli
D
as Klackgeräusch der Tür ist das Erste, was Martina Häfelfinger (31) frühmorgens vom Hühnerstall her hört. Dann das «Gerede» der zehn Hühner, weil sie Hunger haben – Zeit zum Füttern für Margrit Ammann (81). Etwa um halb acht öffnet die Seniorin den Tieren das Tor zur Wiese und sammelt die gelegten Eier ein. Gut fünf Stück pro Tag gibt es, die teilen sich die Nach barinnen aus Oberneunforn TG nach Bedarf. Die restlichen ver kaufen sie. Die Tiere sind ein Gemein schaftsprojekt: Margrit Ammann, die schon seit über 40 Jahren Hühner hält, wollte sie weggeben: Das Misten in dem kleinen Häus chen wurde ihr zu anstrengend. Das war vor zweieinhalb Jahren. Damals zog Martina Häfelfinger mit ihrer Familie wieder in das Nachbarhaus, in dem sie gross geworden war. Für sie war klar: «Das kommt gar nicht in Frage!» So kam die Arbeitsteilung zustande: Margrit Ammann ist für die Fütterung und Haltung zuständig, Martina Häfelfinger für das Putzen und Misten. Hühner und Garten verbinden
«Ich hätte das jetzt mit dem Besen gemacht und sie in eine Ecke gedrängt», kommentiert die Rentnerin Fangversuche der jungen Familienfrau. Bis aufs
Bild: Salvatore Vinci
Leserstory
Wenn Hühner verbinden: Margrit Ammann (links) mit ihrer Nachbarin Martina Häfelfinger und deren Kinder Max (7) und Katharina (6).
Metzgen hat Martina Häfelfinger alles, was sie über Hühner weiss, von ihrer Nachbarin gelernt. «Bisher habe ich noch kein Huhn getötet», sagt die junge Frau. Das stehe ihr noch bevor: «Ich finde, wenn man Hühner als Nutztiere hält, muss man dazu in der Lage sein.» Margrit Ammann kennt sich aber nicht nur bei den Hühnern aus, sondern versteht auch was vom Gärtnern: Was ist Unkraut? Was muss raus? Was blüht wann? Martina Häfelfinger gerät ins Schwärmen. «Sie ist eine Garten koryphäe.» Die Rentnerin erwidert: «Du hast schon mehr Flair für die Pflanzen als deine Mutter.» Margrit Ammann hat den Direktvergleich: Sie hat rund zehn Jahre neben der Mutter von Martina Häfelfinger gelebt. «Obwohl Martina eine kleine Rotznase war, freute ich mich sehr, als sie wieder in ihr Eltern haus einzog.» Diese zeigt auf ihre Tochter Katharina und sagt: «Ich habe jetzt die Quittung: Die ist genau wie ich damals.» Die Rentnerin ist voll in den Alltag der Familie eingebettet. Und am Abend spazieren die beiden Nachbarinnen zwischen den Beeten im Garten und be staunen die getane Arbeit. Die Rentnerin schätzt die Gesell schaft: «So habe ich immer Be trieb um mich herum und fühle mich weniger allein.» MM