Wege zur Weiterbildung November 2016 – #8
EBNAVI
(( Beherzt kommunizieren
PQ
THEMA Worte sind kaum die halbe Miete: vom Senden und Empfangen mit allen Sinnen.
SERVICE Besser verhandeln: Tipps von Schlagfertigkeit bis Sitzungen, die sitzen.
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LEUTE Müslüm sagt: Uns radikale «Aifonischten» kann nur die Kunst noch retten.
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Herausgeber EB Zürich, Kantonale Berufsschule für Weiterbildung, Serge Schwarzenbach Redaktion Katleen De Beukeleer, Christian Kaiser (verantwortlich für diese Ausgabe) Mitarbeit Stephanie Elmer, Daniel Eggenberger, Müslüm, Roger Nydegger, Guido Stalder, Katrina Wenger, Nourredine Yous Bilder Jürgen Bauer, Philipp Baer, Reto Schlatter Illustrationen Eva Kläui, Philip Schaufelberger, Jan Zablonier Infografik Daniel Röttele Korrektorat Fritz Keller, Franziska Schwarzenbach Gestaltung Giorgio Chiappa
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Kantonale Berufsschule für Weiterbildung Bildungszentrum für Erwachsene BiZE Riesbachstrasse 11 8090 Zürich Telefon 0842 843 844 www.eb-zuerich.ch lernen@eb-zuerich.ch
Titelbild Philipp Baer Auflage 25 200 Exemplare Druck FO-Fotorotar, Egg ISSN 2297-2307 Abonnierung EB Navi: eb-navi@eb-zuerich.ch PERFOR MANCE
neutral Drucksache No. 01-16-907873 – www.myclimate.org © myclimate – The Climate Protection Partnership
EDITORIAL
Liebe Leserin, lieber Leser Wer kennt sie nicht, die Gebrauchsanleitung? Eigentlich sollte sie eine Information sein, die der Benutzerin eines Produkts hilft, das Produkt sicher und bestimmungsgemäss zu verwenden. Spätestens beim Zusammenbau des einfachsten Möbels eines bekannten Möbelhauses aus Schweden wird offensichtlich, dass diese Sender-EmpfängerGeschichte nicht so einfach ist. Haben Sie gewusst, dass es in Deutschland 2009 ca. 85 000 haupt amtliche technische Redakteure gab? Und dass Franz Kafka 1909 eine «Unfallverhütungsmassregel bei Holzhobelmaschinen» schrieb? Offensichtlich ist es eine besondere Herausforderung, einen Inhalt so zu kommunizieren, dass er auch verstanden wird – ohne dauerhafte Einbussen an Lebensqualität. Im Zeitalter der «Aifonischten» hat sich daran nicht viel geändert: «Im Anfang war das Wort, so wie im Ende auch, und was blaibt, isch die Harmonie oder die Dissonanz davon», schreibt Müslüm (➝ Seite 50). Von einer neuen Sprachverwilderung durch die digitalen Medien kann allerdings keine Rede sein (➝ Seite 38). Noch schwieriger wird die Sache von Angesicht zu Angesicht; da funken uns die nonverbalen und paraverbalen Kanäle oft ganz schön dazwischen (➝ Infografik Seite 24). Vielleicht hilft uns ein Blick auf Menschen, denen ein Sinneskanal fehlt, um unsere Wahrnehmung für die Funktionsweisen von Kommunikation zu schärfen (➝ Seite 28). Oder die Erkenntnisse und Tipps zweier Neurowissenschafter (➝ Seite 18). Wir haben versucht, Ihnen mit diesem EB Navi eine Art kreative Gebrauchsanleitung für verschiedene Kommunikationsfälle vorzulegen – mit Unterhaltungswert. Prüfen Sie selbst, ob uns das gelungen ist. Serge Schwarzenbach, Herausgeber
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INHALT
LEUTE 12 Tanzen gegen Tabus Tanz ist für Tabea Martin mehr als Schönheit. Die renommierte Choreografin fühlt sich dafür verantwortlich, Tabus anzusprechen und aufzubrechen. Sie liebt die Provokation und bedient sich dabei einer absurden und humorvollen Sprache. 42 Stilvoll die Karriereleiter hoch
INSPIR ATION 11 Cartoon In Ruhe vor dem Menschenlärm 35 Spiel: Fabulieren in Stereo Eine Jukebox voll Geschichten-Ideen 70 Worte des Jahres Quiz mit ausgezeichneten Wörtern SERVICE
Seitdem Susanne Abplanalp sich als Knigge- und Stilberaterin selbständig gemacht hat, sieht man sie selten ohne Make-up und Blazer. Es schadet sicher nicht, auf ihre Benimm-Tipps zu hören, denn: Auftreten, Garderobe und Stil bestimmen für sie ganz klar die Karriere mit. 50 «CHunscht» statt Smartphone-Religion Der Schweizer Lieblingstürke Müslüm warnt vor der Allmacht der Smartphones: Sie verdrängen den «Moment» und definieren Schönheit. Die Kunst hingegen weist den Weg zurück ins Leben. Ein Aufruf, es «Bambele» zu lassen.
32 Spontan und gefasst Nie mehr stumm und stumpf! Schlagfertig zu reagieren kann man lernen. Auf zum lustvollen Wortduell. 56 Das sitzt Genug von Monologen, Stammtischdiskussionen und Kaffeekränzchen? Tipps für effiziente Sitzungen. 64 Auf Wiederhören Sprechen ohne Gesten und Mimik: Telefonieren ist eine Kunst. Wie andere dranbleiben. 68 Bewerben ist glänzen Die erste Hürde für das Bewerbungsdossier ist die wichtigste: Es soll nicht sofort im Altpapier landen. Wer auffällt, hat bessere Chancen.
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THEMA : KOMMUNIK ATION
8 Andere Länder, andere Sprüche Im arabischen Raum werden die Pfeile der Wahrheit in Honig getaucht, in Japan herausragende Nägel eingeschlagen, und in Russland lächeln nur Idioten grundlos; eine Kultur zeigt sich auch in ihren Redensarten. Und so können uns die seltsam anmutenden Sprichwörter auch Türen öffnen zu fremden Kulturen. 18 Beherzt zum Herzen singen «Man sieht nur mit dem Herzen gut», sagt der schlaue Fuchs zum kleinen Prinzen. Die Neurowissenschaften bestätigen inzwischen: Der Weg zum gegenseitigen Verständnis führt über positive Wörter, schöne Gedanken und einen herzlichen Ton – aber vor allem auch über einfühlsames Zuhören. Andrew Newberg und Mark Waldberg legen ein umfassendes Lernprogramm für «Mitfühlende Kommunikation» vor.
24 Infografik Kommunikation im Bild: Welche Rolle spielen unsere fünf Sinneskanäle bei der Übermittlung von Information? Unsere Sende- und Aufnahmekapazitäten sind enorm und doch beschränkt. Das gesprochene Wort wirkt nur auf einem Kanal, über Erfolg oder Misserfolg einer Kommunikation entscheiden oft die anderen vier. 28 Hundert Prozent, aber anders Wir kommunizieren mit unseren fünf Sinnen. Was passiert, wenn ein Sinneskanal fehlt? Vier Begegnungen mit Betroffenen zeigen: Auch Blinde, Gehör- und Geruchlose kommunizieren hundertprozentig. Das Wahrnehmungs- und Ausdrucksspektrum ist nicht eingeschränkt, es setzt sich einfach anders zusammen. 38 «Von Sprachverfall kann nicht die Rede sein» Was die Deutschlehrer uns ans Herz gelegt haben, scheint in unserer Online-Kommunikation längst vergessen; bewegen wir uns sprachlich auf den Wilden Westen zu? Nein: Eine Sprach verluderung ist nicht in Sicht. Vielmehr scheinen wir einen Tipp Goethes an seine Schwester zu beherzigen. 58 Das eigene Leben erzählen Vom eigenen Leben zu erzählen ist ein natürliches Bedürfnis. In Minigeschichten tun wir das tagtäglich, die Lebenserzählung bringt Ordnung und Klarheit in Vergangenheit und Zukunft. Der Philosoph Dieter Thöma erklärt im Interview, wie man sich selber durchs Erzählen nicht nur entdecken, sondern auch entwerfen kann.
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H A NNES HUG Hannes Hug ist bekannt als Fernseh- und Radiomoderator, Autor und Regisseur. Von Kindesbeinen an ist er aber auch Musik- und Vinyl-Liebhaber. Ich mag kein Listen-Top-TenMust-Have-Gedöns. Zu viel tolle und gute Musik begleitet mich, seit ich hören kann. Dennoch fällt mir die Wahl für eine Scheibe nicht wirklich schwer. Auf «Out of the Blue» von Electric Light Orchestra (ELO) vermählen sich Orchesterbombast und Popsong zum Soundtrack meiner Kindheit. Hinzu kommt geniales Artwork: Dem Album ist ein Karton-Bastelbogen des ELO-Raumschiffes beigelegt. Ein Raumschiff!!! Das Doppelalbum ist eine Huldigung an die Beatles und
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immer noch ein Hörvergnügen erster Güte. In dreieinhalb Wochen schrieb Jeff Lynne – der musikalische Mastermind von ELO – alle Songs. Sie sind gespickt mit Zitaten und allerlei akustischem Zierrat. So endet die A-Seite mit der Aufforderung, nun bitte die Platte zu drehen. Mehrstimmige Chöre treffen auf Schweinegitarre und Streicherarrangements. «Out of the Blue» erschien 1977. Da war ich neun Jahre alt. Dieses Album war der Schrittmacher zur Entdeckung meines
musikalischen Kosmos – fernab von Trio Eugster, Kasperli und Sonntagshitparade. In Endlosschleife beschallten ELO – vom älteren Bruder auf Kassette überspielt – mein Kinderzimmer. Im Bücherregal erwuchs aus Alufolie und einer roten Glühlampe der Mars. Inmitten dieser futuristischen Landschaft thronte das ELO-Raumschiff aus Karton. ELO haben mich aus dem Mief der Siebzigerjahre ins Weltall entführt. n
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DIE BILDSTRECK E
12 «Vinyl-Lovers» und ihre Preziosen im Bild Kommunikation klingt, geht über Gefühl und Berührung oder sticht ins Auge – spricht schlicht alle Sinne an. Genauso wie die gute alte Vinyl-Scheibe; ausserdem liegt sie gut auf der Hand und riecht entweder frisch gepresst oder etwas muffig, wenn sie lange im Keller gelagert war. Schallplatten und ihre Cover sind Zeitzeugen der Musik-, Zeit- und Kunstgeschichte. Aber nicht nur. Wer mit ihnen aufgewachsen ist, verbindet auch ein Stück Identifikation mit den Lieblingsstücken aus seiner Plattensammlung im Format 30 (LP oder Maxi) bzw. 17.5 cm (Single). Darum hat der Fotograf Philipp Baer für uns Plattenliebhaber und -expertinnen mit dem für sie bedeutendsten Album in Szene gesetzt. Radiomoderatoren wie Hannes Hug, Plattensammler der ersten Stunde wie DJ Spruzzi und bekannte Vinyl-Gurus wie Woody stellen ihre Lieblingsscheiben vor. Zusammengekommen ist eine beacht-
liche Sammlung von einem weltbewegenden Dutzend aus verschiedenen Epochen. Die analoge Sinneswelt und der Klang der Zeit war in 33 oder 45 Touren getaktet, die Cover setzten Trends in Fotografie, Grafik und Illustration. Längst erlebt die runde Scheibe mit der einen Rille ihr Revival; Plattenspieler sind wieder die meistverkauften Hi-FiGadgets, Bands, die etwas auf sich halten, pressen ihren Sound auf Vinyl, die LP-Verkäufe haben sich seit 2010 wieder verdreifacht (auf 1.8 Millionen Stück). Auch das ein Zeichen, dass Kommunikation, die auf allen Kanälen funktioniert, viel besser ist als der Einkanalton. In unserer Foto strecke können Sie abtauchen in eine sinnliche Welt vor und neben MP3, Spotify und iTunes. n
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Wo herausragende Nägel eingeschlagen werden Sprachlicher Brückenschlag: Manchmal stehen Sprachbarrieren einem Verständnis anderer Kulturen im Weg – Redewendungen können aber auch Hinweise liefern, um kulturelle Gräben elegant zu überwinden. Kommen Sie den Kulturen von Japanern, Russen, Arabern und Amerikanern auf die Schliche – mittels ihrer Sprüche.
Text Nourredine Yous
Unsere japanische Musterfrau heisst Itsuko. Stellen Sie sich vor, Sie fragen sie, ob sie sich mit Ihnen zum Abendessen treffen möchte. Sie antwortet mit «chotto» und kichert dabei verlegen. «Chotto» bedeutet auf Japanisch «ein wenig». Ein wenig Abendessen? Meint sie etwa ein leichtes Abendessen, also einen Snack oder so? Oder meint sie eher nein? Was soll diese Zweideutigkeit, wie viel leichter wäre doch ein Ja oder Nein. Itsukos Antwort war in der Tat eine klare Absage – und dies ohne Nein zu sagen. Pikanterweise wird Ambiguität, also Doppeldeutigkeit, in den westlichen Kulturen eher vermieden. Besonders schwer damit tun sich die Deutschen, 8 EB NAVI #8
denn zur deutschen Kultur gehört «Z.D.F.»; nicht der Fernsehsender ist hier gemeint, sondern Zahlen, Daten und Fakten. Der Deutsche strebt nach Klarheit, Gewissheit, Planung und nach Effizienz in der Kommunikation. Für Itsuko hingegen hätte es gestimmt, wenn sie statt «chotto» «es ist schwierig» gesagt hätte oder auch gar nichts. Beides wäre ebenfalls als Korb zu verstehen. Die stets Harmonie suchenden Japaner scheuen jedoch das Nein. Ablehnung birgt das Risiko des Gesichtsverlustes für den Gesprächspartner und steht im Widerspruch zum Leitspruch «Kao o tateru»: «Das Gesicht soll gewahrt werden.» Wertschätzung ist in
Beziehungen oberste Maxime, Gesichtsverlust ist um jeden Preis zu vermeiden. The winner takes it all
Die japanische Kultur geformt haben das Zusammenleben in einem dicht besiedelten, vulkanischen Gebiet, das regelmäs sig von Naturkatastrophen heimgesucht wird und die jahrhundertelange Abschottung von der restlichen Welt. Auch der arbeitsintensive Reisanbau machte Zusammenarbeit nötig, überleben konnte man nur in der Gruppe. Das Individuum hatte stets in den Hintergrund zu treten. Ein japanisches Sprichwort, das übrigens auch in China gebraucht wird, verleiht diesem Primat der Gemeinschaftsinte ressen Ausdruck: «Deru kui wa utareru» bedeutet: «Der Nagel, der herausragt, wird eingeschlagen.» Herausragende Nägel werden hin gegen in der amerikanischen Kultur bevorzugt; individuelle Leistungen und hervorragende Persönlichkeiten werden gewürdigt. Im Land der Oscars wird jeder dazu ermutigt, auf (s)einer Bühne
«Wenn du den Pfeil der Wahrheit abschiesst, lege zuerst die Spitze in den Honig.» ARABISCHES SPRICHWORT
zu glänzen und eine Auszeichnung einzuheimsen: Awards, Awards und nochmals Awards! Wer sich anstrengt, wird zum «Mitarbeiter des Monats» oder des Jahres gekürt. Man ist entweder ein Winner oder ein Loser. Slogans wie «just do it» sind repräsentativ für die amerikanische Kultur. Deshalb ist es dort kein Problem, die eigenen Leistungen anzupreisen und über sein Einkommen offen zu sprechen. Der individuelle Erfolg wird bewundert. Persönliche Beziehung statt Fakten
Ein eher kollektivistisches Image haftet den Russen an; persönliche Beziehungen sind in Russland Voraussetzung für Vertrauensbildung und Zusammenarbeit. Ausländer müssen sich behaupten, ehe sie das Vertrauen von Russen gewinnen. «Nur Idioten lächeln grundlos», sagt man in Russland. Das Lächeln von Westeuropäern wirkt auf viele Russen eher verdächtig bzw. heuchlerisch. Sie sind gegenüber Ausländern eher distanziert und formell; diese Formalität ist für sie aber auch ein Zeichen von Respekt. In weiblicher Begleitung sprechen Männer gerne von ihrem Besitz und ihren Aktivitäten: Sport, Geschäft, Leistungen. Sie sind stets bemüht, gute Erzähler zu sein, so wie es russische Frauen schätzen. Der Kommunikationsstil von Arabern zielt darauf ab, die Empfindlichkeit des Gegenübers zu berücksichtigen. Unser Protagonist der arabischen Welt heisst Khalil. Sein Leitspruch lautet:
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«Wenn du den Pfeil der Wahrheit abschiesst, lege zuerst dessen Spitze in den Honig.» Die Wahrheit zu sagen rechtfertigt keine forsche Kommunikation. Auch hier kommt die Beziehung vor der Sache. Khalil lebt in der Gegenwart und manchmal in der Vergangenheit, über die Zukunft drückt er sich vorsichtig aus. Die Zukunft liegt nämlich nicht in den Händen der Menschen; «El Mektub» heisst wortwörtlich «die Schriften» und bedeutet das Schicksal. Und das Schicksal aller Menschen wurde von Gott schon längst geschrieben. Demut gegenüber Zukunft und Stille
Es ist eine Grundannahme der Araber, dass der Mensch nur etwas bewegen kann, wenn Gott es auch will. Deshalb … fragen Sie Khalil, ob er sich mit Ihnen am nächsten Tag zum Mittagessen verabreden möchte. Die Chancen sind gross, dass er mit einem «inschallah» antwor-
AUF KURS BLEIBEN Diskussions- und Streitkultur Debattieren und polemisieren – aber bitte mit Stil Bildungsgang «Mediation und kulturelle Vielfalt» Besser als die Eskalation ist die Deeskalation Coaching: Diversity in Bildung und Beruf Vielfalt macht weniges komplizierter, vieles viel interessanter Anmelden: eb-zuerich.ch/ebnavi/kommunikation
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tet. Das bedeutet «mit Gottes Willen» und ist ein Ausdruck von Demut. Allerdings vermeidet auch dieses «so Gott will» eine klare Stellungnahme. Wie die Japaner lassen also auch Araber Raum für Ambiguität. Den Europäern bleibt nur eins übrig: Ambiguitätstoleranz zu entwickeln. Auch für die Stille oder das Schweigen. Denn: Bekanntlich kann man ja «nicht nicht kommunizieren», allerdings lässt sich die Stille ganz unterschiedlich deuten. Ein französisches Sprichwort besagt: «Qui ne dit mot, consent» (wer nichts sagt, ist einverstanden). Itsuko hätte hingegen schweigend das Angebot abgelehnt. Wir sollten uns also davor hüten, das Stillschweigen immer mit stillschweigendem Einverständnis gleichzusetzen. Über den Wert der Stille sind sich die Kulturen übrigens erstaunlich einig. Wahrhaftigkeit sei in der Ruhe zu finden, sagen die Japaner. Auch die Franzosen und Deutschen bewerten das Schweigen höher als das Wort: «La parole est d’argent, mais le silence est d’or», sagt man in Frankreich (Reden ist Silber, Schweigen ist Gold). n
Nourredine Yous bietet mit seiner Firma intermediaction interkulturelle Trainings an. Er hat nach einer Tätigkeit als Banker im internationalen Umfeld an der EB Zürich diverse Kurse und Bildungsgänge besucht, u. a. ist er Absolvent des Bildungsgangs «Journalismus».
Philip Schaufelberger (www.daslip.ch)
CAR TOON
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15 MINUTEN, DIE MEIN LEBEN VER ÄNDERTEN
Tabea Martin
Mit Gefühl aus dem Takt Aufgezeichnet von Katleen De Beukeleer Bild zVg
«Gleich nachdem ich mein Tanzstudium abgeschlossen hatte, war ich eine 24-jährige Tänzerin, die nicht mehr tanzen konnte. Eine Diskushernie verursachte mir schwere Rückenprobleme. Da ich mich auch für Literatur interessierte, meldete ich mich für ein Literaturstudium an. Inzwischen entschieden die Ärzte, dass ich operiert werden sollte. Ich war im Spital, bereit für die Rückenoperation. Der Blumenstrauss meiner Tante stand schon neben meinem Bett parat. Plötzlich kam der Oberarzt und sagte, was ich am wenigsten erwartet hatte: ‹Frau Martin, Sie können wieder nach Hause gehen. Wir schneiden Ihnen nicht in Ihren Rücken.› Er hatte es anders entschieden als die Ärzte, die mich bisher behandelt hatten. Ich war baff. Die 15 Minuten, in denen ich von dieser neuen Wendung erfuhr, veränderten viel in meinem Leben. Der Oberarzt bekam recht: Mein Rücken verbesserte sich relativ rasch, auch ohne Operation. Ich konnte bald wieder tanzen. Zwar wollte ich meinen Rücken schonen und nicht wieder als Tänzerin arbeiten. Aber für ein Choreografiestudium reichte es. Ich brach das Literaturstudium ab und wurde Choreografin. Der Tanz blieb meine Welt. Jeder ist ein Künstler
Ich liebe den Tanz, weil er was Mysteriöses in sich trägt. Er ist ein Gefäss von Emotionen. Nicht nur auf der Bühne. Jeder kann mit seinen Bewegungen eine Botschaft vermitteln, jeder ist ein Künstler. Aber nicht jeder muss ein Künstler sein. Menschen tanzen 12 EB NAVI #8
oft auch, ohne etwas sagen zu wollen. Es ist ein natürliches Bedürfnis. Ich habe mal an einem Surinamer Begräbnis teilgenommen. Die Menschen liessen ihren Emotionen freien Lauf, sie tanzten, sangen und bewegten sich – das war sehr eindrücklich. Es ist schade, dass das in unserer Gesellschaft verloren gegangen ist. Ab einem gewissen Alter unterdrücken wir dieses Bedürfnis. Die Unterscheidung zwischen dem privaten und dem öffentlichen Körper, die eigentlich ganz natürlich ist, hat sich bei uns sehr verstärkt. Man wird schnell als verrückt angeschaut, wenn man in der Öffentlichkeit Bewegungen ausführt, die man eigentlich nicht mit anderen teilen soll. Kinder hingegen tanzen, ohne sich um diese gesellschaftlichen Codes zu kümmern. Sie lassen sich von ihren Emotionen mitreissen und reagieren manchmal auch heftig auf meine Vorstellungen. Inhalt statt reiner Ästhetik
Ich fühle mich als Choreografin sehr verantwortlich, Tabus anzusprechen. Ich provoziere gerne, denn es beschäftigt mich extrem, wenn Leute ausgeschlossen oder verurteilt werden. Mir geht es nicht darum, schöne, angenehme oder technisch virtuose Stücke zu zeigen. Der Tanz ist nicht nur Form, er hat sich längst vom klassischen Ballett befreit. Ich will Inhalte vermitteln: Das andere zeigen und Respekt auslösen, ohne zu moralisieren. Es ist immer eine Herausforderung, vom Publikum verstanden zu werden. Der Tanz ist viel weniger
Tabea Martin ist eine 38-jährige Tänzerin und Choreografin. Sie lebt und arbeitet in Basel. International ist sie sehr vernetzt, vor allem mit den Niederlanden, wo sie zwölf Jahre lebte und studierte. Ihre Arbeit wurde mehrfach ausgezeichnet; die Presse bezeichnet Tabea Martin als eine der wichtigsten Schweizer Choreografen. Am 10. Dezember geht ihre neue Produktion «Beyond Indifference» in der Reithalle Basel in Premiere. konkret als die Sprache. Meine Arbeiten haben eine gewisse Klarheit, etwas Theatralisches und enthalten ein wenig Sprache. Dadurch gelingt es, dass die Leute meine Botschaften so wahrnehmen, wie ich sie gemeint habe. Und sie spinnen sie weiter. Ich kann Gedanken stimulieren und zum Gespräch anregen. Meine choreografische Sprache
Ich habe meine Tanz- und Choreografie-Ausbildungen in Holland absolviert. Dort gibt es viel mehr Choreografen und Tänzer als in der Schweiz. Sie haben sehr verschiedene Ansichten, was Tanz und Choreografie sind. Das inspiriert. Und wer gesehen werden will, braucht eine eigene Sprache. Zu meiner choreografischen Sprache gehören Absurdität und Humor. Das ist mein Naturell. Ein weiterer roter Faden ist eine gewisse Heftigkeit, mit dem Körper umzugehen. Eine Heftigkeit, die ich ja selber als Tänzerin erlebt habe. Die Rückenprobleme, die ich mit 24 hatte, waren durch Über belastung meines Körpers versursacht. Um meine Sprache mit ihren rauen Inhalten umzusetzen, brauche ich charismatische Tänzerinnen und Tänzer. Sie müssen nicht nur eine gute Pirouette drehen können, sondern auch keine Angst davor haben, zu reden, zu singen und Theater zu spielen. Oft tragen diese Tänzerinnen und Tänzer eine Art Geheimnis in sich. Ich mag es, wenn ich sie nicht ganz verstehe. Solche Künstler haben viel
zu erzählen, sie bewegen sich nicht in der Komfortzone. Sie sind offen. Sie suchen das Verletzliche, statt sich hinter einer Technik oder einem Talent zu verstecken. Theater als Lebensgrundlage – Reiz und Herausforderung
Selber tanze ich eher noch selten. Ich habe eine vierjährige Tochter, die Zeit ist viel knapper als früher. Weil mich der Tanz und das Theater sehr einnehmen, habe ich auch keine Hobbys wie etwa Joggen oder Singen. Wenn ich mal Zeit habe, suche ich Welten auf, die ich nicht ganz durchschaue: die Literatur oder Kunstausstellungen. Meine Vorstellungen touren viel im Ausland. Oft gehen meine Tochter und ich mit. Sie war schon überall, von Moskau bis Süditalien. Seit Kurzem ist meine Tochter im Kindergarten. Ich kann nicht mehr gleich viele Projekte im Ausland machen. Es ist schön, so viele Kulturen und Menschen kennengelernt zu haben. Aber ich brauche jetzt mehr Fokus und Kontinuität. Vielleicht könnte ich dann auch mal länger mit den gleichen Leuten zusammenarbeiten. Ich hoffe, in der Schweiz genug Arbeit zu finden. Das ist nicht so einfach. Das Theater ist ein unglaublich unsicherer Boden – was aber gleichzeitig den Reiz und die Herausforderung ausmacht. Ich habe ein gewisses Durchhaltevermögen, kann die Angst umarmen.» n
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RE TO BAUMG ART NER Reto Baumgartner, aka DJ Watson, Beatbus-Musiklieferant Mitte der 90er startete ich meine Laufbahn als DJ Watson. Die Passion für Grooves und Dance music sind das Erfolgsrezept für einen DJ. Die passende Musik, vorzugsweise auf Vinyl, fand ich bei Mono Records in Zürich. Geführt wurde der Plattenladen damals von Andreas Mattiazzo und Pipo Daniel Nussbaumer, bekannt als DJs Pipo & Spruzzi (➝ Seite 65). Ihr Laden war für mich damals die «Goldgrube». Meine Lieblingsplatte ist von 1970: «Move On Up» vom Soul-Musiker Curtis Mayfield – der Song begeistert bis heute alle Generationen. Diese Scheibe ist zeitlos und wird auch in Zukunft die Menschen in Bewegung versetzen. Kaum ein 14 EB NAVI #8
Musiker unserer Tage drückte einem ganzen Genre in gleicher Weise seinen Stempel auf. Wo Soul und Funk ohne die Wirkung von «Move On Up» heute stünden, ist schwer vorzustellen. Der Sänger, Komponist, Produzent und Gitarrist Curtis Mayfield beeinflusste nicht nur zahllose Kollegen. Seine eindeutigen sozialkritischen und politischen Statements hinterliessen Spuren in der Gesellschaft. Zudem lebte Mayfield den Beweis, dass sich innere Stärke über körperliche Beschränkungen hinwegzusetzen vermag (Mayfield war von 1990 an vom Hals abwärts gelähmt, nachdem er bei einem Open Air auf der Bühne von einem Lichtträger getroffen wurde). «Move On Up!» n
SERGIO CASUCCI Sergio Casucci, aka DJ Sir Joe Die ersten Platten (von Adriano Celentano) hatte ich als 10-Jähriger von einer meiner schönen Cousinen (Isolina) in Italien geschenkt bekommen. Seit dem Moment waren sie – die Platten, nicht die Cousinen – ein Thema. Mit 20 nannte ich bereits über 1000 Platten mein Eigen. Danach war ich als DJ aktiv und habe an gefühlten 1999 Partys aufgelegt, die oft Prince gewidmet waren. Als Plattenladeninhaber (crazy beat Zürich) und auf Kon-
zertreisen konnte ich eine Sammlung von gut 20 000 Tonträgern aufbauen. Manchmal fühle ich mich wie ein Dagobert Duck des Vinyls. Grosses Gewicht in meinem Schatz hat die englische Promo-12“ «D.M.S.R.» von Prince. «D.M.S.R.» wurde wegen seiner radiountauglichen Länge (8:05) diverse Male «nur» als B-Seite veröffentlicht. Der Song symbolisiert für mich musikalisch den Funk, den nur Prince so spielen konnte. Die Platte habe ich auch ausgewählt, weil
sie eine dieser Raritäten ist, bei der Seltenheit und Güte der Musik korrespondieren. Der Track stammt vom für die Tanzmusik der 80er weg weisenden fünften Album von Prince: 1999. Die Lyrics stellen sich selbstbewusst und humorvoll gegen die amerikanische Prüderie. Und gibt es wirklich Wichtigeres im Leben als Dance, Music, Sex, Romance? Speziell finde ich auch das Cover, das diese Message nur durch den Text unmissverständlich präsentiert. n
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N ATH A LIE PERUCCHI Nathalie Perucchi, aka dj nat Alles hat in den 90er-Jahren angefangen: mit illegalen Partys in alten Fabriken. Jetzt bin ich seit 23 Jahren als VinylDJ unterwegs, zuerst in Genf, seit 14 Jahren auch in Zürich. Die beste Zeit als DJ habe ich als Resident in der Dachkantine erlebt. Jetzt bin ich als Mitglied im Verein Les Belles de Nuit aktiv: Wir setzen uns seit 2013 für die Förderung und Vernet-
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zung in der elektronischen Musik- und Kulturszene ein, vor allem von Frauen. Meine Lieblingsscheibe habe ich durch puren Zufall gefunden. Zuerst hat mich die wunderschöne Ästhetik des Covers angezogen. Fast magnetisch. Dann beim Reinhören die Musik noch mehr! Es ist «Magnetic Eyes» von Jeff Phelps, produziert vom Label
«Engineered For Sound» in den Vereinigten Staaten. Die Platte ist eine wahre Perle: Phelps vereint darauf sehr feinen und gut produzierten Electro-Soul. Und das 1985! Heute erscheint das avantgardistisch. Was soll ich mehr dazu sagen? Es ist einfach meine Lieblingsplatte! n
D J PESA
Ich war fünfzehn, als ich 1994 Plattensammler und DJ wurde. In der Hip-Hop-Szene blieb es trotz CDs ganz normal, Platten aufzulegen. Vinyl war meine erste grosse Liebe, und ich bin auch dabeigeblieben. Zwischen 2012 und 2016 hatte ich auf SRF Virus eine eigene Radiosendung, «Vinyl Only». Seit 2016 präsentiere ich «Pop Routes» auf SRF3. Ich lege viel in der Soul- und Funkwelt auf. Dort ist es wichtig, die Originalplatten zu haben, und nicht irgendwelche Nachpressungen oder schon gar keine Version ab dem PC abzuspielen. Eine Platte aufzulegen und jedes Mal die Seite zu wechseln ist ein ganz anderes Hören, als irgendwie Songs durchzuklicken.
Meine Lieblingsscheibe ist «Diana» von 1980, Diana Ross’ zehntes Studioalbum und meistverkaufte Platte. Sie ist nicht rar oder teuer, aber das Klapp-Cover mit Diana hat’s mir angetan. Man sieht sie nur halb; wenn man das Cover aufklappt, sieht man ihren ganzen Körper. Auch der Sound ist ziemlich nice. Neben dem Disco-Party-Klassiker «Upside Down» feiere ich vor allem den Track «I’m Coming Out» mit dem geilen Posaunen-Solo. Der Song wurde unter anderem für den NotoriousB.I.G.-Hit «Mo Money Mo Problems» gesampelt. Immer wenn ich diese Platte irgendwo auf dem Flohmarkt oder im Brocki sehe, muss ich sie kaufen. n
DJ Pesa, auch bekannt von den SRF-Sendungen «Vinyl Only» und «Pop Routes» KOMMUNIKATION 17
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Gut mit dem Herzen sehen Worte können töten, Kriege auslösen, Beziehungen beenden oder auch Menschen miteinander verbinden und zu Höchstleistungen anspornen. Den Unterschied machen Respekt, Empathie und Vertrauen aus, aber auch die Fähigkeit, konzentriert zuzuhören. Selbst die Hirnforschung fordert inzwischen mehr Mitgefühl von uns und betont die Rolle des Einfühlungsvermögens beim Gespräch. Über die Gesetze mitfühlender Kommunikation und wie man sie beherzigen kann.
Text Christian Kaiser
«Adieu», sagte der Fuchs. «Hier mein Geheimnis. Es ist ganz einfach: Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.» «Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar», wiederholte der kleine Prinz, um es sich zu merken. «Die Zeit, die du für deine Rose verloren hast, sie macht deine Rose so wichtig.» «Die Zeit, die ich für meine Rose verloren habe …», sagte der kleine Prinz, um es sich zu merken. «Die Menschen haben diese Wahrheit vergessen», sagte der Fuchs. «Aber du darfst sie nicht vergessen. Du bist zeitlebens für das verantwortlich, was du dir vertraut gemacht hast. Du bist für deine Rose verantwortlich …» «Ich bin für meine Rose verantwortlich …», wiederholte der kleine Prinz, um es sich zu merken.
Man sieht nur mit dem Herzen gut
Im Geheimnis, das Antoine de SaintExupéry den kleinen Prinzen entdecken lässt, steckt mehr Wahrheit, als wir vielleicht denken. «Mit dem Herzen sehen» 18 EB NAVI #8
meint alles andere als Gefühlsduselei, «cœur» war für Saint-Exupéry ein Wahrnehmungs- und Erkenntnisorgan in Bezug auf das Gegenüber. Wer die Menschen und Dinge verstehen will, der muss sie lieben, sich auf sie mit dem Herzen einlassen. Der schriftstellernde Pilot hat das immer versucht – ob als von Miliz soldaten Festgenommener oder in der Sahara Bruchgelandeter. Das Schlüsselmoment dabei war für Saint-Exupéry, jedes Mal zu entdecken, dass man zusammengehört, durch das Wesen des Menschseins miteinander verbunden ist: «Diese Entdeckung anderer bewusster Wesenheiten weitet den Menschen. Man sieht sich an mit lächelndem Verstehen», schrieb er in dem Buch «Wind, Sand und Sterne». Dann sei einem zumute «wie dem befreiten Gefangenen, der staunend die Unendlichkeit des Meeres erkennt».
Das Wesentliche ist unsichtbar
Saint-Exupérys Mission war das Aufspüren und Entdecken menschlicher Eigenschaften – im einfühlenden Beieinander, das zuerst oft auch ganz ohne Worte auskommt, bevor der Schriftsteller in Worte fasst, was ihn innerlich bewegt. Das «gewissenhafte und durchdachte Ergebnis» seiner Beobachtungen und Gedanken gibt er ehrlich und offen preis, aus Liebe zu den Menschen: «Ich kann nicht leben ohne Liebe. Ich habe immer nur aus Liebe gesprochen, gehandelt, geschrieben.» Liebe ist ein grosses Wort und bietet Platz für allerhand Interpretationen, Vorstellungen und auch Illusionen. Eines ist aber sicher: Schon das Wort allein macht uns glücklich und zufrieden. «Wenn man sich intensiv auf ein Wort wie Frieden oder Liebe konzentriert, beruhigen sich die Emotionszentren des Gehirns», schreiben die Neurowissenschafter Andrew Newberg und Mark Robert Waldmann. Sie haben ein lesenswertes Buch geschrieben über die «Kraft der Mitfühlenden Kommunikation» (Compassionate Communication) – mit dem deutschen Untertitel: «Wie Worte unser Leben ändern können». Positiv besetzte Wörter wie Liebe oder Frieden setzen in Gehirn und Körper Prozesse in Gang, die machen, dass wir uns besser fühlen. Davon sind die Autoren überzeugt, und sie belegen es mit zahlreichen Studien.
Wiederholte der kleine Prinz ...
Schon der Anblick einer Liste mit positiven Begriffen für wenige Sekunden bewirke bei ängstlichen und deprimierten Menschen eine Verbesserung ihrer Kommunikation und mehr Selbstvertrauen. Wer mehr positive Wörter benutze, könne auch seine Emotionen besser regulieren. Darum der Tipp: «Wenn Sie sich wiederholt auf positive Wörter und Bilder konzentrieren, werden Angst und Niedergeschlagenheit abnehmen, und die Zahl Ihrer unbewussten negativen Gedanken wird zurückgehen.» Negativität ist Gift für die Kommunikationsschaltkreise im Gehirn, sie vermiest nicht nur jede Gesprächssituation oder vergrault Kommunikationspartner, sie ist sogar imstande, die Kommunikationsfähigkeit dauerhaft zu ruinieren. ... um es sich zu merken
Wer hingegen die richtigen, positiven Worte wählt, kann damit grössere Empathie und gegenseitiges Vertrauen schaffen. Das Ziel jedes guten Gesprächs ist Verständnis und Zusammenarbeit, der Weg dorthin führt über Positivität, Mitgefühl und Vertrauen. Waldmann und Newberg beschäftigen sich seit 1992 intensiv mit der Frage, wie die Kommunikation zwischen Menschen verbessert werden kann: Anhaltspunkte dafür fanden sie in Experimenten mit Probanden und neurowissenschaftlichen und psychologischen Studien. Im Buch legen die Hirnforscher nun ein praktisches Programm zur Einübung und Verbesse-
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Kommunikationskiller schlechter Zuhörer
rung der Kommunikationsfähigkeiten für jedermann und jegliche Gesprächs situation vor. Die Zeit für deine Rose ...
Die Erkenntnisse ihrer langjährigen Forschung sind in einen 12-Punkte-Plan eingeflossen; die 12 Strategien helfen, die Dynamik eines Gesprächs für alle Seiten spürbar zu verbessern, und bilden das Kernstück dessen, was die Autoren «Mitfühlende Kommunikation» nennen: «Wenn Sie in Ihren Gesprächen davon Gebrauch machen, passiert etwas Überraschendes: Ihre beiden Gehirne – Ihres und das Ihres Gesprächspartners – fangen an, sich aufeinander abzustimmen.» Diese besondere Wechselwirkung heisst «neuronale Resonanz»: «In diesem Zustand verstärkter Übereinstimmung können zwei Menschen zusammen bemerkenswerte Dinge vollbringen.» Das gilt selbst für zwei sich völlig Fremde. «Weil die neuronale Resonanz die Abwehrhaltung ausschaltet, die normalerweise zwischen Fremden herrscht.»
Aneinander vorbeireden ist oft die Folge davon, dass sich Gesprächspartner nicht richtig zuhören. Schlechtes Zuhörerverhalten zeigt sich in: – selektivem Zuhören: nur das hören, was einen interessiert – abwehrendem Zuhören: alles Gesagte persönlich nehmen – ausweichendem Zuhören: überhören, was einem nicht gefällt – Tagträumen: an nicht gesprächsbezogene Dinge denken – Debatten: sich innerlich über das Gesagte streiten – A bqualifizieren: durch negative Ansichten beeinflussen – Problemlösen: unerbetene Ratschläge erteilen – Pseudozuhören: nur so tun, als wäre man ein guter Zuhörer – Einüben: was man selbst sagen möchte vorausplanen und formulieren – die Bühne in Beschlag nehmen: das Gespräch für die eigenen Ziele manipulieren – auf der Lauer liegen: Informationen gegen die Gesprächspartner sammeln
ursprünglich entwickelt, um Paaren bei der Vertrauensbildung und Konfliktlösung zu helfen. Sie nützt aber ebenso bei Gesprächen zwischen Erwachsenen und Kindern, Ärztinnen und Patienten, Dienstleistern und Kunden. In den USA hat die Mitfühlende Kommunikation via die Vorstandsetagen bereits Eingang in die tägliche Arbeit verschiedener grosser und kleiner Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen gefunden. Pflegefachleute, Studierende, Managerinnen und Kundenberater, Kreationsteams lernen sie, üben sie ein und wenden sie an. Du bist verantwortlich ...
... macht deine Rose so wichtig
Dieses Einschwingen von zwei Individuen mit Herz und Hirn aufeinander macht ein erfolgreiches Gespräch möglich; die oder der Sendende kann die beabsichtigte Botschaft vermitteln, und dem Empfangenden gelingt es, genau diese Botschaft zu verstehen und nicht etwas völlig anderes. Die Methode der Mitfühlenden Kommunikation wurde 20 EB NAVI #8
Der Untertitel des Buches ist allerdings etwas irreführend: Die Worte sind beim ganzen Prozess weniger als die halbe Miete. Von den 12 Punkten haben gerade einmal 4 (Schritte 8 bis 11) mit verbaler Kommunikation zu tun – und wenn man dem Gewicht glaubt, dass die beiden Experten in ihren Ausführungen auf die übrigen Punkte legen, dann sind die Schlüsselfaktoren Mitfühlender Kommu-
nikation vor allem nonverbal. Die ersten 6 Schritte (➝ Seite 23 ) dienen der Vorbereitung vor der Gesprächssituation, der Blick ist dabei auf sich selbst gerichtet; sie schaffen einen inneren Zustand von Positivität, Achtsamkeit, Entspannung, Präsenz und innerer Ruhe. Dieser Zustand ist gewissermassen die Voraussetzung, um mit dem Herzen zu sehen. Erst wenn wir ganz bei uns selbst sind, können wir im Gespräch auch aufmerksam auf die nonverbalen Signale achten, die uns zu entschlüsseln helfen, was der andere wirklich denkt und fühlt: Mimik, Gestik, Tonfall, Gefühlsregungen. ... für das, was du dir vertraut machst
Die Autoren betrachten diese Achtsamkeit für die nonverbalen Signale als eine Form des aufmerksamen Zuhörens – und betonen immer wieder, wie wichtig es auch im eigenen Interesse für den gesamten Gesprächsverlauf ist, dass wir imstande sind, intensiv und fokussiert zuzuhören (Punkt 12): «Die Mitfühlende Kommunikation legt genauso viel Gewicht auf das Zuhören wie auf das Sprechen.» Denn konzentriertes Zuhören ist für neuronale Resonanz entscheidend: «Wie jüngste Gehirnscan-Forschungen zeigen, spiegelt unser Gehirn umso stärker die Aktivität des Gehirns vom Gesprächspartner wider, je intensiver wir zuhören.» Sorgen und Freuden mitfühlen und wirklich verstehen können wir nur, wenn wir auch wirklich zuhören. Dafür muss es uns auch gelingen, den ständigen inneren Fluss der Gedanken zu unterbrechen (➝ Kasten: Kommunikationskiller schlechter Zuhörer). Die Menschen haben vergessen ...
Die Tipps zur verbalen Kommunikation (8 bis 11) sind so neu nicht: Machen Sie Komplimente, seien Sie freundlich, loben und anerkennen Sie, drücken Sie Ihre
Zustimmung aus, reden Sie von Erfreulichem, statt sich zu beklagen, sprechen Sie langsam, in warmem und fürsorglichem Ton und vor allem: fassen Sie sich kurz. Die Autoren betonen diesen letzten Punkt immer wieder, auch im Licht neurologischer Untersuchungen. Sie fordern, dass man sich konsequent an die 30-Sekunden-Regel hält: «Wenn man anderen etwas mitteilt, sollte man sich immer auf eine Äusserung von 20 bis 30 Sekunden beschränken.» Der Grund: Unser Arbeitsgedächtnis kann für die Kommunikation gar nicht mehr als vier Informationsblöcke aus dem Langzeitgedächtnis hervorholen, und diese winzigen Informationsstücke behält es für höchstens 30 Sekunden. Mehr liegt nicht drin, drum sollte man es gar nicht erst versuchen. Die 30-Sekunden-Regel ermöglicht es, irrelevante Informationen herauszufiltern, verhindert es, das Gegenüber mit zu viel Information zu überladen und begrenzt zudem die Möglichkeit, negative Emotionen auszudrücken. ... aber du darfst nicht
Die Neurologen warnen wiederholt davor, negative Emotionen wie Wut und Zorn überhaupt zu äussern; das sei aus neurologischer Sicht völlig kontraproduktiv und sabotiere mit Sicherheit jedes
AUF KURS BLEIBEN Gespräche führen – verstehen und verstanden werden Wer etwas zu sagen hat, soll vorher genau hinhören Bildungsgang «Kommunikation» Ein Rundum-Training in Sachen Informationsaustausch Gewaltfreie Kommunikation Warum die «Giraffensprache» der «Wolfssprache» vorzuziehen ist Anmelden: eb-zuerich.ch/ebnavi/kommunikation
KOMMUNIKATION 21
Gespräch. Allerdings führe es auch zu nichts, wenn man negative Gefühle bloss unterdrücke, wenn sie einmal da sind. Stattdessen solle man die negativen Gefühlsregungen einfach beobachten – ohne sie zu bewerten oder zu artikulieren. Anschliessend solle man jedes emotionale Gefühl und jeden negativen Gedanken so umformen, dass er in eine positive, mitfühlende und lösungsorientierte Richtung führe. Aber damit nicht genug: Weil das Hirn ungemein stärker auf Negativität reagiere als auf Positivität, sei es sogar nötig, jedem negativen Gedanken als Reaktion drei bis fünf positive Gedanken folgen zu lassen. Die renommierte Psychologin Barbara Fredrickson hat die Wichtigkeit dieser Regel in ihrem Buch «Positivity» beschrieben. Wer das schaffe, dem seien florierende Geschäfte und gedeihende Beziehungen sicher.
BUCHTIPP
Newberg / Waldmann Die Kraft der Mitfühlenden Kommunikation Kailash, 2013
22 EB NAVI #8
Ich bin verantwortlich
Seien Sie nachsichtig mit sich selbst und Ihren Gesprächspartnerinnen und -partnern, wenn Sie diese Umpolung in Positivität nicht auf Anhieb meistern, weil es grad hart auf hart geht; die Erleuchtung kommt nicht von heute auf morgen und schon gar nicht von alleine. Die Autoren geben zu, dass es ganz schön schwer ist, alte und falsche Kommunikationsweisen durch neue zu ersetzen, und dass man dafür ganz viel üben muss. Fangen Sie mit den leichteren Punkten der Mitfühlenden Kommunikation an. Zum Beispiel mit Entspannung oder mit Gedanken an schöne Dinge. Geht es nach Newberg und Waldmann, so können täglich 20 Minuten Training wahre Wunder bewirken – schon in 8 Wochen: «Sie werden Ihr Gehirn buchstäblich neu verdrahten, um effektiver zu kommunizieren.» Dafür schlagen Sie am Ende des Buches verschiedene praktische Übungen vor. Hier mein Geheimnis
«Man muss etwas zu sagen haben», schrieb Antoine de Saint-Exupéry einmal an seine Mutter. Ihn trieb zeitlebens die Frage um: Was zu sagen war und wie. In seinem letzten Lebensjahr schrieb er den «Brief an einen General». Darin wendet sich der Pilot vor einem gefährlichen Kampfeinsatz an den Armeechef mit den Worten: «Falls ich lebendig heimkehre von diesem ‹notwendigen und undank-
Die zwölf Schrit te der Mit fühlenden Kommunikation 1. Entspannen Sie sich: Reizbarkeit und Stress sind Gift. Derjenige, der die Ruhe behält, profitiert am meisten, wenn ein Gespräch hitzig wird. 2. Seien Sie im gegenwärtigen Moment präsent: Die Konzentration auf Atmung und Entspannung hilft. Gegenwärtigkeit ermöglicht es, auf innere und äussere Signale zu achten und den Austausch mit Klarheit wahrzunehmen. 3. Erzeugen Sie innere Stille: Innere Ruhe statt innere Stimme. Wer den Fluss der eigenen Gedanken durchbricht und kontrolliert, kann sich auf das Gesagte konzentrieren. 4. Steigern Sie Ihre Positivität: Nehmen Sie eine positive Haltung zum Gegenüber und zum Verlauf des Gesprächs an. Falls das nicht geht, verzichten Sie oder verschieben Sie. 5. Erinnern Sie sich an Ihre tiefsten Werte: Konzentrieren Sie sich auf das, was Ihnen wichtig ist: Erinnern Sie sich an Ihre Werte, aber auch an das, was Ihnen an dieser Beziehung und an diesem Gespräch liegt. 6. Denken Sie an etwas Schönes: Zum Beispiel an ein Erlebnis mit Menschen, für die Sie tiefe Zuneigung und Respekt empfinden. So nimmt Ihr Gesicht einen freundlichen Ausdruck an und regt Vertrauen an.
7. Achten Sie auf nonverbale Signale: Den Ball immer im Auge behalten, sprich, das Gegenüber und den Gesprächsverlauf. Entschlüsseln Sie Mimik und Tonlage und fragen Sie nach, ob Ihr Eindruck richtig ist. 8. Drücken Sie Ihre Anerkennung aus: Beginnen Sie mit positiven Äusserungen. Bauen Sie immer wieder Lob und Komplimente ein. Und schliessen Sie mit einer persönlichen Anerkennung des Gegenübers und des Gesprächs ab. 9. Sprechen Sie in herzlichem Ton: Ein herzlicher Tonfall vermittelt Mitgefühl, Offenheit und Empfindsamkeit. Wer warm und fürsorglich klingt, kann Zufriedenheit auslösen, Engagement schaffen und Veränderungen bewirken. 10. Sprechen Sie langsam: Langsames Sprechen erleichtert das Verstehen und wirkt beruhigend. Wer bewusst langsam spricht, kann sich seiner Sprechweise gewahr werden, statt gewohnheitsmässig unkontrolliert draufloszureden. 11. Fassen Sie sich kurz: Sprechen Sie nicht mehr als ein bis zwei Sätze, nicht länger als 30 Sekunden. Vergewissern Sie sich, dass diese Botschaft verstanden ist, bevor Sie weitersprechen. 12. Hören Sie intensiv zu: Alle wollen gehört und verstanden werden. Tun Sie selbst, was Sie von anderen erwarten; konzentrieren Sie sich auf jedes Detail. Antworten Sie auf das, was gerade gesagt worden ist.
baren Job›, dann wird sich für mich nur ein Problem stellen: Was kann man, was soll man den Menschen sagen?» In dem Brief heisst es aber auch: «Es ist mir ganz gleich, ob ich im Krieg umkomme. Was wird denn von dem bleiben, was ich liebte?» Zeitlebens
Geliebt hat er die Menschen und ihre Bräuche, die «unersetzlichen Akzente»,
das «gewisse geistige Licht». Wenn sie untergehen, dann bleibt nichts mehr zu sagen. Am 31. Juli 1944, Saint-Exupéry war mit 44 eigentlich schon zu alt für diesen Job, startet er zu seinem 9. Aufklärungsflug und verschwindet für immer aus dem Funkverkehr – vermutlich abgeschossen von einem deutschen Jäger. Aber das Geheimnis, dass man nur mit dem Herzen gut sieht, hatte der Fuchs für immer gelüftet. n
KOMMUNIKATION 23
Vom Senden und Empfangen von Informationen Die direkte Kommunikation zwischen Menschen kann auf fünf Wegen geschehen. Viele Informationen werden dabei nicht allein über Sprache mitgeteilt. Und: Ein grosser Teil der Kommunikation passiert unbewusst. Infografik Daniel Röttele
Kommunikation Sender
Empfänger
Senden Information
Die fünf Kanäle der zwischenmenschlichen Kommunikation
Kommunikation ist, vereinfacht ausgedrückt, der Austausch von Informationen zwischen einem Sender und einem Empfänger. Der Sender übermittelt dabei verbal und nonverbal Zeichen, und der Empfänger versucht, diese Zeichen zu entschlüsseln und zu verstehen.
NONVERBAL
Eine Person kann in der zwischenmenschlichen Kommunikation Informationen über verschiedene «Kanäle» senden. Die Sprache stellt dabei nur einen von fünf Kanälen dar. Bei den anderen vier Kanälen wie z. B. der Körpersprache oder der Stimme ist es dem Sender und dem Empfänger oft gar nicht 24 EB NAVI #8 04 #X
oder nur sehr vage bewusst, welche Informationen damit eigentlich übermittelt werden. Generell lässt sich sagen: Ob die gesendeten Zeichen vom Empfänger richtig entschlüsselt werden, ist oft ungewiss. Kommunikation kann also zu vielen Missverständnissen führen.
VERBAL
Sprache (und Schrift): Mittels Sprache lassen sich sehr viele Aussagen übermitteln, sie ist ein wichtiges Instrument zur Kommunikation und auch zur Beeinflussung. Mit Sprache kann man sich auch über abstrakte Dinge oder über Ereignisse der Vergangenheit und der Zukunft verständigen.
PARAVERBAL
Lautstärke und Tonhöhe der Stimme, Sprechrhythmus, -pausen und -tempo, Rufe, Laute usw.: Der paraverbale Teil einer Botschaft kann nur gehört werden (und nicht gelesen) und gibt dem Empfänger oft wertvolle zusätzliche Informationen zum Gesagten!
VISUELL
Gesichtsausdruck, Gesten, Blicke, Körperhaltung und -bau, Kleidung, Frisur, Schmuck usw.: Visuelle Signale können einerseits etwas über den Gemütszustand aussagen oder den Status und die Haltung einer Person ausdrücken (Schmuck, Kleidung, Frisuren).
TAKTIL
Berührungen, Körperkontakt: Händeschütteln, eine Umarmung, Küsse und weitere Arten von Berührungen sind Mittel zur Kommunikation. Was dabei als angebracht und als angenehm empfunden wird, ist stark von gesellschaftlichen Konventionen, der Kultur und der jeweiligen Situation abhängig.
OLFAKTORISCH
Gerüche, Düfte: Chemische Signalstoffe übermitteln Informationen, z. B. bei einem teuren Parfüm. Ob auch Pheromone* in der Kommunikation zwischen Menschen eine Rolle spielen, ist durch die Wissenschaft nicht eindeutig geklärt.
* Pheromone sind Substanzen, die von einem Individuum abgegeben werden und bei einem Artgenossen spezifische Reaktionen auslösen. Im Tierreich verständigen sich z. B. viele Insekten über Pheromone. So geben bei vielen Schmetterlingsarten die Weibchen Sexuallockstoffe ab, um die entsprechenden Männchen anzulocken.
KOMMUNIKATION NAMENAME 05 25
Empfangen VERBAL
PARAVERBAL
Unsere Sinnesorgane können unterschiedlich viele Informationen aufnehmen. Gemäss einer Studie von Prof. Manfred Zimmermann ist das Auge am leistungsfähigsten, da es über die meisten Rezeptoren und Nervenbahnen ins Hirn verfügt. Es hat eine Bandbreite von rund 10 Millio-
nen bit/Sekunde. Doch nur ein ganz kleiner Teil aller Informationen, die empfangen werden, gelangen auch ins Bewusstsein. Die Grafik unten zeigt die Anzahl Informationseinheiten, die ein Sinnesorgan pro Sekunde bewusst wahrnehmen kann (Schätzwerte* in bit/Sekunde).
2
1 4 5
40 bit 1 Augen
VISUELL 2 Ohren 30 bit
3
TAKTIL
3 Haut 5 bit
4 Nase 1 bit
OLFAKTORISCH
5 Zunge
1 bit
* Je nach Studie werden etwas andere Werte angegeben. Jedoch sind sich alle Studien darin einig, dass das menschliche Bewusstsein nur einen sehr kleinen Teil aller Informationen wahrnehmen kann.
26 EB NAVI #8 06 #X
Kommunikation über den verbalen Kanal: Reden bedeutet vor allem, Informationen wegzulassen Informationen zusammenfassen, verdichten und weglassen, denn die Redezeit und die Aufmerksamkeit des Zuhörers sind begrenzt. Der Empfänger der Wörter muss diese wiederum entschlüsseln. Das ist nur möglich, wenn Sender und Empfänger an bekannte Erfahrungen anknüpfen
Der dänische Wissenschaftsjournalist Tor Nørretranders hat vor einigen Jahren beschrieben, was passiert, wenn wir über Sprache miteinander kommunizieren. Wir müssen aus der riesigen Vielzahl der Eindrücke, Erlebnisse und Gedanken, die wir mitteilen wollen, eine Auswahl treffen;
Aussondern und Verdichten von Information Erlebnisse
Ideen
Assoziationen Erfahrungen
können. Ob jedoch die reduzierte Information beim Empfänger die gleichen Gedanken, Gefühle und Assoziationen hervorrufen wie beim Sender, ist ungewiss. Was mit den Worten im Gehirn des Zuhörers passiert, entzieht sich der Kontrolle des Senders. Das Modell gilt auch für die geschriebene Sprache.**
Aufschlüsseln des Gehörten, Herstellen von Bedeutung
Bilder
Bilder
Überlegungen
Erlebnisse
Überlegungen
Gefühle
Stimmungen
Gedanken
Erfahrungen
Stimmungen
Assoziationen Gedanken Ideen Gefühle
Information in Form von Wörtern
** Es gilt z. B. auch für die Kommunikation zwischen Musiker und Zuhörer. Quellen: Tor Nørretranders: «Spüre die Welt – Die Wissenschaft des Bewusstseins» (Rowohlt); Manfred Zimmermann: «Das Nervensystem – nachrichtentechnisch gesehen» (Springer); «Linder Biologie» (Schroedel)
KOMMUNIKATION NAMENAME 27 07
KOMMUNIK ATION
Die Summe aller Sinne ergibt immer 100 Prozent Die Mimik, die Gestik, der Klang der Stimme, die Art, wie wir sprechen. Ob wir wollen oder nicht: Der grösste Teil unserer Kommunikation verläuft nicht über Wörter, sondern über unsere Sinne. Doch was, wenn ein Sinn wegfällt? Vier Perspektiven auf die Kommunikation von Menschen mit vier Sinnen.
Text Stephanie Elmer
«Das sind aber keine Schuhe, die sich zum Spazieren eignen», sagt Susanne Gasser zur Begrüssung. Ihr Blick bleibt dabei gegen oben gerichtet. Susanne Gasser ist seit ihrem achten Lebensjahr blind. Zuerst sah sie noch Umrisse und Schatten. Doch vor vier Jahren haben sich die Augen nochmals verschlechtert, sodass sie nun nur noch Hell und Dunkel unterscheiden kann. «Ich glaube fast, wir könnten etwa gleich alt sein. Wollen wir uns ‹Du› sagen?», fragt sie, während sie ihren Bergamaskerhund «Faro» an die Leine nimmt und zum Mittagsgang aufbricht. Ein Schleier aus schwüler Luft liegt über der Strasse. Der Tonfall als Botschafter
«Ich stelle mir eigentlich nie vor, wie mein Gegenüber aussehen könnte», sagt Gasser, die in Glarus als selbständige Physiotherapeutin arbeitet. «Essenzieller ist die Stimme. Nicht unbedingt der 28 EB NAVI #8
Dialekt, sondern die Art und Weise, wie jemand spricht. Die Betonung der Wörter ist für mich die wichtigste Orientierung.» Sie überlegt einen Moment, und lachend fügt sie hinzu: «Oftmals bin ich dann erstaunt, wenn ich im Nachhinein erfahre, wie viele meiner Patienten beispielsweise eine Tätowierung haben. Aber dann ist mein erster Eindruck schon gemacht.» Die Ehrlichkeit des Nonverbalen
Der Ton macht die Musik. Jemanden nicht riechen können. Ganz Ohr sein. Was hinter diesen Redewendungen steckt, begleitet uns tagtäglich, wenn auch unbewusst. Denn der grösste Teil unserer Kommunikation wird nicht durch das gesprochene Wort übertragen, sondern durch unsere Mimik, Gestik, unsere Haltung oder durch unseren Habitus, beispielsweise unsere Kleidung. Forscher gehen davon aus, dass diese Faktoren bei
Es ist nicht so, dass ich gerne
blind bin. Aber ich habe mich arrangiert
arrangiert, gelernt, mich zurecht-
zufinden. Könnte ich von einem Tag auf einer Face-to-face-Interaktion rund die Hälfte der übertragenen Botschaften bestimmen. Das ist umso bemerkenswerter, als wir gemäss Forschung der nonverbalen Kommunikation mehr Glauben schenken als dem gesprochenen Wort. Von Ohr zu Ohr und Nase zu Nase
Stimmen Inhalt einer Botschaft und nonverbaler Teil nicht überein, orientieren wir uns am Letzteren; einem Menschen, der nach Alkohol riecht, werden wir kaum glauben, dass er nüchtern ist, auch wenn er das beteuert. Im Zweifelsfall trauen wir also nicht dem gesprochenen Wort, sondern anderen Sinnen. Ähnlich verhält es sich mit der paraverbalen Kommunikation, die nicht über den Inhalt, sondern über die Art und Weise des Sprechens übertragen wird: Klang der Stimme, Lautstärke oder Betonung. Hier gilt ebenso: Der Inhalt kann noch so wohlwollend sein, ist die Stimme gereizt, laut oder gehässig, bestimmt das die Botschaft, die bei uns ankommt. Das Gespür für das Unsichtbare
Susanne Gasser sagt von sich, eine sehr gute Menschenkenntnis zu haben – obwohl oder gerade weil sie dabei auf sichtbare Signale verzichten muss. «Man bekommt ein Gespür für das Gegenüber, ein Gefühl, auf das man sich verlassen kann.» Wie das funktioniert, weiss sie selber nicht so genau. «Ein Empfinden halt.» Ein paar Jahre hat Susanne Gasser in einem Spital im Berner Oberland gearbeitet. «Oftmals musste ich da Patienten
den anderen wieder sehen – das wäre
eine totale Reizüberflutung.
in ihrem Zimmer zur Therapie abholen», erzählt sie. «Betrat ich ein Zimmer, wusste ich instinktiv, ob das Zimmer leer war oder jemand im Bett lag.» Eine Fähigkeit, die auch viel mit Übung zu tun hat, ist sie sich sicher. Menschen fühlen statt riechen
Von einem «Gespür für die Menschen» spricht auch Franziska Huber aus Winterthur. Sie war ein Teenager, als sie bemerkte, dass sie keinen Geruchssinn hat: Ihr Bruder machte sie darauf aufmerksam, dass sie saure Milch trank, ohne es zu merken. Durch den fehlenden Geruchssinn habe sie unbewusst gelernt, Menschen zu fühlen. «Ich nehme beispielsweise die Energie von jemandem wahr», sagt sie, ohne dabei richtig erklären zu können, wie das funktioniert. «Ich merke, wie es jemandem geht. Es ist eine Fähigkeit, die da war oder die sich entwickelt hat.» Wie sie die Menschen mit Geruchssinn wahrnehmen würde, ist für Franziska Huber schwierig zu sagen. «Ich kenne ja nichts anderes.» Entsprechend hat sie ihren Alltag gestaltet. Zum Beispiel, wenn sie kocht: «Zehnmal Salz streuen für Spaghetti, zweimal für Fleisch.» Und brennt irgendwo eine Kerze, dann weiss sie, dass sie besonders aufpassen muss.
KOMMUNIKATION 29
Klänge und Gerüche als Wegweiser
Die Waldstrasse schlängelt sich langsam zurück Richtung Dorf, mit jedem Schritt kehrt die drückende Hitze zurück. «Ich muss den Hund an die Leine nehmen. Nicht dass er links auf die Wiese springt. Die ist frisch gemistet», sagt Susanne Gasser. Die Orientierung ist geschult, sensibilisiert, folgt eigenen Regeln, unsichtbar für das Auge. Die Schuhe, die auf dem Asphalt klingen und so die hohen Absätze und damit Walduntauglichkeit verraten. Der Wind, der von links kommt und der Duft von frischem Mist mit sich trägt. «Es ist nicht so, dass ich gerne blind bin. Aber ich habe mich arrangiert, gelernt, mich zurechtzufinden. Könnte ich von einem Tag auf den anderen wieder sehen – das wäre eine totale Reizüberflutung. Ich glaube, der Mensch kompensiert sehr viel, wenn er muss. Er ist unglaublich anpassungsfähig.» Wortlos kommunizieren
Wie diese Kompensation und Anpassung funktionieren, kann Christa Notter erklären. Die Gebärdensprachlehrerin und Leiterin bei DIMA, dem Verein für Sprache und Integration in Zürich Oerlikon, nimmt im kleinen Sitzungszimmer Platz. An der Wand hängen Bilder von Gebärdensprachwörtern, ansonsten ist das Zimmer karg eingerichtet, beschränkt auf das Nötigste. «Ein Kind lernt laufen, ohne sich bewusst zu sein, dass es dafür zwei Beine braucht. Dasselbe gilt für 30 EB NAVI #8
Menschen, die vier Sinne haben. Sie wachsen damit auf oder kompensieren es mit der Zeit», sagt sie. Christa Notter ist taub zur Welt gekommen. Kommunikation ohne gesprochenes Wort war lange Zeit unhinterfragt das Normalste auf der Welt. Hundertprozentig wahrnehmen
Erst mit ein paar Jahren fragte Christa Notter ihre Mutter: «Was sind das für seltsame Menschen, die sich beim Kommunizieren nicht anschauen?» Die Antwort der Mutter: «Das sind Hörende.» Erst da begriff Christa Notter, dass bei ihr etwas anders ist. «Hörende – dachte ich. Was ist denn das?» Entsprechend seltsam klingt für sie die Frage, wie sie lernte, ohne Gehör durchs Leben zu gehen. «Wieso denn lernen?», fragt sie zurück und nimmt den Block, der vor ihr auf dem Tisch liegt. «Die Gesellschaft muss lernen, dass Menschen, die über vier statt fünf Sinne verfügen, keine eingeschränkte Wahrnehmung haben, sondern einfach eine andere.» Sie nimmt ein leeres Blatt Papier und zeichnet fünf Vierecke – für jeden der Sinne eines. «Fällt ein Viereck weg, sind dafür die anderen umso ausgeprägter», sagt sie und vergrössert die übrig gebliebenen mit ein paar Strichen. «Die Wahrnehmung entspricht hundert Prozent, aber sie ist anders verteilt.» Geräusche lenken ab
Christa Notter hält einen Moment inne. «Ich glaube, dass ich dafür besser sehe.
Man bekommt ein Gespür
für das Gegenüber, ein Gefühl,
auf das man sich verlassen kann.
Die Körpersprache sehr schnell erfassen kann. Ein anderes Gespür für das Gegenüber entwickelt habe. Dabei spielt der Raum, in dem etwas stattfindet, auch immer eine grosse Rolle.» Sie blickt zum Fenster und fragt: «In welcher Richtung liegt der Bahnhof? Und wenn Sie mit dem Zug gekommen sind, dann beschreiben Sie mir die Leute, die Ihnen gegenübersassen, und schildern Sie mir, was diese gemacht haben.» Und ohne eine Antwort abzuwarten, sagt sie: «Sehen Sie. Die wenigsten, die hören, können mir diese Fragen beantworten. Weil sie abgelenkt sind und andere Prioritäten haben.»
setzen und sich an ihre Erfahrungen zu erinnern; im musikalischen Austausch mit anderen Musikern und in unzähligen Übungen begann sie zu lernen, wie sich die einzelnen Klänge auf der Haut anfühlten. Die Haut wurde sozusagen zum erweiterten Trommelfell. «Das mag abstrakt klingen. Aber wenn wir laute Rockmusik oder Kirchenglocken hören, dann löst dies ja auch in der Magengegend ein ganz bestimmtes, schwingendes Gefühl aus.» Nach einem Jahr unermüdlichen Übens war es schliesslich so weit: Kornelia Bruggmann konnte ihren Beruf als Solistin und Gesangslehrerin wiederaufnehmen. «Einzig Orchesterarbeit geht nicht – da braucht es einfach viel zu viel Kraft, um die einzelnen Töne einzuordnen und am richtigen Ort intervenieren zu können.»
Die Haut als Trommelfell
Die Erwartungen der anderen
Einen weggefallenen Sinn kompensieren musste auch Kornelia Bruggmann aus Schaffhausen. Bei ihr verlief die Anpassung über den Tastsinn, sie lernte, über die Haut zu hören. Die professionelle Sängerin erlitt einen Gehörsturz, und der weitgehende Hörverlust bedeutete eine grosse Ungewissheit für ihre berufliche Zukunft. «Irgendwann erinnerte ich mich an eine Dozentin, die während der Ausbildung gesagt hat, dass wir innerlich und äusserlich hören.» Rock geht durch den Magen
Sie begann sich intensiv mit der Wahrnehmung von Musik auseinanderzu
Der Spaziergang mit Susanne Gasser endet in ihrer Küche, wo sie Wasser in einen Krug füllt und Brownies auf einem Teller bereitstellt. An den Wänden hängen bunte Bilder. «Ich sehe die Bilder zwar nicht», sagt sie, «aber ich habe die Erinnerung, dass Räume ohne Bilder unschön sind.» In einer guten Stunde kommen wieder Patienten. Letzte Frage: Hat sie als blinde Physiotherapeutin einen Vorteil gegenüber sehenden Berufskollegen? Susanne Gasser überlegt nicht lange und lacht: «Ja, vielleicht deshalb, weil alle das Gefühl haben, ich müsse besser sein.» n
KOMMUNIKATION 31
BER ATUNG
Richtig und mit Würde reagieren Auch in heiklen Situationen spontan und gefasst zu reagieren ist eine Kunst. Wann braucht es mehr Schlagfertigkeit, wann weniger, und wo findet man die Worte und den Mut? Unser Experte Roger Nydegger gibt Antworten.
Mein Arbeitskollege macht oft anzügliche Bemerkungen. Ich versuche, sie zu ignorieren. Manchmal würde ich ihm aber schon gern eine schlagfertige Replik geben können und ihn in die Schranken weisen. Maria D. A., Wallisellen
Sie können sich vorbereiten. Falls immer wieder die gleichen Sprüche kommen, können Sie sich zu Hause ein paar Erwiderungen ausdenken. Wenn Ihr Arbeitskollege Sie wieder belästigt, bringen Sie Ihren Spruch. Das ist zwar nicht so spontan, wirkt aber schlagfertig und gibt Sicherheit. Sie dürfen übrigens auch am nächsten Tag noch auf die Äusserung zurückkommen: «Hey, was du gestern gesagt hast, das geht einfach nicht.» Es gibt ein gutes Gefühl, die Situation nachträglich noch gerettet zu haben.
Ich bin Italiener. In der Schweiz kommt meine angeborene Spontaneität häufig nicht gut an. Soll ich mich aus Rücksicht zurücknehmen und mich damit abfinden, dass meine Authentizität auf der Strecke bleibt? Carmelo D., Würenlingen
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Schweizer nehmen tendenziell alles eher ernst auf. Wir wollen uns sofort verteidigen, auch wenn eine Bemerkung scherzhaft gemeint ist. Ein bisschen Selbstzensur von Ihrer Seite ist wohl angebracht. Sie müssen für sich abschätzen, welches Gefühl vorherrscht: Frustriert es Sie, dass Sie Leute verletzen, auch wenn das nicht Ihre Absicht ist? Oder sind Sie unzufrieden, weil Sie nicht authentisch sein können? Natürlich spielt auch hier das Gegenüber eine Rolle: Wie ist das Abhängigkeitsverhältnis? Wie gross ist seine Humorfähigkeit? Sie sollen die Situation schnell einschätzen und sich dann eher für Natürlichkeit oder Zurückhaltung entscheiden.
Ich fahre jeden Morgen mit dem Bus zur Arbeit. Manchmal kommt es vor, dass mitfahrende Jugendliche mich mit Sprüchen provozieren. Wie kann ich darauf schlagfertig reagieren? Ursula G., Unterägeri
Sprechen Sie sofort an, was Ihnen nicht passt. Das heisst, in den ersten vier bis fünf Sekunden. Das hört sich kurz an, aber in den meisten Fällen reicht es. Suchen Sie nicht immer den originellsten Spruch, um die Provokation zu erwidern – sonst riskieren Sie, den richtigen Moment zu verpassen. Häufig reicht ein Augenaufschlag, ein «Aha» oder «So, so». Entscheidend ist nicht, was Sie sagen, sondern dass Sie überhaupt reagieren. Es ist wichtig, dass Sie mit Würde aus der Situation herausgehen. Natürlich ist Schlagfertigkeit immer situationsabhängig: Ist das Gegenüber eine Einzelperson oder eine Gruppe? Kann Ihre Reaktion Aggression auslösen? Eine Rolle spielt auch, wie Sie sich in diesem Moment gerade fühlen. Wenn Sie gerade sehr beschäftigt oder wenn Sie traurig sind, ist es schwieriger zu reagieren. Zentral ist die Körperhaltung: Sie sollte klar, offen und aufrecht sein. Die Haltung kann sogar dafür sorgen, dass Sie erst gar nicht provoziert werden. Wenn Sie selbstsicher wirken, sieht das Gegenüber häufig davon ab, einen dummen Spruch zu machen; er rechnet damit, dass Sie sich wehren. Kinder und Jugendliche – auch die eigenen – sind übrigens ein ausgezeichnetes Übungsfeld für Schlagfertigkeit. Junge Menschen können eine Situation manchmal sehr gut auf den Punkt bringen. So können sie auch Leute aus der Fassung bringen, die sonst immer eine spontane Reaktion bereithaben. Eine gute Gelegenheit also, seine Spontaneität zu verbessern!
AUF KURS BLEIBEN Kommunikative Deeskalation Wenn es brenzlig wird, einen Kübel Wasser zur Hand haben Eine Sache auf den Punkt bringen Nichts geht über authentisch sein Schlagfertig und spontan reagieren Immer die richtige Reaktion zeigen Umgang mit «schwierigen» Menschen Auch heikle Kommunikationssituationen meistern können Anmelden: eb-zuerich.ch/ebnavi/kommunikation
KOMMUNIKATION 33
Ich halte regelmässig Vorträge. Oft habe ich Mühe mit den kritischen Blicken und schwierigen Fragen der Kunden. Was kann ich machen? Jennifer G., Solothurn
Ich bin von Natur aus scheu und schweigsam. Kann ich lernen, schlagfertig zu sein? Kurt M., Dietlikon
Sorgen Sie zunächst dafür, dass Sie sich im Raum wohlfühlen. Machen Sie etwas, das Sie beruhigt: Wenn Sie etwa gerne tanzen, dann tanzen Sie ein paar Minuten. Je mehr Sie zu sich kommen, umso kongruenter können Sie reagieren. Ausserdem sollen Sie sich auf kritische Fragen vorbereiten: Gehen Sie davon aus, dass diese Fragen sowieso kommen werden, und überlegen Sie sich eine gute Reaktion, falls Sie diese nicht beantworten können. Bereits die Vorbereitung ändert Ihre innere Haltung. Die Kunden merken das – und vielleicht werden sie dadurch ihre kritischen Fragen erst gar nicht stellen.
Ja. Manche Menschen sind zwar schlagfertiger als andere, zum Beispiel solche, die sich als Kind immer gegen ihre Geschwister durchsetzen mussten. Aber jeder hat es in sich. Gewiss sind auch Sie in bestimmten Situationen schlagfertig: in der Familie etwa oder im Fussballclub. Diese Schlagfertigkeit sollten Sie weiterentwickeln. Üben Sie, aus der stillen Opferhaltung herauszukommen. Gehen Sie über Ihre Grenzen hinaus. Das braucht Zeit und den Willen, mal frech zu sein. Sie können das im Alltag üben. Sagen Sie etwa zu einem unfreundlichen Angestellten am Schalter: «Wieso sind Sie so unfreundlich?», oder «Wie wäre es mit einem Lächeln?» Sie machen sich zwar angreifbarer, aber Sie werden sich selbstsicherer fühlen. Und häufig wird Ihre Reaktion die Kommunikation mit Ihrem Gegenüber sogar verbessern. Neben dem Üben von Schlagfertigkeitstechniken ist es auch wichtig, dass Sie die Muster analysieren, die in Ihrem Inneren ablaufen. Sprachlosigkeit rührt meistens daher, dass man sich verletzt fühlt. Oft ist es ein Tonfall, eine körperliche Haltung, ein Wort oder eine Geste, die auf Sie wirkt und Sie blockiert. Wenn Sie dieses Muster erkennen können, sind Sie das nächste Mal aufmerksamer und werden sich eher getrauen zu reagieren.
Roger Nydegger ist freischaffender Schauspieler, Autor und Regisseur. Er realisiert interkulturelle Theaterprojekte mit starkem Bezug zu Afrika. Ausserdem ist er diplomierter Ausbilder im Kommunikationsbereich. Das gibt ihm Bodenhaftung für den Alltag und für seine künstlerische Arbeit. An der EB Zürich erteilt er den Kurs «Schlagfertig und spontan reagieren». Roger Nydegger lebt in Zürich, ist verheiratet und Vater einer 12-jährigen Tochter.
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Das Prinzip ist einfach: Hören Sie aus den Boxen einen Songtitel und schreiben Sie im Duett mit einer Mitspielerin oder einem Spielpartner eine Geschichte dazu. Reimen erlaubt. Text Christian Kaiser Illustrationen Jan Zablonier
SPIELER A WÄHLT EINEN SONGTITEL AUS
SPIELER B BEGINNT DAMIT EINE GESCHICHTE 1-5 SÄTZE
SPIELER B WÄHLT EINEN SONGTITEL
SPIELER A SCHREIBT FORTSETZUNG 1-5 SÄTZE
Die Stereo-Hin-und-her-Geschichte wird so lange fortgesetzt, bis erste Ermüdungserscheinungen auftreten oder die Songliste abgearbeitet ist.
Drücken Sie auf
und schreiben Sie den Soundtrack Ihres Lebens.
Spielvarianten – die Spielenden dürfen ihre Songzeile selber wählen; – mit mehreren Spielern im Reihumverfahren oder erzählend statt geschrieben, also als Playback-Geschichte; – mit einem Zufallselement (Songs verdeckt, die Spieler nennen oder ziehen eine Titelnummer) oder mit Zeitlimit; – zusätzliche Kniffeleien einbauen, z. B. muss der Songtitel am Anfang oder am Schluss stehen, oder Reimvorgaben: Endreime, Alliterationen oder Reimschemen (aabb usw.). Für Fortgeschrittene: im Metrum des Originalbeats. Ihre Jukebox (wenn Sie's lustig mögen: Jokebox, wenn Sie ein Digital Native sind: Playlist) ist mit 50 Titeln geladen. Enthalten: Mehr oder weniger zufällig aus einer Platten- und CD-Sammlung gezückte Songs aus sechs Jahrzehnten von deutschen oder schweizer Musikerinnen und Künstlern.
CARAMEL
1
1 2 3 4 5 6 7 8 9 0
2012
HOCHDRUCKKEIL
2
EUGEN 1996
DʻPSYCHE VO DR FROU
3
MANI MATTER 1972
TELEFON-TERROR
4
SPLIFF 1984
ANGENOMMEN ICH WÄR DIE GESELLSCHAFT
5
FUNNY VAN DANNEN 2007
GLAUB NICHT ALLES
6
MÜSLÜM 2015
GRÜNES HAAR
7
1992
LUE ZERSCH WOHÄR DAS DER WIND WÄÄIT
ZÜRI WEST 1990
ENDLICH EIN GRUND ZUR PANIK
10
36 EB NAVI #8
11
HANNES WADER 1971
12 13 14 15 16
GIBTʻS DOCH GAR NICHT DER WOLF 1997
DER SPINNER NINA HAGEN 1978
IRRE IDEAL 1980
ZAHNSTELLIG STILLER HAS 2000
PLAN B DODO 2010
ER ISCH VOM AMT UFBOTTE GSY
BABY JAIL
8 9
STEH DOCH AUF DU ARMER HUND
HEIDI HAPPY
WIR SIND HELDEN 2007
TANZ AUF DEM VULKAN NENA 1983
17
18 19 20
MANI MATTER 1967
WEICHSPÜLMITTEL SLAPSTICK 1983
EINMAL IST KEINMAL NENA 1983
PRINZ ZÜRI WEST 1994
MUSCHLE
21
RUMPELSTILZ 1975
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MACH DAS LICHT AUS, WENN DU GEHST
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ELEMENT OF CRIME 1991
23 24 25 26
TU WAS DU WILLST JAZZKANTINE 1994
DUETT KOMPLETT SPLIFF 1982
AUF WIEDERSEHEN LES SAUTERELLES 1981
DAS SÜSSE LEBEN ZENTRIFUGAL 1999
SILBERFISCHE IN MEINEM BETT
27
28 29 30
FETTES BROT 1996
MIR HET DR DINGS VERZELLT MANI MATTER 1967
ONKEL HEINI STILLER HAS 1991
3 SIND 2 ZU VIEL FETTES BROT 1995
32 33 34 35 36 37 38 39 40
SCHMIERFETT
41
PATENT OCHSNER
ICH HATTE MIR NOCH SO VIEL VORGENOMMEN
HANNES WADER
2015
ES IST SO WEIT SPLIFF 1982
JEDE GENERATION
1971
42
IM WAGEN VOR MIR DIE ROTEN ROSEN 1987
DA LEG ICH MICH DOCH LIEBER HIN
DIE FANTASTISCHEN VIER 2004
ES HAT SPASS GEMACHT SPECTACOOLÄR 1998
DIALOG IM STRANDBAD MANI MATTER 1967
TEQUILA HALLELUJA STILLER HAS 1998
RAND DER WELT SPLIFF 1984
NATURTRÄNE
43 44 45 46 47 48
NINA HAGEN
IDEAL 1980
GASCHTARBEITER MÜSLÜM 2015
MACH DICH FREI DIE FANTASTISCHEN VIER 1993
SEI DEIN EIGENER HELD DER WOLF 1997
GELIEBT, GEHASST, VERMISST JAZZKANTINE 1998
DAS BLECH SPLIFF
1978
KANTINENTAL JAZZKANTINE 1998
FRÜHLING IN PARIS NINA HAGEN 1983
1982
49 50
WENN ICH EIN JUNGE WÄR NINA HAGEN 1979
KEIN GNADENBROT DIR ROTEN ROSEN 1987
KOMMUNIKATION 37
KOMMUNIK ATION
Goethe und das Netzdeutsch Online schreiben geht anders, als wir es in der Schule gelernt haben. Das digitale Neudeutsch weckt Befürchtungen, dass es mit der Schreibfähigkeit bergab geht. Die Ängste um die Sprachverluderung sind unbegründet – auch wenn die Regeln, was als gutes Schreiben gilt, sich verschieben.
Text Katleen De Beukeleer 38 EB NAVI #8
«Schreibe nur, wie du reden würdest, und so wirst du einen guten Brief schreiben», so riet Goethe seiner Schwester 1765. Seitdem unsere Finger keine Füller mehr umschlingen, sondern mit Tastaturen und Bildschirmen verwachsen sind, scheinen wir Goethes Ratschlag wie von selbst zu beherzigen. Wir schreiben so, wie uns der Schnabel gewachsen ist: leichtfüssig wie Hip-Hopper, im würzigsten Dialekt, Smileys lächelnd und jenseits von allem, was als regelkonform gilt. Keine Angst vor Freizeit-Freestyle
Ganz so radikal hätte Goethe es dann wahrscheinlich doch nicht gemeint. Die Jugendlichen, die sich immer am schnellsten anpassen, wurden im letzten Jahrzehnt rasch zu Experten für die neue, digitale Sprache. Die Sorge wuchs: Werden Fünfzehnjährige, die berichten: «Oh btw, ich han kp wies lauft abr vlt chömmer eus ja eif dete treffe :-)»,1 ihr unleserliches Smartphone-Gekleckse bald auch auf ihre Schulaufsätze übertragen? Verkümmert die Schreibfähigkeit? Die Professorin für germanistische Linguistik, Christa Dürscheid von der Universität Zürich, wollte der Befürchtung auf den Grund gehen. Sie und ihr Team untersuchten Schülertexte und verglichen diese mit Texten, die Jugendliche in SMS, Mails, Chats und sozialen Medien produzierten. Beim Abschluss des Projektes konnte Dürscheid Entwarnung geben: Die digitale Kommunikation beeinflusse das schulische Schreiben kaum. «Von Sprachverfall kann nicht die Rede sein», sagt die Linguistin. «Der von uns so genannte Freizeitstil spiegelt sich nicht in den Schul-
texten wider.» Emoticons etwa kämen selten in Schulaufsätzen vor. Flexibel je nach Textsorte?
«Die Jugendlichen verfügen durch die private Mediennutzung über ein breites Spektrum an Kompetenzen, die sie bei der Textproduktion funktional angemessen einzusetzen wissen», stellt Dürscheid fest. Das heisst: Jugendliche sind durchaus fähig, ihren Schreibstil je nach Textsorte und Kontext anzupassen. Dürscheid vermutet, dass ihre Befunde nach wie vor aktuell sind, obwohl sich unsere Kommunikation kontinuierlich beschleunigt. 18- bis 24-Jährige nehmen im Durchschnitt um die achtzig Mal täglich ihr Smartphone zur Hand. Sie tauschen sich aus, unterhalten sich und setzen sich in Szene. Die Jugend ist schreibsüchtig. Statt nostalgisch den Teufel an die Wand zu malen, leiten viele Beobachter daraus gar eine neue Kreativität ab. «Chats belegen das Gegenteil von Sprachverfall», titelte etwa «Die Zeit» 2013. Wörterbüch-
1 Oh, by the way, ich habe keinen Plan, wie es läuft, aber vielleicht können wir uns ja einfach dort treffen.
BUCHTIPPS Schreiben digital – Wie das Internet unsere Alltagskommunikation verändert Von Christa Dürscheid und Karina Frick Der im Sommer erschienene Essay klärt mit viel Hintergrund, welche Einflüsse das Schreiben im Internet auf unsere Alltagskommunikation hat. Kröner Verlag 2016
KOMMUNIKATION 39
Eigenschaf ten des digitalen Schreibens Sprachwandel, Sprachverfall – die Merkmale des digitalen Schreibens machen argwöhnisch. Merkmale auf grafischer Ebene –– Abweichungen von der Standardorthografie («kul» statt «cool», «sory» statt «sorry») –– Durchgängige Gross- oder Kleinschreibung («WANN kommst du endlich?») –– Auslassen von Satzzeichen («Freut mich wo kommst du her») –– Auslassen von Leerzeichen («Ganz gut.Bis morgen») –– Wiederholung von Satzzeichen und Buchstaben («richtig????? – neiiiiin») –– Akronyme: Kunstworte, die aus den Anfangsbuchstaben mehrerer Wörter zusammengesetzt sind («asap» [as soon as possible], «akla» [alles klar?]) –– Rebusschreibungen (gute N8, 4ever) –– Verwendung von Smileys und Emojis: Bildzeichen, die längere Begriffe ersetzen. ( = Ich habe vor Lachen schon Tränen in den Augen.) Merkmale auf stilistischer Ebene Das digitale Schreiben übernimmt stilistische Merkmale der gesprochenen Sprache: –– Wegfall von Kasusendungen («Ich kenne ein Student» statt «Ich kenne einen Studenten») –– Wegfall von Flexionsendungen («Ich kenn ihn» statt «Ich kenne ihn») –– Ellipsen: Satzteile werden weggelassen («Was denn?» statt «Was ist denn?») –– Interjektionen: Zwischenrufe oder Laute (au weia!, uups, igitt, pfui, hoppla) –– Gesprächspartikel: Partikel ohne eigentliche Bedeutung, die das Gespräch steuern (also!, aha, gell, halt) –– Dialektschreibung («Wür hüt gern mal skype – Muss nöd lang si, will di eifach gseh») –– Umgangssprachliche Ausdrücke («Bescheuert», «Alter, das fass ich nicht», «Du kannst mich mal»)
lein mit spritzigen Jugendwörtern wurden zu Verkaufsschlagern. Doch auch eine erhöhte Schreibkompetenz kann Dürscheid der Jugend nicht attestieren. Sie hat festgestellt: «Das Schreiben wird nicht schlechter, aber auch nicht besser.» Das ist schon mal eine etwas langweilige, aber gute Nachricht. Kompetenz Netztauglichkeit
Vielleicht sollte man sich viel eher um die Schreibkompetenz der älteren Generation sorgen. Im Juni ging die Anekdote über die 86-jährige Britin May Ashworth 40 EB NAVI #8
um die Welt, die ihre Google-Such anfrage wie folgt formuliert hatte: «Bitte übersetzen Sie diese lateinischen Ziffern mcmxcviiii danke.» Im Netz herrschte für einmal Konsens: Niedlich und lustig sei diese alte Dame. Spätestens jetzt wurde auch klar, dass eine netztaugliche Sprache zur modernen Schreibfähigkeit gehört. Betagte nun in die Volksschule zu schicken, damit sie ihre Netzsprache einem Update unterziehen können, wäre wohl die falsche Schlussfolgerung. Aber wenn ein angemessener Chat ebenso zur Allgemeinbildung gehört wie der Satz des Pythagoras, kommen dann bald WhatsApp-Übungen und Emoji-Aufgaben in die Schulbücher? Auch da verneint Christa Dürscheid: «Das informelle Schreiben lernen Jugendliche voneinander. Das ist nicht die Aufgabe der Schule.» Trotzdem dürften Schulen nicht untätig bleiben: Sie sollen auf der Metaebene über das Schreiben in den neuen Medien nachdenken, so die Professorin. Digital Schreiben: Was die Schulen machen
Wie das geht, weiss Philippe Wampfler. Er unterrichtet das Akzentfach «Digitale Gesellschaft und ihre Medien» an der Kantonsschule Wettingen, eine Neuheit in der Deutschschweiz. «Wir denken zum Beispiel darüber nach, was welche Kommentare im Netz auslöst», sagt Wampfler. «Für Jugendliche ist es wichtig, gut und pointiert schreiben zu können: Damit können sie sich als Persönlichkeit in den neuen Medien besser verkaufen.» Fürs spätere Berufsleben sei dies ebenso entscheidend, denn auch hier nehme die
Bedeutung der digitalen Kommunikation zu. Im Akzentfach lernen die Schüler darum etwa auch, Lehrer oder Professorinnen auf Facebook anzuschreiben. Das digitale Schreiben wird in anderen Schulen zwar weniger umfassend thematisiert, hat aber einen festen Platz im Deutschunterricht bekommen. Auch in anderen Fächern geht die Lehrerschaft manchmal innovativ mit der Freizeitsprache der Schüler um. Denkanstösse lieferte zum Beispiel das Projekt zweier Zürcher Schülerinnen, welche im Lateinunterricht die antike Liebestragödie von Dido und Aeneas als Chat adaptierten. Das lieferte springlebendige Lateinsätze wie «Pictus WhatsAppis pulcher est!!!!! Tu es pulcherrima *~* » (Das Bild auf WhatsApp ist schön!!!!! Du bist die Schönste *~* ). Die Aufmerksamkeit für die tote Sprache war garantiert. Die Zukunft der Schreibkultur
Trotz Entwarnung: Ganz unverändert bleibt die kultiviertere Seite unseres Schreibens dann doch nicht. Es scheint langsam zu subtilen Veränderungen zu kommen. Philippe Wampfler, der an der Wettinger Kantonsschule seit zehn Jahren auch Deutsch unterrichtet, merkt zum Beispiel, dass Jugendliche sich heutzutage kürzer und prägnanter ausdrücken. «Sie probieren manchmal, alles in einem Wort zusammenzufassen, als ob sie einen Hashtag (#) für ihren Aufsatz suchen würden.» Auch Christa Dürscheid setzt sich im neuen Buch «Schreiben digital», das sie zusammen mit Karina Frick verfasste, mit solchen Veränderungen auseinander. Die Linguistinnen vermuten unter anderem, dass auch nicht private E-Mails
in Zukunft informeller und fehlerhafter werden: «Was früher in der Briefkommunikation als angemessen erachtet wurde, gilt heute nicht im selben Masse für die Geschäftskorrespondenz via E-Mail.» Durchgängige Kleinschreibung und Flüchtigkeitsfehler würden eher toleriert als früher, «nicht zuletzt, weil man weiss, dass eine Mail oft schnell geschrieben wird und Fehler am Bildschirm schneller überlesen werden als auf Papier». Es werde aber weiterhin Bereiche geben, die von der Nachsicht punkto Rechtschreibung ausgeschlossen seien: Der Erstkontakt mit einem Kunden etwa, oder E-Mails an Behörden. Für die meisten Textformen jedoch bleibt Goethes Tipp an seine Schwester nach wie vor nützlich und gültig. Und wer weiss: Wenn Goethe heute leben würde, vielleicht müssten sich künftige Schülergenerationen dann im Deutschunterricht mit den WhatsApp-Mitteilungen des leidenden jungen Werthers auseinandersetzen. n
AUF KURS BLEIBEN Attraktiv und verständlich schreiben Texte verfassen, die es auf den Punkt bringen Atelier: Schreiben in Ausbildung und Beruf Spannende Gedanken präzise auf Papier bringen Fit für die E-Mail-Kommunikation Elektronische Post versenden, die gut ankommt Büro-Korrespondenz C1/C2 Präzise schriftliche Kommunikation auch mit Deutsch als Zweitsprache Anmelden: eb-zuerich.ch/ebnavi/kommunikation
KOMMUNIKATION 41
POR TR ÄT
Manieren reden mit Susanne Abplanalp unterrichtet das ABC des gepflegten Erscheinens und der guten Umgangsformen. Die stets adrette Knigge-Trainerin will Karrieren in Schwung bringen und das Zusammenleben vereinfachen.
Text Katleen De Beukeleer Bild Reto Schlatter
Bevölkerungswachstum, Dichtestress: Wir sind viele, und wir sind uns nah. Da braucht es zusätzliche Stockwerke, hochkomplexe Zugfahrpläne und Rücksicht. Diese Rücksicht hat sich Susanne Abplanalp zum Beruf gemacht. Die 57-Jährige ist Expertin in Sachen Knigge, Image, Farbe und Stil – alles eine Frage der «Wertschätzung gegenüber unseren Mitmenschen». Wer angemessen und gepflegt daherkomme und sich für die anderen interessiere, zeige Respekt, findet Abplanalp. Sie empfiehlt: «Nennen Sie beim Grüssen den Namen Ihres Gegenübers. Fragen Sie nach seinem Hund, von dem er letztes Mal erzählt hat. Zeigen Sie echtes Interesse.» Keine zweite Chance für den ersten Eindruck
Bereits in ihrer Kindheit war Anstand kein Bühnenwerk der Reichen und Wichtigen, sondern Alltag. Sie wuchs mit den Eltern und drei Geschwistern in 42 EB NAVI #8
einer kleinen Wohnung auf. Damit das möglichst reibungslos klappte, achtete die Mutter sehr auf gute Manieren. Nett sein – es fühle sich gut an, und wir bekämen es oft dann zurück, wenn wir es nicht erwarteten, so die Knigge-Trainerin. Es geht aber um mehr. Die frühere Marketingfachfrau kennt das Geschäftsleben in- und auswendig und betont: «Wer mit Kollegen und Kunden wertschätzend umgeht, macht es auch sich selber leichter und erhöht seine Karrierechancen.» Wer ungepflegt auftrete, sich beim Business Lunch egoistisch verhalte oder zu spät an Sitzungen komme, stehe unter Beobachtung. Er riskiere, in die falsche Schublade gesteckt zu werden. Soll man sich also im Geschäftsleben verstellen, wirkt das nicht gekünstelt? Verkommt unser öffentlicher Auftritt zur Darbietung? Susanne Abplanalp kennt die Befürchtung. «Auch für Authentizität gibt es Platz», sagt sie und verweist auf Yahoo-Chefin
Marissa Mayer, die gerne farbig und frivol daherkommt. Doch solange wir auf Kundenakquise angewiesen seien oder unseren Weg in höhere Karrierestufen suchten, sollten wir uns keine Steine in den Weg legen. Das pinke Kleid, das Shirt mit Leopardenmuster und die schlechte Laune sollten wir besser zu Hause lassen. «Es gibt keine zweite Chance für den ersten Eindruck», so Abplanalps Leitspruch. Von Zahnarztgehilfin zu Knigge-Trainerin
Abplanalp begann ihre Laufbahn als Zahnarztgehilfin, fand später übers KV den Weg ins Marketing. «Das war richtig mein Ding», sagt sie. Grosse Unternehmen wie Gillette oder die Migros trauten ihr rasch Führungspositionen zu. Sie kam in der ganzen Welt herum. «Ich war aber sehr feinfühlig, nahm immer das Zwischenmenschliche wahr», erinnert
sie sich. «Häufig sah ich, wie Chefs ihre Mitarbeitende nicht wertzuschätzen wussten. Mein Verständnis dafür nahm mit dem Alter ab.» Eine miese Stimmung im Geschäft oder Mitarbeitende, die sich lustlos durch den Tag arbeiten: Das müsse nicht sein, fand sie. Ein respektvolles Benehmen könne viel bewirken. Der zwischenmenschliche Funkverkehr wurde aber eher zufällig zu Abplanalps Beruf. Da sie oft Lernende begleitete, liess sie sich vor neun Jahren an der EB Zürich zur Erwachsenenbildnerin ausbilden. In der gleichen Zeit hatte sie Kontakt mit einer Knigge-Beraterin und merkte: «Eigentlich kann ich das auch.» Wenig später nahm die EB Zürich
KOMMUNIKATION 43
Stilvoll im Business: Was unsere Kleider sagen –– Folgen Sie dem Dresscode Ihrer Firma. Sie repräsentieren Ihr Unternehmen und signalisieren Zugehörigkeit und Vertrauen. –– Je mehr Teile, umso mehr Kompetenz strahlt man aus. Ein Kleid kann zwar sympathisch aussehen, wirkt aber nicht unbedingt professionell. Abhilfe kann ein Blazer schaffen. –– Helle Farben ziehen den Blick an. Tragen Sie die hellste Farbe in der Nähe des Gesichts. –– Ein helles Outfit wirkt zwar sportlich und zugänglich, aber nicht kompetent. Wer hingegen oben eine helle und unten eine dunkle Farbe trägt, wirkt standfest. Besonders bei wichtigen Terminen wie einem Vorstellungsgespräch sollten Sie daran denken. –– Knallige Farben signalisieren: Ich möchte gesehen werden. Wenn Sie nicht auffallen wollen, sollten Sie Farben wie Rot, Pink und Orange weglassen. –– Wer bunt daherkommt, wirkt wenig professionell. Farben reserviert man besser für Accessoires wie Taschen oder Krawatten. Drei unterschiedliche Farben sind für ein ausgewogenes Erscheinungsbild das Maximum. Wählen Sie höchstens ein auffälliges Muster. –– Der schickste Anzug bringt nichts, wenn nicht auch die Frisur und die Hände gepflegt sind. Sorgen Sie auch für eine gute Mund- und Körperhygiene. –– Tragen Sie immer gepflegte Schuhe, sie sind das A und O des stilvollen Auftritts. –– Weisse und gemusterte Socken und Strümpfe lenken die Aufmerksamkeit auf sich; tragen Sie diese immer in der Farbe ihrer Schuhe. –– Trotzdem ist es wichtig, Kleider auszuwählen, die einem gefallen. Nur wer sich schön fühlt, strahlt es auch aus. Dabei brauchen Sie nicht jedem Trend nachzurennen. Wählen Sie das aus, was zu Ihnen passt.
Abplanalps ersten Knigge-Kurs in ihr Programm auf. Die damals 53-Jährige kündigte ihre Stelle als Leiterin Artikelverkauf und wurde selbständige KniggeTrainerin. Ihren Traum von der Selbständigkeit lebt Abplanalp seit mittlerweile vier Jahren. Dank ihrer empfindlichen Fühler fand sie schnell Kundschaft, die Nachfrage ist hoch. Für den Erfolg gab aber ihre Marketingerfahrung den Aussschlag: «Als Selbstän44 EB NAVI #8
dige muss man sich extrem gut verkaufen können.» Dafür muss sie auch auf einiges verzichten. Zum Bespiel auf sprudelnde Kreativität, die ist in ihrem Spezialgebiet «BusinessDresscode» weniger gefragt. «Auch ich würde mich gerne manchmal etwas frecher kleiden», gibt sie zu, sorgt sich aber um ihre Glaubwürdigkeit. Viele ihrer Kunden wohnen in der Nähe. Schnell ungeschminkt, mit Leggings und Pferdeschwanz in den Supermarkt: Nicht mal das kommt für sie infrage. Augen öffnen, mit Geschick
Als sie anfing, sich als Kniggeund Stil-Beraterin zu profilieren, wurde ihr Freundeskreis ein wenig nervös. Ihre Bekannten fingen an, sich vorsorglich zu entschuldigen: Vielleicht sei dieses oder jenes Outfit für das gemeinsame Abendessen nicht ganz geeignet? «Meine Freunde lasse ich aber in Ruhe», sagt Abplanalp. «Sonst hätte ich gar keine mehr.» Ab und zu unterdrückt sie mal ein Schmunzeln als Reaktion, mehr nicht. Und die Freunde haben sich an ihren neuen Beruf gewöhnt. Eher gelassen nehmen Abplanalps allsehendes Auge auch ihre Kursteilnehmenden. «Ich bin so
gekommen, wie ich mich immer für die Arbeit anziehe», sagt etwa ein junger Mann, der im Feierabend-Look an Abplanalps Business-Knigge-Seminar erscheint. Bei der Outfit-Bewertung, die nachmittags auf dem Programm steht, fühlt sich niemand beleidigt oder bevormundet: «Mitnehmen, was man für sich brauchen kann», lautet der Tenor der Gruppe. Abplanalp will ihnen einfach die Augen öffnen: «Die Leute merken, dass ihr Aussehen und ihr Benehmen eine Wirkung haben.» Trotzdem hat die Knigge-Fachfrau auch schwierige Kunden. Vor allem Leute, die von ihren Unternehmen zu Susanne Abplanalp geschickt werden, nehmen schnell eine abwehrende Haltung ein. Die Aufforderung, sich Anstand beizubringen, erinnert schnell mal an elterliche Befehlssalven à la «Sitz gerade! Keine Ellbogen auf dem Tisch!» Viele Kursund Seminarbesucher müsse sie darum zuerst einmal vom Nutzen ihres Angebotes überzeugen, sagt Abplanalp, «sonst blockieren sie und nehmen nichts auf». Ebenso in die Pflicht nimmt sie arrivierte Führungsleute: «Auch sie können noch dazulernen. Häufig trauen sich ihre Mitarbeitenden nicht, ihnen ein ehrliches Feedback zu geben.» «Ich habe den Plausch»
Gern bringt Susanne Abplanalp ihre eigenen Fehler als schlechtes Beispiel. Etwa das eine Mal, als sie mit einer Hotelangestellten die Tische für ein Seminar vorbereitete. «Wie das wieder regnet heute!», habe Abplanalp gesagt. Die flotte Hotel angestellte habe lachend geantwortet:
«Dafür hatten wir aber so ein schönes Wochenende!» Immer mit positivem Smalltalk anfangen – diesen Grundsatz hatte Abplanalp kurz vergessen, und nun brachte diese Hotelangestellte ihr ungewollt die Regeln bei. Vielleicht sind es solche Anekdoten, die sie davor bewahren, als Besserwisserin wahrgenommen zu werden. Oder vielleicht hat es auch mit ihrem ansteckenden Lächeln und den Grübchen in ihren Wangen zu tun. «Ich habe den Plausch», sagt Susanne Abplanalp gerne. In ihrem seriösen Berufsfeld hat sie etwas Lausbubenhaftes bewahrt. n
Das Buch «Der Büro-Knigge» von Susanne Abplanalp ist ab 1. Dezember 2016 beim Verlag SKV erhältlich. Der Ratgeber behandelt Stilfragen rund um die Themen Büro und den Umgang mit Kunden. ➝ www.kniggetoday.ch
AUF KURS BLEIBEN Business-Knigge Der erste Eindruck entscheidet – der letzte bleibt Mein Auftritt – Meine Bekleidung Ob Anzug oder Deux-Piéces – der Körper lügt nicht Anmelden: eb-zuerich.ch/ebnavi/kommunikation
KOMMUNIKATION 45
VASCO SA XER Vasco Saxer, Sammler, DJ und Besitzer des Plattenladens Ventilator Records Platten haben im Vergleich zu anderen Tonträgern etwas Besonderes: Es sind Gesamtkunstwerke aus Klang, CoverArtwork und Haptik. Das Bild zeigt The Velvet Underground mit seinem gleichnamigen Album in der deutschen Originalpressung von 1969. Das Cover ist eine Momentaufnahme der Band, die einfach auf dem Sofa sitzt – diese Schlichtheit gefällt mir. Egal ob Band-Foto, gemaltes Bild oder 46 EB NAVI #8
Artwork: Das Cover einer Platte in ihrem 31.5 × 31.5-ZentimeterFormat hat eine stärkere Wirkung als ein Bild auf einer kleinen CD oder auf dem Display eines Handys oder iPods, wo es sofort wieder verschwindet. «The Velvet Underground» ist ein sehr einflussreiches Album, die Blaupause für den Grossteil der Indie-Bands aus den Achtzigern bis jetzt (z. B. Jesus & Mary Chain, R.E.M., Strokes). Die LP war
meine erste richtige Begegnung mit dieser bedeutenden Kultband. Das erste Exemplar dieser Platte kaufte ich bereits 1982, ich höre sie immer noch etwa alle drei Monate. Sie ist tief greifender als das «Banana Album», das legendäre Debüt album der Band. «The Velvet Underground» enthält grosse Songs und Melodien, die mich noch immer jedes Mal weit fort tragen. n
MURIEL DE BROS Muriel de Bros, DJ und Plattenverkäuferin im Plattfon Records Basel Als ich anfing, Platten zu hören und dann auch zu sammeln, wollte ich unbedingt DJ werden. Ich war fasziniert von Platten, von Plattensammlern und dem Handwerk der DJs. Das bin ich immer noch: Eine Plattensammlung ist wie eine Bibliothek für die Ohren. Als mir 1991 mein Plattenverkäufer des Vertrauens zum ersten Mal diese Platte vorspielte, hatte ich meine Lieblingsscheibe – und sie ist es bis heute geblieben: «Screamadelica», ein wahres Juwel. Das dritte Studioalbum von Primal Scream gilt als bahnbrechendes Frührave-Album und führte die Indie-Rock-Band in die UK-Charts.
Eigentlich hatten sich die Band-Mitglieder das so vorgestellt, dass sie selbst auf dem Cover zu sehen sind, umgarnt von hübschen Frauen. Der damalige Besitzer von Creation Records sah das glücklicherweise ganz anders. Er liess den hauseigenen Grafiker des Labels diese Sonne entwerfen – dieser gestaltete sie intuitiv anhand der Namen der Songtitel. Die «Screamadelica»-Sonne schaffte es später sogar sogar auf eine Briefmarken-Sonderedition der Royal Mail. Für mich widerspiegelt dieses Album die 90erJahre als Teenager, dieses Gefühl dazuzugehören (come together). n
KOMMUNIKATION 47
M ARION LEISER Marion Leiser, Club- und Radio-DJ Seit der Primarschule sammle ich Platten. 1991 wurde ich Club-DJ, 1994 auch Radio-DJ. Von 2003 bis 2013 besass und führte ich einen Plattenladen. Wenn man sie gut behandelt, sind Platten fast unverwüstlich. Und ich finde, sie geben immer noch die besten Klangergebnisse. Ich liebe Musik aus den verschiedensten Stilrichtungen und habe eine wirklich grosse Sammlung. Es war für mich fast unmöglich, eine einzige Platte über alle anderen zu stellen!
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Ein Freund, der von Afrika zurückkam, schenkte mir 1975 «Everything scatter» von Fela Anikulapo Kuti. Die Platte war brandneu und schlug bei mir als Teenager ein wie eine Bombe! Ich hörte sie wochenlang und konnte mich dem Afro-Beat nicht mehr entziehen, ich wurde regelrecht süchtig danach. Keine andere Platte hatte in meinem Leben je so eine heftige Wirkung, sie hat meinen Musikgeschmack entscheidend geprägt. Die LP hat nur zwei Songs – einen pro
Seite, dafür schön lang, das zieht einen wirklich magisch tief rein. Noch heute liebe ich alle Spielarten des Afro-Funks und Afro-Rocks. Das Cover von «Everything scatter» wurde von Lemi Ghariokwu designed – wie auch Fela Kutis 25 weitere Alben. Der einmalige Collagestil greift die aufrüttelnden, sozialkritischen Texte des Musikers auf, der es schaffte, nicht nur zum Tanzen anzuregen, sondern auch Farbe zu bekennen. n
WOODY
Meine Lieblingsscheibe stammt aus den 90ern: «I Can Hear the Heart Beating as One» von Yo La Tengo, 1997 veröffentlicht. Es ist ein Album von fast unerreichbarer Magie. Für das Schwebende dieser Musik steht auch das bekannte Cover: ein überbelichtetes Foto zeigt eine surreal verfremdete Stadtansicht (New York). Eine wichtige persönliche Bedeutung hat für mich der letzte Track: «My Little Corner of the World». Er weckt die Erinnerung daran, wie ich am Bass und Leslie an der Gitarre diesen Song immer wieder geübt haben … n
Woody (Ueli Jakob), Geschäftsinhaber des Plattenladens Jamarico (Jama Music) seit 1980 KOMMUNIKATION 49
CAR TE BL ANCHE
Nicht ich mache CHunscht, die CHunscht macht mich Text Müslüm
Dass Smartphones nur noch am Rande etwas mit Telefonieren zu tun haben, wussten wir schon. Für Müslüm haben unsere «Aifones» aber einen Religionsstatus erreicht. Wir streicheln sie tagein, tagaus und glauben an die Ideale, die sie uns vorgaukeln. Die Kunst bzw. «CHunscht» hingegen kann uns wieder auf den richtigen Weg bringen. Müslüm schreibt so, wie er ist: nicht regelkonform, aber offenherzig und menschenliebend.
Für mich hat «Mensch-sain» mit ainer Aigenschaft zu tun, die uns die Natür aus evolusionstechnischen Gründen mitgegeben hat, das «Schtraicheln» – unser erschtes zwischenmenschliches Erlebnis. Alles fängt mit Schtraicheln an, die bedingungslose Mutterliebe. Wenn wir heute von unserer ursprünglich sosialschten Fähigchait Gebrauch machen, dann schtellen wir aber Bedingungen. Wir schtraicheln, um geschtraichelt zu werden. Das isch ain grosser Unterschied zu der aigentlichen Absicht, die baim Schtraicheln von Bedeutung wäre. Die Induschtrie hat diese assosiale Aigenschaft des «bedingten Schtraichelns» entdecht und daraus das Aifon erschaffen, der diesem modernen «Anschpruch» von uns gerecht wird. Ain Objecht, das wir schtraicheln und zwar benaidenswert oft und ausgiebig, weil «Es» uns dann auch mit Schtraichelainhaiten verwöhnt. Oder zumindest unser Ego. Anmerchung: «Mit dem Ego-Schpile isch wie mit Lego-Schpile, je mehr du darauf aufbausch, je schwieriger wird es, wenn du es wieder wegröimen musch.» Nichts bekommt so viel Aufmerchsamchait wie unser Aifon, nichts steht so im Mittelpunkt jeder Handlung. Wir erfahren sozusagen «Gott» über diesen «Fremdchörper», den wir «straicheln». Sofern wir davon ausgehen,
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dass «eins mit allem sain» Gott ist. Wir sind schon lange Tail der radi chalschten religiösen Gruppierung, den Aifonischten. Unsere Machtsymbole stehen auf unseren Dächern in Form von Antennen. Unsere Anhänger sind in Schaaren vertreten, wir sind omnipräsent, wir prachtisieren überall und zu jeder Sait. Absolut Legitim. Wir sind süchtig nach Informasion, süchtig nach «Glaubenssätzen», die wir straicheln, um Gegenwärtigkeit zu erfahren. Wir könnten ohne Waiteres von ainem «Fremdchörperchult» reden. Denn während das natürliche Schtraicheln zwischen Menschen in der Öffentlichchait ainen immer grösseren Seltenhaitswert bechommt und manchmal sogar als unmoralisch empfunden wird, geniesst dieser süchtig machende Fremdchörper aine noch nie da gewesene Tolerans für das Fremde.
zVg
Besonders deutlich wird unsere «Entartung» durch unser höchstes Beschtreben, dem wir Aifonisten seit dem erschten Tag hinterherjagen, «dem Moment». Wir wollen ihn einfangen, während wir ihn immer und immer wieder verpassen und verprassen. Dabei vergessen wir, dass der Moment chain Besitz isch, sondern ain Zuschtand der totalen Hingabe. Darum chönnen wir nicht mehr «Sain», weil wir verliebt sind in diese Zaichen. Die digitale Schtimulans, die wir verabreicht bechommen, wird unterdessen immer «potenter» und «extremer». Die Farben- und Frequenzengewalt, die aus dem Screen in uns aindringt, ist radichaler als die Stimulans, die uns die essensielle natürlich Umgebung noch zu bieten hat. Dem ist natürlich nicht so, aber wir haben «gelernt» zu «glauben», was
Auch im echten Leben heisst Müslüm nicht Müller oder Schmidt, sondern Semih Yavsaner. Er wurde 1979 in Bern als Kind türkischer Gastarbeiter geboren. Die Bühnenfigur Müslüm entwickelte Yavsaner als Moderator beim Berner Radio RaBe. Im Vorfeld einer Abstimmung 2010 setzte er sich als Müslüm mit seinem Song «Erich, warum bisch Du nid Ehrlich?» für die Berner Reitschule ein – das Lied machte Müslüm innerhalb einer Woche schweizweit bekannt. Seither ist der stets knallig angezogene Immigrant mit der Monobraue nicht mehr aus der Schweizer Musik- und Comedyszene wegzudenken. Weitere Songs wie «Süpervitamin» und «La Bambele» schafften es in die Hitparade. Yavsaner, der immer schon Künstler werden wollte, hält dem Schweizer Publikum auf Türkendeutsch einen Spiegel vor und wird dafür geliebt. Momentan ist er mit dem Album «Apochalüpt» auf Tournee und dreht weitere Episoden von Müslüm TV für SRF.
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unser Potensial isch, und die, die unser Potensial definieren, tragen uns mit ihrem Kapital immer wieder neue Realitäten auf. Mit ihrem Kapital machen uns die «Mächtigen» dieser Welt Gegenwärtig. Sie definieren «Schönheit». Während die essensielle Schönheit unterdessen für viele nicht mehr erkennbar isch. Weil die Induschtrie alles Idealisiert, und nur wer diesem Ideal entschpricht, chann «Sain». Alles andere wird degradiert und deffarmiert. Anmerchung: «Jedes technische apgreid isch ain menschliches daungreid.» Der CHünschtler hingegen hat dasselbe Potensial mit sainer CHunscht, sofern er der Sache wirklich dient, chann er die Menschen mit sainem CHünstlerischen Baitrag vergegenwärtigen. Darum isch Inschpirasion so wichtig und Irritasion so nichtig. Darum sollte für den CHünschtler nie Geld der Motor für saine Handlungen sain, sondern die Sache selbscht. Nur die Sache chann ihn erfüllen und beseelen, Geld hingegen hat chaine Seele, darum wundert euch nicht, wenn die finansielle Sicherheit da isch, aber das Glück in die Ferien gegangen isch. Das hat nichts mit AntiCHapitalistischem Gedanchengut zu tun, vielmehr isch es ain Hilfeschrai an alle Liebenden hier draussen. Die wahre Schule isch das Leben selber, nicht wir führen die Regie, sondern das Leben. Wir dürfen ablassen von Erwartung und Idealisierung. Die CHunscht liegt in der Akzeptanz des gegebenen Umstandes. Zu achseptieren, wie ES isch, heisst Bildung für mich. Nur wer zu sainer Vergangenheit schteht, schafft aine Gegenwart. Nur wer von ainem Ideal ablässt, erchennt sich selber als Ideal. Dabai hat sich über meine letschten Erfahrungen ein Prinzip wiederholt, das ich heute als Wissen für alle «Erwachsenen» und «CHinder» als Inschpirasion mitgeben möchte. «Wichtig isch nicht, was ES isch, wichtig isch nur, dass ES isch.» Dies isch die Erchenntnis, die sich in mainem Dasein im Ganzen ständig wiederholt hat. Wir haben alle unseren aigenen Weg, in den Augenblich zu gelangen, und es isch eben nicht wichtig, was ES isch, sondern, dass ES isch. Wie sonscht würden ainige Briefmarchen sammeln und andere den ganzen Tag ainen Baum beobachten? Wie sonscht würde jemand sich von ainer Domina bedienen lassen? Wie sonscht wären wir Menschen immer auf der Suche nach noch extremer Stimulans, die uns den Moment wieder erfahren lässt uns mit dem Ganzen veraint? Wir sind 52 EB NAVI #8
süchtig nach der hailigen Materie und wir machen alles, damit wir sie irgendwie wahrnehmen chönnen. Aber der Weg dorthin ist für jeden Individuell. Darum: «Lass la Bambele» – dann erchennsch Du im Nichts – Alles. Egal von wo Du chommsch, wohin Du gehsch -> Ainmal für Alles und Alles für Ainmal. Anmerchung: «Jemand der alles hat, der chennt das Nichts nicht, jemand der das Nichts nicht erfährt, chann nie alles Sain.» «Lass la Bambele» heisst zu achseptieren, chaine Erwartung zu haben. Wenn wir von der Erwartung ablassen, passieren die schönsten Sachen. Das Prinsip der CHunscht isch das glaiche wie das der Liebe, nicht Du machsch ES, ES macht Dich. Nicht Du bestimmsch, in wen oder was Du Dich verliebsch, Du verliebsch Dich. Und im schlimmsten Fall chann niemand begreifen, was Du an diesem Menschen oder an dieser Sache findsch, aber auch wenn die ganze Welt dagegen isch und für «die anderen» nichts Äusserliches Chompatibel erschaint, du BISCH. Und darum geht ES. Also erchenne, was Dich Sain lässt, und gib Dich dem hin, das isch Raichtum. Ach, unsere Worte sind wie Waffen, sie bauen Schlösser und schtürzen ganze Imperien. Im Anfang war das Wort, so wie im Ende auch, und was blaibt, isch die Harmonie oder die Dissonanz davon. Ich baue mit Wörtern aine Realität, die so Totalitär in sainer Form, so selbschtverständlich in sainer Ausschprache isch, dass alle Liebenden und Hasserfüllten sie zu erchennen verstehen. Gesegnet said ihr mit dem Süpervitamin! n
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Konversation Deutsch als Zweitsprache B2/C1 Konzepte schreiben Bildungsgang: Literarisches S Literatur lesen Let’s talk business B2/C1 Stor Sprachencafé «Bistrot des langues» Telefontrain A1/ Int und Pow Beruf und Alltag Aussprache-Training Deutsch Media geschickt nutzen iPhone effizient nut Tablet und Smartphone Digitale Fotografie: Eins Web-Publisher EB Zürich English Conversation Processing: Einblick Wie sag ich’s meinem Sm für Video Italienisch B1 Stufe 2 Programmieren Outlook am Arbeitsplatz, privat und unterweg sozialkompetent führen Die Führungsperson im dung NLP – erfolgsorientiert kommunizieren Praktikumschance Drehbuchschreiben: Grundl Beratung «Bewerbungsdossier» Erfolgreich verh dia im Marketing: Eine Einführung Journalistisc bildner/innen-Kurs Ausbilden und Betreuen Inhalte und Worte sichtbar machen Sprachtr
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1 Video – Essayfilm Sprechen leicht gemacht Schreiben InDesign komplett Deutschsprachige rytelling – mit Geschichten Wissen vermitteln ning Französisch für Gastgewerbe und Hotellerie 1/A2 Einstieg ins Werbetexten Spanisch A1/A2 tensiv für Sprachaufenthalte Word: Serienbriefe d -Mails Video – Kamera und Filmsprache werPoint – Einführung Prezi – Präsentieren in h / A1–B1 Facebook, Twitter und Co − Social zen Datenanalyse mit Excel Mein Android – stieg Atelier: Bildkommunikation Bildungsgang: n for Lawyers C1 Generative Gestaltung mit martphone 3D-Grundlagen: Einstieg Guter Ton n für Android Smartphones Big Data – Überblick gs Internet der Dinge: Grundlagen Das MAG m Sandwich Mein Auftritt – meine Beklein Sprachencafé «Tertulia» Wiedereinstieg mit lagen Sprachencafé «Sprachencafé Deutsch» handeln Redetraining Social Mech denken und schreiben Berufsvon Lernenden Visualisieren – reff: Lernpartnerschaft Englisch
PQ
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SERVICE
Sitzungen können so schön sein Sitzungen fressen oft viel Zeit, bringen bescheidene Resultate und wirken demotivierend. Es geht aber auch anders: wenn die richtigen Leute am Tisch sitzen, gut vorbereitet sind und professionell durch die Sitzung geführt werden. Dann wird aus der mühseligen Veranstaltung lustvolle Teamarbeit.
Manchmal werden Leute in Sitzungen äusserst kreativ. Wunderbare Kritzeleien entstehen dann auf den Notizblöcken, oder die nächste Ferienreise nimmt virtuell schon die schönsten Formen an. Zwischendurch stellt man sich den verhassten Chef in rot-weiss gepunkteten Unterhosen vor, um sich in Gedanken für das Abkanzeln von gestern zu rächen. Kurz: Die Leute langweilen sich. Wer sitzt denn da
Häufig nehmen an Sitzungen gleich alle Teammitglieder teil. Das freut den Chef, weil er so seine prächtig grosse Crew empfangen darf – und es macht die Sitzung ineffizient. Apple-Gründer Steve Jobs war bekannt dafür, notfalls Mitarbeitende aus Sitzungen zu entfernen, um effizienter zu arbeiten. Er soll sogar eine Einladung von Präsident Barack Obama abgelehnt haben, weil ihm zu viele Leute auf der Gästeliste standen. Eine clever geplante Sitzung beginnt mit den Themen, die alle betreffen. Nachher können die einzelnen Teilnehmenden gestaffelt zurück an die Arbeit, sobald ihre Traktanden behandelt sind. Bewährt hat sich auch die «Sitzung nach der Sitzung»: Die Chefin ist gleich anschliessend für Einzelbesprechungen zu haben.
Merkregel 1: Nur Leute einladen, die Wesentliches beitragen oder direkt für ihre Arbeit profitieren.
Sag mir, was die Themen sind
Von Guido Stalder 56 EB NAVI #8
Gesessen wird öfters einigermassen planlos. Es gibt keine klaren Ziele, im
AUF KURS BLEIBEN Effizient Sitzungen leiten In der Hälfte der Zeit doppelt so gute Resultate Gespräche moderieren Diskussionen gezielt steuern und visualisieren Professionell protokollieren Wie man das Wichtigste korrekt wiedergibt Rhetorik – Reden vor Publikum Die eigene Botschaft wirkungsvoll vertreten Von Pfauen und anderem Getier
Anmelden: eb-zuerich.ch/ebnavi/kommunikation
schlimmeren Fall noch nicht einmal eine Traktandenliste mit den Themen. Wie sollen sich denn die Leute seriös vorbereiten, wenn sie nicht wissen, worum es eigentlich geht? Oberthemen genügen nicht, es braucht klare Ziele: Soll unter einem Traktandum bloss aus erster Hand informiert werden, trägt die Gruppe kreative Ideen zusammen, diskutiert sie kontrovers – oder entscheidet sie? Ein Dauerärgernis ist das Traktandum «Verschiedenes», das oft am Schluss zu ausufernden und nervtötenden Diskussionen über Belangloses führt. Besser damit beginnen und die einzelnen Anliegen in den passenden Ort leiten – ausserhalb der Sitzung. Oder «Verschiedenes» gleich ersatzlos strei chen.
Merkregel 2: Einladung mit genauen Zielen drei Arbeitstage vorher bei den Mitarbeitenden.
Dann sind da ja noch die lieben Kolle ginnen und Kollegen. Mit schöner Regelmässigkeit ist ein Profilierungssüchtiger dabei, der eine ganze Besprechung mit seiner Dominanz zudeckt. Wenn sich zwei zu einem Positionskampf finden, ist das Publikum rund um den Tisch von der Show in der Regel nur mässig begeistert. Ähnlich unerwünscht belebend wirken Undisziplinierte, die mit grosser Selbstverständlichkeit zu spät kommen, die Unterlagen nicht dabeihaben und munter Seitengespräche führen. Da bleibt anderen Teilnehmenden oft nur die Flucht in ein apathisches Dösen. Hier muss die Leitung straff führen, die Diskussion bündeln und Störungen unterbinden. Das ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe und will geübt sein. Oft hilft es, wichtige Punkte für alle sichtbar zu visualisieren. Für kürzere Besprechungen bietet sich übrigens auch mal eine «Stehung» statt einer Sitzung an. Dann wird das Ganze nochmals kürzer, garantiert.
Merkregel 3: Klare Regeln durchsetzen, destruktives Verhalten bremsen und «stille Beisitzer» integrieren.
Guido Stalder ist Kommunikationstrainer, Journalist und Organisationsentwickler. Er arbeitet für zahlreiche Unternehmen aus verschiedensten Branchen. An der EB Zürich unterrichtet er unter anderem Sitzungsleitung, Gesprächsmoderation und Protokollieren.
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KOMMUNIK ATION
Die Kraft der Lebenserzählung Auf dem Büchermarkt boomen Autobiografien, in den sozialen Medien wird fleissig öffentlich Tagebuch geführt und über das eigene Leben getwittert oder gebloggt. Woher kommt dieses Bedürfnis, das eigene Leben zu erzählen und von gelebten Leben zu erfahren? Der Philosoph Dieter Thomä hat untersucht, welche Bedeutung dem Aufschreiben von Lebensgeschichten zukommt. Und erklärt im Interview, wie man den grössten Nutzen daraus zieht: mit Sorgfalt, Zuversicht und Selbstliebe.
Interview Christian Kaiser Bild Jürgen Bauer
Herr Thomä, Sie haben ein Buch geschrieben mit dem Titel «Erzähle dich selbst». Das ist ja ein Imperativ. Wieso soll man sein Leben in eine erzählte Form bringen? Der Titel ist zwar eine Aufforderung, das Buch ist aber mehr eine Analyse dieses Imperativs. Ich beobachte, dass in der Gesellschaft ein starker Druck vorhanden ist, sich mit seinem Leben auf erzählerische Weise zu befassen; etwa seinen Lebenslauf zu optimieren oder auf sozialen Medien laufend zu dokumentieren, was man tut. Dann gibt es da aber auch 58 EB NAVI #8
eine Lust oder gar Sucht, die sich auf Biografien richtet – Biografien sind ja enorm erfolgreich auf dem Buchmarkt. Offenbar gibt es eine Sehnsucht, von Leben erzählt zu bekommen, die sich runden. Sie schreiben, die Aufforderung «Erzähle dich selbst» sei mit der Überschrift des Orakels von Delphi verwandt: «Erkenne dich selbst.» Inwiefern? Das ist ja der berühmteste Imperativ; man soll sich selbst erkennen. Sich selbst zu erzählen ist eine spezielle Art, sich selbst zu erkennen. Man kann auch in
den Spiegel gucken oder sich auf die Waage stellen, um sich selbst zu erkennen. Wer sich damit nicht begnügt, kommt sehr schnell an den Punkt, aufzuschreiben, was man so gemacht hat. Zum Beispiel, dass man gestern bei Rot über die Strasse gelaufen ist. Es gibt einen sehr engen Zusammenhang zwischen Handlung und Erzählung. Man könnte sagen, dass sich das ganze Leben aus Minierzählungen über Handlungen zusammensetzt. Solche Minigeschichten sind ja eine Verschriftlichung von Gedanken. Könnte man in Anlehnung an Descartes («Ich denke, also bin ich») sagen: Ich schreibe, also bin ich? Diese Zuspitzung hat es in der Tat gegeben. Interessant ist dabei die Frage, was uns eigentlich ausmacht als menschliche Wesen. Dieses Programm, sich über das Erzählen selbst zu erkennen, steht ja in einem Spannungsverhältnis zu Methoden, die stärker naturwissenschaftlich vorgehen: die beschreiben, was beim Stoffwechsel passiert, welche Prozesse im Gehirn ablaufen. In diesem Sinne steckt hinter dem Drang, sein Leben zu erzählen, auch das Bedürfnis,
die Zügel selber in der Hand zu behalten; nicht nur Berichte über sich und sein Menschsein zur Kenntnis zu nehmen, sondern das Bild selber zu bestimmen. Ist unsere Identität das Resultat der Geschichten, die wir über uns erzählen? Ja, aber auch das Produkt der Geschichten, die andere über uns erzählen. Ein ganz wichtiger Punkt für das Verständnis des Themas ist, dass man sich erst einmal über die Rollen klar wird, die man beim Erzählen seiner Lebensgeschichte einnimmt: 1. Man ist Autor, man erzählt über sich selbst; 2. man ist Protagonist / Akteur der Geschichten, die andere oder man selbst über einen erzählen. Für die Literaturwissenschaft ist das eine Art kleines Einmaleins der Erzähltheorie, aber für uns eine Art Einmaleins des Lebens. Denn man kann dabei auch Abwege oder Sonderpfade beschreiten. So kann man etwa als Autor über sich selbst behaupten: Ich bin der Grösste, ich bin ganz toll. Es kann aber sein, dass der Protagonist aus Fleisch und Blut eigentlich ein eher schwächlicher Typ mit verschiedenen Macken ist.
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Dieter Thomä: Frager nach dem rechten Leben Dieter Thomä ist seit Herbst 2000 Professor für Philosophie an der Universität St. Gallen. Er gehört zu jenen Philosophen, die ihre Gedankengebäude auch in einer einfachen und verständlichen Sprache zugänglich machen. Das mag damit zusammenhängen, dass er ursprünglich das Fach des Journalisten erlernt hat, bevor er Philosophie, Germanistik und Romanistik zu studieren begann. Noch heute schreibt er regelmässig für Blätter wie «Die Zeit», «NZZ» oder «FAZ». Er hat zahlreiche philosophische Fachbücher und populärwissenschaftliche Abhandlungen sowie Drehbücher für Fernsehsendungen zu philosophischen Themen geschrieben. Sein Buch «Erzähle dich selbst» erschien 2015 bei Suhrkamp in einer Taschenbuchausgabe. In all seinen Büchern treibt ihn eine Frage um: die sokratische Frage, «wie zu leben sei». Sein neustes Buch ist «eine Philosophie des Störenfrieds» (Puer Robustus, Suhrkamp 2016). Thomä spürt darin der Bedeutung der rebellischen Kerle für die Weltgeschichte nach und präsentiert als Resultat eine Art philosophische Abenteuergeschichte.
Und was, wenn die beschriebene Identität von der realen abweicht? Eine der grossen Herausforderungen besteht darin, zu überprüfen und sich Rechenschaft darüber abzulegen, wie sich mein Handeln als Protagonist zu dem verhält, was ich als Autor über mich sage. Sein Leben schönzureden, sich ein Leben zurechtzulegen, das man gar nicht tatsächlich gelebt hat – das ist die grosse Versuchung. Die Abwege können dabei übrigens auch in die entgegengesetzte Richtung führen: So können Sie, wenn Sie verzweifelt sind, alle Beweisstücke dafür heranziehen, dass es ziemlich Essig ist mit dem eigenen Leben, und dabei übersehen, was es auch an Glanzlichtern gegeben hat. Man kann sich auch ins Elend hineinreden. Solche Abwege in übertriebene Wärme oder Kälte führen dazu, dass man ein falsches Bild von sich hat, sind aber recht beliebt. In Ihrem Buch schreiben Sie, das Erzählen diene der Klärung der sokratischen Frage, wie zu leben sei. Wie funktioniert das? Als Individuum bewegt man sich in einem gesellschaftlichen Rahmen, in welchem Regeln gelten, Gesetze und Konventionen einzuhalten sind und so fort. Wenn man jeden Morgen entscheidet: O.k., ich halte mich heute an die Gebote, dann braucht man eigentlich keine Lebensgeschichte. Dann gelingt das 60 EB NAVI #8
entweder – oder es misslingt. Man kann aber immer auch an den Punkt kommen, wo verschiedene Regeln miteinander konkurrieren und man nicht weiss, welche Regel man jetzt anwenden soll.
Zum Beispiel? Nehmen wir an, Sie ärgern sich fürchterlich über einen Menschen. Sollen Sie jetzt die Regel anwenden, zu allen Menschen nett zu sein, oder diejenige, sich nicht alles gefallen zu lassen, oder die, sich selber treu zu bleiben? Lebenserzählungen helfen einem in solchen Fällen; aus den Erfahrungen, die man gesammelt hat, kann man ableiten, was einem wirklich wichtig ist. Die Frage nach dem guten Leben ist immer auch eine Frage der Prioritäten. Und wenn man herauszufinden versucht, wie die eigenen Prioritäten aussehen, genügt es eben nicht mehr, sich einfach auf die bestehenden Regeln zu verlassen. Man benötigt eine Antwort auf die Frage, wer man eigentlich sein will.
Und dafür hilft ein Blick zurück auf die gemachten Lebenserfahrungen? Wer nicht zurückschaut, der kann auch beim Blick nach vorn nur rat- und ahnungslos bleiben. Sören Kierkegaard hat gesagt, eine der grössten Heraus forderungen des Lebens bestehe darin, dass man es vorwärtslebt und rückwärtserzählt. Eine schöne Beschreibung: In der Gegenwart greift beides inei nander; um vorwärtszuleben, können wir uns an die gemachten Erfahrungen aus der Vergangenheit halten, die eben auch geordnet und strukturiert sein müssen. Diese Strukturierung leisten wir, indem wir Erzählungen herstellen, an denen dann ablesbar ist, was uns in welcher Situation wichtig war und gehol-
fen hat. Daran können wir uns orientieren. Sprich: den, der uns unfair behandelt hat, zur Rede stellen oder auch den Mund halten, wenn wir uns angewöhnt haben, alles zu schlucken.
Wer sich selbst liebt und mit sich selber im Reinen ist, braucht wohl die schreibende Selbstreflexion gar nicht. Sucht man nur in Krisen schreibend nach Antworten? Hegel hat ja gesagt: «Die Zeiten des Glücks sind die leeren Blätter im Buch der Weltgeschichte.» Er hat damit nicht gemeint, dass es in der Geschichte kein Glück gab. Sondern: Wenn es glückliche Zeiten gab, dann hatten die Leute Besseres zu tun, als zu schreiben. Das gilt nicht nur für die Weltgeschichte, sondern auch für die Lebensgeschichte; es gibt sicher in jedem Leben Momente und Phasen, in denen man Besseres zu tun hat, als zu schreiben. Einen Sonnenuntergang zu betrachten oder einen geliebten Menschen zu küssen und gleich darüber zu twittern würde zumindest die Erfahrung ein bisschen entwerten.
Wie erhält man eine verlässliche Antwort auf die Frage, wer man sein will? Erst einmal muss man für sich entscheiden: Fange ich bei der Zukunft an oder bei der Vergangenheit? Daraus ergeben sich verschiedene Lesarten. Wenn Sie mit der Vergangenheit beginnen, tendieren Sie dazu, die Vergangenheit einfach fortzuschreiben. Wenn Sie mit Ihrem Traum von der besseren Zukunft anfangen, können Sie dazu neigen, Ihre Vergangenheit schlechtzureden, um dem Traum Nahrung zu geben. Beispiel: Vielleicht haben Ihre Eltern Sie immer Und wann kommt die Erzählung ins Spiel? dazu gedrängt, Tischler zu werden, und deshalb «Wenn der Gesang aufhört», wie die Dichter sagen. sind Sie es geworden und wollen nichts anderes sein. Dieser Moment hat oft mit Konflikten mit anderen Sie schreiben also die Vergangenheit einfach fort, zu tun; wenn man dann anfängt, zu überlegen und obwohl zum Leben ja immer auch Veränderung nachzuforschen, wie man in diese Situation geraten gehört. Wenn Sie nun aber unbedingt Sumo-Ringer ist, braucht es dafür eine Form. Und die Erzählung werden wollen, werden Sie vielleicht Ihre Eltern ist eine geeignete Form, um sich in seinen Netzen dafür verdammen, dass Sie Ihr Leben damit vergeuund Abhängigkeiten im Verhältnis zu anderen dardet haben, Tischler zu sein – und dabei die Erfahrungen und Kompetenzen, die Sie dabei angesammelt haben, übersehen. Die Kunst besteht darin, eine Art Balance herzustellen zwischen den Zukunftsträumen und den Schätzen der Vergangenheit. Hegel hat gesagt: «Die Zeiten Sie empfehlen also eine Konzentration auf die positiven, bestärkenden Erfahrungen in der Biografie? Es braucht eine wohlwollende Aufmerksamkeit gegenüber sich selbst. In meinem Buch diskutiere ich auch ausführlich den Begriff der Selbstliebe. Selbstliebe ist sehr wichtig, man muss sie aber sehr genau unterscheiden von Selbstverliebtheit oder Narzissmus. Sie hat nichts zu tun mit der Übervorteilung oder Abwertung anderer. Man hat nur dieses eine Leben, darum sollte man sich weder hochjubeln noch runtermachen.
des Glücks sind die leeren Blätter im Buch der Weltgeschichte.» Das gilt nicht nur für die Weltgeschichte, sondern auch für die Lebens geschichte; es gibt sicher in jedem Leben Momente und Phasen, in denen man Besseres zu tun hat, als zu schreiben. 61
zustellen. Es gibt also Phasen, in denen man Besseres zu tun hat, die Krise ist aber eine Phase, in der das Erzählen dringend gefordert ist. Gibt es eine Pflicht zur Wahrhaftigkeit, zur Aufrichtigkeit gegen sich selbst? Um zu verhindern, dass man sein Leben schönfärbt? Tatsächlich wurde traditionell häufig von einer solchen Verpflichtung gesprochen. Das hing auch damit zusammen, dass die Lebensgeschichte als eine Art virtueller Dialog fungierte – mit einer höheren Instanz als Dialogpartner, vor die man mit seinen Taten treten musste. Die religiöse Lebensführung verlangte ja danach, sich zu bewähren und Rechenschaft abzulegen, ob man gottesfürchtig gelebt hat. Auch ohne Beichte stellten sich die Menschen immer wieder die Frage, ob sie sich bewährt hatten. Diese starke Bindung an eine religiöse Instanz hat nach Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit gegen sich selbst verlangt. Und heute? Heutzutage führen ja viele Menschen diesen Dialog mit einer höheren Macht nicht mehr, und für die ist es vielleicht gerade gut, wenn sie ihr Leben ein bisschen schönfärben, dann fühlen sie sich besser. Wenn man das aber ständig tut, läuft man natürlich Gefahr, an sich und dem Bild, das andere von einem haben, vorbeizuleben. Das kann natürlich sozial ruinöse Folgen haben. Es ist also auch um des eigenen
Glücks willen sinnvoll, bei dem Bild, das man von sich zeichnet, aufrichtig gegenüber sich selbst zu bleiben. Erzählen soll also die Realität abbilden, darf es nicht auch fiktiv sein? Die Erzählung hat zusätzlich zur Funktion, über sich selbst Rechenschaft abzulegen, auch einen experimentellen Aspekt: Man kann die Vergangenheit probeweise in die Zukunft fortschreiben. Das ist das Verführerische an ihr. Man bewegt sich im Konjunktiv des «was wäre wenn . . .?» Z. B. «. . . ich einen Heiratsantrag machen würde?» Man kann sich so schreibend in eine mögliche künftige Realität hineinversetzen und provisorisch auskosten, wie sich das innerlich anfühlen würde: heiraten oder nicht, Berufsentscheidungen, Urlaubsentscheidungen – was auch immer. Durch das virtuelle Austesten bekommen die verschiedenen Lebensmöglichkeiten eine andere, spürbarere Intensität für mich. Dafür ist die experimentelle Erzählung ein gutes Mittel. Das geht ja dann in Richtung «Visionsschreiben». Ja, da sind wir an der Nahtstelle zwischen Vergangenheit und Zukunft, wo wir die Fäden aus der Vergangenheit fortspinnen. Dieses Weiterspinnen ist mit der Sehnsucht verbunden, dass der Lebensfaden nicht reisst. Diese Schnittstelle ist auch so eine Art Weggabelung. Dort spürt man am besten, welcher Weg einem am nächsten liegt, wenn man ein möglichst stimmiges Bild vom bisherigen Weg hat.
BUCHTIPP Erzähle dich selbst – Lebensgeschichte als philosophisches Problem Der Zeitgeist beschert der Erzählung einen neuen Boom: Theorien werden als «grosse Erzählungen» dargereicht und das Bedürfnis, sich in die Biografien anderer zu vertiefen, scheint unerschöpflich. Zugleich fragen die Geistes- und Literaturwissenschaften vermehrt nach der Rolle von Geschichten bei der Erinnerung und der Identitätsbildung. Dieter Thomä untersucht, welche Bedeutung der Erzählung des eigenen Lebens bei der Antwort auf die sokratische Frage zukommt, »wie zu leben sei«.
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Und das gewinnt man am besten mit einem selbstliebenden Blick auf das Zurückgelegte? Genau, hier zeigt sich auch der Unterschied zwischen Autobiografie und Biografie. Wenn Sie eine Biografie des Dorfpfarrers verfassen, haben Sie eine viel grössere Neutralität und Distanz gegenüber dem Protagonisten. Wenn Sie Ihr eigenes Leben erzählen, besteht eine Dringlichkeit, mit dem Leben zurechtzukommen und mit sich selbst im Reinen zu sein – und dazu gehört eben auch, sich selbst zugetan zu sein, sich selbst mit
Sören Kierkegaard hat gesagt, eine der grössten Herausforderungen einer gewissen Freundlichkeit gegenüber zustehen. Daraus ergibt sich dann auch die nötige Sorgfalt, wenn man herausfinden will, wie man eigentlich tickt. Der Selbsthass ist ein schlechter Ratgeber. Sorgfalt und Zuversicht im Hinblick auf die Zukunft hingegen helfen einem, die richtige Richtung einzuschlagen.
des Lebens bestehe darin, dass man es vorwärtslebt und rückwärtserzählt.
Im Schlusskapitel Ihres Buches sagen Sie, dass die Selbstliebe der richtige Zugang sei, um schreibend herauszufinden, wofür das eigene Herz schlägt. Ist Schreiben nicht eher ein rationaler Vorgang? Kann man sich schreibend überhaupt nachfühlen, nachspüren? Ich denke nicht, dass Schreiben ein so rationales Verfahren ist. Sicher gibt es körperlichen Schmerz und traumatische Erfahrungen, die sich dagegen sperren, versprachlicht zu werden –– das sind aber Extremsituationen. Das Erzählen birgt ein enormes Potenzial, auch emotionale Erfahrungen zum Ausdruck zu bringen. Goethe schrieb ja: «Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt, gab mir ein Gott zu sagen, wie ich leide.» Das eigene Leid zum Ausdruck zu bringen ist also auch eine Gabe. Wenn die Glücksphase nach Hegel vorbei ist, in der man Besseres zu tun hat, als sein Leben aufzuschreiben, bleiben enorme Möglichkeiten der Versprachlichung von Gefühlen. Das haben die Dichter wohl zur Genüge unter Beweis gestellt. Sie schreiben, die Selbstliebe sei die Bedingung, um von sich selbst zu erzählen. Wie weiss man, dass man auf dem richtigen, selbstliebenden Weg ist? Wenn ich von Selbstliebe spreche, ist mir ein Motiv sehr wichtig: die Grosszügigkeit. Viele zielen beim
Erzählen ihres Lebens auf eine abgeschlossene, in sich geschlossene Geschichte. Sie wollen auf ein vollständiges Bild ihres Lebens schauen wie auf ein fertiges Puzzle aus 1000 Teilen. Wenn ich an das Wort Liebe denke, dann ist dabei aber unweigerlich auch so eine Art Grosszügigkeit mit im Spiel: eine Offenheit, sich vom anderen überraschen zu lassen, an ihm Seiten zu entdecken, die man noch nicht kennt. Diese positive Grundhaltung dehnt sich im Laufe einer langen, glücklichen Beziehung ja noch aus, und dabei merkt man, welche ungeheure Grosszügigkeit in der Bereitschaft zur Liebe steckt. Was heisst das für die liebende Selbstbetrachtung? Auch zur Selbstliebe gehört die Bereitschaft, an sich Seiten zu entdecken, die man bisher nicht gekannt hat. Wer sich selbst liebt, ist diesem Unverhofften, Unbekannten positiv zugetan. Das Leben ist eben kein abgeschlossenes, rundes, irgendwann einmal fertig gebautes Gebäude. Es braucht also Offenheit gegenüber der Zukunft und gegenüber dem, was an einem selbst noch nicht in Erscheinung getreten ist. Hinter die perfekte Lebensgeschichte einen Punkt setzen könnte man nur, wenn damit auch das eigene Leben zu Ende gehen würde. In allen anderen Fällen braucht die Lebensgeschichte eine gewisse Offenheit, weil man sich sonst bereits vor dem Tod sozusagen kaltstellt oder verabschiedet. n
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SERVICE
Telefonieren mit Resonanz Telefonieren ist eine Kunst, die man lernen kann. Unsere Kursleiterin Katrina Wenger gibt Tipps, wie ein Gespräch ohne Sehen und Gesehenwerden gelingen kann.
Kunden sind anspruchsvoller geworden. Oft haben sie keine Zeit, um lange zu telefonieren, sie wünschen sich Schnelligkeit und Flexibilität. Sie wollen keine leeren Versprechungen, sondern Kompetenz und Lösungen. Dabei ist es wichtig zu wissen, dass der erste Eindruck am Telefon bereits in den ersten paar Sekunden entsteht. Der Telefonstil der Angestellten prägt das Bild und somit das Image der Unternehmung. Einige Tipps können dabei helfen, ein Telefongespräch in gute Bahnen zu lenken: Respektvoller Umgang. Der Anrufer soll von seinem Zuhörer Wertschätzung und Interesse spüren. Gehen Sie mit jedem Gesprächspartner so um, wie Sie gerne behandelt werden möchten: –– Beantworten Sie Reklamationen zuerst telefonisch. Vor allem wenn Sie im Schreiben kein «Held» sind. Im schriftlichen Verkehr fehlen die Empathie und die Tonalität. –– Sorgen Sie immer für eine angenehme Begrüssung. Überhäufen Sie Ihren Gesprächspartner nicht mit Informationen: Am Anfang eines Telefongespräches kann man nicht viel aufnehmen. –– Hören Sie aktiv zu und zeigen Sie Interesse. –– Sprechen Sie den Kunden auch während des Gesprächs mit seinem Namen an. Er fühlt sich mehr geachtet und wertgeschätzt. –– Kritiker fühlen sich oft nicht ernst genommen und geschätzt. Loben Sie, zeigen Sie Wertschätzung und Anerkennung. –– Vermeiden Sie Gesprächsanteile, die beim Kunden Frustration oder Schuldgefühle verstärken. Negative Gefühle sind oft Auslöser von Aggressivität.
–– Verabschieden Sie sich immer freundlich, auch von schwierigen Kunden. –– Wenn Sie dem Anrufer einen Rückruf versprechen, dann halten Sie diese Erwartung ein. Der Ton macht die Musik. Mimik, Gestik und Körperhaltung bestimmen unsere Kommunikation zu einem grossen Teil mit; am Telefon fehlen sie aber. Glaubwürdigkeit beruht hier hauptsächlich auf der Tonalität und der Stimme. Sie erzeugen Kompetenz, Sympathie und Vertrauen: –– Wie Sie etwas sagen ist oft wichtiger, als was Sie sagen. –– Tendenziell wird zu schnell gesprochen, vor allem im Kanton Zürich. Sie wirken kompetenter und angenehmer, wenn Sie langsamer sprechen. –– Eine monotone Stimmlage kann gelangweilt wirken. Die Feinheiten der Wortwahl. Diese können Ihnen beim Telefonieren sehr behilflich sein: –– Formulieren Sie positiv. Anstatt «Sind Sie noch da?», sagen Sie «Danke fürs Warten Frau/Herr XY». –– Anstatt «Das weiss ich nicht» lieber «Das kläre ich sehr gerne für Sie ab». –– Verwenden Sie Zaubersätze: «Ich werde persönlich dafür sorgen, dass . . .», «Vielen Dank für Ihren Anruf/Auftrag/für den wertvollen Hinweis» anstatt Reizsätze: «Hören Sie doch zu», «Das machen wir schon immer so», «Das haben Sie falsch verstanden», «Da kann ich doch nichts dafür».
Katrina Wenger unterrichtet an der EB Zürich das Seminar «Telefontraining». Sie ist Image beraterin, Kommunikationstrainerin und Unternehmenscoach. «Der Beste zu sein ist kein Zufall», verspricht sie ihren Kunden als Mitinhaberin der ABC Marketingpraxis AG und HR Consulting Hübscher und Wenger AG.
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A NDRE AS M AT TIA Z ZO Andreas Mattiazzo, aka Spruzzi, Inhaber von Monorecords Zürich, Plattensammler seit 38 Jahren Ich bin schon als 13-Jähriger durchs Niederdorf gepilgert, infiziert vom Vinyl-Bazillus: damals auf der Suche nach gutem Kraut-Rock und Rocksounds aus England. Später stand ich mehr auf Jazz und Boogaloo, heute bin ich der Funker, aber den guten Funk finde ich auch im Soul, Brazil oder Latin. Als Spruzzi lege ich seit 35 Jahren nur Vinyl auf. Unser Plattenladen Monorecords war 12 Jahre lang die erste Adresse für Vinyl-Süchtige aus dem In- und Ausland, bevor wir ihn 2008 dicht – machen mussten: Die ganzen MP3-Downloads ruinierten das Business. Aber: Vinyl is back, es geht nicht umsonst die Rede vom «Black Gold». Darum haben wir kürzlich Monorecords wieder eröffnet.
Sammler zahlen heute horrende Preise; die Kunstliebhaber, um die Cover auszustellen, Musikfans wegen der Inhalte. Ich habe mich immer auf die wirklichen Raritäten konzentriert, zum Beispiel auf Libraries, das sind Aufnahmen für Filmszenen, die nicht in den offiziellen Verkauf kommen durften. «Boogie Fever» von Geraldo Pino ist eine bereits wieder vergriffene Nachpressung einer afrikanischen Disco-Platte von 1978. Der Sänger und Gitarrist aus Sierra Leone hat darauf Beethovens fünfte Symphonie verfunkt! Pino hat den Afrobeat revolutioniert, indem er ihn u. a. mit funky Hammond-Orgel-Tönen bereicherte. Das Cover ist black as black, einfach, passend und gut. n
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K LEMENS W EMPE Klemens Wempe, aka DJ Herr Wempe aka Soulsonic Seit 1980 sammle ich Schallplatten, seit Mitte der Achtziger lege ich als DJ auf. Ich hatte vierzehn Jahre lang einen eigenen Plattenladen, bin nun Mitinhaber des Labels «OOR Records». In vielen Fällen weiss ich auch noch genau, wo und wann ich meine Platten gekauft habe. Sie sind mit Geschichten und Erinnerungen verbunden. Und während digitale Musik irgendeine Datei auf einem Computer ist, kann man Vinyl in die Hand nehmen, man kann die Fotos, Grafiken und Infos anschauen. Ich finde Vinyl nach wie vor das schönste Format. Das Cover von «Curtis» zeigt Curtis Mayfield als selbstbewussten schwarzen Künstler. Es ist ein Zeitdokument der frühen Siebzigerjahre.
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Curtis Mayfield hatte bereits mit seiner SoulGruppe «The Impressions» Musikgeschichte geschrieben, als er eine Solo-Karriere begann. «Curtis» war das erste Solo-Album des Sängers, Gitarristen, Komponisten und Produzenten. Auf dieser Platte verband er Soul, Funk und Psychedelic mit politischen Texten über das Leben der Afroamerikaner. «Curtis» ist ein zeitloser Klassiker. Ich habe ihn seit über zwanzig Jahren in meiner Sammlung und kann ihn mir immer wieder anhören. Leider hat er nicht an Aktualität verloren: Die internationale Bewegung «Black Lives Matter» bekämpft immer noch Gewalt gegen Schwarze. n
episches Werk, das bis heute seine Wirkung erzielt. Der Song hätte damals einen Grammy wohl verdient, doch kam ihm Lou Rawls wieder einmal in die Quere. Apropos quer: Dieses Werk ist das erste, mit dem sich Gaye dem Motown entgegensetzte und ein Album produzierte, welches durch und durch Marvin ist. Auch bei der Cover-Gestaltung redete er mit. Das Cover mit dem im Regen stehenden Marvin zeigt die Melancholie und den Zwiespalt,
die hinter seiner Persönlichkeit stecken. Marvin Gayes Biografie fasziniert mich. Er liess viel von seiner eigenen Geschichte in die Musik einfliessen. Ich stellte fest, dass Künstler für universelle, pure und zeitlose Musik immer einen Teil ihrer selbst opfern. Diese fast religiöse Verbindung von Künstlern zu ihrer Musik lernte ich durch Marvin Gaye, durch seine Biografie und sein Leben kennen. n
EMEL ILTER
Schallplatten finden auch bei jungen Leuten immer mehr Aufmerksamkeit. Ich bin 31, lege schon seit gut sieben Jahren mit Vinyl auf und sammle sie. Vorzugsweise Black Music aus den 60ern, 70ern, 80ern bis heute. Aber auch Hip-Hop, türkische Sachen, elektronische Musik und mehr. Die Musik, die ich sammle, gibt es zum Teil ausschliesslich auf Vinyl. «What’s Going On» war eine meiner ersten Begegnungen mit Soul-Musik. Es ist ein
Emel Ilter, DJ und Plattensammlerin KOMMUNIKATION 67
SERVICE
Bewerben ist glänzen Das Bewerbungsdossier ist das Schaufenster jedes Stellensuchenden. Unser Lernbegleiter und Laufbahnberater Daniel Eggenberger verrät, wie Ihr Dossier hervorstechen kann.
Text Daniel Eggenberger
Sie wollen sich von Ihren Mitbewerbern unterscheiden. Das Bewerbungsdossier ist Ihr erstes und wichtigstes Kommunikationsmittel. Es soll herausragen. Gestalten Sie es mit der grössten Sorgfalt – wie einen Blumenstrauss oder ein Schaufenster. Die Verpackung ist ausschlaggebend, auch wenn Sie Ihr Dossier elektronisch verschicken. Wenn Sie noch nicht viel Berufserfahrung mitbringen, sollte Ihre Bewerbung umso mehr ins Auge springen. Branche und Funktion berücksichtigen
Wenn Sie Ihre Bewerbung von Hand anschreiben und persönlich vorbeibringen, machen Sie einen guten Eindruck. Auch besonders auffällige Aktionen wie eine Bewerbung im Leporello-Format oder sogar eine Flaschenpost können sehr
gut ankommen. Wie viel Kreativität angebracht ist, hängt aber von der Branche und der Funktion ab. Wenn Sie sich um eine Kaderposition oder eine Stelle im Bankenwesen bewerben, sollten Sie sich mit Originalität zurückhalten. Der Anspruch an Professionalität ist hier aber umso höher: Ein hochwertiger Druck und eine Session beim Fotografen etwa sind ein Must. Gestaltung aus einem Guss
Wenden Sie ein Corporate Design an. Das bringt Ihre persönliche Note in Ihr Dossier und hilft den Personalchefs auszusortieren. Gestaltungselemente wie Kopfzeile, Schrift und Schriftgrösse sollten einheitlich sein. Dokumente wie Zeugnisse und Diplome, welche Sie nicht selber produzieren, sind davon ausgenommen. Motivationsschreiben
AUF KURS BLEIBEN Beratung: Bewerbungsdossier Optimale Unterlagen, und der Traumjob rückt näher Wiedereinstig mit Praktikumschance Noch einmal Fuss fassen in der Arbeitswelt Berufliche Neuorientierung durch Standortbestimmung Wissen, wo man steht, hingehen, wo man will Anmelden: eb-zuerich.ch/ebnavi/kommunikation
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Ein spontaner und frischer Schreibstil macht Sie sympathisch. Bestimmte Branchen mögen immer noch umständliche Floskeln wie «Für allfällige Fragen stehe ich jederzeit zur Verfügung». In den meisten Berufszweigen jedoch können Sie ruhig darauf verzichten. Sorgen Sie für «Luft fürs Auge». Erwähnen Sie zum Beispiel schon im Betreff, wo Sie die Stellenausschreibung gefunden haben. Das lässt Ihnen mehr Platz für relevanten Inhalt.
Mit Struk tur zum Er folg Struktur ist das A und O des Bewerbungsdossiers. Der Inhalt wird immer gleich gegliedert: – Motivationsschreiben: Sollte dem Bewerbungsdossier separat bei gelegt werden. – Eine gute, einladende Sammelmappe mit: • Titelblatt • Bei ausführlichen Bewerbungen: Inhaltsverzeichnis • Eventuell: Personalienblatt • Lebenslauf: (Personalien), berufliche Erfahrung, Ausbildung, Weiterbildungen, Sprach- und Computerkenntnisse/relevante Kenntnisse, Interessen, Referenzen («Werden auf Wunsch bekannt gegeben») • Arbeitszeugnisse und Bestätigungen • Diplome – Zwischenblätter können für Struktur sorgen. – Das Aktuellste kommt immer oben.
Zeigen Sie im ersten Abschnitt, dass Sie sich mit der Firma auseinandergesetzt haben. Erzählen Sie erst im nächsten Abschnitt etwas über sich selber. Im dritten Abschnitt können Sie auf das «wir» eingehen, etwa, dass Sie sich freuen würden, das Team kennenzulernen. Titelblatt und Zwischenblätter
Das Titelblatt sollte auffallen. Hier können Sie mit einer einladenden Schrift sowie einer Grafik oder einem Bild punkten. Das Titelblatt darf (anstelle eines anderen Fotos) auch Ihr eigenes Foto enthalten. Zwischenblätter stellen Übersichtlichkeit her und sollten ähnlich gestaltet werden wie das Titelblatt.
spezielle Leistungen wie ausgezeichnete Verkaufszahlen können Sie erwähnen. Leere Flächen sind auch hier angenehm fürs Auge. Sie können zum Beispiel Ihre Personalien aufs Titelblatt nehmen, damit Platz im Lebenslauf frei wird. Oder Sie können ein separates Personalienblatt mit Ihrem Foto gestalten. Lassen Sie in diesem Fall das Foto auf dem Titelblatt weg. Im Normalfall soll der Lebenslauf nicht länger als zwei Seiten sein. Ausnahmen sind erlaubt. Foto
Benutzen Sie die Chance, etwas von sich selber zu zeigen. Für bestimmte Stellen (z. B. im Verkauf oder im Bauwesen) reicht ein schlichtes Passfoto. Für andere Stellen oder Branchen ist der Gang zum Fotografen empfehlenswert. Ihr Foto sollte gut, spannend und interessant, aber nicht gewagt sein. Das ist Geschmacks sache, aber ein gewisses Risiko können Sie in Kauf nehmen, wenn das Foto gut gemacht ist. Holen Sie sich Meinungen von Bekannten oder von Leuten ein, die in dieser Branche arbeiten. Schwarz-weisse, quadratische oder lange und schmale Bilder sind nicht alltäglich; das kann positiv auffallen.
Lebenslauf
Für den Lebenslauf gibt es keine Vorschriften, nur Gewohnheiten. Die relevantesten Erfahrungen dürfen Sie gestalterisch hervorheben. Auch
Zeugnisse, Diplome
Scannen oder kopieren Sie mit einem guten Gerät. Die Dokumente sollen gut leserlich, kontrastreich und gerade sein. n
Daniel Eggenberger, Inhaber von Päda.logics!, bietet Beratungen im pädagogischen und sozialen Berufsfeld an. Er bezeichnet sich als leidenschaftlichen Patchworker: Nebst Pädagoge, Bildungsfachmann und Lernbegleiter ist er auch Social Entrepreneur, Entwickler und Gestalter. «Nutze und geniesse den Tag!», lautet Eggenbergers Motto.
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QUIZ
Worte des Jahres Ordnen Sie den Auszeichnungen die Worte des Jahres zu: Welches Wort bekam welche Auszeichnung? Tragen Sie die entsprechenden Buchstaben in die Kreise ein. Schicken Sie das Lösungswort an quiz@eb-zuerich.ch. Einsendeschluss ist der 13. Januar 2017. Die Lösung findet sich ab dem 16. Januar 2017 auf www.eb-zuerich.ch/aktuell. Unter den richtigen Einsendungen werden drei Bildungsgutscheine im Wert von je 100 Franken verlost.
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Ethnische Säuberung
Guttenbergen (Bedeutung: Abschreiben)
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Euro-Rabatt
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Frankenschock
Schweigekanzler
A
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Kleinod
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Sessiun
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Leaken
Schweizer Schweizer Wort Wort des Jahres des Jahres 2005 2011
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Österrei- Anglizismus Deutsches 2. Platz Beliebtes Wort des Schweizer Rätoroma- Schönstes chisches des Jahres Unwort Deutsches JugendFinanzJahres nisches bedrohtes Wort des 2010 des Jahres Jugendwort wort 2011 wort 1995 Wort Wort, Jahres 1992 des Jahres in den USA des Jahres des Jahres Deutsch2005 2015 2015 2006 land 2007
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Wir arbeiten in multinationalen Teams, Paradeplatz sind manchmal im Ausland im Einsatz, bekommen die Auswirkungen des globalen Klimawandels zu spüren, und auch unsere Innenstädte gleichen sich allmählich an; die selben internationalen Quaibrücke Laden- und Foodketten bestimmen das Erscheinungsbild. Stimmt die Gleichung Globalisierung = internationaler Einheitsbrei? Wie viel lokale Identität brauchen wir, um auch auf internationaler Ebene als unverwechselbar wahrgenommen zu werden? Und welche Bedeutung hat der Slogan der 90er «think global, act local» noch? Der Begriff Glokalisation versucht den Umstand zu beschreiben, dass lokale und globale Ebene zunehmend miteinander vernetzt sind, sich gegenseitig beeinflussen; auf der einen Seite gingen einige globale Bewegungen von lokalen Neuerungen aus, auf der anderen verlangt die Idee der Glokalisierung auch, dass globale Trends auf der lokalen Ebene fortzuführen seien. Ob in der Geschäftsführung, im Umweltschutz oder in der Bildung – sowohl globale als auch lokale Trends und Überlegungen müssen in unser Handeln und Entscheiden einfliessen. EB Navi 9 fragt nach, wie das gelingen kann.
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Glokalisation: global denken, lokal handeln?
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EB Zürich Wege zur Weiterbildung
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EB Zürich Kantonale Berufsschule für Weiterbildung Bildungszentrum für Erwachsene BiZE Riesbachstrasse 11 8008 Zürich So erreichen Sie uns Tram Nummer 2/4 bis Feldeggstrasse Bus 33 bis Höschgasse
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So kontaktieren Sie uns lernen@eb-zuerich.ch Telefon 0842 843 844 sse
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« Wir haben viel gelernt im Kurs. Mit Vergnügen » EB Zürich, die Kantonale Berufsschule für Weiterbildung Riesbachstrasse 11, 8008 Zürich www.eb-zuerich.ch