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KOMMENTAR

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ECO.RECHT

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LAST EXIT

Der Ukraine-Konflikt steuert geradewegs in die totale Sackgasse. Es liegt jetzt auch am Westen, gerade noch bei der letzten Ausfahrt abzubiegen, anstatt wie derzeit mit Vollgas auf die Mauer zu rasen.

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Die Ukraine-Krise ist die größte Belastung seit dem Zweiten Weltkrieg, dagegen war Corona ein Kindergeburtstag. Der Konflikt hat massive Auswirkungen auf Europa und die ganze Welt. Eine der Folgen ist, dass das bisherige Modell der Globalisierung ausgedient hat. Eine andere ist eine extreme Zuspitzung in der öffentlichen Debatte. Aber der Reihe nach.

Aus der Globalisierung ist mittlerweile eine Entglobalisierung geworden. Wandel durch Handel war mal. Jetzt heißt es: Wandel ohne Handel. Den Startschuss dazu hat Putin geliefert. Denn Handel setzt eine solide Vertrauensbasis voraus. Wenn aber der Geschäftspartner mit Drohungen, Vertragsverletzungen und Unzuverlässigkeiten kommt, ist Schluss mit Vertrauen. Und mit Handel. Das hat natürlich negative Effekte: Produktionsketten werden zerschlagen, Rohstoffe fehlen und die Entflechtung jahrelanger Handelsbeziehungen führt zu einem Wohlstandsverlust für alle Beteiligten. Andererseits sind auch positive Effekte damit verbunden: Das Auslagern von Produktionen ohne Rücksicht auf die Ausbeutung von Arbeitskräften und Umwelt wird sich drastisch reduzieren. Und Europa wird sich viel schneller als bisher aus der Abhängigkeit fossiler Energielieferungen befreien und in nachhaltige Energiequellen investieren. De facto müsste Greta Wladimir einen Klimaorden umhängen, denn keiner hat (unfreiwillig) so viel für den Klimaschutz getan wie er. Wie auch immer: Wir nähern uns einem Zeitalter der Entglobalisierung, dem Rückzug auf Kleinstaaten und Kleingärten, dem Errichten von Eisernen Vorhängen an allen Ecken und Enden. Das kann so manchen Auswuchs der hemmungslosen Globalisierung korrigieren und in einigen Fällen wieder gesunde Relationen herstellen. Ob das für mehr Sicherheit sorgt, ist zu bezweifeln.

Das führt uns nahtlos zur öffentlichen Debatte. Auch dort spielt das Wort „Sicherheit“ eine große Rolle. Aber die Auffassungen, was diese sein soll, gehen diametral auseinander. Der Kern der Debatte läuft auf folgende Frage hinaus: Muss man

Putin mit allen Mitteln komplett in die Knie zwingen, wie die Falken sagen, oder braucht es eine pragmatische Lösung, um VON KLAUS SCHEBESTA eine nukleare Eskalation zu vermeiden, wie die Tauben warnen. Sie gurren ganz leise „Diplomatie“, die in der Versenkung verschwunden scheint. Im Moment bevölkern fast nur Falken den öffentlichen Luftraum. Das betrifft die ganze EU-Spitze und die USA sowieso, welche die einmalige Chance wittern, den langjährigen Gegenspieler auszuschalten und nebenbei noch mit Rüstungsgütern und Flüssiggas Milliarden zu verdienen. Man dürfe einen Aggressor nicht siegreich vom Feld ziehen lassen. Diese Haltung hat was – aber hält sie auch der Realität stand? Die Putin-muss-verlieren-Stimmen übersehen nämlich eines: Dass der in die Ecke getriebene Diktator immer noch den roten Knopf für einen Atom-Befreiungsschlag drücken kann. Und wird – wie beispielsweise Russlandexperte Gerhard Mangott glasklar sagt: „Bevor Russland eine Niederlage akzeptiert, wird Putin zu einer Eskalation bereit sein, bis hin zum Einsatz taktischer Atomwaffen.“ Man wird das Gefühl nicht los, dass die europäischen Entscheidungsträger solche Einschätzungen nicht einmal ansatzweise ernst nehmen. Selbst einer der größten Gegner Putins, der Oligarch Oleg Tinkow, verurteilt zwar den Angriff scharf, meint aber: „Der Westen muss Putin eine gesichtswahrende Möglichkeit geben, aus dem Krieg auszusteigen.“ Tinkow macht das nicht aus Respekt vor Putin, sondern weil er den GAU vermeiden will. Kurz gesagt: Putins Ausweg ist unser Ausweg. Und sein Untergang auch der unsere. Ob es uns passt oder nicht. Die massive Gegenwehr war bisher richtig und hat Putin den Appetit auf eine weitere Ausweitung des Konfliktes gründlich verdorben. Es muss aber die Frage erlaubt sein, ob es schlau ist, diesen Kurs bis zum bitteren Ende zu gehen. Mittlerweils wäre es hilfreich, wenn sich in die Armada wildgewordener Falken die eine oder andere Taube mischen würde, die den im Tagestakt eskalierenden Konflikt zu Ende denkt und einfordert, dass wir den Last Exit aus dem ganzen Wahnsinn nicht verpassen dürfen. Nur wenn eine halbwegs tragbare Lösung gefunden wird, können wir knapp vor der ganz großen Katastrophe noch abbiegen.

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