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Solarstrom – vom Dach zur Eigennutzung
Etwa 100 000 Besitzerinnen und Besitzer von Gebäuden haben in der Schweiz ihre Technologiewahl schon getroffen und produzieren mit Solarmodulen 5 Prozent der Stromerzeugung im Land. Es braucht aber noch mehr.
Text: Prof. Dr. Franz Baumgartner
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■ Prof. Dr. Franz Baumgartner, Studiengangsleiter Energie und Umwelttechnik, ZHAW Winterthur; Leiter Forschungsteam IEFE Photovoltaiksysteme
Ohne Photovoltaik (PV) ist die Energiewende nicht zu schaffen. Das wissen die Studierenden bereits, wenn sie mit dem Energie- und Umweltstudium (EU) an der ZHAW in Winterthur starten. Heute arbeiten pro Einwohner lediglich 2 Quadratmeter Solarmodulfläche fürs Klima. So ist es müssig, darüber zu spekulieren, ob wir auf den Gebäuden genügend Platz haben, um mit 30 Quadratmetern Modulfläche pro Kopf so viel Strom im Jahr zu produzieren, wie wir verbrauchen. Viel wichtiger ist die Frage, ob wir in zwei Jahren endlich die weiteren 2 Quadratmeter PV-Fläche pro Kopf installiert haben, die es braucht, um damit bis zum Ende des Jahrzehnts in der Schweiz den Anteil an Solarstrom von 20 Prozent
überschritten zu haben – dies entspräche den nicht so anspruchsvollen Zielen der Energiestrategie 2050. Bis dahin kommen
■ Das neue digitale Mess- und Planungswerkzeug für die Photovoltaik wird von Fabian Carigiet entwickelt und am IEFE-Solardach der ZHAW in Winterthur getestet. Die Augmented-Reality-Brille HoloLens könnte unter anderem nebst Kostenvorteilen auch automatische Dokumentationen generieren. wir bestimmt an keine Dachgrenzen, wenn wir uns diese nicht künstlich verbauen
durch Hindernisse jeglicher Art.
Die solare Wärmepumpe Im Kanton Zürich ist bei Neubauten die
PV-Anlage auf dem Dach zum Standard geworden. In 90 Prozent der neuen Einfamilienhäuser und in 70 Prozent der Mehr-
familienhäuser wurden Wärmepumpen verbaut. Damit allein erreichen wir jedoch unsere Klimaziele nicht, da in bestehenden Mehrfamilienhäusern in den letzten zehn Jahren die fossile Gas- oder Ölheizung wieder durch eine fossile Lösung ersetzt wurde. Im Kanton Zürich heizen somit immer noch etwa 80 Prozent der bestehenden
alten Mehrfamilienhäuser fossil, in der gesamten Schweiz liegt der Anteil bei 50 Prozent. Daher gilt es, alle Anstrengungen zu unternehmen, um die Dächer der Mehrfamilienhäuser vollständig mit PV-Modulen zu belegen. Ein Ansporn dazu wurde mit der Möglichkeit des Zusammenschlusses zum Eigenverbrauch geschaffen. Hierbei ist es wichtig, dass die Dachfläche voll genutzt wird, auch wenn ein Teil des Stroms nicht kostendeckend wieder ins Netz eingespeist werden muss. Dies, weil eine Erweiterung in den Folgejahren viel teurer wird für die ganze Gesellschaft – ohne Mehrnutzen.
Immer mehr solare Eigenheime können mit dem Einbezug der Wärmepumpe und dem Einsatz einer Batterie mehr als die
■ In der ersten Semesterwoche starten in Winterthur die Studierenden des Studiengangs Energie und Umwelttechnik (EU) mit Messungen am Arbeitspferd der Energiewende – dem Solarmodul.
Hälfte des produzierten Stroms selbst nutzen. Zwei Absolventen des EU-Studiengangs der ZHAW in Winterthur, Patrick Böhni und David Wicki, konnten mit ihrer preisgekrönten Abschlussarbeit 2020 unter Einbezug von Wetterprognosen und der Wärmekapazität des Gebäudes die solare Eigennutzung noch weiter erhöhen.
Ebenso wichtig ist es, die Kosten von Planung und Dokumentation für Einfamilienhausanlagen zu senken, die aktuell auf dem Niveau der Solarmodule sind. Fabian Carigiet entwickelt und testet am IEFE-Solardach der ZHAW in Winterthur ein neues digitales Mess- und Planungswerkzeug für die Photovoltaik. So könnte die Augmented-Reality-Brille HoloLens unter anderem nebst Kostenvorteilen auch automatische
Dokumentationen generieren.
Leistungselektronik an jedem Solarmodul
Erzeugten vor drei Jahrzehnten PV-Module noch 50 Watt, so produzieren die leistungsstärksten Solarmodule von 2 Quadratmeter Grösse heute eine Leistung von 500 Watt. Ein weiterer Trend ist die teil-
weise Abkehr von zentraler Leistungselektronik für alle Solarmodule hin zu
individueller Elektronik, die hinter jedem Solarmodul montiert wird. Mit solchen
Optimizern kann die Minderleistung für jedes einzelne Modul erkannt werden bis hin zur Verifizierung der Verschmutzung. Es ist kaum zu erwarten, dass die Langzeitstabilität des Systems mit dieser steigenden Komplexität der Elektronik sowie bei relativ hohen Temperaturen hinter dem Solarmodul verbessert wird. Auch wenn die Elektronikkomponenten im Garantiefall ausgetauscht werden, bleibt meist der Anlagenbetreiber auf den Arbeitskosten für den Tausch sitzen. Weltweit sind aktuell mehr als 50 Millionen solcher solaren
Elektronikoptimierer in Betrieb.
Optimierte Planung mit dem Optimizer Die Hersteller dieser Optimizer versprechen bei einer Teilverschattung bis zu 20 Prozent mehr Ertrag im Vergleich zum Standard, dem zentralen Stringinverter. Oft ist es dann nur ein Zehntel von diesem Versprechen, wenn nur wenige Module betroffen sind. Wenn wiederum zu viele Module permanent im Schatten liegen, muss der Planungsprozess hinterfragt werden, denn in der Wüste wird man kaum Wasser finden. Zusätzlich
geben die Hersteller den Wirkungsgrad dieses Gleichspannungswandlers oft nur mit dem Höchstwert von 99 Prozent an. In die
Nähe dieses Werts gelangt man aber nur, wenn das Spannungsverhältnis vom Eingang zum Ausgang nahe eins ist. Dies bedeutet für den Planer, dass es nicht energieoptimal ist, beliebig viele Module in Serie zu schalten. Weicht man vom Optimum von etwa 13 Optimizern ab (im Datenblatt ist dies jedoch nicht angegeben) und geht an die erlaubten Designgrenzen, sind zusätzliche Wirkungsgradverluste von bis zu 2 Prozent die Folge. Dies ist dann mit den zusätzlichen Verlusten des Wechselrichters
deutlich ineffizienter als ein optimaler traditioneller einfacher Stringinverter während der überwiegenden Betriebsdauer ohne Beschattung.
Im IEFE-Labor der ZHAW werden diese individuellen Messungen zum Beispiel an Optimizern von Studierenden sowie von Teilnehmenden des Weiterbildungskurses Solarstrom ausgeführt, um die fachliche Vertiefung und die oben erwähnte Erfahrung zu stärken.
www.zhaw.ch
Fachpublikationen: www.zhaw.ch/~bauf Link, auch zum Video «Messung an Optimizern»: Bachelorstudiengang Energie und Umwelttechnik: bit.ly/3mlyQlp Weiterbildungskurs Solarstrom/Speicher/Nutzung/ Netze: bit.ly/381sMt8