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In den Jahren zwischen 1910 und 1930 erwarb sich die Boheme in Berlin, Wien, Paris und New York einen geradezu legendären Ruf. Sie war schlechthin die Verkörperung des Neuen, Brennpunkt künstlerischer und intellektueller Energien. Gesetzlosigkeit lag in der Luft, und in der Politik und in den Künsten war die Verachtung für die verlogene bürgerliche Moral greifbar. Auch in der Mode spiegelte sich diese Stimmung, die füllige viktorianische Matrone war out und wurde durch den mageren leichtbekleideten Flapper ersetzt.

Dezember/Januar 53. Woche

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Fr Neujahr

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Wie ein Magnet zieht die Stadt hochbegabte Künstler und Künstlerinnen an. Von überall her kommen die besten Autoren, Regisseure und Schauspieler, die ehrgeizigsten Komponisten und Musiker, Choreographen und Tänzer. Berlin wird zu einer Kunstmetropole von europäischem Rang, einer Weltstadt des Theaters. Neugier und Lebendigkeit verbinden die Künstler und ihr Publikum, die Freude am Außergewöhnlichen und eine Wachheit, die es woanders nicht gibt.

»Käsebiers vergaßen an solchen Abenden die nicht bezahlte Kohlenrechnung. Stifte wanderten stundenlang zum Theater, weil das Geld zwar für die Eintritts-, jedoch nicht mehr für eine Straßenbahnkarte reichte, und die sahen von ihrem Stehplatz, wie der Bankdirektor in seiner Loge vor Begeisterung trampelte, da capo rief, Blumen und seiner Frau das goldene Kettchen vom Handgelenk reißend auch dieses auf die Bühne warf.«

Januar

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1. Woche

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Mi Heilige Drei Könige *

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Der berühmte Flaneur und Vertreter der Metropolenliteratur Franz Hessel (1880–1941) setzt den neuen Frauen in Berlin 1929 in der Zeitschrift Vogue ein schmeichelhaftes Denkmal.

»Schöne Berlinerin, du hast bekanntlich alle Vorzüge. Du bist tags berufstätig und abends tanzbereit. Mit der Geschwindigkeit, in der deine Stadt aus klobiger Kleinstadt sich ins Weltstädtische mausert, hast du Fleißige schöne Beine und die nötige Mischung von Zuverlässigkeit und Leichtsinn, von Güte und Kühle erworben.«  Franz Hessel

Januar

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»Ich persönlich würde alles geben, was ich habe, um wieder in dem Paris sein zu können, wie es war, und an einem Bistro-Tisch zu sitzen, der die gusseisernen Beine im Sägemehl der Schneckenkörbe stehen hat, mit dieser schlecht gebügelten Baumwolltischdecke, die breit über mein bestes Cape fällt – dieser Tischdecke mit dem verkrumpelten Saum, die durchtränkt ist vom Burgunder des Vortags –, eine Karaffe vin ordinaire vor mir, eine ovale Platte mit salade de tomates, eine Schale Kressesuppe, ein blanquette de veau, grüne Mandeln – was auch immer, nur um wieder das traurige, wütende Gebell der Taxihupen zu hören, die anmutig dahinfließende Sprache, wie sie von den Büroangestellten verplaudert wird, die zwei Stunden frei haben zum Essen und zum Diskutieren.«  Djuna Barnes

Djuna Barnes (1892–1982), Journalistin, Satirikerin, bildende Künstlerin und Romanautorin, ging 1922 als amerikanische Korrespondentin nach Paris. Nach ihrer Rückkehr nach New York erinnert sie sich an die ungewöhnliche Ausstrahlung von Paris.

Januar

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Die unterschiedlichsten Männer wie Frauen erlagen der Schönheit, der Intelligenz und dem Scharfsinn von Djuna Barnes, deren bekanntestes Werk der Underground-Klassiker Nachtgewächs ist.

»Djuna war von sich überzeugt und schlagfertig und hatte eine solch scharfe Zunge, dass ich gar nicht erst mit ihr zu konkurrieren wagte.«  Robert McAlmond, Djuna Barnes’ Verleger

Januar

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4. Woche

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Berenice Abbott (1898–1991) begann ihre Karriere als Foto­grafin, indem sie in der Mittagspause ihre Freundinnen fotografierte. Ihre Por­träts von Djuna Barnes, Marie Laurencin oder Edna St. Vincent Millay bestechen dadurch, dass sie das Bild zum Vorschein brachte, das die fotografierten Personen von sich selber schufen. Nachdem sie 1929 von Paris nach New York zurückkehrte, hielt sie den ständigen Wandel des Stadtbildes in brillanten Schwarz-Weiß-­ Fotografien fest, die heute zu den Klassikern des Genres zählen.

Februar

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»Wer nie in New York gelebt hat, hat nie in der modernen Welt gelebt.«  Mina Loy

In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts kommen aus ganz Amerika Menschen in die Stadt auf der Flucht vor der puritanischen Strenge, vor rigiden Moralvorstellungen und Prohibition. Und nicht nur sie – auch Kriegsdienstverweigerer, Künstler und Intellektuelle, kehrten – wie die englische Dichterin und Konzept-Künstlerin Mina Loy (1882–1966) – Europa den Rücken. Hier träumten sie den Traum von einer kulturellen Revolution.

Februar

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6. Woche

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»Wenn ich heute auf das Jahr 1913 zurückblicke, dann scheint es, dass überall Schranken fielen und Menschen zusammen kamen, die sonst nie miteinander in Berührung gekommen wären. Der neue Geist war überall zu spüren und fegte über uns alle hinweg. Meine Rolle war eher zufällig.«  Mabel Dodge

Ein Szenetreffpunkt in New York war der legendäre Salon von Mabel Dodge (1879–1962) in der Fifth Avenue, in dem sich jeden Mittwochabend manchmal bis zu hundert Gäste trafen – Menschen aller Schichten mit verschiedensten politischen Überzeugungen: Sozialisten, Gewerkschaftler, Anarchisten, Suffragetten, Dichter, Anwälte, Psychoanalytiker, Journalisten, Mitglieder von Frauenclubs wie auch ganz normale Hausfrauen.

Februar

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7. Woche

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Tanz und in Ekstase leben – ist eine neue Losung im Europa nach dem Ersten Weltkrieg. Foxtrott, Shimmy und Charleston eroberten Anfang der Zwanzigerjahre die Tanzböden. Sämtliche Modetänze kamen aus Amerika und hatten afrikanische Wurzeln. Königin des Charleston war Josephine Baker (1906–1975). Mit ihrer Revue Nègre, in der sie mit Bastrock und Bananen auftrat, machte sie ihn in ganz Europa populär. Bakers Auftritte waren höchst umstritten; in Budapest, Prag, Wien und München hatte sie Auftrittsverbot.

»Ihr Tanz«, heißt es in der Presse über Josephine Baker, »das ist Instinkt gegen Zivilisation, ist Aufruhr der Sinne und enthüllt uns jenes Unterbewusste, das unsere Weltanschauung über den Haufen wirft.«

Februar 8. Woche

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»Sie hat eine geradezu unschuldige Art zu verführen. Mag die Situation noch so bedenklich, mag ihr Kostüm noch so frech und herausfordernd sein, sie breitet über Kleid und Welt ihr holdes Lächeln. Darin ist nichts, was erobern oder erobert werden will. Es ist sanftmütig erregend und stillend zugleich. Es gilt nicht nur dem, den es trifft, so gut es auch für ihn passt, es geht durch ihn hindurch, an ihm vorbei in die ganze Welt. Mit diesem Lächeln hat Marlene Dietrich Europa und Amerika erobert. Es ist in Einem göttlicher und gemeiner als das all ihrer Rivalinnen. Das Lächeln der Greta Garbo ist von gebrechlicher Zartheit, schmerzliches Mitleid erregt es, auch wenn die Trägerin glücklich zu sein scheint, es ist christlich, engelhaft; das Lächeln der Elisabeth Bergner ist jungfräulich einsam, das der Asta Nielsen tragisch verhängnisvoll. Marlene Dietrich kann lächeln wie ein Idol, wie die archaischen Griechengötter und dabei harmlos aussehn.«  Franz Hessel über Marlene Dietrich

Februar/März

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9. Woche

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»Im Eden Hotel, wo ich in Berlin wohnte, bevölkerten Luxusflittchen die Cafébar. Draußen vor der Tür gingen die Mädchen der preiswerten Kategorie auf den Strich. An der Ecke standen Mädchen in Stiefeln und annoncierten ihre flagellantischen Dienste. Agenten der Schauspieler verkuppelten die Damen in den Luxusappartements des Bayerischen Viertels. Tippgeber vom Pferderennen in Hoppegarten arrangierten Orgien für ganze Sportlergruppen.«  Louise Brooks

Die amerikanische Stummfilmschauspielerin Louise Brooks (1906–1985) über ihre Eindrücke von Berlin, wo mit ihr in der Hauptrolle der Film Die Büchse der Pandora nach der Vorlage von Franz Wedekind gedreht wurde.

März

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10. Woche

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Die Zwanzigerjahre waren in Berlin ein Paradies für lesbische Frauen in Europa. Schätzungsweise gab es 100 homosexuelle Lokale, davon 30 lesbische Clubs. Obwohl es in der Weimarer Republik keine Lokalverbote gab, führte die Polizei häufiger Razzien durch, weswegen sich viele Clubs tarnten, so der Lotterie- und Sparverein Altes Geld, der Verein der Pfeifenraucherinnen oder der Kegelclub Lustige Frauen.

März

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11. Woche

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»Auf dem Kurfürstendamm sind viele Frauen. Sie haben gleiche Gesichter und viel Maulwurfspelze – also nicht ganz erste Klasse – aber doch viel Schick.«  Irmgard Keun

Die Romane der jüdischen Schriftstellerin Irmgard Keun (1905–1982), die zunächst nach Belgien, danach in die Niederlande emigrierte, wo ihre Romane in deutschsprachigen Exilverlagen erschienen, schildern satirisch und gesellschaftskritisch das Leben junger Frauen in der Weimarer Republik, ihr Bemühen um Selbstständigkeit, die Notwendigkeit, für sich selbst zu sorgen, sich nicht unterkriegen zu lassen.

März

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12. Woche

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Fr Karfreitag

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So Ostersonntag


»Die Frauen, die sich für Kunst und Literatur begeisterten, zog es in die Seine-Stadt, die ihnen die Möglichkeit bot, sich frei zu entfalten. Denn die Franzosen leben ihr eigenes Leben und ›sie (lassen) auch dich dein eigenes leben.‹«  Gertrude Stein

März/April 13. Woche

28 29 30 31 1 2 3 Mo Ostermontag

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»Janet behauptete von sich, dass es in ihren Gesichtszügen bereits angelegt sei, dass sie eines Tages wie Voltaire aussehen würde … Ihre kleinen Hände mussten nur zwei Zwecken dienen – mit zwei Fingern Schreibmaschine schreiben und umständlich die immer qualmende Zigarette halten.«  Solita Solano

Die Journalistin Janet Flanner (1892–1978), berühmt als feministische Exzentrikerin im Paris der lost generation, arbeitete als Auslandskorrespondentin für amerikanische Zeitschriften. Berühmt war ihre 14tägige Kolumne Letters from Paris im New Yorker, wo sie unter dem Pseudonym Gênet kulturelle und politische Ereignisse kommentierte. Mit Solita Solano (1888–1975) verband sie eine langjährige Liebes- und Arbeitsbeziehung.

April

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14. Woche

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»Ihre Wohnung war der faszinierendste Ort in ganz Paris, denn dort ging jeder hin. Ungefähr dreimal in der Woche veranstaltete sie eine Teegesellschaft … Und sie leitete stets das Gespräch, das heißt, sie leitete eigentlich alles … Wenn sie lachte, lachte jeder im Raum. Es war mehr als ein bloßes Signal, ihre gute Stimmung war einfach ansteckend.«  Janet Flanner

Der mit zeitgenössischer Kunst ausgestattete Salon der amerikanischen Schriftstellerin Gertrude Stein (1874–1946) in der Rue de Fleurus 27, wo Stein mit ihrer Lebensgefährtin Alice B. Toklas (links) wohnte, war legendär. Hier traf sich die künstlerische und literarische Avantgarde wie Pablo Picasso, Henri Matisse, Georges Braque und Juan Gris, F. Scott Fitzgerald, Sherwood Anderson und Ernest Hemingway.

April

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15. Woche

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»Es war so angenehm, sich von all diesen klugen und interessanten Menschen willkommen geheißen zu fühlen – und klug waren sie, das lässt sich nicht bestreiten; der Intelligenzgrad der Gäste im Salon lag gewöhnlich weit über dem Durchschnitt. Denn zusammen mit jenen, die seit langem ihren Intellekt über ihren Körper gestellt hatten, traf man dort Schriftsteller, Maler, Musiker und Gelehrte, Männer und Frauen, die ungeachtet ihrer Herkunft fest entschlossen waren, sich eine Nische in ihrem Leben zu schaffen.«  Radclyffe Hall

Nicht minder berühmt als der Salon von Gertrude Stein war der Salon der amerikanischen, äußerst wohlhabenden frauenliebenden Schriftstellerin Nathalie Clifford Barney (1876–1972), die fast ihr ganzes Leben in Paris lebte. Radclyffe Hall schildert in ihrem Roman Quell der Einsamkeit einen literarischen Salon, dem Nathalie Barneys Salon als Vorlage diente.

April

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16. Woche

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Die Malerin Romaine Brooks (1874–1970) war ein halbes Jahrhundert mit Nathalie Clifford Barney liiert. Sie schreibt in einem Brief an ihre Freundin über ihre unterschiedlichen Charaktere.

»Ich denke gerade über unsere lange Freundschaft nach, die auf meiner Seite so groß ist wie eh und je, und über unsere Charaktere, die sich grundlegend voneinander unterscheiden. Du, die Menschen als Brennstoff braucht, um jenen Funken zu produzieren, der deine Formulierungskunst zum Leben erweckt, und ich, die ich die Einsamkeit brauche, um meine Kunst erschaffen zu können.«  Romaine Brooks

April/Mai

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17. Woche

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So Maifeiertag


Auch Radclyffe Hall (1880–1943), Autorin des als »obszön« gebrandmarkten lesbischen Romans Quell der Einsamkeit (1928) pflegte langjährige Beziehungen zu Frauen. Ihrer Lebensgefährtin Una Lady Troubridge war sie treu mit einer Ausnahme. 1934 verliebte sie sich in Paris in die weitaus jüngere Emigrantin Evguenia Souline und schrieb ihr leidenschaftliche Liebesbriefe.

»Darling – weißt du eigentlich, wie sehr ich damit rechne, dass du nach England kommst, wie viel mir das bedeutet? Es bedeutet die ganze Welt, und mein Körper wird ganz dir gehören. Wir werden in unseren Armen liegen, nah, ganz nah beieinander und ich werde deinen Mund, deine Augen und deine Brüste küssen – deinen ganzen Körper. Auch du sollst mich küssen, so wie du mich in Paris geküsst hast. Es wird nur uns geben, sonst nichts.«  Radclyffe Hall an Evguenia Souline

Mai

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Do Christi Himmelfahrt

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Eine, die alles gab und sich buchstäblich – im Boxstudio – nach oben kämpfte, war die Österreicherin Vicki Baum (1888–1960). Sie ist die Superfrau der Zwanzigerjahre: die Frau, die alles schafft. Sie ist Mutter und Hausfrau, Redakteurin im Ullstein Verlag Berlin – dort schreibt sie für verschiedene Zeitschriften – und sie ist Bestsellerautorin. Ihr bekanntester Roman Menschen im Hotel (1924) wird in Hollywood mit Greta Garbo verfilmt.

»Man hat sie Unterhaltungsschriftstellerin genannt, ohne ihr gerecht zu werden. Unterhaltend zu sein, ist kein Fehler, und Vicki Baum weiß so viel von der Welt, sie kennt so gut die Menschen, sie begreift so genau und warmherzig ihre Schicksale, dass jede ihrer Arbeiten genug Wahrheit, genug schönes, belustigendes, trauriges, erregendes Leben enthält, um mehr zu sein als nur unterhaltend.«  Erika Mann

Mai

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19. Woche

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So Pfingstsonntag


»Der Rock ist wie die Kette am Fuße des Sklaven und gehört nicht mehr in unsere Zeit, da die Frau in den Straßen zu rennen und zu jagen hat, und in Bureaus und in Fabriken arbeiten muss.«  Ea von Allesch

So wie Vicki Baum in Berlin füllen ihre Kolleginnen in Wien die Illustrierten mit ihren Artikeln wie in der Modernen Welt, ein 1918 gegründetes Kulturjournal, in dem Ea von Allesch (1875-1953) das Moderessort leitet. In ihre Modeberichte mischt sie Hinweise auf aktuelle politische und soziale Strömungen.

Mai

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20. Woche

Mo Pfingstmontag

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»Mit dem Untergang der Monarchie erblühten die Künste. Sie waren nicht verstummt. Im Gegenteil, sie waren viel wichtiger geworden.«  Maria Ley-Piscator, Tänzerin

Sie prägten das Flair der österreichischen Hauptstadt, die in regem Austausch mit Berlin, Paris und New York stand – die Frauen der Ersten Republik (1918–1933). Tout Vienne traf sich in den Salons von Alma Mahler-Werfel, Trude Fleischmann revolutionierte die Aktfotografie, Hilde Holger den Tanz, in den berühmten Kaffeehäusern ließen sich Schriftstellerinnen wie Hilde Spiel und die Pragerin Milena Jensenská inspirieren und für das kosmopolitische Umfeld sorgten die Opern- und Operettendiven.

Mai

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21. Woche

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Do Fronleichnam*

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»Schön war sie nicht, aber außergewöhnlich anziehend, apart, von kleiner Gestalt, ein zartes, schmächtiges Wesen, einem Märchenmädchen, der schönen Melusine, gleichend, einem scheuen Tier oder einem Fabelwesen, einem Irrwisch, einer Nymphe.«  Alfred Polgar

Mai/Juni 22. Woche

Die femme enfant und zugleich femme fatale der Goldenen Zwanzigerjahre brach reihenweise Männerherzen und zog auch Frauen in ihren Bann. Eine stürmische Liaison verband Elisabeth Bergner (1897–1986) mit dem österreichischen Schriftsteller Albert Ehrenstein, der Bildhauer Wilhelm Lehmbruck nahm sich wegen ihr das Leben. Unvergessen als Fräulein Else (1929) und Katharina die Große (1934) in den gleichnamigen Filmen, glänzte sie als Theaterschauspielerin auf den Bühnen in Wien, Zürich und Berlin.

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»In den letzten Jahren, als es nichts zu essen gab, wo zu Hause nicht geheizt werden konnte und man nichts zum Anziehen hatte, verwandelte sich das Kaffeehaus in das gemeinsame Zuhause der Boheme, der es verdammt schlecht in der Zeit des Krieges ging … Im Kaffeehaus schreibt man, korrigiert man und diskutiert. Im Kaffeehaus spielen sich alle Familienszenen ab, im Kaffeehaus weint und schimpft man über das Leben und auf das Leben.«  Milena Jesenská

Das Kaffeehaus war der neue Szenetreffpunkt. Und da hatte Wien viel zu bieten: das Café Central, das Café Herrenhof – hier traf sich alles, was politisch und erotisch revolutionär gesinnt war. Hier waren die Schriftstellerinnen Lina Loos, Gina Kaus und Milena Jesenská (1896–1944) umschwärmter Mittelpunkt.

Juni

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23. Woche

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»Die moderne Frau gesteht sich Gefühle zu und stürzt sich ins Leben.«  Mina Loy Obwohl die gebürtige Londonerin Mina Loy (1882–1966) in internationalen Künstlerkreisen verkehrte – sie war Dichterin, Schauspielerin, Designerin, Konzept-Künstlerin –, war ihr Leben nie einfach. In ihrer polyglotten Identität spiegelten sich die »Selbstverwirklichungsstrategien« der »neuen Frau«.

Juni

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24. Woche

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»Margaret Sanger sah aus wie eine Madonna, aber sie war die erste Frau, der ich begegnete, die ganz offen und glühend für die Freuden des Fleisches warb. Das war zu jener Zeit in der Tat radikal, da dem Lustgefühl noch sehr das Bewusstsein zu sündigen beigemischt war.«  Mabel Dodge

Die brisanten Themen, die bei Mabel Dodge erörtert wurden und die ihren Salon so interessant machten – Sex, Psychoanalyse oder Homosexualität – wurden unter den unterschiedlichen Gästen kontrovers diskutiert, so auch wenn Margaret Sanger (1879 – 1966), die Vorkämpferin der Geburtenkontrolle, auftrat.

Juni 25. Woche

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»Ich nehme mir Geliebte, weil mein Körper so viel unter Kopfschmerzen, Rückenschmerzen und angebrochenen Zehen gelitten hat, dass er mir jede nur denkbare Entschädigung durch sexuelle Ekstase schuldet.«  Isadora Duncan

Häufiger Gast in den New Yorker Salons war die Tanzpionierin Isadora Duncan (1877–1927).

Juni/Juli

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26. Woche

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Das Pendant zu Mabel Dodge’s Salon in Greenwich Village war der Salon von A’Lelia Walker (1885–1931) in Harlem. Sie war die reichste schwarze Frau Amerikas, die ihr Vermögen einer Geheimformel zur Glättung krausen Haares verdankte.

»Sie sah aus wie eine Königin und benahm sich häufig wie eine Tyrannin.«  Carl Van Vechten

Juli

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27. Woche

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»Als ich sechs wurde, wusste ich alles über Sex und das Leben im Allgemeinen. Ich konnte besser fluchen als jeder Scheuermann und fand sadistisches Vergnügen darin, die Leute zu schockieren.«  Ethel Waters

Ethel Waters (1896–1977) war die erste schwarze Sängerin, die Blues und Jazz in der amerikanischen Kultur durchsetzte und den Weg für Schwarze im Showbiz’, im Theater und Film frei machte. Als Sexsymbol heizte sie in den Zwanzigerjahren mit ihrem Shimmy und Cooch das Haus auf, um Augenblicke später die Herzen mit seelenvollen Balladen wie Am I Blue zu rühren.

Juli

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28. Woche

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»Voll Übermut knallte ich wie eine Bombe aus der Kulisse. Das Publikum explodierte, schrie, pfiff, jubelte.«  Valeska Gert

Valeska Gert (1892–1978), eine exaltierte, extravagante Tänzerin, die auch als Kabarettistin und Schauspielerin tätig war, war in ihrer Heimatstadt Berlin ein skandalumwitterter Star. Sie erhob die Provokation zur Kunst und weder femme fatale noch Zicke noch braves Mädel waren vor ihrem Spott sicher.

Juli

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29. Woche

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»Wenn die beste Freundin mit der besten Freundin um was einzukaufen durch die Straßen laufen durch die Straßen latschen um sich auszuquatschen spricht die beste Freundin zur besten Freundin: Wir vertragen uns beide so gut Es ist kaum noch auszuhalten Nur mit einem vertrage ich Mich noch so gut mit meinem süßen kleinen Mann …«

In der Revue Es liegt in der Luft von Mischa Spoliansky und Marcellus Schiffer (1928), die mit leichter Satire und Spott jene neue Gesellschaft verkörpert, für die das Leben wie ein Warenhaus war, singen Marlene Dietrich (1901–1992) und Margo Lion (1899–1989) mit leicht lesbischem Touch ihr berühmtes Lied »Wenn die beste Freundin«.

Juli

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30. Woche

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»Wenn sie tanzt, gibt sie alles; sie tanzt ihren unstillbaren Lebenshunger, tanzt den Koitus.«  Klaus Mann Anita Berber (1899–1928) tanzte nackt, redete zotig und liebte, wen sie wollte. Bei ihren Zechtouren durch Berliner Bars und Nachtklubs reichte das Dekolleté bis zum knallrot geschminkten Bauchnabel. Im Sündenbabel der Städte war Anita Berber die Königin der fiebrigen Nächte, in denen sich Lebenslust und Verzweiflung paarten. Mit 17 tanzte sie in der Berliner Tanzschule Rita Sacchetto. Mit 18 arbeitete sie als Model für Zeitschriften wie die Elegante Welt und Die Dame und inszenierte ihre eigenen Choreografien auf Berlins großen Varietébühnen. Mit 19 war sie ein Tanzstar und reiste zu Soloauftritten nach Wien und Budapest. Sie war dreimal verheiratet, hatte Affären mit Männern und Frauen. Mit 21 war sie alkoholund drogenabhängig. Mit 29 starb sie an den Folgen ihres exzessiven Lebens.

August

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31. Woche

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»Ich dachte, ich könnte noch viel von Man Ray lernen, doch er sagte mir, ich könne bereits fotografieren und bräuchte ihn nicht, ich könne aber trotzdem seine Dunkelkammer in Anspruch nehmen.«  Marianne Breslauer

Zwischen den Jahren 1927 und 1929 hatte Marianne Breslauer (1909–2001) die Fotoklasse des Berliner Lette Vereins besucht und klopfte anschließend in Paris bei Man Ray an, um ihre Ausbildung zu vervollkommnen. Zurück in Berlin arbeitete sie als Fotoreporterin für den Ullstein Verlag, bis sie 1936 ihrem Mann, dem Kunsthändler Walter Feilchenfeldt, zunächst nach Amsterdam und dann nach Zürich folgte.

August

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32. Woche

Mo Friedensfest*

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»Niemand kann so lieben wie ich. Die Liebe umgibt mich wie ein Duft. Zum Dank liebt man mich in allen möglichen Figurationen. L’Independente, mich, die Unabhängige, die nur sich selbst verantwortlich ist, rein – und frivol.«  Helen Hessel

Zu den Freunden von Marianne Breslauer in Paris gehörten Helen und Franz Hessel. Man kannte sich aus Berlin, wo Helen Hessel (1886–1982) Modejournalistin war. Für bürgerliche Moralvorstellungen hatte Helen Hessel nur geringschätzige Verachtung übrig. Franz Hessel, den Vater ihrer Kinder, heiratete sie gleich zweimal. Mit dessen bestem Freund, dem französischen Schriftsteller Henri-­ Pierre Roché, lebte sie eine amour fou, die in die Literatur- und Filmgeschichte einging (Jules et Jim).

Filmszene aus Jules et Jim mit Jeanne Moreau und Henri Serre

August

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33. Woche

Mo Mariä Himmelfahrt*

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In Montparnasse hatte Adrienne Monnier (1892–1955) 1915 ihre Buchhandlung für avantgardistische französische Literatur La Maison des Amis des Livres eröffnet.

»Vor mir sah ich ein Mädchen mit einem runden, rosigen Gesicht, mit blauen Augen und blondem Haar, das, wie es sich auf Anhieb herausstellte, gerade in den Dienst der Literatur getreten war, so wie sich andere entschließen, in den Dienst Gottes zu treten. Ihre Stimme war einnehmend und charmant, sie war sehr kontrolliert und ruhig und zugleich voller Musik und Zuversicht.«  Jules Romain über Adrienne Monnier

August 34. Woche

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Zu den Stammkunden und -gästen von Adrienne Monniers Buchhandlung La Maison des Amis des Livres gehörte auch Gisèle Freund (1908–2000), die Mitte der Dreißiger Jahre alle namhaften Schriftsteller, die in der Buchhandlung ein und aus gingen, fotografiert hatte. Adrienne Monnier, die 1939 eine Ausstellung dieser Fotos organisierte, schilderte ihre Impressionen angesichts der ins Bild gebannten Schriftsteller.

»Ich komme eben von der Reise ins Land der Gesichter zurück. Eine große Reise mit Gisèle Freund … Schriftsteller, Dichter, Sprachschöpfer, Randfiguren; sie sind die zerklüfteten Landschaften im Reich der Gesichter, die fremdartigsten, die dem gegenwärtigen Schönheitsideal nicht entsprechen … .«  Adrienne Monnier

August/September

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35. Woche

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Eines Tages im Jahr 1917 betrat die Amerikanerin Sylvia Beach (1887–1962) Adrienne Monniers Buchhandlung, und da beide Frauen großes Interesse an der Sprache und Literatur hatten, wurden sie Freundinnen und später ein Paar. 1919 gründete Sylvia ihre eigene Buchhandlung: Shakespeare and Company. Adrienne kümmerte sich um die organisatorischen Dinge, so verhandelte sie u. a. wegen der Räume in einer ehemaligen Wäscherei.

»Adrienne wies auf die Wörter ›gros‹ und ›fin‹ zu beiden Seiten der Haustür hin. Dies bedeutete, dass hier sowohl grobe als auch feine Wäsche gereinigt wurde. Adrienne, die ziemlich beleibt war, stellte sich unter ›gros‹ und sagte mir, ich sollte mich unter ›fin‹ stellen. ›Das bist du, und das bin ich‹, meinte sie.«  Sylvia Beach

September

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Sylvia Beach und James Joyce im Eingang der legendären Buchhandlung Shakespeare and Company von Sylvia Beach.

»Sylvia war die perfekte Botschafterin. Und ich bezweifle, dass je eine Staatsbürgerin mehr getan hat, um Amerika im Ausland bekannt zu machen … Berühmt oder nicht, sie brachte alle zusammen, denn wir waren als Künstler miteinander verbunden.«  Bryher

September

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Die reiche englische Erbin und Kunstmäzenin Bryher (eigentlich Annie Winifred Ellermann, 1894–1983) pflegte in Paris viele ihrer engsten Freundschaften.

»Es war einer der ersten Tage von Shakespeare and Company, als du in meine Buchhandlung und mein Leben kamst, liebe Bryher, und du uns unter deine Schutzherrschaft nahmst. Wir hätten ebensogut die Worte ›Bryhers Haus-und Hoflieferanten‹ über die Tür malen können.«  Sylvia Beach

September

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38. Woche

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»Zum ersten Mal seit dem 18. Jahrhundert war Zivilisation wichtiger als Fortschritt, Ursachen oder Absichten, Logik war wichtiger als Sentiment, Mode wichtiger als Realismus. Und so lebten wir alle in Frankreich, weil die Franzosen schon immer zivilisiert, logisch und modisch gewesen waren.«  Gertrude Stein

In Paris, wo für die Amerikaner wegen des Dollarkurses das Leben günstig war – zumindest bis zum Börsenkrach 1929 –, war die New Yorker Boheme zu Hause. So trafen Margaret Anderson und Jane Heap (in der Mitte, stehend) den Auslandskorrespondenten ihrer Zeitschrift The Little Review, Ezra Pound (ganz rechts, stehend) sowie Man Ray (kniend mit Kamera); sein Model Kiki (hinter ihm stehend), die Dichterin Mina Loy (kniend) und den Filmemacher Jean Cocteau (mit Spazierstock).

September/Oktober 39. Woche

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Margaret Anderson (1886–1973) gründete 1914 die Zeitschrift The Little Review – »eine Kunstzeitschrift ohne Zugeständnisse an den öffentlichen Geschmack«. Zwischen 1918 und 1920 erschien dort in monatlichen Fortsetzungen James Joyce’s Ulysses. Die Zensurbehörde verbrannte jedoch drei dieser Ausgaben, da sie den Ulysses für obszön hielt.

»Es war wie ein Verbrennen auf dem Scheiterhaufen … Die Sorgfalt, die wir aufgebracht hatten, um Joyce’ Text vollständig zu bewahren; die Sorge über die sich häufenden Rechnungen, als wir keinen Vorschuss bekamen; die Methode, die ich bei Druckern, Buchbindern, Papierherstellern einsetzte – Tränen, Gebete, hysterische Anfälle oder Wutausbrüche –, um sie ohne finanzielle Garantien zum Weitermachen zu bringen; das Gespanntsein darauf, wie wohl die Weltöffentlichkeit auf das literarische Meisterwerk unserer Generation reagieren würde … und dann eine Benachrichtigung vom Post Office: ›Verbrannt‹.«  Margaret Anderson

Oktober

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»Jane war die Erde für Margarets Feuer, der Kerl für die Frau in ihr, die Depressive im Kontrast zur Hysterika.«  Steven Watson

Zu Margaret Andersons Zeitschrift The Little Review war eines Tages Jane Heap (1883–1964) gestoßen, in Margarets Augen »die beste Unterhalterin der Welt« und ein Genie. Sie waren sieben Jahre ein unzertrennliches Paar, die den Widrigkeiten des Lebens trotzten. In Durststrecken aßen sie Kartoffeln, auf jede nur erdenkliche Weise zubereitet, sie nähten sich ihre Kleider selbst und schnitten einander das Haar – und bestanden immer auf einem Leben in Schönheit.

Oktober

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Die amerikanische Lyrikerin und Dramatikerin Edna St. Vincent Millay (1892–1950) war die dritte Frau, die den Pulitzer-Preis für lyrische Dichtkunst erhielt. Ihre Gedichte hatten eine unverwechselbare Strenge und Form, doch sie selbst war bekannt für ihren unkonventionellen und bohemienhaften Lebensstil. Thomas Hardy sagte einst, dass Amerika zwei große Attraktionen zu bieten habe: die Wolkenkratzer und die Poesie von Edna St. Vincent Millay.

»Meine Kerze brennt an beiden Enden; Sie dauert nicht die Nacht; Aber ah, meine Feinde und oh, meine Freunde – ein schönes Licht sie macht!«

Oktober

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»Wir wurden als spezielle Gruppe angesehen – radikal, wild – und man hat uns als Boheme bezeichnet. Aber mir scheint es, dass wir vor allem einfache Menschen waren, die versuchten, ihr Leben selbstbestimmt zu gestalten. Wir brauchten einander, um uns vor der Komplexität des modernen Lebens zu schützen, um unseren Faible für das Nostalgische auszuleben, einen Garten und Nachbarn zu haben, um das Feuer am Brennen zu halten und die Katze nachts reinzulassen.«  Susan Glaspell

Oktober 43. Woche

Die amerikanische Romanautorin und Dramatikerin Susan Keating Glaspell (1876/1882–1948) gründete 1915 die avantgardistische Theatergruppe The Provincetown Players, für die sie eigene Stücke schrieb. Zu den Mitgliedern gehörten auch Djuna Barnes, Mina Loy und Edna St. Vincent Millay. 1931 erhielt Glaspell den Pulitzer-­ Preis für Theater.

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»Ich bin auf dünnem Eis herumgehüpft, hab an vielen Abgründen Purzelbäume geschlagen.«  Elsa von Freytag-Loringhoven

Zur New Yorker Boheme gehörten nicht nur die Dichterinnen, Stückeschreiberinnen oder Salonnieren, sondern auch die erste Assemblage-­Künstlerin New Yorks: die in Swinemünde geborene Elsa von Freytag-­ Loringhoven (1874–1927). Die Baroness, die auch Gedichte schrieb, machte aus Plastik, Zelluloid und Konservendosen Kunst. Ihre Kunst war grenzüberschreitend, wie die Dichterin selbst, die mit Vogelkäfigen als Halsschmuck, Tee-Eiern als Ohrringe, mit zur Hälfte glatt geschorenem und rot lackiertem Kopf sich selbst zu einem Kunstwerk stilisierte.

Oktober/November

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Reformationstag*

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»Sie war klein, hatte pechschwarze Haare, kurz geschnitten, was zu der Zeit noch selten war. Man konnte weder damals noch später mit ihr über die Straße gehen, ohne dass alle Welt stillstand und ihr nachsah: extravagante weite Röcke und Hosen, unmögliche Obergewänder, Hals und Arme behängt mit auffallendem Schmuck, Ketten Ohrringen … Und dies war die größte Lyrikerin, die Deutschland je hatte.«  Gottfried Benn

Eine extravagante Frau war auch die in Wuppertal geborene Dichterin Else Lasker-Schüler (1869–1945). Mal kleidete sie sich als Mann, mal als Frau, mal war sie Prinz von Theben, Jussuf oder Bagdad. Der siebzehn Jahre jüngere und spätere Liebhaber Gottfried Benn erinnert sich hier an den Star der Berliner Boheme, den er 1912 kennenlernte.

November

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»Nun ist es erfahrungsgemäß tausendmal leichter, die Fakten einer Zeit zu rekonstruieren als ihre seelische Atmosphäre. Sie findet ihren Niederschlag nicht in den offiziellen Geschehnissen, sondern am ehesten in kleinen Episoden – Ruth Landshoff-Yorck.«  Stefan Zweig

Auch Ruth Landshoff-Yorck (1904–1966), Nichte des Verlegers Samuel Fischer, verdrehte im Romanischen Café den Berliner Geistesgrößen den Kopf. Sie wurde gemalt, umworben und geliebt. Aber sie begnügte sich nicht mit dem Geliebtsein; sie raste mit dem Motorrad den Kurfürstendamm entlang, spielte Tennis und Hockey, hatte bereits als Schülerin ihren ersten Filmauftritt in Murnaus Nosferatu, malte und schrieb Gedichte sowie biografische Impressionen über Berliner Berühmtheiten, in denen persönliche Erlebnisse neben scharfen Beobachtungen alltäglicher Details stehen. Stefan Zweig ist von Landshoff-Yorcks Schreibkunst begeistert.

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»Willst du jemand ausprobieren – Dame oder Herrn – geh nicht ins Theater, auch nicht tanzen und dinieren – geh auf Reisen, aber auf sportliche, fahre Ski mit dem auszuprobierenden Geschöpf, oder Auto am besten. Eine Nachtfahrt im Auto und du weißt alles. Ihr sollt stetig fahren, nicht über 90 Kilometer, doch nie unter 50. Solche, die bald mit 120 brausen, bald, fällt es ihnen ein, einen Witz zu erzählen, auf 35 zu sinken oder gar schäkernd zu halten, sind verfehlt und kommen nicht in Frage.«  Erika Mann Die jungen Frauen der Jeunesse dorée sind immer auf dem Sprung. Man trifft sie überall: in der Jockey Bar, im Eden und auf wilden Festen. Immer sind sie unterwegs, wie Erika Mann (1905–1969), die Tochter von Thomas Mann, die eine leidenschaftliche Autofahrerin war und 1931 die ADAC -Rallye In zehn Tagen durch Europa gewann.

November

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»Man tanzt Foxtrott, Shimmy, Tango und den altertümlichen Walzer … Ein geschlagenes, verarmtes, demoralisiertes Volk sucht Vergessen im Tanz. Aus der Mode wird die Obsession; das Fieber greift um sich, unbezähmbar, wie gewisse Epidemien.«  Klaus Mann

November/Dezember 48. Woche

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»Die ehrbaren Leute, die Leonora Carrington zum Diner in ein vornehmes Restaurant eingeladen hatten, haben sich noch nicht vom Schock erholt, den sie bekamen, als sie gewahr wurden, dass sie sich mitten in der angeregtesten Unterhaltung die Schuhe ausgezogen hatte, um sich völlig gelassen die Füße mit Senf zu bestreichen.«  André Breton

Die in England geborene und nach Stationen in Paris, Südfrankreich und New York in Mexiko lebende Malerin und Schriftstellerin Leonora Carrington (1917–2011), Lebensgefährtin von Max Ernst von 1937 bis 1940, gehörte zu den Frauen, die am engsten aus der surrealistischen Bewegung heraus lebten und schrieben.

Dezember

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»Schreiben war meine Freiheit, meine Herausforderung, mein Luxus. Niemand konnte mich hindern, eine Wirklichkeit zu erfinden.«  Elsa Triolet

Die Begegnung mit den führenden Avantgarde-Künstlern, darunter ihr Mann, der Dichter und Romancier Louis Aragon, den sie 1928 in Paris kennenlernte, beeinflusste nicht nur das Leben der in Moskau geborenen Schriftstellerin Elsa Triolet (1896–1970), sondern auch ihr Schreiben. Triolet, die zunächst in ihrer Muttersprache Russisch und ab 1938 in französischer Sprache schrieb, hinterließ ein umfangreiches Werk: Romane, Novellen, Biografien und Essays. 1944 erhielt sie als erste Frau den Prix Goncourt, die höchste literarische Auszeichnung Frankreichs.

Dezember

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Wegen ihrer 1946 erschienenen Autobiografie Ich habe alles gelebt, die mit der freizügigen Schilderung ihrer Lebensgeschichte im prüden Amerika einen Skandal provozierte, zählte Peggy Guggenheim (1898–1979) als Mäzenin und Sammlerin zu den umstrittensten Frauen des 20. Jahrhunderts. Von 1942 bis 1946 war sie mit dem deutschen Maler Max Ernst verheiratet.

»Normalerweise verbrachten wir jeden Abend in den Cafés am Montparnasse. Wenn ich die Stunden zusammenzähle, die ich im Café du Dôme, La Coupole, im Select, im Dingo und im Deux Magots im Saint-Germain-­ Viertel und im Boeuf sur le Toit vertrödelt hab, kommen sicher Jahre zusammen … Ich war die erste befreite Frau. Ich tat alles, war alles; ich war finanziell, emotional und sexuell völlig frei.«  Peggy Guggenheim

Dezember

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»Das Leben hält einen großen Reichtum für uns bereit, wenn wir uns darauf einlassen.«  Mina Loy

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Auch wenn es schwerer ist, mit der Freiheit zu leben als die Freiheit zu erringen, wenn die Frauen Zusammenbrüche und Einsamkeit erlebten, wenn sie Rückschläge erlitten – diese Frauen schritten weiter mutig voran, ohne Beistand, ohne Plan, ohne Vorbild. Trotz aller Ungewissheit ließ sich keine unterkriegen oder gab nach. Sie gestalteten ihr Leben als Frau, wie sie es für richtig hielten.

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So Neujahr


Unsere Kalender-Edition – edel, erlesen und in ganz neuem Gewand !

Geheimnisse der Mode Kulturgeschichte von A bis Z

Künstlerinnen Gedanken berühmter Frauen

2016 Künstlerinnen Hrsg. von Susanne Nadolny 56 Blatt, vierfarbig, 24 × 32 cm, UVP € 22,00 / € 22,70 [A] / SFr 26,90 ISBN 978-3-86915-104-5

Wilde Zeiten 2016 Wochenplaner

Literarische Ostsee

2016

2016

Kalender

Herausgegeben von

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ebersbach & simon 1. Woche

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Geheimnisse der Mode Kulturgeschichte von A–Z Hrsg. von Hélène Jamin Mit Zitaten und Biographien 56 Blatt, vierfarbig, 24 × 32 cm UVP € 22,00 / € 22,70 [A] / SFr 26,90 ISBN 978-3-86915-105-2

Kristine von Soden ebersbach & simon

Literarische Ostsee Hrsg. von Kristine von Soden 56 Blatt, vierfarbig, 24 × 32 cm UVP € 22,00 / € 22,70 [A] / SFr 26,90 ISBN 978-3-86915-106-9

Wilde Zeiten Wochenplaner Hrsg. von Brigitte Ebersbach 53 Fotos, Zitate, Aphorismen und Gedanken 60 Blatt, 2-farbig, Duotone, 29,7 × 10,5 cm, UVP € 9,95 / € 10,30 [A] / SFr 15,90 ISBN 978-3-86915-107-6

Text- und Bildnachweis: Deckblatt: Corbis | 53. KW – Foto: ullstein bild / ullstein bild | 1. KW – Zit. in: Birgit Haustedt, Die wilden Jahre in Berlin, edition ebersbach, Dortmund 1999 – Foto: AKG Images, Berlin | 2. KW – Zit. in: Franz Hessel, Schöne Berlinerinnen, ebersbach & simon, Berlin 2015 – Foto: ullstein bild / ullstein bild | 3. KW – Zit. in: Djuna Barnes, Paris, Joyce, Paris, Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 1988 – Foto: ullstein bild / Roger-Viollet | 4. KW – Zit. in: Andrea Weiss, Paris war eine Frau, ebersbach & simon, Berlin 2015 – Foto: McKeldin Library, Univ. of Maryland and College Park | 5. KW – Foto: INTERFOTO /Granger NYC | 6. KW – Zit. in: Andrea Barnet, Am Puls der Zeit – Frauen in New York, edition ebersbach, Berlin 2014 – Foto: Berenice Abbott / Museum of the City of New York | 7. KW – Zit. in: Ebd. – Foto: Stephen Haweis, Courtesy of Rare Book and Manuscript Library, Columbia University | 8. KW – Zit. in: Heike Herrberg / Heidi Wagner, Wiener Melange, edition ebersbach, Berlin 2014. – Foto: Dora Kallmus, Wien | 9. KW – Zit. in: Hessel, ebd. – Foto: ullstein bild / AKG | 10. KW – Zit. in: Ines Böhner (Hg.), Femmes fatales, Bollmann Verlag, Mannheim 1996 – Foto: INTERFOTO / Mary Evans / Ronald Grant Archives | 11. KW – Foto aus: Christine Bard, Les Garçonnes, Flammarion, Paris 1998 | 12. KW – Zit. in: Irmgard Keun, Das kunstseidene Mädchen, Berlin 2005. – Foto: ullstein-bild | 13. KW – Foto: Marianne Breslauer, Fotostiftung Schweiz, Winterthur | 14. KW – Zit. in: Weiss, ebd. – Foto: ullstein bild / Granger, NYC | 15. KW – Zit. in: Weiss, ebd. – Foto: Yale Collection | 16. KW – Zit. in: Radclyffe Hall, Quell der Einsamkeit, Krug & Schadenberg, Göttingen 1991 – Foto: Verlagsarchiv | 17. KW – Zit. in: Weiss, Paris war eine Frau, Berlin 2015 – Foto: INTERFOTO/CCI | 18. KW – Zit. in: Radclyffe Hall, Deine John. Liebesbriefe, edition ebersbach, Dortmund 1999. – Foto: Verlagsarchiv | 19. KW – Zit. in: Birgit Haustedt, Die wilden Jahre in Berlin, edition ebersbach, Berlin 2013. – Foto: ullstein bild / A telier Jacobi | 20. KW – Zit. in: Herrberg/Wagner, ebd. – Foto: Verlagsarchiv | 21. KW – Zit. in: Ebd. – Foto: Archiv Seemann | 22. KW – Zit. in: Ebd. – Foto: Verlagsarchiv | 23. KW – Zit. in: Ebd. – Foto: ullstein bild / Imagno | 24. KW – Zit. in: Barnet, ebd. – Foto: Yale Collection of American Literature, Beinecke Rare Book and Manuscript Library | 25. KW – Zit. in: Barnet, ebd. – Foto: picture alliance / akg-images | 26. KW – Zit. in: Barnet, ebd. – Foto: Bildarchiv (Yale Collection of American Literature, Beinecke Rare Book Manuscript Library) | 27. KW – Zit. in: Barnet, ebd. – Foto: Ebd. Schomburg | 28. KW – Zit. in: Barnet, ebd. – Foto: Bildarchiv (Yale Collection of American Literature, Beinecke Rare Book Manuscript Library) | 29. KW – Zit. in: Haustedt, ebd. – Foto: ullstein bild / Kurt Huebschmann | 30. KW – Zit. in: Haustedt, ebd. – Foto: ullstein bild / ullstein bild | 31. KW – Zit. in: Lothar Fischer, Anita Berber, edition ebersbach, Berlin 2007. – Foto: Dora Kallmus, Wien | 32. KW – Zit. in: Unda Hörner, Scharfsichtige Frauen, edition ebersbach, Berlin 2010. – Foto: Fotostiftung Schweiz, Winterthur | 33. KW – Zit. in: Haustedt, ebd. – Foto: picture alliance/Mary Evans Picture Library | 34. KW – Zit. in: Weiss, ebd. – Foto: ullstein bild / Roger-Viollet | 35. KW – Zit. in: Weiss, ebd. – Foto: Gisèle Freund / IMEC / Fonds MCC | 36. KW – Zit in: Weiss, ebd.– Foto: Department of Rare Books and Special Collections, Princeton University Libraries | 37. KW – Zit. in: Weiss, ebd. – Foto: Department of Rare Books and Special Collections, Princeton University Libraries | 38. KW – Zit. in: Weiss, ebd. – Foto: The Beinecke Rare Books and Manuscript Library, Yale University | 39. KW – Zit. in: Weiss, ebd. – Foto: Prints and Photograph Division, Library of Congress | 40. KW – Zit. in: Weiss, ebd. – Foto: Golda Meir Library, University Manuscript Collection. University of Wisconsin, Milwaukee | 41. KW – Zit. in: Andrea Barnet, Crazy New York, edition ebersbach, Berlin 2001. – Foto: Library of Congress | 42. KW – Zit. in: Barnet, Am Puls der Zeit, ebd. – Foto: Special Collections, Vassar College Libraries | 43. KW – Zit. in: Barnet, Crazy New York, ebd. – Foto: ullstein bild / Granger, NYC | 44. KW – Zit. in: Brigitte Ebersbach / Susanne Nadolny, 20 Abwege zum Glück, edition ebersbach, Berlin 2010. – Foto aus: Irene Gammel: Die Dada-Baroness, edition ebersbach, Berlin 2005 | 45. KW – Zit. in: Birgit Haustedt, Die wilden Jahre in Berlin, edition ebersbach, Dortmund 1999. – Foto: Literarturarchiv Marbach | 46. KW – Zit. in: Haustedt, ebd. – Foto: ullstein bild / Frieda Riess | 47. KW – Zit. in: Haustedt, ebd. – Foto: Literaturarchiv Monacensia, München | 48. KW – Klaus Mann, Der Wendepunkt. Ein Lebensbericht, Dt. Bücherbund, München 1989 – Foto: AKG Images, Berlin | 49. KW – Zit. in: Unda Hörner, Die realen Frauen der Surrealisten, Bollmann, Mannheim 1996 – Foto aus: Susanne Nadolny (Hg.), Gelebte Sehnsucht, edition ebersbach, Berlin 2005 | 50. KW – Zit. in: Susanne Nadolny, Elsa Triolet, edition ebersbach, Dortmund 2000 – Foto: Europe 1971 | 51. KW – Zit. in: Karoline Hille, Gefährliche Musen, edition ebersbach, Berlin 2007 – Foto: Die Künstlercafés von Paris, München 1998 | 52. KW – Zit. in: Andrea Barnet, Am Puls der Zeit, edition ebersbach, Berlin 2014 – Foto: Camerique/ClassicStock/Corbis

* nicht bundeseinheitlich geregelte Feiertage

www.ebersbach-simon.de

© ebersbach & simon 2015 Text- und Bildredaktion: Brigitte Ebersbach, Berlin Gestaltung und Satz: Lisa Neuhalfen, moretypes, Berlin Druck und Weiterverarbeitung: Bindwerk GmbH & Co. KG , Dresden Printed in Germany ISBN

978-3-86915-103-8


Der literarische Frauenkalender 2016 »Ich persönlich würde alles geben, was ich habe, um wieder in dem Paris sein zu können, wie es war, und an einem Bistro-Tisch zu sitzen, der die gusseisernen Beine im Sägemehl der Schneckenkörbe stehen hat, mit dieser schlecht gebügelten Baumwolltischdecke, die breit über mein bestes Cape fällt – dieser Tischdecke mit dem verkrumpelten Saum, die durchtränkt ist vom Burgunder des Vortags –, eine Karaffe vin ordinaire vor mir, eine ovale Platte mit salade de tomates, eine Schale Kressesuppe, ein blanquette de veau, grüne Mandeln – was auch immer, nur um wieder das traurige, wütende Gebell der Taxihupen zu hören, die anmutig dahinfließende Sprache, wie sie von den Büroangestellten verplaudert wird, die zwei Stunden frei haben zum Essen und zum Diskutieren.« Djuna Barnes

Der berühmte Flaneur und Vertreter der Metropolenliteratur Franz Hessel (1880–1941) setzt den neuen Frauen in Berlin 1929 in der Zeitschrift Vogue ein schmeichelhaftes Denkmal.

»Die moderne Frau gesteht sich Gefühle zu und stürzt sich ins Leben.« Mina Loy

»Schöne Berlinerin, du hast bekanntlich alle Vorzüge. Du bist tags berufstätig und abends tanzbereit. Mit der Geschwindigkeit, in der deine Stadt aus klobiger Kleinstadt sich ins Weltstädtische mausert, hast du Fleißige schöne Beine und die nötige Mischung von Zuverlässigkeit und Leichtsinn, von Güte und Kühle erworben.« Franz Hessel

Obwohl die gebürtige Londonerin Mina Loy (1882–1966) in internationalen Künstlerkreisen verkehrte – sie war Dichterin, Schauspielerin, Designerin, Konzept-Künstlerin –, war ihr Leben nie einfach. In ihrer polyglotten Identität spiegelten sich die »Selbstverwirklichungsstrategien« der »neuen Frau«.

Djuna Barnes (–), Journalistin, Satirikerin, bildende Künstlerin und Romanautorin, ging  als amerikanische Korrespondentin nach Paris. Nach ihrer Rückkehr nach New York erinnert sie sich an die ungewöhnliche Ausstrahlung von Paris.

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      

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»Zum ersten Mal seit dem 18. Jahrhundert war Zivilisation wichtiger als Fortschritt, Ursachen oder Absichten, Logik war wichtiger als Sentiment, Mode wichtiger als Realismus. Und so lebten wir alle in Frankreich, weil die Franzosen schon immer zivilisiert, logisch und modisch gewesen waren.« Gertrude Stein

Sylvia Beach und James Joyce im Eingang der legendären Buchhandlung Shakespeare and Company von Sylvia Beach.

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      

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»Nun ist es erfahrungsgemäß tausendmal leichter, die Fakten einer Zeit zu rekonstruieren als ihre seelische Atmosphäre. Sie findet ihren Niederschlag nicht in den offiziellen Geschehnissen, sondern am ehesten in kleinen Episoden – Ruth Landshoff-Yorck.« Stefan Zweig

Auch Ruth Landshoff-Yorck (1904–1966), Nichte des Verlegers Samuel Fischer, verdrehte im Romanischen Café den Berliner Geistesgrößen den Kopf. Sie wurde gemalt, umworben und geliebt. Aber sie begnügte sich nicht mit dem Geliebtsein; sie raste mit dem Motorrad den Kurfürstendamm entlang, spielte Tennis und Hockey, hatte bereits als Schülerin ihren ersten Filmauftritt in Murnaus Nosferatu, malte und schrieb Gedichte sowie biografische Impressionen über Berliner Berühmtheiten, in denen persönliche Erlebnisse neben scharfen Beobachtungen alltäglicher Details stehen. Stefan Zweig ist von Landshoff-Yorcks Schreibkunst begeistert.

In Paris, wo für die Amerikaner wegen des Dollarkurses das Leben günstig war – zumindest bis zum Börsenkrach 1929 –, war die New Yorker Boheme zu Hause. So trafen Margaret Anderson und Jane Heap (in der Mitte, stehend) den Auslandskorrespondenten ihrer Zeitschrift The Little Review, Ezra Pound (ganz rechts, stehend) sowie Man Ray (kniend mit Kamera); sein Model Kiki (hinter ihm stehend), die Dichterin Mina Loy (kniend) und den Filmemacher Jean Cocteau (mit Spazierstock).

»Sylvia war die perfekte Botschafterin. Und ich bezweifle, dass je eine Staatsbürgerin mehr getan hat, um Amerika im Ausland bekannt zu machen … Berühmt oder nicht, sie brachte alle zusammen, denn wir waren als Künstler miteinander verbunden.« Bryher

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Buß- und Bettag*

»Die moderne Frau gesteht sich Gefühle zu und stürzt sich ins Leben.«  Mina Loy In allen europäischen und amerikanischen Metropolen entstand in den Zwanziger und Dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts eine lebendige weibliche Kulturszene, die Kunst und Literatur, Musik und Philosophie maßgeblich beeinflusst hat. Der literarische Frauen-Kalender zeigt in Wort und Bild diese pulsierende Epoche und ihre kreativen und mutigen Frauen – Schriftstellerinnen, Fotografinnen, Malerinnen, Sängerinnen, Schauspielerinnen, Tänzerinnen, Verlegerinnen, Buchhändlerinnen, Salonièren wie Djuna Barnes, Erika Mann, Gisèle Freund, Leonora Carrington, Josephine Baker, Anita Berber, Marlene Dietrich, Margaret Anderson, Sylvia Beach, Adrienne Monnier, Gertrude Stein u. v. a.

Die Herausgeberin Brigitte Ebersbach, die die edition ebersbach gegründet und schwerpunktmäßig Bücher über die Frauen der Zwanziger und Dreißiger Jahre herausgegeben hat, beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit dem Thema. Der vorliegende Kalender erscheint zum 25-jährigen Verlagsjubiläum.

ISBN 978-3-86915-103-8

www.ebersbach-simon.de


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