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Pennavaire: Geschichte des Tals

zusammengetragen von Ludovico Spiota

Das Pennavaire-Tal bildet die Fortsetzung der Albenga-Ebene in Richtung Berge und beginnt in Martinetto, einem Ortsteil der Gemeinde Cisano sul Neva, und erstreckt sich bis nach Colle di Caprauna in der Provinz Cuneo. Auf der orographisch rechten Seite wird das Tal von den Bergen Monte Nero und Castellermo beherrscht, mit einer maximalen Höhe von 1094 m über dem Meeresspiegel, dominiert von abweisenden geschichteten Kalksteinwänden, zu Türmen und Nadeln formiert, die aus der dichten Vegetation emporragen, so sehr, dass sie den weitaus prachtvolleren Dolomiten ähneln. Dies führte dazu, dass in den 40er Jahren einige wagemutige Bergsteiger (unter anderem der aus Turin stammende De Marchi) von den „Dolomiten des Nordwestens“ sprachen und Routen an einigen Nadeln und Platten erschlossen, doch der keineswegs „freundliche“ Fels begünstigte die Entwicklung des Bergsteigens bzw. Kletterns in diesem Gebiet nicht. Es wird erzählt, dass sogar Cesare Maestri in der zweiten Hälfte der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts, vielleicht als er sich zur Genesung von einer Verletzung in dieser Gegend aufhielt, einmal Hand an diese Wände und Zinnen gelegt hat, aber von seinen Taten ist nur ein Echo geblieben, wie der Klang der Schläge seines Hammers auf die Risshaken, der sich im Wind verliert. Die eigentliche Geschichte des Kletterns im Val Pennavaire beginnt Ende 1989, als Claudio Laureri aus Ando zusammen mit Angela Correggia in der Gegend von Caprauna die ersten beiden Routen im späteren Sektor Rocca dell’Arma einbohrt: Famelica und Climber Cat. Die Würfel waren gefallen. Der Bereich der Rocca dell’Arma wird der höchstgelegene bleiben, auf etwa 1500 m ü.d.M., und nimmt 1990 mit der Erschließung von etwa einem Dutzend Routen erstmals Gestalt an.

Aber Claudio Laureri macht bei Caprauna nicht Halt und steigt auf der Suche nach schöneren Sektoren hinab in Richtung Meer). 1991 erreicht er Castelbianco und erblickt den Bauso: zweifellos einer der interessantesten des Tals. Hier erschließt Laureri einige Wände mit erstklassigem Fels, wie Malavoglia und Fontana, letztere mit ihrer Referenztour: Il Castigo.

Doch Gerüchte über dieses neue Eldorado für Erstbegehungs-Aspiranten haben bereits die Runde gemacht, und der Wind trägt sie dem großen Guru von Finale zu Ohren.

Zwischen 1991 und 1992 erschafft Fulvio Balbi einige Meisterwerke an den Wänden des Bauso, die die Kletterei in der Gegend in die Geschichte eingehen lassen. So entsteht unter anderem Kramer contro Kramer, aber auch andere unglaubliche Routen wie Let’s Play oder die benachbarte Bella e Impossibile. In dem Jahr kommen die ersten großen Namen ins Tal, zumindest unter den Locals, und 1992 richten sich Andrea Gallo und Guido Cortese unter den Überhängen des Antro di Castelbianco ein. Binnen weniger Monate entstehen die ersten Routen im 8. Grad. Aber Andrea macht nicht Halt. Als Visionär schafft er eine Linie, die viele Jahre lang unangetastet bleibt: Perfect Man. Aber seine Weitsicht reicht noch weiter, nämlich, die Route nicht anzutasten, oder noch schlimmer, sie künstlich zu „zähmen“, um sie zu klettern, in dem Glauben, wenn er sie nicht bezwingt, würde es früher oder später jemand anderes tun. Das Kunststück gelingt im Jahr 2016, als Matteo Gambaro in die Höhle kommt: Nach eingehender Untersuchung bohrt er die Linie komplett neu ein, putzt den Fels und sucht nach möglichen Sequenzen. Nach einigen Versuchen gelingt es ihm, die Linie zu befreien (gerade über die Haken) und er schlägt den Grad 9a vor, was im folgenden Jahr durch die erste Wiederholung durch Adam Ondra bestätigt wird. Die Geschichte des Sektors erzählt aber auch davon, dass die „ligurischen Locals“ traditionell ein hohes Maß an Gastfreundschaft gegenüber „Auswärtigen“ zu wahren wussten, so dass ein „unruhestiftender Bengel“, der unter den Überhängen aus Neugierde jede Menge Fragen an die stellte, die dort einbohrten, von diesen auf „wenig freundliche“ Art weggeschickt wurde, was sich später in den

Routennamen „Vattene“ (Scher dich fort) und „Era Ora“ (Es war Zeit) niederschlug. Ohne Namen zu nennen, sollte dieser Bursche aus Savona einer der stärksten Kletterer Italiens und mehrfacher Weltmeister werden...

Aber erst nochmal einen kleinen Schritt zurück. Ende der 70er Jahre wird ein anderer Finaleser Kletterer „geprüften Ursprungs“, Luciano Pizzorni, auf die Plattenfluchten am Castellermo aufmerksam, wo es ihm gelingt, in alpinistischer Manier und nach einem harten Kampf mit der vertrackten Macchia einige Routen freizulegen. Auf seinen Erkundungstouren gelangt Luciano vermutlich zuerst an die Rocca Rossa, wo er die erste Länge einer späteren Mehrseillänge klettert. Persönliche Missgeschicke halten ihn dann von diesem Unterfangen ab, und alles scheint verloren, bis 1992 Claudio Laureri die Rocca Rossa, wegen ihrer charakteristischen Form von den Locals auch „Mezzaluna“ (Halbmond) genannt, wiederentdeckt und zwei, drei Routen eröffnet.

Erzählungen über die Felsqualität der Mezzaluna gelangen über die Grenze des Pennavaire-Tals hinaus zu den Ohren von Manlio Motto, der zu dieser Zeit damit beschäftigt ist, auch am Mongioie Routen von unten zu erschließen (der Berg gleich um die Ecke vom Val Pennavaire). Alle Routen, die Manlio an der Rocca Rossa einbohrt, zeichnen sich dadurch aus, dass er sie von unten erschließt, mit weiten Hakenabständen und obligatorischen Passagen, immer in ausgesuchtem Fels.

Der Sommer kommt und es wird heiß, sogar im Val Pennavaire. Alle bisher erkundeten Sektoren sind „Winterfelsen“, so dass es in der Sommerhitze unmöglich ist, dort zu klettern, es sei denn, man will wie ein Würstchen auf dem Grill enden.

Auf der Suche nach neuen Platten wandert Fulvio Balbi durch das Tal des Rio Croso (Hauptzufluss des Pennavaire) und stößt auf die Rocca del Re, den Königsfelsen, auch wenn er mit Königen nicht viel zu tun hat. Als nämlich die Kartographen des Regimes in den 30er Jahren in die Gegend kamen und die Einheimischen fragten, wie die Wand hieße, antworteten sie im lokalen Dialekt: „Rocca Durà“. Die Kartographen nannten sie dann, um den Namen ähnlich klingen zu lassen und sicher auch, um den Savoyern zu gefallen, Rocca del Re, aber aus dem lokalen Dialekt übersetzt bedeutet Rocca Durà so viel wie goldener Felsen, wegen der Farbe, die die Westwand dieses steinernen Felsaufschwungs bei Sonnenuntergang annimmt.

Fulvio eröffnet auf dieser spiegelglatten Kalksteinplatte ein Dutzend Routen, und damit nicht genug, er holt auch noch einen echten König dorthin: Patrick Berhault. Offensichtlich orientieren sich die Grade, die noch immer für die Schwierigkeit der Routen in dieser Wand angegeben werden, an der „Messlatte“, die der große Berhault anlegte.

1994 trifft auch die A.L.A. San Remo ein, die mit Akteuren wie Roberto Scialli, Peo Vernassa (der Unermüdliche), Davide Ramoino und Flaviano Bessone einige Spuren hinterlässt und vor allem am Bauso Centrale kleine Meisterwerke eröffnet, wie Thecosmilia, Nefertiti oder 400 giorni dopo, sowie auch Timida oder Dulfer in Fundo an der Fontana.

In den 1990ern unternimmt auch Ludovico Spiota, der inzwischen nach Albenga gezogen ist, in einigen Sektoren die ersten Schritte zum Restyling und zur Sanierung mit Klebehaken, angefangen bei Malavoglia und anschließend am Bauso Destro. Aber nicht nur das, er erforscht auch die Gebiete im Unteren Tal und putzt und bohrt die erste Platte auf dem orographisch rechten Ufer des Rio Pennavaire ein: die Placca degli Scorpioni (später „La Ciusa“), so genannt. Er richtet auch die ersten Routen am Terminal ein, um dann gemeinsam mit Fabio Vivalda und Paolo Brusasco nach Caprauna weiter zu ziehen, wo sie 1999 fast alle Routen an der Rocca dell’Arma sanieren und einige neue eröffnen.

Marco Pukli steht dem in nichts nach. Zu Beginn der 90er bohrt er mit den Jungs der A.L.A. San Remo zahlreiche Routen ein und zieht dann zusammen mit seiner Frau Sabina Mao frei umher und entdeckt so wirklich schöne Sektoren, wie Papapuk an der Rocca della Garda oder den Pukli-Sektor am Terminal. Seine Linienführung ist dabei stets äußerst elegant. 1998 führen Ludovico Spiota und Marco Pukli im Rahmen eines von der Provinz Savona finanzierten Projekts die komplette Sanierung aller Routen am Bauso Centrale durch und verleihen dem „Bauwerk“, das angesichts der bequemeren Wände des unteren Tals zunehmend in Vergessenheit geraten war, neuen Glanz.

Im Jahr 2000 kommt auch Marco Zambarino, ein weiterer „Bohrer geprüften Ursprungs“ aus Finale, hinzu, dessen Arbeit sich vor allem im oberen Tal, in den Gemeinden Alto und Caprauna, abspielt, wo er nach neuen Wänden und Sektoren sucht und diese einrichtet.

In den 2000er Jahren wechselt die Entwicklung des Kletterns im Tal die Gangart, aber vor allem die Neigung: mit der Ankunft von Andrea Bisio (Dinda) und Luca Biondi (Blond), die in mühevoller Arbeit die überhängenden Sektoren im Talgrund systematisch einbohren.

So entstehen die Gebiete Emisfero am Taleingang, das Terminal, Cineplex, Reunion und im oberen Tal das beeindruckende Red Up, das durch eine Reihe von überhängenden Sintern in schillernd rotem Fels geprägt ist. Was die Gruppe um Dinda und Blond jedoch auszeichnen wird, ist die Erkenntnis, dass durch die Einrichtung eines Klettergartens die Aufrechterhaltung der Sicherheit in den Vordergrund rücken muss, was eine Menge Wartungsarbeiten mit sich bringt.

Im Jahr 2012 gründet die Gruppe um Dinda den Verein Roc Pennavaire, dessen Hauptziel es ist, neue Sektoren zu erschließen und das Interesse am Klettern im Tal zu fördern. Bald entstehen die ersten B&Bs und der Klettertourismus nimmt zu.

2011 beginnt Matteo Gambaro, sich im Tal umzusehen. Nachdem er die schwierigsten bestehenden Linien alle geklettert hat, versucht er sich zunächst an ungelösten Projekten (2012 entsteht so die erste 8c des Tals) und richtet dann auf der Suche nach dem Extremen in den wesentlichen bestehenden Sektoren neue Routen ein: unter den bekanntesten: Perfect man 2.0 9a in der Höhle von Castelbianco, Anchorage 8c+ am Terminal, Narcissus 9a/+ in der Erboristeria, Time out 8c und Hangargames 8c+ am Hangar, Resistenza 8c und Resilienza Meccanica 8c+ in Euskal, Occhio alla Penna 8c am Calumet... um schließlich komplette neue Sektoren und neue Teilbereiche zu erschließen: Conservatorio, CPR, Il Calumet, Cartoon, Rocca della Garda, Hangar, Capradura (finanziert durch das von Davide Ramoinol gegründete CPR FreeSport-Geschäft in Cisano sul Neva) und die Hop Farm (finanziert durch Samuele Scola/Brauerei), Buteghin und aktuell El Cap (finanziert durch Versante Sud) – ein erheblicher Beitrag und ein Qualitätssprung in den hohen Graden.

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