Drogenkonsum, Lösungsansätze und Lokalpolitik

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Drogenkonsum, Lösungsansätze und Lokalpolitik ························································ Richtlinien für lokale Entscheidungsträger

www.democitydrug.org


Diese Publikation wird von der Europäischen Kommission mitfinanziert. Die alleinige Verantwortung liegt beim Verfasser. Die Kommission haftet nicht für die etwaige Nutzung der in dieser Unterlage enthaltenen Informationen.

······················································································································· Gedruckt im Februar 2008 von Les presses de SNEL – Wottem, Belgien ISBN-Nr.: 2-913181-33-3 EAN-Nr.: 9782913181335

························································································································ EUROPÄISCHES FORUM FÜR URBANE SICHERHEIT 38, rue Liancourt 75014 – PARIS – FRANCE

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EUROPÄISCHES FORUM FÜR URBANE SICHERHEIT Projekt „Democracy, Cities & Drugs” Drogenkonsum, Lösungsansätze und Lokalpolitik

Autorin: Anne Coppel Mit Unterstützung von Elham Kashefi, Susanne Schardt und Thierry Charlois ··············································································································

Mit Unterstützung der :


Inhalt Vorwort 1.Einleitung 11.

1.1 Drogen und europäische Städte

11.

1.2 H arm-Reduction-Strategien im Rahmen des Gesetzesvollzugs und der öffentlichen Gesundheit

13.

1.3 Experimenteller Ansatz auf Verhandlungsbasis

16.

2.1 Lokale Volksvertreter und Forderungen der Gemeinschaft

17.

2.2 A ufgaben und Zuständigkeiten der Volksvertreter

19.

2.3 Der Bedarf an integrierter Politik

23.

3.1 Ämterübergreifende Partnerschaften als Voraussetzung für Aktionen

24.

3.2 Dienststellen im Kontakt mit Drogensüchtigen

26.

3.3 Beteiligung von Bürgern

26.

3.3.1 Gründe für die Beteiligung

26.

3.3.2 Wiederherstellung von Vertrauen

28.

3.3.3 Unterschiedliche Formen der Teilnahme

29.

3.4 Teilnahme der Drogenkonsumenten

31.

3.5 Aufbau von Führungskompetenz und Koordination

31.

3.5.1 E inrichtung eines Lenkungsausschusses

32.

3.5.2 F estlegung der Aufgaben jedes Partners

32.

3.5.3 I mplementierung der Arbeitsgruppen

33.

3.5.4 Aufbau von Führungspositionen

2. Rolle der lokalen Volksvertreter

3. Einrichtung von Partnerschaften

4. Örtliche Beurteilung 35.

4.1 Ein notwendiger Prozess

37.

4.2 Ein pragmatischer Ansatz

38.

4.3 Gemeinsame Beurteilung

40.

4.4 Festlegung der Ziele einer Beurteilung

41.

4.5 Hintergrundinformationen zum Drogenkonsum

41.

4.5.1 Wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Hintergrund der Gegend

42.

4.5.2 N ationale oder regionale Merkmale des Drogenkonsums

42.

5.3 Drogengeschichte in einer Gegend

43.

4.6 Quantitative Bewertung

45.

4.7 Bedarfs- und Mittelanalyse

46.

4.8 Zusätzliche Untersuchungen

47.

4.9 Von der örtlichen Beurteilung zum Setzen von Prioritäten


5. Aufbau einer lokalen Strategie 51.

5.1 Integration der Ziele des sozialen Zusammenhalts

52.

5.2 Harm-Reduction-Ziele in jedem Stadium eines Programms

53.

5.3 Harm-Reduction-Dienste im lokalen Kontext

55.

5.4 Verwaltung integrierter Einrichtungen

55.

5.4.1 Folgen für die Bereitstellung der Dienste

56.

5.4.2 P ersonaleinstellung

57.

5.4.3 Umgang mit Veränderungen

58.

5.5 Weitergabe von Information

58.

5.5.1 Technische Schwierigkeiten

59.

5.5.2 Organisatorische Schwierigkeiten

59.

5.5.3 Politische und ethische Debatten

60.

5.6 Mobilisierung von Ressourcen

60.

5.6.1 Partnerschaften mit Vollzugsbehörden

62.

5.6.2 P artnerschaften mit Gesundheits- und Sozialdiensten

63.

5.7 Vernetzung als effizientes Handlungsinstrument

64.

5.8 Von der Information zur Teilnahme

67.

6.1 Bewertung der nationalen Drogenpolitik

69.

6.2 Qualitative und quantitative Indikatoren

70.

6.2.1 Indikatoren für die Programmverwaltung

71.

6.2.2 Indikatoren für Aktionen, Ergebnisse und Auswirkungen

71.

6.2.3 Bewertende Untersuchungen

73.

6.3 Ergebnisse und Auswirkungen

78.

7.1 Änderung der Einstellung, Änderung der Methoden

79.

7.2 Fördern mittel- und langfristiger Veränderungen

80.

7.3 Grenzen der Maßnahmen

6. Bewertung lokaler Initiativen

7. Für eine Strategie der Veränderung

84.

8. Zusammenfassung

86.

9. Literaturhinweise



Vorwort

Auf institutioneller Ebene fällt den Städten eine wichtige Rolle beim Umgang mit Drogenkonsum und Drogenmissbrauch zu. Denn sie sind verantwortlich für eine koordinierte Lösung zwischen den verschiedenen Ämtern und Beteiligten im Bereich des Drogenkonsums bzw. haben das organisatorische Potenzial. Dazu gehören die Bereiche Soziales und Gesundheit, die diversen Sozialgerichtsbarkeiten, die Polizei, das Vereins- und Verbandswesen mit den Nichtregierungsorganisationen, sonstige Mitglieder und Benutzer der Gemeinschaft, Lokalbesitzer usw. Um sich über ihre Methoden für lokale und integrierte Lösungen für das Problem des Drogenkonsums auszutauschen, haben europäische Städte gemeinsam mit Netzwerken der Zivilgesellschaft in der EU das Projekt „Democracy, Cities & Drugs“ (DC&D) ins Leben gerufen. Die Partner des ersten DC&D-Projektes (2005-2007), das von der Europäischen Kommission mit finanziert wurde, haben sich zu Themen wie der Rolle der Volksvertreter in Bezug auf städtische Drogenstrategien, örtliche „safer dance“-Projekte, die Integration von Drogenberatungsstellen in den Stadtteilen, die Einbeziehung örtlicher Verbände im medizinischen und wissenschaftlichen Bereich, von Minderheiten oder spezifischen Gruppen ausgetauscht. Der vorliegende Leitfaden ist das Ergebnis der Arbeitsgruppe “Netzwerk der Partnerstädte“ des Europäischen Forums für Urbane Sicherheit (EFUS) unter Beteiligung der Städte Charleroi (Belgien), Enschede (Niederlande), La Spezia (Italien), Ljubljana (Slowenien), Matosinhos (Portugal), Prag (Tschechische Republik) und Saint Gilles (Belgien). Dieser Leitfaden ergänzt die Leitfäden1 aus anderen DC&D-Arbeitsgruppen und gibt einen allgemeinen Überblick über das Thema. Eventuelle politische Entscheidungen müssen berücksichtigen, dass Drogen nicht einfach verschwinden werden. Deshalb ist es erforderlich, nachhaltige Lösungen zu finden, um sich an neue Entwicklungen anzupassen. Die Entwicklung der lokalen partizipativen Demokratie trägt dem Rechnung, und die größte Herausforderung besteht für eine Stadt darin, Partnerschaften einzurichten, an denen sowohl Drogenkonsumenten als auch Einwohner beteiligt sind. Die Umsetzung integrierter und partizipativer politischer Maßnahmen für örtliche Drogenprobleme sollen so einen Beitrag zur Entwicklung neuer Formen der Lokaldemokratie leisten, und der Austausch über die Methoden zwischen den Städten in der EU soll das europäische Drogenpolitikmodell auf Basis eines ausgewogenen Ansatzes zwischen Angebot, Nachfrage und Drogenspezifischen Harm-Reduction-Strategien stärken. Weitere Informationen zum DC&D-Netzwerk erhalten Sie auf der Homepage www.democitydrug.org (1) Leitfäden verfügbar unter www.democitydrug.org

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Einleitung

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1.1. Drogen und europäische Städte

Viele europäische Städte kämpfen seit über 20 Jahren mit Problemen im Zusammenhang mit Drogenkonsum und Drogenhandel. Von Barcelona bis Frankfurt, von London bis Rotterdam engagieren sich zahlreiche Städte mit unterschiedlichen Mitteln und Kapazitäten, unterschiedlichen Geschichten und rechtlichen Rahmenbedingungen für die Entwicklung von Initiativen. Einige Initiativen sind Bestandteil des Strafvollzugs, während andere ein Teil der öffentlichen Gesundheitspolitik sind. Manche Städte haben eine stärker integrierte Drogenpolitik entwickelt, welche Prävention, Behandlung und Harm Reduction ebenso wie strafrechtliche Maßnahmen für Drogenkonsum und Drogenhandel umfassen. Während alle großen Städte in Mittel-, West- und Osteuropa mittlerweile mit Problemen im Zusammenhang mit den Folgen des Drogenkonsums (für einzelne Konsumenten ebenso wie für die gesamte Gesellschaft) konfrontiert sind, wäre es unrealistisch, ein Modell vorzuschlagen, das sich systematisch in allen Städten abbilden ließe. Denn jede Stadt hat ihren eigenen sozialen, gesetzlichen und politischen Kontext sowie unterschiedliche Drogenprobleme. Ziel dieses Leitfadens ist die Feststellung gemeinsamer Merkmale der verschiedenen Methoden, die von örtlichen Gruppierungen beim Umgang mit Drogenproblemen eingesetzt werden. Der vorliegende Ansatz basiert auf Grundsätzen, welche allen politischen Maßnahmen in Städten gemeinsam sind: [·] F örderung einer integrierten Politik (öffentliche Gesundheit, Gesetzesvollzug, sozialer Zusammenhalt) [·] E ntwicklung von Lösungen, die an örtliche Probleme und verfügbare Ressourcen angepasst werden können [·] S tärkung der Zusammenarbeit zwischen wichtigen Beteiligten (Stadträte, Kreistage, nationale Regierung, öffentliche Dienste und privater Sektor, Nichtregierungsorganisationen und Bürger). 1.2. Harm-Reduction-Strategien im Rahmen des Gesetzesvollzugs und der öffentlichen Gesundheit

Bürger werden oft zum Handeln motiviert, wenn sie an ihrem Wohnort mit problematischem Drogenkonsum konfrontiert sind. Örtliche Behörden handeln manchmal, wenn sie sich der Folgen dieses problematischen Drogenkonsums für die Gemeinschaft bewusst werden. Die Polizei ergreift möglicherweise Maßnahmen und verhaftet Dealer, doch viele bleiben von der Polizei unbemerkt. Zudem haben zahlreiche Drogenkonsumenten im Rahmen der öffentlichen Gesundheitsmaßnahmen keinerlei Kontakt zu Beratungsstellen, die ihnen eine gewisse Unterstützung anbieten können.

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In vielen Fällen hat sich die öffentliche Gesundheitspolitik abgesehen von der Bedrohung, die sie im Hinblick auf die Ausbreitung von AIDS darstellen können, absolut nicht mit dem Schutz der Gesundheit von Drogenkonsumenten selbst befasst. Allerdings wurden inzwischen eine ganze Reihe von Maßnahmen ergriffen, um Drogenkonsumenten im Kontext ihres täglichen Lebens zu helfen. Durch Kontaktaufnahmen gelingt es, Drogenkonsumenten auf der Straße, in besetzten Häusern, in Lokalen oder in der Partyszene zu erreichen. Beratungsstellen können rund um die Uhr in Bereitschaft sein und an die jeweilige Zielgruppe angepasst werden. Ferner können professionelle Netzwerke an Orten intervenieren, an denen eine Kontaktaufnahme mit Drogenkonsumenten erfolgen kann, wie beispielsweise über Krankenhäuser, Notaufnahmen, Gefängnisse oder im sozialen Wohnungsbau. Harm Reduction ist Bestandteil der öffentlichen Gesundheitspolitik. Ziel der HarmReduction-Dienste ist der Schutz der Gesundheit einzelner Drogenkonsumenten. Da diese Stellen sich in erster Linie an problematische Drogenkonsumenten wenden, können sie auch einen Beitrag zur Sicherheit in den Stadtvierteln und zum sozialen Zusammenhalt leisten. Die erreichten Ergebnisse zeigen, dass der Schutz von Gesundheit und Wohlbefinden von Drogenkonsumenten und die Förderung der allgemeinen Sicherheit durchaus miteinander vereinbar sind, weil es den Teilnehmern an örtlichen Programmen ermöglicht wird, nicht mehr auf der Straße zu leben und keine Bedrohung mehr für die örtliche Gemeinschaft darzustellen. Drogenbehandlungsstellen bieten Möglichkeiten für problematische Drogenkonsumenten, um das Ausmaß ihrer Abhängigkeit zu reduzieren und dadurch die negativen Folgen ihres Drogenkonsums zu verringern. Mit der Unterstützung von Drogenbehörden und Sozialarbeitern gelingt es vielen Konsumenten, sich erneut in die Gesellschaft zu integrieren. Während die Bereiche öffentliche Gesundheit, Gesetzesvollzug und sozialer Zusammenhalt von jeher eigene Ziele verfolgen und unabhängig arbeiten, sprechen wir uns in diesem Leitfaden für einen stärker integrierten Ansatz aus. Im vorliegenden Leitfaden geht es um Lösungsansätze für Drogenkonsumenten, die Bestandteil einer breiter integrierten Drogenpolitik sind. [·] Harm Reduction steht als Ergänzung zu Prävention und Behandlung. [·] H arm Reduction ergänzt aber auch die Polizeidienste, die künftig nicht mehr allein an vorderster Front stehen (wie beispielsweise in ärmeren Gegenden oder an Orten mit einer offenen Drogenszene). Eine integrierte Drogenpolitik auf lokaler Ebene ist unerlässlich: Im Rahmen von Partnerschaften kann effizient in Gegenden eingegriffen werden, in denen problematischer Drogenkonsum herrscht, wobei die Interventionen auf bestimmte Zielgruppen

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wie Minderjährige, Einwanderer, Mütter und Kinder, inhaftierte Drogenkonsumenten oder kurz vor der Entlassung sowie Prostituierte angepasst werden. 1.3. Experimenteller Ansatz auf Verhandlungsbasis

Die Ausweitung der Dienste hängt von der nationalen und regionalen Drogenpolitik ab. Manche Projekte sind experimenteller Art, andere bereits etabliert. Einige sind im freiwilligen Bereich angesiedelt, andere befinden sich im gesetzlichen Rahmen. Die Schaffung von Einrichtungen für Drogenkonsumenten führte in vielen europäischen Städten oft zu negativen öffentlichen Debatten. Die erste Reaktion der Anwohner lautet oft, dass sie solche Zentren nicht in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft haben wollen. Doch wenn über den Standort der Einrichtungen ordentlich mit den Anwohnern verhandelt wurde (wie in Deutschland, der Schweiz und den Niederlanden), fiel die öffentliche Meinung oft positiver aus. Aus einer landesweiten Erhebung in der Schweiz ergab sich, dass örtliche Anwohner diese Projekte akzeptieren, wenn belegt werden kann, dass sie sich positiv auf die Sicherheit im Viertel auswirken. Die Bereitstellung von Einrichtungen für Drogenkonsumenten wirft noch weitere Fragen auf, die Gegenstand öffentlicher Debatten sind: >W elche Dienste sollen für Drogenkonsumenten bereit gestellt werden? In welchem Umfang sollen sie finanziert werden? >W as bedeutet „Drogenkonsum akzeptieren“? Soll toleriert werden, dass Menschen in bestimmten Gegenden illegale Drogen konsumieren? Welchen Status sollen Drogenkonsumenten als Bürger und Einwohner der Stadt haben? >W ie soll die Zusammenarbeit zwischen Gesundheits- und Vollzugsbehörden aussehen? Welche Informationen sollten ausgetauscht werden? Neue Strategien in punkto Drogen müssen zwar ein Gleichgewicht zwischen der Sicherheit der Allgemeinheit und der Freiheit des Einzelnen aufrecht erhalten, erfordern aber die Einbeziehung aller Schlüsselbeteiligten, wie Fachleute, Politiker, Volksvertreter, Nichtregierungsorganisationen, Bürger und insbesondere der Drogenkonsumenten selbst. Viele Städte in ganz Europa haben eine Zunahme der Projekte im Zusammenhang mit Drogen verzeichnet, da die Volksvertreter auf Grund ihrer Verantwortung für die Gesundheit und das Wohlbefinden der Bürger, die sie vertreten, zum Handeln gezwungen waren. Diese Projekte sind aber nur möglich, wenn sie durch Gesundheits- und Sozialämter finanziert werden, und brauchen Zugang zu Fachwissen oder die Beteiligung von Nichtregierungsorganisationen. Neue Modelle für Drogenpolitik wurden im Rahmen eines solchen kollektiven Ansatzes entwickelt, der mit den Anforderungen der städtischen Politik in anderen Bereichen übereinstimmt.

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Dieser Leitfaden begleitet andere Leitfäden über Straffälligkeit und Verbrechensbekämpfung sowie zum Thema Drogen.2

(2) S iehe Verzeichnis der Publikationen des Europäischen Forums für Urbane Sicherheit unter www.fesu.org Siehe methodologische Leitfaden unter www.who.int und www.emcdda.europa.eu

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Rolle der lokalen Volksvertreter

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2.1. Lokale Volksvertreter und Forderungen der Gemeinschaft

Nicht selten kommt es zu einem öffentlichen Aufschrei, sobald Gerüchte in Bezug auf Drogenkonsum oder Drogenhandel in besetzten Häusern oder an öffentlichen Orten aufkommen, oder wenn Drogenkonsumenten auf den Straßen zu sehen sind. Die Anwohner können sich an ihre Volksvertreter wenden, um sich mit diesen Problemen zu befassen. Sie können sich Sorgen über die allgemeine Sicherheitslage machen oder über Gerüchte im Zusammenhang mit Drogen an den Schulen ihrer Kinder, oder sie haben möglicherweise von Todesfällen auf Grund von Überdosis oder Unfall gehört. Unabhängig von der Art ihrer Besorgnisse oder ihrer Forderungen erwarten die Bürger oft repressive Maßnahmen, wie zum Beispiel das Vertreiben bekannter Drogenkonsumenten aus bestimmten Vierteln oder mehr Verhaftungen, Verurteilungen oder Gefängnisstrafen für Drogenkonsum. Solche Maßnahmen scheinen den Forderungen der Bürger zu entsprechen und danach streben auch viele Städte kontinuierlich. Die Polizei kann unverzüglich durchgreifen und dafür sorgen, dass Drogenkonsumenten aus öffentlichen Bereichen verschwinden, doch die Erfahrung zeigt, dass Drogenkonsumenten dann oft einfach in einem anderen Viertel wieder auftauchen. Wenn sie keine öffentlichen Bereiche nutzen können, begeben sie sich eben auf Privatgelände, zu dem sie sich leicht Zugang verschaffen können, wie die Eingangsbereiche von Gebäuden oder Parkplätze. Somit stellt sich die Frage, ob wir auf Basis eines derartigen Ansatzes nicht ein Stadtviertel zum Nachteil eines anderen bevorzugen. Je ärmer eine Gegend, desto verhaltener die Forderungen der Gemeinde: Dabei sind gerade fehlende Klagen Anlass zu Sorge! Denn sie können ein Hinweis auf eine ernstzunehmende Vertrauenskrise gegenüber Institutionen oder der Demokratie an sich sein. Die Frage ist, ob die Behörden im Kampf gegen Drogen machtlos werden... Forderungen der Gemeinde in Bezug auf Drogen müssen ernst genommen werden. Vorurteilen oder emotionalen Reaktionen darf dabei nicht nachgegeben werden. Während es eindeutig wichtig ist, Maßnahmen auf Basis der örtlichen Anforderungen zu ergreifen, ist diese Arbeit mit zahlreichen Schwierigkeiten konfrontiert. Zum Beispiel: [·] M angel an angemessener Betreuung problematischer Drogenkonsumenten – die aktuelle europäische Gesetzgebung fördert die Behandlung von Drogensucht, aber die Behandlungsstellen verlangen üblicherweise, dass die Konsumenten ein gewisses Maß an eigener Motivation mitbringen. Die Schwierigkeit dabei ist, dass problematische Drogenkonsumenten per definitionem nicht unbedingt in der Lage sind, Verantwortung zu übernehmen und motiviert zu sein. [·] Mangelnde Kenntnisse in der Öffentlichkeit über Drogensucht und Drogenhandel – Bürger, die mit Drogenproblemen konfrontiert sind, wollen eine sofortige und effiziente Lösung für diese Probleme, sei es durch Repression oder durch Behandlung. Doch weder Behandlung noch Bekämpfung von Drogenhandel kann zu so-

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fortigen und systematischen Ergebnissen führen. Drogensucht lässt sich nicht wie Tuberkulose durch einfache Einweisung ins Krankenhaus behandeln. Der Kampf gegen Drogenhandel erfordert langwierige, komplizierte Untersuchungen, um zumindest Teilerfolge zu erzielen. [·] Mangel an koordinierten Antworten von staatlicher Stelle – Dies wird durch das Vorgehen der Vollzugsbehörden veranschaulicht, die Drogenkonsumenten nach Verhaftung und Haftstrafe einfach wieder auf freien Fuß setzen, ohne sie an Gesundheits- und Sozialämter zu überweisen. Manchmal gibt es auch dann keine Zusammenarbeit, wenn ein Drogenkonsument Kontakt mit einer Behandlungsstelle aufgenommen hat. Angesichts dieser Situation können wir berechtigter Weise davon ausgehen, dass Vollzugs- und/oder Gesundheitsbehörden ineffizient sind. Wenn Forderungen der Allgemeinheit nach öffentlicher Sicherheit nicht berücksichtigt werden, können die Einwohner die Effizienz der Institutionen und Behörden beim Umgang mit den Problemen anzweifeln und dieser Mangel an Vertrauen verstärkt die Konflikte zwischen Drogenkonsumenten und anderen Bürgern. Diese Konflikte werden zudem durch andere Faktoren angeheizt, wie Missverständnisse zwischen den Generationen, Vorurteile gegenüber ethnischen Minderheiten oder am Rande der Gesellschaft stehenden Bevölkerungsgruppen. Kontinuierliche Kommunikation und Dialog zwischen örtlichen Behörden und Einwohnern ist daher wichtig und notwendig. Da viele Bürger bereits Erfahrung mit den Folgen des Drogenkonsums in ihrem Umfeld gemacht haben, ist es möglich, durch Diskussionen und Gespräche eine Lösung zu finden, die für alle positiv ist. Es ist allgemein bekannt, dass die negativen Folgen von Drogenkonsum, ebenso wie bei Alkoholmissbrauch, für die Gesellschaft insgesamt, aber auch für die Drogenkonsumenten selbst äußerst ernst sind. Zwar müssen wir anerkennen, dass es keine schnellen Lösungen gibt, aber dennoch müssen wir Antworten finden, die sowohl für die Drogenkonsumenten als auch für die Allgemeinheit von Vorteil sind. 2.2. Aufgaben und Zuständigkeiten der Volksvertreter

Das erste Hindernis, mit dem die Volksvertreter auf lokaler Ebene konfrontiert sind, ist die Trennung von Verantwortungsbereichen und Zuständigkeiten. Die Vereinbarungen unterscheiden sich in jedem Land auf jeder Ebene (auf nationaler, regionaler, städtischer und Bezirksebene). Die Behörden auf jeder Ebene können die Verantwortung für die Sicherheit der Allgemeinheit, Gesundheit, Bildung, Wohnungsbau und Städteplanung sowie für Drogenpolitik teilen. In manchen Ländern sind lokale Behörden für die Drogenpolitik verantwortlich, die häufig zwischen Regionen und Städten aufgeteilt ist (z.B. in Spanien, Italien und Belgien oder den deutschen Bundesländern). In diesen Ländern sind die Befugnisse der Lokalpolitiker, um auf Drogenprobleme zu reagieren, mit ihren Zuständigkeiten

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für andere Themen im Zusammenhang mit Drogen verknüpft, wie zum Beispiel die Sicherheit der Allgemeinheit, Gesundheitspolitik oder Bildung. Für staatliche und städtische Stellen ist es gang und gäbe, die Verantwortung für Drogen-, Gesundheits- und Sicherheitspolitik zu teilen. Der Staat kann dabei für den Umgang mit Drogenhändlern verantwortlich sein, während Lokalpolitiker für alltägliche Aspekte der allgemeinen Sicherheit zuständig sind. Harm Reduction und Prävention fallen meist in die Zuständigkeit der Stadtverwaltungen, während Behandlung und/oder Gesetzesvollzug eher nationale Kompetenzen sind. In Ländern, wo über die Drogenpolitik auf nationaler Ebene entschieden wird, wie beispielsweise in Großbritannien und Frankreich, ist die Rolle der Lokalpolitiker unterschiedlich. In Großbritannien werden Stadträte (bei denen es sich um gewählte Volksvertreter handelt) in die Entscheidungsfindung über Drogenbekämpfungsstrategien auf lokaler Ebene einbezogen. In Frankreich hingegen wird vom Staat ein Projektleiter ernannt, der für die gesamte Politik verantwortlich ist und der mit den zuständigen Dienststellen darüber verhandelt, welche Projekte auf lokaler Ebene gebraucht werden. Verständlicherweise waren die örtlichen Behörden in europäischen Städten, in denen Drogenpolitik erstmals entwickelt wurde, wie in der Schweiz, in Deutschland und den Niederlanden, hierzu befugt. Doch unabhängig von den Zuständigkeiten im Zusammenhang mit der Drogenpolitik sind Lokalpolitiker verpflichtet, im Rahmen von behördenübergreifenden Partnerschaften zusammenzuarbeiten, an denen eine Reihe von Dienststellen und Ämtern, Nichtregierungsorganisationen, die Privatwirtschaft und Gemeinschaftsvertreter beteiligt sind. Unabhängig von ihren offiziellen Zuständigkeiten müssen gewählte Volksvertreter aus den nachstehenden Gründen ein stärkeres Engagement im Zusammenhang mit Drogen zeigen: [·] O bwohl sie möglicherweise nicht für die örtliche Drogenpolitik oder Drogenbehörden verantwortlich sind, sind gewählte Volksvertreter für die allgemeine Sicherheit und das Wohlbefinden der Menschen verantwortlich, die sie vertreten. Probleme wie Drogenhandel, Gewalt, Kriminalität, Marginalisierung und soziale Ausgrenzung, ansteckende Krankheiten, Risikoverhalten bei jungen Leuten und das Auseinanderbrechen von Familien bedrohen die sozialen Beziehungen im täglichen Leben der Menschen. Die Volksvertreter müssen nach Möglichkeiten suchen, um die Lebensqualität zu verbessern, die allgemeine Sicherheit zu fördern und Gesundheit und Wohlbefinden der Anwohner zu schützen. Die Drogenfrage kann aus Debatten über öffentliche Gesundheit und allgemeine Sicherheit nicht ausgeschlossen werden. Die ernst zu nehmenden Folgen der Verbreitung des AIDS-Virus haben vielen Menschen die Risiken im Zusammenhang mit Drogeninjektionen und der gemeinsamen Verwendung von Nadeln/Spritzen klar gemacht,

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doch auch die fehlenden Behandlungsmöglichkeiten hatten negative Folgen, und das nicht nur hinsichtlich der Verbreitung von AIDS. Erste Drogenprojekte wurden als Reaktion auf offene Drogenszenen errichtet, wo die Konsumenten sich in öffentlichen Bereichen treffen, um Drogen zu kaufen und zu konsumieren. Doch die Anwohner machen sich Sorgen, weil sie Drogenkonsumenten in Privatbereichen wie Treppenhäusern, Aufzügen oder Parkplätzen und damit an Orten treffen, die möglicherweise nicht unter die Strategien für öffentliche Bereiche fallen. Auch mangelnde Behandlungsmöglichkeiten an bestimmten Orten wirken sich auf die allgemeine Sicherheit aus. [·] Interventionen gegen Drogenmissbrauch müssen an die örtlichen Anforderungen und Ressourcen angepasst werden. Um effizient zu sein, müssen diese Maßnahmen kontextspezifisch sein. Wichtig ist, dass Lokalpolitiker einbezogen werden, weil sie enge Kontakte zur Öffentlichkeit pflegen und außerdem einen Einblick in die lokale Thematik haben. Sie wissen, wie die Dienste funktionieren und welche Beziehungen zwischen den einzelnen Behörden bestehen. Deshalb sind sie optimal aufgestellt, um die Qualität der angebotenen Dienste zu bewerten. [·] Die Effizienz der Interventionen hängt von der Zuverlässigkeit der Beteiligten ab. Fachleute für Strafrecht vertreten andere Auffassungen als Beschäftigte im Gesundheitswesen und in der Sozialarbeit, wenn es um die Probleme geht. Zudem vertreten möglicherweise keine zwei Fachleute dieselbe Ansicht in Bezug auf effiziente Lösungen für das Drogenproblem. Es kann sogar unterschiedliche Auffassungen unter Fachleuten aus demselben Sektor geben (beispielsweise zwischen Allgemeinärzten und Beratern oder der Polizei und Richtern) oder es kann Unterschiede zwischen den Sektoren geben (wie zum Beispiel zwischen Vertretern des Gesundheitswesen und der Sozialarbeit). Jeder definiert das Problem auf seine Art. Doch unabhängig von ihren Differenzen müssen die Behörden gemeinsame Zielsetzungen auf Basis örtlicher Beurteilungen und Analysen ausarbeiten. Dabei sind Meinungsverschiedenheiten zwischen den verschiedenen Partner möglicherweise unumgänglich. In diesem Fall dürfte der Bürgermeister oder der Vorsitzende des Stadtrates am ehesten in der Lage sein, die Dinge voranzubringen, um zu einer Einigung zu gelangen. 2.3. Der Bedarf an integrierter Politik

Stadträte zögern möglicherweise, sich an einer Harm-Reduction-Politik für Drogenkonsumenten zu beteiligen, weil sie die Reaktion der Bürger fürchten. Die Behörden könnten der Auffassung sein, dass sie sich entscheiden müssen zwischen dem „Verjagen der Drogenkonsumenten aus der Gegend“ oder der Bereitstellung von Einrichtungen zum Umtauschen von Nadeln. Vorurteilen zum Trotz sind diese vereinfachenden Trennungen nicht notwendig. Ein integrierter Ansatz kann funktionieren, muss aber klar erklärt und diskutiert werden. Die Bereitstellung sauberer Nadeln

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und Spritzen wird generell als notwendig anerkannt, da Vertreter der Ärzteschaft ihre absolute Notwendigkeit im Kampf gegen AIDS und Hepatitis bestätigt haben. Den Bürgern ist mittlerweile klar geworden, dass das Verjagen der Drogenkonsumenten von einem Stadtteil in einen anderen keine angemessene Antwort auf die Probleme ist, mit denen ihre örtliche Gemeinschaft konfrontiert sind. Die Situation erfordert unterschiedliche Strategien, je nachdem, ob man es mit Kindern und jungen Menschen, obdachlosen Drogenkonsumenten, Party- oder Festivalbesuchern, Lokalbesuchern oder Drogenhändlern auf der Straße zu tun hat. Ein Harm-Reduction-Ansatz hat auf jeden Aspekt der Drogenpolitik Auswirkungen, einschließlich Prävention, Behandlung und Gesetzesvollzug. [·] P rävention: junge Menschen, die weder abhängig sind noch eine Behandlung brauchen, können Informationen über die verschiedenen Drogen, ihre Wirkung und die Risiken der jeweiligen Einnahmemethode erhalten; [·] B ehandlung: es werden Kontakte mit Drogenkonsumenten in ihrem täglichen Umfeld hergestellt, um den Zugang zu Behandlung zu verbessern. Diese Kontakte müssen wiederhergestellt werden, wenn sie abbrechen. [·] G esetzesvollzug: Die Polizei und Harm-Reduction-Projekte kommen im selben Bereich zum Einsatz. Die Kooperation sollte daher vertieft werden. Die Polizeidienste sollten intravenöse Drogenkonsumenten, die zu einem Programm für Spritzentausch stoßen, nicht verhaften. Wenn Drogenkonsumenten verhaftet werden, sollte die Polizei sie an die entsprechenden Stellen überweisen. Eine integrierte Drogenpolitik muss mit allen anderen Bereichen der städtischen Politik zusammen arbeiten, wie Bildung, Städteplanung und Gemeinschaftsprogrammen. Dies gilt insbesondere für Sozialpolitik wie Wohnungsbau und Reintegration. Durch zunehmende Behandlungsmöglichkeiten werden Verbrechen und Kriminalität verringert. In Methadon-Substitutionsprogrammen wird der Rückgang im Durchschnitt auf 70% geschätzt (siehe Kapitel 6, Bewertung). Durch die Bereitstellung von Nadeln erhalten Sozialarbeiter die Möglichkeit, Kontakt mit davor unbekannten Drogenkonsumenten aufzunehmen. Dadurch kann auch ein Beitrag zur Verringerung gesellschaftlicher Unruhe geleistet werden, wenn die Sozialarbeiter Drogenkonsumenten dabei helfen, Zugang zu Rehabilitationsprogrammen, Notunterkünften und Arbeit zu erhalten. Beispielsweise wird in Frankfurt eine Beratungsstelle für Drogensüchtige in einer ehemaligen Fabrik betrieben, die zwischen einige Stunden täglich bis rund um die Uhr geöffnet ist. Es gibt Kochgelegenheiten sowie diverse Möglichkeiten, um sich an Aktivitäten zu beteiligen. Ferner werden von den Programmpartnern aus dem Wirtschaftssektor Ausbildungsmöglichkeiten angeboten.

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Drogen sind eines von vielen Problemen, mit denen europäische Städte konfrontiert sind, doch der Umgang damit ist nicht weniger schwierig als der mit beliebigen anderen sozialen Problemen. Stadträte müssen die Drogenpolitik möglicherweise in bestehende Initiativen integrieren, um Möglichkeiten für das Managen neuer Zuständigkeiten zu finden. Die Erfahrung in Europa zeigt, dass Harm-Reduction-Programme ohne die Beteiligung von Kommunalpolitikern gar nicht durchgeführt werden oder ihre Effizienz begrenzt ist, da niemand die Aktionen der Partnerstellen abstimmt. Je mehr Kommunalpolitiker sich engagieren, desto eher wird ein Projekt akzeptiert und desto effizienter ist es.

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03

Einrichtung von Partnerschaften

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3.1. Ämterübergreifende Partnerschaften als Voraussetzung für Aktionen

Die erste Stufe jedes lokalen Programms muss darin bestehen, Partner zu finden und partnerschaftliche Zusammenarbeit zu ermöglichen. Die Partner müssen in die ursprüngliche Prüfung der Anforderungen und Dienste sowie in die Entwicklung von Zielen der Partnerschaft einbezogen werden. Für die Initiierung eines solchen Projektes müssen Stadträte: [·] R elevante Beteiligte ermitteln - relevante Beteiligte oder Organisationen stehen im Kontakt mit Drogenkonsumenten, unabhängig davon, ob sie einen entsprechenden Auftrag besitzen oder nicht. [·] P artnerschaften einrichten – Die Stadträte müssen entscheiden, welche Partner einbezogen werden sollen und welche Zuständigkeiten sie haben sollten. Partnerschaften entwickeln sich in jedem Projektstadium – Die anhaltende Entwicklung des Projektes kann zur Identifizierung und Einbeziehung neuer Partner führen. Unterschiedliche Ebenen müssen organisiert werden, ausgehend von den Zuständigkeiten der Partner (Straße, Verwaltung, Politik). Spezifische Arbeitsgruppen könnten für spezifische Zielsetzungen erforderlich sein, wie beispielsweise die Prävention von Rückfälligkeit, Bereitstellung von Unterkünften und Schutz von Müttern und Kindern. Einige Partner werden nur in bestimmten Etappen einbezogen, während andere über das gesamte Projekt hinweg beteiligt sind. Aufbau von Partnerschaften als Teil einer Strategie für Veränderungen: Jede Dienststelle erkennt die Konsequenzen ihrer Maßnahmen auf andere Dienststellen. Wenn beispielsweise eine Drogenbehörde einen Drogenkonsumenten auf Grund von gewalttätigem Verhalten ausschließt, beeinträchtigt dieser Ausschluss seine oder ihre Chancen, im sozialen Wohnungsbau unterzukommen, weil keine Überweisungen vorgenommen werden können. Dies zwingt den problematischen Drogenkonsumenten zurück auf die Straße, was wiederum Probleme für die Leute im Viertel schafft. Wenn die Polizei einen Drogenabhängigen festnimmt, werden Behandlung und Reintegration oft unterbrochen. Fachleute aus dem Gesundheitsund Sozialbereich haben daher den Eindruck, dass sie ihre Zeit verloren haben, und spätere Verbrechen werden wahrscheinlicher. Fehlender Zugang zu Behandlung betrifft im Wesentlichen die Drogenkonsumenten selbst. Ihre Gesundheit verschlechtert sich und ihre Lebenserwartung sinkt um bis zu 70% (siehe Kapital 6 Bewertung). Auch die Bürger sind betroffen, weil Drogenkonsumenten, die keine Behandlung erhalten, oft wieder auf die Straße gehen. Da sie im Rahmen des Stadtrates organisiert werden, müssen Drogenpartnerschaften einen neuen Beteiligten aufnehmen: den Bürger. Die Partnerschaft führt dazu, dass Dienststellen im allgemeinen Interesse handeln, was die Interessen sowohl der Drogenkonsumenten als auch anderer Bürger umfasst.

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Wenn Partnerschaften gut funktionieren, lernen alle Partner voneinander: Jeder versteht, wie andere Partner arbeiten. Sie führen gemeinsame Bewertungen durch und arbeiten zusammen, um Lösungen für die Probleme zu entwickeln, mit denen sie konfrontiert sind. Aber um dies zu erreichen, ist eine Entschlossenheit zur Aufrechterhaltung eines offenen Dialogs und einer Kommunikation zwischen allen Partnern erforderlich, während auch nicht vergessen werden darf, dass die Behörden oft dazu tendieren, ihre eigenen internen Bestimmungen anzuwenden, ohne die Folgen ihres Handelns zu berücksichtigen. Durch das Zusammenbringen aller institutionellen Akteure kann die Partnerschaft sehr formell werden. Für den Aufbau von Partnerschaften sind Entscheidungen erforderlich: örtliche Entscheidungsträger müssen entscheiden, welche Partner Bestandteil des gesamten Projektes sein müssen und wer nur in bestimmten Etappen einbezogen werden soll. Der Stadtrat ist mit anderen Entscheidungen konfrontiert: Er muss entscheiden, ob er bestimmte Themen sofort in Angriff nimmt oder erst in einem späteren Stadium. Die Frage ist, ob der Stadtrat dazu bereit ist, sich den Schwierigkeiten zu stellen, oder ob er sie umgehen wird. Von solchen Entscheidungen hängt die Glaubwürdigkeit des Projektes ab. Für den Aufbau von Partnerschaften sind erhebliche Bemühungen erforderlich, aber ihre Effizienz hängt davon ab, wie erfolgreich die Ansichten, Interessen und Arbeitsweisen jedes Partners integriert werden können. Jeder Partner besitzt seine eigene Information; jeder hat sein eigenes Fachwissen. Die bereichsübergreifende Nutzung der Kenntnisse führt zur Entwicklung neuer Methoden und eines neuen Know-hows, das an spezifische örtliche Situationen angepasst werden kann. 3.2. Dienststellen im Kontakt mit Drogensüchtigen

Unabhängig vom Kontext gehören zu den wichtigsten Beteiligten, die im Kontakt mit den Drogenkonsumenten stehen: [·] G esetzesvollzug: Hier geht es im Wesentlichen um Polizeieinsätze in Problemgebieten. Allerdings arbeiten die verschiedenen Bereiche der Polizei nicht immer zusammen. Auf Drogenhandel spezialisierte Dienststellen unterstehen spezifischen Hierarchien, die nichts mit den örtlichen Polizeikräften zu tun haben. Zu einer integrierten Polizei gehört auch die Zusammenarbeit zwischen Justiz und Polizei, die oft problematisch ist. Die Beteiligung von Richtern, Bewährungsstellen oder Jugendschutzämtern kann zu Beginn der Partnerschaft beschlossen werden, aber in sensiblen oder besonders problematischen Fällen können vertrauliche, individuelle Treffen erforderlich sein. [·] Zusammenarbeit zwischen Fachleuten und Drogenkonsumenten: Die Teilnahme der Drogenbehörden ist selbstverständlich eine Voraussetzung für die Part-

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nerschaft, aber es gibt noch andere Behörden, die im Kontakt zu Drogenkonsumenten stehen, wie Fachleute aus dem Gesundheitswesen wie praktische Ärzte, Krankenhausangestellte, Psychiater, Fachärzte oder Apotheker. Auch der private Sektor muss möglicherweise vertreten sein, da manche Rehabilitationszentren unabhängig betrieben werden. Notrufdienste können eine Schlüsselrolle spielen. Sie sind möglicherweise die einzige Dienststelle, die im Kontakt zu Drogenkonsumenten steht, die nicht behandelt werden. Die Beziehung zwischen Fachpersonal und praktischen Ärzten, zwischen öffentlichen und privaten Initiativen oder zwischen Behandlungs- und Harm-Reduction-Stellen kann effizient oder Ursache von Konflikten sein, je nach örtlichen Gegebenheiten, aber keine wichtige Behörde sollte ausgeschlossen werden, unabhängig von den Beziehungen. [·] Fachpersonal oder Mitglieder der Zivilgesellschaft mit persönlichen Beziehungen zu Drogenkonsumenten: Die Einbeziehung dieser Personen könnte bei lokalen Projekten kritisch sein. Diese Personen können von Kontaktdiensten, humanitären Nichtregierungsorganisationen und AIDS-Projekten kommen, Eltern oder Freunde von Drogenkonsumenten oder Organisationen in der Party-, Festival- oder Clubszene sein. Ihre Teilnahme ist besonders wichtig, da ein Engagement seitens der Drogenkonsumenten selbst unwahrscheinlich ist (siehe Kapitel 3.4). [·] A ndere Ämter, die Dienstleistungen und Einrichtungen für Drogenkonsumenten bereitstellen: Dazu können Sozial-, Beschäftigungs-, Unterbringungs- und freiwillige Versorgungsstellen, Sporteinrichtungen, Schulen, Präventionsverbände, Bewährungsstellen, Gefängnisse usw. gehören. Jugendämter müssen einbezogen werden, selbst wenn der Drogenkonsum nicht eindeutig ist. Professionelle oder freiwillige Helfer werden Risikoverhalten erkennen und in der Lage sein, problematischen jungen Drogenkonsumenten so schnell wie möglich zu helfen. [·] I n kleinen Orten, wo das Drogenproblem neu ist, haben nur wenige Menschen in der Gegend Kontakt mit Drogenkonsumenten. In Ermangelung von Drogenbehörden können Einzelpersonen Drogenkonsumenten Hilfe und Unterstützung anbieten. Diese Menschen müssen identifiziert und in die Partnerschaft integriert werden. Umgekehrt ist es in Großstädten so, dass viele Partner Kontakt zu Drogenkonsumenten halten. In den meisten Fällen gibt es vielleicht schon Netzwerke mit professionellen Partnern, die daran arbeiten, die Beteiligten aus einem bestimmten Bereich zusammen zu bringen (zum Beispiel Fachleute aus dem Gesundheitsbereich oder Vollzugsbeamte). Die bestehenden Netzwerke müssen ein Bestandteil der Partnerschaft mit dem Stadtrat werden, müssen aber auch Mitarbeiter im direkten Kontakt mit Süchtigen einbeziehen.

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3.3. Beteiligung von Bürgern

...... 3.3.1. G ründe für die Beteiligung Für die Beteiligung der Bürger im Drogenbereich gelten die gleichen Anforderungen wie für die Beteiligung in anderen Bereichen der Sozialpolitik: [·] S ie soll das Vertrauen in Behörden und öffentlichen Dienst wieder herstellen. Durch die Einbeziehung von Bürgern in das Projekt zeigen die Behörden, dass ihr Sicherheitsbedürfnis ernst genommen wird. Wenn sie besser über die Realität der Probleme informiert werden, mit denen Drogenkonsumenten und Behörden konfrontiert sind, können die Bürger allmählich die Ziele besser verstehen und werden sich dessen bewusst, wie begrenzt die Mittel dieser Dienste sind. [·] Sie muss zum sozialen Zusammenhalt beitragen: Die Bürger werden feststellen, dass es keine einfache Lösung gibt, dass es weder wünschenswert noch möglich ist, alle Drogenkonsumenten ins Gefängnis oder in Rehabilitationszentren zu schicken. Die Bürger erhalten Möglichkeiten für Diskussionen darüber, wie die Beziehung zu Drogenkonsumenten aussehen sollte und welchen Status sie in ihrer Stadt erhalten sollen. Diese Teilnahme sollte zu einer Verringerung der Konflikte nicht nur mit Drogenkonsumenten führen, sondern mit den sozialen Gruppen, denen sie auf Grund von Alter, Volkszugehörigkeit, kulturellem Hintergrund usw. angehören. [·] D urch ihre geänderte Beziehung zu Politikern ändert die Bürgerbeteiligung ihre Rolle in der Gemeinschaft: Bürger sind nicht mehr passiv. Politische Entscheidungen werden nicht mehr von außen aufgezwungen, sondern in dem Bewusstsein entwickelt, dass die örtlichen Anwohner die besten Experten für ihr eigenes Leben und ihre Wohnorte sind. Bürger gelten als „Koproduzenten“ der Lokalpolitik. Reaktionen auf Drogenkonsum sind Sache der Gemeinschaft, weil wir nur durch öffentliche Debatten und Bürgerengagement effektiv feststellen können, wie unsere Reaktion auf Drogenhandel aussehen sollte. Außerdem können Bürger an dieser Reaktion beteiligt werden und müssen daher in die sie betreffenden Entscheidungen einbezogen werden. Das Treffen von Entscheidungen erfordert Kompromisse zwischen unterschiedlichen Interessen und zwischen den Anforderungen in punkto öffentlicher Sicherheit und Freiheit des Einzelnen. Über diese Themen sind öffentliche Diskussionen und Debatten erforderlich. ...... 3.3.2. W iederherstellung von Vertrauen Die Einbeziehung der Bürger kann ein generelles Ziel in der Drogenpolitik ebenso wie in anderen Bereichen der Sozialpolitik sein. Allerdings zögern die Bürger oft, wenn die örtlichen Behörden sie um ihre Mitwirkung bitten. Und wenn die Bürger sich spontan mobilisieren, beteiligen die örtlichen Behörden sie ungern an etwaigen Maßnahmen, die sie ergreifen. Das Paradox ist offensichtlich: Teilnahme bedeutet, dass Bürger po-

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litische Verantwortung übernehmen. Dabei wird das öffentliche Vertrauen in die Institutionen und ihre Politik getestet. Wer protestiert, hat oft das Vertrauen in öffentliche Ämter und Politiker verloren. Die Menschen sind überzeugt, dass die Polizeikräfte ihre Arbeit nicht richtig machen, dass Behandlungsstellen ineffizient sind und dass sich die Politiker nicht für ihr Schicksal interessieren. Teilnahme wird oft mit Einverständnis mit den politischen Entscheidungen gleichgesetzt. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Institutionen und in die demokratischen Prozesse muss wiederhergestellt werden, und das ist oft ein Ergebnis von Beteiligungsprozessen und nicht umgekehrt. Beteiligung erfordert einen Wandel in den allgemeinen Ansichten. Doch nicht nur die Bürger müssen sich ändern, auch die lokalen Behörden und Dienste. Die Bürger gelten oft als Hindernis für die Entwicklung einer rationalen und gerechten Politik, da ihre Ängste als irrational gelten und ihre Ansichten mit rassistischen und diskriminierenden Vorurteilen versetzt sind. Sie werden beschuldigt, ihre eigenen Interessen anstelle des Allgemeinwohls zu begünstigen. Dabei wird übersehen, dass Bürger Drogenkonsum und Sucht ambivalent gegenüberstehen, auch diejenigen, die am meisten protestieren. Aus Meinungsumfragen in mehreren europäischen Ländern ergab sich, dass die meisten Bürger nicht glauben, dass Inhaftierung die beste Antwort auf Drogenmissbrauch ist. Drogenkonsumenten gelten nicht mehr als vage sagenumwobene Wesen, sondern als echte, oft junge Menschen, die in der Nachbarschaft seit ihrer Kindheit bekannt sind. Bürger sind keine homogene Gruppe. Die am stärksten benachteiligten Bürger wie Einwanderer, junge Leute und Familien, sind nur selten vertreten, obwohl sie vielleicht täglich Kontakt mit Drogenkonsumenten haben. Im Rahmen des Projektes Democracies, Cities and Drugs wurde von dem T3E-UK-Netzwerk ein Leitfaden3 herausgegeben, der den Schwerpunkt auf die Einbeziehung ethnischer Minderheiten in Partnerschaften legt. Dieses Projekt identifizierte auch gezielte Maßnahmen für die rumänische Bevölkerung, die von der Stadt Prag im Rahmen ihrer städtischen Drogenstrategie entwickelt wurden.4 Aus einer Studie in der Schweiz ergab sich, dass Einwohner, die am lautstärksten protestieren, in Innenstädten leben und nicht unbedingt besonders benachteiligt sind. Menschen, die in ärmeren Gegenden leben, verfügen nicht immer über die Mittel, um sich zu organisieren, so wie dies in Geschäftsvierteln der Fall ist. Doch während gerade die Bewohner dieser Stadtteile unter den Folgen von Drogenkonsum und –handel leiden, haben sie nicht den Eindruck, dass ihre Sorgen ernst genommen

(3) Leitfaden abrufbar unter www.democitydrug.org (4) Datenblatt abrufbar unter www.democitydrug.org

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werden, und haben deshalb weniger Interesse daran, eine Protestgruppe zu organisieren. Zudem sind die ‚Drogenkonsumenten’ oft Menschen, die im Viertel bekannt sind, beispielsweise der Sohn oder Cousin eines Nachbarn. Die Erfahrung zeigt: je stärker die Interessen der Bürger berücksichtigt werden, desto eher sind sie dazu bereit, nach gerechten Antworten zu suchen, welche die Anforderungen aller berücksichtigen. ......3.3.3. Unterschiedliche Formen der Teilnahme Bürger können auf unterschiedlichen Ebenen und zu unterschiedlichen Zeitpunkten in die Entwicklung von Drogenprojekten einbezogen werden. Die Bereitstellung von Informationen, Umfrageprojekten und Konfliktmanagement kann auf Stadtteilebene organisiert werden. Bürgerbewegungen können gebeten werden, sich an Projekten unter städtischer Leitung zu beteiligen. In diesem Fall ist es wichtig, genügend Organisationen einzubeziehen, um die unterschiedlichen Ansichten und Interessen im Viertel abzudecken. Die Organisationen brauchen nicht unbedingt einen Bezug zu örtlichen Problemen und die Bürger könnten auch durch Nachbarschaftskomitees oder lokale Nichtregierungsorganisationen vertreten werden. Wichtig ist, dass diese Organisationen bekannt sind und in der Gegend Ansehen genießen, da die Glaubwürdigkeit eines Projektes in hohem Maß von der Glaubwürdigkeit der Teilnehmer abhängt. Nützlich könnte es auch sein, Personen einzubeziehen, die einen besonderen Standpunkt vertreten, wie zum Beispiel Familien von Drogensüchtigen, junge Leute oder Einwanderer. Die Bedingungen für ein solches Engagement müssen klar festgelegt und mit jedem Mitglied verhandelt werden. Außerdem müssen sie von einem zuverlässigen institutionellen Gremium geregelt werden. Wie Bürger in Projekte einbezogen werden, hängt von den örtlichen Traditionen, den Beziehungen zwischen Kommunalpolitikern und Bürgern im Rahmen des politischen Systems und dem allgemeinen politischen Kontext ab. Beispielsweise beteiligen sich die Bürger in nordeuropäischen Städten stark an Entscheidungen, die ihr Leben beeinflussen, und Verhandlungen sind gängige Praxis. In den 70er Jahren erleichterte die Stadt Amsterdam Begegnungen zwischen örtlichen Unternehmen und Drogenkonsumenten rund um den Hauptbahnhof der Stadt. Die Drogenkonsumenten selbst hatten bereits eine Hilfsorganisation gegründet, zu deren Unterstützung sich der Stadtrat entschied. Die Gespräche mit der ‚Junkiebonden’ genannten Hilfsorganisation führten zur Einrichtung eines mobilen Methadonausgabedienstes. Dies war eines der ersten Harm-Reduction-Projekte in der Stadt. Der Erfolg der Bürgerbeteiligung hängt von den Beteiligten an der Debatte ab. Die Mobilisierung der Einwohner gegen eine Einrichtung in ihrer Straße wird durch ihre

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eigenen Interessen motiviert, da sie nicht in unmittelbarer Nähe einer Beratungsstelle leben möchten. Doch abgesehen von ihren persönlichen Interessen zum Schutz ihrer Wohngegend vertreten die Bürger in Wirklichkeit zum Teil auch Meinungen über Drogenpolitik und Bürgerengagement, die möglicherweise im Widerspruch zu den Ansichten der Behörden stehen. Anzuerkennen, dass es immer eine Meinungsvielfalt gibt, ist eine Voraussetzung für eine effektive Teilnahme, und ohne dieses Einsehen lassen sich Konflikte nicht lösen. Für die Konfliktlösung sind transparente Teilnahmeregeln und die Berücksichtigung individueller Standpunkte erforderlich. In solchen Fällen können experimentelle Projekte wie Injektionsräume von den Anwohnern akzeptiert werden, selbst wenn sie anderswo mehrfach abgelehnt wurden. 3.4. Teilnahme der Drogenkonsumenten

Niemand ist stärker betroffen als die Drogenkonsumenten selbst, aber ihre Beteiligung scheint schwer durchführbar zu sein. Drogenkonsumenten gelten als diejenigen, die die Kontrolle über sich selbst verloren haben, obwohl es ihnen angesichts der Bedrohung durch AIDS gelungen ist, ihre eigene Gesundheit zu schützen. Im Rahmen von Harm-Reduction-Politik konnten sterile Nadeln und Spritzen bereitgestellt und sogar Möglichkeiten geboten werden, um mit dem Spritzen oder sogar der Verwendung von Drogen insgesamt aufzuhören. Die meisten injizierenden Drogenkonsumenten haben diese Möglichkeiten genutzt, wie der Rückgang der Zahl der AIDS-Fälle belegt (siehe Kapitel 6.3). Drogenkonsumenten sind nicht nur für sich selbst verantwortlich; sie spielen auch oft eine wichtige Rolle bei Projekten, die Drogenkonsum auf vielfache Weise beeinflussen: [·] A utonome Selbsthilfegruppen für Drogenkonsumenten arbeiten daran, die Ausbreitung von HIV und anderen Infektionskrankheiten zu verhindern und Risikoverhalten zu verringern. Diese Gruppen können in unterschiedlichen Situationen zum Einsatz kommen (wie offene Drogen- oder Partyszenen). [·] G emeinschaftliche Gesundheitsprogramme bringen Gesundheitspersonal und Drogenkonsumenten zusammen. Auch Einwohner können sich an dem Projekt beteiligen. [·] A uch individuelle Drogenkonsumenten beteiligen sich an diversen Projekten, die sich an Konsumenten richten (z.B. Kontaktaufnahmestellen, Nadelaustauschprogramme, Beratungsstellen, Behandlungsdienste und Präventionsprogramme). Drogenkonsumenten arbeiten auch mit Organisationen zusammen, die in diversen Bereichen tätig sind (z.B. im Zusammenhang mit HIV, mit Prostituierten, Homosexuellen und Transsexuellen). Das Bündnis mit Drogenkonsumenten ist oft informell. Außerdem können auch ehemalige Konsumenten, Verwandte oder Freunde einbezogen werden. Ärzte und Sozialarbeiter können eine Rolle als Vermittler spielen und die vertrauensvollen Beziehungen nutzen, die sie mit individuellen Konsumenten aufgebaut haben.

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Die Einbeziehung von Drogenkonsumenten ist wichtig, um auch an verborgene Konsumentengruppen zu gelangen, da sie bereits Zugang zu dieser Welt haben. Drogen werden vor Außenstehenden verborgen. Deshalb ist das Bündnis mit Drogenkonsumenten nicht nur nützlich, um andere Konsumenten zu erreichen, sondern auch wichtig, um ihre Bedürfnisse im Hinblick auf den Schutz ihrer Gesundheit zu verstehen. Konsumenten besitzen persönliche Kenntnisse über die Drogen, die sie nehmen, sie wissen, wie sie genommen werden und welche Gefahren ihr Konsum birgt. Die Verwendung von Kondomen oder sterilen Spritzen ist eine persönliche Entscheidung, ebenso wie die Frage, ob man ganz mit dem Spritzen aufhört und um Behandlung nachsucht. Drogenkonsumenten müssen in die Beurteilung der Risiken im Zusammenhang mit Drogenkonsum einbezogen werden. Sie müssen nach ihren eigenen Bedürfnissen befragt werden. Als Nutzer von Diensten müssen sie auch befragt werden, um die Qualität der für sie bereitgestellten Initiativen zu bewerten. Die Frage ist, wie sie konkret einbezogen werden, auf welcher Ebene und mit welchem formellen oder informellen Status. Die meisten Organisationen für Drogenkonsumenten sind in den Gesundheitsbereich expandiert. Einige dienen als Pressure Groups, um Stigmatisierung und Repression zu bekämpfen, aber sie erhalten in Projekten des Stadtrats selten einen offiziellen Status. Dafür gibt es zahlreiche Gründe: [·] D rogenkonsumenten geht es weniger um die Reduzierung von asozialen Verhaltensweisen, als vielmehr um den Schutz ihrer eigenen Gesundheit, aber Respekt für die örtliche Gemeinschaft kann durch die Bereitstellung von Serviceleistungen erreicht werden, die sie für nützlich halten. Der mangelnde Respekt für ihr unmittelbares Umfeld (z.B. das Liegenlassen von Spritzen an öffentlichen Plätzen) wäre für Beratungsstellen oder Nadelaustauschprogramme in dem Viertel nachteilig. Oft muss ein Konsument Spritzen und Nadeln zurückbringen, um andere zu erhalten. In einigen Projekten werden Konsumentengruppen dazu angehalten, die Straßen zu durchkämmen und weggeworfene Nadeln und Spritzen einzusammeln.5 [·] D ie Teilnehmer an Organisationen für Drogenkonsumenten sind in den wenigsten Fällen diejenigen, die für Probleme sorgen. Es gibt aber zahlreiche Beispiele für erfolgreiche Konfliktbewältigung oder Mediation in europäischen Städten. In manchen Städten gab es Diskussionen zwischen jungen Leuten, die im Verdacht stehen, mit Haschisch zu dealen, und Erwachsenen. Bei harten Drogen wie Heroin oder Kokain sind solche Mediationsversuche seltener, aber es gibt einige Beispiele für partizipative demokratische Prozesse. Beispielsweise wurde in Burnley in Nordwestengland eine Bürgerjury zum Thema Drogenkriminalität eingerichtet, die aus Anwohnern bestand, von denen einige Drogenkonsumenten und/oder Einbrecher waren.

(5) Siehe Beispiel aus Lille ind er Publikation des Europäischen Forums für Urbane Sicherheit Local participation in strategies for the prevention and control of drug abuse, 1998

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[·] E s gibt nicht viele Organisationen für Drogenkonsumenten. Diese Organisationen müssen geschaffen werden, aber der Prozess muss einfühlsam und sorgfältig sein. Die Beziehungen zwischen lokalen Behörden und kleinen lokalen Organisationen müssen von jemandem verwaltet werden, der die Beteiligten und ihr Verhältnis zu Drogen kennt. Sollte es nicht möglich sein, Drogenkonsumenten direkt zu beteiligen, könnte es erforderlich sein, unterschiedliche Möglichkeiten für ihre Einbeziehung zu entwickeln: [·] Ü ber Dienststellen in engem Kontakt mit Drogenkonsumenten im Rahmen öffentlicher Gesundheitsprogramme (zum Beispiel über Dienststellen für Prostituierte oder öffentliche Gesundheitsprojekte im Zusammenhang mit der Bekämpfung von AIDS); [·] Durch die Einladung nationaler Organisationen von Drogenkonsumenten oder Organisationen aus anderen Städten als Experten; [·] Durch Anfragen bei anderen Dienststellen, welche Drogenkonsumenten vertreten oder beraten; [·] Durch die Unterstützung von Projekten, welche eine Teilnahme fördern (zum Beispiel Rehabilitationsprojekte für junge Leute). 3.5. Aufbau von Führungskompetenz und Koordination

...... 3.5.1. Einrichtung eines Lenkungsausschusses Der Lenkungsausschuss muss die Ziele des Projekts festlegen. Als Federführer ist ein Koordinator zu ernennen. Er spielt aber keine rein administrative Rolle, sondern benötigt viele Fähigkeiten und Zeit. Für die Koordination einer ämterübergreifenden Gruppe sind Kenntnisse der örtlichen Dienststellen und der Drogenprobleme erforderlich, mit denen die Öffentlichkeit konfrontiert ist. Der Lenkungsausschuss muss den Umfang der vorhandenen Mittel ermitteln und sich um zusätzliche Mittel bemühen, die kurz- oder langfristig möglicherweise zur Ergreifung der vereinbarten Maßnahmen erforderlich sind. Die Aufgabe des Koordinators besteht in der Mobilisierung der Projektpartner. Er/Sie muss in der Lage sein, das gesamte Projekt zu beaufsichtigen und dabei diverse Meinungen und Vorgehensweisen berücksichtigen, ohne einen bestimmten Ansatz zu bevorzugen. Die Ernennung eines neuen Mitglieds kann von Vorteil sein, vor allem wenn es um den Umgang mit Unstimmigkeiten oder Konflikten unter den Partnern geht. Seine bzw. ihre Aufgaben müssen sorgfältig festgelegt werden. Beispielweise muss die Frage beantwortet werden, ob er/sie für die örtliche Bewertung zuständig ist oder ob zu diesem Zweck ein externer Experte berufen wird.

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...... 3.5.2. Festlegung der Aufgaben jedes Partners Die Organisation der Partnerschaft ist Teil der Maßnahmen. Die Partnerschaft leistet einen Beitrag zur Entwicklung einer Strategie für Veränderung. Ein Lenkungsausschuss muss das Projekt beaufsichtigen. Für die Implementierung der beschlossenen Maßnahmen sind spezifische Arbeitsgruppen erforderlich. Der Lenkungsausschuss muss aus Entscheidungsträgern und Personen bestehen, die über die örtliche Drogensituation Bescheid wissen. Alle Partner müssen sich über ihre Aufgaben und Zuständigkeiten im Klaren sein. Sie müssen ihre Rolle in der Gruppe kennen: können sie Entscheidungen für ihre Organisation treffen oder sind sie lediglich ein Vertreter, der über vorgeschlagene Maßnahmen berichten und mit anderen in der Organisation verhandeln muss. Die Zeit, die für den Aufbau der Partnerschaft verwendet wird, muss anerkannt und bewertet werden. ...... 3.5.3. Implementierung der Arbeitsgruppen Der Ausschuss stellt direkte Kontakte zwischen Fachleuten, Drogenkonsumenten und Anwohnern her. Die Treffen müssen regelmäßig stattfinden, damit das Projekt effizient ist. Es kann sogar erforderlich sein, täglich Treffen abzuhalten. Die Aufgaben jedes Einzelnen müssen festgelegt werden. Jeder muss über die verschiedenen Elemente des Projektes informiert werden und sollte die Partner informieren, wenn er mit Schwierigkeiten konfrontiert ist. Für professionelle Partner kann ein Dienst, der nicht über genügend Mittel verfügt, keine zufriedenstellenden Ergebnisse erreichen. Aber für die Öffentlichkeit erfüllt ein Dienst, der keine guten Ergebnisse erzielt, seinen Zweck nicht. Deshalb sehen sich die professionellen Partner oft veranlasst, eventuelle Probleme zu verheimlichen, wenn die Dienste hinterfragt werden. Im Rahmen einer lokalen Partnerschaft jedoch ist die Kommunikation über Schwierigkeiten entscheidend. Alle Partner müssen über die Fortschritte der anderen Bescheid wissen, um kollektiv zu handeln. Auf diese Weise können sie sich gegenseitig in schwierigen Zeiten unterstützen. Konflikte in Bezug auf Rollen- oder Gebietsverteilung belasten die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Diensten. Das Managen der Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Diensten ist keine Zeitverschwendung, sondern Bestandteil des Projekts. Manche Städte wie Saint Gilles in Belgien verfügen über ausführliche Verträge für die Festlegung der Beteiligung jedes Partners am Projekt.6

(6) Siehe Kurzbeschreibung unter www.democitydrug.org

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...... 3.5.4. Aufbau von Führungspositionen Für die Entwicklung und Unterstützung eines ämterübergreifenden Ansatzes ist die federführende Position einer Organisation erforderlich, deren Autorität von allen Partnern anerkannt wird. Stadträte besitzen demokratische Autorität, aber die Entscheidungsfindung in einer Partnerschaft muss auf einem Konsens basieren, der sich aus Diskussionen zwischen den Partnern ergibt. Der Bürgermeister (oder eine andere Führungspersönlichkeit) muss seine/ihre Führungsrolle für das gesamte Projekt behaupten, da er/sie das allgemeine Interesse vertritt. Seine/ihre Führungsrolle wird eher anerkannt, wenn er/sie: [·] E rklärt, warum er/sie sich an dem Projekt beteiligt. Er/sie muss seine/ihre Rolle eindeutig definieren. [·] D ie Realität der von den Partnern angesprochenen Probleme akzeptiert: mit Konflikten muss man sich auseinandersetzen, sie dürfen nicht verheimlicht werden. [·] Die Partnerschaft mit den erforderlichen Mitteln ausstattet. Die Beteiligung der Lokalpolitiker ist notwendig, damit die Partnerschaft richtig funktioniert. Zusammenarbeit ist keine Voraussetzung: effizientes Networking ist Teil der Projektergebnisse.

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Örtliche Beurteilung

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Die örtliche Beurteilung, die wir hier vorschlagen, befasst sich speziell mit Drogenmissbrauch und seinen Folgen auf lokaler Ebene. Dabei geht es um die Ausarbeitung eines Profils der Konsumenten, der Drogenszene und der Konsummuster, des Risikoverhaltens in Verbindung mit jeder Droge und der Konsummethode, den Zugang zu Diensten, die Reaktion des Gesetzesvollzugs und die Beziehungen zwischen Drogenkonsumenten und ihrem Umfeld. Projekte, die direkter auf Drogenhandel, Kriminalität und öffentliche Belästigung abzielen, sind dem Anhang mit den Veröffentlichungen des Europäischen Forums zu entnehmen. 4.1. Ein notwendiger Prozess

Die Anwohner können in folgenden Situationen mit Kommunalpolitikern Kontakt aufnehmen: [·] G erüchte über Drogenhandel an einem öffentlichen Ort oder in einer Schule oder wenn bestimmte Familien verdächtigt werden. [·] E in Unfall, eine Überdosis oder ein psychiatrisches Problem im Zusammenhang mit Drogen stört die öffentliche Ordnung an einem bestimmten Ort. [·] D rogenkonsumenten belagern nachts Privatbereiche wie Eingänge, Keller oder Parkplätze. Trotz scheinbar ähnlicher Probleme in jeder Stadt unterscheiden sich die Realitäten vor Ort bisweilen deutlich: [·] E in bestimmtes Viertel steht möglicherweise erst seit Kurzem in dem Ruf, Probleme mit Drogen zu haben, oder aber dies ist schon längere Zeit der Fall. [·] D er soziale Kontext kann einheitlich sein, es kann aber auch Unterschiede hinsichtlich der gesellschaftlichen Schichten oder der ethnischen Herkunft geben, woraus Konfliktsituationen entstehen können. [·] F älle, die ins Rampenlicht rücken, können dazu führen, dass die Anwohner zu Drogenproblemen in ihrem Umfeld Stellung nehmen, sie können aber auch auf Grund lokaler Konflikte, aus Furcht vor Bandenführern oder Bereitstellung schlechter Dienste protestieren. [·] D ie Drogenkonsumenten können den Gesundheitsdiensten bereits bekannt sein, es kann sich aber auch um junge Konsumenten handeln, die bei keiner Stelle bekannt sind. In diesem Fall wäre es nicht möglich, effizient zu beurteilen, welche Drogen sie konsumieren oder wie ihr Risikoverhalten aussieht. Wenn es in einem Viertel zu Problemen kommt, scheint Repression die unmittelbare, effiziente Erwiderung zu sein. Die Analyse von gesundheitlichen und sozialen Bedürfnissen kann wie Zeitverschwendung erscheinen. Das Problem der jungen Drogenkonsumenten ist ein brisantes Thema. Rein repressive Maßnahmen können dazu beitragen, die soziale Ausgrenzung zu verstärken. Der Zugang zu Behandlung wirft

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noch weitere Fragen auf: welche Drogen werden tatsächlich genommen? Ist eine Behandlung notwendig? Ist die Behandlung für das neue Konsummuster geeignet? Viele Initiativen werden durch lokale Einzelpersonen gestartet, die einen spezifischen Bedarf festgestellt haben, die aber nicht immer eine umfassende Vorstellung von den zur Verfügung stehenden Mitteln haben. Diese Initiativen, die oft innovativ sind, nutzen örtliche Einrichtungen optimal. Sie haben aber auch Grenzen: [·] D iese neuen Dienste können eine Ergänzung zu vorhandenen Diensten sein; möglicherweise wäre es aber besser gewesen, das Problem im Rahmen einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit anzugehen. [·] Ö rtlich mobilisierte Einzelpersonen könnten versucht sein, vorhandene Dienste zu ersetzen, beispielsweise indem sie selbst durch die Straßen patrouillieren, um die allgemeine Sicherheit zu gewährleisten, oder indem sie Notdienste für Außenseiter bereit stellen, wenn der Zugang zu öffentlichen Diensten nicht zufriedenstellend ist. Die Veränderung vorhandener Dienste zur Berücksichtigung dieser Anforderungen wäre ein besserer Ansatz. Jede Region, jede Stadt und jeder Bezirk hat seine eigene Drogengeschichte. Die Drogengeschichte einer Stadt oder eines Stadtviertels hängt von dem Zeitpunkt ab, zu dem Drogen erstmals dort eingeführt wurden, vom Profil der Konsumenten und der Reaktion der Gemeinschaft. So kann beispielsweise in der einen Gegend Kokain als Droge für Reiche gelten, während es in einer anderen auf der Straße gekauft werden kann. Die Bedeutung des Drogenkonsums und seinen sozialen Kontext zu verstehen, ist für eine effiziente Bewertung kritisch. Auch das Bewusstsein im Hinblick auf kritische Themen kann von Stadt zu Stadt unterschiedlich sein. In den meisten Städten ist der Drogenkonsum unsichtbar. Oberflächlich kann es sogar so aussehen, als ob es keine Spannungen zwischen Drogenkonsumenten und der Gemeinschaft gäbe. Wenn aber Probleme ignoriert werden, werden auch die gesundheitlichen und sozialen Bedürfnisse der Konsumenten nicht erkannt oder automatisch mit Drogenmissbrauch gleichgesetzt. Drogenmissbrauch kann mit Schulversagen oder Selbstmordversuchen in Verbindung gebracht werden, und das Problem zu leugnen bedeutet, dass keine Versuche für Harm-Reduction-Interventionen unternommen werden. Die Vielfalt der Probleme, die durch Drogenmissbrauch entstehen, macht eine spezifische, gezielte Analyse der örtlichen Anforderungen und Ressourcen erforderlich.

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4.2. Ein pragmatischer Ansatz

Obwohl eine lokale Beurteilung im Rahmen der städtischen Politik stets empfohlen wird, wird sie nicht immer umgesetzt. Die Komplexität des Themas kann das erste Hindernis sein. Dass Drogenkonsum und Drogenhandel illegal sind, erschwert die Beurteilung zusätzlich. In den letzten Jahren wurden aber bedeutende Fortschritte erzielt. Das European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction erfasst einzelstaatliche Statistiken aus allen europäischen Ländern, die in zunehmendem Maß standardisiert werden. Informationen aus zahlreichen Quellen werden analysiert und neue Trends ermittelt. Allerdings ist der Zugriff auf Informationen auf lokaler Ebene nach wie vor schwierig. [·] D ie Informationsquellen sind beschränkt und die lokal erfassten Statistiken nicht genormt. [·] D ie Hauptinformationsquellen sind Statistiken aus Drogen- und Vollzugsbehörden. Diese Informationen reichen aber nicht aus, um die örtliche Situation umfassend zu verstehen. [·] F ür jede Problemform (Risiken im Zusammenhang mit Drogenmissbrauch, Drogenhandel, Kriminalität und asoziales Verhalten) ist ein spezifischer Ansatz erforderlich. Für umfassende Studien sind finanzielle und personelle Mittel erforderlich, die auf lokaler Ebene fehlen. [·] D ie Bewertung der verfügbaren Ressourcen ist Teil der Beurteilung, doch die Bewertung der Dienste ist nicht nur komplex, sondern berührt auch institutionelle Prozesse, die sich oft selbst in Konfliktsituationen befinden. Bei der örtlichen Beurteilung müssen alle Dimensionen des Problems berücksichtigt werden, aber nicht alle Untersuchungen verfolgen die gleichen Ziele. Erfasst werden müssen Informationen, die für die effiziente Entscheidungsfindung notwendig sind. Wenn in einem Bezirk ein Problem auftritt, beginnt die Beurteilung mit: [·] Dem Zusammentragen vorhandener Informationen und [·] Der Befragung der an dem Konflikt Beteiligten. Bei der Beurteilung müssen generell geäußerte Vermutungen zu dem Problem angesprochen werden, zum Beispiel die Frage, ob irgendwelche Drogenkonsumenten in einem bestimmten Bezirk leben, ob sie Ausländer, Einwanderer oder Obdachlose sind. In Bezug auf junge Drogenkonsumenten könnte man beispielsweise die Frage stellen, ob sie unter Suchtbildern leiden, die behandelt werden müssen. Und ob die Dienste für neue Drogenkonsummuster angemessen sind. Diese Fragen müssten allen beteiligten Fachleuten wie Ärzten, Sozialarbeitern, Suchtexperten und Harm-Reduction-Spezialisten gestellt werden. Die Befragung junger Konsumenten

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ist entscheidend, um ihre Meinung oder persönliche Erfahrung mit Gesundheitsdiensten in Erfahrung zu bringen. Die Dienste können dann angepasst werden, um den Bedürfnissen junger Konsumenten auf Basis dieser Untersuchungen zu entsprechen, und der Dienst würde im Projektverlauf ausgehend von den erzielten Ergebnissen erneut bewertet. Die Beurteilung vor Ort ist notwendig, um Prioritäten zu beschließen. Sie muss ein kontinuierlicher Prozess in jedem Stadium der Projektentwicklung sein. In europäischen Großstädten wurden solche Beurteilungen möglicherweise bereits durchgeführt und es kann erforderlich sein, zusätzliche Belege vorzulegen, um die Entwicklung neuer Projekte zu rechtfertigen. Während des Programmverlaufs sollten präzisere Analysen erforderlich sein, um neue Konsumenten und neue Risiken zu verstehen, oder damit der Dienst auf neue Zielgruppen ausgedehnt werden kann. Die Kenntnis der lokalen Situation wird mit der Projektentwicklung vertieft. Beispielsweise steigen die Kenntnisse über Muster von Partydrogen und damit verbundenen Risiken durch Projekte für ein sichereres Nachtleben. Ebenso werden durch die Bereitstellung von Einrichtungen wie Beratungsstellen die Hindernisse dargestellt, mit denen viele Konsumenten beim Zugang zu anderen Gesundheitsversorgungseinrichtungen konfrontiert sind. Durch die kontinuierliche Überwachung der Projekte werden Themen erkannt, die weiter beurteilt werden müssen. Die Methodik muss flexibel sein und alle verfügbaren Daten nutzen. [·] Der Beurteilungsprozess muss rasch erste Ergebnisse bringen. [·] Die erfassten Daten müssen zusammengefasst werden, um eine Vorstellung von der örtlichen Situation zu erhalten.. [·] Dieser Kontext muss den Partnern vorgelegt werden und zur Erarbeitung von Indikatoren genutzt werden, die für künftige Beobachtung und Beurteilung genutzt werden.

4.3. Gemeinsame Beurteilung

Sich die Zeit nehmen, um alle Dimensionen der Situation zu beleuchten, mag im Widerspruch zum raschen Handlungsbedarf stehen. Eine Partnerschaft bietet den Rahmen, in dem über unterschiedliche Meinungen zu dem Problem oder über damit verbundene Anforderungen diskutiert werden kann. Das ist entscheidend, wenn die

(7) Siehe Kurzbeschreibung unter www.democitydrug.org

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Beurteilung die lokale Situation akkurat wiedergeben soll. Städte wie La Spezia in Italien führten gemeinsame Beurteilungen mit allen betroffenen Beteiligten durch, die in einem Bericht mit allen Daten zusammengefasst sind.7 Wenn die Behörden lokale Beurteilungen verlangen, wollen sie eine objektive Situationsanalyse. Meistens fragen sie nach quantitativen Angaben. Quantitative Kennzahlen sind notwendig, aber um die richtigen Indikatoren auszuwählen, muss die örtliche Situation zunächst verstanden werden. Dazu sind Absprachen mit allen wichtigen Beteiligten erforderlich. Ärzte, Polizei, Anwohner und Drogenkonsumenten selbst haben unterschiedliche Erfahrungen und Meinungen. Sie alle leisten einen Beitrag zu dem, was von Soziologen als „Problemaufbau“ bezeichnet wird, d.h. zu der Art und Weise, wie die Gemeinschaft mit dem Thema umgeht und welche Folgen dies hat. Die erste Informationsquelle ist die Erfahrung jedes Partners. Fachleute kennen die Probleme beim Umgang mit Drogenkonsumenten. Drogenkonsumenten wissen, warum sie einen Dienst nutzen oder seine Nutzung ablehnen. Die Anwohner wissen, wovor sie Angst haben. Die Partner kennen die Beziehungen zwischen den Diensten. Für die Auswertung der Statistiken von Partnern ist die Beteiligung von in diesen Diensten tätigen Fachleuten erforderlich. Gesundheitsexperten zum Beispiel wüssten, ob der Anstieg oder der Rückgang der Patientenzahl auf eine Änderung der Mittel oder geänderte Methoden zurückzuführen ist oder ob die Anzahl der von einem Problem betroffenen Drogenkonsumenten gestiegen oder gesunken ist. Dasselbe gilt für die Analyse der Anzahl der Verhaftungen oder Verurteilungen. Für die Beurteilung der institutionellen Mittel ist die Beteiligung von Fachleuten erforderlich. Fachleute kennen die Grenzen ihrer Organisationen am besten. Es kann erforderlich sein, externe Untersuchungen hinzuzuziehen, vor allem wenn Konflikte bestehen. Die Teilnahme von Fachleuten ist notwendig, um die Mittel festzulegen, die von den Diensten verfügbar gemacht werden könnten. Sie sind auch in der Lage, Hindernisse für den Zugang zu anderen Diensten zu erkennen. Wenn sich Bürgergruppierungen an der Beurteilung beteiligen, bieten sie Einblicke in das tägliche Leben. Sie verlangen, dass die Behörden sich mit asozialem Verhalten befassen, das zu einem Gefühl der Unsicherheit führt. Außerdem wird den Teilnehmern am Beurteilungsprozess klar, wie die Dienste funktionieren, sie erfahren, welche Ergebnisse von Vollzugs- oder Drogenbehörden erzielt werden können. Sie können ihre Grenzen verstehen. Sie werden den Nutzen der Entwicklung experimenteller Projekte, angepasst an ihren lokalen Hintergrund, verstehen. Eine gemeinsame Beurteilung erfordert das Zusammentragen von Daten aus allen verfügbaren Quellen. Sie erfordert Verhandlungen zwischen den Partnern, um die-

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selbe Analyse zu teilen. Kooperation bei der Erfassung von Informationen ist eine Voraussetzung für die Kooperation im aktiven Handeln. Gemeinsame Beurteilung ist erforderlich, damit die Partner gemeinsame Ziele entwickeln. 4.4. Festlegung der Ziele einer Beurteilung

Eine Vorabbeurteilung kann notwendig sein, um zu identifizieren: [·] Worin sich die Partner einig oder uneinig sind, [·] Was bereits bekannt ist und wofür gründlichere Nachforschungen erforderlich sind. Die Ziele, die sich aus der Beurteilungsphase ergeben, werden auf diese Vorabbeurteilung basiert. Kenntnisse des Themas sind kumulativ. Sie basieren auf professionellen und persönlichen Erfahrungen und anderen Untersuchungen, die bereits durchgeführt wurden. Wenn nur wenig über die Drogenkonsumenten einer Stadt bekannt ist, sollte die lokale Beurteilung bescheidene Ziele haben. Das Ziel muss realistisch sein, zum Beispiel: [·] I dentifikation von Zielgruppen [·] I dentifikation der Dienste, die mit Drogenkonsumenten Kontakt aufnehmen können [·] I dentifikation von Personen oder Einrichtungen, die Kontakt zu problematischen Drogenkonsumenten haben, wie Polizei, Notrufdienste, Anwohner, Eltern, nahe Verwandte, Harm-Reduction-Projekte [·] Identifikation von Mustern für asoziales Verhalten und Beschaffungskriminalität. Aus der Vorabbeurteilung kann Folgendes resultieren: [·] Schaffung neuer Datenerfassungsquellen, wie: >> E in Kontaktdienst, der im problematischen Bereich eingreift, oder >> Ein Mediationsdienst zwischen Anwohnern und Drogenkonsumenten. [·] Analyse quantitativer und qualitativer Daten innerhalb der Dienste >> Erfassung und Analyse von Beschwerden; >> Analyse der Gründe für die Aufnahme in der Notaufnahme. [·] Zusammenfassung der Quellen, die sämtliche Daten zusammenbringen: >> Ein örtliches Observatorium für Drogenkonsum; >> E ntwicklung eines Warnsystems zur Identifizierung neuer Tendenzen im Drogenkonsum; >> M onatliche Berichte für die Überwachung der Projekte und die Beurteilung ihrer Ergebnisse.

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[·] U ntersuchung mit spezifischen Zielen: >> Beobachtung eines spezifischen Standortes, einer Zielgruppe oder der Beziehung zwischen verschiedenen Gruppen; >> Nachforschungen über Risikoverhalten in Verbindung mit Drogenkonsum im örtlichen Umfeld; >> Analyse der gerichtlichen Verfahren und Auswirkung der Maßnahmen auf Minderjährige; >> Öffentliche Meinungsumfragen. Die Ziele der Beurteilung hängen von den Ressourcen ab, die mobilisiert werden können: [·] E in Warnsystem, ein örtliches Observatorium oder ein monatlicher Bericht zur Projektüberwachung erfordern umfangreiche Investitionen. Auch öffentliche Meinungsumfragen erfordern Investitionen, über die ausgehend von den Prioritäten des Stadt- oder Gemeinderates diskutiert werden muss. [·] D ie Analyse der vorhandenen Daten innerhalb der Dienststellen ist stets nützlich. Der Partnerschafts-Koordinator könnte in einer Dienststelle eine Arbeitsgruppe einsetzen. [·] W enn zusätzliche Untersuchungen erforderlich sind, könnte es notwendig sein, Kontakte zu nationalen oder regionalen Forschungszentren, Hochschulen oder Berufsbildungsstätten einzurichten (d.h. für Sozialarbeiter und Fachleute aus dem Gesundheitsbereich). [·] E s ist wichtig, aus den Erfahrungen anderer europäischer Städte zu lernen. Deshalb müssen Austausch- und Besuchsprogramme zwischen Städten gefördert, finanziert und entwickelt werden. Einer Stadt wie Charleroi in Belgien gelang es, solche Austauschprogramme auf europäischer Ebene zu entwickeln und sie gewinnbringend zu nutzen.8 4.5. Hintergrundinformationen zum Drogenkonsum

Informationen über eine bestimmte Gegend, eine Stadt oder einen Bezirk müssen den Hintergrund des Drogenproblems berücksichtigen: ...... 4.5.1. Wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Hintergrund der Gegend Drogenkonsum hat unterschiedliche Merkmale, je nachdem, ob er in von Arbeitslosigkeit geprägten Städten auftritt oder im Gegenteil in einer Stadt, die sich wirt-

(8) Siehe Kurzbeschreibung unter www.democitydrug.org

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schaftlich entwickelt. Gesellschaftliche und demographische Merkmale, familiäre Beziehungen, soziale Mobilität und Migration beeinflussen den Drogenkonsum. Das spezifische Umfeld, wie zum Beispiel ob das Problem in einer touristischen Gegend, in einer Hafen- oder Grenzstadt auftritt, beeinflusst den Kontext. Auch Handelsstraßen beeinflussen die örtliche Situation. Daten können in Bereichen erfasst worden sein, die nicht unbedingt mit Drogen zu tun haben, wie allgemeine Sicherheit, sozialer Wohnungsbau, Schuleschwänzen, Selbstmorde unter Jugendlichen oder Straffälligkeit. ...... 4.5.2. Nationale oder regionale Merkmale des Drogenkonsums In Europa wird ein Großteil der Informationen über Drogen auf nationaler Ebene in fünf Informationszentren an nationalen Brennpunkten erfasst. Sie sind Bestandteil des REITOX-Netzwerks. Diese Information wird oft durch nationale Zentralstellen erfasst, die in der Lage sind, das Ausmaß des Problems und seine Entwicklung zu beurteilen.9 Diese Informationen umfassen: [·] Statistiken von Vollzugsbehörden und Gesundheitsversorgungsdiensten [·] Erhebungen über den Drogenkonsum der allgemeinen Bevölkerung [·] Gezielte Forschungsarbeiten über die Arten von Drogenkonsum und Risikoverhalten [·] V erbrechen in Verbindung mit Drogenkonsum, Drogenringen und Inhaftierung von Drogenkonsumenten. Die nationale oder regionale Forschungsarbeit schafft einen Rahmen, der die Identifikation der örtlichen Bedingungen ermöglicht. Zum Beispiel: nimmt die Zahl der Todesfälle durch Überdosis zu? Steigt oder fällt die Anzahl der Konsumenten im Rahmen der Gesundheitsversorgung? Welche Drogen werden beschlagnahmt? ...... 4.5.3. Drogengeschichte in einer Gegend Die Drogengeschichte der Stadt ist ein weiterer Faktor, der den Kontext bestimmt, in dem relevante Maßnahmen ergriffen werden sollten. Diese lokale Geschichte bestimmt zum Teil Meinungen und Einstellungen. Sie bestimmt aber auch die aktuellen Ressourcen sowie diejenigen, die eventuell mobilisiert werden können.

(9) S iehe Informationen auf der Homepage des Europäischen Überwachungszentrums für Drogen und Drogenabhängigkeit unter www.emcdda.europa.eu

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In Westeuropa gibt es nur wenig Städte, die keine lange Drogengeschichte haben. Zwar ist die genaue Geschichte des illegalen Drogenkonsums nicht bekannt, doch ist es zumindest möglich zu wissen, wann das Problem publik wurde, welches Ereignis zu einem Skandal geführt hat und wie der Kontext aussah (zum Beispiel ob es eine Rave-Party, eine Hausbesetzung oder eine Schule war). Die örtlichen Medien verfügen über Belege hierfür. Offizielle Unterlagen von örtlichen Beamten oder Beschwerden bei der Polizei können Hinweise für das Ausmaß oder die Art des Problems geben. Es kann möglich sein, Nachforschungen über die Debatten, die zur Einrichtung von Drogenprojekten geführt haben, sowie über ihre Erfolge und Misserfolge anzustellen. Wichtig ist die Untersuchung der Hintergründe (beispielsweise unter Nutzung von Zeitungsartikeln, Berichten aus Bürgertreffen, frühere Initiativen durch Nichtregierungsorganisationen) im Rahmen des Beurteilungsprozesses. 4.6. Quantitative Bewertung

Wie viele Drogenkonsumenten gibt es in einer bestimmten Stadt? Wie viele erhalten keine Behandlung? Wie viele junge Drogenkonsumenten spritzen sich Drogen? Welche Beschaffungskriminalität existiert? Wie oft werden Straftaten begangen? Wie viele Bürger sind Opfer solcher Straftaten? In erster Linie ist eine quantitative Bewertung notwendig, um Entscheidungen zu treffen. Quantitative Daten sind auch wichtig als Grundlage für öffentliche Debatten. Allerdings muss klar sein, was bewertet wird. Aus Erhebungen über den Drogenkonsum in der allgemeinen Bevölkerung oder in einer bestimmten Gruppe wie Studenten geht die Anzahl der problematischen Konsumenten in der Gegend nicht hervor. Außerdem wirft ein Konsument, der möglicherweise problematisch für die Allgemeinheit ist, nicht unbedingt problematische Gesundheitsaspekte auf. Eine Bewertung auf Basis messbarer Daten ist nicht unmöglich, würde aber eine große Zahl von Dienststellen im Kontakt mit Drogenkonsumenten erforderlich machen. Statistiken von Vollzugs- und Drogenbehörden reichen für eine zufriedenstellende Beurteilung nicht aus. Zusätzliche Daten sind erforderlich. Die meisten westeuropäischen Städte haben Bewertungen in Bezug auf die Zahl der problematischen Drogenkonsumenten durchgeführt. Diesbezüglich wurden in den letzten zehn Jahren deutliche Fortschritte gemacht. Damit wurden unterschiedliche Verfahren getestet.10 Ein Beispiel ist das “Capture/Recapture”-Verfahren.11 Es basiert auf Daten, die in allen Dienststellen, die Kontakt zu Drogenkonsumenten haben (wie Krankenhäuser, Notrufdienste, Polizei, Nichtregierungsorganisationen usw.), erfasst wurden. Das Problem ist, dass die Daten nicht genormt sind. Es ist auch möglich, die Zahl der Drogenkonsumenten in einer offenen Drogenszene zu

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bewerten, aber dafür sind spezifische Untersuchungen erforderlich. Die Stadt Rotterdam schätzt, dass es dort 700 problematische Drogenkonsumenten gibt, aber diese Schätzung war erst nach jahrelangem Einsatz und Untersuchungen möglich. Eine quantitative Bewertung einer offenen Drogenszene sollte keine Voraussetzung für die Implementierung eines lokalen Programms sein, ist aber für die Verbesserung der Statistiken über Drogenkonsum notwendig. Sie ist für die Identifizierung quantitativer Indikatoren kritisch, um bei der Überwachung lokaler Programme zu helfen. Statistiken sind wichtig, um unsere Kenntnisse über den Kontext zu verbessern, aber auch für Bewertungs- und Überwachungszwecke (siehe Kapitel 6). Derzeitige Hauptinformationsquellen: [·] S tatistiken aus Spezialdiensten: Bei der Verwendung solcher Daten ist Vorsicht geboten, weil sie sich nur auf Drogenkonsumenten beziehen, mit denen die Dienststelle in Kontakt kommt. Die meisten Drogenkonsumenten hingegen sind den Vollzugsund Drogenbehörden unbekannt. Ein Anstieg oder ein Rückgang von einem Jahr zum nächsten kann auf geänderte Ressourcen zurückzuführen sein. Die Ressourcen müssen stabil sein, bevor aus solchen Daten Schlussfolgerungen gezogen werden. Nicht spezialisierte Dienste wie allgemeine Krankenhäuser und Sozialdienste können auch Daten bereit halten (wie die Zahl der HIV-Patienten), aber meistens muss die Datenerfassung verbessert werden, was Teil des Ziels des Programms sein könnte. [·] G esundheitsspezifische Untersuchungen: Über AIDS und Hepatitis wurden zahlreiche Studien durchgeführt. In Westeuropa befasste man sich auch mit Risikoverhaltensweisen (beispielsweise beim Spritzen und Inhalieren von Drogen). Andere gesundheitliche Aspekte sind hingegen weniger bekannt. Psychiatrische Probleme werden nur in einigen wenigen klinischen Forschungsprojekten beurteilt. Fälle von Überdosis werden nicht in allen europäischen Ländern gleichermaßen erfasst. Nur wenige Forschungsprojekte befassen sich mit anderen Todesursachen im Zusammenhang mit Drogen. Indirekte Indikatoren wie der Verkauf von Spritzen und Substitutionsbehandlungen könnten für eine quantitative Bewertung nützlich sein. [·] Drogenkonsum-Erhebungen in der allgemeinen Bevölkerung: In europäischen Ländern werden unzählige Erhebungen über Alkohol, Tabak und Haschisch durchgeführt (in der allgemeinen Bevölkerung oder in bestimmten Gruppen wie z.B. Jugendlichen von 15 bis 29). Erhebungen in der allgemeinen Bevölkerung befassen sich allerdings nicht mit illegalen Drogen wie Kokain oder Heroin. Qualitative Daten sind wichtig, um die Bedeutung und den sozialen Kontext von Drogen und insbe-

(10) S iehe Vergleich zwischen europäischen Städten, Ruud BLESS, Multi-city study, Pompidou Group, 2002 [PPG/Epid (2002)11] (11) Für Frankreich siehe übergreifende Studie für Lens, Lille, Marseille, Nizza, Toulouse, Französisches Observatorium für Drogen und Suchtverhalten, 2001 – www.ofdt.fr

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sondere Underground-Drogen zu verstehen. Qualitative Daten leisten einen Beitrag zur Analyse quantitativer Statistiken aus Spezialdiensten wie Vollzugs- oder Drogenbehörden. Qualitative Daten könnten in bestimmten Gebieten durch Kontaktstellen oder im Rahmen ethnographischer Forschungsarbeiten erfasst werden.12 4.7. Bedarfs- und Mittelanalyse

Welche Drogenkonsumenten haben Kontakt zu den Diensten? Welches sozio-demografische Profil weisen sie auf? Welche Drogen nehmen sie, wie sehen die Konsummuster aus? Welches Risikoverhalten gibt es? Welche Dienste werden angeboten? Wie erfolgt der Zugang zu den Diensten? Wie lässt sich die Qualität der Dienste bewerten? Auf lokaler Ebene stammen Informationen aus den Jahresberichten bestehender Dienste. Die Analyse der Informationen aus den Diensten spielt eine doppelte Rolle: [·] D adurch werden alle verfügbaren relevanten Informationen über bekannte Drogenkonsumenten zusammengetragen und eventuelle Informationslücken erkannt. [·] Dadurch werden die Dienste und ihre Grenzen erkannt (Schwierigkeiten beim Zugang zu Versorgungsdiensten, keine Überweisungen, Gründe für ein Ausscheiden aus den Programmen usw.). Jeder Dienst hat Kontakt zu bestimmten Drogenkonsumenten in einer bestimmten Gegend. Über Risikoverhalten ist möglicherweise nicht viel bekannt, und Informationen über ihre Bedürfnisse sind unvollständig. Für die Analyse der Statistiken aus jedem Dienst sind Kenntnisse über seinen Einzugsbereich und seinen Betrieb erforderlich. Wo Harm-Reduction-Dienste zum Einsatz kommen, sind die Drogenkonsumenten besser bekannt. Kontaktdienste erreichen auch verborgene Gruppen in diversen Situationen wie ärmeren Gegenden, offenen Drogenszenen oder im Partykontext. Trotz ihrer Tätigkeit bleiben die Kenntnisse, die durch Harm-Reduction-Dienste erfasst werden, oft unvollständig, je nach Art der angebotenen Dienste. Viele Fragen sind noch unbeantwortet. Im Rahmen von Spritzenaustauschprogrammen bestehen oft Kontakte zu Drogenkonsumenten ab 30. Es stellt sich die Frage, ob jüngere Konsumenten nicht mehr spritzen oder ob sie nicht als „Drogensüchtige“ identifiziert werden wollen. Die Erkennung von Drogenkonsumenten in Diensten, die nicht auf Drogensucht spezialisiert sind, wie Krankenhäuser, Notaufnahmen, Institutionen für Randgruppen

(12) Siehe TREND-Programm in Frankreich: www.ofdt.fr

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oder junge Leute, kann schwierig sein. Diese Dienste könnten aber im Kontakt mit Drogenkonsumenten stehen, die bei den Drogenbehörden unbekannt sind. Ihre Erfahrung könnte daher sehr nützlich sein. 4.8. Zusätzliche Untersuchungen

Zusätzliche Untersuchungen werden durchgeführt, nachdem vorhandene Informationen analysiert wurden. Sie müssen sich auf einen bestimmten Zeitraum beziehen (einige Wochen bis einige Monate). Die erfasste Information ist zwangsläufig unvollständig, muss aber für die Entwicklung der Programmziele ausreichend sein. Diese zusätzlichen Untersuchungen können sich mit den Beziehungen zwischen den Drogenkonsumenten und den Diensten oder ihrem Umfeld befassen, zum Beispiel: [·] Profil von Drogenkonsumenten in Notaufnahmen; Bedürfnisse und Reaktionen [·] A nalyse von Konflikten innerhalb der Dienste (Wohnungsbau, Rehabilitation, Krankenhäuser usw.) [·] P rofil von Konsumenten in Gefängnissen, Gründe für Inhaftierung, Ursachen für Mehrfach-Straftäter, Erfolg oder Misserfolg der Rehabilitation [·] E rfahrung von Familien, Beziehung zwischen jungen Konsumenten und NichtKonsumenten [·] Konfliktanalyse Zusätzliche Forschungsarbeiten beziehen sich in erster Linie auf die Erkennung der Gruppe der verborgenen Drogenkonsumenten in der Gemeinschaft und nicht nur in Bezug auf die Dienste. Zu diesem Zweck sind qualitative Untersuchungen erforderlich. Praxisnahe Experten sind in der Lage, vertrauensvolle Beziehungen zu Drogenkonsumenten herzustellen. Die Fähigkeiten, Kenntnisse und Methoden im Rahmen der Harm Reduction funktionieren gut mit ethnographischen Untersuchungsmethoden. Der öffentliche Gesundheitsnotstand im Zusammenhang mit HIV und injizierenden Drogenkonsumenten zeigte, wie wichtig das Verstehen des sozialen Kontextes für Drogenkonsum und Risikoverhalten ist. Wichtig ist aber auch der Bedarf an pragmatischen Empfehlungen für Interventionen und politische Entwicklung. Die Durchführung von Beurteilungen war für die Implementierung von Diensten in weltweit unterschiedlichen nationalen Situationen erforderlich. Eine Methodik für die ‚rasche Beurteilung’ wurde entwickelt mit Fragen wie: Wie erreichen wir schwer erreichbare Drogenkonsumenten und wie halten wir den Kontakt mit ihnen? Welche Dienste würden ihren Bedürfnissen entsprechen? Welchen Gesundheitsbe-

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dürfnissen muss Priorität eingeräumt werden? Diese Methodik wird von der WHO und dem UN AIDS-Programm gefördert, um AIDS-Präventionsstrategien an die unterschiedlichen internationalen Situationen anzupassen.13 Forschungsprojekte brauchen die Mitarbeit von Schlüsselbeteiligten Schlüsselbeteiligte sind in der Lage, spezifische, zertifizierte Informationen für Drogenkonsumenten in einem bestimmten Bereich bereitzustellen. Sie müssen sich mit dem Lebensstil der Zielgruppe auskennen. Diese Schlüsselinformanten können Fachleute, Freiwillige oder einheimische Mitarbeiter sein, aber auch Konsumenten oder ehemalige Konsumenten. Die Qualität der erfassten Information wird noch besser, wenn Drogenkonsumenten, die in dem Bezirk leben, in das Projekt einbezogen werden. Schlüsselinformanten können geschult werden, um Drogenkonsumenten oder ihre Familien, nahen Verwandten und Nachbarn zu befragen. Sie können geschult werden, um sich mit einer bestimmten Frage zu befassen, wie zum Beispiel nach dem Zugang zu Behandlung, Krisensituationen oder Beziehungen zwischen Drogenkonsumenten und Anwohnern. Diese Schlüsselinformanten können sich später an der Überwachung und Bewertung des örtlichen Programme beteiligen. 4.9. Von der örtlichen Beurteilung zum Setzen von Prioritäten

Aus Analysen ergibt sich oft: [·] M angelnde Kohärenz zwischen Gesundheitsversorgung und Verbrechensbekämpfung. >> Die Polizei ist beim Umgang mit Drogenproblemen auf der Straße oft auf sich allein gestellt. Oft gibt es, abgesehen von Rehabilitationszentren, keine geeignete Stelle, an das sie sich wenden können. >> Drogenkonsumenten, die öffentliche Räume oder Privatbereiche nutzen, sind oft sozial ausgegrenzt. Sie haben möglicherweise keine Unterkunft und keinen Zugang zu Behandlung. >> Problematische Drogenkonsumenten werden von Gesundheitsversorgungsdiensten häufig abgelehnt.

(13) Siehe WHO-Leitfäden für Beurteilung und Reaktionen unter www.who.int

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>> Bei der Bereitstellung von Diensten für Fälle mit Doppeldiagnose bestehen deutliche Mängel (d.h. in Fällen mit psychiatrischen Problemen und problematischem Drogenkonsum). >> Der Mangel an sozial-medizinischen Lösungen für aus dem Gefängnis Entlassene führt zu Rückfällen. >> Aus Furcht vor Bestrafung haben Konsumenten nicht den Mut, sich in Krisensituationen wie Überdosis an Notdienste zu wenden. >> Die Furcht vor Schließung durch die städtischen Behörden ist ein Hindernis für die Prävention in Nachtclubs. [·] Mangelnde Kooperation zwischen Gesundheitsämtern und Sozialdiensten – Es gibt keine soziale Betreuung für Konsumenten in medizinischer Behandlung. Es gibt keine angemessene Versorgung in Krisensituationen. Drogenkonsumenten werden nach der Aufnahme in der Notaufnahme nicht an die geeigneten Dienste verwiesen. [·] Mangelnde Absprache mit den Bürgern – Informationsmangel ist ein Teil des Problems. Die Bürger verstehen nicht, wie die Dienste arbeiten. Sie verstehen nicht, warum nicht alle Drogenkonsumenten behandelt oder ins Gefängnis gesteckt werden. Die Furcht vor Drogen kann durch die Medien oder Fernsehprogramme geschürt werden, aber es ist wichtig, die Realität nicht zu unterschätzen, mit der viele Einwohner täglich konfrontiert sind. Auf die Sicherheit verletzlicher Menschen wie einsamer, älterer oder behinderter Menschen müsste besonderes Augenmerk gelenkt werden. [·] M angelnde Maßnahmen für junge Drogenkonsumenten – Die Schwierigkeit besteht zum Teil in den unterschiedlichen Erwartungen der Schlüsselbeteiligten. Der Status von Haschisch ist ein Schlüsselthema in der Debatte und Alkoholmissbrauch wird oft übersehen. Die Einnahme von Haschisch gilt bei jungen Drogenkonsumenten als normal, erfüllt aber ihre Familien mit Sorge. Die Reaktionen auf Haschischkonsum sind oft rein repressiv. Im Kontext der Partyszene wurden Reaktionen auf Risikoverhalten entwickelt, aber diese Antworten wurden nicht an den sozialen Kontext des täglichen Lebens angepasst. Gruppen junger Menschen, die im Verdacht des Handels mit Haschisch stehen, könnten auch die Ursache für Konflikte mit der Gemeinschaft sein. Die Behandlung ist nicht an den Konsum unterschiedlicher Drogen angepasst, der Alkohol, Haschisch und Aufputschmittel wie Kokain vermischt (das in den meisten europäischen Städten zunehmend konsumiert wird – siehe Anhang 1). [·] Randgruppen haben keinen vollen Zugang zu Versorgung – ausgegrenzte Drogenkonsumenten, Personen mit Migrationshintergrund, obdachlose Jugendliche, Minderjährige und Prostituierte. Für die Mädchen und Frauen in diesen Randgruppen sind spezifische Maßnahmen erforderlich. [·] B ei Veranstaltungen oder in bestimmten Situationen ändern sich Angebot und Nachfrage nach Drogen – Kulturelle Veranstaltungen wie Festivals, Konzerte, ein

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„Teknival“ oder saisonbedingte Veränderungen durch Tourismus (Strände im Sommer und Wintersport) erfordern selektive Interventionen. Städte in Grenzgebieten und Häfen an Drogenhandelsrouten erfordern spezifische Untersuchungen und angemessene politische Maßnahmen.14 Durch die örtliche Beurteilung werden die erforderlichen Informationen für Probleme und verfügbare Mittel bereitgestellt. Sie legt den Grundstein für Diskussionen über die Prioritäten örtlicher Programme. Die Entscheidungen hängen davon ab, welche Bedeutung dem Gesetzesvollzug, der Gesundheitsversorgung und dem sozialen Zusammenhalt beigemessen wird. Ein integriertes Programm gibt die Prioritäten für jeden Bereich vor.

(14) Siehe Publikation des Europäischen Forums für Urbane Sicherheit, Drug-related cross-border traffic patterns, 1998

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05

Aufbau einer lokalen Strategie

··························································


5.1. Integration der Ziele des sozialen Zusammenhalts

Gesetzesvollzug auf der einen und Gesundheit auf der anderen Seite haben ihre eigenen Indikatoren, um das Ausmaß der Probleme zu bewerten. Mit der Berücksichtigung des sozialen Zusammenhalts ändern sich die Prioritäten in jedem Bereich: [·] D ie Folgen von asozialem Verhalten Jugendlicher gehen oft über den Schweregrad spezifischer begangener Handlungen hinaus, weil sie die Beziehungen zwischen den Generationen destabilisieren, die ja im Mittelpunkt des sozialen Zusammenhalts stehen. [·] D ie öffentliche Gesundheitspolitik basiert auf Todes- und Erkrankungsquoten, aber der mangelhafte Zugang zu Versorgung für Randgruppen oder Menschen, die unter geistigen Störungen leiden, könnte erhebliche Konsequenzen für die Gemeinschaft haben, obwohl nur wenige betroffen sind. Die Programme müssen die Folgen und Auswirkungen von gesundheitlichen und gesetzlichen Aspekten auf den sozialen Zusammenhalt berücksichtigen. Die Ziele der Politik für sozialen Zusammenhalt wurden vom Europarat mit folgenden Kriterien festgelegt: gleichberechtigter Zugang zu verfügbaren Ressourcen, Respekt der Vielfalt, autonome Gruppen und Bürgerbeteiligung.15 Die Berücksichtigung des sozialen Zusammenhalts erwies sich in lokalen Programmen zur Beilegung öffentlicher Konflikte als besonders wichtig. In Oslo, Frankfurt und London wurde der Kampf gegen Verbrechen und Drogenhandel gestärkt, aber in all diesen Städten sind die Vollzugsdienste mit sozialen Maßnahmen und Sozialpolitik assoziiert. In Amsterdam werden festgenommenen Drogensüchtigen Alternativen zum Gefängnis in Entzugsdiensten angeboten. In Zürich kam man bei der Bewertung des Programms der Stadt zu dem Schluss, dass „jede Aktion, die von der Polizei ohne Unterstützung der Gesundheits- und Sozialdienste durchgeführt wird, zum Scheitern verurteilt ist.“ Über ein Gleichgewicht zwischen individuellen Freiheiten und allgemeiner Sicherheit muss mit den Bürgern verhandelt werden. Mechanismen für Konfliktbewältigung, Dialog zwischen Anbietern und Nutzern von Dienstleistungen, Kooperation zwischen Polizei, Gesundheits- und Sozialdiensten sowie Gemeinschaftsprogramme sind der Schlüssel zum Erfolg.16 Die Ziele des sozialen Zusammenhalts müssen in Harm-Reduction-Programmen berücksichtigt werden: [·] S oziale Bedürfnisse müssen berücksichtigt werden: Durch Zugang zu Unterbringungsmöglichkeiten kann verhindert werden, dass Drogenkonsumenten nachts in

(15) S iehe Publikation der Pompidou-Gruppe, Concerted development of social cohesion indicators - Methodological guide, 2005 (16) Siehe Schlussforgerungen: Johnny Connoly, Responding to open drug scenes and drug-related crime and public nuisance – Towards a partnership approach, Pompidou-Gruppe, 2006

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Privatbereichen herumlungern. Eine Arbeitsstelle bietet ausgegrenzten Drogenkonsumenten eine echte Alternative zu Ausgrenzung oder Gefängnis. [·] Es muss leichten Zugang zu Substitutionsprogrammen geben. Wenn sie erst einmal stabilisiert sind, können Drogenkonsumenten wieder gute Beziehungen zu ihren Familien und der Gemeinschaft aufbauen. [·] Die Reaktionen müssen an individuelle Situationen und spezifische Zielgruppen angepasst werden, wie junge Schwangere oder Mütter, ethnische Minderheiten, männliche und weibliche Prostituierte, obdachlose Jugendliche und Hausbesetzer. 5.2. Harm-Reduction-Ziele in jedem Stadium eines Programms

Harm Reduction ist eine öffentliche Gesundheitspolitik. Drogenkonsumenten müssen ihre Gesundheit schützen. Dazu gehört der Zugang zu Prävention (HIV- und Hepatitis-Übertragung, Risiken in Verbindung mit Drogenkonsum) und zu Gesundheitsversorgung (für körperliche und geistige Gesundheitsprobleme). Diese öffentlichen Gesundheitsziele können zu einer Verbesserung der allgemeinen Sicherheit und sozialem Zusammenhalt beitragen, wenn die Beziehung zu Drogenkonsumenten im Rahmen ihres täglichen Lebens Möglichkeiten für eine Überweisung an Gesundheits- und Sozialdienste bietet. Die Erfahrung zeigt, dass die meisten Drogenkonsumenten dazu bereit sind, wieder in die Gemeinschaft integriert zu werden, wenn die Dienste für ihre individuelle Situation geeignet sind. Jedes Stadium eines Harm-Reduction-Programms hat seine eigenen Ziele: [·] V erbesserung der kontextspezifischen Kenntnisse: Die Anpassung der Antworten der Gesundheitsdienste an aktuelle Risiken erfordert Kenntnisse über die Hintergründe der Konsumenten. Ein kontextspezifisches lokales Programm würde bedeuten, dass man die Betreffenden selbst sowie ihre Beziehungen zur breiten Gemeinschaft kennt. [·] O ptimierung der bereitgestellten Dienste: dazu gehört die Verbesserung des Zugangs und der Qualität der Dienste, die Entwicklung professioneller Kompetenzen, die gemeinsame Nutzung der Mittel durch die Vernetzung mehrerer Dienste. [·] Entwicklung neuer Dienste: neue Dienste müssen in Ergänzung zu vorhandenen Diensten in Auftrag gegeben werden. Dazu können zunächst Sondierungsprojekte erforderlich sein. [·] E ntwicklung von Verantwortung und Beteiligung der Bürger: Familien, junge Leute, Nachbarn und örtliche Bürgerorganisationen. Beispielsweise bietet die Stadt Ljubljana in Slowenien Schulungsseminare für Eltern an, um ihnen beim Umgang mit Risikoverhalten zu helfen.17

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Die allgemeinen Ziele müssen zu präzisen und messbaren Zielsetzungen führen. Als Reaktion auf offene Drogenszenen haben europäische Städte lokale Programme mit bestimmten Zielvorgaben für jede Dimension des Programms entwickelt. Dazu gehört, zu verhindern, dass neue Drogenkonsumenten in die Drogenszene hineingezogen werden (Oslo), sicherzustellen, dass Gemeinschaftsprogramme keine negativen Auswirkungen auf benachbarte Bezirke haben (Bahnhof in Heerlen, Niederlande), der Schutz von Schulen vor Drogen (Wien), die Anhebung der Zahl der Patienten in Behandlung und die Verringerung der Zahl junger Menschen, die in polizeiliches Gewahrsam genommen werden (Leeds). Diese Ziele lassen sich anhand von KPIs bewerten.18 Der Ort Matosinhos (Portugal) beteiligt die Einwohner an der Ausarbeitung eines städtischen Aktionsplans gegen Drogen19. 5.3. Harm-Reduction-Dienste im lokalen Kontext

Je nach Situation kann ein lokales Programm einen bestimmten Interventionsansatz begünstigen. Allerdings sind für jeden Ansatz eigene Mittel erforderlich, und die Finanzplanung muss von Anfang an Bestandteil des Projektes sein. Von Einzelpersonen oder Organisationen der Zivilgesellschaft initiierte Harm-Reduction-Dienste reagieren oft mit begrenzten Zielsetzungen wie Zugang zu sterilen Spritzen, Betreuung von Patienten in Krankenhäusern, Selbsthilfe oder Zivilrechte von Drogenkonsumenten, Schutz von Müttern mit Kindern. Wenn die Aktionen Teil eines Stadtratprogramms sind, können diese Dienste ausgeweitet werden. Ein Kontaktdienst, dessen Aufgabe im Wesentlichen darin besteht, Kenntnisse über die örtliche Situation zu verbessern, muss Dienstleistungen anbieten, die Vertrauen schaffen und sich an das Risikoverhalten im jeweiligen Kontext anpassen. Bei der Untersuchung von asozialem Verhalten beispielsweise muss der Dienst eine vermittelnde Rolle zwischen den Anwohnern und den Drogenkonsumenten spielen. Barrieren für den Zugang zu Diensten werden von dem Team identifiziert, das die Drogenkonsumenten begleitet. Leicht zugängliche Einrichtungen wie Kontaktdienste gelten als “niederschwellig” (ein ursprünglich niederländisches Konzept), da sie sich an Drogenkonsumenten wenden, ohne einen Entzug zu verlangen. Diese Harm-Reduction-Einrichtungen sind eine Erwiderung auf unmittelbare Gesundheitsbedürfnisse und die Maßnahmen wer-

(17) Siehe Kurzbeschreibung unter www.democitydrug.org (18) Connoly, 2006, op. cit. (19) Siehe Kurzbeschreibung unter www.democitydrug.org

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den an offensichtliches Risikoverhalten angepasst (AIDS, Hepatitis, Geschlechtskrankheiten, Blutvergiftung, Überdosis usw.). Laut Glossar des European Monitoring Centre for Drugs and Drug-Addiction bestehen die Ziele eines Harm-Reduction-Ansatzes darin, die Häufigkeit von Infektionen im Zusammenhang mit Drogenkonsum und Überdosis zu verringern und aktive Drogenkonsumenten dazu zu ermutigen, Kontakt zu Gesundheits- und Sozialdiensten aufzunehmen.. Das Ziel besteht darin, es Drogenkonsumenten zu ermöglichen, die Kontrolle über ihre eigene Gesundheit zu übernehmen – die Konsumenten sind dafür verantwortlich, ihre eigenen Entscheidungen in Bezug auf Drogenkonsum sowie auf soziale Integration zu treffen. Die Dienste müssen anwenderfreundlich sein, d.h. dass die Konsumenten genauso respektiert werden wie jeder andere Bürger auch, und jeder Einzelfall wird gesondert betrachtet. Als Gegenleistung wird von den Drogenkonsumenten Respekt für die örtliche Gemeinschaft verlangt. Verantwortung und Solidarität sind die Grundlage für den Austausch. Eine Reihe von Diensten wurde in verschiedenen Situationen getestet, wie Unterbringung für aktive Konsumenten (Notunterkünfte und Heime), niederschwellige Verschreibung von Behandlung, ohne Abstinenz zu verlangen, mobile Busse oder Kleinbusse für die Ausgabe von sterilen Spritzen und Methadonbehandlung in der Gemeinschaft. Zu den Diensten könnten auch experimentelle Initiativen wie Heroinverschreibung, Injektionsräume oder Drogenkonsumräume gehören, die in Spanien, Deutschland und den Niederlanden angeboten werden. Zwei Arten von Einrichtungen sind in der Lage, in den lokalen Programmen eine Schlüsselrolle zu übernehmen: [·] K ontaktstellen: Diese Einrichtungen wenden sich an verborgene Konsumentengruppen, die keinen Kontakt zu Drogenbehörden haben. Diese Dienste agieren informell dort, wo die Drogenkonsumenten leben, auf der Straße, in besetzten Häusern oder in Nachtclubs, bei ‘Teknivals’ und Konzerten. [·] Anlaufstellen: Diese Einrichtungen bieten eine Reihe verschiedener Dienste im Zusammenhang mit Risikoverhalten, wie Nadeltausch oder Bereitstellung von Kondomen, oder sie richten sich an gesellschaftliche Randgruppen. Die Besucher der Einrichtung bekommen zu essen und zu trinken, und auch Sanitär- und Pflegeeinrichtungen werden oft bereitgestellt. Außerdem können bestimmte Notbehandlungen angeboten werden, darunter die Möglichkeit zur Überweisung an Gesundheitsdienste oder Wiedereingliederungsprogramme. Diese beiden Dienste sind oft die ersten Maßnahmen, die im Rahmen lokaler Programme ergriffen werden müssen, weil sie es ermöglichen, spezifische Bedürfnisse zu erkennen, und zu neuen experimentellen Initiativen führen können.

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Kontaktstellen und Anlaufstellen arbeiten oft Hand in Hand. Beispielsweise kann der Nadeltausch Teil einer Kontaktstelle in einem mobilen Bus oder Lieferwagen sein, oder eine Anlaufstelle kann ein sicherer Bereich bei Partys oder Festivals sein, ein ‘Chill out’-Raum mit sanfter Musik, wo sich die Drogenkonsumenten entspannen, Wasser trinken und sich erfrischen können. Diese Dienste können tagsüber oder nachts, in einer bestimmten Gegend oder für eine bestimmte Zielgruppe genutzt werden. 5.4. Verwaltung integrierter Einrichtungen

Die Integration der Ziele in den Bereichen öffentliche Gesundheit, Gesetzesvollzug und sozialer Zusammenhalt hat mehrere Folgen: ...... 5.4.1. Folgen für die Bereitstellung der Dienste Die Beauftragten müssen entscheiden, ob sie einen integrierten Dienst an einem Ort anbieten wollen, oder auf Basis von Überweisungen an andere Behörden und Programme arbeiten. Anhand der bereitstehenden Mittel und der bisherigen Vorgehensweisen wird festgelegt, welcher Ansatz gewählt wird. Aus Sicht der Drogenkonsumenten müssen diese Entscheidungen jedoch die Chancen für ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft erhöhen. Der gemeindeweite Zugang zu Diensten trägt zur Wiedereingliederung der Drogenkonsumenten bei, aber die Drogenbehörden müssen eine vermittelnde Rolle zwischen Drogenkonsumenten und bestehenden Diensten spielen, damit vorhandenes Know-how und Ressourcen optimal genutzt werden. Harm Reduction-Einrichtungen haben sich für das Schlagen von Brücken zwischen etablierten Diensten und Randgruppen als nützlich erwiesen. Angesichts des Unterbringungsproblems können die Sozialdienste hinzugezogen werden, um festzulegen, unter welchen Bedingungen Drogenkonsumenten akzeptiert werden können, beispielsweise in spezifischen Programmen. In einigen Gebieten gibt es jedoch keinerlei Möglichkeit, eine Unterbringung für Drogenkonsumenten auszuhandeln. Ein spezifisches Projekt wie eine vorübergehende Unterbringung oder ein Heim wäre die richtige Antwort. Es ist wichtig, Informationen über neue Projekte an andere Partner weiterzugeben. Die Barrieren für den Zugang zu Behandlungszentren und Gesundheitsdiensten müssen erkannt und an andere Partner weitergegeben werden. Bestimmte Probleme treten immer wieder auf. Der Zugang zu Behandlung wird unter anderem behindert durch: [·] Psychiatrische Probleme [·] Alkoholprobleme und/oder Konsum mehrerer Drogen [·] Injizieren [·] Crack, Kokain und andere Aufputschmittel

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Experimentelle Projekte müssen der ständigen Entwicklung der Muster von Drogenkonsum und Risikoverhalten Rechnung tragen. Harm-Reduction-Projekte erfordern eine proaktive, reaktionsfähige und flexible Organisation, die sich des örtlichen Umfelds bewusst und in der Lage ist, neue Projekte mit neuen Zielgruppen zu entwickeln, die neue Risikoverhaltensmuster aufweisen. Das Team muss auf eine regelmäßige Neubewertung der Zielsetzungen und Mittel vorbereitet sein, da sich die örtliche Situation rasch ändern kann. ...... 5.4.2. Personaleinstellung Für die Arbeit in einem integrierten Programm ist ein ämterübergreifendes Team erforderlich. Für alle Harm-Reduction-Aktivitäten sind akkurate Kenntnisse der Drogenkonsummuster, der Verabreichungsform, der Risiken und Schutzfaktoren, des Kontextes für den Drogenkonsum und der örtlichen Straßenkultur erforderlich. Ein integriertes lokales Programm hebt Kenntnisse im allgemeineren sozialen und kulturellen Kontext hervor, ebenso wie Beziehungen zwischen Anwohnergruppen, Familienstrukturen usw. Für die Vernetzung sind weitere spezifische Kenntnisse erforderlich, wie die Aufgaben und Zuständigkeiten der einzelnen Dienste, professionelle Vorgehensweisen und Arbeitskulturen. Kenntnisse stammen teilweise aus persönlichen oder beruflichen Erfahrungen und teilweise aus empirischen, technischen und wissenschaftlichen Quellen. Kompetenzen wie der Umgang mit Verhaltensänderungen, Beratung, Bewältigung von Krisensituationen und Gewalt sind vor allem in den direkt betroffenen Stellen erforderlich. Bei der Arbeit in einem integrierten Dienst wird aber auch Wert auf Kompetenzen wie Kommunikation und Fürsprache, Vernetzung und Einbeziehung von Menschen und Organisationen, Entwicklung von Selbsthilfe und Gemeinschaftsentwicklung gelegt. Damit die Ämter effizient zusammenarbeiten, müssen sie dazu bereit sein, aus den Erfahrungen der anderen zu lernen. Außerdem sind gemeinsame Ziele in Bezug auf den Reformierungsbedarf der Dienste erforderlich. Im Rahmen des Projektes Democracies, Cities and Drugs produzierte das T3E-UKNetz einen Leitfaden über Gleichberechtigung in der örtlichen Drogenpolitik, der darauf hinweist, wie wichtig es für die Teams ist, auch für ethnische Minderheiten repräsentativ zu sein.20 Bei der Einbeziehung von Mitarbeitern mit unterschiedlichem kulturellem und beruflichem Hintergrund muss besonderes Augenmerk gelegt werden auf: [·] D ie für Besprechungen vorgesehene Zeit: sie sind für diese Stellen entscheidend und müssen mindestens einmal wöchentlich oder sogar täglich stattfinden.

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[·] A rbeitsgruppen: sie können sich mit schwierigen Situationen, problematischen Verhaltensweisen oder bestimmten Zielgruppen befassen. Sie können ausschließlich Mitarbeiter umfassen oder in Kooperation mit Partnern ablaufen. [·] Aufsicht: Die Unterstützung des Teams, Befähigung und Konfliktbewältigung sind entscheidend. [·] S chulungssitzungen: Sie sind wichtig, nicht nur um Kenntnisse zu erwerben, sondern auch weil sie Raum für Austausch und Weitergabe guter Methoden bieten. Sie müssen den Partnern offen stehen, die in unterschiedlichen Bereichen tätig sind (Psychiatrie, Suchthilfe, Ärzte, Berater, Sozialarbeiter), sowie erfahrenen Freiwilligen (AIDS, Selbsthilfeorganisation für Drogenkonsumenten, Eltern, Jugendorganisationen usw.) Harm-Reduction-Aktivitäten machen persönliches Engagement und ein breites Spektrum an Fähigkeiten erforderlich, da die Teams mit Menschen zu tun haben, die sich oft in einer Notlage oder in chaotischen und unvorhersehbaren Situationen befinden. Karriereplanung und Unterstützung müssen Bestandteil des Projektmanagements sein, um Ärger, Konflikte und ‘Burn out’ der Mitarbeiter zu verhindern. Dies kommt in Frontline-Diensten häufig vor und ist nicht nur der Gesundheit und dem Wohlbefinden des Einzelnen abträglich, sondern schadet auch der Kontinuität und den Vertrauensbeziehungen im Rahmen von Gemeinschaftsprojekten. ...... 5.4.3. Umgang mit Veränderungen Für die Einrichtung effizienter Arbeitsmethoden ist die Festlegung von Aufgaben mit vereinbarten Zeitrahmen und angemessenen Ressourcen erforderlich. Zu den Hauptaufgaben gehören: [·] Erfassung und Analyse von Information [·] Verbreitung von Mitteilungen und Bereitstellung von Informationen über Prävention [·] Beratung und Unterstützung [·] Überweisen und Begleiten von Konsumenten zu Terminen [·] Vorsehen von Zeit für Besprechungen [·] Schulung [·] Koordination der Partnerschaft [·] Mediation [·] Entwicklung von Initiativen und Selbsthilfeprojekten [·] Kommunikation

(20) Siehe Leitfaden unter www.democitydrug.org

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Frontline-Dienste unterschätzen häufig den zeitlichen und finanziellen Aufwand, der für all diese Aufgaben erforderlich ist, und arbeiten möglicherweise mit Freiwilligen oder ‘einheimischen’ Mitarbeitern ohne berufliche Qualifikation (wie örtliche Anwohner oder Drogenkonsumenten selbst). Um diese Aufgaben erfolgreich zu bewältigen, müssen Frontline-Dienste so verwaltet werden, dass sie folgendes bieten: [·] Klare Vorgaben hinsichtlich Verantwortung und Rechenschaft [·] Transparente Verwaltungsstrukturen und gut informierte Manager [·] Realistische Zeitpläne, um die Ziele zu erreichen [·] Bewertung der Ergebnisse anhand von KPIs. Das Programm muss regelmäßig überwacht werden. Schwierigkeiten müssen erkannt werden. Gute Methoden und Erfolge müssen anerkannt und gefördert werden. 5.5. Weitergabe von Information

Durch die Weitergabe von Informationen wird die Effizienz der Partnerschaften gesteigert. So können Ausschussmitglieder effizientere Entscheidungen über die künftige finanzielle Unterstützung der Projekte treffen und die Dienste können an die Bedürfnisse von Randgruppen angepasst werden. Dies ermöglicht eine offene Kommunikation und den Austausch zwischen Diensten, Bürgern und Drogenkonsumenten. So können die Drogenkonsumenten ihre eigenen Erfahrungen nutzen und durch ihre Beteiligung wertvolle Fähigkeiten erwerben. Allerdings bestehen für einen effizienten Austausch etliche Hindernisse. ...... 5.5.1. Technische Schwierigkeiten Es muss einen einheitlichen Ansatz für die Erfassung und Analyse von Daten geben, sowie bestimmte Vorgaben hinsichtlich der Art der Informationen, die für die Partnerschaft erforderlich sind. Wer in Frontline-Diensten arbeitet, erwirbt Erfahrungen, die er nicht immer weitergeben kann. Einheimischen Mitarbeitern gelingt es nicht immer, wesentliche Punkte zu erkennen, die für sie so selbstverständlich sind, dass sie es nicht für notwendig halten, sie weiterzugeben. Ein weiteres Hindernis hat mit der Art der angebotenen Dienste zu tun. In Frontline-Diensten sind die Beziehungen zu den Konsumenten oft begrenzt. Der Kontakt ist möglicherweise nur kurz, der Konsument möchte nicht erkannt werden oder hat keine Zeit. Informationen zu Einzelfällen sind vertraulich. Die Stigmatisierung und illegale Aktivitäten wären eindeutig ein Problem bei der Informationserfassung. Die Formalisierung des Zusammentragens neuer Kenntnisse stellt vor spezifische Schwierigkeiten, für die erfahrene Fachleute oder Experten erforderlich sind. Sie müssen eventuell in bestimmten Stadien des örtlichen Programms hinzugezogen werden, zum Beispiel bei der Entwicklung neuer

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Projekte in neuen Umfeldern, mit neuen Zielgruppen oder mit einem neuem Risikoverhalten. Experten können auch für Bewertungen erforderlich sein. ...... 5.5.2. Organisatorische Schwierigkeiten Diese Hindernisse hängen mit der internen Funktionsweise jedes Dienstes und der Kommunikation zwischen den Diensten zusammen. Fachleute aus dem Gesundheitsbereich und Sozialarbeiter sind nicht immer gewillt, Drogenkonsumenten zu behandeln, weil sie Konflikte oder Spannungen fürchten. Die Polizei fürchtet ein Durchsickern von Informationen. Ärzte sind an ihre Schweigepflicht gebunden, bei ethnographischen Nachforschungen über Untergrundaktivitäten muss Vertraulichkeit gewährleistet sein. Die Weitergabe von Informationen bricht mit der Tradition jedes Dienstes, der traditionell selbst erarbeitete Informationen für sich behalten hat. ...... 5.5.3. Politische und ethische Debatten Bei der Weitergabe von Informationen müssen die verschiedenen Ziele der Partnerbehörden berücksichtigt werden. Die Sicherheit der Allgemeinheit ist ein gemeinsames Ziel, für das eine gemeinsame Beurteilung erforderlich ist, aber die Weitergabe von Informationen zu Einzelfällen muss diskutiert werden, weil es dabei um bürgerliche Freiheiten und Menschenrechte geht. Beim Umgang mit Jugendkriminalität, Beschaffungskriminalität und Gewalt haben einige Städte wie Rotterdam in den Niederlanden und Leeds in Großbritannien lokale Programme entwickelt, die Gesetzesvollzug und Gesundheitsversorgung kombinieren. Dateien mit den persönlichen Angaben zu jedem einzelnen Straftäter oder für drogenabhängige Wiederholungstäter wurden erstellt. Die wichtigste Datenquelle sind die Strafvollzugsstellen und die Gesundheitsdienste, aber auch andere Quellen werden genutzt, wie die Beschwerden von Anwohnern oder problematische Konsumenten, die im Bildungssystem identifiziert wurden.21 Die Ziele einer Überwachung müssen mit jeder Partnerbehörde besprochen und vereinbart werden. Ethische Grundsätze müssen festgelegt werden. Drogenkonsumenten müssen wie jeder andere Bürger auch betrachtet werden, ihre Menschenrechte müssen geachtet werden. Partner und Kunden (Drogenkonsumenten, Familien und Anwohner) müssen über die erfassten Daten informiert werden sowie darüber, wer Zugriff auf die Information hat und wie die Daten verwendet werden. Menschliche und technische Ressourcen müssen identifiziert werden. [·] Schulung von Mitarbeitern, die für die Erfassung der Information verantwortlich sind

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[·] Vorgesehener Zeitrahmen [·] Anforderungen für die Bewertungen durch Experten.

5.6. Mobilisierung von Ressourcen

Die Zusammenarbeit zwischen den Einrichtungen ist weder einfach noch spontan. Es handelt sich um einen langfristigen Prozess. Die Zusammenarbeit erfordert: [·] Das Verstehen der Ziele, Methoden und Kulturen jedes Partners [·] Das Akzeptieren der Änderung organisatorischer und fachlicher Methoden. Die Zusammenarbeit zwischen Vollzugsbehörden auf der einen und Gesundheitsund Sozialdiensten auf der anderen Seite stellt vor spezifische Probleme, die behandelt werden müssen. ...... 5.6.1. Partnerschaften mit Vollzugsbehörden Örtliche Programme können über ihre gemeinsamen Zielsetzungen auf Basis der im Rahmen örtlicher Drogenpartnerschaften erkannten Probleme entscheiden, aber die Verringerung von Drogenkriminalität, die Verbesserung der allgemeinen Sicherheit und der Umgang mit asozialen Verhaltensweisen sind ausnahmslos Schlüsselaspekte der Rolle der Polizei. Für die Polizei ist die Zusammenarbeit mit Gesundheitsund Sozialdiensten von Vorteil, weil ihre Arbeit zur öffentlichen Sicherheit beiträgt. Manchmal entstehen allerdings Spannungen zwischen den Zielsetzungen der Polizei und denjenigen der Gesundheits- und Sozialdienste. Die Zusammenarbeit zwischen der Polizei und Harm-Reduction-Diensten ist direkter als mit der Justiz, weil beide Dienste an vorderster Front zum Einsatz kommen (zum Beispiel in den Stadtteilen, in Partyszenen usw.). Die genauen Ziele und Mittel der Kooperation sind kontextabhängig: [·] I n der Nähe von Harm-Reduction-Diensten: Die Sicherheit aller muss gewährleistet sein. Die Konsumenten müssen in der Lage sein, Harm-Reduction-Dienste zu erreichen, ohne verhaftet zu werden, weil sie Drogen nehmen. Die Mitarbeiter müssen allerdings die Polizei rufen, wenn Verbrechen und Drogenhandel eine Gefahr für die Menschen darstellen (für Anwohner, Mitarbeiter und Drogenkonsumenten). [·] I n Polizeirevieren: Ärztliche Untersuchungen müssen gestattet werden. Die Polizei muss festgenommene Konsumenten an geeignete Gesundheits- und Sozialdienste

(21) Siehe Thierry Charlois, Workshop Report “Drugs & Insecurity”, Urbact Programm, SecurCity Projekt, 2005

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überweisen. In Krisensituationen wie familiärer Gewalt oder psychiatrischen Problemen muss die Polizei in der Lage sein, geeignete Fachleute hinzuzurufen. [·] I n den Stadtvierteln: Gezielte Polizeieinsätze wie das Zerstreuen einer Gruppe Drogenkonsumenten in einer bestimmten Gegend sollte mit Gesundheits- und Sozialdiensten organisiert werden, wie beispielsweise Notunterkünfte, niederschwellige Behandlung, Überweisungen und Unterstützung. [·] Im Nachtleben: Sämtliche Sicherheitsdimensionen für junge Leute müssen in Betracht gezogen werden. Transportprobleme müssen für alle, auch Clubgänger, Not- und Harm-Reduction-Dienste, berücksichtigt werden. Es werden zunehmend nationale und lokale Bestimmungen ausgearbeitet, welche die Einsätze der Vollzugsbehörden auf der einen und der Gesundheits-, Jugend- und Sozialdienste auf der anderen Seite regeln. Diese neuen Bestimmungen, die insbesondere auf Minderjährige ausgerichtet sind, stehen im Mittelpunkt der öffentlichen Debatte darüber, ob Kinder und junge Leute Unterstützung bekommen und aus dem Strafjustizsystem herausgehalten werden sollten und ob Forderungen nach allgemeiner Sicherheit weitere repressive Maßnahmen erfordern. Gewalttätiges oder asoziales Verhalten, Kleinkriminalität sowie die Beteiligung Minderjähriger am Drogenhandel führte zu einer Forderung nach stärkeren repressiven Reaktionen.22 Diese Forderung erhält zusätzlich dadurch Nahrung, dass es nicht gelungen ist, Kinder- und Jugenddienste angemessen zu finanzieren, das es an geeigneter Überwachung mangelt und aufeinanderfolgende Maßnahmen ergriffen wurden, die keine integrierten Lösungen für einzelne Kinder oder Jugendliche ermöglichen. Vollzugsstellen und Gesundheits- und Sozialdienste verfolgen mehrere gemeinsame Ziele, die für eine Zusammenarbeit hilfreich sein sollten. Darunter: [·] Sicherstellung der täglichen Sicherheit der Beschäftigten und Kunden [·] Angebot von Alternativen zum Gefängnis [·] Rückgang der Zahl der Wiederholungstäter [·] Angebot möglichst frühzeitiger Unterstützung und Betreuung. Für jede dieser Zielsetzungen müssen angemessene Finanzmittel bereit gestellt werden. Für eine Verringerung der Rückfallquoten ist die Ausarbeitung von gemeinsamen Versorgungsplänen mit individuellen Rehabilitationsprojekten für verurteilte Drogenkonsumenten erforderlich (z.B. Operation Heartbeat, Heerlen, eine Partnerschaft zwischen Institutionen, Verkehrsbetreibern, der Armee und dem Justizvollzug). Manche Städte haben spezifische Projekte gestartet, um Behandlung für

(22) Siehe Publikation des Europäischen Forums für Urbane Sicherheit, Local approach to organised crime, 2000

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besonders problematische Konsumenten anzubieten (z.B. das PGA 700-Projekt in Rotterdam für besonders problematische Konsumenten).23 ...... 5.6.2. Partnerschaften mit Gesundheits- und Sozialdiensten Partnerschaften mit Gesundheits- und Sozialdiensten können sich als schwierig erweisen, weil einerseits eine allgemeine Furcht und manchmal auch Vorurteile gegenüber Drogensüchtigen und Drogensucht bestehen. Andererseits weisen manche Drogenkonsumenten für die Mitarbeiter der Gesundheits- und Sozialstellen ein problematisches Verhalten auf und ihre Haltung und ihre Einstellung kann durch solche Erfahrungen beeinflusst sein. Man geht davon aus, dass Drogenkonsumenten nicht die Wahrheit sagen, keine Regeln einhalten und ständig dringende Forderungen stellen. Drogenkonsumenten vermeiden generell Gesundheits- und Sozialdienste, weil sie Angst davor haben, als Konsument erkannt zu werden. Die Folgen einer solchen Erkennung sind von Land zu Land unterschiedlich und von den nationalen Drogengesetzen und der gängigen Praxis abhängig. Doch selbst wenn sie keinerlei gesetzliche Konsequenzen befürchten müssen, so fürchten Drogenkonsumenten zumindest Stigmatisierung und Ausgrenzung. Vor allem Minderjährige, Schwangere oder Mütter fürchten Sozialkontrollen. Harm-Reduction-Mitarbeiter spielen eine entscheidende Rolle als Vermittler zwischen Konsumenten und den Diensten. Die Mitarbeiter müssen den Zugang zu Behandlungs- und Rehabilitationsdiensten erleichtern und gleichzeitig eine Vertrauensbeziehung zu den Drogenkonsumenten aufbauen. Die Situationen müssen von Fall zu Fall unter Berücksichtigung der Ziele des Dienstes und der gängigen Praxis behandelt werden. Die Mitarbeiter müssen die Drogenkonsumenten über die Ziele des Dienstes und seine Arbeitsweise informieren. Für die Verbesserung des Zugangs zu Gesundheits- und Sozialdiensten gibt es unterschiedliche Modelle: [·] Einzelpersonen müssen zur Überweisung an andere Stellen begleitet werden. [·] G emeinsame Versorgungsformen können mit Ärzten und/oder Sozialarbeitern initiiert werden. [·] “ Brücken” können eingerichtet werden, z.B. durch reservierte Krankenhausbetten, spezifische Projekte zur Information der Konsumenten über die Bereitstellung bestimmter Dienste usw.

(23) Siehe Thierry Charlois, 2005, op. cit.

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[·] A mbulante Chirurgiestationen oder fallspezifische Sitzungen mit Sozialarbeitern basierend auf Harm-Reduction-Diensten [·] Gemeinsames Fall-Management für schwierige Fälle und/oder Krisensituationen. 5.7. Vernetzung als effizientes Handlungsinstrument

Die Entwicklung guter persönlicher Beziehungen ist eine Voraussetzung für effiziente Vernetzung. [·] D urch Vernetzung entsteht eine gemeinsame Kultur: Zusammenarbeit ist der erste Schritt zum Aufbau einer gemeinsamen Drogenkultur. Weil Fachleute aus dem Gesundheitsbereich wissen, was Drogenkonsumenten durchmachen, sind sie am ehesten in der Lage, Vertrauensbeziehungen aufzubauen, und können möglicherweise sogar Änderungen ausgehend von ihren Erfahrungen vorschlagen. Eine gemeinsame Kultur muss auf eine gemeinsame Wissensbasis aufbauen. Die Vernetzung hilft den Partnern, die Bestimmungen, Aufgaben und Zuständigkeiten der anderen besser zu verstehen. > Ziel: Vereinheitlichung der Wissensbasis unter den wichtigsten Beteiligten: > Mittel: >> S chulung: Durch gemeinsame Schulungen mit allen wichtigen Partnern entsteht eine gemeinsame Kultur und gemeinsame Praxis im Zusammenhang mit Drogenkonsumenten. Jede Behörde kann darüber berichten, wie sie mit anderen Partnern zusammenarbeitet. >> Kommunikation: Das Netzwerk muss vorhandene Informationen über Drogen für alle Teilnehmer bereitstellen und aktuelles Harm-Reduction-Material vorlegen. Spezifische Projekte können gestartet werden, wie Informationszentren oder Call Center. [·] J eder Partner muss ein Interesse an dem Netzwerk haben: Von dem Netzwerk muss jedes Mitglied profitieren. Es muss aktuelle Informationen über das durchgeführte Programm und über die vorhandenen Mittel bereithalten. Es muss einen Rahmen bieten, in dem Fachleute auf Grund ihres Fachwissens herangezogen werden können. > Ziel: Gemeinsame Mittelnutzung > Mittel: >> Netzwerkverwaltung: Aktualisierung und Auswahl nützlicher Informationen, Identifikation einer Verbindungsperson zwischen der Partnerschaft und jeder Behörde >> B ereitstellung von lokalem Fachwissen: Beratungen in vorhandenen Diensten (Krankenhäusern, Sozialdienste, psychiatrische Dienste). Gemeinsame Versorgung und Überweisung für schwierige Patienten.

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>> Einladen von Experten aus unterschiedlichen Bereichen (Harm Reduction, Drogensucht, Psychiatrie, Bildung und Wohlfahrt). >> Bereitstellung von Material und Personal: Büromitarbeiter, Kommunikationsmittel. [·] D ie Aktionen des Netzwerks müssen unterstützt werden: Kommunalpolitiker müssen die Entwicklung des Netzwerks unterstützen. Sie sind für die Bereitstellung ausreichender und angemessener Ressourcen für das Funktionieren des Netzwerks verantwortlich. Zusätzliche Mittel können von allen Diensten bereit gestellt werden, die das Netzwerk nutzen, durch materielle Unterstützung (z.B. lokales Material, Ausrüstung), personelle Mittel (Zeit) oder die Bereitstellung von Information. > Ziel: Schwerpunkt auf die richtige Praxis legen > Mittel: >> Information über die Aktionen, die von dem Netzwerk im Rahmen des partnerschaftlichen Ansatzes durchgeführt werden. Einbeziehung der Aktionen des Netzwerks in die Aktivitätsberichte der Partner. >> Öffentliche Kommunikation über die Aktionen durch die Organisation von Veranstaltungen oder Debatten. 5.8. Von der Information zur Teilnahme

Die Möglichkeiten für den Umgang mit den Folgen von sozialer Ausgrenzung sind nicht unbedingt auf den ersten Blick offensichtlich. Dafür sind zuverlässige Informationen und Beweise erforderlich. Repressive Gesetze erfüllen die Forderungen der Öffentlichkeit nach erhöhter Sicherheit nicht ganz. Ferner hängt die öffentliche Sicherheit auch von vielen anderen politischen Entscheidungen in Bereichen wie Bildung oder Städteplanung ab. Die Ziele der politischen Maßnahmen für sozialen Zusammenhalt sind nicht nur für Entscheidungen über Projekte und Einrichtungen ausschlaggebend, sondern auch für ihre Umsetzung, für die Mobilisierung von Ressourcen und die Kommunikationsstrategien. Lokale Programme brauchen Pläne für die lokale Demokratie. Dazu gehören: [·] Ö ffentliche Information: Informationen über durchgeführte Aktionen sind eine Voraussetzungen für die Teilnahme der Bürger. Dafür müssen sämtliche Kommunikationsmittel eingesetzt werden: die örtlichen Medien, Zeitungen, Pressemitteilungen, interne und externe Kommunikationskanäle einzelner Behörden und Organisationen wie Bürgerausschüsse. [·] Befragung: Die Bürger können durch bestehende Organisationen wie Bürgerausschüsse befragt werden. Gremien wie Einwohnergruppen, Jugendräte und Konsu-

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mentengruppen in öffentlichen Ämtern können kontaktiert werden. Die Befragung kann zur Entwicklung einer Drogenpolitik sowie zu spezifischen Arbeitsgruppen und Ausschüssen führen. Manche Länder oder Regionen können sich auch für Volksbefragungen entscheiden. [·] Öffentliche Debatte: Debatten können in unterschiedlichen Stadien der Entwicklung von Programmen abgehalten werden, um die Anwohner über die Fortschritte bei der Analyse der örtlichen Probleme, die gewählten Prioritäten sowie die Folgen und Auswirkungen des Programms zu informieren (siehe Beispiel des Forums, organisiert von einer Stiftung in Haarlem in den Niederlanden24). [·] Mediation: Die Mediation kann sich speziell auf das Thema Drogen beziehen oder nicht (Lüttich, Mediation im Rahmen eines lokalen Sicherheitsvertrags; Mediatoren im Gesundheitsbereich in Roubaix25), und reagiert auf unterschiedlichen Feedback. Organisationen können eine Mediationsrolle zwischen Kommunalpolitikern und Einwohnern übernehmen. Spezifische Organisationen können diese Rolle für eine bestimmte Einwohnergruppe übernehmen (Personen mit Migrationshintergrund, Jugend- oder Familienorganisationen). [·] V erhandlung: Die Verhandlung kann Prioritäten für das gesamte Programm oder für bestimmte Aktionen wie die Eröffnung eines Betreuungszentrums betreffen. Die Projekte müssen als Gegenleistung für Garantien ausgehandelt werden. Die Verhandlung läuft in einem mehr oder weniger förmlichen Rahmen ab, muss aber das Meinungsspektrum zu einem bestimmten Thema anerkennen. Bürgerjurys wurden erfolgreich eingesetzt, um unterschiedliche Standpunkte unter einen Hut zu bringen (z.B. in Burnley in Großbritannien oder in Paris-Stalingrad in Frankreich).26

(24) S iehe Publikation des Europäischen Forums für Urbane Sicherheit, Local participation in strategies for the prevention and control of drug abuse, 1998 (25) Siehe Publikation des Europäischen Forums für Urbane Sicherheit, Urban crime prevention policies in Europe: towards a common culture? 1998 (26) Siehe Newsletter CRIPS-IDF, 56ème rencontre du CRIPS-IDF “Démocratie participative et réduction des risques”, 2004

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06

Bewertung lokaler Initiativen

··························································

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6.1. Bewertung der nationalen Drogenpolitik

Die Bewertung der Ergebnisse im Bereich der Drogenpolitik ist eine neue Anforderung. Bis zur Mitte der 90er Jahre gab es keinen triftigen Grund dafür, irgendwelche Verbesserungen zu erwarten. Jahr für Jahr verzeichneten sämtliche Länder steigende Zahlen: Anstieg der Zahl der Verhaftungen von Drogenkonsumenten, Anstieg der Menge der beschlagnahmten Drogen und Anstieg der Zahl der Todesfälle wegen Überdosis. Dieser kontinuierliche Anstieg führte zu einem Gefühl der Machtlosigkeit. Seitens der Politiker bestand der Wille, sich mit dem Drogenthema zu befassen, aber viele wussten, dass sie von ihren Bemühungen keine positiven Ergebnisse erwarten konnten. Anfängliche Harm-Reduction-Projekte für die Bereitstellung sauberer Nadeln und Spritzen schienen im Widerspruch zum “Kampf gegen Drogen” zu stehen. Diese Maßnahmen mussten ihre Effizienz im Kampf gegen AIDS und beim Schutz der Gesundheit der Drogenkonsumenten unter Beweis stellen, doch im Vordergrund stand bei der Bewertung, vor Augen zu führen, dass solche Initiativen den Drogenkonsum nicht fördern. Nadelaustauschprogramme konnten entwickelt werden, weil bewiesen werden konnte, dass ein verbesserter Zugang zu sauberen Spritzen nicht zu einem Anstieg der Zahl der injizierenden Drogenkonsumenten in der Stadt führt. Die Entwicklung von Harm-Reduction-Politik wurde im Wesentlichen auf Fakten gestützt. Zwei Ergebnisse dieser Politik waren der Rückgang der Todesfälle wegen Überdosis und der AIDS-Fälle. In Frankreich waren die Veränderungen besonders rasant und umfangreich. Die Harm-Reduction-Politik wird vom französischen Gesundheitsamt seit 1994 bewertet. Es zeigt sich, dass die Anzahl der Todesfälle wegen Überdosis um 80% und die Todesfälle auf Grund von AIDS um zwei Drittel zurückgegangen sind. 2004 waren Drogeninjektionen für 3% aller AIDS-Infektionen verantwortlich, im Vergleich zu 30% 1991. Abgesehen von gesundheitlichen Aspekten kam es auch bei den Festnahmen von Heroinkonsumenten zu einem Rückgang um 67%. Dieses Ergebnis hängt mit der Zahl der Konsumenten in Behandlung zusammen. Diese Ergebnisse haben das European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction dazu veranlasst, die Verabschiedung einer öffentlichen Gesundheitspolitik zu empfehlen.27 Allerdings gelten für diese Politik und die Erwartungen ihr gegenüber bestimmte Einschränkungen: [·] D ie interessantesten Ergebnisse stammen aus der Substitutionstherapie: Diese Behandlung steht nur für Heroinkonsumenten zur Verfügung. Für andere Drogen

(27) E uropean Monitoring Centre for Drugs and Drug-Addiction, Annual report on the state of the drugs problem in Europe, 2007 – www.emcdda.europa.eu

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gibt es keine Substitutionsbehandlung. Behandlungen für Aufputschmittel wie Kokain sind weniger erfolgreich. [·] B esonders problematische Konsumenten brauchen spezifische Versorgung: Die Überweisung problematischer Konsumenten an Versorgungsdienste ist ein Schlüsselthema für lokale Programme, aber Drogenkonsumenten mit vielseitigen Bedürfnissen bräuchten ein breiter angelegtes Projekt, das sämtliche Dimensionen berücksichtigt, darunter ihre Drogenabhängigkeit, psychiatrische Probleme, soziale Bedürfnisse und rechtliche Aspekte. Für solche Projekte ist der bereichsübergreifende Einsatz mehrerer Ämter erforderlich. [·] H arm-Reduction-Politik ist auf den Schutz der Gesundheit von Drogenkonsumenten begrenzt: Die Konsumprävention weist problematischere Ergebnisse auf. In einigen europäischen Ländern haben Präventionsprogramme mit Erfolg die Zahl der Haschischkonsumenten stabilisiert, aber die guten Methoden wurden innerhalb Europas nicht ausgetauscht. Die nationale Drogenpolitik ist ständig mit einer steigenden Zahl von Konsumenten auf der einen und der Entwicklung des Drogenhandels auf der anderen Seite konfrontiert. Dabei sind die europäischen Länder mit einigen Gemeinsamkeiten konfrontiert: [·] I m Bereich des Drogenkonsums: Heroinspritzen war und ist ein zentrales Element der Drogenprobleme, obwohl in einigen westlichen Ländern ein Rückgang zu verzeichnen ist. Opiate (größtenteils Heroin) sind nach wie vor die Hauptdroge, wegen der sich Patienten um Behandlung bemühen. In den letzten Jahren wurden in ganz Europa neue Muster bei Drogenkonsum und Drogenmissbrauch beobachtet. Einer der Hauptaspekte dieser neuen Trends ist der zunehmende Konsum sogenannter Partydrogen. Die Zahl der Konsumenten verschiedener Drogen sowie von Aufputschmitteln wie Kokain ist in allen europäischen Ländern gestiegen. Alkoholmissbrauch ist oft die Basis für diesen Mischkonsum. Haschisch, die häufigste Drogenform, bringt wachsende Sorgen hinsichtlich sozialer und gesundheitlicher Entwicklungen mit sich. Obwohl Zugang zu Versorgungsdiensten so früh wie möglich verfügbar sein muss, bemühen sich nur sehr wenige junge Leute um Behandlung: nur 7% der Patienten sind unter 20. Im neuesten europäischen Bericht wird darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, Lösungen zu entwickeln, die der komplexen und facettenreichen Struktur des heutigen Drogenproblems Rechnung tragen.28 [·] I m Bereich des Drogenhandels: Die internationale Entwicklung organisierter Gangsterbanden und des Drogenhandels bereitet auf internationaler und europäischer Ebene das größte Kopfzerbrechen. Seit dem Vertrag von Amsterdam gibt es eine europäische Drogenpolizei. Festnahmen von Drogenhändlern und die Beschlagnahmung von Drogen nehmen zu, aber diese indirekten Indikatoren sind von den

(28) E uropean Monitoring Centre for Drugs and Drug-Addiction, Annual report on the state of the drugs problem in Europe, 2007 – www.emcdda.europa.eu

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Mitteln abhängig, die für die Vollzugsdienste zur Verfügung gestellt werden. Die Ergebnisse sind stets auf bestimmte Gegenden beschränkt und es besteht kein Konsens hinsichtlich der globalen Ergebnisse für den Drogenhandel. Es gibt ein Zusammenspiel zwischen repressiven Aktionen und Organisationen, betroffenen Gegenden und Zusammenhänge zwischen Klein- und Großkriminalität. Diese Feststellungen sind für das ausschlaggebend, was von lokalen Programmen erwartet werden kann: [·] E s ist möglich, die negativen Konsequenzen des Konsums sowohl für das Umfeld als auch für die Drogenkonsumenten selbst zu begrenzen. [·] Es ist möglich, in einem bestimmten Gebiet größere Kontrolle auszuüben, den Drogenhandel auf der Straße erfolgreich zu bekämpfen und asoziales Verhalten und Nachbarschaftskonflikte in Verbindung mit Drogenhandel zu reduzieren. Während es auch möglich ist, positive Auswirkungen auf den Drogenkonsum zu erreichen, müssen lokale Strategien anerkennen, dass Drogenkonsum und Drogenkonsumenten sich nicht wegzaubern lassen. Drogenspezifische Probleme sind wie andere soziale Probleme, mit denen die Städte konfrontiert sind und die kontinuierliche Beurteilungen und Bewertungen erfordern. 6.2. Qualitative und quantitative Indikatoren

Die Bewertung muss bereits zu Beginn des Implementierungsprozesses geplant werden. Einige Städte in Nordeuropa besitzen Pläne mit präzisen Definitionen der Zielsetzungen mit quantitativen Indikatoren, Datenbanken für die erfassten Informationen und manchmal qualitativen sowie quantitativen Daten. Die Auswahl der Daten ist von den Zielen des Programms abhängig, aber auch die Machbarkeit der Informationserfassung muss berücksichtigt werden: [·] E s sollten nur wenige Indikatoren ausgewählt werden: jeder beteiligte Sektor (Polizei, Gerichte, Gesundheitsdienste, Harm-Reduction-Dienste) müssen ihre eigenen Indikatoren auswählen. [·] Die Information muss leicht zu erfassen sein: Daten sollten im Rahmen des Möglichen innerhalb jeder Partnerbehörde erfasst werden. [·] Die Information muss aussagekräftig sein: Die Beziehungen zwischen den einzelnen Diensten führen zu einer ganzheitlicheren Analyse der Ergebnisse. Indikatoren müssen im Hinblick auf zwei verschiedene Ziele festgelegt werden: Zum Zwecke der Programmverwaltung und zur Überwachung von Ergebnissen, Resultaten und Auswirkungen.

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...... 6.2.1. Indikatoren für die Programmverwaltung Für die Verwaltung lokaler Projekte sind quantitative und qualitative Daten erforderlich, um die Zielsetzungen zu bewerten, neue Ressourcen zu mobilisieren oder notwendige Kompetenzen hinzuzuziehen. In jeder Programmstufe müssen dieselben Fragen gestellt werden: [·] P rofitiert jeder Partner von der Partnerschaft? Besteht eine effiziente Kooperation zwischen den Partnern? Welche Hindernisse bestehen? [·] S ind die organisatorischen Entscheidungen gerechtfertigt? Entsprechen die Sitzungsplanung, die Teilnehmer und die Themen den gestellten Aufgaben? [·] W erden die erforderlichen Entscheidungen rechtzeitig getroffen? Wurde darüber diskutiert? Hat sich jeder Partner die Ziele angeeignet? Wurde das Vorgehen an die Zielsetzungen angepasst? [·] H aben die Dienste Qualitätsindikatoren festgelegt? Wird der Zugang zu den Diensten erleichtert? Wurden die Mitarbeiter geschult? [·] S tehen für das Programm ausreichend Finanzmittel zur Verfügung? Wurden die Ziele in Abstimmung mit den verfügbaren Ressourcen neu festgelegt? [·] W urde die Beteiligung örtlicher Anwohner gefördert? Haben sich die Leute freiwillig gemeldet? Werden neue Initiativen vorgeschlagen? Falls Schwierigkeiten oder Hindernisse bestehen, könnte es produktiver sein, qualitative Daten zu verwenden, um einen besseren Einblick in die Thematik zu bekommen. Partnerschaften werden zur Formsache, wenn es keine Debatten mehr gibt, wenn die Zuständigen durch jüngere Mitarbeiter vertreten werden, die keine Entscheidungen treffen können, oder wenn zunehmend Mitarbeiter fehlen. Solche Schwierigkeiten können zu Beginn auftreten, können aber auch andauern, wenn die Partner erneut in frühere Muster verfallen. Dann kann es zwischen den verschiedenen Polizeidiensten oder zwischen der Polizei und den Gerichten zu Konflikten kommen, es kann einen Mangel an Koordination zwischen Sozialdiensten und Gesundheitsdiensten geben, oder es können territoriale und politische Konflikte zwischen den Entscheidungsträgern entstehen. Die Zuständigen für die Verwaltung solcher Partnerschaften müssen effiziente Strategien entwickeln, um Änderungen zu bewirken. Es ist Aufgabe des Koordinators, sich an die Partner zu wenden, wenn Schwierigkeiten auftreten. Der Lenkungsausschuss muss auf solche Schwierigkeiten aufmerksam gemacht werden und die Rolle des Koordinators unterstützen. Wenn Konflikte zwischen den Partnern nicht gelöst werden können, kann die Entscheidungslast auf den Schultern der Kommunalpolitiker liegen.

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...... 6.2.2. Indikatoren für Aktionen, Ergebnisse und Auswirkungen Alle Dienste müssen ihre Aktivitäten wie Anzahl der Festnahmen, Anzahl der verurteilten Konsumenten oder Anzahl der behandelten Patienten erfassen. Wichtig ist die Unterscheidung zwischen Indikatoren für Aktivitäten und Indikatoren für Ergebnisse. Je nach örtlicher Situation kann ein Anstieg der Zahl der festgenommenen Drogenkonsumenten als positives oder negatives Ergebnis gesehen werden. Dies gilt auch für die Zahl der Beschwerden. Je nach Kontext könnte ein Anstieg auf eine Verbesserung des öffentlichen Vertrauens in die Polizei hinweisen. Er könnte aber auch ein Hinweis auf zunehmende Probleme in bestimmten Vierteln sein. Indikatoren für die Aktivität eines Dienstes und für die Ergebnisse verfolgen nicht denselben Zweck. Die Dienste müssen Belege für ihr Handeln vorlegen. Ein hohes Aktivitätsniveau rechtfertigt mehr Personaleinsatz, aber quantitative Indikatoren können unvorhersehbare und unerwünschte Folgen haben. Gesundheitsdienste können versucht sein, schwierige Patienten auszugrenzen, die länger brauchen, bis Ergebnisse erzielt werden. Das gleiche gilt für Polizeikräfte: es ist einfacher, seit langem bekannte Konsumenten zu verhaften, als einen neuen Dealer-Ring zu sprengen, da dafür langwierige und schwierige Ermittlungen erforderlich sind. Die Anzahl der geleisteten Aktivitäten ist nicht mit den Indikatoren für Ergebnisse und Auswirkungen gleichzusetzen. Die Indikatoren müssen ausgehend von den gewünschten Ergebnissen festgesetzt werden. Spezifische Indikatoren müssen für die Analyse gelten. Beschaffungskriminalität und soziale Unruhen müssen erkannt und gezielt erfasst werden. Aussagekräftige Indikatoren müssen erfasst und für die einzelnen beteiligten Sektoren bereit gestellt werden. Beispielsweise besteht im britischen Leeds ein Ziel in der Anhebung der Zahl der verhafteten Drogenkonsumenten. Für die Partnerschaft wurden spezifische Indikatoren festgelegt: Anzahl der Konsumenten, die an Behandlungsstellen überwiesen wurden, Anteil der Überweisungen, die in der Behandlung verblieben sind, und Anzahl derjenigen, die die Behandlung abgeschlossen haben. Projekte müssen ausgehend von einer Reihe messbarer Variablen überwacht werden, die in verschiedenen Sektoren erfasst werden. ...... 6.2.3. Bewertende Untersuchungen Für eine Reihe von Projekten müssen spezifische Mittel entwickelt werden: [·] V erringerung der Anzahl der Wiederholungstäter: die Bewertung hängt von der bereits in Gerichten oder im Justizvollzug erfassten Information ab. Die Bewertung

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sollte die vorhandenen Daten ergänzen, aber auch Nachforschungen zur individuellen Laufbahn können nützlich sein. [·] V erringerung der Zahl der Abbrecher: Dazu könnte eine Akte erforderlich sein, die von Dienststelle zu Dienststelle weitergereicht wird. Eine Bewertung der medizinischen Methoden kann erforderlich sein, um die Gründe für Erfolg oder Misserfolg zu verstehen. [·] V eränderung des Verhaltens von Drogenkonsumenten: Die Verhaltensweisen müssen vor dem Hintergrund des täglichen Lebens identifiziert werden. Zum Verstehen der Ergebnisse sind Identifikationsfaktoren für Schutz und Veränderung erforderlich. [·] Ä nderungen an den fachlichen Methoden: Änderungen von Wahrnehmungen und Vorstellungen, integrierte Ansätze und Beratung für Verhaltensänderung; Entwicklung eines Rahmens für Kooperation und Vernetzung. [·] Entwicklung über allgemeine Gesundheitsprogramme: steigende Beteiligung und Mitgliedschaft, führende Beteiligte an lokalen Programmen; Entwicklung neuer unabhängiger Initiativen. Einige der Variablen können in eine Datenbank integriert werden, z.B. Wiederholungstäter oder Patienten, die ein Behandlungsprogramm abbrechen. Andere Indikatoren gelten möglicherweise nur für eine spezifische Zielsetzung: Als die Stadt Rotterdam ein Partnerschaftsprogramm für 700 besonders problematische Drogenkonsumenten entwickelte, zog sie dazu Fachleute aus allen Bereichen hinzu: Psychiater, Kriminologen, Suchtexperten und Soziologen. Um individuelle Laufbahnen mit kriminellem Hintergrund und Behandlungsgeschichten zu verstehen, waren gemeinsame Untersuchungen, bessere Kenntnisse des Drogenmarktes und der offenen Drogenszene erforderlich. Für das Projekt wurde ein bereichsübergreifender Ansatz für individuelle Betreuung entwickelt. Für die Bewertung ist ein individueller Follow-up erforderlich, und für das Verstehen der Ergebnisse werden auch qualitative Untersuchungen über professionelle Vernetzungsmethoden erforderlich sein.29 Während Ergebnisse anhand von Indikatoren wie dem Rückgang von Beschaffungskriminalität und asozialem Verhalten beurteilt werden, ist es wichtig, zu verstehen, warum die jeweiligen Ergebnisse im Rahmen des Projektes erzielt wurden oder nicht. Im Rahmen einer guten fachlichen Methodik ist es erforderlich, dass anhand von qualitativen Untersuchungen das ‘Know-how’ ermittelt wird, welches den Kontext für Weitergabe und Schulung festlegt.

(29) Siehe Thierry Charlois, 2005, op.cit.

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Bei der qualitativen Analyse müssen aussagekräftige quantitative Indikatoren ausgewählt werden. Bei der qualitativen Analyse muss die Komplexität der verschiedenen Variablen berücksichtigt werden, um einige wenige quantitative Indikatoren auszuwählen, die für eine Strategie signifikant sind, die Veränderungen bewirken soll. 6.3. Ergebnisse und Auswirkungen

Die meisten lokalen Programme wurden als Reaktion auf offene Drogenszenen und damit verbundene Probleme wie Gewalt zwischen den Beteiligten an illegalen Drogengeschäften, Straßenstrich, Drogeneinnahme in der Öffentlichkeit und Kleinkriminalität umgesetzt. Einige europäische Städte besitzen mittlerweile viel Erfahrung beim Umgang mit diesen Problemen und haben unterschiedliche Strategien entwickelt. Hinsichtlich des Toleranzniveaus bestehen erhebliche Unterschiede, aber unabhängig von den gesellschaftlichen Entscheidungen haben sich die erfahrensten westeuropäischen Städte um eine Beurteilung bemüht und gemeinsame Leitlinien ausgearbeitet (siehe Bericht der Pompidou-Gruppe über offene Drogenszenen, 2006, Anhang). Der erste Punkt ist, dass gute Ergebnisse erzielt werden können. ‘Gute Ergebnisse’ bedeutet, dass offene Drogenszenen geschlossen werden oder dass die offenen Szenen sich an eingegrenzten Orten befinden, die unter Kontrolle sind. In den letzten Jahren nahmen die öffentlichen Besorgnisse im Hinblick auf offene Drogenszenen zu und Städte wir Zürich, Frankfurt und Amsterdam haben darauf ausgehend von ihrem Erfahrungsschatz reagiert. Die Ergebnisse zeigen folgendes: [·] B esonders große Szenen wirken sich negativ auf die Anwohner und die Drogenkonsumenten aus. Deshalb dürfen sie sich nicht entwickeln. Missverständnisse bezüglich der Situation haben zahlreiche persönliche, gesellschaftliche und politische Konsequenzen. Offene Drogenszenen werden als katastrophaler Fehlschlag und Machtlosigkeit der Behörden gesehen. Auch die Konsequenzen für die Drogenkonsumenten selbst sind unannehmbar. Drogenkonsumenten können unter Gewalt, Ausgrenzung aus der Gesellschaft und Verschlechterung ihres Gesundheitszustands leiden. Sie können das Gefühl haben, dass sie in der Szene in der Falle sitzen, während ständig junge Menschen angezogen werden. Besonders große Drogenszenen lassen sich nicht kontrollieren, aber einige Städte zeigen lieber eine ‘bedingte Toleranz’ für kleine, überschaubare Drogenszenen, anstatt die Drogenkonsumenten in den Untergrund zu treiben, was wiederum ein Hindernis für niederschwellige Dienste sowie für die Überwachung durch die Polizei sein kann. Die ‘bedingte Toleranz’ basiert auf einem Grundsatz: Die Monopolisierung von öffentlichem Raum durch eine Gruppe darf nicht toleriert werden. Drogenkonsumenten können sich treffen, solange dadurch keine ‘No-go’-Zone entsteht, d.h. ein öffentlicher Ort, an den sich die Anwohner nicht mehr wagen.

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[·] E ine isolierte Aktion der Polizei ohne Unterstützung durch Gesundheits- und Sozialdienste ist zum Scheitern verurteilt: einfache Repression ist keine Antwort. Partnerschaftliche Zusammenarbeit ist die nachhaltigste Methode. Für diese Partnerschaft ist zunächst einmal die Zusammenarbeit zwischen Vollzugsbehörden und Gesundheits- und Sozialdiensten erforderlich, aber sie kann auch auf andere Partner ausgedehnt werden, wie zum Beispiel andere Dienste oder Anwohner. Die Partnerschaft zwischen Vollzugsbehörden und Gesundheits- und Sozialdiensten muss auf einem diversifizierten Ansatz basieren, der ein Gleichgewicht zwischen repressiven Maßnahmen und den Bedürfnissen der Drogenkonsumenten herstellt. Die Zusammenarbeit ist nicht einfach: sie erfordert eine Änderung der Einstellung und der Methoden aller Beteiligten. Die Polizeibehörden müssen über den reinen Gesetzesvollzug hinausgehen zu einer verstärkt problemorientierten Polizeiarbeit. Sozial- und Gesundheitsdienste müssen die Ziele jeder Einrichtung berücksichtigen. Die Anwohner müssen auch die Errichtung von Drogenbehandlungseinrichtungen vor dem Hintergrund offener Drogenszenen akzeptieren. Die Überwindung dieser Herausforderungen hängt im Wesentlichen von der Koordination, der Entscheidungsfindung und den Kommunikationsmethoden innerhalb der Partnerschaft ab. [·] H arm-Reduction-Strategien müssen Teil der Antwort sein: Die Bedürfnisse individueller Drogenkonsumenten und verfügbare Unterstützungsdienste sind ein entscheidender Bestandteil für die Effizienz lokaler Programme. Lösungen für Drogenkonsumenten dürfen nicht auf Entzug beschränkt sein. Für die Berücksichtigung sozialer und gesundheitlicher Anforderungen ist eine globale Strategie erforderlich mit: > Unmittelbaren Lösungen für dringende Bedürfnisse mit niederschwelligen Diensten > Ausweitung der Behandlungsoptionen > Verbesserung des Zugangs zu vorhandenen Gesundheits- und Sozialdiensten Der Umfang der Harm-Reduction-Strategie hängt vom Kontext ab. In Frankfurt, Zürich, Oslo, Dublin und Heerlen ging die Entwicklung von Diensten für Drogenkonsumenten systematisch mit ‘niederschwelligen’ Betreuungszentren, Injektionsund Einnahmeräumen sowie leichtem Zugang zu Behandlung einher. Über jede Einrichtung wurde vorher diskutiert und die Akzeptanz hing von drei Faktoren ab: Öffentliche Reaktion und Toleranzniveau im Hinblick auf Drogenkonsum, mobilisierbare personelle und finanzielle Mittel sowie rechtlicher Status jeder Einrichtung. Nadel- und Spritzenprogramme sowie Substitutionsbehandlungen werden in europäischen Ländern mittlerweile weitgehend akzeptiert. Injektionsräume und Heroinverschreibungen sind dabei die umstrittensten Themen, die noch weiterer Debatten und Diskussionen bedürfen. [·] Gute Ergebnisse sind möglich: Diese Ergebnisse betreffen sowohl die Anwohner als auch die Drogenkonsumenten:

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>D eutlicher Rückgang der Drogenmengen, die auf der Straße gehandelt werden, sowie der Beschaffungskriminalität und der Ruhestörungen. >D eutlicher Rückgang der Sterblichkeit und deutliche Verbesserung der Gesundheit von Drogenkonsumenten. Die Bewertung der Ergebnisse spielt eine wichtige Rolle im Rahmen der Partnerschaften, aber auch für Bürger und Behörden, erfordert aber spezifische Aufmerksamkeit und Mittel. Die Partnerschaften in den meisten europäischen Städten haben spezifische Bedürfnisse erkannt und fördern Projekte wie Betreuungszentren, Unterkünfte für Drogenkonsumenten oder Informationsstellen. Jedes dieser Projekte kann anhand interner Indikatoren wie Nutzerzahl oder Anzahl der ergriffenen Maßnahmen bewertet werden, aber es ist schwierig, die Auswirkung für die Stadt insgesamt zu bewerten. In Hamburg konnte ein Rückgang der Beschaffungskriminalität festgestellt werden, während gleichzeitig der Zugang zur Methadonbehandlung erleichtert wurde. Die Polizeikräfte sind der Überzeugung, dass ein indirekter Zusammenhang zwischen diesen beiden Faktoren besteht, doch bewertende Untersuchungen führen die Komplexität der verschiedenen Variablen vor Augen 30. Ergebnisse wie ein Rückgang der Todesraten wurden festgestellt, aber der Zusammenhang zwischen den Zahlen und lokalen Programmen konnte nur selten belegt werden. Die Berechnung eines Rückgangs der Kleinkriminalität oder von asozialem Verhalten setzt voraus, dass dies de facto das ursprüngliche Ziel war. Indikatoren, die den Erfolg vor Augen führen, müssen identifiziert und von Anfang an festgelegt werden. In den letzten Jahren gab es deutliche Verbesserungen bei der Bereitstellung von Analysen, welche die verschiedenen Faktoren berücksichtigen, die ein Ergebnis beeinflussen können. Aus solchen Erfahrungen wurden Lehren gezogen, die in Großbritannien zu einer Änderung der nationalen Politik führten mit der Einrichtung einer jährlichen Konferenz zum Thema Drogenbeschaffung. Die Bewertung der Ergebnisse wurde zu einem entscheidenden Grundsatz der Drogenpolitik. Der Pilotplan der Stadt Leeds ist ein Beispiel für ein Partnerschaftsprojekt. Es wurde im Rahmen der nationalen Bestimmungen über asoziales Verhalten entwickelt (aus dem Crime & Disorder Act von 1998). Die Bewertung befasst sich mit der Effizienz der Maßnahmen wie die Anordnung oder die Verpflichtung zum Erhalt einer Behandlung für Personen, die im Zusammenhang mit Beschaffungskriminalität auffällig geworden sind. 60% der Personen, die sich im Rahmen von Beschaf-

(30) Siehe Publikation des Europäischen Forums für Urbane Sicherheit, Local approach of organised crime, 2000

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fungskriminalität strafbar machen, wurden an Behandlungsstellen überwiesen, wobei dieser Anteil nach wie vor als nicht zufriedenstellend gilt. Andererseits ist der Rückgang der Straffälligkeit eine Tatsache. Zwischen März 2004 und Mai 2005 gingen Einbrüche um 54% zurück, Autodiebstähle um 40% und Beschaffungskriminalität sogar um 89,5%.31 Die drei Hauptgrundsätze, die sich aus diesem Projekt für die Stadt Leeds ergeben sind folgende: [·] E s besteht ein Bedarf an effizientem Projektmanagement von Anfang an, mit klaren, erreichbaren Zielen. Dazu ist die Einstellung von qualifizierten, effizienten Führungspersönlichkeiten von Anfang an erforderlich, die sich für die anstehenden Aufgaben einsetzen. [·] Funktionierende Partnerschaften als Schlüssel zum Erfolg für jedes bereichsübergreifende Projekt, solange sie in der Lage sind, die unterschiedlichen Arbeitsweisen der Partner anzuerkennen. Die Entwicklung und Reifung effizienter Partnerschaften nimmt eine gewisse Zeit in Anspruch. Sie lassen sich nicht über Nacht verwirklichen. [·] D ie Einstellung und Beschäftigung engagierter Mitarbeiter, die sich in ihrem Fachbereich auskennen, ist entscheidend. Der bisherige Erfolg dieses Projektes war ausschließlich den enormen Anstrengungen aller Beteiligten zu verdanken. Dabei wird die Rolle des Einzelnen nicht immer ganz klar. Ihre Mobilisierung gibt aber letztendlich den Ausschlag für die Ergebnisse des Programms.

(31) Siehe Thierry Charlois, 2005, op. cit.

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Für eine Strategie der Veränderung ··························································

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7.1. Änderung der Einstellung, Änderung der Methoden

Harm-Reduction-Programme basieren auf der Vorgabe, dass es unabhängig von Präventions- oder Repressionsstrategien immer Leute geben wird, die Drogen nehmen. Die Drogenpolitik muss nicht nur auf eine Verringerung des Drogenkonsums abzielen, sondern auch einen ganzheitlichen Ansatz verfolgen, der sich mit den Folgen jedes Ansatzes für andere Aspekte des Problems befasst. Harm-Reduction-Strategien vergrößern das Spektrum der Lösungen für Drogenkonsum und verfolgen mehrere Ziele: [·] V erhindern, dass sich die Gesundheit der Drogenkonsumenten kurzfristig verschlechtert [·] Zugang zu Behandlung für abhängige Drogenkonsumenten erleichtern [·] Bekämpfung sozialer Ausgrenzung Der Ansatz muss den praktischen Problemen Rechnung tragen. Lösungen müssen an den Facettenreichtum des Drogenkonsums und die damit verbundenen Probleme angepasst sein. Dies erfordert einen pragmatischen Ansatz mit realistischen Zielen. Die Verbesserung der Gesundheit umfasst ein breites Spektrum an Maßnahmen zur Verringerung negativer Konsequenzen des Drogenkonsums auf individueller und kollektiver Ebene mit leicht zugänglichen Einrichtungen. Diese Einrichtungen basieren auf zwei Grundsätzen: [·] D rogenkonsumenten müssen in der Lage sein, ihre Gesundheit zu schützen, auch wenn sie weiter Drogen nehmen; [·] D ie Bedürfnisse von Drogenkonsumenten sind nicht auf Entzug begrenzt. Sie haben die gleichen Bedürfnisse wie jeder andere Bürger. Harm-Reduction-Politik führte zu einem kulturellen Wandel bei den Ansichten und den Vorstellungen von Drogensucht. Diese Änderung der Ansichten beinhaltet eine Änderung der fachlichen Methoden und der Beziehungen zu Drogenkonsumenten: [·] D rogenkonsumenten müssen Verantwortung übernehmen: Die Projekte müssen dafür sorgen, dass sich die Konsumenten ihrer Situation bewusst werden. Dabei müssen sie nicht nur Verantwortung für ihre eigene Gesundheit übernehmen, sondern auch für die Folgen ihres Drogenkonsums für das örtliche Umfeld. [·] E tliche Probleme sind zu berücksichtigen: Die Lösungen müssen an unterschiedliche Drogenkonsummuster und Zielgruppen angepasst werden: gelegentliche Drogenkonsumenten, ausgegrenzte Konsumenten, Minderjährige, Migranten, Frauen, Prostituierte usw. [·] D ie vorgelegte Information muss glaubwürdig sein: sie muss auf den effektiven Risiken jeder Droge und der damit verbundenen Konsummuster basieren. Dramatisierung ist zu vermeiden.

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Vom kulturellen Wandel sind alle betroffen: Fachleute, Drogenkonsumenten, Familien und die Allgemeinheit. Das Projekt fördert den Wandel, wenn es die unterschiedlichen Bedürfnisse berücksichtigt, alle Beteiligten zur Übernahme von Verantwortung aufruft und sozialen Zusammenhalt durch Verhandlungen zwischen den verschiedenen Parteien fördert. Das Thema Drogen muss seinen Status des Außergewöhnlichen verlieren, sondern wie jedes andere Problem der modernen Gesellschaft auch behandelt werden. 7.2. Fördern mittel- und langfristiger Veränderungen

Probleme sind nicht immer drogenspezifisch. Beispielsweise kann man mit starren Organisationen oder mangelhafter Zusammenarbeit zwischen ausführenden Mitarbeitern und Führungskräften konfrontiert sein. In Frontline-Diensten sind die Mitarbeiter besonders verwundbar. Sie sind mit den Folgen der sozialen Ausgrenzung, gewalttätigem Verhalten und Konfliktsituationen konfrontiert. Frontline-Mitarbeiter sind im Kontext von Gesundheits- und Sozialdiensten nicht willkommen, weil sie problematische Konsumenten vertreten, um die sich niemand kümmern möchte. Diese Aufgabe erfordert Kenntnisse und viele Fähigkeiten, die aber oft unzureichend identifiziert sind. ‘Burn out’ ist ein häufiges Problem mit ernsten Konsequenzen, nicht nur für den Mitarbeiter, sondern auch für die Projekte, die ihre Glaubwürdigkeit verlieren. Die Änderung von Einstellungen, Haltungen und Verhaltensweisen erfordert mitteloder langfristige Investitionen. Programme werden oft für 2 bis 3 Jahre finanziert. Das ist der erforderliche Mindestzeitraum, um Änderungen bei Einstellungen oder Verhaltensweisen zu beobachten, aber diese Änderungen müssen von Dauer sein. Außerdem sind 2 bis 3 Jahre nicht genug für Städte, die noch keinerlei Erfahrung mit dieser Arbeit haben. Für den Erwerb von Kenntnissen und Erfahrung sind langfristige Investitionen erforderlich. Eine Strategie für mittel- bis langfristige Änderungen muss sich mit vielen verschiedenen Aspekten befassen: [·] U nterstützung für innovative Methoden: Die Projekte müssen sich an sich ändernde Konsummuster, sich ändernde Drogenkonsumentenprofile und sich änderndes Risikoverhalten anpassen. Die Entwicklung neuer innovativer Projekte muss kontinuierlich sein. [·] V erantwortung: Allgemeine Gesundheitsprogramme müssen durch Selbsthilfegruppen oder im Rahmen von Projekten gefördert werden, die Drogenkonsumenten, Fachleute und Bürger zusammen bringen. [·] Anerkennung des Wertes guter Methoden: gute Methoden müssen erkannt und

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unterstützt werden. Die mittel- und langfristige Beteiligung der Teilnehmer hängt von der Unterstützung und der Anerkennung ab, die sie erhalten. [·] S chulung von Schlüsselpartnern im Programm: Eine Schulung sollte allen Beteiligten angeboten werden, also Fachleuten ebenso wie Entscheidungsträgern, Anwohnern und Drogenkonsumenten. Schulung ist die Grundlage für die Förderung einer gemeinsamen Kultur im Hinblick auf Drogen und Drogensucht. [·] A nerkennung der Bedeutung qualifizierter Arbeitskräfte: Die erforderlichen Methoden und Kenntnisse müssen erkannt werden (Drogenkonsum und Risikoverhalten, institutionelle Ressourcen, Erfahrung mit Mediation und Verhandlung). FrontlineMitarbeiter müssen qualifiziert sein. [·] K ommunikation in jedem Stadium des Programms: Sämtliche Kommunikationsmittel müssen genutzt werden, von internen Kommunikationsmechanismen über die Marketingabteilungen von Stadträten bis hin zur Nutzung der Medien. Die Öffentlichkeit muss durch öffentliche Versammlungen, offene Debatten, Internet usw. informiert werden. Erfolgreiche Projekte müssen genug Publicity bekommen. Schwierigkeiten sollten zugegeben werden und zu einer öffentlichen Debatte führen. [·] M obilisierung der Medien: Die Aufgabe der Medien besteht oft darin, über Skandale zu berichten. Dadurch kann das Bewusstsein für ein Thema erhöht oder Furcht und Stigmatisierung gesteigert werden. Die Medien müssen von Anfang an genutzt werden. Die Information der Öffentlichkeit trägt zur Entwicklung effizienter Lösungen, zur Entwicklung innovativer Projekte und vor allem zum Wert aller guten Ergebnisse bei. [·] Nutzung von Fachwissen: Gelerntes muss bekannt gemacht werden. Es muss ein regelmäßiger Austausch stattfinden. Die vorhandenen Ressourcen auf europäischer Ebene müssen allen Beteiligten zur Verfügung gestellt werden. 7.3. Grenzen der Maßnahmen

Bei der Entwicklung von Maßnahmen für Drogenkonsumenten ergeben sich oft folgende Schwierigkeiten: esetzliche Rahmenbedingungen: Die Europäische Union fördert die Entwicklung G von Maßnahmen, welche die Gesundheit von Drogenkonsumenten schützen (siehe Literaturhinweise), aber diese machen oft die Anpassung der gesetzlichen Rahmenbedingungen erforderlich. Während beispielsweise die WHO die Effizienz von Substitutionsbehandlungen auf europäischer sowie internationaler Ebene anerkannt hat, verfügen einige europäische Länder noch immer über keinen gesetzlichen Rahmen für solche Behandlungen. Substitutionsprogramme laufen oft in einem eingeschränkten Kontext ab. Beispielsweise verfügen sie oft nur über wenig Finanzierungsmittel, was dazu führt, dass nur wenige Konsumenten in Behandlung sind. Die öffentliche Gesundheit und die Sicherheit der Allgemeinheit würde mit Sicherheit verbessert,

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wenn mehr Konsumenten Zugang zu diesen Behandlungen erhalten würden. Zudem gelten manche Programme (wie Heroinverschreibung unter ärztlicher Aufsicht) noch immer lediglich als Experimente und werden nicht auf breiter Grundlage in der ganzen Region angeboten. Einige dieser Behandlungsmöglichkeiten sind möglicherweise weiter verbreitet, werden besser bewertet und von Ärzten auf nationaler und internationaler Ebene publik gemacht. Öffentliche Unterstützung: der Umfang der öffentlichen Unterstützung hängt oft vom spezifischen Kontext ab. Die Entwicklung von Tagesstätten und anderen Einrichtungen für Drogenkonsumenten führte zu zahlreichen Debatten. Konsumräume sind in vielen europäischen Städten nach wie vor unannehmbar für die breite Öffentlichkeit, selbst wenn diese Dienste im gesetzlichen Rahmen angeboten werden. Für diese Experimente ist eine Änderung der öffentlichen Wahrnehmung und Einstellung erforderlich. Die Interventionen müssen klar vorgegebenen Zielen entsprechen und einem kontinuierlichen Bewertungsprozess unterzogen werden. idersprüchliche Paradigmen: Reduzierung des Drogenhandels und Förderung der W öffentlichen Gesundheit: Eine örtliche Politik, die sich die Integration zum Ziel setzt, muss die Widersprüche erkennen, die zwischen staatlicher Politik und Methoden auf lokaler Ebene bestehen. Drogenhandel kann sich überall dort entwickeln, wo Drogenkonsumenten zusammenkommen, unabhängig davon, ob dies im Kontext ihres täglichen Lebens oder in einem institutionellen Kontext (wie zum Beispiel in Notunterkünften) geschieht. Die Probleme, die dadurch entstehen, sind je nach Kontext unterschiedlich, also je nachdem, ob der Drogenhandel in einer offenen Szene in einem städtischen Umfeld, im Rahmen eines Spritzentauschprogramms, in einem Behandlungszentrum oder in Clubs oder auf Partys stattfindet. Die Erfahrung hat gezeigt, dass große offene Szenen in Stadtgebieten aus Gründen der öffentlichen Sicherheit, aber auch im Hinblick auf Gesundheitsschutz und Integration von Drogenkonsumenten nicht toleriert werden sollten. Andererseits müssen die kulturellen Praktiken der junge Leute akzeptiert und sogar ermutigt werden, und die jungen Leute müssen Informationen erhalten, die dem Risikoverhalten angepasst sind. Jedes Mal ist es eine Frage der Bewertung, in welchem Umfang und mit welchen professionellen Methoden der Handel kontrolliert, die Sicherheit der Anwohner und der Drogenkonsumenten sichergestellt und der Gesundheitsschutz gewährleistet werden kann. Gestiegener Sicherheitsbedarf: Der Sicherheitsbedarf führt zu erhöhten sozialen Kontrollmaßnahmen. Diese Maßnahmen können den Grundsätzen zuwiderlaufen, die der Fachpraxis und der polizeilichen Ausbildung in einer Reihe von Bereichen (wie Gesundheit, Jugendschutz, Dienste für Familien usw.) zugrunde liegen. Beispielsweise besteht unter Experten Einigkeit hinsichtlich der Ausstellung von Behandlungsverordnungen, die Behandlung mit Bestrafung gleichsetzen (einige Länder wie Großbritannien erlauben, dass solche Anordnungen von Strafgerichten anstelle von Haftstra-

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fen erlassen werden). Ferner kann auch die Behandlung wegen ernster psychischer Störungen als gesetzliche Maßnahmen angeordnet werden. In diesem Fall wird die Behandlung von Drogensucht mit der Behandlung wegen der psychischen Störung verknüpft. Ebenso muss bei der Wiedereingliederung von Wiederholungstätern, bei denen es sich um Drogenkonsumenten handelt, ihre Sucht berücksichtigt werden. Die Frage ist, ob die Behandlung in diesem Kontext dem Straftäter vorgeschrieben werden muss. Außerdem stellt sich die Frage, wie wir ‘Wiederholungstäter’ definieren. Handelt es sich um Diebstähle, Überfälle oder Drogenbesitz und zwangsläufig in Verbindung mit Konsum? Auch die Verwendung von Tests (zum Beispiel Urinproben oder Haaranalysen) kann, je nach Landesgesetzen über den rechtlichen Status des Drogenkonsums, den Interessen der bürgerlichen Freiheiten zuwiderlaufen. Öffentliche Debatten sollten sich darauf konzentrieren, ein Gleichgewicht zwischen den Mitteln, mit denen wir Sicherheit erreichen wollen, auf der einen und dem, was wir als Ergebnis erzielen wollen, auf der anderen Seite herzustellen. Beim Umgang mit diesen Widersprüchen sind drei Grundsätze zu berücksichtigen: [·] E xperimentieren [·] Ergebnisbewertung [·] Verhandlung Diese drei Grundsätze sind Bestandteile der Politik zur Risikoverringerung: Das Initiieren neuer Interventionen ist von sich aus fast immer etwas Experimentelles, aber die Aufrechterhaltung eines experimentellen Ansatzes ist im Drogenbereich eine Notwendigkeit. Die Interventionen müssen kontinuierlich angepasst werden, um Veränderungen im Drogenkonsum, im Vorgehen und im Risikoverhalten, aber auch ihren Folgen für die Konsumenten und die Gesellschaft insgesamt Rechnung zu tragen. Zum Experimentieren ist die Bewertung von Ergebnissen, Auswirkungen und Folgen erforderlich. Die Ergebnisse können aus Interventionen stammen, die früher oder an anderen Orten durchgeführt wurden, aber sie müssen die Grundlage des Entscheidungsfindungsprozesses hinsichtlich der Bereitstellung von Diensten bilden. Zudem müssen Entscheidungen unter Berücksichtigung von Expertenmeinungen, aber auch der öffentlichen Anforderungen getroffen werden. Während der Zugang zu sterilen Spritzen eine nicht verhandelbare Intervention ist, die für die Prävention von Infektionskrankheiten, AIDS und Hepatitis erforderlich ist, kann über die Art und Weise, wie Dienste erbracht werden, verhandelt werden. Es ist wichtig, dass nicht mehr überstürzt auf öffentliche Aufschreie und Forderungen nach gesteigerter Sicherheit reagiert wird, da kurzsichtige Maßnahmen zu einer Eskalation der repressiven Maßnahmen führen, welche die Öffentlichkeit nicht beruhigen, sondern vielmehr den Wunsch nach mehr Sicherheit verstärken, weil sie für eine Lösung des Problems

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nicht ausreichen. Für ein Durchbrechen dieses Teufelskreises ist mehr Zeit für die Befragung von und die Debatten mit allen Betroffenen einschließlich der Fachleute aus den diversen Bereichen sowie der Vertreter der zuständigen Organisationen (mit Bezug zu Drogenkonsumenten, jungen Leuten, Familien, ethnischen Gruppierungen, Bürgerausschüssen usw.) erforderlich. Der Umgang mit dem Drogenkonsum ist nicht einfach nur ein Gegenstand öffentlicher Debatten oder ein Thema, das nur die Experten und Ermittler angeht, vor allem da jeder Untersuchungsbereich, von der Biologie bis hin zur Anthropologie, im Rahmen psychologischer oder psychoanalytischer Theorien, seinen eigenen Ansatz in Bezug auf Drogensucht und die erforderlichen Lösungen verfolgt. Wie bei jeder sozialen Thematik ist es wichtig, zwischen Angelegenheiten für Experten und Angelegenheiten für öffentliche Debatten zu unterscheiden.

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Zusammenfassung ··························································

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Die Frontline-Dienste spielen eine entscheidende Rolle in der lokalen Stadtpolitik, da sie im direkten Kontakt mit den Gemeinschaften stehen, für die sie zuständig sind. Polizeibeamte waren lange Zeit - und sind oft noch - die einzigen Behördenvertreter, die in der Praxis Interventionen vornehmen. In zunehmendem Maß stellen wir jedoch die Entwicklung von Kontakt-Teams auf der Straße, in besetzten Häusern oder in Clubs und auf Partys fest, die eine Reihe von Gesundheits- und Sozialdiensten als Alternative zur rein repressiven Antwort anbieten, die davor gang und gäbe war. Diese Dienste werden als Bestandteil der so genannten ‘Harm Reduction’ entwickelt (d.h. mit dem Ziel einer Verringerung der Risiken im Zusammenhang mit der Einnahme von Drogen). Ziel dieser Aktionen ist es in erster Linie, gesundheitliche Probleme zu vermeiden, den Zugang zu Behandlung zu erleichtern und gegen Abläufe anzugehen, die zu sozialer Ausgrenzung führen. Harm-Reduction-Politik trägt auch zur Sicherheit und zum sozialen Zusammenhalt bei. Mehrere europäische Städte (vor allem in Nordeuropa) haben eine Reihe von Lösungsansätzen entwickelt, die solchen Anforderungen gerecht werden und in die lokale Stadtpolitik integriert sind. Die Drogenpolitik in der Europäischen Union fördert die Verringerung des Angebots und die Verringerung der Nachfrage als ergänzende Ziele, aber das Argument, in dessen Rahmen ‘Repression’ im Gegensatz zu ‘Behandlung’ steht, reicht nicht mehr, um Lösungen für Drogenprobleme zu finden. Konsumenten, die sich durch asoziales Verhalten auszeichnen, sind genau diejenigen, die sich institutionellen Lösungen widersetzen. Interventionen zur Verringerung des Risikos oder zur ‘Harm Reduction’ sind notwendig und effizient, um gerade diese Konsumenten zu unterstützen. Ihre Effizienz lässt sich durch eine Verbesserung der Gesundheit und des Wohlbefindens der Konsumenten sowie durch einen Rückgang der Zwischenfälle mit öffentlicher Ruhestörung, Gewalt oder Beschaffungskriminalität belegen. Die Kooperation zwischen den einzelnen Stellen ist nie einfach. Jede Stelle hat ihre eigenen Aufgaben und Denkweisen, aber die Kommunalpolitiker sind in der Lage, zwischen diesen unterschiedlichen Ansätzen im öffentlichen Interesse zu verhandeln. Im Endeffekt sind die Volksvertreter dafür zuständig, den sozialen Zusammenhalt zu fördern, der das Wohlbefinden aller, gleichberechtigten Zugang zu den verfügbaren Ressourcen, Respekt für Vielfalt, persönliche Autonomie und Bürgerbeteiligung umfasst. Damit ist unabhängig von der komplexen und facettenreichen Lösung für Probleme im Zusammenhang mit Drogen das Engagement der Kommunalpolitiker ein ausschlaggebender Faktor für die Entwicklung integrierter und kohärenter Strategien auf lokaler Ebene. Dabei gilt für die Drogenpolitik ebenso wie jede andere Stadtpolitik: die Ergebnisse hängen davon ab, wer sich wie beteiligt.

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Literaturhinweise

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www.agis-tdrc.eu - Homepage des Projektes Tackling Drugs - Reducing Crime: Austausch zwischen Nottinghamshire, Poznan, Assen und Stockholm. www.democitydrug.org – Homepage des DC&D-Netzwerks: Kurzbeschreibungen, Beispiele für Drogenaktionspläne, Schulungshandbücher, Leitfäden von DC&D-Arbeitsgruppen, Leitfäden über die europäische Drogenpolitik usw. www.emcdda.europa.eu - Homepage des European Monitoring Centre for Drugs and Drug-Addiction www.exass.net - Homepage von EXASS-Net, Europäisches Netzwerk für Partnerschaften zwischen Beteiligten an vorderster Front im Zusammenhang mit Drogenproblemen: Erfahrung und Unterstützung für bereichsübergreifende Kooperation – Pompidou-Gruppe, Europarat www.fesu.org – Homepage des Europäischen Forum für Urbane Sicherheit www.ofdt.fr - Homepage des französischen Observatoriums für Drogen und Drogensucht www.raceanddrugsproject.co.uk - Homepage des T3E-UK-Netzwerks www.who.int – Homepage der Weltgesundheitsorganisation: “Rapid Assessment and Responses guides”.

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