SOLIDIFY - Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene

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European Forum for Urban Security

SOLIDIFY Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen


Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>> Diese vom Europäischen Forum für urbane Sicherheit (Efus) herausgegebene Veröffentlichung ist das Ergebnis des Projekts SOLIDIFY (Supervised Drug Consumption Facilities to Instill Harm Reduction and Social Cohesion at Local Levels), das zwischen 2018 und 2020 durchgeführt wurde. Sie wurde von Moritz Konradi (Programmleiter) und Carla Napolano (stellvertretende Direktorin) mit Hilfe von Pauline Lesch (Praktikantin) verfasst und unter der Aufsicht von Elizabeth Johnston (Geschäftsführerin) mit Beiträgen der Projektpartner erstellt. Teil 3 wurde von Matej Košir verfasst.

European Forum for Urban Security

Verwendung und Wiedergabe sind gebührenfrei, sofern sie nicht kommerziellen Zwecken dienen und die Quelle angegeben wird. Übersetzung: Susanne Schardt, Realitäten Büro Bearbeitung: Katharina Hartwell Layout: Marie Aumont Druck: März 2020 ISBN : 9-782-9131-8182-3 European Forum for Urban Security 10, rue des Montiboeufs 75020 Paris - Frankreich Tel: + 33 (0)1 40 64 49 00 contact@efus.eu - www.efus.eu

Diese Publikation wurde durch das Justizprogramm der Europäischen Union Drogenpolitische Initiativen finanziert. Sie gibt nur die Ansichten des Verfassers wieder und liegt in dessen alleiniger Verantwortung. Die Europäische Kommission übernimmt keine Verantwortung für die Verwendung der darin enthaltenen Informationen

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

Danksagungen

>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>> Das SOLIDIFY-Projekt wurde unter engagierter Beteiligung von Partner*innen und assoziierten Expert*innen durchgeführt, die zu den verschiedenen Komponenten des Projekts und zur Erstellung dieses Leitfadens beigetragen haben. Wir möchten ihnen für ihre Großzügigkeit danken, mit der sie ihr Wissen, ihre Erfahrung und ihr Fachwissen weitergegeben und damit den Erfolg des Projekts unterstützt haben. Wir möchten auch all jenen danken, die zu den zahlreichen Veranstaltungen, Prüfungen, Studienbesuchen, Treffen und Diskussionen beigetragen haben, die im Rahmen des Projekts organisiert wurden. Ihre unermüdliche Arbeit zur Bewältigung der mit öffentlichem Drogenkonsum verbundenen Herausforderungen und Risiken sowie zur Verbesserung der Unterstützungsangebote für Betroffene ist ein echtes soziales Gut und eine Quelle der Inspiration. Ein besonderer Dank gilt der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EBDD), insbesondere Alexis Goosdeel und Dagmar Hedrich, für die kontinuierliche Unterstützung von SOLIDIFY und den wichtigen Beitrag als Mitausrichtende der Abschlusskonferenz. Schließlich möchten wir der Europäischen Kommission für ihre finanzielle Unterstützung danken, ohne die dieses Projekt und die Veröffentlichung nicht möglich gewesen wären.

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Die vielen konkreten Projektaktivitäten wären nicht möglich gewesen ohne den Enthusiasmus der Menschen, die sich für die Durchführung dieses Projekts auf Ebene der jeweiligen Städte eingesetzt haben, nämlich: Stadt Den Haag (Henri van der Heijden, Rombout Alkema, Nazli Tuzer, Sander Jongenburger), Stadt Lissabon (Paulo Santos, Manuel Grilo, Ricardo Fuertes, Adriana Curado, Monica Diniz, Joaquim Gordicho, Nuno Veludo), Stadt Lüttich (Willy Demeyer, Gregor Stangherlin, Juan Cortes Leclou, Cécile Magoga, Manon Reynders, Dominique Delhauteur, Catherine Schlitz), Institut für Forschung und Entwicklung / Utrip (Matej Košir, Borut Bah, Vladka Tonica), Brüsseler Prävention & Sicherheit (Frédéric Foubert, Christine Rouffin, Laurent Maisse, Bruno Valkeneers), Stadt Augsburg (Dirk Wurm, Janina Hentschel, Carina Huber, Diana Schubert), Stadt Essen (Christian Kromberg, Ludger Klink, Frank Langer, Matthias Blackert), Verein für Wohlbefinden und Entwicklung / ABD (Noelia Girona, Josep Guardiola), Stadt Mannheim (Ulrike Freundlieb, Christian Specht, Kathrin Heinrich, Hans-Georg Schuhmacher, Klaus Eberle), Agentur für öffentliche Gesundheit in Barcelona (Carme Borrell, Oleguer Pares, Gabriela Barbaglia), Stadt Paris (Anne Souyris, Colombe Brossel, Stephane Bribard, Carmen Bach, Elisabeth Avril), Stadt Straßburg (Alexandre Feltz, Jean-Marc Pennetier, Danièle Bader, Cécilia Jagou).

Assoziierte Expert*innen und NROs Correlation Network (Cedric Charvet, Katrin Schiffer, Jason Farrell), Frankfurt University of Applied Sciences (Heino Stöver, Maike O'Reilly)

Projektpartner*innen

Weitere Mitwirkende

Das Projekt SOLIDIFY entstand dank des Interesses der politischen Entscheidungsträger*innen in den Partnerstädten, Drogenkonsumräume in ihrer lokalen Sicherheits-, Gesundheits- und Sozialpolitik zu berücksichtigen. Unser Dank gilt den beteiligten lokalen Mandatsträger*innen, ihren Teams, den lokalen Verbänden und allen lokalen Partner*innen.

Marie Jauffret-Roustide (INSERM), André Lemaître (Universität Lüttich)

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

Inhaltsverzeichnis >>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>> Vorwort...........................................................................p. 8 Einführung...................................................................p. 11 Teil 1: Drogenkonsumräume im Kontext der europäischen Drogenpolitik – die städtische Sicherheitsperspektive................................................p. 20

Teil 2: Einrichtung und Betrieb von Drogenkonsumräumen in europäischen Gemeinden – Praxisbeispiele.............................................................p. 33

Teil 3: Evaluation der sicherheits- und gesundheitsbezogenen Aspekte und Auswirkungen von Drogenkonsumräumen........................................p. 74

Teil 4: Argumente und Empfehlungen für Kommunalbehörden...................................................p. 92

Schlussfolgerungen................................................... p. 115 Ressourcen-Leitfaden............................................... p. 118

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

Vorwort

>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>> Der Drogenkonsum und seine potenziell schädlichen Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit, die städtische Sicherheit und den sozialen Zusammenhalt sind ein Schlüsselthema für Städte in ganz Europa: Ein anhaltender Opioid-Konsum mit hohen gesundheitlichen Risiken wie der Übertragung von Infektionen durch Blut, ein wachsender Kokainmarkt, eine bedeutende Produktion und der Handel mit synthetischen Drogen sowie kontroverse politische Debatten über Cannabis und seinen therapeutischen Gebrauch sind nur einige der aktuellen Entwicklungen, denen sich Politiker*innen und Praktiker*innen auf europäischer Ebene gegenübersehen. Auf lokaler Ebene prägen weitere Themen wie die Konzentration von gefährdeten Gruppen und öffentlichem Drogenkonsum in benachteiligten städtischen Gebieten, die Auswirkungen technologischer Entwicklungen auf den lokalen Drogenhandel oder Konflikte um lokale Drogenphänomene, die durch Stigmatisierung, Angst und Polarisierung geschürt werden, die aktuelle Debatte. Seit seiner Gründung im Jahr 1987 hat Efus lokalen Mandatsträger*innen und Praktiker*innen aus den städtischen Sicherheits- und Gesundheitsabteilungen ein Forum geboten, um mit Gleichgesinnten aus ganz Europa die Drogenpolitik als ein zentrales Anliegen der städtischen Sicherheit zu diskutieren. Angesichts des Konsums illegaler und legaler Produkte, die insbesondere für Jugendliche und Kinder erhebliche Risiken bergen, sehen sich die lokalen Behörden mit der Weiterentwicklung der Drogenmärkte konfrontiert und stehen vor neuen Herausforderungen, was den Kampf gegen den Drogenhandel und dessen Begrenzung angeht. Die lokalen Behörden erkennen auch zunehmend die Notwendigkeit, Strategien zu finden, die über die Angebotsreduzierung hinausgehen und sich auf die Nachfrageseite konzentrieren. Es gibt viele Möglichkeiten, drogenbedingte Schäden zu mindern, und die lokalen Behörden sind gut aufgestellt, um vielschichtige Strategien zu entwickeln, mit denen sie den Risiken und Herausforderungen begegnen können, die der Drogenkonsum für den sozialen Zusammenhalt und die

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städtische Sicherheit mit sich bringt. Drogenpolitik muss pragmatisch sein und versuchen, den Schaden zu verringern, den der Drogenkonsum für die Gesundheit, das soziale Wohlergehen und die Sicherheit von Einzelpersonen, Gemeinschaften und der Gesellschaft verursacht. Drogenpolitische Strategien müssen in jeder Kommune individuell und unter Berücksichtigung der Bedürfnisse vor Ort konzipiert werden, und sie müssen in der Lage sein, sich an die sich rasch ändernden politischen Rahmenbedingungen ebenso anzupassen wie an die extrem schwankenden Erscheinungsformen der Drogenproblematik. Für viele Städte in unserem Netzwerk haben sich Drogenkonsumräume (DKRs) als effiziente Instrumente zur Verbesserung der öffentlichen Gesundheit und Sicherheit vor Ort erwiesen. Sie tragen dazu bei, drogenbedingte Todesfälle zu verhindern, die Risiken zu verringern, die zur Übertragung von Infektionen wie HIV und Hepatitis C führen, und die Beeinträchtigung der Öffentlichkeit zu reduzieren. Sie sind ein wirksames Mittel, um stark marginalisierte Bevölkerungsgruppen zu erreichen und mit ihnen in Kontakt zu bleiben, und unterstützen ihren Zugang zu Pflege und Drogenbehandlung. Sie fördern nicht den Drogenkonsum, sondern leisten einen wirksamen positiven Beitrag zum Leben sowohl der Konsument*innen als auch anderer Bewohner*innen unserer Städte und spielen somit eine Schlüsselrolle im komplexen Gewebe einer umfassenden lokalen Schadensminderungsstrategie. Doch die Einrichtung und Verwaltung von DKR ist nicht einfach: In vielen Ländern verbietet oder erschwert die nationale Drogengesetzgebung die Einrichtung und den Betrieb solcher Einrichtungen erheblich. Viele Gemeinden haben sich schwergetan, geeignete Standorte für sie zu finden, und sind auf Widerstand und sogenannte „NIMBY“-Reaktionen („not in my backyard“ – „nicht in meinem Hinterhof“) von Seiten der Nachbarschaft oder der lokalen Geschäftsleute gestoßen. Professionelle Angebote zur Schadensminimierung sind auf lange Sicht kosteneffektiv, aber auf kurze Sicht mögen sie in einer Zeit, in der die Ressourcen für lokale und regionale Behörden knapp sind, kostspielig und investitionsintensiv erscheinen. Lokale Behörden spielen eine Schlüsselrolle bei der Unterstützung der DKR und der Gewährleistung ihrer effektiven Verwaltung und Akzeptanz in der lokalen Gemeinschaft. In Zusammenarbeit mit der

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Zivilgesellschaft, mit Organisationen und Initiativen von Drogenkonsumierenden, Forschungseinrichtungen, Regierungen sowie nationalen und europäischen Agenturen können sie Synergien schaffen, die ihre Bemühungen verstärken und ihre Wirkung steigern. Es ist viel Forschung und Wissen erforderlich, um die spezifischen Bedürfnisse jeder Kommune zu verstehen und das am besten geeignete Modell für einen lokalen DKR zu finden. Und schließlich ist ein Schlüsselaspekt die Fähigkeit, überzeugende Argumente für diese Einrichtungen zu präsentieren, um Verständnis und Akzeptanz bei der Bevölkerung unserer Städte zu gewährleisten. Im Rahmen des SOLIDIFY-Projekts haben sich Efus und seine Partner*innen diesen Herausforderungen gestellt. Das Projekt zeigt, dass lokale Behörden besonders gut in der Lage sind, gemeinsam politische Strategien zu entwickeln, zu koordinieren und zu leiten. Die Erfahrungen der DKR müssen fortgesetzt und ausgewertet werden, um ihren Erfolg und ihre Nachhaltigkeit zu gewährleisten. Kommunen mit entsprechenden Einrichtungen müssen die Organisationen unterstützen, die diese betreiben. Sie benötigen aber auch ihrerseits Unterstützung von politischen Entscheidungsträger*innen auf nationaler und internationaler Regierungsebene, da bessere Schadensminderungsdienste vor Ort in unserem gemeinsamen Interesse liegen. Ich möchte den Partner*innen und vielen Unterstützer*innen des SOLIDIFY-Projekts für ihre wichtige Arbeit danken. Es erfordert Mut und Engagement, sich an diesem Erfahrungsaustausch zu beteiligen, sich Wissen anzueignen, um Lücken zu füllen und bisherige Erfolge und Schwierigkeiten zu analysieren, damit der Weg für künftige Maßnahmen geebnet wird. Die vorliegende Publikation reflektiert diese gemeinsamen Bemühungen und ist eine Einladung an Städte in ganz Europa, sich an diesen zu beteiligen und sich ebenfalls um eine noch ausgewogenere, wirksamere und umfassendere lokale Drogenpolitik zu bemühen, die den Bedürfnissen derjenigen, die sie am meisten brauchen, gerecht wird. Elizabeth Johnston Efus-Geschäftsführerin

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Einführung >>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>> SOLIDIFY im Kontext des drogenpolitischen Engagements von Efus Das Projekt SOLIDIFY wurde 2016 konzipiert und der Europäischen Kommission zur Kofinanzierung im Rahmen des Justizprogramms mit dem Titel „Unterstützung von Initiativen im Bereich der Drogenpolitik“ vorgeschlagen. Der Vorschlag wurde im Mai 2017 zur Finanzierung genehmigt, und das Projekt begann im Januar 2018. SOLIDIFY spiegelt das langjährige Engagement von Efus im Bereich der Drogenpolitik wider, das sich in einer ganzen Reihe von Initiativen, Projekten und Publikationen zu diesem Thema ausdrückt. Diese Aktivitäten wurzeln in einer Positionierung zur Drogenpolitik, die über mehrere Jahre hinweg entwickelt wurde: Der Konsum psychoaktiver Substanzen ist ein Phänomen im öffentlichen Raum unserer Städte und bedroht die Gesundheit und die soziale Stabilität. Diese Substanzen können legal (Alkohol, Tabak) oder illegal sein. Zu den Problemen, die sie für die Kommunen darstellen, gehören Kriminalität, wie Drogenhandel und Vandalismus, Verkehrssicherheit, Krankheit (d. h. Sucht, HIV und AIDS, Hepatitis) und verminderter sozialer Zusammenhalt. Menschen, die Drogen konsumieren (persons who use drugs, PWUD), leiden oft unter Stigmatisierung, Vorurteilen, Diskriminierung und Gewalt und werden so von der Gesellschaft ausgegrenzt. Damit steigt das Risiko für einen vermehrten Drogenkonsum und die damit verbundenen Gefahren und Schäden. Efus hat seine Position in verschiedenen Publikationen dargelegt, wie z. B. im Manifest von Saragossa1 und der Wiener Resolution2. Efus

1. Efus, Security, Democracy and Cities, das Zaragoza Manifest (2006). 2. Efus 2011, Democracy, Cities and Drugs resolution, verabschiedet auf der Abschlusskonferenz des Democracies, Cities and Drugs Projekts am 25. Februar 2011 in Wien.

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betont die Bedeutung der Kommune und der lokalen Behörden als Schlüsselpartner für die Intervention in dieser Frage. Das Forum bringt lokale Akteur*innen zusammen, um einerseits Bemühungen zur Prävention des Drogenmissbrauchs zu bündeln, und andererseits den Austausch von Erfahrungen und effektiven Praktiken zwischen europäischen Städten und Regionen zu fördern. Efus ist der Ansicht, dass jede Strategie auf der Analyse von Fakten und wissenschaftlichen Erkenntnissen und nicht auf Ideologie basieren sollte. Es wird betont, wie wichtig es ist, die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung und der betroffenen Personen zu erfüllen. Lokale politische Strategien sollten Teil des nationalen und internationalen Rahmens sein und gleichzeitig an den jeweiligen Ort angepasst werden. Partnerschaften sowie die Zusammenarbeit zwischen Behörden, Gemeinden und PWUD sollten verstärkt werden. Darüber hinaus müssen die Länder und Regionen Regelungen und Finanzierungsmechanismen entwickeln, die eine lokale sektorübergreifende Zusammenarbeit begünstigen. Die öffentlichen Ausgaben im Drogenbereich müssen sich ausgewogen auf die geplante Reduzierung von Angebot und Nachfrage sowie drogenbedingten Schäden verteilen. Efus bekräftigt, dass sich eine repressive Politik gegenüber PWUD als ungeeignet erweist, da sie eine Stigmatisierung verstärkt, die deren Bürgerrechte (Menschenrechte einschließlich des Rechts auf Gesundheit, Bildung, Respekt usw.) untergräbt. Um diese Positionen mit Leben zu erfüllen, hat Efus eine Reihe von europäischen Kooperationsprojekten in diesem Themenbereich geleitet, darunter die Projekte Demokratie, Städte und Drogen 1 und 2 („Democracy, Cities & Drugs“, DC&D) von 2005 bis 2011. Diese Projekte bildeten starke Partnerschaften aus Kommunen und Regionen sowie Forschungseinrichtungen und zivilgesellschaftlichen Organisationen (NRO) aus ganz Europa und unterstützten europäische Städte bei der Entwicklung und Umsetzung von Drogenpolitiken auf Basis lokaler Partnerschaften und unter Einbeziehung aller relevanter Akteur*innen. Sie dienten der Förderung eines koordinierten, partizipativen, zielgerichteten und damit ressourcenschonenden Ansatzes und boten den an der Drogenbekämpfung beteiligten lokalen Behörden spezifische Instrumente, bewährte Praktiken sowie Expertise und

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Beratung aus erster Hand. Ihr besonderer Schwerpunkt lag auf der Gründung und Förderung lokaler Partnerschaften aus lokalen Behörden, Gesundheitsdiensten, Strafverfolgungs- und Strafvollzugsbehörden, lokalen Gemeinschaften einschließlich sichtbarer Minderheiten und Drogenkonsumierender selbst, zivilgesellschaftlicher Organisationen und Nachbarschaftsinitiativen. Im Anschluss an die DC&D-Projekte wurde von 2011 bis 2013 das Projekt „Sichere Trink-Szenen“ („Safer Drinking Scenes“) von Efus und seinem französischen Zweig FFSU durchgeführt. Dieses Projekt, das sich auf den Alkoholmissbrauch unter jungen Menschen in öffentlichen Räumen konzentriert, brachte ein Konsortium von Städten und einen Expert*innenausschuss zusammen, um Wissen und bewährte Praktiken zu bündeln und den Austausch von Informationen, Ideen und Erfahrungen durch eine Reihe von Besuchen in den beteiligten Städten zu fördern. Im Rahmen des Projekts wurden ein Toolkit mit gemeinsam nutzbaren Präventionsmaßnahmen, eine mehrsprachige Website und eine Publikation3 erarbeitet, die europäische Initiativen zu sichereren öffentlichen Räumen und verantwortungsbewussten Trinkgewohnheiten sowie Empfehlungen für lokale Behörden zur Verhinderung von Trinkgelagen präsentiert. Neben der Koordinierung EU-weiter Projekte ist Efus seit dessen Gründung aktives Mitglied des zivilgesellschaftlichen Drogenforums in der EU (Civil Society Forum on Drugs, CSFD). Das CSFD ist eine Expert*innengruppe der Europäischen Kommission, die 2007 auf der Grundlage des Grünbuchs der Kommission zur Rolle der Zivilgesellschaft in der Drogenpolitik der EU gegründet wurde. Ihr Ziel ist es, eine breite Plattform für einen strukturierten Dialog zwischen der Kommission und der europäischen Zivilgesellschaft zu bieten, um die Formulierung und Umsetzung der Drogenpolitik durch praktische Beratung zu unterstützen. Das CSFD steht im Einklang mit der EU-Drogenstrategie 2013-2020 und dem neuen Drogenaktionsplan 2017-2020, die beide eine aktive und sinnvolle Beteiligung und Einbeziehung von zivilgesellschaftlichen Organisationen in die Entwicklung und Umsetzung der Drogenpolitik auf nationaler, EU- und internationaler Ebene erfordern. Das Forum umfasst 45 zivilgesellschaftliche Organisationen 3. Efus, Safer Drinking Scenes. Alcohol, City and Nightlife (2013).

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aus ganz Europa und vertritt eine Vielzahl unterschiedlicher Bereiche in der Drogenpolitik sowie Positionen innerhalb dieser Bereiche.

Ein thematischer Schwerpunkt auf Schadensminderung und Drogenkonsumräume (DKR4) als spezifische Maßnahme Während dieses anhaltenden thematischen Schwerpunkts auf der lokalen Drogenpolitik wurden Strategien zur Reduzierung der Drogennachfrage und insbesondere zur Schadensminderung als besonders vielversprechende und wirksame Ansätze auf lokaler Ebene identifiziert. Die verstärkten Investitionen in Maßnahmen zur Schadensminderung werden durch eine Reihe von Überzeugungen untermauert, die Efus insbesondere in seinem regelmäßig aktualisierten Manifest sowie in aktuellen Publikationen entwickelt hat:

 Die Efus-Mitglieder sind der Ansicht, dass der Drogenkonsum Teil der sozialen Realität in unseren Städten ist und dass wir mit dieser Realität auch weiterhin konfrontiert sein werden: „Die Mitglieder unserer Gesellschaft konsumieren psychoaktive Substanzen, sowohl legale als auch illegale; dieser Konsum sollte überwacht werden, um den Drogenmissbrauch zu verhindern, der sowohl der Gesundheit der Konsumierenden als auch dem sozialen Zusammenhalt schadet“.5 Angesichts dieser Realität sollte sich die lokale Drogenpolitik nicht zu sehr auf die Eingrenzung konzentrieren oder sich gar an einem „Krieg gegen Drogen“ beteiligen, sondern einen ausgewogenen Ansatz verfolgen, der auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht: „Die Herangehensweise an die Drogen- und Suchtproblematik sollte sich nicht auf Ideologien oder Moralvorstellungen stützen, sondern auf die Realität des Drogenkonsums und auf sachliche Analysen, insbesondere auf die Ergebnisse der wissenschaftlichen Bewertung, die von der Europäischen Kommission über die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EBDD) 4. In dieser Publikation verwenden wir den Begriff Drogenkonsumräume – abgekürzt als DKR –, da dies der im Deutschen üblichste Begriff ist. In der englischen Originalfassung wurde supervised drug consumption facilities – abgekürzt SDCF – verwandt. Dieser Begriff ist etwas breiter und erfasst auch Einrichtungen, die über das klassische Angebot von Drogenkonsumräumen hinausgehen und ihren Klient*innen auch medizinische, psychosoziale und weitere Unterstützungsangebote unterbreiten. Alternativ werden hier auch die Begriffe Drogenkonsum-Einrichtung oder Einrichtung des betreuten Drogenkonsums verwandt, die jedoch unüblicher und wenig verbreitet sind. 5. Efus, Security, Democracy and Cities: the Manifesto of Aubervilliers and Saint-Denis, 2012, p. 34.

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durchgeführt wird. Es muss das richtige Gleichgewicht zwischen Betreuung, Prävention, Integration, Risikominderung und Verhinderung des Drogenhandels gefunden werden.“6

 Während die Reduzierung der Drogennachfrage und die Schadensminimierung gut etablierte Ansätze sind, die fest in der wissenschaftlichen Evidenz verwurzelt sind, betonen die Efus-Mitglieder die Tatsache, dass Verfügbarkeit und Qualität solcher Angebote auf lokaler Ebene verbessert werden müssen: „Die Zusammenarbeit auf lokaler Ebene sollte verstärkt werden, sowohl mit Institutionen als auch mit der Zivilgesellschaft, insbesondere mit Nutzerverbänden und spezialisierten Systemen, um die Einrichtung von Programmen zur Risikominderung zu verbessern und sie zugänglicher zu machen. Die Programme zur Risikominderung für Drogenkonsumierende müssen breit aufgestellt und nachhaltig sein. [...] Wir streben Mindestqualitätsstandards für Interventionen zur Reduzierung der Drogennachfrage an, wie sie von der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht empfohlen werden, und wollen in die Evaluierung investieren.“7

 Darüber hinaus haben die Efus-Mitglieder DKR eindeutig als vielversprechende und wirksame Maßnahmen zur Reduzierung der Drogennachfrage und der damit einhergehenden Schäden identifiziert und fordern weitere Experimente mit diesen Einrichtungen und deren Stärkung im Rahmen lokaler Drogenstrategien: „Die Erfahrungen mit beaufsichtigten Drogenkonsumeinrichtungen müssen fortgesetzt und bewertet werden, um ihren Erfolg und ihre Nachhaltigkeit zu gewährleisten. Die Städte, die solche Einrichtungen beherbergen, müssen die Organisationen, die diese Einrichtungen verwalten, unterstützen und sicherstellen, dass sie sich mit allen Beteiligten und Betroffenen – einschließlich der Anwohner*innen und Unternehmen – beraten. Die Unterstützung all dieser lokalen Akteure wird den öffentlichen Frieden sichern und es Nachbarschaftsverbänden ermöglichen, sich an der Bewertung der lokalen Auswirkungen zu beteiligen.“8 Die zu Efus gehörenden europäischen lokalen und regionalen Gebietskörperschaften, vertreten durch den 6. idem. 7. Efus, Security Democracy and Cities. Co-producing Urban Security Policies. Manifesto adopted in 2017 during the International Conference of the European Forum for Urban Security, co-organised with the City of Barcelona and the Government of Catalonia (2017), S. 22.

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Exekutivausschuss, heben diese positiven Auswirkungen hervor und fordern, dass die nationalen politischen Rahmenbedingungen gegebenenfalls angepasst werden, damit die Kommunen weiterhin in der Lage sind, unter günstigen Bedingungen DKR einzurichten: „Zahlreiche Mitglieder von Efus und weitere lokale Akteure stellen gemeinsam fest, dass sich Drogenkonsumräume als effiziente Instrumente zur Verbesserung der öffentlichen Gesundheit und Sicherheit vor Ort erwiesen haben. [...] Die nationalen Gesetzgebungen sollten, wo nötig, so angepasst werden, dass die Kommunalverwaltungen die Möglichkeit haben, eine Strategie zu entwerfen, die den Bedürfnissen und Bedingungen in ihrem Gebiet entspricht und alle verfügbaren evidenzbasierten Instrumente einschließt.“ Um diese Überzeugungen zu fördern und weitere Erkenntnisse zu gewinnen, konzipierte und entwickelte Efus das Projekt SOLIDIFY, das eine Gruppe von Gemeinden und Regionen, die sich besonders mit dem Thema beschäftigen, für ein zweijähriges europäisches Kooperationsprojekt zusammenbrachte, welches sich der Einrichtung und dem Betrieb von DKR auf lokaler Ebene widmete.9

SOLIDIFY - das Projekt und seine Methodik SOLIDIFY zielte insbesondere darauf ab, Städte mit Drogenkonsumräumen oder Städte, in denen diese geplant sind, bei der Einrichtung von entsprechenden Strukturen zu unterstützen und die Auswirkungen dieser Einrichtungen im Hinblick auf die Verringerung einer Beeinträchtigung der lokalen Bevölkerung zu bewerten. Das Projekt führte eine kollektive Queranalyse der Einrichtung und des Evaluierungsprozesses eines Drogenkonsumraums durch und stattete damit lokale Behörden mit Grundlagen aus, um die Einrichtung entsprechender Angebote zu fördern. Als Teil dieses Prozesses wurden Indikatoren zur Bewertung der kurz-, mittel- und langfristigen Auswirkungen auf ihr Umfeld ermittelt und in einem gemeinsam genutzten Bewertungsinstrument zusammengestellt, das in diesem Leitfaden enthalten ist (siehe Teil 3). 8. idem, S. 23. 9. Efus exekutives Komitee, Resolution on a Local Drug Policy based on the Principles of Harm Reduction and Non-Discrimination, and in Line with the EU Drugs Strategy, 2018.

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Darüber hinaus ermöglichte das Projekt den Austausch von Lernerfahrungen zwischen einer ersten Gruppe erfahrener Partnerstädte, die bereits Drogenkonsumeinrichtungen getestet und implementiert hatten, und einer zweiten Gruppe von Partnerstädten, die im Laufe des SOLIDIFY-Projekts die Einrichtung eines solchen Angebots in Erwägung zogen und/oder den Prozess der Einrichtung durchliefen. Dadurch konnten alle Beteiligten von den Empfehlungen und Kritiken ihrer Kolleg*innen profitieren und Partnerschaften und Koalitionen auf lokaler Ebene zwischen Kommunen und zivilgesellschaftlichen Organisationen gestärkt werden. Es wurde eine gemeinsame methodische Grundlage für die Analyse und Kontextualisierung spezifischer lokaler Gegebenheiten entwickelt. Dies ermöglichte die Darstellung unterschiedlicher Erfahrungen und erleichterte die Evaluierung der DKR und ihrer Auswirkungen auf die Gebiete, in denen sie bereits etabliert waren (Fragen der Sicherheit und der Kriminalität in der Nähe des Ortes, Gefühle der Unsicherheit, Verbesserung der Sauberkeit, des Dialogs und der Akzeptanz des Programms durch die Anwohner*innen, Ladenbesitzer*innen, Behörden usw.). Die methodischen Instrumente wurden von den Kommunen vor jedem Besuch ausgefüllt und dann mit gegenseitigen Einrichtungsbesuchen und -beobachtungen vor Ort ergänzt. Studienbesuche und Audits wurden zwischen Mai 2018 und Juni 2019 durchgeführt. Die Studienbesuche mobilisierten das gesamte Konsortium und boten allen Partner*innen die Gelegenheit, sich über die Strategien der jeweiligen Kommune zu informieren, Fachleute zu treffen und die Einrichtungen zu besichtigen. Die Audits wurden von der gastgebenden Kommune und der SOLIDIFY-Fachgruppe mit vielen lokalen Entscheidungsträgern und Interessenvertretern durchgeführt. Sie dienten der Sammlung lokaler Bedarfe.

 Die Audits wurden in Lüttich (15./16. Mai 2018), Brüssel (17./18. Mai 2018), Augsburg (10./11. Dezember 2018), Mannheim (12./13. Dezember 2018), Lissabon (14./15. Februar 2019), Ljubljana (18./19. April 2019) durchgeführt.

 Studienbesuche fanden statt in Barcelona (21./22. Juni 2018), Den Haag (18./19. Oktober 2018), Essen (14./15. Januar 2019), Straßburg (3./4. April 2019), Paris (17./18. Juni 2019).

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Jede dieser Projektaktivitäten wurde dokumentiert, und die Berichte über die Projektplattform im Mitgliederbereich des Efus-Netzwerks mit allen Partnerkommunen und -Organisationen geteilt.

Ein Leitfaden zur Unterstützung der lokalen und regionalen Verwaltungen in Europa Dieser Leitfaden soll im Wesentlichen dazu dienen, die Ergebnisse des zweijährigen Kooperationsprojekts einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Es war zwar nicht möglich, alle Ergebnisse des Austauschs und der Aktivitäten des Projekts in diesem Leitfaden zusammenzufassen, aber die Autor*innen haben versucht, wichtige Kenntnisse und Informationen zusammenzutragen, um hilfreiche Anleitungen für lokale Praktiker*innen in Gesundheits- und Sicherheitsabteilungen und anderen Organisationen zur Verfügung zu stellen. Der Leitfaden ist in vier Teile gegliedert: Teil 1: Drogenkonsumräume im Kontext der europäischen Drogenpolitik – die städtische Sicherheitsperspektive Dieser Teil gibt eine Einführung zur Funktionsweise von Drogenkonsumräumen und zum Stand der Forschung zu diesem Thema. Er liefert einen kurzen Überblick über die Europäische Drogenstrategie, die Geschichte und die Komponenten der DKR sowie über das Konzept der Schadensminderung. Dabei konzentriert er sich auf die städtische Sicherheitsperspektive in den Strategien zur Schadensminderung und den DKR und fragt: Warum ist diese Perspektive wichtig und welchen Nutzen hat ein besseres Verständnis der sicherheitsbezogenen Aspekte solcher Politiken? Welche Lücken gibt es in der Forschung und Politikgestaltung und wie hat SOLIDIFY dazu beigetragen, sie zu füllen? Teil 2: Einrichtung und Betrieb von Drogenkonsumräumen in europäischen Kommunen – Praxisbeispiele In diesem Abschnitt werden die Kenntnisse und Erfahrungen zusammengefasst, die im Rahmen der von SOLIDIFY durchgeführten Audits und Studienbesuche gesammelt wurden. Er verdichtet Schlüsselinformationen aus der umfangreichen Dokumentation der Aktivitäten, die von Efus und den Partnerkommunen erstellt wurden und über die

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Projektplattform im Efus-Netzwerk verfügbar sind. Durch dieses Kaleidoskop europäischer Praktiken und Erfahrungen wird deutlich, dass jede Gemeinde ihren eigenen Weg zur Einrichtung eines DKR hat und dass die Gestaltung solcher Maßnahmen in Übereinstimmung mit den Bedürfnissen und Ressourcen des Umfelds und seiner Bewohner*innen von zentraler Bedeutung ist. Teil 3: Evaluation der sicherheits- und gesundheitsbezogenen Aspekte und Auswirkungen von Drogenkonsumräumen Dieser Abschnitt bietet Schlüsselerkenntnisse aus der Arbeit von SOLIDIFY zur Bewertung von sicherheits- und gesundheitsbezogenen Aspekten der DKR. Unter der Leitung des Forschungspartners UTRIP organisierte diese Projektkomponente einen gemeinsamen Arbeitsprozess zur Identifizierung von Schlüsselindikatoren und Elementen für einen Bewertungsfragebogen und führte eine Testumfrage mit den im Projekt vertretenen Gemeinden durch. In diesem Abschnitt werden auch das Bewertungsinstrument des Projekts und die aus dem gemeinsamen Arbeitsprozess gewonnenen Erkenntnisse sowie die Ergebnisse der Testumfrage vorgestellt. Teil 4: Argumente und Empfehlungen für Kommunalbehörden In diesem Abschnitt werden aktuelle Empfehlungen für die Einrichtung und den Betrieb von DKR gesammelt, wobei der Schwerpunkt auf der Frage liegt, wie lokale Behörden den Prozess unterstützen und ein behördenübergreifendes Netzwerk schaffen können, das den Prozess auf lokaler Ebene fördert. Entsprechend der Komplexität solcher Prozesse ist der Abschnitt in eine Reihe von Unterabschnitten aufgegliedert, die Fragen nach der Bedeutung einer sorgfältigen Bedarfsanalyse bis zur Entwicklung von Kommunikationsstrategien oder der Einrichtung von Kooperationsmechanismen, auch mit Strafverfolgungsbehörden, abdecken. Der Abschnitt „Schlussfolgerungen“ fasst die Ergebnisse zusammen, und der Ressourcenleitfaden nennt wichtige Dokumente und Literatur zur weiteren Lektüre.

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

Schlüsselaspekte der europäischen Drogenpolitik

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Teil 1

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Drogenkonsumräume im Kontext der europäischen Drogenpolitik – die städtische Sicherheitsperspektive

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Rahmenbedingungen Der Ansatz der Europäischen Union zur Entwicklung einer nachhaltigen Drogenpolitik wird in zwei Schlüsseldokumenten dargelegt: der EU-Drogenstrategie 2013-2020 und dem Aktionsplan 2017-2020, der auf dem vorangegangenen Vierjahresplan (2013-2016) aufbaut. Die in der (nicht verbindlichen) Strategie festgelegten Schlüsselprioritäten und die Grundsätze eines „integrierten, ausgewogenen und evidenzbasierten Ansatzes“10 bilden die Rahmenbedingungen für die Ausarbeitung vieler nationaler Drogenpolitiken und die Entwicklung von Aufgaben und Projekten durch andere EU-Agenturen. Die EU-Drogenstrategie beruht auf zwei grundlegenden Politikbereichen – Reduzierung der Drogennachfrage und Reduzierung des Drogenangebots – und drei Querschnittsthemen: Koordinierung, internationale Zusammenarbeit und Forschung, Information, Monitoring und Evaluierung. Reduzierung der Drogennachfrage: „Die Reduzierung der Drogennachfrage besteht aus einer Reihe von gleichermaßen wichtigen und sich gegenseitig verstärkenden Maßnahmen, einschließlich Prävention (umweltbedingt, universell, selektiv und indiziert), Früherkennung und Intervention, Risiko- und Schadensminderung, Behandlung, Rehabilitation sowie sozialer Wiedereingliederung.“11 Die von der EU festgelegten Prioritäten reichen von einer besseren Verfügbarkeit und Zugänglichkeit von Maßnahmen zur Reduzierung der Drogennachfrage, insbesondere von Präventionsprogrammen (19.1 und 19.2), über die Entwicklung solcher Maßnahmen in Haftanstalten (19.6) bis hin zur Ausweitung integrierter Versorgungsmodelle, die unter anderem Aspekte der psychischen Gesundheit und der sozialen Wiedereingliederung umfassen (19.7). 10. Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht, Perspectives on drugs: The EU drugs strategy: a model for common action (2019). 11. Drogenstrategie der Europäischen Union (2013–20).

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

Reduzierung des Drogenangebots: „Die Reduzierung des Drogenangebots umfasst die Prävention und Abschreckung sowie die Unterbindung drogenbezogener, insbesondere organisierter Kriminalität durch Zusammenarbeit von Justiz und Strafverfolgung, Abschreckung, Beschlagnahme von kriminellen Vermögenswerten, Ermittlungen und Grenzverwaltung.“12

Die Antworten umfassen sowohl Gesundheits- als auch Sozialdienste, wie in der folgenden, nicht erschöpfenden Liste dargestellt:

 Informationszentren, die sich auf die bestehenden Dienste und den sicheren Drogenkonsum konzentrieren

 Alkohol-tolerierende Treffpunkte für Menschen, die Drogen konsumieren

Unterstützende Gremien und Leitprinzipien Die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EBDD) sammelt in Zusammenarbeit mit der Agentur der Europäischen Union für die Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden (Europol) Daten über Drogen in den europäischen Ländern und erstellt jährliche europäische Drogenberichte und andere Veröffentlichungen für eine evidenzbasierte Drogenpolitik der EU. Das von der EU-Kommission geschaffene und geleitete beratende Gremium CSFD besteht aus 45 Mitgliedern aus dem Bereich der Drogenpolitik. Die Arbeit des Forums verstärkt die Beteiligung der Zivilgesellschaft und der zivilgesellschaftlichen Organisationen an der Ausarbeitung und Umsetzung der EU-Drogenpolitik. Das CSFD setzt sich u. a. für eine Verstärkung der Interventionen zur Schadensminderung ein.

Schadensminderung

>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>> Die EBDD definiert Schadensminderung als „Interventionen, Programme und Politiken, die darauf abzielen, die gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Schäden des Drogenkonsums für Einzelpersonen, Gemeinschaften und Gesellschaften zu verringern“.13 Ein Schlüsselaspekt von Strategien zur Schadensminderung ist die Erkenntnis, dass nicht alle Personen, die Drogen konsumieren, in der Lage oder bereit sind, damit aufzuhören. Daher ist es wichtig, niedrigschwellige Dienste anzubieten, um die Schäden zu minimieren. 12. ibid p.5. 13. Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht Harm reduction topics page, 2020.

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 Spritzenaustauschprogramme und Drogentests  Betreute Drogen- oder Alkoholkonsumräume  Überdosis-Präventionstraining und Bereitstellung von Naloxon zum Mitnehmen

 Niedrigschwellige Wohnungen und Unterkünfte  Verweisungssysteme an andere Sozial- und Gesundheitsdienste  Workshops zur sozialen und beruflichen Wiedereingliederung  Psychologische Unterstützung für Nutzer*innen und ihre Familien Das Angebot an Dienstleistungen zur Schadensminimierung ist umfangreich und konzentriert sich, wie von Harm Reduction International (HRI) dargelegt, auf positive Veränderungen, ohne dabei Drogen konsumierende Menschen zu verurteilen oder zu diskriminieren.14 HRI schlägt eine Reihe von Prinzipien der Schadensminderung vor, die sich auf den Schutz der Menschenrechte, einen evidenzbasierten Ansatz, die Zusammenarbeit mit PWUDs und die Ablehnung einer stigmatisierenden Sprache beziehen.15 Die Ziele der Schadensminderung fußen auf der Überzeugung, dass Hilfsangebote „die Menschen dort abholen sollten, wo sie sind“ und durch nichtdiskriminierende Angebote sicherstellen, dass sie Zugang zu Gesundheits- und Sozialdiensten haben. Die Schadensminderung steht seit Anfang der 2000er Jahre auf der Tagesordnung der EU. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat 2007 die Prävention und Reduzierung drogenbedingter Schäden als Gesundheitsziel aufgenommen. Die Schadensminimie-

14. Harm Reduction International, What is harm reduction?, 2020. 15. idem.

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

rung ist integraler Bestandteil eines der Politikbereiche zur Reduzierung der Drogennachfrage in der aktuellen Europäischen Drogenstrategie. In einer Überprüfung der Europäischen Drogenstrategie 2013-2020 weist die EBDD darauf hin, dass die Schadensminimierung im aktuellen Strategiedokument fünfmal erwähnt wird, im Gegensatz zu einer einzigen Erwähnung in der vorherigen Strategie.16 Die zunehmende Betonung der Schadensminderung geht Hand in Hand mit dem Ziel, die Beteiligung der Zivilgesellschaft auf verschiedenen Politik- und Entscheidungsebenen zu verstärken.

Drogenkonsumräume Drogenkonsumräume sind ein konkretes Angebot der Schadensminderung. Diese Einrichtungen bieten Drogenkonsumierenden einen Ort für den sicheren Konsum illegaler Drogen in einer hygienischen Umgebung. Die Idee dahinter ist, den Zugang zu Gesundheits- und Sozialleistungen für die am meisten gefährdeten Drogenkonsumierenden zu erleichtern – eine Population, die sich häufig außerhalb der Reichweite von Drogenhilfeeinrichtungen zur Suchtprävention oder -behandlung befindet. Dies ist einer der Gründe, warum Erst- oder Gelegenheitskonsumierenden der Zugang zu DKR verweigert werden kann.17 Jeder DKR hat seine eigenen Zugangskriterien, die meist eine Altersgrenze, die Bereitstellung von Informationen über die Lebenssituation, die Geschichte, die Häufigkeit und die Art des Drogenkonsums, die bevorzugte Droge und die psycho-medizinische Situation umfassen. Der erste DKR wurde 1986 im schweizerischen Bern eröffnet. Seither haben viele europäische, kanadische und australische Städte eigene DKR eingerichtet. Einer der Gründe für den Erfolg dieser Einrichtungen ist die Tatsache, dass sie eine Win-win-Situation für die Gemeinden bieten: Einerseits sind sie effektive Gesundheitsdienste für drogenkonsumierende Personen, insbesondere wenn es um den Rückgang der drogenbedingten Todesfälle und Überdosis-Notfälle geht, und andererseits tragen sie wesentlich zur Bewältigung der offenen Drogenszenen und der damit verbundenen öffentlichen Beeinträchtigung bei. Diese doppelte Strategie der Gesundheitsfürsorge für marginalisierte Bevölke16. EMCDDA The EU drugs strategy: a model for common action, 2019. 17. Pardo, Caulkins und Kilmer, Assessing the Evidence on Supervised Drug Consumption Sites, Rand Health Care and Rand Social and Economic Wellbeing, (Dezember 2018).

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rungsgruppen und des Beitrags zu Fragen der öffentlichen Ordnung und der städtischen Sicherheit hat zu einer Einrichtung von DKR in einer wachsenden Zahl europäischer Städte geführt. In den 1980er und 1990er Jahren sahen sich viele europäische Länder mit den Auswirkungen einer Heroinepidemie konfrontiert, die das Entstehen offener Drogenszenen auslöste. Hier versammelte sich eine große Anzahl von Konsumierenden in Parks oder anderen öffentlichen Räumen. Während einige Länder die Einrichtung von DKR als eine angemessene Antwort auf dieses Problem sahen, lehnten andere Länder entsprechende Empfehlungen, diesem Beispiel zu folgen, mit dem Hinweis auf mangelnde Beweise und rechtliche Unklarheiten ab. Die negative Berichterstattung in der Presse verstärkte oft die Zurückhaltung der Städte bei der Einrichtung von Konsumräumen. In den letzten Jahren hat jedoch die Zahl der Länder und Städte mit entsprechenden Einrichtungen in Europa, Australien und Kanada erheblich zugenommen, sodass es inzwischen weltweit mehr als hundert DKR gibt.

Source : EMCDDA 18 Standorte der Drogenkonsumräume in Europa, November 2019 18. Diese Übersichtskarte stammt aus dem November 2019. Sie enthält somit auch die DKR, die 2018 in Lüttich und 2019 in Lissabon eröffnet wurden. Die im Dezember 2019 eröffnete Einrichtung in Karlsruhe ist jedoch nicht verzeichnet.

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Komponenten und Ziele der DKR19 Der Bericht der EBDD über die Drogenkonsumräume von 2004 skizziert die Komponenten, die Umsetzung und die Ergebnisziele eines DKR. Dieses theoretische Modell arbeitet im Rahmen des öffentlichen Gesundheitswesens und der öffentlichen Ordnung und zielt darauf ab, nicht nur die Überlebensraten, sondern auch die Chance auf soziale Reintegration zu erhöhen. Der Aspekt der städtischen Sicherheit wird zwar nicht ausdrücklich erwähnt, zieht sich jedoch stillschweigend durch das gesamte Modell, insbesondere wenn es um die Verringerung der öffentlichen Beeinträchtigung geht. Die erste Komponente ist die Ermittlung und Aufnahme von Drogenkonsumenten. Das DKR-Personal muss Zugangskriterien und Anspruchsberechtigungen festlegen, ein Regelwerk erstellen. Es muss Informationen über die Risikovermeidung sowie hygienische Geräte bereitstellen. Die Drogenkonsumeinrichtung kann wichtige Informationen über die konsumierten Drogen erhalten und gleichzeitig den individuellen Angebots-Bedarf ermitteln. Die DKR konzentrieren sich auf die Aufnahme schwer erreichbarer Bevölkerungsgruppen und zielen darauf ab, Klient*innen, die medizinische Versorgung benötigen, zu identifizieren und zu überweisen. Die zweite Komponente ist ein überwachter Konsumbereich zur Gewährleistung eines hygienischen, risikoarmen Konsums, zur Überwachung des Konsums und Sicherstellung der Einhaltung von Regeln, zur individuellen Beratung hinsichtlich eines sicheren Konsums, zur Notfallversorgung bei Überdosierung, zur Bereitstellung eines vor der Öffentlichkeit geschützten Raumes sowie zur Verhinderung des Verweilens in der Nähe des Konsumraumes. Letzteres Ziel kann nur erreicht werden, wenn die Strafverfolgungsbehörden mit dem DKR zusammenarbeiten. Die dritte Komponente umreißt die Ziele der zusätzlichen Angebote von DKR. Diese können die Auswirkungen des Drogenkonsums auf Nutzer*innen des Konsumraums überwachen, eine medizinische Grundversorgung, Getränke, Essen, Kleidung und Duschen sowie 19. Wie vorgestellt in einem von Dagmar Hedrich (EBDD) entwickelten Modell European report on drug consumption rooms, 2004, S.14. Es ist zu beachten, dass dies ein theoretisches Modell ist.

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Kriseninterventionen anbieten. Spritzenaustauschprogramme und sichere Entsorgungsbehälter werden ebenso angeboten wie weitere Dienstleistungen, z. B. Unterbringung, Fallmanagement, Beratung und weitergehende Behandlung. Sowohl die Einrichtung des Konsumraums als auch der anderen Dienstleistungsbereiche zielt darauf ab, die unmittelbaren Risiken im Zusammenhang mit Drogenkonsum, Morbidität und Mortalität zu verringern, die Gesundheit der Klient*innen zu stabilisieren und zu fördern und die Beeinträchtigung der Öffentlichkeit zu reduzieren. Die vierte Komponente einer Drogenkonsumeinrichtung ist das Überweisungssystem. Dies bezieht sich auf die Bereitstellung von Informationen über Behandlungsmöglichkeiten, die die Klient*innen motivieren sollen, weitere Behandlungen in Anspruch zu nehmen, und ihre Überweisung an andere Dienste. Das Ziel des Überweisungssystems ist es, die Klient*innen für weitergehende Behandlungsoptionen zu sensibilisieren und die Chancen für deren Nutzung zu erhöhen.

Modelle von Drogenkonsum-Einrichtungen Es gibt kein Einheitsmodell für DKR. Städte, die eine oder mehrere solcher Einrichtungen eingeführt haben, haben diese auf die lokalen Bedürfnisse zugeschnitten, d. h. auf die Zahl der potenziellen Nutzer*innen, die Besonderheiten des lokalen Gesundheitssystems, die lokalen Besonderheiten des öffentlichen Drogenkonsums, die Infrastrukturbelange usw. Obwohl alle DKR unterschiedlich sind und es eine große Vielfalt an Ansätzen in diesem Bereich gibt, können die folgenden allgemeinen Modelle unterschieden werden:

 Das eigenständige/spezialisierte Modell: Die als eigenständig oder spezialisiert charakterisierten DKR beschränken ihr Angebot in der Regel auf eine enge Palette von Dienstleistungen, die in direktem Zusammenhang mit dem überwachten Konsum stehen. Das heißt, sie stellen vor allem einen sicheren und sauberen Raum zum Injizieren und/oder Rauchen illegaler Substanzen zur Verfügung. Obwohl diese Form der DKR aufgrund ihrer geringen Größe und ihres eingeschränkten Nutzens auf weniger lokalen Widerstand stoßen könnte, sind ihre Öffnungszeiten in der Regel begrenzt, und es gibt keine

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

Möglichkeiten für die Nutzer*innen, medizinische Unterstützung oder Fallmanagement in Anspruch zu nehmen.

 Das integrierte Modell: Dieses Modell zeichnet sich durch sein umfassendes Angebot an Unterstützungsleistungen aus, die unter einem Dach angeboten werden. Neben der Bereitstellung eines sicheren Raums für den Drogenkonsum bietet das integrierte Modell zusätzliche überlebenswichtige Dienstleistungen, wie die Bereitstellung von Nahrung, Kleidung und Duschen, den Spritzentausch sowie verschiedene Formen von Beratungs- und Aktivitätsprogrammen. Entsprechende Einrichtungen können an ein Krankenhaus oder eine andere Einrichtung des Gesundheitswesens angeschlossen sein.

 Das mobile Modell: Das mobile Modell, typischerweise ein Fahrzeug im Wohnwagen-Stil, bietet einen flexiblen und mobilen Einsatz von DKR-Diensten. Die Einrichtung fährt also dorthin, wo die Nutzer*innen sind. Während die Mobilität dieses Modells ein großer Vorteil ist und es dem Personal ermöglicht, auch die gefährdetsten Nutzer*innen in abgelegenen Gebieten zu erreichen, besteht sein Nachteil darin, dass aufgrund des begrenzten Raums im Fahrzeug nur eine sehr begrenzte Anzahl von Personen unterstützt werden kann.

 Das stationäre Modell: Das stationäre Modell bietet DKR-Angebote in einem speziell angepassten Gebäude an. Sichere und überwachte Konsumplätze werden entweder in einzelnen Räumen oder in speziellen Gemeinschaftsbereichen angeboten. Obwohl es sich nicht um eine überwachte Drogenkonsumeinrichtung als solche handelt, gibt es eine zusätzliche Form von Drogenkonsumraum, die als Shelter-Modell bezeichnet wird. Dazu gehören Wohneinrichtungen für Konsumierende, in denen in bestimmten Bereichen auch illegale Drogen konsumiert (injiziert oder geraucht) werden dürfen. Dies kann in Privaträumen oder in einem speziellen Gemeinschaftsbereich getan werden. Diese Einrichtungen sind oft altersbeschränkt, und die Nutzer*innen können in einer unbeaufsichtigten Umgebung Drogen konsumieren. Andererseits handelt es sich um einen integrierten Ansatz, der die Nutzer*innen mit anderen Diensten verbindet und Möglichkeiten zum Erfahrungsaustausch bietet.

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Die meisten Einrichtungen – mit Ausnahme des platzbeschränkten mobilen Modells – haben eine ähnliche räumliche Aufteilung: einen Empfangsraum, in dem sich die Benutzer*innen anmelden und ein erstes Gespräch mit Mitarbeiter*innen führen können, den Konsumraum selbst, in dem sterile Instrumente bereitstehen, und einen Ruhebereich. Einige DKR bieten auch Räume an, in denen andere Gesundheits- oder Sozialdienste, wie z. B. eine Beratung, zur Verfügung stehen.

Die Rolle der lokalen und regionalen Behörden bei der Entwicklung der europäischen Drogenpolitik

>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>> Die EU-Drogenstrategie beeinflusst die Ausarbeitung und Umsetzung vieler nationaler Drogenpolitiken und damit auch die der lokalen Behörden. Letztere werden oft durch die nationale Politik geleitet und/ oder eingeschränkt. Manchmal schauen die lokalen Behörden über die nationalen Richtlinien hinaus und nutzen internationale oder transnationale politische Strategien als Bezugspunkte. Als Hauptverantwortliche für die Umsetzung der Drogenpolitik – ob lokal, regional, national oder international – haben die lokalen Behörden erheblichen Einfluss auf die Umsetzung vor Ort. Lokale Interessenvertreter*innen haben praktische Erfahrung und können beträchtliches Fachwissen sammeln. Die Verlagerung hin zu einer stärkeren Betonung von Schadensminderungsstrategien profitiert von ihren Beiträgen. Lokale Akteure haben auch die Möglichkeit, legitimierte Kommunikationsstrategien zu entwickeln, die auf häufig geäußerte Zweifel und Kritik antworten können. Die lokalen Behörden sind in einer günstigen Position, um die verschiedenen Interessengruppen zu koordinieren und ihr Fachwissen als Ressource bei der Erstellung von Maßnahmen zur Reduzierung der

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

Drogennachfrage zu nutzen, die auf die Bedürfnisse ihrer Kommune zugeschnittenen sind. Sie können auch als Gesprächspartner*innen auf transnationaler Ebene fungieren, indem sie sich mit anderen Städten austauschen, die an Aktivitäten zur Schadensminderung beteiligt sind, und mit ihnen zusammenarbeiten. Die Umsetzung von Schadensminderungsstrategien, insbesondere von beaufsichtigten Drogenkonsumeinrichtungen, profitiert enorm von der Unterstützung der lokalen Behörden. Diese Unterstützung kann politischen Charakter annehmen und nationalen und internationalen Initiativen Legitimität verleihen. Sie kann auch die Form einer logistischen und koordinierenden Unterstützung durch die Schaffung und Verwaltung eines partizipativen Netzwerks annehmen, das allen lokalen Akteur*innen, einschließlich der PWUDs, offensteht. Letztlich muss die Unterstützung für Schadensminderungsstrategien von mehreren Ebenen kommen: von der nationalen und internationalen Ebene in Form von Gesetzesänderungen und von der lokalen Ebene in Form von unterstützenden Umsetzungsstrategien und politisch günstigen Rahmenbedingungen für die horizontale und vertikale Kooperation, die Innovation und Experimente im Bereich der Schadensminderung ermöglichen.

positiven Entwicklungen von den lokalen und regionalen Behörden und den von ihnen auf lokaler Ebene koordinierten Netzwerken von Interessengruppen gefördert werden können. Gemeinden und Regionen verfolgen seit Langem einen ausgewogenen und partizipativen Ansatz zur städtischen Sicherheit, der auf den Prinzipien der Achtung der Grundrechte, des sozialen Zusammenhalts und der Zusammenarbeit beruht: „Die Städte müssen einen ganzheitlichen Ansatz unterstützen, der die Anpassung der Institutionen, einschließlich der Polizei und des Justizsystems, und die Fortbildung von Akteuren umfasst, um diese Art von Koproduktion im Bereich städtischer Sicherheit zu gewährleisten. Dies bedeutet insbesondere eine Anpassung der Arbeitsmethoden, um die gemeinsame Nutzung und den Austausch von Informationen zu fördern, sowie Bemühungen um die Stärkung von Transparenz und Rechenschaftspflicht. Ein solcher Ansatz muss auch der Vermittlungstätigkeit den Vorrang vor Konfrontation oder Strafverfolgung geben.“20 Während Drogenprobleme ein großes Risiko für die städtische Sicherheit darstellen, bieten die Antworten, die wir zur Bewältigung dieser Herausforderungen finden, einschließlich der Strategien zur Schadensminderung und der DKR, ein großes Potenzial für die Entwicklung innovativer Sicherheitsstrategien:

DKR als Instrument zur Förderung der städtischen Sicherheit und des sozialen Zusammenhalts auf lokaler Ebene

 Sie ermöglichen die Reduzierung des Drogenkonsums in der Öffent-

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Formen der Kriminalität sowie von Belästigungen im Zusammenhang mit offenen Drogenszenen.

Während zahlreiche Studien den Nutzen von DKR für die öffentliche Gesundheit aufgezeigt haben, sind die Berichte über die Auswirkungen der DKR auf die öffentliche Ordnung und die städtische Sicherheit noch nicht so klar und schlüssig. Das Projekt SOLIDIFY konzentrierte sich daher auf diese Aspekte und arbeitete an der Klärung dieser positiven Auswirkungen auf die städtische Sicherheit und den sozialen Zusammenhalt. Im Vordergrund stand außerdem die Frage, wie diese

 Sie können das Sicherheitsgefühl unter der Bevölkerung der betrof-

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lichkeit, insbesondere des Injektionskonsums, und eine Minderung von Belästigung in Stadtvierteln mit sichtbaren Drogenszenen.

 Sie sind ein Mittel zur Prävention des Drogenhandels und anderer

fenen Viertel verbessern, da den Bewohnern deutlich wird, dass die lokalen Behörden Lösungen für die schwerwiegendsten Drogenprobleme finden. 19. Efus, Security Democracy and Cities. Co-producing Urban Security Policies. Manifesto adopted in 2017 during the International Conference of the European Forum for Urban Security, co-organised with the City of Barcelona and the Government of Catalonia (2017), S. 11.

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

 Sie eröffnen Möglichkeiten der Zusammenarbeit auf lokaler Ebene, indem sie lokale Partnerschaften zur Unterstützung der Einrichtung und des guten Managements von DKR schaffen. Hierbei wird ein breites Spektrum von Akteuren einbezogen und ihre Beteiligung und Eigenverantwortung für die lokale Sicherheitspolitik verstärkt.

 Sie ermöglichen die Einbeziehung von Menschen, die Drogen konsumieren, als aktive Mitwirkende an der lokalen Sicherheitspolitik und fördern dadurch ihr Gefühl der Zugehörigkeit zur Gesellschaft und das Vertrauen in die lokalen Regierungsinstitutionen. Die folgenden Abschnitte konkretisieren diese Zusammenhänge und stellen dar, wie europäische Kommunen derzeit DKR und damit verbundene Maßnahmen zur Schadensminderung als Antwort auf die Herausforderungen der städtischen Sicherheit einsetzen. Ebenso enthalten sie Strategien und Instrumente zur besseren Bewertung dieser Maßnahmen und ihrer Auswirkungen sowie eine Reihe von Argumenten und Empfehlungen für ihren Ausbau.

Teil 2 >>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>

Einrichtung und Betrieb von Drogenkonsumräumen in europäischen Gemeinden – Praxisbeispiele >>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

Dieses Kapitel befasst sich mit den Erfahrungen, die von den Partnerstädten des Projekts während der lokalen Audits und des Implementierungsprozesses gesammelt wurden. Eine erste Gruppe von Städten - Barcelona, Den Haag, Essen, Straßburg und Paris - hatte bereits Drogenkonsumeinrichtungen implementiert, während eine zweite Gruppe von Städten - Lüttich, Lissabon, Mannheim, Brüssel, Augsburg und Ljubljana - die Konzipierung und Einrichtung der DKR entweder in Erwägung zog oder gerade damit begann. Lüttich und Lissabon eröffneten im Rahmen des SOLIDIFY-Projekts DKR, welche die ersten in Belgien und Portugal waren. Die Vielfalt der Städte ermöglichte sowohl vergleichende Bewertungen von Kontexten und Strategien als auch den Austausch von Handlungsempfehlungen und Erfahrungen unter Gleichgesinnten.

Barcelona: Ein stadtweites Netzwerk von Drogenkonsumräumen unter einem Dach mit medizinischen Diensten

Hintergrund – Vier Jahrzehnte Schadensminderungsstrategien in einem unterstützenden politischen Rahmen Seit der Heroinepidemie in den 1980er Jahren, die zahlreiche öffentliche Räume in Beschlag nahm, befindet sich Barcelona an der Spitze der Städte mit Drogenkonsumräumen. Im selben Jahrzehnt wurden drei spezialisierte Suchtbehandlungszentren eröffnet und im Laufe der Jahre weitere Strategien zur Reduzierung von Suchtkrankheiten umgesetzt, darunter Spritzenaustauschprogramme, DKR und NaloxonVergabe. Durch die Eröffnung mehrerer Konsumräume in der ganzen Stadt wurde die Zugänglichkeit von Schadens- und Risikominderungsdiensten für ein größeres Publikum verbessert. Die Drogenstrategie von Barcelona orientiert sich am Drogenaktionsplan der Stadt. Die erste Version wurde 1988 ausgearbeitet. Der Aktionsplan wird alle vier Jahre aktualisiert und vom Stadtrat genehmigt. Die Gesundheitsbehörde von Barcelona ist federführend für die Umsetzung des Aktionsplans.

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Zielsetzung: Schaffung von Voraussetzungen für eine umfassende Versorgung

Führende Partnerinstitutionen: die Agentur für öffentliche Gesundheit in Barcelona mit finanzieller Unterstützung der Stadtverwaltung von Barcelona und der katalanischen Regionalregierung. Die betreuten Drogenkonsumeinrichtungen werden von NichtregierungsOrganisationen (NROs) und sozialen Einrichtungen verwaltet und alle vier Jahre über öffentliche Ausschreibungen finanziert. Drei der Zentren werden von öffentlichen Krankenhäusern betrieben.

Der jüngste Drogenaktionsplan (2017-2020) nennt vier Leitprinzipien. Sie sind mit den übergeordneten Zielen verknüpft, Hilfe bei der ersten Gelegenheit und eine nahtlose Kontinuität der Betreuung zu bieten. Diese sollte von niedrigschwelligen Diensten bis zur Integration in die Gesellschaft und in die Arbeitswelt reichen:

Zeitablauf: Der erste Konsumraum wurde 2004 eröffnet. Seitdem wurden sieben weitere in der ganzen Stadt eingerichtet. Das jüngste Zentrum öffnete seine Türen im Jahr 2017. Zielgruppe: drogenkonsumierende und insbesondere wohnungslose Personen, mit einem möglichen zukünftigen Schwerpunkt auf Drogen konsumierende Frauen.

 Reduzierung des mit der Sucht verbundenen Stigmas  Verringerung der Morbidität und Mortalität im Zusammenhang mit dem Konsum psychoaktiver Drogen

 Verhinderung von Situationen sozialer Ausgrenzung von Drogenkonsumierenden in ihrer Umgebung

 Vermeidung von Verstößen und Nichteinhaltung der aktuellen Gesetzgebung

Website: https://www.aspb.cat/arees/drogodependencies/centresdatencio-seguiment-barcelona/

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

Strategie und Aktivitäten – Mehrere Drogenkonsumräume und effiziente lokale Zusammenarbeit In Barcelona gibt es fünfzehn Drogensuchtzentren (CAS), von denen acht Schadensminderungs- und Behandlungsdienste anbieten. Diese acht Zentren bieten in den DKR Injektionen mit jeweils ein bis fünf Kabinen an, und eines von ihnen verfügt über einen zusätzlichen Konsumraum für inhalierte Drogen. Die Stadt verfügt auch über einen mobilen DKR. Das effiziente Funktionieren der DKR in Barcelona hängt von starken Partnerschaften zwischen verschiedenen lokalen und kommunalen Akteuren ab. Der kommunale Drogenaktionsplan wird vom Stadtrat geleitet und in Zusammenarbeit mit seinen verschiedenen Abteilungen (Gesundheits-, Sicherheits- und Reinigungsdienste), NROs und Nachbarschaftsverbänden ausgearbeitet. Die Drogensuchtzentren sind Teil des Gesundheitsnetzes und haben somit enge Verbindungen zu den Sozialdiensten. In der Altstadt von Barcelona, die unter einer hohen Prävalenz von Drogenhandel und Obdachlosigkeit leidet, treffen sich zum Beispiel Bezirksverwaltungen, Drogensuchtzentren, Ordnungsbehörden und Sozialdienste zu monatlichen Treffen. Diese Treffen, die während der Sommerzeit wöchentlich stattfinden, ermöglichen es den Beteiligten, Situationen und gemeinsame Interventionen zu diskutieren.

Ergebnisse und Herausforderungen – Erhebliche Verbesserungen bei der Risikominderung und der kontinuierlichen Innovation Insgesamt erhalten die DKR der Stadt jährlich rund 40.000 Besuche. Seit der Eröffnung des ersten Konsumraums im Jahr 2004 deuten verschiedene Indikatoren bezüglich des Drogenkonsums und der Beeinträchtigung der Öffentlichkeit auf wichtige Veränderungen hin: Die Zahl der im öffentlichen Raum eingesammelten Nadeln ist von einem Monatsdurchschnitt von 13.000 im Jahr 2004 auf weniger als 2.000 im Jahr 2017 gesunken. Die Zahl der Todesfälle durch Überdosierung ist von 160 im Jahr 1992 auf 54 im Jahr 2016 zurückgegangen. Die Zahl der HIV-Infektionen ist ebenfalls zurückgegangen, und die Zahl der Behandlungsnachfragen wegen Opioid-Abhängigkeit ist seit 2014 stabil bei etwa 700 pro Jahr.

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Zwei Herausforderungen bestehen nach wie vor: der Mangel an Wohnungen für Obdachlose, die aktiv Drogen konsumieren, und die Zunahme von „Drogenwohnungen“ („narcopisos“) seit 2015. Letztere bringen eine Reihe von sicherheitsrelevanten Herausforderungen mit sich, wie z. B. Gewalt im Zusammenhang mit dem Drogenhandel und eine Verunsicherung der Nachbarschaft.

Nächste Schritte – Obdachlosigkeit und Gender-Aspekte im Mittelpunkt Was die Obdachlosigkeit betrifft, so plant die Stadt Barcelona den Bau einer Unterkunft für aktiv Drogen konsumierende Menschen, hat aber noch kein Datum für den Baubeginn festgelegt. Um das Problem der „narcopisos“ in Angriff zu nehmen, hat Barcelona ein Budget für gemeinsame Interventionen bereitgestellt, an denen Reinigungskräfte sowie Fachleute des Gesundheitswesens, der Ordnungsbehörden und des Sozialdienstes beteiligt sind. Ein Gemeinde-Team ist für die Durchführung der Interventionen, die Verbindung der PWUDs mit den Schadensminderungsdiensten und die Kontaktaufnahme mit den Bewohner*innen zuständig. Weitere zukünftige Projekte richten sich an Drogen konsumierende Frauen, an sogenannte „Chemsex“-Klient*innen oder an Menschen, die psychoaktive Substanzen zur Intensivierung sexueller Erfahrungen konsumieren. Barcelona unterstützt auch die Ausarbeitung von europaweiten gemeinsamen Indikatoren, um Erfahrungen zu vergleichen und die Qualität bestehender Schadens- und Risikominderungsstrategien zu verbessern.

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

Essen: ein Konsumort zur Eindämmung einer zentralen offenen Drogenszene

>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>> Führende Partnerinstitutionen: Stadt Essen. Die Koordination und Durchführung wird vom Amt für Soziales und Wohnungswesen des Stadtrates gewährleistet. Die Betreuungsleistungen werden von der Suchthilfe direkt Essen erbracht und aus mehreren Quellen finanziert, u. a. aus öffentlichen Mitteln der Stadt Essen und des Landes Nordrhein-Westfalen, aus Mitteln der Kranken- und Rentenversicherung sowie durch Einnahmen aus Ausbildungsmaßnahmen. Zeitablauf: Eröffnung der Einrichtung für beaufsichtigten Drogenkonsum im Jahr 2001. Zielgruppe: Drogenkonsumierende im innerstädtischen Bereich. Websiten: https://www.essen.de/rathaus/organisationseinheiten/ organisationseinheit_1188889.de.html https://www.suchthilfe-direkt.de/

Ziele – Kombination der Reduzierung des öffentlichen Konsums mit einer Verstärkung von Angeboten zur Schadensminderung Die Drogenpolitik der Stadt basiert auf der Anerkennung der Drogenabhängigkeit als Krankheit. Um die Drogenkonsumszene nachhaltig zu reduzieren, muss die Auflösung des Konsums im öffentlichen Raum mit der Schaffung eines effizienten Versorgungsangebots einhergehen. Weitere zentrale Ziele sind die Prävention von Sekundärfolgen wie Drogenkriminalität, die soziale Stabilität und die Schaffung von Lebensperspektiven für Drogenkonsumierende. Ebenso wichtig sind die Interessen der Allgemeinheit und die Minimierung ihrer Belastung.

Strategien und Aktivitäten – gemeinsame Ziele und nachhaltige Zusammenarbeit zwischen den Beteiligten Es wurde schnell klar, dass die Strategie präventive, repressive und pflegerische Komponenten integrieren muss, um den Erfolg nachhaltig zu sichern. Vor diesem Hintergrund beriet sich die Stadt nicht nur mit den Strafverfolgungsbehörden, sondern auch mit den Pflegeträgern, den Verkehrsbetrieben und den Wirtschaftsakteuren. Gemeinsam identifizierten sie mehrere gemeinsame Ziele:

 Eine signifikante und nachhaltige Reduzierung der offenen DrogenHintergrund – Reaktion auf einen sich verschlechternden öffentlichen Raum In den 1990er Jahren war die Stadt Essen Zeugin der Entwicklung einer offenen Drogenszene rund um den Hauptbahnhof, die mit Drogenkonsumierenden, Obdachlosen, Alkoholabhängigen und Sexarbeiterinnen übersättigt war. Der Drogenkonsum fand im öffentlichen Raum, in öffentlichen Toiletten, an Gebäudeeingängen und anderen Orten im Stadtzentrum statt. Dies führte zu einem erhöhten Verletzungsrisiko und zu Überdosierungen und erhöhte außerdem die Verbreitung von HIV und Hepatitis. Die Drogenkriminalität nahm zu, vor allem Personenschäden, Raub und Prostitution. Parallel zur Notlage der Drogenkonsumierenden litt die Allgemeinbevölkerung unter der Verwahrlosung des öffentlichen Raums, und es wurde eine wachsende Unzufriedenheit der Öffentlichkeit registriert.

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szene am Hauptbahnhof

 Verhinderung einer offenen Drogenszene an neuen Orten  Erhöhung des subjektiven Sicherheitsgefühls für Pendler*innen und Passant*innen

 Rückgang der Kriminalität in der Innenstadt  Ausbau und/oder Schaffung von effizienten Betreuungsangeboten für Drogenkonsumierende Um diese Ziele zu erreichen, wurden mehrere Maßnahmen ergriffen. In einem ersten Schritt stellte der Stadtrat durch eine Resolution den politischen Konsens sicher. Die politische Unterstützung, die Ausarbeitung gemeinsamer Ziele und die Zusammenarbeit zwischen den Interessenvertreter*innen waren bei der Umsetzung der Strategie von zentraler Bedeutung.

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

Während der Vorbereitungsphase des Projekts wurde die Bevölkerung durch eine umfassende Medienkommunikationsstrategie auf dem Laufenden gehalten. Der nächste Schritt betraf die in Kenntnis Setzung der Drogenkonsumierenden über die Ziele und die bevorstehenden Maßnahmen, insbesondere die Einstellung der bestehenden Servicestellen am Hauptbahnhof sowie den Auf- und Ausbau des Angebots der städtischen Drogenhilfe. Gezielte polizeiliche Interventionen und verstärkte Streetwork-Initiativen in den folgenden Wochen erzwangen den Umzug der Drogenkonsumierenden in die Drogenhilfe. Die Eröffnung der Drogenkonsumeinrichtung spielte eine wichtige Rolle bei der Reduzierung des öffentlichen Drogenkonsums. Zu den zusätzlichen Betreuungsangeboten gehörten vier Substitutionsambulanzen, eine Notunterkunft für Drogenkonsumierende und die Schaffung einer niederschwelligen Anlaufstelle. Die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Akteuren – städtische Sozial-, Ordnungs- und Gesundheitsämter, Gemeinde- und Bundespolizei, Staatsanwaltschaft und Pflegeträger – wird durch vertragliche Vereinbarungen gewährleistet und durch regelmäßige Sitzungen und Beratungen aufrechterhalten.

Ergebnisse – ein vielfältiges Angebot an Pflegedienstleistungen unter einem Dach Die Gründung des DKR hatte eine wichtige Auswirkung auf das Gebiet um den Hauptbahnhof, da der Konsum aus dem öffentlichen Raum verdrängt wurde. Das Drogenhilfezentrum bietet ein vielfältiges Angebot an Betreuungsmöglichkeiten, darunter eine Notunterkunft, einen Drogenkonsumraum, eine Anlaufstelle, Substitution sowie Beratungs- und Vermittlungsdienste. Die Zahl der drogenbedingten Todesfälle wurde erheblich reduziert, und es gibt weniger öffentliche Beschwerden. Parallel zur Einrichtung des Konsumraums fördert die Stadt auch die Schaffung von Netzwerken verschiedener Institutionen. Diese Zusammenarbeit stellt sicher, dass keine neue Drogenkonsumszene entsteht, und garantiert eine rasche und angemessene Reaktion auf neue Probleme.

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Nächste Schritte – wechselnde Trends beobachten Die Stadt Essen passt ihre Drogenpolitik weiterhin an die sich entwickelnden Bedürfnisse der Drogenkonsumierenden an. Veränderte demografische Trends und die höhere Lebenserwartung der PWUD werden beobachtet. Auch die Bedürfnisse der Flüchtlingsbevölkerung der Stadt werden berücksichtigt. Ein weiterer Schwerpunkt wird die Überwachung neu aufkommender Substanzen und der Dynamik des Drogenhandels sein.

Den Haag: über Konsumräume mit Schutzräumen und Housing First hinausgehen

>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>> Führende Partnerinstitutionen: Die Stadtverwaltung Den Haag und der öffentliche Gesundheitsdienst sind die Hauptpartner in Bezug auf die politische Ausrichtung, die Koordinierung und die Finanzierung. Eine Reihe von privaten Einrichtungen für Sozialfürsorge und psychische Gesundheitsfürsorge tragen zum Wohnungsangebot bei, während das Angebot Housing First von drei Sozialwohnungsorganisationen (Vestia, Staedion und Haag Wonen) erbracht wird. Die Polizei ist für die öffentliche Ordnung zuständig. Zeitablauf: Eine Drogenkonsumeinrichtung wurde 2006 in Den Haag eröffnet und 2011 geschlossen, da große Teile ihrer Klientel von Unterkünften mit Suchtbehandlungskomponenten abgedeckt wurden. Zielgruppe: die obdachlose Bevölkerung und Drogenkonsumierende. Website: https://www.denhaag.nl/en.htm

Hintergrund – Verlagerung der Drogenpolitik hin zu einem Housing First-Ansatz Zwei der 37 niederländischen DKR befinden sich in Den Haag.

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

Während ihre Gründung zunächst auf Widerstand stieß, sind sie inzwischen gesellschaftlich akzeptiert. Im Laufe der Zeit ging die Zahl der Klient*innen zurück, und Den Haag begann, seine Politik der Schadensminimierung auf das Wohnen als Ausgangspunkt für die Suchtbehandlung zu verlagern.

Aufnahme in der zentralen Koordinierungsstelle, die gemeinsam von Sozial- und Gesundheitsdiensten betrieben wird. Sobald sich eine Person für einen persönlichen Sozialplan qualifiziert, wird für sie ein/e Klient*innen-Manager*in ernannt, um gemeinsam einen individuellen Plan zu entwickeln und dessen Ausführung zu überwachen.

Die Grundlage für diese Politikänderung war ein nationaler Plan, der 2006 eingeführt wurde. Dieser Plan enthält eine langfristige Strategie zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit auf nationaler und lokaler Ebene. Er wurde auf lokaler Ebene durch das Strategiepapier The Hague Shelter (Unterkunft den Haag) umgesetzt. Die Politik verlagerte sich auf einen „housing first“-Ansatz, der vorsieht, dass wohnungslose Menschen so schnell wie möglich in eine Unterkunft umziehen sollen. Sie dient als Ausgangspunkt für die Bereitstellung geeigneter Dienstleistungen.

Alle in der Zentralen Koordinierungsstelle registrierten Klient*innen erhalten als absolutes Minimalangebot einen Ausweis, der zur Nutzung des Nachtquartiers berechtigt. Der Ausweis ist zwei Monate lang gültig. Während dieser Zeit werden Anstrengungen unternommen, um die Betroffenen in einer Wohneinrichtung unterzubringen. Eine solche Unterbringung kann auch in einem Krankenhausaufenthalt in einer Klinik für Suchtkranke bestehen. In diesem Fall hat die Suchtbehandlung eher einen obligatorischen Charakter.

Mehrere Pilotprojekte zeigen, dass dieser Ansatz positive Auswirkungen auf die Suchtbehandlung hat. Aufkommende Sicherheitsprobleme im Zusammenhang mit der großen Zahl von Menschen, die auf der Straße leben, gaben dem Plan zusätzlichen Auftrieb.

Darüber hinaus gibt es in Den Haag mehrere Einrichtungen, die rund um die Uhr eine stationäre Betreuung anbieten („Durchgangsunterkünfte“). Sie bieten wirksame Unterstützung, Pflege und tägliche Beschäftigung. Ziel ist es, dass die Menschen nach ein oder zwei Jahren in unabhängigere Wohneinrichtungen (es gibt über zweihundert Plätze) umziehen können. Eine Möglichkeit für solche unabhängigeren Wohnungen bietet das Programm „Housing First“. In Zusammenarbeit der Stadtverwaltung und den Sozialwohnungsorganisationen bietet das Programm eine professionelle ambulante Gesundheitsversorgung und finanzielle Unterstützung. Wenn dieser Weg erfolgreich ist, kann das jeweilige Haus an die betreffende Person übergeben werden (es gibt insgesamt zweihundert Häuser).

Ziele – soziale Rehabilitation und Integration durch Wohnen Das Hauptziel dieses Politikwechsels ist die Rehabilitation und Wiedereingliederung wohnungsloser Menschen durch die Unterstützung ihres Umzugs in eine Wohnung. Dies gilt als Ausgangspunkt für die Bereitstellung geeigneter Folgeleistungen, wie Gesundheitsversorgung, Suchtbehandlung und Einkommensstabilität.

Strategie und Aktivitäten – individuelle Hilfe und ein kooperativer Ansatz Der Aktionsplan von Den Haag stützt sich auf zwei zentrale Pfeiler: einen Klient*innen-orientierten Ansatz und eine nahtlose Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten. Der Klient*innen-orientierte Ansatz bietet allen Obdachlosen an, einen persönlichen Plan für Dienstleistungen wie Gesundheitsversorgung, Wohnen, Einkommen, Arbeit usw. zu erstellen. Der erste Schritt ist eine

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Es wird immer eine Gruppe von Süchtigen geben, die aufgrund gescheiterter Versuche kaum Aussicht auf eine erfolgreiche Betreuung und Wiedereingliederung haben. Für diese spezielle Zielgruppe gibt es dauerhaftere Einrichtungen des betreuten Wohnens, die schrittweise Unterstützung zur Verbesserung ihrer Situation anbieten (es gibt über 148 Plätze).

Ergebnisse und Herausforderungen – kleine Einrichtungen zur Förderung der Akzeptanz Die Hauptherausforderungen bestanden darin, ausreichende Wohnmöglichkeiten zu schaffen und zu verhindern, dass die verbleibenden

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

Nutzer*innen der DKR auf die Straße zurückkehren und dort ein öffentliches Ärgernis darstellen würden. Eine große Investition in die Schaffung der richtigen Anzahl von Einrichtungen verhinderte dies. Die ausgeweiteten Einrichtungen stießen zunächst auf den Widerstand der umliegenden Nachbarschaften. Eine enge Zusammenarbeit mit der Polizei und eine sehr offene Haltung der Einrichtungen gegenüber den Anwohner*innen verbesserte jedoch die Situation. Die vorherrschende Meinung ist, dass kleine Einrichtungen die soziale Akzeptanz der Wohneinrichtungen am besten fördern.

und betrieben von Ithaque, einem Verein, der auf Prävention und Schadensminderung im Bereich der Sucht spezialisiert ist. Zeitablauf: Eröffnung einer Einrichtung für überwachten Drogenkonsum namens ARGOS im Jahr 2016 und Eröffnung eines Schutzraums in derselben Einrichtung im Jahr 2020. Zielgruppe: die am meisten gefährdete Personen, die Drogen konsumieren (PWUDs) Websiten: http://www.ithaque-asso.fr/ http://www.ithaque-asso.fr/reduction-des-risques/scmr-argos

Nächste Schritte – von anderen Städten lernen und sich mit ihnen austauschen Um die wirksamste und am besten akzeptierte Methode zur Verringerung von Drogenproblemen zu entwickeln, müssen die politischen Entscheidungsträger*innen gesellschaftspolitische Faktoren wie die öffentliche Meinung, die sich ändernden Drogenszenen und das vorherrschende politische Klima berücksichtigen. Den Haag ist – wie andere Städte auch – daran interessiert, diesen Herausforderungen bei der Einrichtung von DKR, aber auch im Hinblick auf andere drogenbezogene Probleme zu begegnen. Das Projekt SOLIDIFY hat hier interessante Erkenntnisse geliefert, da der Erfahrungsaustausch und das gegenseitige Lernen die Entwicklung einer wirksameren langfristigen Drogenpolitik erleichtern.

Straßburg: ein Konsumraum als Teil einer integrierten Schadensminderungsstrategie

>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>> Führende Partnerinstitutionen: kofinanziert von der Stadt Straßburg, dem Universitätsklinikum Straßburg, der regionalen Gesundheitsagentur und dem deutsch-französischen „Eurodistrikt“. Verwaltet

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https://www.strasbourg.eu/

Hintergrund – ein günstiger Rahmen für den zweiten französischen DKR Straßburg hat sich seit den 1990er Jahren für eine Politik der Schadensminderung eingesetzt und seither zahlreiche Initiativen unterstützt, darunter die Mission SIDA – Toxicomanie der Organisation Ärzte der Welt im Jahr 1993. Außerdem förderten sie die Einrichtung eines Informations- und HIV-Testzentrums im Jahr 1994 und die Einführung des ersten Spritzenaustauschautomaten im Jahr 1996. Im Jahr 2012 wurde in Straßburg mit der Ausarbeitung eines DKR begonnen, und vier Jahre später, 2016, wurde die Einrichtung ARGOS schließlich eingeweiht. Es ist eine von nur zwei Einrichtungen dieser Art in Frankreich. Während es in Straßburg keine spezifischen offenen Drogenszenen gab, konsumierten die am stärksten gefährdeten PWUD der Stadt in besetzten Häusern oder öffentlichen Toiletten. Die große Mehrheit dieser Zielgruppe hatte keinen Kontakt zu sozialmedizinischen Strukturen. ARGOS wurde in einem relativ konfliktfreien Kontext platziert: Es liegt auf dem Gelände des Universitätsklinikums von Straßburg, in relativ großer Entfernung zu Wohngebieten. 90 % der Gemeinderatsmitglieder stimmten deshalb für den Konsumraum, und die öffentliche Debatte konnte in einer ruhigen Atmosphäre geführt werden.

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

Zielsetzungen – Erweiterung des aktuellen Angebots Das Hauptziel des DKR ist es, die am stärksten gefährdeten Drogenkonsumierenden zu erreichen, ihnen den Zugang zur Gesundheitsversorgung zu erleichtern und so ihre Grundrechte zu sichern. Im Jahr 2020 wird der Konsumraum durch die Eröffnung eines Schutzraumes im ersten Stock der Einrichtung ergänzt, der den Bedürfnissen der gefährdetsten Konsument*innen angepasst ist. Ziel ist es, eine umfassende Antwort auf die Gesundheitsprobleme der Nutzer*innen zu gewährleisten, die von anderen sozialen Einrichtungen in der Stadt nicht erreicht oder untergebracht werden können. Dadurch werden die ständigen Unterbrechungen im Unterstützungsprozess für diese Menschen reduziert und ihnen darüber hinaus soziale Unterstützung angeboten.

Strategie und Aktivitäten – neue Synergien zwischen Gesundheits- und Sozialfürsorge schaffen Die Konsumeinrichtung befindet sich in einem ungenutzten Gebäude auf dem Gelände des Universitätskrankenhauses und wird von einem interdisziplinären Team von Ithaque geführt. Das Zentrum ist in vier verschiedene Räume aufgeteilt: einen Empfangsraum, einen Konsumraum, einen Ruhebereich und einen Raum für Unterstützung und Gespräche. Des Weiteren bietet es ein Spritzenaustauschprogramm und Screening-Tests an. Die Nutzer*innen sind selbst für die Sicherheit des Raums und die Entsorgung der gebrauchten Spritzen verantwortlich. Die Einrichtung wird von Ithaque verwaltet und von der Stadt Straßburg und der regionalen Gesundheitsbehörde unterstützt. Im Bereich der Schadensminderung kooperiert die Stadt außerdem mit der Association de Lutte contre la Toxicomanie, dem regionalen Informationszentrum für Drogen und Sucht (CIRDD), Les Amis de la santé du Bas-Rhin, AIDES, SOS Hépatites und der Association Pénélope. Die Stadt ist eng mit den staatlichen Stellen, dem Justizministerium, der regionalen Gesundheitsagentur und dem Universitätsklinikum Straßburg vernetzt. Die von der Stadt eingerichtete Beobachtungsstelle für öffentliche Sicherheit übernimmt die Untersuchung der Auswir-

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kungen des DKR auf die öffentliche Ordnung. Die Stadt hat eine Kommunikations- und Informationsstrategie entwickelt, um die Einwohner*innen regelmäßig zu informieren.

Ergebnisse und Herausforderungen Bis Ende 2019, drei Jahre nach der Eröffnung der Konsumeinrichtung, wurden 899 Personen von ARGOS empfangen. 667 hatten den Konsumraum genutzt. Das Zentrum zählt 60 bis 80 Tagespassagen. Nutzer*innen sind im Durchschnitt 38 Jahre alt, bei 23,1% von ihnen handelt es sich um Frauen. Seit der Eröffnung des Raumes gibt es unter den Nutzer*innen nun 43% mehr Vorsorgeuntersuchungen und 16% mehr Impfungen. 57 % konnten außerdem ihre Rechte besser wahrnehmen. Das Spritzenaustauschprogramm ermöglicht den Zugang zu einer Fülle von Material zur Prävention und Schadensminderung, wie z. B. Spritzen, Kits, Septoboxen, Steribecher, Steri-Filter, Kondome und vieles mehr. Aufgrund der Lage des DKR innerhalb des Krankenhausgeländes wurden hilfreiche Verbindungen zwischen dem Personal von Ithaque und den Krankenhausdiensten geschaffen und damit der Zugang zu einer wirksamen Gesundheitsversorgung weiter gefestigt.

Nächste Schritte Der Raum für Notunterkünfte, der 2020 eröffnet werden soll, wird von der Stadt, der regionalen Gesundheitsbehörde und dem Universitätsklinikum Straßburg finanziert. Der Raum soll dreihundert Quadratmeter groß sein und Platz für Notbetten und provisorische Unterkünfte bieten. Für die Zukunft ist die Einrichtung eines Wohnraums mit Wiedereingliederungswerkstätten geplant. Die Teilnahme am SOLIDIFY-Projekt ermöglichte es der Stadt Straßburg, Erfahrungen und Fachwissen mit verschiedenen Mitgliedsstädten zu teilen. Eine Konferenz zu überwachten Drogenkonsumräumen, die für den Europäischen Rat in Straßburg im Jahr 2021 vorgesehen ist, wird derzeit geprüft.

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

Paris: ein einziger experimenteller DKR für die größte französische Metropole

>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>> Führende Partnerinstitutionen: Die Einrichtung für den überwachten Drogenkonsum wird von der Sozialversicherung finanziert, von der Stadt Paris unterstützt und von der Organisation Gaia verwaltet, einer Vereinigung, die seit 2006 im Bereich der Risiko- und Schadensminderung tätig ist.

In den letzten Jahren hat der nordöstliche Teil der Stadt eine beträchtliche Zunahme des Drogenkonsums und des Drogenhandels erlebt. Der Eröffnung des ersten DKR der Stadt im Jahr 2016 ging ein langer politischer und technischer Prozess voraus, der 2009 begann. Der Raum ist die ganze Woche über geöffnet und ist eine Antwort auf den Opioidkonsum, der rund um den Bahnhof stattfindet. Die Stadt, der Staat und die ARS haben sich in einer Lenkungsstruktur zusammengeschlossen, um Gaia, den geschäftsführenden Verband des DKR, zu unterstützen.

Ziele – Gesundheit und öffentliche Ordnung verbinden

Zeitablauf: Eröffnung des Raumes für beaufsichtigten Drogenkonsum im Jahr 2016 und Einführung eines neuen Crack-Konsumplans im Jahr 2018.

Die Ziele der Stadt Paris zur Risikominderung umfassen Komponenten der Gesundheit und der öffentlichen Ordnung. Erstere setzen sich wie folgt zusammen:

Zielgruppe: Drogenkonsumierende in den nordöstlichen Teilen der Stadt und Besucher*innen von außerhalb aufgrund der Nähe zu einem wichtigen Verkehrsknotenpunkt (Bahnhof Gare du Nord).

 Kurzfristig: Bereitstellung eines Umfelds, das den grundlegenden

Websiten: https://gaia-paris.fr/salle-de-consommation-a-moindrerisque/

 Mittelfristig: Verringerung der Mortalität und Morbidität innerhalb

https://www.paris.fr/pages/lutte-contre-le-crack-un-plan-d-actions2019-2021-6843

 Langfristig: Stabilisierung der Drogenkonsumierenden und Förde-

hygienischen Normen entspricht und ein minimales Risiko des Drogenkonsums bietet der Zielbevölkerung rung eines angemessenen Gesundheitsdienstes Im Hinblick auf die öffentliche Ordnung sind die Ziele:

Hintergrund – der erste betreute Drogenkonsumraum in Paris Com aproximadamente 7000 pessoas que usam drogas no espaço Mit ungefähr siebentausend PWUDs, die im öffentlichen Raum konsumieren, ist das Departement Ile de France eine der am stärksten vom Drogenkonsum betroffenen Regionen Frankreichs. Die Lage mehrerer wichtiger Verkehrsknotenpunkte in Paris macht die Hauptstadt zu einem attraktiven Ziel für Konsumierende aus anderen Ländern. Die Stadt Paris unterstützt seit Langem Strategien zur Risikominderung. Im Rahmen der Dachinitiative Mission Métropolitaine de Prévention des Conduites à Risques unterstützt die Stadt mehrere Projekte, finanziert Innovationen und koordiniert die Akteure in Partnerschaft mit dem Staat, der Präfektur und der regionalen Gesundheitsbehörde (ARS).

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 Verringerung des öffentlichen Drogenkonsums und der damit verbundenen Probleme

 Eindämmung der Kriminalität innerhalb und im Umfeld der Konsumräume

 Verbesserung des Lebens der Anwohner*innen und Förderung von Akzeptanz und sozialer Vielfalt

Strategie und Aktivitäten – mit einem neuen umfassenden Plan über den Konsumraum hinausgehen Die Eröffnung des DKR am Gare du Nord (Nordbahnhof) im Jahr 2016

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

ergänzte ein größeres sozio-medizinisches Angebot, das achtzehn Pflege-, Unterstützungs- und Präventionszentren (Centre de soins, d'accompagnement et de prévention en addictologie – CSAPA) und neun Schadensminderungszentren (Centre d'accueil et d'accompagnement à la réduction des risques pour usager de drogues – CAARUD) umfasst. Im Jahr 2018 haben die Präfekturen von Paris und der Île-de-France einen Plan zur Bekämpfung des Crack-Konsums eingeführt. Der Plan wird von der Stadt Paris, der ARS und MILDECA (Interministerieller Ausschuss für die Bekämpfung von Drogen- und Suchtkrankheiten) unterstützt und umfasst etwa dreißig verschiedene Initiativen im Bereich der Schadensminderung. Dazu gehören u. a. die Einführung und der Ausbau sozialmedizinischer Dienste für obdachlose Konsumierende und die Schaffung von Ruhezonen für Crack-Konsumierende sowie die Schaffung spezieller Unterbringungseinheiten und die Zusammenarbeit mit Verbänden, die im Bereich der Risikominderung tätig sind. Sowohl der DKR als auch die im Plan 2018 skizzierten neuen Projekte erfordern eine aktive Zusammenarbeit von staatlichen, kommunalen und zivilgesellschaftlichen Partner*innen. Die Arbeit wird von der ARS, dem Rathaus, dem zuständigen Arrondissement, MILDECA, der Präfektur, dem Justizsektor und den Partnerverbänden der verschiedenen Projekte geleitet. Geleitet wird die Konsumeinrichtung von der Organisation Gaia, die mit ihren Partnerinstitutionen in verschiedenen Ausschüssen zusammenkommt: Der Pariser Lenkungsausschuss trifft sich einmal im Jahr, der Begleitausschuss trifft sich alle zwei Monate und der Nachbarschaftsausschuss versammelt alle drei bis vier Monate die Anwohnerverbände.

Ergebnisse und Herausforderungen – die positiven Auswirkungen eines DKR Seit seiner Eröffnung hatte der DKR 1.352 Nutzer*innen und empfängt täglich rund 300 Personen. Die Einrichtung bietet auch Drogentests, Hepatitis-C-Beratungen und -Behandlungen sowie einen Kurs zur Überdosis-Prävention mit der Verteilung von Naloxon an. Der Drogenkonsum auf öffentlichen Plätzen und in Parkhäusern ist erheblich

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zurückgegangen, ebenso wie die Menge des auf der Straße gefundenen Injektionsmaterials. Die Stadt hat eine Reihe von Lehren aus der Vergangenheit gezogen, welche die Umsetzung des DKR bestimmen und die weitere Ausarbeitung neuer Initiativen prägen. Diese betreffen:

 die Bedeutung der politischen und institutionellen Unterstützung und des Engagements, um bei einem sich ständig weiterentwickelnden Thema flexibel zu bleiben

 die notwendige Mobilisierung verschiedener Akteure aus dem sozial-medizinischen Bereich, dem Gesundheitswesen, der Sicherheit und der Abwasserentsorgung

 die Erkenntnis, dass die anfängliche Unterschätzung der notwendigen Ressourcen zu einer Reihe von Anpassungen und Krisensituationen führte

 die Auswirkungen, die die Eröffnung des DKR auf die Partnerstrukturen hatte

 das Verständnis, dass die Eröffnung des DKR eine umfassende Reaktion und die Investition aller Beteiligten im Bereich der Risikominderung sowie des sozialen und öffentlichen Sektors voraussetzt.

Nächste Schritte – Umsetzung einer regionalen Schadensminderungsstrategie Die Stadt Paris hofft, weitere DKR in der Stadt zu eröffnen. Die wichtigste verbleibende Herausforderung ist die Ausarbeitung einer regionalen Risikominderungsstrategie, die über Paris hinausgeht und auch die Vorstädte einbezieht. Zudem muss eine umfassende Unterstützungsstrategie ausgearbeitet werden, die erste Interventionen, somatische und psychiatrische Betreuung, Wohnen sowie soziale und berufliche Wiedereingliederung umfasst. Es ist nach wie vor von entscheidender Bedeutung, die öffentliche Akzeptanz zu fördern und Kontroversen zu überwinden, die durch Angst und negative Darstellungen von Schadensminderungsstrukturen genährt werden.

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

Augsburg: eine überwachte Alkoholkonsumstätte als Mittel zur Milderung von Nutzungskonflikten im öffentlichen Raum

>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>> Führende Partnerinstitutionen: Die Stadt Augsburg ist der federführende Partner des Projekts und erhält finanzielle Unterstützung von der schwäbischen Regierung. Die NRO beTreff wird vom Katholischen Sozialdienstverband (SKM) und der Drogenhilfe Schwaben getragen. Zeitablauf: Eine zweijährige Pilotphase begann 2018 und wurde 2019 verlängert, um die Fortführung des Projekts bis 2022 zu gewährleisten. Zielgruppe: Drogen- und Alkoholkonsumenten sowie die breite Öffentlichkeit, die den Helmut-Haller-Platz besucht. Website: https://www.augsburg.de/umwelt-soziales/soziales/helmuthaller-platz

Zielsetzungen – ein einladender öffentlicher Raum und die notwendige Unterstützung für Alkohol- und Drogenkonsumenten Ziel des erweiterten Erneuerungsplans ist die Umwandlung des HelmutHaller-Platzes in einen einladenden und zugänglichen öffentlichen Raum. Die Diversifizierung der Nutzung, einschließlich der Organisation von Kultur- und Sportveranstaltungen, führt zu einer möglichen Verlagerung weg von der negativen Wahrnehmung des Platzes. Die Eröffnung eines Unterstützungsraums für Drogen- und Alkoholkonsumierende geht mit der Reduzierung großer Gruppen von Nutzer*innen im öffentlichen Raum einher. Sie ermöglicht einen Raum, in dem einigen der am stärksten gefährdeten Personen Beratung angeboten werden kann, um ihnen zu helfen, ihre Situation zu verbessern.

Strategie und Aktivitäten – Schwerpunkt auf Akzeptanz und Zusammenarbeit Die Umsetzung des beTreff ist in die Strategie des Regenerationsplans eingebettet, die mehrere Komponenten umfasst:

 Sozialer Aspekt: Die Gründung von beTreff und die Organisation von Kultur- und Sportveranstaltungen

 Konstruktion und Gestaltung: Planung der räumlichen Entwicklung, Hintergrund – Veränderung der öffentlichen Wahrnehmung Der Helmut-Haller-Platz ist seit Langem ein Treffpunkt für Drogenund Alkoholkonsum. Ein Messerangriff im Jahr 2015 festigte das anhaltende Gefühl von Unsicherheit und führte zu einer allgemeinen Meidung des Platzes. Die Stadt Augsburg beschloss, diesen Herausforderungen durch die Umsetzung eines umfassenden Plans zur Regeneration des Ortes zu begegnen. Er zielt darauf ab, die Nutzung des Platzes zu diversifizieren und ihn für die Öffentlichkeit attraktiver zu machen. Die soziale Komponente dieses Plans beinhaltet die Schaffung eines Unterstützungsraums für Drogen- und Alkoholkonsumierende: den betreuten Alkoholkonsumplatz beTreff.21

21. beTreff erlaubt aufgrund der bayerischen Drogengesetzgebung keinen Konsum von illegalen Drogen.

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um einen einladenden Raum zu schaffen

 Ordnung und Sicherheit: Zusammenarbeit und Koordination mit Strafverfolgungsbehörden und anderen relevanten Sicherheitsorganen

 Platzverwaltung: Pflege und Sauberkeit des öffentlichen Raums durch ein effizientes Managementmodell

 Vernetzung:

Zusammenarbeit zwischen der Stadt, lokalen Akteur*innen, Fachleuten, Nutzer*innen, Anwohner*innen und Bürger*innen

Um einen Rahmen zu schaffen, der der öffentlichen Sensibilisierung und Akzeptanz förderlich ist, organisierte die Stadt eine öffentliche Debatte über die Durchführung des beTreffs, die eine Vielzahl von Akteuren an einen Tisch brachte: lokale Polizei, soziale Dienste, Schulen, die Gemeinde und die Bevölkerung.

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

Ergebnisse und Herausforderungen – ein umfassender Ansatz zur Risikominderung Im Durchschnitt nutzen täglich 90 Personen beTreff, eine Zahl, die höher ist als von der Stadt ursprünglich angenommen. Während der Öffnungszeiten des Konsumraums gibt es im öffentlichen Raum deutlich weniger Drogen- und Alkoholkonsum. Damit wird zumindest eine vorübergehende Reduzierung der großen Ansammlungen am Helmut-Haller-Platz erreicht. Die hohe Nachfrage nach Unterstützungsangeboten hat den Konsumraum veranlasst, sein Angebot zu erweitern. Während er weiterhin verschiedene Formen der Beratung anbietet, arbeitet beTreff auch mit mehreren Fachstellen zusammen. Der Konsumraum kann nun seine Klient*innen an andere Selbsthilfegruppen verweisen und ihnen spezialisierte und individuell angepasste Hilfe anbieten.

Nächste Schritte – auf dem Weg zur Überarbeitung der Drogenpolitik der Stadt Ein Jahr nach seiner Einweihung präsentierte die Stadt Augsburg die erste Auswertung des beaufsichtigten Alkoholkonsumraums. Der größere Regenerationsplan des Helmut-Halle-Platzes ging im Sommer 2019 in eine neue Phase. Unter dem Namen BauKulturCamp startete die Stadt einen breit angelegten Beteiligungsprozess in Form einer partizipativen Baustelle. Sowohl die Evaluierung des Konsumraums als auch die Entwicklung des partizipativen Bauprojekts werden die zukünftige Stadtpolitik im Bereich der öffentlichen Gesundheit und Sicherheit beeinflussen. Die Stadt erwägt auch eine Verlängerung der Öffnungszeiten des Konsumraums. Sie plant, weiterhin lokale Projekte zu unterstützen und die Koordinationsnetzwerke zu stärken, um einen umfassenden Ansatz in eine aktualisierte, stadtweite Drogenpolitik zu überführen.

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Lüttich: die Initiative zum ersten belgischen Drogenkonsumraum ergreifen

>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>> Führ en d e Pa rt n e rin st it u t ion e n : die Stadt Lüttich, finanziert durch ihren Plan für den sozialen Zusammenhalt 2014-2019 und das Relais Social du Pays de Liège, ein Verein für soziale Dienstleistungen. Zeitabl a u f : Eröffnung der Einrichtung für betreuten Drogenkonsum im September 2018. Zielgr u p p e : konsumieren.

Personen,

die

im

öffentlichen

Raum

Drogen

Website: https://www.liege.be/fr/actualites/une-salle-de-consommationa-moindre-risque-ouvre-a-liege

Hintergrund – ein günstiger Kontext für den ersten überwachten Konsumraum des Landes Trotz zwei Jahrzehnten Arbeit zur Risikominderung sieht sich die Stadt Lüttich mit zahlreichen drogenbezogenen Herausforderungen konfrontiert: die Prävalenz von Hepatitis, die schlechte soziale Situation der Drogenkonsumierenden, Mehrfachkonsum, Beeinträchtigung der Öffentlichkeit und tödliche Überdosierungen. Im Jahr 2007 schätzte das Projekt TADAM (Traitement Assisté par Diacétylmorphine) die Zahl der Heroinkonsumierenden auf 1.600 bis 2.100, davon konsumieren etwa 300 auf der Straße. Im Jahr 2017 tauschten 450 Personen im Tauschzentrum der Stadt 140.000 Spritzbestecke. Das Zentrum wurde 1994-95 eröffnet und war das erste seiner Art in Belgien. Das Pilotprojekt TADAM, das von Januar 2011 bis Dezember 2013 lief, war die erste Initiative zur unterstützten Heroinbehandlung im Land. Im Jahr 2013 legte der Bürgermeister von Lüttich zwei Gesetzesvorschläge vor, die darauf abzielten, ein restriktives Drogengesetz von 1921 zu ändern, um die unterstützte Heroinbehandlung zu

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

ermöglichen und einen rechtlichen Rahmen für den überwachten Konsumraum zu schaffen.

Strategie und Aktivitäten – ein Schwerpunkt auf Partnerschaften und Zusammenarbeit

Trotz der positiven Ergebnisse des Projekts wurde der föderale Rechtsrahmen nicht weiterentwickelt und TADAM nicht erneuert. Der rechtliche Rahmen, wie er im oben erwähnten Gesetz von 1921 umrissen ist, erlaubt die Schaffung eines Konsumraums nicht. Durch die politische Unterstützung des Bürgermeisters der Stadt, einen Antrag des wallonischen Parlaments und die Zustimmung der Justizbehörden konnte Lüttich diese rechtliche Pattsituation umgehen. Der Konsumraum Saf'ti wurde am 5. September 2018 eröffnet.

Die Strategie der Stadt ist in mehreren Dokumenten und Partnerschaften verankert:

 Der städtische Plan zur Prävention von innerstädtischer Unsicherheit und Förderung des sozialen Zusammenhalts gewährleistet die Zusammenarbeit zwischen den lokalen Akteuren und legt die Finanzierung der Initiativen und der Präventionsmaßnahmen in Partnerschaft mit dem städtischen Suchtnetz RéLiA (Réseau Liégeois des Assuétudes) fest.

 Die Interkommunale Struktur für spezialisierte Betreuung von Ziele – Eindämmung des öffentlichen Ärgernisses durch Diversifizierung der Gesundheits- und Pflegedienstleistungen Der Interventionsrahmen der Stadt wird von der Abteilung für akute Notfälle des Präventionsplans der Stadt ausgearbeitet und ist im strategischen Sicherheits- und Präventionsplan 2018-2019 des Innenministeriums verankert. Übergeordnete Ziele sind die Prävention, Erkennung und Eindämmung von öffentlichen Beeinträchtigungen im Zusammenhang mit dem Drogenkonsum. Fünf strategische Ziele ergänzen dies: Risikoverhalten reduzieren, Aktionsplanung zu Rechtsverstößen und ihrem Umfeld, Förderung eines umfassenden Ansatzes, Verringerung der negativen Auswirkungen von Viktimisierung sowie die Resozialisierung von Drogenkonsumierenden. Die sechs Hauptziele des DKR sind:

 Die am meisten gefährdeten Drogenkonsumierenden erreichen  Ein sicheres und gesundes Umfeld bieten  Senkung der Morbidität und Mortalität  Stabilisierung und gesundheitliche Verbesserung  Reduzierung des öffentlichen Drogenkonsums  Kriminalität vorbeugen

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Lüttich (ISoSL) ist für die Unterstützung „schwerer“ Drogenkonsument*innen und die Bereitstellung niedrigschwelliger Dienste zuständig.

 Das Zentrum für psychische Gesundheit ALFA bietet Hilfestellung für Drogenkonsumierende und ihre Familien an und informiert über gesundheitliche Risiken des Drogenkonsums. Es bietet außerdem Einführungsberatungen und Überweisungen bzw. Vermittlungen in Krankenhäuser oder spezialisierte Suchtzentren.

 Die NRO Cap-fly arbeitet mit inhaftierten Drogenkonsumierenden und deren Angehörigen. Zum Angebot gehören soziale Unterstützung in Form von Wiedereingliederungsplänen, der Aufrechterhaltung sozialer und familiärer Bindungen und der Integration von Familien in die therapeutische Betreuung der Klient*innen.

 Das Relais Social du Pays de Liège koordiniert Streetwork und arbeitet mit der Initiative Housing First zusammen, die 25 Personen unterstützt. Weitere Partner der Stadt sind das soziale Zentrum für öffentliche Aktionen in Lüttich (CPAS), die Polizei und TADAM. Die Zusammenarbeit zwischen diesen Akteuren wird durch Aktionspläne, Vereinbarungen, regelmäßige Konsultationen und die finanzielle Unterstützung durch föderale, regionale und kommunale Behörden definiert.

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

Ergebnisse – eine erfolgreiche erste Konsumeinrichtung Saf'ti übertraf sein ursprüngliches Ziel, dreihundert der am stärksten marginalisierten Drogenkonsumierenden aufzunehmen, und zählt heute 350 Klient*innen. In den ersten sechs Monaten fanden im Konsumraum 6.292 Konsumvorgänge statt – durchschnittlich vierzig pro Tag.

Nächste Schritte – einen soliden Rechtsrahmen ermöglichen Die 2017 eingesetzte Arbeitsgruppe für psychische Gesundheit und öffentliche Ordnung in Lüttich nennt sechs Aktionspunkte: die Aufrechterhaltung einer technischen Gruppe, welche die problematischsten Nutzer*innen aus dem öffentlichen Raum vertreibt, die Schaffung eines Tageszentrums für Gesundheits- und Sozialdienste, die Ausweitung von Unterbringungseinrichtungen, die Einrichtung eines Fallmanagementverfahrens, die Einrichtung von Kurzzeit-Ruheeinrichtungen und die Suche nach alternativen finanziellen Mitteln. Der Plan, die Öffnungszeiten des Konsumraums zu erhöhen und eine integrierte niederschwellige Struktur zu schaffen, geht mit der Hoffnung auf eine Legalisierung der Konsumeinrichtung und des TADAM-Projekts einher.

Lissabon: ein Gemeindebasierter Ansatz in einem progressiven nationalen politischen Kontext

>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>> Führende Partnerinstitutionen: Der DKR wird betrieben von Grupo de Ativistas em Tratamentos (GAT), Médicos do Mundo, und finanziert durch den Stadtrat von Lissabon (CML). CML, SICAD (Nationale Drogenbehörde), ARSLVT (Regionale Gesundheitsbehörden) und die EBKD haben eine Arbeitsgruppe zur Überwachung der Umsetzung der Einrichtungen für den überwachten

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Drogenkonsum in der Stadt gegründet. Lokale Gemeinschaften, Bezirke und die Consumidores Associados Sobrevivem Organizados (CASO), ein Verband von Menschen, die Drogen konsumieren, sind ebenfalls Teil der Diskussion. Zeitablauf: Eröffnung der ersten mobilen Drogenkonsumeinrichtung (MDCF) im April 2019. Die Eröffnung von zwei stationären Einrichtungen ist für 2020 geplant. Das MDCF arbeitet im Rahmen eines „ein+ein Jahr“-Pilotprojekts. Zielgruppe: Die am meisten marginalisierten Drogenkonsumierenden (PWUDs). Websiten: https://www.lisboa.pt/ https://www.gatportugal.org/servicos/programa-de-consumo-vigiadomovel_16 https://www.medicosdomundo.pt/projecto/programa-de-consumovigiado

Hintergrund – Ergänzung eines bestehenden Schadensminderungsangebots durch einen mobilen Konsumraum Die Überarbeitung der nationalen Drogenstrategie Portugals im Jahr 1999 ebnete den Weg für einen weniger repressiven Ansatz in der Drogenpolitik, der auf Prävention, Behandlung, Schadensminderung und Integration bei der Bewältigung des Problems abhob. Dies wurde durch die Entkriminalisierung des Drogenkonsums und des Besitzes kleiner Mengen im Jahr 2001 ergänzt. Das Gesetz von 2001 sieht verschiedene Formen von Hilfsangeboten zur Schadensminderung vor, wie z. B. Unterkünfte, aufsuchende Sozialarbeit, Nadel- und Spritzenprogramme, Methadonvergabe und mobile Konsumräume. Ein Bericht der regionalen Gesundheitsbehörden aus dem Jahr 2015 unterstreicht die Bedeutung der Letzteren. Im Jahr 2018 nahm die Stadt Lissabon die Umsetzung eines mobilen und zweier stationärer Konsumeinrichtungen in ihr Kommunalverwaltungsprogramm 2018-2021 auf. In der Stadt gibt es bereits zahlreiche Einrichtungen und Angebote zur Schadensminderung, wie z. B. niedrigschwellige mobile Methadonver-

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

gabe, Nadel- und Spritzenprogramme, Streetwork, Drug-Checking und Vermittlungen an Gesundheits- und Sozialdienste. Obwohl das Angebot zur Schadensminimierung bereits relativ weit fortgeschritten war, gab es noch immer keine Räume für einen sicheren Konsum – eine Lücke, die durch die Einrichtung des DKR geschlossen werden konnte. Portugals erster mobiler Konsumraum wurde im April 2019 eröffnet und hat zwei Standorte in der Stadt. Es wird von GAT und Médicos do Mundo betrieben und sein Team besteht aus einer Sozialarbeiterin, einer Psychologin, einer Krankenschwester, einem Arzt und zwei Mitarbeitern aus der Zielgruppe.

Ziele – Erweiterung des Zugangs zu Pflegediensten Der mobile Konsumraum ergänzt die bestehenden Einrichtungen zur Schadensminderung um einen sicheren Raum für den Drogenkonsum. Die erste mobile Konsumeinrichtung des Landes ist mit der nationalen Drogenstrategie verzahnt, die von den Prinzipien des Humanismus und Pragmatismus geleitet wird. Der Eröffnung des mobilen Konsumraums ging eine Prüfung der lokalen Bedürfnisse voraus, die darauf abzielte, Daten über die Drogenkonsumlandschaft der Stadt zu sammeln und die Besonderheiten der Situation zu verstehen.

Strategie und Aktivitäten – das Gebiet verstehen und die Zielgruppe einbeziehen Die Umsetzungsstrategie der Stadt bestand aus mehreren Schritten. Von September 2017 bis Januar 2018 führten vier NROs eine Bedarfsanalyse (Community Needs Assessment, CNA) durch. Diese umfasste die Kartierung der Drogengebiete, Konsultationen mit den PWUDs und anderen Interessengruppen, die Schaffung lokaler Partnerschaften, den Aufbau von Kapazitäten und Ausbildungsaktivitäten. Die Kartierung der Gebiete umfasste die Definition von methodischen und Datenerhebungsinstrumenten, die Identifizierung von Interventionsbereichen und eine Umfrage unter Drogenkonsumierenden, bei der Informationen über sozioökonomische Merkmale, Konsummuster und die Akzeptanz des

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Projekts gesammelt wurden. Die Erhebungen wurden von ehemaligen oder aktuellen PWUDs geleitet, die während der gesamten Feldarbeit in Kontakt mit den Mitgliedern der Community standen. Die NGOs erstellten drei Abschlussberichte über ihre Ergebnisse und legten sie im April 2018 vor. Die Stadt führte eine Kommunikationsstrategie ein, die sich auf Informationen über die Anzahl der potenziellen Klient*innen, ihre gesundheitlichen und sozialen Bedürfnisse und die Auswirkungen auf die Gemeinde konzentrierte. Dieser Zeitraum wurde von den Medien kaum beachtet, und so konnte schließlich im November 2018 eine Kooperationsvereinbarung zwischen dem Stadtrat, der Nationalen Drogenbehörde und den regionalen Gesundheitsbehörden unterzeichnet werden. Die konkreten Vorbereitungen für die Eröffnung des mobilen Konsumraums begannen im Dezember 2018 und umfassten unter anderem die Schulung des Personals, die Festlegung von Verfahren und die Ausarbeitung eines Monitoring- und Evaluierungsplans.

Ergebnisse – hohe Nachfrage nach dem mobilen Konsumraum Die in den Jahren 2017/2018 durchgeführte Umfrage bot wichtige Einblicke in die Charakteristika der potenziellen Klient*innen, ihr Konsumverhalten und die Akzeptanz des Projekts: Es besteht eine hohe Bereitschaft, den mobilen Konsumraum täglich oder regelmäßig zu nutzen. Viele Teilnehmer*innen leiden unter sozialer Ausgrenzung und einer instabilen Wohnsituation. Ihr unsicheres Konsumverhalten führt zu einem hohen Anteil an Hepatitis und HIV-Infektionen sowie zu einem eingeschränkten Zugang zu Gesundheitsdiensten. So werden beträchtliche gesundheitliche Verbesserungen durch die Bereitstellung eines hygienischen Injektionsumfelds, eine Reduzierung der Morbidität und Mortalität sowie ein reibungsloserer Überweisungsprozess an andere Gesundheits- und Sozialdienste erwartet. Die Stadt Lissabon hat eine Reihe von Schlüsselfaktoren für die erfolgreiche Umsetzung des mobilen Konsumraums identifiziert: politischer Konsenses und die damit einhergehende Unterstützung, die Effizienz der von Mitgliedern der Community geleiteten partizipativen Projektentwicklung sowie, ganz zentral, die lokale Unterstützung, sowohl auf politischer als auch auf gesellschaftlicher Ebene.

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

Nächste Schritte Es ist wichtig, die sich verändernden demografischen Tendenzen von PWUD und ihre Konsummuster, insbesondere die Alterung der Bevölkerung, im Auge zu behalten. Die Umsetzung stationärer Konsumeinrichtungen bringt zusätzliche Herausforderungen mit sich, die mit den Besonderheiten der lokalen Gemeinschaften und den lokalen Gegebenheiten zusammenhängen. Mit Projekten wie SOLIDIFY und gestärkt durch eine internationale Unterstützung begegnet man bestmöglich den Herausforderungen, die mit der Schaffung neuer und innovativer Lösungen einhergehen.

Mannheim: ein sich ändernder rechtlicher Rahmen für eine expandierende Strategie zur Schadensminderung

>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>> Führende Partnerinstitutionen: Die Stadt Mannheim finanziert über ihr Gesundheitsamt die vier Suchtberatungsstellen, die die Drogenhilfe koordinieren. Zeitablauf: Eröffnung eines Alkohol-toleranten Tagesraumes im Jahr 2020. Zielgruppe: Menschen, die von den bestehenden Dienstleistungseinrichtungen nicht erreicht werden. Websiten: https://www.mannheim.de/de/stadt-gestalten/verwaltung/aemter-fachbereiche-eigenbetriebe/ jugendamt-und-gesundheitsamt-0 https://www.mannheim.de/de/stadt-gestalten/verwaltung/aemterfachbereiche-eigenbetriebe/sicherheit-und-ordnung https://drogenverein-mannheim.de/ueberuns/team.html

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Hintergrund – auf dem Weg zu einer neuen Form der Risikominderung Seit den 1990er Jahren stellt sich Mannheim mit einer ausgewogenen Drogenpolitik – einschließlich gesundheitlicher, gesellschaftspolitischer und regulatorischer Komponenten – den Herausforderungen bezüglich der Beeinträchtigung der Öffentlichkeit im Zusammenhang mit Drogenkonsum. Die Strategie der Stadt umfasst eine Reihe von niedrigschwelligen Angeboten: eine Anlaufstelle, Streetwork, einen Abholdienst und Substitutionsdienste. Diese Maßnahmen werden von regulatorischen Interventionen begleitet. Die Stadt Mannheim hat sich in den letzten Jahren der Herausforderung des Drogenkonsums im öffentlichen Raum gestellt. Die Situation wird durch die wachsende Präsenz von Alkoholkonsumierenden und Obdachlosen verschärft. Das Verhalten dieser gefährdeten Gruppe führt zu einer wachsenden subjektiven Angst vor Kriminalität in der Bevölkerung. Das Problem ist vor allem im Stadtzentrum und in der Umgebung der Stadt zu beobachten. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, hat Mannheim die Einrichtung eines Alkohol-ToleranzTagesraumes beschlossen, der 2020 eröffnet werden soll. In Baden-Württemberg wurde 2019 mit der Verabschiedung eines Gesetzeserlasses der Weg für die Schaffung einer beaufsichtigten Drogenkonsumeinrichtung geebnet. Diese Möglichkeit wird derzeit in einem Audit der zuständigen Stadt- und Polizeibehörden geprüft.

Ziele – von den SOLIDIFY-Partnerstädten lernen Die Schaffung des Alkohol-toleranten Tagesraumes ist durch das doppelte Ziel motiviert, einerseits die Präsenz von Menschen zu verringern, die Alkohol und Drogen im öffentlichen Raum konsumieren, und die subjektive Angst der Öffentlichkeit vor Kriminalität zu mildern, und andererseits das Leben der am stärksten marginalisierten Gruppen der Drogenszene zu verbessern. Die Behörden und die Stadtbevölkerung haben hohe Erwartungen und Hoffnungen an die Eröffnung des Alkohol-toleranten Tagesraumes. Die Informationen und Anregungen aus anderen Partnerstädten des SOLIDIFY-Projekts haben die Konzeption der Einrichtung beeinflusst.

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

Strategie und Aktivitäten – eine in Repressions- und Hilfsdiensten verankerte Drogenpolitik Die Mannheimer Drogenpolitik ist durch eine Mischung aus Repression und Unterstützung gekennzeichnet. Um den Drogen- und Alkoholkonsum im öffentlichen Raum zu reduzieren, arbeitet die Stadtverwaltung mit der Suchthilfestelle, den Gesundheitseinrichtungen und der Strafverfolgung zusammen. Im Bereich der Suchthilfe kooperiert die Stadt mit dem Caritasverband Mannheim e.V. (Alkoholkonsumenten) und dem Drogenverein Mannheim e.V. (Drogenkonsumenten). Zu den wesentlichen Bestandteilen der Maßnahmen gehören Pflegehilfe, ordnungspolitische Interventionen, alternative Raumangebote, Streetwork und aufsuchende Sozialarbeit. Die Einrichtung einer Kindertagesstätte war ein wichtiger Schritt zur Schaffung von alternativen Räumen, aber ihre alkoholfreie Politik schließt eine große Zahl potentieller Klient*innen aus. Die Stadt bietet Suchthilfeleistungen und ordnungspolitische Maßnahmen an. Erstere umfassen die folgenden Elemente:

 Eine niedrigschwellige Anlaufstelle  Ein großes Angebot an Streetwork. Dieser aufsuchende Ansatz ermöglicht es den Streetworkern, auch Menschen zu erreichen, die möglicherweise nicht die bestehenden stationären oder mobilen Hilfsdienste aufsuchen.

 Im Rahmen des Pick Up-Projekts sind Substituierte für die Entfernung von Spritzbesteck aus dem öffentlichen Raum zuständig.

 In Mannheim gibt es insgesamt 700 Substitutionsplätze. Im Hinblick auf die regulatorischen Interventionen führt Mannheim folgende Maßnahmen durch:

 Die Polizei und der städtische Sondersicherheitsdienst (BOD) verstärken ihre Präsenz in den betroffenen Gebieten, kontrollieren die Zielgruppen und weisen Drogenkonsumierende aus, wenn die gesetzlichen Rahmenbedingungen dies zulassen.

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 Im November 2018 wurden in einigen Kriminalitätsherden in der Innenstadt Videokameras installiert, aber es ist noch nicht klar, ob diese Maßnahme Wirkung zeigt.

Ergebnisse und Herausforderungen – Verbesserung einer fehlerhaften Kommunikationsstrategie Die Entscheidung des Gemeinderats, einen Alkohol-toleranten Tagesraum zu schaffen, ließ nur schwer umsetzen, da die schwierigen strategischen Positionen der lokalen politischen Parteien teilweise den Empfehlungen der lokalen Fachleute zuwiderliefen. Die Hauptfrage betraf den Standort der Einrichtung. Die Komplikationen, die während dieses Prozesses auftraten, lassen vermuten, dass die angedachte Schaffung eines DKR bei der Umsetzung vor ähnlichen Herausforderungen stehen wird. Die im Rahmen des SOLIDIFY-Projekts zusammengestellten Beispiele guter Praxis können diesen Schwierigkeiten entgegenwirken. Die Stadt wartet derzeit auf die Evaluationsergebnisse des Alkoholtoleranten Tagesraumes, die in den ersten sechs Monaten seit seiner Eröffnung gemessen wurden, und hofft auf ähnlich positive Ergebnisse wie in Augsburg.

Nächste Schritte – Toleranz konsolidieren Ein zentraler Aspekt der Regulierung des Drogenkonsums, der Minimierung von Beeinträchtigungen in der Umgebung von Einrichtungen und der Bereitstellung von Angeboten der Drogenhilfe ist die Analyse von problematischen Orten und die Suche nach alternativen Lösungen. Das von SOLIDIFY entwickelte Bewertungsinstrument muss einen spezifischen Kommunikationsansatz im Rahmen der Stadtpolitik und der Gesellschaft beinhalten, um dem NIMBY-Syndrom („not in my backyard“) entgegenzuwirken. Es ist besonders wichtig, das grundlegende Verständnis zu festigen, dass die betroffene Bevölkerung nicht aus kriminellen Tätern, sondern aus Menschen mit einer Krankheit besteht.

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

Brüssel: auf dem Weg zu einem integrierten Dienstleistungszentrum für Drogenkonsumierende

>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>> Führende Partnerinstitutionen: Transitvereinigung

Hauptstadt-Region

Brüssel,

Zeitablauf: Von den neunzehn Gemeinden der Hauptstadt-Region Brüssel haben drei einen speziellen Punkt zu „beaufsichtigten Drogenkonsumräumen“ in ihre politischen Mehrheitsvereinbarungen 20192024 aufgenommen. Der erste DKR soll Ende 2020 in dem Gebiet der Stadt Brüssel lanciert werden. Zielgruppe: Menschen, die Drogen konsumieren – insbesondere diejenigen, die derzeit keinen Zugang zu den bestehenden Hilfseinrichtungen haben. Website: www.bps-bpv.brussels http://fr.transitasbl.be/

Hintergrund – der Wunsch, bestehende Hilfsangebote auszuweiten Die Hauptstadt-Region Brüssel ist mit den vielfältigen Folgen des individuellen und kollektiven Drogenkonsums konfrontiert. Verschiedene Arten des Drogenkonsums finden nebeneinander statt, und die Produkte sind so vielfältig wie die Konsummethoden. Die am stärksten gefährdeten Zielgruppen befinden sich in öffentlichen Räumen, und ihre soziale Ausgrenzung ist besorgniserregend. Im Jahr 2018 wurden in dem regionalen Gebiet Brüssels schätzungsweise 3.394 bis 5.430 Opioid-Konsumierende gezählt, 2.234 Personen erhielten eine Substitutionsbehandlung, und 150.045 Spritzen und 5.137 Crack-Kits wurden verteilt. Die Strategie der Region zur Schadensminimierung bietet Drogenkonsumierenden mehrere Hilfsangebote und beinhaltet eine Reihe von unterschiedlichen Interventionen, darunter aufsuchende, ambulante,

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stationäre und spezialisierte Hilfe sowie Nachsorgedienste. Diese bestehenden Initiativen sind sowohl öffentlicher als auch privater Natur und werden von verschiedenen lokalen, kommunalen, regionalen oder föderalen Behörden geleitet. Dennoch wird eine große Zahl von Drogenkonsumierenden, insbesondere von injizierenden Drogenkonsument*innen, von diesen Angeboten nicht erreicht, weshalb die Umsetzung der DKR so wichtig ist. Die Schaffung von DKR stößt jedoch auf Schwierigkeiten in Form eines rechtlichen Patts: Ein Bundesgesetz von 1921 verbietet jede Initiative, die den Drogenkonsum erleichtert. Die Bundesminister der letzten Regierung (20142019) haben erklärt, dass sie keine Gesetzesänderung initiieren oder unterstützen werden, die den Weg für die Einrichtung eines Konsumraums ebnen könnte.

Ziele – Nutzung bestehender Partnerschaften zur Umgehung rechtlicher Komplikationen Das Hauptziel der Hauptstadt-Region Brüssel ist es, die negativen Auswirkungen des Drogenkonsums auf alle zu verringern, sowohl auf die Allgemeinheit als auch auf die Drogenkonsumierenden. Sie möchte die Bereitstellung von Hilfsangeboten für die am stärksten gefährdeten unter ihnen erleichtern, d. h. für diejenigen, die derzeit nicht in der Lage sind, die benötigte Hilfe zu suchen oder zu erhalten. Dazu gehört die Kombination von psychologischen, medizinischen und sozialen Diensten, um die Sicherheit und den Lebensstil der Drogenkonsument*innen im Alltag zu verbessern. Gesundheitsfachleute betonen die Bedeutung einer überwachten Konsumeinrichtung für die Erreichung dieses Ziels. Die aktuellen Überlegungen müssen allerdings auch die Frage der neuen psychoaktiven Substanzen, die Gefahr einer Opioid-Krise und die Zunahme des Alkoholkonsums einbeziehen.

Strategie und Aktivitäten – Konsolidierung bestehender Initiativen und Lernen von anderen Städten Im Einklang mit dem Ziel der umfassenden Schadens- und Risikominderung ist es wichtig, bestehende Initiativen in die Gestaltung künfti-

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

ger Entwicklungen zu Schwerpunktbereiche sind:

integrieren.

Einige

der

aktuellen

 Prävention: Entwicklung von Maßnahmen im Zusammenhang mit neu auftretenden Gesundheitspolitik.

Problemen;

weitere

Förderung

der

 Schadensminderung: Kontaktaufnahme mit bestimmten Zielgruppen in verschiedenen Lebensräumen; Verstärkung bestehender Strategien; Entwicklung neuer Projekte mit besonderem Schwerpunkt auf den DKR, verbessertem Zugang zu Naloxon und der Einführung von Orientierungstests und Hepatitis-C-Screenings.

 Niedrigschwellige Angebote: Innovative Behandlungen anbieten; den Zugang zu Wohnraum erleichtern; den Zugang zu bestehenden Strukturen verbessern.

 Pflegedienste: Bestehende Dienste beibehalten; Substitutionsdienste ausbauen; Drug-Checking einführen.

 Gefängnis: Hilfsangebote im Gefängnis prüfen.  Soziale Eingliederung: Umsetzung eines sozio-professionellen Rehabilitationsprogramms. Um dieses Ziel zu erreichen, betont die Hauptstadt-Region Brüssel die Bedeutung der bestehenden Arbeitsbeziehungen zwischen regionalen, kommunalen und privaten Akteuren: Der Plan Global de Sécurité et de Prévention Régional bekräftigt und konsolidiert diesen interinstitutionellen Ansatz. Der Austausch evidenzbasierter Beispiele guter Praxis mit Städten, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen und bereits Aktionspläne umgesetzt haben, ist eine wichtige Strategie bei der Konsolidierung bestehender Initiativen und der Entwicklung neuer Projekte. Besondere Aufmerksamkeit könnte dabei partizipativen Projekten und der Unterstützung durch Peer-Gruppen gewidmet werden.

Verbleibende Herausforderungen und mögliche Lösungen Die größte Herausforderung ist nach wie vor der restriktive Rechtsrahmen auf Bundesebene. Die Kluft zwischen der Expertise vor Ort und

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den politischen Entscheidungen ist nach wie vor groß. Eine mögliche Lösung für die föderalen Beschränkungen ist mit der Fähigkeit der Kommunen verbunden, DKR als notwendige Bestandteile ihrer Strategie im Bereich der öffentlichen Gesundheit zu betrachten. Dies gibt ihnen die Möglichkeit, die nationalen Normen zu umgehen und die Räume auf ihrem Territorium umzusetzen. Wie auch immer der Umsetzungsprozess aussehen wird, die Zusammenarbeit mit den aufnehmenden Gemeinden und der Strafverfolgung bleibt eine Schlüsselkomponente.

Nächste Schritte Hervorzuheben sind die günstigen politischen Rahmenbedingungen, die durch den Plan global de Sécurité et de Prévention Régional geschaffen wurden, und der neue gesetzliche Rahmen, der vom französischsprachigen Parlament in Brüssel verabschiedet wurde: die Einführung von StériBornes – Spritzenaustauschmaschinen – und die Schaffung von DKR. Dennoch bleibt es entscheidend, sich für einen geänderten Rechtsrahmen auf Bundesebene einzusetzen, um diese Ziele im Bereich der öffentlichen Gesundheit erreichen zu können. Es ist auch wichtig, die Haftung der Träger von Konsumeinrichtungen zu minimieren. Es besteht ein Interesse an der Schaffung eines integrierten niederschwelligen Zentrums in der Nähe einer öffentlichen Konsumszene, um den Zugang zu Hilfsangeboten zu erleichtern.

Ljubljana: Die Zivilgesellschaft drängt auf eine lokale Politik der Schadensminderung.

>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>> Führende Partnerinstitutionen: Sie werden finanziert vom Gesundheitsministerium, betrieben von der Schadensminderungs-NGO

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

Stigma und unterstützt von einem Netzwerk von Verbänden im Bereich der Reduzierung der Drogennachfrage. Zeitablauf: Die zweite Phase eines Pilotprojekts zur Schadenminderung – die geplante Eröffnung einer Einrichtung für den betreuten Drogenkonsum im Jahr 2015/2016 – wurde nicht verwirklicht. Zielgruppe: Personen, die Drogen konsumieren Website: www.drustvo-stigma.si

Hintergrund – Hartnäckiges Eintreten und eine langsame Rechtsreform Ljubljana verfügt über eine Reihe offener Drogenkonsumplätze in etwa zehn kritischen Gebieten des Stadtzentrums. Einige der Standorte befinden sich in der Nähe bestehender Substitutions- und Anlaufstellen. Der größte befindet sich in der Metelkova-Straße, dem ehemaligen Standort einiger verlassener Militärkasernen, die 2016 abgerissen wurden. Dadurch wurden Drogenkonsument*innen auf die Straße gezwungen. Die Stadt verfügt über eine Reihe von sozialen Rehabilitationsprogrammen, Beratungsangeboten für Drogenkonsumierende und ihre Angehörigen, Spritzenaustauschprogramme und aufsuchende Hilfe. In Ljubljana gibt es drei Tageszentren für PWUD, aber alle Bemühungen, einen Konsumraum zu eröffnen, sind bisher gescheitert. Die erste Initiative geht bereits auf die 1990er Jahre zurück, und die NRO Stigma unternahm Anfang der 2000er Jahre erste Schritte zur Änderung des restriktiven Rechtsrahmens. Während ein 2004 beim Regierungsbüro für Drogen eingereichter Antrag nicht zu einer Verschiebung der Rechtslage führte, wurde mit einer ebenfalls von Stigma initiierten (und vom Netzwerk der Verbände unterstützten) Strafrechtsänderung im Jahr 2012 eine Änderung eingeführt: Im Strafgesetzbuch heißt es, dass die Bereitstellung eines Raumes für Drogenkonsum zwar immer noch als Straftatbestand gilt, die Bereitstellung eines Behandlungsprogramms oder eines kontrollierten Ortes für den Drogenkonsum jedoch rechtmäßig ist, wenn die Person ein Behandlungsprogramm für Sucht oder kontrollierten Drogenkonsum durchläuft, das gesetzlich genehmigt ist und innerhalb des öffentlichen Gesundheitsdienstes oder unter dessen Kontrolle durchgeführt wird.

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Dieses Dokument ebnete den Weg für die erste überwachte Konsumeinrichtung des Landes in Ljubljana. Das Pilotprojekt wurde 2015 initiiert, von Stigma betrieben und vom Gesundheitsministerium über einen Zeitraum von achtzehn Monaten finanziert. Leider stieß das Projekt in seiner zweiten Phase auf eine Reihe bürokratischer Hürden, und der Konsumraum wurde nie eröffnet. Während die Stadt Ljubljana gleich mehrere Sozial- und Gesundheitsprogrammen für PWUDs unterstützt und mitfinanziert, fällt die Zuständigkeit für den Betrieb eines DKR in den Bereich der öffentlichen Gesundheit und somit unter die Zuständigkeit des Gesundheitsministeriums.

Ziele – eine Antwort auf den öffentlichen Drogenkonsum Das DKR-Pilotprojekt in Ljubljana wurde in zwei Phasen durchgeführt. In einem ersten Schritt, vor der Eröffnung des Zentrums, erforschte Stigma die Bedürfnisse und Konsummuster der derzeitigen Klient*innen der Anlaufstellen und der potenziellen Klient*innen der Konsumräume. Die von Stigma durchgeführte Untersuchung ergab, dass Drogen in den unterschiedlichsten öffentlichen Räumen konsumiert werden: in öffentlichen Toiletten, Autos, Parks, Garagen und an Bushaltestellen. In der zweiten Phase des Projekts sollte sechs Monate nach Eröffnung des DKR ein Evaluationsinstrument vorbereitet werden, mit dem die Veränderungen im Verhalten und im Gesundheitszustand der Drogenkonsumierenden sowie die Auswirkungen auf die lokale Gemeinschaft beobachtet werden sollten.

Strategie und Aktivitäten – Pläne und Partnerschaften in einem fortgeschrittenen Stadium Stigma hatte geplant, den DKR in ihr bestehendes Drop-in-Center zu integrieren, und war von etwa 50 bis 60 Besucher*innen pro Tag ausgegangen. Die NRO wollte eine medizinische Vollzeitstelle einrichten, gleichzeitig aber die Unterstützung durch ein Netzwerk von Verbänden und Institutionen konsolidieren. Das medizinische Universitätszentrum in Ljubljana mit seiner Notfallstation und seinem

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

Zentrum für klinische Toxikologie und Pharmakologie hatten sich bereit erklärt, an dem Projekt teilzunehmen.

Ergebnisse und Herausforderungen – hohe Akzeptanz, aber unüberwindbare Hürden Die Eröffnung des DKR stieß auf eine Reihe von Hürden, die schließlich die Realisierung des Pilotprojekts verhinderten. Zunächst gab es Probleme, einen geeigneten Standort für die Einrichtung zu finden, da kein privater oder öffentlicher Vermieter gewillt war, einen entsprechenden Mietvertrag abzuschließen.

Nächste Schritte – fortgesetztes Eintreten und eine wachsende Partnerschaft Die Einrichtung eines mobilen oder stationären DKR ist weiterhin das Hauptziel aller Beteiligten. Das in Ljubljana durchgeführte SOLIDIFYProjekt-Audit, welches Treffen mit politischen Entscheidungsträger*innen und der Zivilgesellschaft sowie eine öffentliche Konferenz in Zusammenarbeit mit der Fakultät für Sozialarbeit der Universität Ljubljana umfasste, bestätigte das anhaltende Interesse an dem Projekt, die ministerielle Unterstützung und das Fachwissen der federführenden Organisationen.

Als Stigma schließlich einen Standort fand, standen weitere bürokratischen Hürden im Weg: Das für die Finanzierung zuständige Gesundheitsministerium verlangte eine Prüfung des Projektes durch seine interne nationale medizinische Ethikkommission. Diese hatte zwar keine Einwände gegen die Eröffnung des DKR, kritisierte jedoch die unklare gesetzliche Grundlage und fehlende Qualitätskontrollen für mitgebrachte Substanzen. Eine weitere Komplikation ergab sich, als keine Institution für die gesetzlich vorgeschriebene Aufsicht der Einrichtung gefunden werden konnte. Stigma registrierte eine Reihe von Befürchtungen im Zusammenhang mit dem DKR-Pilotprojekt:

 Ein möglicher Anstieg der Zahlen der Drogenkonsumierenden  Eine wachsende Akzeptanz des Drogenkonsums  Eine Zunahme von Verstößen gegen die öffentliche Ordnung in und um den Standort des DKR

 Eine Zunahme der Polizeiaktivitäten in und um den Standort der Einrichtung Gleichzeitig ist Stigma der Ansicht, dass das Vorhaben allgemein akzeptiert wird. Dies zeigt sich unter anderem in der Unterstützung durch Fachleute der Drogenhilfe, lokale NROs und durch Anwohner*innen der öffentlichen Drogenszenen.

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

Teil 3

>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>

Evaluation der sicherheits- und gesundheitsbezogenen Aspekte und Auswirkungen von Drogenkonsumräumen >>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>

Allgemeines Ziel dieses Projekts ist es, Kommunen mit einer Konsumeinrichtung besser auszustatten, damit sie einerseits effektivere begleitende Strukturen in einem bestimmten Gebiet anbieten und andererseits die Auswirkungen dieser Einrichtungen hinsichtlich einer Verringerung von Beeinträchtigungen der Öffentlichkeit besser bewerten können. Hierzu führte das Projekt einen gemeinsamen Arbeitsprozess zur Entwicklung eines methodischen Rahmens durch, der eine Queranalyse der elf Projektstandorte (Augsburg, Barcelona, Brüssel, Essen, Den Haag, Lüttich, Lissabon, Ljubljana, Mannheim, Paris und Straßburg) erleichtert. Dieser Prozess beinhaltete die Entwicklung eines Bewertungsrahmens und entsprechender Instrumente, insbesondere zweier Online-Selbstbewertungsfragebögen mit einem automatischen Feedback-System. Letzteres sammelt Indikatoren, die es ermöglichen, die Auswirkungen einer kommunalen Konsumeinrichtung hinsichtlich der öffentlichen Sicherheit, Sauberkeit, Vermeidung von Beeinträchtigungen, des sozialen Zusammenhalts, des Kosten-Nutzen-Verhältnisses und anderer relevanter Themen zu bewerten. Zusätzlich zu den Indikatoren für die öffentliche Sicherheit umfassen der Bewertungsrahmen und die Instrumente auch Fragen der öffentlichen Gesundheit – ein wichtiges Thema für die Städte im Hinblick auf beaufsichtigte Drogenkonsumeinrichtungen. Für die Gemeinden mit bestehenden und für jene mit geplanten DKR wurden separate Bewertungsinstrumente entwickelt. Beide Instrumente basieren auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, die die Wirksamkeit und andere Vorteile solcher Einrichtungen und ihre positiven Auswirkungen auf die öffentliche Sicherheit und die Gesundheit klar aufzeigen. Die Instrumente basieren auch auf bestehenden Mindestqualitätsstandards (z. B. EQUS und Schlussfolgerungen des Rates).

Was sagen die vorhandenen wissenschaftlichen Erkenntnisse über DKR aus?

>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>> Die DKR wurden zunehmend als Reaktion auf Bedenken hinsichtlich der öffentlichen Sicherheit und Gesundheit im Zusammenhang mit

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

illegalem Drogenkonsum und öffentlichen Drogenszenen durchgeführt. Darüber hinaus dienen sie auch dazu, sicherere Konsumformen zu fördern, das Gesundheitsverhalten von Drogenkonsumierenden zu verbessern und den Zugang der Konsumenten zu weiteren Gesundheits- und Sozialdiensten zu erleichtern.22 Die DKR werden mit der Verbesserung der öffentlichen Sicherheit in Verbindung gebracht, indem sie die mit dem illegalen Drogenkonsum verbundenen Störungen in der Öffentlichkeit reduzieren, etwa den Drogenkonsum im öffentlichen Raum, öffentlich weggeworfene Spritzen oder anderen Abfall im Zusammenhang mit dem Konsum von Drogen. Die vorliegenden Erkenntnisse belegen keine Veränderung (z. B. Zunahme) bei den Drogendelikten wie Drogenhandel, Diebstahl oder Raub sowie des illegalen Drogenbesitzes im Umfeld von DKR, was für die Kommunen und Nachbarschaften bei der Diskussion über die mögliche Einrichtung von DKR oft Anlass zu großer Besorgnis ist.23 Darüber hinaus gibt es übereinstimmende Belege dafür, dass DKR unsicheres Drogenkonsumverhalten reduzieren kann, einschließlich eines risikoreichen Injektionsverhaltens wie dem gemeinsamen Benutzen von Spritzen und Schäden durch Überdosierungen.24 Konsumeinrichtungen erleichtern den Zugang und die Inanspruchnahme von Drogenhilfe- und Gesundheitsdiensten; sie erreichen die am stärksten marginalisierten und am problematischsten injizierenden/inhalierenden Konsument*innen, bieten Zuflucht vor den Drogenszenen auf der Straße, ermöglichen sicherere Injektions-/Inhalationsmethoden durch die Umgestaltung des sozialen und ökologischen Kontexts und vermitteln den Zugang zu weiteren Ressourcen und Gesundheitsdiensten25.

22. Chloé Potier et al., Supervised injection services: what has been demonstrated? A systematic literature review, in: Drug and Alcohol Dependence 145 (2014), S. 48-68. 23. Mary Clare Kennedy, Mohammad Karamouzian und Thomas Kerr, Public Health and Public Order Outcomes Associated with Supervised Drug Consumption Facilities: a Systematic Review, in: Current HIV/AIDS Reports, (September 2017). 24. ibid. und Georgina MacArthur et al., Interventions to prevent HIV and Hepatitis C in people who inject drugs: A review of reviews to assess evidence of effectiveness,in: International Journal of Drug Policy 24 (2014), S. 34-53. 25. Ryan McNeil und Will Small, 'Safer Environment Interventions': A qualitative synthesis of the experiences and perceptions of people who inject drugs, in: Soc Sci Med 106 (2014), S.151-8.

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Einige andere relevante Studien zeigen ebenfalls eine Verringerung der Todesfälle durch Überdosierung, die Abkehr von intravenösem Konsum, die Verringerung von Infektionen wie HIV, Hepatitis C und Schleimhaut-Infektionen sowie eine Verringerung der Kriminalität und der Störungen in der Nachbarschaft usw.26 Darüber hinaus haben sich DKR auch als kostenwirksam erwiesen.

Mindestqualitätsstandards für DKR

>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>> EU-Mindestqualitätsstandards Drogennachfrage (EQUS)

bei

der

Reduzierung

der

Der EU-Drogenaktionsplan (2009-2012) forderte die Europäische Kommission auf, einen EU-Konsens über Mindestqualitätsstandards zur Reduzierung der Drogennachfrage vorzuschlagen. Das beauftragte Forschungsinstitut für öffentliche Gesundheit und Sucht (ISGF) der Universität Zürich (Schweiz) veröffentlichte den entsprechenden Abschlussbericht im Dezember 201127. Er enthält eine Liste vorgeschlagener Qualitätsstandards für die Bereiche Prävention, Behandlung und Rehabilitation sowie Schadensminderung (die so genannten „EQUS-Standards“). Die EQUS-Liste ist in Struktur-, Prozess- und Ergebnisstandards unterteilt. In Bezug auf beaufsichtigte Drogenkonsumeinrichtungen sind nur die Standards zur Schadensminderung relevant und werden im Folgenden vorgestellt. Die strukturellen Standards von Schadensminderungs-Interventionen umfassen die folgenden Komponenten:

 Zugänglichkeit, wie z. B. Standort und Öffnungszeiten: Die Dienstleistungen müssen den Bedürfnissen ihrer Klient*innen entsprechen, und die Kosten sollten niemals ein Hindernis für den Zugang zu Hilfe darstellen. 26. Sharon Larson et al., Supervised Consumption Facilities – Review of the Evidence, 2017. 27. Ambros Uchtenhagen und Michael Schaub, Minimum Quality Standards in Drug Demand Reduction EQUS, 2011.

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

 Qualifikation des Personals: Das Personal muss qualifiziert sein und die Qualifikationen müssen transparent gemacht werden.

 Reduziertes Risikoverhalten: Ziel ist die Verringerung von unsicheren Injektionen, unsicherem Drogenkonsum und ungeschütztem Sex.

 Altersbeschränkungen: Die Angebote müssen altersgemäß sein und

 Die Schaffung eines robusten Überweisungssystems: Die Dienste

das Personal muss entsprechend geschult werden, um den Bedürfnissen der Zielgruppen gerecht zu werden; bei Dienstleistungen zur Schadensminderung sollte es keine Altersbeschränkungen geben.

müssen darauf vorbereitet sein, die Klient*innen bei Bedarf und nach Absprache an andere Gesundheits-/Sozial-/Behandlungs-/ Rechtsdienste zu verweisen.

Zu den Prozessstandards von Interventionen zur Schadensminderung gehören:

 Die DKR müssen regelmäßig eine interne Evaluation ihrer Aktivitä-

 Bewertung des Risikoverhaltens der Klient*innen

 DKR müssen regelmäßig eine Evaluation ihrer Aktivitäten und Ergeb-

 Vollständige Bedarfsanalyse und Priorisierung

ten und Ergebnisse durchführen. nisse durch unabhängige externe Gutachter*innen ermöglichen.

 Anamnese des Gesundheitszustands der Klient*innen  Informierte Zustimmung: Klient*innen müssen Informationen über verfügbare Dienstleistungsoptionen erhalten und mit einem vorgeschlagenen Plan einverstanden sein, bevor sie eine Intervention beginnen. Die Interventionen sollten auf transparenten Informationen über alle Angebote eines Dienstes beruhen.

 Vertraulichkeit von persönlichen Daten: Die Klient*innen-Akten sind ausschließlich dem Personal zugänglich, das an der jeweiligen Fallbearbeitung beteiligt ist.

 Individuelle Planung: Interventionspläne werden, falls zutreffend, individuell auf die Bedürfnisse der Klient*innen zugeschnitten.

 Routinemäßige Zusammenarbeit mit anderen Stellen: Wenn eine Dienststelle nicht in der Lage ist, alle Bedürfnisse eines bestimmten Klienten oder einer bestimmten Klientin zu erfüllen, steht eine geeignete andere Stelle zur Vermittlung zur Verfügung.

 Fortbildung des Personals: Das Personal wird regelmäßig über relevante neue Erkenntnisse in seinem Tätigkeitsbereich informiert.

 Aufklärung der Nachbarschaft und Gemeinde (inklusive der PWUDCommunity), um Belästigungen und Konflikte in der Nachbarschaft zu vermeiden. Zu den Ergebnisstandards von Interventionen zur Schadensminderung auf Systemebene gehören:

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Schlussfolgerungen des Rates über die Umsetzung des EU-Drogenaktionsplans 2013-2016 betreffend Mindestqualitätsstandards bei der Reduzierung der Drogennachfrage in der Europäischen Union Im September 2015 verabschiedete der Rat der Europäischen Union ein politisches Dokument über Mindestqualitätsstandards bei der Reduzierung der Drogennachfrage (basierend auf den EQUS-Standards als EU-Konsens über Mindestqualitätsstandards). Es umfasst sechzehn Standards in verschiedenen Arbeitsbereichen (Prävention, Risiko- und Schadensminderung sowie Behandlung, Wiedereingliederung und soziale Rehabilitation).28 In Bezug auf DKR sind nur die Standards der Risiko- und Schadensminderung relevant:

 Maßnahmen zur Risiko- und Schadensminderung, einschließlich Maßnahmen im Zusammenhang mit Infektionskrankheiten und drogenbedingten Todesfällen, sind in ihren Zielen realistisch, allgemein zugänglich und auf die Bedürfnisse der Zielbevölkerung zugeschnitten. 28. Rat der Europäischen Union, Council conclusions on the implementation of the EU Action Plan on Drugs 2013–2016 regarding minimum quality standards in drug demand reduction in the European Union (2015).

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

 Angemessene Interventionen, Informationen und Überweisungen werden entsprechend den Merkmalen und Bedürfnissen der Dienstleistungsnutzer*innen angeboten, unabhängig von ihrem Behandlungsstatus.

 Die Interventionen stehen allen Bedürftigen zur Verfügung, auch in Situationen und Settings mit höherem Risiko.

 Die Interventionen basieren auf den verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen und Erfahrungen und werden von qualifiziertem und/oder geschultem Personal (einschließlich Freiwilliger) durchgeführt, das sich beruflich weiterbildet. Seit der Verabschiedung der Schlussfolgerungen des Rates haben das EU-Drogenforum der Zivilgesellschaft (CSFD) und seine Arbeitsgruppe für Mindestqualitätsstandards viele Diskussionen über die zukünftige Bewertung und Umsetzung dieser Standards initiiert. Die Standards sind so allgemein definiert und beschrieben, dass die Bewertung ihrer Umsetzung eine Herausforderung für die Praxis darstellt. In den letzten Jahren hat die CSFD ein komplexes Bewertungsinstrument (einschließlich einer Durchführbarkeitsstudie) entwickelt, das den Organisationen der Zivilgesellschaft die Umsetzung der Mindestqualitätsstandards in ihren eigenen Ländern und Organisationen ermöglicht. Die ursprünglichen 16 Standards wurden inzwischen in 52 Substandards, 82 Fragen und 255 Bewertungsindikatoren unterteilt. Die Machbarkeitsstudie, die Teil des Bewertungsinstruments ist, umfasst zusätzlich 54 Fragen und 186 Machbarkeitsindikatoren, also insgesamt 441 Indikatoren. Das Instrument ist (technisch) so entwickelt, dass es von Ländern, Regionen, lokalen Gemeinschaften und anderen Institutionen im Bereich der Drogennachfragereduzierung an ihre eigenen Monitoring- und Evaluierungs-Bedarfe – auch in anderen Kontexten und Settings (einschließlich DKR) – angepasst werden kann. Das CSFD-Bewertungsinstrument ist seit Herbst 2019 vollständig verfügbar, sodass diese Standards aus dem SOLIDIFY-Bewertungsrahmen und den Instrumenten zur Vermeidung von Doppelarbeit ausgeklammert wurden. Die Methodik und das automatische Feedback-System, einschließlich der für das CSFD-Bewertungstool

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entwickelten Ampelsystembewertungen, wurden jedoch für SOLIDIFY übernommen.

Speziell für die DKRs entwickelte Bewertungsinstrumente (Checklisten)

>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>> Der SOLIDIFY-Bewertungsrahmen (Tabelle 3.1) wurde auf Grundlage der oben genannten wissenschaftlichen Erkenntnisse und der EQUSStandards entwickelt und legt eine Grundlage für die weitere Entwicklung von zwei separaten Checklisten: eine für Kommunen mit beaufsichtigten Drogenkonsumeinrichtungen und eine weitere für Kommunen ohne DKR. Im Frühling 2019 wurde in allen SOLIDIFY-Partnerstädten mit DKR (Barcelona, Essen, Den Haag, Paris und Straßburg) sowie in den Städten ohne DKR (Augsburg, Brüssel, Lüttich, Lissabon, Ljubljana und Mannheim) eine Pilotbewertung der Einhaltung ausgewählter Qualitätsstandards im Bereich der DKR durchgeführt. Ziel war es, die Einhaltung ausgewählter Qualitätsstandards bezüglich der DKR sowohl in den Gemeinden mit bestehenden DKR als auch in Gemeinden mit geplanten DKR zu untersuchen. Die Untersuchung zielte auch darauf ab, die DKR sowie andere direkt oder indirekt mit den DKR zusammenhängende Dienstleistungen zu entwickeln, aufrechtzuerhalten und zu verbessern. Beide Bewertungsinstrumente (Online-Checklisten) sind über die SOLIDIFY Projekt-Website zugänglich. Die Ergebnisse der Pilotbewertung in den teilnehmenden Städten zeigten sehr deutlich, dass die meisten Standards in den Städten mit DKR deutlich besser umgesetzt wurden – insbesondere hinsichtlich der Sicherheitsaspekte. Beide Gruppen von Städten verfügten über gute Informationen zur Sicherheit (z. B. Drogen- und andere Kriminalität), hatten aber gleichzeitig Schwierigkeiten, relevante Informationen über die öffentliche Wahrnehmung der Sicherheit (z. B. Drogenhandel

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

und -schmuggel und andere drogenbedingte Verbrechen, drogenbedingte Diebstähle und Raubüberfälle, Drogenbesitz), Sauberkeit (z. B. öffentlich weggeworfene Spritzen und injektions- oder inhalationsbedingter Abfall, Drogenszenen auf der Straße) und Beeinträchtigung zu liefern. Dies ist besonders wichtig, um angemessene Kommunikations- und Advocacy-Strategien und -Aktionen zu entwickeln, die sich an die lokalen Akteure und die betroffenen Nachbarschaften richten. Darüber hinaus hatten Städte mit bestehenden DKR bessere und regelmäßige Kontakte mit den Einwohner*innen (z. B. persönlichen Kontakt, Tage der offenen Tür und telefonische Beratung), was wesentlich dazu beitragen könnte, die lokale Unterstützung für verschiedene Risiko- und Schadensminderungsdienste (wie die DKR) in den betroffenen Stadtvierteln zu entwickeln und aufrechtzuerhalten. Was die Standards im Bereich der öffentlichen Gesundheit betrifft, so zeigten beide Gruppen von Städten entweder gute oder vielversprechende Ergebnisse, insbesondere hinsichtlich der Verfügbarkeit von Informationen oder Daten über das Injizieren, Inhalieren und andere Risikoverhaltensweisen (z. B. gemeinsame Benutzung von Spritzen und Inhalationsbestecken, Notfälle, Todesfälle durch Überdosierung, Infektionen, ungeschützter Geschlechtsverkehr usw.) sowie über den Zugang zu und die Inanspruchnahme von Gesundheitsversorgung und Diensten zur Risiko- und Schadensminimierung, wie Nadel- und Spritzenprogramme, aufsuchende Drogenberatung, Opioid-Substitutionsbehandlung usw. Dies zeigt deutlich, dass Gemeinden mit relativ gut etablierten Netzwerken von Risiko- und Schadensminderungsdiensten in einer starken Position sind, um die Eröffnung von DKR als Ergänzung zu bestehenden Angeboten zu planen. Beide Gruppen von Städten berichteten über Schwierigkeiten, die am stärksten marginalisierten injizierenden oder inhalierenden Konsumierenden, wie Minderjährige, Geflüchtete oder Schwangere, zu erreichen, was die Notwendigkeit weiterer Investitionen in aufsuchende Dienste beweist. Beide Gruppen von Städten sind in Bezug auf die Bereitstellung von Interventionen, die Zuflucht vor den Drogenszenen auf der Straße bieten (andere als die DKR), gut aufgestellt.

lich besseren rechtlichen und politischen Rahmen für die Einrichtung solcher Dienste verfügen (mit Ausnahme bestimmter Städte, wie z. B. Brüssel und Lüttich in Belgien). Dies deutet darauf hin, dass in den meisten Städten nicht der jeweilige politische und rechtliche Rahmen, sondern vielmehr der Grad der Akzeptanz bei Politiker*innen und Entscheidungsträger*innen sowie Meinungsführer*innen in betroffenen Stadtteilen und den lokalen Medien die Schlüsselrolle spielt. In beiden Gruppen von Städten ist die Akzeptanz der DKR bei Polizei, Sozial- und Gesundheitsbehörden recht hoch. Im Hinblick auf einige andere Standards, die nur für die Städte mit bestehenden DKR relevant sind, weisen die Ergebnisse auf eine positiv zu bewertende Situation hin, insbesondere was die Zugänglichkeit der DKR, die Qualifikation des Personals, das Bewertungsverfahren (in Bezug auf die besonderen Merkmale und Bedingungen der Dienstleistungen) und die informierte Zustimmung als reguläres Verfahren betrifft. Die Städte mit bestehenden DKR sollten nur die Frage der Altersgrenzen (z. B. stehen einige DKR nicht für minderjährige PWUDs zur Verfügung) und verstärkte Investitionen in die Ergebnisevaluierung der erbrachten Dienstleistungen in Betracht ziehen. Das folgende Beurteilungsinstrument* ist in drei verschiedene Politikbereiche gegliedert: öffentliche Sicherheit und Schutz, öffentliche Gesundheit und zu guter Letzt die Gesetzgebung. Ein zusätzlicher Abschnitt befasst sich mit den EU-Mindestqualitätsstandards. Jeder Politikbereich ist in Kategorien unterteilt (z. B. Sauberkeit, öffentliche Sicherheit), die sich aus mehreren Bewertungselementen zusammensetzen (z. B. Anzahl der unsachgemäß entsorgten Spritzen). Diese Posten werden mit Hilfe von Indikatoren gemessen, die auf Städte mit und Städte ohne beaufsichtigte Drogenkonsumeinrichtungen zugeschnitten sind.

In Bezug auf die politischen oder gesetzlichen Standards zeigten die Ergebnisse, dass die Städte mit bestehenden DKR über keinen wesent-

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

Politikfeld

Öffentliche Sicherheit (ursprüngliche SOLIDIFY-Indikatoren)

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Indikatoren für Städte ohne Drogenkonsumräume

Kategorie

Beurteilungselemente und Referenzen

Sicherheit

Auswirkungen auf Kriminalität und Störungen der Nachbarschaft (Larson et al., 2017); keine Änderung der Drogendelikte (Drogenhandel, Diebstähle oder Raubüberfälle, Drogenbesitz) im Gebiet des DKR (Kennedy et al., 2017)

Polizei- und Justizstatistik (Analyse der Situation auf lokaler Ebene)

Gefühl der Unsicherheit

Auswirkungen auf Kriminalität und Störungen der Nachbarschaft (Larson et al., 2017); keine Änderung der Drogendelikte (Drogenhandel, Diebstähle oder Raubüberfälle, Drogenbesitz) im Gebiet des DKR (Kennedy et al., 2017)

Wahrnehmung der Sicherheit (Prä-Test), potenzieller Einfluss externer Faktoren (nicht im Zusammenhang mit der Drogenkriminalität), regelmäßiger direkter Kontakt von Behörden und Schadensminderungsdiensten mit der lokalen Bevölkerung (z. B. Tage der offenen Tür, Telefonleitung usw.)

Wahrnehmung der Sicherheit (vor und nach dem Test), potenzieller Einfluss externer Faktoren (nicht im Zusammenhang mit der Drogenkriminalität), regelmäßiger direkter Kontakt mit der lokalen Bevölkerung durch Behörden und Schadensminderungsdienste (einschließlich von DKR), z. B. Tage der offenen Tür, Telefonberatung usw.

Sauberkeit

Auswirkungen auf öffentliche Störungen im Zusammenhang mit dem illegalen Drogenkonsum (Menschen, die in der Öffentlichkeit Drogen injizieren, öffentlich weggeworfene Spritzen und injektionsbedingter Abfall) (Kennedy et al., 2017)

Wahrnehmung von Sauberkeit bei Interessenvertretern, Bürgern, Dienstleistern usw.

Daten zu gesammelten und ausgetauschten Spritzen und injektionsbezogenem Abfall

Beeinträchtigung

Auswirkungen auf Kriminalität und Störungen der Nachbarschaft (Larson et al., 2017)

Wahrnehmung von Beeinträchtigungen in den lokalen Gemeinschaften und Nachbarschaften, Polizei- und Justizstatistiken (Analyse der Situation auf lokaler Ebene, wie z. B. Polizeiberichte, Beschwerden usw.)

Sozialer Zusammenhalt

Mögliche Auswirkungen auf die Verringerung der Schäden des Drogenkonsums für Einzelpersonen, Familien und Gemeinschaften sowie für die Gesellschaft und die öffentliche Sicherheit. Das Dokument schlägt Schadensminderung als alternativen Ansatz vor (z. B. Verbesserung der Drogenbehandlung und der Ergebnisse; kann auch auf DKR angewandt werden) (Pelan, 2015); Messung und Validierung des sozialen Zusammenhalts: ein Bottomup-Ansatz (Acket et al., 2011)

Messindikatoren (Daten) für lokale Behörden (Bernard, 1999): Einfügung/ Ausschluss, legitimiert/nicht legitimiert, Anerkennung/ Ablehnung, Gleichheit/ Ungleichheit, Partizipation/ Passivität und Zugehörigkeit/ Isolation in Bezug auf die Drogenkonsumsituation auf lokaler Ebene

Messindikatoren (Daten) für lokale Behörden (Bernard, 1999): Einfügung/ Ausschluss, legitimiert/nicht legitimiert, Anerkennung/ Ablehnung, Gleichheit/ Ungleichheit, Partizipation/ Passivität und Zugehörigkeit/ Isolation in Bezug auf bestehende DKR und die Drogenkonsumsituation auf lokaler Ebene

KostenNutzen

Reduzierung der Kosten für Strafverfolgung, Gesundheits- und Sozialdienste, Krankenversicherung, lokale Behörden (z. B. Vandalismus) etc.

Daten zu den Kosten für Strafverfolgung, Gesundheitsund Sozialdienste, Krankenversicherung, Vandalismus usw.

Daten zu den Kosten für Strafverfolgung, Gesundheits- und Sozialdienste, Krankenversicherung, Vandalismus usw.

Indikatoren für Städte mit Drogenkonsumräumen

Polizei- und Justizstatistik (Analyse der Situation auf lokaler Ebene Prä- und Post-Test)

Öffentliche Sicherheit (ursprüngliche SOLIDIFY-Indikatoren)

Wahrnehmung von Beeinträchtigungen in den lokalen Gemeinschaften und Nachbarschaften, Polizei- und Justizstatistiken (Analyse der Situation auf lokaler Ebene, wie z. B. Polizeiberichte, Beschwerden usw.)

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

Riskantes Injektions-/ Inhalationsverhalten

Öffentliche Gesundheit (wissenschaftliche Literatur)

Zugang zu und Inanspruchnahme von Gesundheitsdiensten

Zugang zu den am meisten marginalisierten und problematischen injizierenden/ inhalierenden Konsumenten (auch in Bezug auf Sicherheit)

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Verringerung des Risikoverhaltens (gemeinsame Benutzung von Spritzen, Spritzenaustausch und sicherere Praktiken) (Kennedy et al., 2017, MacArthur et al., 2014 & Potier et al., 2014);

Daten über die gemeinsame Benutzung von Spritzen, den Austausch von Spritzen und unsichere Praktiken, Notfälle, Todesfälle durch Überdosierung, injizierende/ inhalierende Drogenkonsumenten, Infektionen usw.

Daten über die gemeinsame Benutzung von Spritzen, den Austausch von Spritzen und sicherere Praktiken, Notfälle (z. B. im Umfeld der DKR), Todesfälle durch Überdosierung, injizierende/ inhalierende Drogenkonsumenten, Einstellung der Injektion/Inhalation, Infektionen usw.

Erleichterung des Zugangs und der Inanspruchnahme von Gesundheitsdiensten, sowohl von Suchtdiensten als auch von anderen Gesundheits- oder Sozialdiensten (Kennedy et al., 2017); Vermittlung des Zugangs zu Ressourcen und Gesundheitsdiensten (McNeil et al., 2014)

Zugänglichkeit und Inanspruchnahme von anderen Gesundheitsund Schadensminderungsdiensten als die der DKR (z. B. Drop-in-Zentren, Nadelaustauschprogramme, aufsuchende Sozialarbeit usw.)

Zugänglichkeit und Inanspruchnahme von Gesundheitsdiensten, DKR (z. B. integrierter oder eigenständiger Ansatz) und anderen Schadensminderungsdiensten (z. B. Drop-in-Zentren, Nadelaustauschprogramme, aufsuchende Sozialarbeit usw.)

Die am meisten marginalisierten und problematischen injizierenden Konsumierenden erreichen (Potier et al., 2014)

Analyse der Situation von marginalisierten, problematischen injizierenden/ inhalierenden Zielgruppen

Analyse der Situation von marginalisierten, problematischen injizierenden/ inhalierenden Zielgruppen (z. B. mögliche Verbesserungen durch die Existenz von DKR)

Verringerung der Todesfälle durch Überdosierung, Einstellung der Injektion, Verringerung von Infektionen (einschließlich HIV, Hep C & Schleimhaut-infektionen) (Larson et al., 2017)

Größe der Drogenszenen auf der Straße (auch in Bezug auf Sicherheit)

Zuflucht vor Straßen-Drogenszenen bieten (McNeil et al., 2014)

Daten zu straßenbasierten Drogenszenen und Interventionen, die Zuflucht vor straßenbasierten Drogenszenen bieten (andere als DKR, z. B. Obdachlosenheime)

(Neu-) Gestaltung sozialer und ökologischer Kontexte

Ermöglichung einer sichereren Injektion durch die Neugestaltung sozialer und ökologischer Zusammenhänge (McNeil et al., 2014)

Analyse des sozialen und ökologischen Kontextes in Bezug auf Drogenkonsum, Injizieren/ Inhalieren von Drogen usw.

Analyse des sozialen und ökologischen Kontextes in Bezug auf Drogenkonsum, Injizieren/Inhalieren von Drogen usw. (z. B. mögliche Verbesserungen aufgrund der Existenz von DKR)

Rechtskorrespondenten der EBDD

Regulierungsanalyse (z. B. Gesetzgebung, die DKR zulässt/nicht zulässt, in welchem Umfang sie zulässig sind, die Bedingungen/Kriterien, die sie erfüllen müssen)

Regulierungsanalyse (z. B. Gesetzgebung, die DKR zulässt/nicht zulässt, in welchem Umfang sie zulässig sind, die Bedingungen/ Kriterien, die sie erfüllen müssen)

Von lokalen Partnern durchgeführte Analyse lokaler Stakeholder

StakeholderAnalyse (z. B. wer sind die Meinungsführer und Hauptakteure in der lokalen Gemeinschaft ?)

Stakeholder-Analyse (z. B. wer sind die Meinungsführer*innen und Hauptakteure in der Gemeinde?)

Öffentliche Gesundheit (wissenschaftliche Literatur)

Rechtlicher Rahmen

Politik/Gesetzgebung

Politischer Rahmen

Daten zu straßenbasierten Drogenszenen und Interventionen, die Zuflucht vor straßenbasierten Drogenszenen bieten (inkl. DKR)

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

Politik/Gesetzgebung

Grad der Akzeptanz

Zugänglichkeit

EQUS: Strukturelle Standards von Interventionen

Qualifikation des Personals

Altersbeschränkungen

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Umfragen, öffentliche Meinungsumfragen, Fokusgruppen etc.

Bewertung der Akzeptanz bei Politikern, lokalen Behörden, Nachbarn, Polizei, Gesundheits-/ Sozialdiensten, NIMBY-Phänomen usw.

Bewertung der Akzeptanz bei Politikern, lokalen Behörden, Nachbarschaft, Polizei, Gesundheits-/ Sozialdiensten, NIMBY-Phänomen usw.

Studie über die Entwicklung eines EU-Rahmens für Mindestqualitätsstandards und Benchmarks bei der Reduzierung der Drogennachfrage (EQUS-Standards)

Angaben zu Standort und Öffnungszeiten: Dienstleistungen müssen den Bedürfnissen der Klient*innen entsprechen; Kosten sollten niemals ein Hindernis für eine Dienstleistung sein

Studie über die Entwicklung eines EU-Rahmens für Mindestqualitätsstandards und Benchmarks bei der Reduzierung der Drogennachfrage (EQUS-Standards)

Daten zur (Mindest-) Qualifikation: Das Personal muss qualifiziert sein, und die Qualifikationen des Personals müssen transparent gemacht werden, z. B. bei den ausgebildeten Peers, die im Dienst tätig sind. Aufteilung: zwei mit Diplom in Sozialarbeit, zwei mit Diplom in Krankenpflege.

Studie über die Entwicklung eines EU-Rahmens für Mindestqualitätsstandards und Benchmarks bei der Reduzierung der Drogennachfrage (EQUS-Standards)

Nicht zutreffend

Die Dienste müssen altersgerecht sein, und das Personal muss geschult werden, um den altersgemäßen Bedürfnissen der Klient*innen gerecht zu werden; es sollte keine Altersgrenzen in den Diensten zur Schadensminimierung geben.

Studie über die Entwicklung eines EU-Rahmens für Mindestqualitätsstandards und Benchmarks bei der Reduzierung der Drogennachfrage (EQUS-Standards)

Bewertung des Risikoverhaltens (das Risikoverhalten der Klient*innen/ Patient*innen wird bewertet); vollständige Bedarfsermittlung und Priorisierung (z. B. intravenöser Drogenkonsum und Reduzierung der gebrauchten Spritzen in öffentlichen Räumen usw.); Status der Klient*innen (Anamnese des Gesundheitszustands)

Aufgeklärte Zustimmung

Studie über die Entwicklung eines EU-Rahmens für Mindestqualitätsstandards und Benchmarks bei der Reduzierung der Drogennachfrage (EQUS-Standards)

Klient*innen müssen Informationen über verfügbare Dienstleistungsoptionen erhalten und einem vorgeschlagenen Regime oder Plan zustimmen, bevor sie mit einer Intervention beginnen; Interventionen sollten nicht auf einer schriftlichen, informierten Zustimmung beruhen, sondern auf transparenter Information über alle Angebote.

Vertraulichkeit von persönlichen Daten

Studie über die Entwicklung eines EU-Rahmens für Mindestqualitätsstandards und Benchmarks bei der Reduzierung der Drogennachfrage (EQUS-Standards)

Klient*innen-/ Patient*innenAufzeichnungen sind vertraulich und nur dem Personal zugänglich, das am jeweiligen Fall beteiligt ist.

Bewertungsverfahren

EQUS: Prozessstandards von Interventionen

Nicht zutreffend

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

Interne Bewertung

Studie über die Entwicklung eines EU-Rahmens für Mindestqualitätsstandards und Benchmarks bei der Reduzierung der Drogennachfrage (EQUS-Standards)

EQUS: Ergebnisstandards auf der Systemebene

Bewertung der Dienstleistungen durch regelmäßige interne Evaluierung der Aktivitäten und Ergebnisse

Externe Bewertung

Sharon Larson et al., Supervised Consumption Facilities – Review of the Evidence, 2017. Georgina MacArthur et al., Interventions to prevent HIV and Hepatitis C in people who inject drugs: A review of reviews to assess evidence of effectiveness, in: International Journal of Drug Policy 25: 34-52, 2014.

Nicht zutreffend Studie über die Entwicklung eines EU-Rahmens für Mindestqualitätsstandards und Benchmarks bei der Reduzierung der Drogennachfrage (EQUS-Standards)

Mary Clare Kennedy, Mohammad Karamouzian und Thomas Kerr, Public Health and Public Order Outcomes Associated with Supervised Drug Consumption Facilities: a Systematic Review, Current HIV/AIDS Reports, setembro de 2017.

Bewertung der Dienstleistungen durch regelmäßige externe Evaluierung der Aktivitäten und Ergebnisse durch unabhängige Gutachten**

*Dieses Instrument wurde von den Projektbeteiligten während des SOLIDIFY-Projekts zu verschiedenen Zeitpunkten vorgestellt, diskutiert und getestet. Das Konsortium möchte, dass es als ein Vorschlag verstanden wird, der in Zukunft überarbeitet, angepasst und verbessert werden kann.

Ryan McNeil und Will Small, 'Safer Environment Interventions': A qualitative synthesis of the experiences and perceptions of people who inject drugs, in: Soc Sci Med, 106: 151-8, 2014. Michelle Pelan, Re-visioning Drug Use: A Shift Away From Criminal Justice and Abstinence-based Approaches, in: Social Work and Society International Online Journal, 13(2), 2015. Chloé Potier et al., Supervised injection services: What has been demonstrated? A systematic literature review, in: Drug and Alcohol Dependence, 145 (2014), S. 48-68. Ambros Uchtenhagen und Michael Schaub, Minimum Quality Standards in Drug Demand Reduction EQUS, 2011.

**Externe Evaluierungen sind aufgrund unzureichender Finanzierung oft nicht durchführbar.

Literaturangaben: Sylvain Acket et al., Measuring and validating social cohesion: a bottom-up approach, in: CEPS Instead Working Paper No. 2011-08, 2011. Rat der Europäischen Union, Council conclusions on the implementation of the EU Action Plan on Drugs 2013–2016 regarding minimum quality standards in drug demand reduction in the European Union (2015).

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

Die Kommune als Vermittler, Koordinator und Förderer der DKR

Teil 4 >>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>

Argumente und Empfehlungen für Kommunalbehörden >>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>

>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>> In diesem Teil werden relevante Empfehlungen zur Einrichtung und zum Betrieb von DKR zusammengetragen. Der Schwerpunkt liegt darauf, wie lokale Behörden den Prozess steuern und ein Unterstützungsnetzwerk mit mehreren Behörden auf lokaler Ebene schaffen können. Lokale und regionale Behörden sind die wichtigsten Akteure bei der Bereitstellung von Dienstleistungen im Bereich der städtischen Sicherheit und der öffentlichen Gesundheit. Als die Regierungsebene, die den Bürger*innen am nächsten steht, sind die kommunalen und regionalen Verwaltungen mit hohen Erwartungen hinsichtlich der Bereitstellung von Dienstleistungen konfrontiert, die für das tägliche Leben in unseren Städten von zentraler Bedeutung sind. Es ist gängige Praxis, dass sowohl nationale als auch kommunale Regierungen die Verantwortung für die Drogen-, Gesundheits- und Gemeinschaftssicherheitspolitik teilen. Der Staat ist oft für die Bekämpfung des Drogenhandels zuständig, während die Kommunen sich mit alltäglichen Fragen der Sicherheit auseinandersetzen. Schadensminderung und Prävention fallen häufig in den Kompetenzbereich der Kommunen, während die Behandlung und/oder die Strafverfolgung in die nationale Zuständigkeit fallen. Die folgenden Empfehlungen sind aus den vielen Veranstaltungen, dem Austausch und den Diskussionen im Verlauf des SOLIDIFYProjekts hervorgegangen. Diese Veranstaltungen wurden von den Projektbeteiligten organisiert, umfassten aber ein viel breiteres Spektrum von Akteuren, die ihre Perspektiven und ihr Wissen einbrachten: Bürgermeister*innen, lokale Organisationen der Zivilgesellschaft, Regierungsinstitutionen auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene, öffentliche und private Forschungseinrichtungen, PWUD Interessengruppen, EU-Institutionen, Krankenhäuser und andere Gesundheitsdienstleister, Strafverfolgungsbehörden und Medien.

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

Die folgende Liste von Empfehlungen ist nicht erschöpfend, deckt aber ein breites Spektrum von Aspekten ab, die für die Einrichtung solcher Dienste und Einrichtungen relevant sind. Auch werden nicht sämtliche Empfehlungen für alle lokalen und regionalen Kontexte gleichermaßen geeignet sein: Die Realitäten des öffentlichen Drogenkonsums und die rechtlichen und administrativen Vorschriften, die den Rahmen für die lokale Drogenpolitik im Allgemeinen und die Schadensminderung im Besonderen bilden, sind so vielfältig, dass häufige Anpassungen und Überarbeitungen dieser Empfehlungen erforderlich sein werden. Dennoch kehrten beim Sammeln der Erfahrungen der teilnehmenden Städte während der gesamten Projektlaufzeit zahlreiche Themen und Probleme immer wieder. Einige davon hängen mit Fragen der Koordination zusammen, sowohl horizontal über die verschiedenen Berufssparten und öffentlichen, privaten und bürgerlichen Akteure hinweg als auch vertikal zwischen den verschiedenen Regierungsebenen. Andere widmen sich Themenkomplexen wie z. B. den sich verändernden demografischen Trends, einer Verlagerung auf neue Substanzen oder einer verstärkten Konzentration auf integrierte Strategien, die eine Bekämpfung der Obdachlosigkeit unter den am stärksten gefährdeten Drogenkonsumierenden einschließen. Diese Aspekte werden in den folgenden Empfehlungen reflektiert, insbesondere durch die Betonung von Partnerschaften zwischen mehreren Behörden, durch die Bedeutung lokaler Bedarfsanalysen zur Ausarbeitung von Reaktionen auf neue lokale Trends, und die Zusammenarbeit mit der Strafverfolgung im Hinblick auf die öffentliche Gesundheit und Sicherheit. Efus freut sich darauf, diese Empfehlungen zu diskutierten und anzupassen, sowie darauf, an Debatten mit Behörden und allen anderen Beteiligten teilzunehmen, die bereit sind, die lokale Drogenpolitik und ausgewogene Antworten auf den öffentlichen Drogenkonsum in unseren Städten, einschließlich der beaufsichtigten Drogenkonsumeinrichtungen, weiterzuentwickeln.

Politisches Engagement und Führung

>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>> Die Rollen und Verantwortlichkeiten der lokalen Mandatsträger*innen unterscheiden sich von jenen in den europäischen Staaten erheblich. Auch wenn sie vielleicht nicht für die lokale Drogenpolitik oder für Drogendienste zuständig sind, sind die gewählten Amtsträger*innen für die Sicherheit der Gemeinschaft und das Wohlergehen der Menschen, die sie vertreten, verantwortlich. Probleme wie Drogenhandel, Gewalt, Kriminalität, Marginalisierung und soziale Ausgrenzung, Infektionskrankheiten, Risikoverhalten bei Jugendlichen und Zusammenbruch der Familie bedrohen die sozialen Beziehungen im täglichen Leben der Menschen. Politiker*innen müssen nach Wegen suchen, um die Lebensqualität zu verbessern, die Sicherheit der Gemeinschaft zu fördern und die Gesundheit und das Wohlergehen der lokalen Bevölkerung zu schützen29. Funktionierende, wirksame und ausreichend finanzierte lokale Netzwerke von Dienstleistungen und Unterstützungsangeboten für die von Drogenkonsum und -abhängigkeit Betroffenen sind der Schlüssel zur Förderung der Sicherheit und des sozialen Zusammenhalts in der Gemeinschaft. Um wirksam zu sein, müssen diese Programme auf den lokalen Kontext zugeschnitten sein. Es ist unerlässlich, gewählte Amtsträger einzubeziehen, da sie einen engen Kontakt zur Öffentlichkeit haben und ein Verständnis für lokale Fragen, für die Funktionsweise der Dienste und für die Beziehungen zwischen den verschiedenen Einrichtungen. Aus diesen Gründen sind sie in einer guten Position, um die Qualität der angebotenen Dienstleistungen zu bewerten. Um sicherzustellen, dass diese Dienste unter den besten Bedingungen stattfinden können und von der Öffentlichkeit verstanden und akzeptiert werden, ist die politische Unterstützung ein wichtiges Gut.

29.Vgl. Efus, Drug use, front line services and local policies. Guidelines for elected officials at the local level, (2008), S. 13 ff. für eine allgemeinere Diskussion über die Rolle lokaler Mandatsträger*innen in der Drogenpolitik. Die hier skizzierten Empfehlungen in Bezug auf die Schadensminderung und DKR stehen im Einklang mit diesen allgemeineren Vorschlägen.

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

 Lokale Mandatsträger*innen verfügen über Kenntnisse aus erster Hand, die sie von lokalen Interessenvertreter*innen und Netzwerken erhalten, und sind am besten in der Lage, lokale Strategien mehrerer Behörden zu steuern und zu koordinieren.

 Drogenpolitik und Schadensminderung erfordern einen interdisziplinären Ansatz und die Einbeziehung von Fachleuten aus verschiedenen Abteilungen der Kommunalverwaltungen, d. h. Gesundheit, Sicherheit, soziale Angelegenheiten, Wohnungsbau/ Stadtplanung, Nachtleben, öffentliche Ordnung/Ruhe und andere. Die Bürgermeister*innen und Verantwortlichen für die verschiedenen Themen sind ideal positioniert, um die Zusammenhänge zwischen diesen Themen zu verstehen und gemeinsame Ziele, Formen der Zusammenarbeit und Synergien zu erkennen.

 Um Akzeptanz und Verständnis für die DKR und andere Schadensminderungsdienste zu schaffen, ist eine positive Kommunikation der kommunalen Verantwortlichen von zentraler Bedeutung. Eine solche Kommunikation sollte transparente Informationen liefern und die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Interessengruppen fördern. Es ist von zentraler Bedeutung, dass diese Kommunikation eine weitere Stigmatisierung der PWUDs vermeidet und Menschen- und Bürgerrechte achtet.

Zusammenarbeit mit der regionalen und nationalen Regierungsebene

>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>> Während der öffentliche Drogenkonsum und die Ängste, Spannungen und Konflikte, die sich um ihn herum entwickeln, vorwiegend lokale Gemeinschaften und Regierungen betreffen, ist die Zuständigkeit für diese Themen häufig zwischen lokaler, regionaler und nationaler Regierungsebene aufgeteilt.

stärksten betroffen. Wenn Bewohner*innen Reaktionen und Verbesserungen der lokalen Situation fordern, wenden sie sich oft an die lokalen Verwaltungen und politischen Gremien. Obwohl sie häufig unmittelbar Antworten auf lokale Drogenprobleme finden müssen, können die Kommunen diese Antworten nicht frei gestalten, sondern müssen sich innerhalb der auf nationaler oder regionaler Ebene festgelegten rechtlichen Rahmenbedingungen bewegen. Hieraus können sich besonders für der Einrichtung von DKR beträchtliche Beschränkungen ergeben, die solche Einrichtungen sogar in einigen Ländern und Regionen Europas unmöglich machen.

 Da die lokale Ebene der Ort ist, an dem Drogenprobleme typischerweise auftreten und das Leben der Bevölkerung beeinflussen, sollten die lokalen Perspektiven der Gemeinden bei der Planung der Drogenpolitik auf regionaler und nationaler Ebene berücksichtigt werden. Wenn die Gesetzgebung in die regionale oder nationale Zuständigkeit fällt, sollte die Legislative sicherstellen, dass die lokale Perspektive in ihre Überlegungen einbezogen wird. DKR und die rechtlichen Rahmenbedingungen für ihre Regelung sind ein Thema, bei dem eine solche Zusammenarbeit besonders produktiv sein kann.

 Die Kooperation mit Strafverfolgungsbehörden wurde an mehreren Stellen des Projekts bereits als ein Schlüsselfaktor für die lokale Integration und Akzeptanz der DKR identifiziert. Strafverfolgung fällt zumeist in die Zuständigkeit der regionalen und/oder nationalen Regierungsebene. Diese regelt auch die Arbeit der Strafverfolgungs- und Ordnungsbehörden. Die Ausgestaltung der Polizeiarbeit ist daher ein entscheidender Punkt für eine sinnvolle Zusammenarbeit zwischen der lokalen, regionalen und nationalen Regierungsebene.

Städte und Innenstädte sind von diesen Problemen und Konflikten im Zusammenhang mit dem öffentlichen Drogenkonsum häufig am

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

Förderung einer Partnerschaft mehrerer Behörden

>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>> DKR sollten auf kommunaler Ebene im Konsens umgesetzt werden. Nur ein gemeinsames Verständnis der Drogenproblematik, der gesundheitlichen und sozialen Bedürfnisse der Betroffenen und der Bevölkerung kann zu gemeinsam erarbeiteten Lösungen führen. Ein behördenübergreifender Ansatz kann dazu beitragen, alle verfügbaren Informationen und Fachkenntnisse zu sammeln und die Erkenntnisse auf breiter Basis zu teilen. Darüber hinaus hilft er, gezielte und wirksame Antworten zu formulieren, die die unterschiedlichen Fachkenntnisse, Ansätze und Perspektiven des Problems einbeziehen. Außerdem ermöglicht er eine rasche Koordinierung der verschiedenen Rollen, welche die an der lokalen Drogenpolitik beteiligten Gruppen spielen30. Wenn der politische Wille zur Umsetzung einer Konsumeinrichtung besteht, können all diese Faktoren gebündelt und allen Beteiligten vorgelegt werden, um eine solide Grundlage für den Umsetzungsprozess zu schaffen. Eine enge Zusammenarbeit zwischen der administrativen Gemeindeebene, der Polizei, den Gesundheitsdienstleistern, NROs, PWUD und der Bevölkerung ist notwendig, um den Implementierungsprozess mit Fachwissen und Erfahrung zu untermauern. Schlüsselpersonen aus der Gemeindeverwaltung, der Polizei und den NROs sollten identifiziert werden, um eine Kerngruppe zur Unterstützung und Umsetzung einer Konsumeinrichtung zu bilden. Gemeinsames Verständnis und Konsens sind das Ergebnis eines Beteiligungsprozesses, an dem Zielgruppen und wichtige Interessengruppen beteiligt sind. Sie können durch verschiedene organisatorische und politische Mittel erreicht werden.

 Eine ständige Arbeitsgruppe (bestehend aus Personen der lokalen Gesundheits- und Sozialverwaltung, der Polizei, der Staatsanwalt-

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30. Für eine ausgezeichnete frühere Diskussion behördenübergreifender Zusammenarbeit in der lokalen Drogenpolitik siehe: European Cities on Drug Policy Co-operation and Community Consensus – The Multi-Agency Approach to Effective Local Drug Policies, hg. v. Susanne Schardt (2001).

schaft, der vor Ort tätigen NROs, der Bevölkerung und der PWUDcommunity) sollte die Federführung bei der Umsetzung einer Konsumeinrichtung übernehmen. Transparenz kann durch die Veröffentlichung der Protokolle und Ergebnisse der Sitzungen geschaffen werden. Die federführende Arbeitsgruppe sollte ihre Arbeit auch während der ersten Phase der Umsetzung fortsetzen, um die Bürger*innen , die Polizei, die Staatsanwaltschaft, die Drogendienste und die Drogenkonsumierenden zu unterstützen.

 Ein konkretes Beispiel dafür, wie die Zusammenarbeit mit mehreren Interessengruppen im Umfeld der DKR organisiert und ihre Akzeptanz gefördert werden kann, sind die so genannten Community Advisory Committees (CACs), die sich aus Nachbarschaften, PWUDs, wichtigen Interessengruppen, Ladenbesitzer*innen usw. in den Stadtvierteln rund um die DKR zusammensetzen. In diesen CACs können alltägliche Probleme und Lösungen transparent und partizipativ diskutiert werden.

 Unabhängig von der konkreten Ausgestaltung der Partnerschaft zwischen den verschiedenen Behörden – die von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich sein kann – ist gegenseitiges Vertrauen ein wichtiges Thema. Zur Vertrauensbildung sollten konkrete Maßnahmen ergriffen werden, z. B. durch die Festlegung gemeinsamer Regeln für die Zusammenarbeit und durch die Bereitstellung von genügend Raum, um Ängsten oder Sorgen zu begegnen, wenn sie auftreten.

Zusammenarbeit, Kommunikation und Koordination mit den Strafverfolgungsbehörden

>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>> Die Zusammenarbeit zwischen den beaufsichtigten Drogenkonsumräumen und den Strafverfolgungsbehörden verdient besondere Aufmerksamkeit. Obwohl DKR klaren Zielen und Zwecken im Hinblick

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

auf öffentliche Gesundheit, Ordnung, Sicherheit und Ruhe dienen, scheint ihre Funktionsweise manchmal im Widerspruch zu ordnungspolitischen Vorgehensweisen der Polizei zu stehen. Wenn Ordnungsbehörden beispielsweise eine hohe Anzahl von Durchsuchungsaktionen in der Nähe solcher Einrichtungen durchführen, wird dies wahrscheinlich die PWUDs von einem Besuch der Einrichtungen abhalten und es kann zu Spannungen mit der Anwohnerschaft kommen. Es können auch andere spezifische Fragen auftauchen: Wie geht man mit Straftaten um, die innerhalb der DKR begangen werden? Wie ist zu verfahren, wenn eine von der Polizei gesuchte Person einen Konsumraum besucht und die Polizei von ihrer Anwesenheit in der Einrichtung weiß? Angesichts solcher Fragen muss ein Grundkonsens darüber bestehen, dass sowohl die DKR als auch die Polizei legitime und legale Ziele verfolgen, die sorgfältig gegeneinander abgewogen werden müssen. Um sicherzustellen, dass beide Parteien ihre Arbeit tun können, muss zudem gegenseitiges Verständnis zwischen den verschiedenen Akteuren herrschen und es müssen konkrete Vereinbarungen und Verfahren gefunden werden. Um sicherzustellen, dass Polizeiaktionen mit den Zielen der DKR übereinstimmen und sowohl mit den Anliegen der Regierung als auch mit den berechtigten Anliegen der Gemeinschaft übereinstimmen, macht Efus die folgenden Vorschläge:

 Es lassen sich fünf Schlüsselbeiträge zu solchen Kooperationsbeziehungen identifizieren: 1. Frühzeitiges Engagement und Dialoge, 2. Unterstützung durch die oberen Polizeihierarchien, 3. engagierte Polizeiverbindungsbeamte, 4. klar ausgehandelte Grenzvereinbarungen und 5. regelmäßiger persönlicher Kontakt.31

 Es sollten lokale Runde Tische eingerichtet werden, an denen Vertreter*innen der DKR und anderer Schadensminderungsdienste, der Polizei und der Staatsanwaltschaft sowie der örtlichen Gesundheits- und Sicherheitsabteilungen teilnehmen. Diese Runden Tische 31. Weitere relevante Gedanken zu diesem Thema sind zu finden bei Watson et al., Creating and sustaining cooperative relationships between supervised injection services and police: A qualitative interview study of international stakeholders,International Journal of Drug Policy 61 (2018), S. 1 – 6. Außerdem bei: Greg Denham und konsultierende Mitwirkende von LEAHN, Guidelines for police working with Drug Consumption Rooms. Law Enforcement & HIV Network (LEAHN) (2019).

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sollten sich regelmäßig treffen, um Fragen der Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, der Belästigungen und des Sicherheitsgefühls im Umfeld der DKR zu erörtern und um zu klären, wie im Falle von Problemen reagiert und eingegriffen werden kann.32

 Es müssen klare Protokolle und Umsetzungsrichtlinien entwickelt werden, um die Rollen und Grenzen aller beteiligten Organisation zu kommunizieren.33

 Viele Akteure vor Ort, darunter auch Polizeibeamte, berichten von einem Mangel an formaler Polizeiausbildung zur Schadensminderung. Um ein gegenseitiges Verständnis zu erlangen, können Trainingseinheiten mit Unterstützung und Beteiligung sowohl des DKR-Personals als auch der Polizeikräfte dabei helfen, Informationsmangel und gegenseitige Vorurteile zu überwinden.

 Ziel ist es, dass Polizeikräfte, Drogenkonsumierende und das Personal von Drogenhilfeeinrichtungen gemeinsam und nicht gegeneinander arbeiten. Kontinuierliche Bemühungen um eine gute Beziehung zwischen den Verantwortlichen der DKR, den Strafverfolgungsbehörden und anderen Beteiligten erhöhen die positiven Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit und städtische Sicherheit und deren Nachhaltigkeit.

 Gemeinsame Aus- und Fortbildung von Polizei, Staatsanwaltschaft und Trägern der niederschwelligen Dienste und/oder der DKR sind ein wichtiges Element, um voneinander zu lernen. In der Regel sind Polizeikräfte und Sozial-/Gesundheitspersonal mit den Aufgaben und Arbeitsmethoden der anderen nicht vertraut. Drogenbezogene Fragen sind nicht unbedingt Teil der Ausbildung von Polizeikräften oder Sozial- und Gesundheitspersonal. Gemeinsame Fortbildungsseminare unterstützen die Beziehungen zwischen den Fachleuten und ermöglichen es ihnen, von den Ansätzen und rechtlichen Hintergründen der anderen zu lernen. Solche Schulungen können auch dazu beitragen, Vorurteile zu überwinden. Schulungen am Arbeitsplatz wären eine zusätzliche Strategie für beide Gruppen. 32. Ein Beispiel für einen solchen Runden Tisch finden Sie in der Übersicht der Stadt Essen in Teil 2 dieser Publikation. 33. Ein Beispiel für ein lokales Abkommen zwischen einem Konsumraum und der Polizei ist das Abkommen zwischen der Kontakt- und Anlaufstelle und der Polizei (Polizeikommando/EG Krokos) in Bern (Schweiz). Die Vereinbarung wird allen Polizeibeamten ausgehändigt, um sie mit den grundlegenden Interventionen und Verhaltensvorschriften vertraut zu machen. Diese Vereinbarungen sind veränderbar und können angesichts neuer Entwicklungen aktualisiert werden.

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

Die Rolle der PWUDs und ihrer Interessenverbände

>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>> Menschen, die Drogen konsumieren, verfügen über wertvolles Wissen zur Schadensminderung. Ihre Erfahrungen sollten bei der Planung einer Konsumeinrichtung berücksichtigt werden. Sie kennen die tatsächlichen Bedürfnisse der Zielgruppe und können diese in die Planung einbringen. Sobald eine Einrichtung zur Schadensminderung in Betrieb ist, können die Klient*innen weitere wichtige Beiträge zur Verbesserung des Angebots leisten, wenn die Leitung ihnen eine aktive Rolle erlaubt. So können sie zum Beispiel dazu beitragen, die Beeinträchtigungen der Öffentlichkeit in der Umgebung der Einrichtungen oder anderer Schadensminderungsdienste zu bekämpfen, indem sie sich an Maßnahmen zur Einbeziehung der Nachbarschaft beteiligen. Die Einbeziehung der Nutzer*Innen sollte auf folgenden Prinzipien basieren: ihrer Beteiligung an jedem geschaffenen Angebot zur Schadensminderung – nach dem Ansatz „Nichts über uns ohne uns“34–, einer ressourcenorientierte Perspektive, die es allen Beteiligten ermöglicht, vorhandene Fähigkeiten einzubringen und neue zu erwerben, einem Empowerment-Ansatz, der das Selbstwertgefühl und das Selbstmanagement fördert, dem Ziel, Verwundbarkeit in Stärke zu verwandeln, der Anerkennung, dass nicht nur Fachleute, sondern auch die PWUDs selbst über wertvolles Wissen zur Schadensminderung verfügen, der allgemeineren Anerkennung, dass PWUDs Bürger*innen wie alle anderen sind und Respekt und Würde verdienen. Im Besonderen kann es bei der Verwaltung der Beteiligung von Nutzer*innen an Dienstleistungen zur Schadensminderung wichtig sein, die folgenden Aspekte zu berücksichtigen:

 Die berufliche Einbindung von PWUD muss durch einen klaren Arbeitsvertrag geregelt werden, der Status, Pflichten und Rechte definiert. Übermäßige Ausbeutung, Degradierung oder prekäre Arbeitsverhältnisse müssen vermieden werden.

 Unterschiedliche Ebenen der Beteiligung (einmalig und spontan, geplant und kontinuierlich usw.) erfordern unterschiedliche Arten der Aufsicht, insbesondere der Verwaltungsaufsicht. Diese Bedürfnisse müssen berücksichtigt werden, und das Aufsichtsteam muss bereit sein, sich mit ihnen auseinanderzusetzen.

 Die Einbeziehung der Nutzer*innen birgt eine Reihe von Risiken für sie, z. B. das Risiko von Bevorzugung und Konflikten („gute Nutzer*innen“ vs. „schlechte Nutzer*innen“). Sie kann auch zu einem Identitätskonflikt der Beteiligten führen („kein PWUD, keine Expertise“). Diese Risiken müssen berücksichtigt und abgemildert werden.

Lokale Bedarfsermittlungen

>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>> Drogenpolitik und Schadensminderung sind komplexe Themen. Um das Wissen über Drogenpolitik und Schadenminderung zu verbessern und eine Evidenzbasis für die Entwicklung wirksamer Maßnahmen zu schaffen, sind gründliche Bedarfsanalysen auf lokaler Ebene unerlässlich.35 Die Einrichtung eines Drogenkonsumraums ist ein langer Prozess, der eine gründliche Vorbereitung und die Beteiligung von Schlüsselpersonen, Interessengruppen und Organisationen, die mit Drogenkonsumenten arbeiten, erfordert. Rechtliche Barrieren sowie ethische, politische und lokale Anliegen müssen berücksichtigt werden.

 Es ist wichtig, Schulungskurse und Empowerment-Seminare für PWUD anzubieten, damit sie lernen, ihr Wissen im Dienste anderer zu nutzen. 34. Dieser Slogan unterstreicht die Idee, dass die Zielgruppe einer öffentlichen Maßnahme an ihrer Konzeption und Planung aktiv beteiligt werden muss. Er wird Judi Chamberlin zugeschrieben, einer US-amerikanischen Menschenrechtsaktivistin und Gründerin der psychiatrischen Überlebendenund „Mad Pride“-Bewegung.

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35. Für einen allgemeinen Überblick darüber, wie solche Analysen auf lokaler Ebene organisiert werden können, sowie Informationen über viele praktische Instrumente zur Unterstützung solcher Prozesse, siehe: Gregor Stangherlin, Produire un diagnostic partagé du territoire. À la recherche de la cohésion sociale, (2016); und Efus, Methods and Tools for a Strategic Approach to Urban Security, 2016; e Efus, Guidance on Local Safety Audits. A Compendium of International Practice, (2007).

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

Efus empfiehlt den lokalen und regionalen Behörden:

 Führen Sie lokale Sicherheitsaudits oder Erhebungen zum Thema Drogenpolitik durch, wobei geeignete Methoden verwendet werden und auf die Unterstützung von Fachleuten zurückgegriffen werden sollte. Je nach finanziellen Mitteln könnte eine Machbarkeitsstudie auf lokaler Ebene, die von einem unabhängigen Forschungsinstitut oder einer Universität durchgeführt wird, dazu beitragen, den Bedarf für einen Konsumraum zu klären und Hinweise zur dessen Umsetzung zu geben.36 Es gibt auch Beispiele für unabhängige Arbeitsgruppen auf nationaler Ebene, die detailliert untersuchen, ob ein DKR eingeführt werden sollte.37

 Organisieren Sie Schulungen mit lokalen Sicherheitsfachleuten zur effektiven Planung und Überwachung drogenpolitischer Initiativen in Ihrem Gebiet. Solche Schulungen sollten alle Gruppen von Fachleuten einbeziehen, die an solchen Aktivitäten beteiligt sind, und idealerweise in Zusammenarbeit mit lokalen Forschungseinrichtungen organisiert werden. Dies kann dazu beitragen, Partnerschaften zwischen Gemeinden und Forscher*innen mit Verbindungen zu diesem Gebiet zu stärken.

 Sammeln Sie eine breite Palette empirischer Daten, die dazu beitragen können, die Umsetzung eines DKR zu unterstützen. Diskussionen über Konsumräume können einen emotionalen Charakter annehmen und solide Daten dabei helfen, die Debatte auf Fakten zu stützen. Es wird empfohlen, ein breites Spektrum von lokalen Interessengruppen in die Erstellung und Analyse solcher Daten einzubeziehen, um die Beteiligung und Eigenverantwortung für die daraus resultierende Bewertung zu erhöhen.38

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36. Ein aktuelles Beispiel für eine solche Machbarkeitsstudie ist die belgische Studie mit der Bezeichnung DRUGROOM (Vander Laenen, F. et al.), Feasibility study on drug consumption rooms in Belgium, (2018), in der die Bedürfnisse und Ressourcen in fünf belgischen Gemeinden (Gent, Antwerpen, Brüssel, Lüttich und Charleroi) bewertet wurden. 37. Eine solche Gruppe hat z. B. für das Vereinigte Königreich eine Bedarfsanalyse durchgeführt; siehe: Independent Working Group, The Report of the Independent Working Group on Drug Consumption Rooms, (2006). 38. Daten können z. B. auch von Drogendiensten (Anzahl der Reanimationen nach Überdosierung, Anzahl der ausgetauschten oder an bestimmten Drogenkonsumorten gefundenen Nadeln/Spritzen, Anzahl der behandelten Abszesse usw.), der Polizei (Anzahl der drogenbedingten Todesfälle, Überdosierungsfälle usw.), den Notfallambulanzen (Anzahl der drogenbedingten Notfallbehandlungen usw.), den Einwohner*innen (Erfahrungen und Wahrnehmungen des öffentlichen Drogenkonsums) und den PWUDs (Nutzung und Erfahrungen mit bestehenden Diensten und Bedarf an ergänzenden Angeboten) generiert werden. Obwohl diese Berichte und Erkenntnisse manchmal nur anekdotischen Charakter haben, können sie dazu beitragen, die Diskussion über die Notwendigkeit oder sogar Dringlichkeit der Einrichtung eines DKR zu erleichtern.

Die Wahl des richtigen Standorts

>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>> Die Suche nach einem geeigneten Standort für eine Konsumeinrichtung ist kein einfaches Unterfangen und stellt die lokalen Behörden und Dienstleistungsorganisationen vor eine Reihe von Herausforderungen, da zahlreiche Aspekte berücksichtigt werden müssen39: Wo sollte die Einrichtung angesiedelt werden, um die Zielgruppe zu erreichen? Welche Nachbarschaft wird eine Einrichtung akzeptieren? Welche architektonischen Bedürfnisse müssen berücksichtigt werden? Welche Gebäude sind geeignet? Sind sie verfügbar und unter welchen Bedingungen? Ist die Nähe zu anderen Einrichtungen wie Bahnhöfen oder Krankenhäusern wünschenswert und machbar? Viele Kommunen haben sich mit diesen Fragen auseinandergesetzt und unterschiedliche Lösungen gefunden, die von abgelegenen über sehr zentrale Orte bis hin zu einer Streuung der DKR in ihrem Gemeindegebiet reichen. In einigen Fällen haben politische Diskussionen über die Platzierung solcher Dienste deren Eröffnung erheblich verzögert. Um eine Entscheidung über den Standort des DKR zu treffen, sollten folgende Aspekte berücksichtigt werden:

 DKR sollen marginalisierte Drogenkonsumierende erreichen und in der Nähe oder im Zentrum von offenen/problematischen Drogenszenen angesiedelt werden. Die Implementierung von Konsumeinrichtungen in einem abgelegenen Gebiet würde einen Pendelverkehr erfordern (Beispiel: Frankfurt am Main). Im Falle von mobilen DKR sollten die Routen und Öffnungszeiten so organisiert werden, dass ein Maximum an marginalisierten Drogenkonsumierenden erreicht wird.

 Eines der Ziele eines DKR ist die Verringerung der öffentlichen Beeinträchtigungen, und die Auswahl des Standorts sollte dies widerspiegeln. Während die Nähe zu einem Bahnhof oder einem 39. Für produktive Reflexionen zu dieser Frage vergleiche: Gwenola Le Naour, Chloé Hamant und Nadine Chamard-Coquaz, Faire accepter les lieux de réduction des risques. Un enjeu quotidien (2014).

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

Unterbringungszentrum ein Schutzfaktor sein kann, stellt die Nähe zu Kinderbetreuungseinrichtungen einen möglichen Risikofaktor dar, was die Unzufriedenheit in der allgemeinen Bevölkerung angeht.

 Die Auswahl eines Standortes sollte das Ergebnis eines Konsenses zwischen allen lokalen Akteuren sein (Drogenkonsumierenden, Gesundheitsbehörden, lokalen politischen Verantwortlichen, der Polizei und den für die Suchtbehandlung zuständigen Trägern). Auch die Nachbarschaften sollten in den Entscheidungsprozess einbezogen werden.

 Den Nutzer*innen einen sicheren Zugang zu bieten, bedeutet, Orte zu vermeiden, die zu isoliert, aber offen genug sind, um die Organisation der Umgebung zu ermöglichen.

 Die sozioökonomischen Merkmale des aufnehmenden Stadtviertels müssen berücksichtigt werden. Befürchtungen, dass ein Stadtviertel durch eine Konsumeinrichtung sozial „herabgestuft“ werden könnte, sollten mit der Öffentlichkeit abgesprochen werden. Es sollten geeignete Maßnahmen getroffen werden, um eine solche Degradierung zu verhindern.

allgemeine Arten von DKR unterscheiden: das spezialisierte Modell, das integrierte Modell, das mobile Modell und das stationäre Modell (siehe Beschreibungen dieser Modelle in Teil 1). Wenn Städte sich für die Einrichtung eines DKR entscheiden, sollten sie die lokalen Bedürfnisse und Ressourcen genau prüfen und ein Modell wählen, das der lokalen Situation entspricht. Um die beste Einrichtung zu konzipieren, können die folgenden Überlegungen hilfreich sein:

 Im Falle der Gründung/Implementierung einer Konsumeinrichtung sollten die relevanten lokalen Akteure in die Wahl des Modells einbezogen werden.

 Interne Richtlinien, Funktions- und Verwaltungsregeln liegen in der Verantwortung der Organisation, die für die Einrichtung gemäß dem gewählten Modell verantwortlich ist.

 Bestehende DKR-Modelle können Beispiele für die Durchführbarkeit und Ausgestaltung liefern.

 Die bestehenden Modelle* (integriert/spezialisiert/mobil/ Wohneinrichtung mit Konsumraum) haben Vor- und Nachteile, und die Wahl eines Modells sollte in Kenntnis der jeweiligen Vor- und Nachteile erfolgen.

Das richtige Modell für die eigene Stadt wählen

 Jedes Konsumraum-Modell sollte an die Bedürfnisse der Drogen-

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 Die Modelle sollten in Übereinstimmung mit den Bedürfnissen der

Es gibt kein Einheitsmodell für Konsumeinrichtungen. Städte, die eine oder mehrere solcher Einrichtungen eingeführt haben, haben diese auf ihre lokalen Bedürfnisse zugeschnitten, d. h. auf die Anzahl der potenziellen Klient*innen, die Besonderheiten des lokalen Gesundheitssystems, die lokalen Merkmale des öffentlichen Drogenkonsums, die Infrastrukturbelange usw. Keine zwei DKR sind gleich, und es gibt eine große Vielfalt an Umsetzungsvarianten in diesem Bereich. Es lassen sich mindestens vier

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konsumierenden der jeweiligen Stadt angepasst werden – in Übereinstimmung mit den jeweiligen Programmen zur Stadtplanung. Stadt in Bezug auf die Suchtbehandlung gewählt werden und gleichzeitig den Zugang zu einer Vielzahl von Gesundheitsdiensten erleichtern.

Strategische Kommunikation

>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>> Überwachte Drogenkonsumräume sowie andere Angebote zur Schadensminimierung waren in vielen Fällen Gegenstand lebhafter Debatten in den lokalen Gemeinschaften. Bewohnergruppen, Gemein-

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

deverwaltungen und -abteilungen, lokale Unternehmen oder Interessengruppen können unterschiedliche Meinungen über Nutzen und Risiken solcher Einrichtungen haben. Diese können mit abweichenden politischen oder ideologischen Haltungen zur Drogenpolitik, mit widersprüchlichen Ansichten über das Leben und Zusammenleben in der Gemeinde oder mit unterschiedlichen Visionen für die Entwicklung von städtischen Gebieten und des öffentlichen Raums einhergehen. Um solche Diskussionen zu unterstützen und potenzielle Konflikte zu bewältigen, sollten die Kommunen aktive Kommunikationsstrategien in Bezug auf die DKR und andere Schadensminderungsdienste anwenden, um ihre Aktionen und Absichten zu erklären und die Verbreitung von Fehlinformationen zu vermeiden. Im Besonderen:

 Eine PR-Strategie wird vor und während der Gründung/Implementierung eines DKR empfohlen. Eine effiziente PR-Strategie kann darin bestehen, für jeden DKR ein eigenes Team oder eine eigene Stelle zu haben, bei der alle Fragen bezüglich der geplanten Einrichtung zusammenlaufen und beantwortet werden. Nicht alle öffentlichen Bediensteten sind in der Lage, Fragen der Öffentlichkeit und der Presse bezüglich der Gründung/Implementierung eines DKR zu beantworten, weshalb ein professionelles (geschultes) PR-Team empfohlen wird.

 Transparenz ist wesentlich und wird im Falle der Einrichtung eines DKR empfohlen. Transparenz bedeutet, dass sowohl die potentiellen Nutzer*innen als auch die Öffentlichkeit Zugang zu Plänen, Informationen und Beschreibungen der geplanten Konsumeinrichtung erhalten. Dies kann über eine Web-Plattform – z. B. der Einrichtung selbst oder ihres Trägers, in Jahresberichten und/oder über Pressemitteilungen erfolgen.

 In dem Bemühen um Transparenz können den Konsumeinrichtungen Empfehlungen gegeben werden, auf eine „Politik der offenen Tür“ hinzuarbeiten – eine Kommunikationsstrategie, die Offenheit und Transparenz in den Beziehungen zu den Interessengruppen fördert. Wie der Begriff schon sagt, wird die Nachbarschaft ermutigt, immer dann vorbeizuschauen, wenn das Bedürfnis nach Austausch, Fragen oder Vorschlägen besteht, um aufkommende Probleme oder

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Bedenken mit dem Managementteam der Einrichtung zu besprechen. Eine Politik der offenen Tür soll in der Regel ein Umfeld der Zusammenarbeit, der hohen Leistung und des gegenseitigen Respekts zwischen einem DKR und den Nachbar*innen fördern.

 Aufklärungsarbeit ist notwendig, um die Verwendung von Begriffen wie „Fixerstube“ durch die Presse zu vermeiden. Im Diskurs über DKR ist es von grundlegender Bedeutung, humanistische Werte mit Respekt vor der Menschenwürde und den Menschenrechten zu betonen. Besondere Aufmerksamkeit muss daher einer maßvollen, überlegten und durchdachten Wortwahl gewidmet werden, damit wir nicht selbst abwertende und delegitimierende Darstellungen verbreiten. Ein Vokabular mit dem Ziel, diskriminierende Darstellungen zu dekonstruieren und die Stigmatisierung zu bekämpfen, muss von allen Beteiligten verwendet werden.40

Engagement und Akzeptanz in der Nachbarschaft

>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>> Soll eine Konsumeinrichtung eröffnet werden, so ist es sinnvoll, gleichzeitig Strategien für Nachbarschaftskontakte und -beteiligung zu entwickeln. Konkretes Engagement im Quartier und die Kommunikation mit den Anwohner*innen kann die öffentliche Akzeptanz von DKR in ihrem unmittelbaren Umfeld verbessern und einen unterstützenden Faktor für ihre erfolgreiche Arbeit darstellen. Viele bestehende DKR und andere Einrichtungen zur Schadensminderung haben solche Strategien zur Einbeziehung der Nachbarschaft entwickelt und können Beispiele für gute Praxis liefern. Diese Strategien sollten von den Gemeinden in Betracht gezogen werden, wenn sie neue Dienstleistungen aufbauen wollen.

40. Die US-amerikanische Initiative Changing the Narrative hat eine Webseite mit nützlichen Informationen über eine solche Sprache.

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

Es ist von größter Bedeutung, den Implementierungsprozess transparent zu halten, um Missverständnisse und Misstrauen unter den Menschen, die in der Nähe eines DKR leben und arbeiten, zu vermeiden. Die Standortwahl sollte offen diskutiert und das Für und Wider offen kommuniziert werden. Polizei, Nachbarschaft, Ladenbesitzer*innen und andere relevante Akteure sollten so früh wie möglich in den Planungsprozess einbezogen und über die Einrichtung und die gesundheitlichen Bedürfnisse der Drogenkonsumierenden informiert werden. Die folgenden spezifischen Maßnahmen werden empfohlen:

 Die DKR sollten sich aktiv um die Beteiligung der Nachbarschaft bemühen, um Sicherheit und Hygiene zu gewährleisten und die öffentlichen Beeinträchtigungen in der Umgebung zu begrenzen. Einfache Maßnahmen zur Bekämpfung von Unsicherheit, Hygienemängeln und öffentlichen Beeinträchtigungen können in der Gemeinde Resonanz finden und zu einer besseren Akzeptanz der Einrichtung führen.

 Die Einrichtung einer Nachbarschaftskommission in unmittelbarer Nähe der Einrichtung ist ratsam. Die Rolle einer solchen Kommission besteht darin, die effektive Beteiligung der Anwohner*innen in allen Angelegenheiten der DKR zu ermöglichen. Typischerweise bestehen solche Kommissionen aus Personal der Einrichtung selbst, politisch Verantwortlichen (Stadt, Ortsverein etc.), lokalen Gesundheits- und Sicherheitsbehörden, Anwohner*innen und Unternehmen und Polizeikräften.

 Weitere Maßnahmen zur Nachbarschaftsbeteiligung, die auf eine höhere Akzeptanz eines DKR abzielen, könnten sein: regelmäßige Straßenbeobachtung und Nachbarschaftskontrollen (Patrouillen in den Straßen rund um die Einrichtung und Katalogisierung der möglichen Maßnahmen zur Begrenzung der öffentlichen Belästigung), regelmäßiges Reinigen der Straßen rund um den DKR (Aufsammeln von Drogen- und Alkoholutensilien), regelmäßiger Informationsaustausch zwischen dem DKR und der Anwohnerschaft (Treffen, Verteilen von Flugblättern, Flyern und Newslettern, um über das Programm, die Entwicklung und die Aktivitäten des Konsumraums zu informieren), Transparenz, Politik der offenen Tür

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und Teilnahme am sozialen Leben der Nachbarschaft (Politik der offenen Tür, Sozialclub der Nachbarschaft, spezifische Gruppenaktivitäten, die nicht speziell den Besuchern des DKR gewidmet sind, Beschwerde-Hotline der Nachbarschaft usw.).

 Sobald ein DKR eingerichtet ist, können Tage der offenen Tür und eine Notfalltelefonnummer (Beispiel: Essen/Deutschland) dazu beitragen, die Menschen zu informieren und Ängste abzubauen. Ängste müssen ernst genommen werden, unabhängig davon, woher sie kommen oder wie unbegründet sie erscheinen mögen. Nadeln, Spritzen und andere Utensilien des Drogenkonsums müssen jederzeit in der Umgebung des DKR eingesammelt werden. Herumliegende Drogenutensilien im Umkreis der Einrichtung sind die häufigste Ursache für Belästigung und Ärger.

Überwachung von Belästigung und Sauberkeit in der unmittelbaren Umgebung eines DKR

>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>> Belästigung und Verunreinigung durch Abfall in der Nähe von DKR gehören zu den häufigsten Ursachen für Konflikte im Zusammenhang mit solchen Einrichtungen. In vielen Kommunen mit innerstädtischen Konsumeinrichtungen haben private Initiativen die Verunreinigungen und den Müll im Umkreis der Einrichtungen dazu genutzt, um für eine Schließung oder Verlegung von Einrichtungen zu argumentieren. Ob solche Argumente ein tatsächliches Problem widerspiegeln oder nicht, sie sollten in jedem Fall ernst genommen werden. Um auf Kritik dieser Art zu reagieren, müssen die Träger-Organisation der Einrichtung sowie die lokalen Gesundheitsverwaltungen die Bedenken und Ängste seitens der Nachbarschaft, Polizei, Politik oder anderer Betroffener ernst nehmen und Verantwortung dafür übernehmen, diese auszuräumen. Eine proaktive Reaktion auf Kritik ist z. B. die kontinuierliche Überwachung von Belästigungen und Abfallverschmutzung im Umfeld der Einrichtung.

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

Dazu gibt es folgende spezifische Empfehlungen:

 Die Zahl der eingesammelten gebrauchten Nadeln und Spritzen und anderer Drogenutensilien sollte dokumentiert werden. Warteschlangen vor der Einrichtung sollten vermieden oder in friedliche Bahnen gelenkt werden und Beschwerde-Anrufe aus der Nachbarschaft zeitnah bearbeitet werden.41

 Eine ständige Arbeitsgruppe (siehe oben) sollte die Jahresberichte der Einrichtung in der Nachbarschaft vorstellen. Ein solcher Bericht ist ein gutes Monitoring-Instrument und eine Chance, die Angebote der Einrichtung kontinuierlich zu verbessern. Er bietet auch die Möglichkeit, eine Veranstaltung zu organisieren, bei welcher der Bericht der interessierten Öffentlichkeit vorgestellt wird, um sich anschließend mit allen auszutauschen, die sich informieren wollen.

 Infobroschüren können ein hilfreiches Instrument sein, um über durchgeführte Überwachungsmaßnahmen zu informieren und die Aktivitäten der Einrichtungen zu präsentieren, die der Sauberkeit und Ruhe in der Nachbarschaft dienen. Darüber hinaus können sie allgemeine Informationen über den öffentlichen Drogenkonsum enthalten und über die positiven Auswirkungen der Konsumeinrichtungen, etwa in dem sie zeigen, wie Risiken, die der Konsum in der Öffentlichkeit für die PWUD und die Allgemeinheit mit sich bringt, durch Einrichtungen zur Schadensminderung eingedämmt werden.

 Beziehen Sie die PWUDs in solche Überwachungsmaßnahmen ein. Ihr Engagement ermöglicht positive Begegnungen mit der Anwohnerschaft und kann dazu beitragen, die Stigmatisierung zu reduzieren und eine konstruktive Interaktion zu fördern.

41. In Essen (Deutschland) entwickelte die NRO Suchthilfe direkt ein Modell, das die tägliche Säuberung der unmittelbaren Umgebung eines Konsumraums und eine Notfallhotline für die lokale Nachbarschaft umfasst, damit Beschwerden gesammelt und beantwortet werden können. Die Nachbarn haben so das Gefühl, dass sie ausgebildete Personen anrufen können, die sofort Nadeln oder Spritzen oder andere Drogenutensilien abholen. Siehe auch Übersicht in Teil 2.

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Monitoring und Evaluierung

>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>> Professionelles Monitoring und Evaluierung sind der Schlüssel für die Bereitstellung erfolgreicher Angebote zur Schadensminderung und von DKR, die den Bedürfnissen auf lokaler Ebene entsprechen. Wie in einem früheren Abschnitt dieser Empfehlungen beschrieben, ist eine solide Bedarfsanalyse und Diagnostik zum Verständnis der lokalen Bedarfe und Ressourcen ebenso unerlässlich wie eine wissenschaftliche Unterstützung und Begleitung der bestehenden Dienste. Teil 3 dieses Leitfadens berichtet über die Entwicklung eines Bewertungsinstruments im Rahmen des SOLIDIFY-Projekts sowie über die in den Projektstädten durchgeführten Analysen. Er enthält das Bewertungswerkzeug selbst und die Links zu den Online-Checklisten im PDF-Format, die alle lokale Behörden und NROs bei ihren Bemühungen dabei unterstützen können, die Funktionsweise des DKR in ihrem Stadtgebiet zu bewerten. Efus hofft, dass sie für lokale Fachleute nützlich sein können, um partizipative Bewertungsprozesse zu gestalten oder eine Selbstevaluierung durchzuführen. Die folgenden Empfehlungen wurden aus diesem Prozess abgeleitet:

 Die Analysen sollten Parameter umfassen, die zum Verständnis der Auswirkungen der DKR auf die öffentliche Gesundheit und Sicherheit sowie den sozialen Zusammenhalt hinweisen.

 Während die Monitoring- und Evaluierungsaktivitäten wissenschaftlichen Standards folgen, sollten sie auch den lokalen Bedürfnissen und Ressourcen angepasst werden, die Behörden und Gesundheitsdienste diesen Aufgaben zuweisen können. Insbesondere müssen sie so konzipiert sein, dass sich das Personal vor Ort auf seine operativen Aufgaben konzentrieren kann und gleichzeitig das Monitoring durchführt.

 Evaluierungen bestehender Dienste und Projekte der Schadensminderung sollten regelmäßig auf Grundlage neuer Erkenntnisse und Beweise durchgeführt werden. Die Ergebnisse dieser Evaluierungen sollten der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

 Nationale Regierungen, regionale und lokale Behörden und die NROs selbst müssen mehr Ressourcen investieren, um ihr Personal für Monitoring und Evaluierung zu schulen und fortzubilden und um die Evaluierungskultur in Europa zu verbessern.

 Die Evaluierungen sollten eine Bewertung mit den einschlägigen Qualitätsstandards, insbesondere den EQUS-Standards und den „Schlussfolgerungen des Rates zur Umsetzung des EU-Drogenaktionsplans 2013-2016, die Mindestqualitätsstandards bei der Reduzierung der Drogennachfrage in der Europäischen Union betreffend“ umfassen. Sie sollten mögliche Hindernisse für die Einbeziehung dieser Standards ermitteln und den potenziellen Bedarf an Schulungen für das Personal und die in solchen Einrichtungen tätigen Freiwilligen bewerten.

Schlussfolgerungen >>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>> Das SOLIDIFY-Projekt wurde als Fortsetzung der langjährigen Arbeit und des Engagements von Efus zur Förderung einer ausgewogenen, auf Menschenrechten basierenden Drogenpolitik konzipiert und durchgeführt. Mit SOLIDIFY beschlossen Efus und die Projektbeteiligten, sich auf die Schadensminderung als Schlüsselaspekt zu konzentrieren – insbesondere auf beaufsichtigte Drogenkonsumeinrichtungen als konkrete Maßnahme und Antwort auf lokale Drogenprobleme. In den vorangegangenen Teilen dieses Leitfadens wurden die wichtigsten Herausforderungen im Zusammenhang mit der Einrichtung von DKR auf lokaler Ebene dargelegt und Wege zu deren Bewältigung aufgezeigt. Er erläutert den relevanten politischen Rahmen in der EU, informiert über Ziele und DKR als Schlüsselinstrument für einen umfassenden lokalen Ansatz der Schadensminderung und skizziert ihre Auswirkungen auf die städtische Sicherheit und den sozialen Zusammenhalt (Teil 1). In dieser Publikation sind elf Praxisblätter zusammengestellt, die praktische Einblicke in die Erfahrungen der SOLIDIFY-Partnergemeinden bei der Einrichtung und Durchführung von DKR geben (Teil 2). Darüber hinaus bietet der Leitfaden ein praktisches Analyseinstrument, das die Städte bei der Beurteilung ihrer Bedürfnisse und hinsichtlich der möglichen Planung eines DKR unterstützen soll (Teil 3). Und schließlich enthält er Empfehlungen, wie Kommunen erfolgreicher auf eine Implementierung von DKR auf lokaler Ebene hinarbeiten können (Teil 4). In diesen vier Abschnitten werden das Wissen und die Erkenntnisse aus dem Projekt SOLIDIFY, das von Januar 2018 bis März 2020 lief, zusammengeführt. Die Erfahrung dieses europäischen Kooperationsprojekts führt uns zu folgenden Schlussfolgerungen und Ausblicken: SOLIDIFY hat zum einen gezeigt, dass die Kommunen eine führende Rolle bei der Umsetzung der Drogenpolitik, der Schadensminimierung und der Bereitstellung von DKR in ganz

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

Europa spielen. Die Entwicklung, die in diesem Politikbereich seit den 1980er Jahren stattfindet, zeigt, dass die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften an vorderster Front der Drogenpolitik stehen, indem sie die Bedürfnisse ermitteln und innovative Antworten konzipieren und umsetzen. Aber insbesondere im Hinblick auf die Schadensminderung und die Bereitstellung gezielter und evidenzbasierter Dienstleistungen, wie die DKR es sind, haben sie dies oft unter ungünstigen rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen getan. Tatsächlich haben die nationalen und europäischen politischen Rahmenbedingungen ihre Arbeit oft behindert und stellen in einigen Fällen immer noch erhebliche Hindernisse dar. Die Akteure auf lokaler Ebene fordern daher, dass nationale Regierungen und supranationale Organisationen die Gesetzgebung und Politiken entsprechend anpassen, um Schadensminderung und DKR möglich zu machen. Zumal diese erwiesenermaßen positiven Auswirkungen auf die urbane Sicherheit, den sozialen Zusammenhalt und die öffentliche Gesundheit gezeigt haben. Zum anderen hat das Projekt einen großen Bedarf und eine große Nachfrage nach Maßnahmen zum Aufbau von Kapazitäten für eine bessere Integration von öffentlicher Gesundheit und städtischer Sicherheit aufgezeigt. Für die erfolgreiche Durchführung und Unterstützung der DKR und der Schadensminderungspolitik im Allgemeinen sind Beiträge eines breiten Spektrums an Fachleuten erforderlich. Lokale Verantwortliche, Sicherheitsfachleute und Strafverfolgungsbehörden, Ärzt*innen, Krankenpfleger*innen und andere Fachkräfte des Gesundheitswesens, Sozialarbeiter*innen, Wissenschaftler*innen aus den Bereichen öffentliche Gesundheit, Sozialwissenschaft, Kriminologie und Suchtkrankheiten, Organisatoren der Zivilgesellschaft, Geschäftsleute, Anwohnerverbände und viele andere Akteure spielen hierbei eine wichtige Rolle. Die erfolgreiche Zusammenarbeit dieser sehr unterschiedlichen Akteure muss aktiv gesucht und gefördert werden. Der Aufbau einer lokalen Partnerschaft birgt Möglichkeiten der Verständigung, des gegenseitigen Verständnisses für unterschiedliche Perspektiven und des gegenseitigen Lernens. Runde Tische, Nachbarschaftskomitees, interprofessionelle Schulungen und Workshops können gute Maßnahmen sein, um eine solche Zusammenarbeit zu fördern und eine gemeinsame professionelle Kultur der Schadensminderung zu schaffen.

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Drittens sind der europäische Wissenstransfer und die Unterstützung durch Fachleute von entscheidender Bedeutung, um die Bemühungen der lokalen Behörden weiter zu fördern. Die europäischen lokalen und regionalen Gebietskörperschaften haben die Notwendigkeit erkannt, den Dialog und den Wissenstransfer unter Gleichgesinnten, aber auch mit der Forschung und den zuständigen Institutionen auf nationaler und europäischer Ebene zu verstärken. Die politischen Entscheidungsträger*innen auf europäischer und nationaler Ebene sind sich bewusst, dass Städte und Regionen Schlüsselakteure in der Drogenpolitik sind und dass ohne ihre enge Zusammenarbeit die Realisierung der europäischen drogenpolitischen Rahmenbedingungen unvollständig wäre. Von Städten initiierte Projekte und Netzwerke sowie deren Netzwerke zur Drogenpolitik und zu angrenzenden Themen, wie z. B. SOLIDIFY und viele andere42, zeigen die Notwendigkeit und Effizienz von Multi-Stakeholder-Netzwerken und des Austauschs im Hinblick auf europäische und internationale Rahmenbedingungen. Viele Kommunen sind an mehreren städtischen Initiativen und Netzwerken beteiligt, die für die Drogenpolitik und Schadensminderung auf europäischer und internationaler Ebene relevant sind. Diese Initiativen sollten sicherstellen, dass sie miteinander kommunizieren und sich gegenseitig in ihrer Arbeit unterstützen, indem sie Wissen austauschen und Synergien nutzen, wo immer dies möglich ist. Schließlich hat dieses Projekt gezeigt, wie wichtig es ist, Aspekte der öffentlichen Gesundheit und der städtischen Sicherheit in Strategien zur Schadensminderung zu kombinieren. Die Eindämmung öffentlicher Beeinträchtigung und der Wahrnehmung von Unsicherheiten im Zusammenhang mit dem öffentlichen Drogenkonsum geht Hand in Hand mit der Unterstützung der am stärksten gefährdeten Bevölkerungsgruppe der PWUD, indem ihnen ein sicheres, hygienisches und überwachtes Umfeld für den Drogenkonsum geboten wird. Um eine integrierte Schadensminderungsstrategie zu entwickeln und aufrechtzuerhalten, ist es notwendig, die lokalen Kapazitäten zu stärken, um Behörden-Kooperation und eine starke Koordination und Kommunikation zwischen den Trägern von Gesundheits- und Sozialdiensten einerseits und den Strafverfolgungsbehörden andererseits zu fördern. 42. Wie z. B. die Democracy, Cities and Drugs Projekte, die European Cities on Drug Policy, die EuroCities Arbeitsgruppe zum Substanzmissbrauch, die Fast Track Cities Initiative, European Cities against Drugs etc.

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

Ressourcen-Leitfaden >>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>> Die Antwort der EU auf Drogen Europäische Kommission, Generaldirektion für Migration und Inneres Die EU-Drogenstrategie 2013-2020 und der Aktionsplan 2017-2020, der auf dem vorangegangenen Vierjahresplan (2013-2016) aufbaut, skizzieren den Ansatz der Europäischen Union zur Entwicklung einer nachhaltigen Drogenpolitik. Die in der (nicht verbindlichen) Strategie identifizierten Schlüsselprioritäten sind maßgeblich für die Ausarbeitung vieler nationaler Drogenpolitiken und die Entwicklung von Aufgaben und Projekten durch andere EU-Agenturen. Die EU-Drogenstrategie ist in zwei Hauptpolitikbereiche – Reduzierung der Drogennachfrage und Reduzierung des Drogenangebots – und drei Querschnittsthemen gegliedert: Koordinierung, internationale Zusammenarbeit und Information, Forschung, Überwachung und Evaluierung. Die Schadensminderung ist eine Komponente der Reduzierung der Drogennachfrage und wurde in der Reaktion der EU auf Drogen zunehmend betont.

Führungs- und Koordinationsprozesse zusammen. Der Leitfaden enthält Informationen über die Durchführung lokaler Bedarfsanalysen und die anschließende Erstellung lokaler Strategien. Ein letztes Kapitel konzentriert sich auf die Bewertung lokaler Initiativen.

Co-operation and Community Consensus – The Multi-Agency Approach to Effective Local Drug Policies European Cities on Drug Policy (Susanne Schardt, 2001) Dieser Bericht über die behördenübergreifende Zusammenarbeit im Bereich der lokalen Drogenpolitik basiert auf der Überzeugung, dass Kommunen gegenseitig von ihrem Fachwissen und ihren Erfahrungen profitieren sollten, um neue Strategien zu entwickeln. Er untersucht die Komponenten des behördenübergreifenden Ansatzes und wie man die Effizienz der gemeinsamen Arbeit der am Prozess beteiligten Behörden bewerten kann. Er skizziert eine Reihe von Indikatoren für eine wirksame lokale Drogenpolitik und erläutert die praktischen Aspekte des Ansatzes anhand von vier Fallstudien in Plymouth, Frankfurt, Bristol und Halle.

Produire un diagnostic partagé du territoire. À la recherche de la cohésion sociale Gregor Stangherlin, 2018

Drug use, front line services and local policies. Guidelines for elected officials at the local level European Forum for Urban Security, 2008 Der Schwerpunkt dieses Leitfadens für politisch Verantwortliche liegt auf der Schadensminderung und einem integrierten Ansatz, der die Politik der öffentlichen Gesundheit und der städtischen Sicherheit miteinander verbindet. Die Publikation fördert Partnerschaften und experimentelle und partizipativ ausgehandelte lokale Initiativen. Sie stellt Informationen über die Rolle und die Bedeutung lokaler Mandatsträger*innen, die Bedeutung des Aufbaus von Partnerschaften, die Identifizierung von Interessengruppen und die Umsetzung effizienter

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Diese Publikation untersucht die Komponenten – und die notwendigen Schritte –, die einer Analyse lokaler Gegebenheiten zugrunde liegen, die für die Schaffung neuer und auf die identifizierten Bedürfnisse hin abgestimmten Initiativen notwendig ist. Die Publikation legt besonderen Wert auf die Ausarbeitung von Analysen, die Interessenvertreter*innen einbezieht, die an sozialen Innovationsprojekten beteiligt werden sollen. Der thematische Schwerpunkt liegt auf dem sozialen Zusammenhalt, der im ersten Kapitel definiert wird. Im zweiten Kapitel wird der am besten geeignete Rahmen für einen partizipativen lokalen Bewertungsprozess untersucht. Das dritte und letzte Kapitel behandelt die verschiedenen Phasen eines solchen Prozesses.

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

Methods and Tools for a Strategic Approach to Urban Security

Faire accepter les lieux de réduction des risques. Un enjeu quotidien

European Forum for Urban Security, 2016

Gwenola Le Naour, Chloé Hamant und Nadine ChamardCoquaz, 2014

Dieser Leitfaden soll lokale Entscheidungsträger*innen und Fachleute bei der Bewertung und Aktualisierung ihrer Sicherheitspolitik anhand zuverlässiger Informationen und Daten unterstützen. Er betont die zentrale Bedeutung lokaler Sicherheitsaudits im strategischen Ansatz für die städtische Sicherheit und basiert auf dem Verständnis, dass städtische Sicherheitsstrategien nur dann effizient sein können, wenn die Maßnahmen auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen und auf die lokalen Bedürfnisse und Prioritäten abgestimmt sind. Der erste Teil erklärt die Bedeutung des strategischen Ansatzes für die städtische Sicherheit und warum ein lokales Sicherheitsaudit im Mittelpunkt steht. Es wird erklärt, wie diese Bemühungen gehandhabt und aufrechterhalten werden können und was einige der aktuellen Herausforderungen sind, bevor auf die verschiedenen Umsetzungsmethoden und -instrumente eingegangen wird.

Diese Studie befasst sich mit dem aktuellen Stand der Schadensminderungsstrategien, insbesondere mit Einrichtungen zur Schadensminderung und der Frage, wie ihre Akzeptanz erhöht werden kann. Aktionen zur Schadensminderung treffen häufig auf lokalen Widerstand, insbesondere wenn sie in Form von physischen Räumen wie Alkohol-Toleranzräumen, beaufsichtigten Drogenkonsumräumen oder temporären Wohneinrichtungen durchgeführt werden. Der Bericht bietet einen Literaturüberblick zu diesem Thema, legt die Ergebnisse der Konsultationen mit Einrichtungen zur Schadensminderung in Frankreich offen und gibt Empfehlungen, wie die Akzeptanz der Letzteren erhöht werden kann.

Drug consumption rooms: an overview of provision and evidence Guidance on Local Safety Audits. A Compendium of International Practice European Forum for Urban Security, 2007 In diesem Leitfaden wird die Praxis der lokalen Sicherheitsaudits sehr detailliert untersucht. Er ist in drei Hauptteile gegliedert, die Informationen über erstens den allgemeinen Sicherheitsauditprozess, zweitens spezifische Fragen für die Auditteams und drittens Quellen, Techniken und Werkzeuge zusammenfassen. Der erste Teil befasst sich mit dem breiteren Kontext von Sicherheitsaudits und wie man sich auf diese vorbereitet. Vier Phasen der Auditdurchführung werden erläutert sowie die Frage, warum der partizipative Ansatz wichtig ist. Im zweiten Teil wird gezeigt, wie Auditteams Audits auf der Grundlage spezifischer thematischer Fragen operationalisieren können, und im dritten Teil wird der Prozess der Sammlung und Nutzung verschiedener Arten von Informationen und Daten umrissen.

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European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction, 2018 Dieser von der EBDD erstellte Bericht gibt einen hilfreichen Überblick über die Drogenkonsumräume in Europa, ihre Geschichte und Entwicklung, einschließlich einer Liste der Länder, die einen oder mehrere DKRs aufweisen, ihre Hauptmerkmale und die vorhandene Forschung zu ihrer Wirksamkeit. Der Bericht betont die Rolle der Einrichtungen bei der Bereitstellung niedrigschwelliger Hilfsangebote und der Ermittlung neuer Tendenzen bei den Drogenkonsummustern.

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

Changing the Narrative

Safer Drinking Scenes. Alcohol, City and Nightlife

Health in Justice Action Lab, Northeastern University School of Law

Europäisches Form für städtische Sicherheit, 2013

Changing the Narrative ist eine Plattform von Journalist*innen, Forscher*innen und Aktivist*innen, die negative und schädliche Erzählungen über Drogenkonsumierende und Drogensucht dekonstruieren wollen. Sie bieten Informationen zu Themen wie Schadensminderung oder überwachte Konsumeinrichtungen und identifizieren stigmatisierende Sprache und Bilder, die die Darstellung des Themas verzerren. Sie bieten Beispiele für stigmatisierende Erzählungen, Vorschläge zu deren Verbesserung und einen „Styleguide“ mit einer Liste von Empfehlungen.

Manifest: Security, Democracy and Cities – Co-producing Urban Security Policies Europäisches Form für städtische Sicherheit, 2018 Das Manifest Sicherheit, Demokratie und Städte - Gemeinsame Produktion von Politiken zur städtischen Sicherheit wurde am Ende der gleichnamigen Konferenz verabschiedet, die vom Europäischen Forum für städtische Sicherheit (Efus), der Stadt Barcelona und der Regierung Kataloniens am 15. und 17. November 2017 in Barcelona organisiert wurde. Es legt die politischen Grundsätze der Arbeit von Efus dar und formuliert Empfehlungen zu zwölf Schlüsselthemen der städtischen Sicherheitspolitik, darunter die lokale Drogen- und Suchtpolitik.

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Nachts wird der öffentliche Raum manchmal zu einem Treffpunkt für Jugendliche, die (oft) übermäßig viel Alkohol konsumieren. Die lokalen Behörden stehen vor einer Reihe von Fragen: Wie lassen sich die verschiedenen Nutzungen der Stadt in der Nacht miteinander vereinbaren? Wie kann man mit den gesundheitlichen, persönlichen und materiellen Effekten übermäßigen Alkoholkonsums umgehen und Schäden vorbeugen? Und wie organisiert man Antworten und Interessenvertretung? Ziel dieser Publikation ist es, die anstehenden Fragen zu untersuchen, bestimmte Praktiken hervorzuheben und strategische Empfehlungen zu präsentieren, die für die lokalen Behörden von Nutzen sein können.

Secucities Drugs: Pilot Training Programme on the Prevention and Treatment of Drug Dependence – For Elected Officials and Local Leaders of Small and Medium Towns Europäisches Form für städtische Sicherheit, 2001 Diese Publikation, die sich an lokale Mandatsträger*innen und Interessenvertretungen richtet, soll ein Schulungshandbuch zur Drogenprävention sein, das auf den Erfahrungen einer Reihe von europäischen Kommunen basiert. Sie wurde im Rahmen des von der Europäischen Kommission unterstützten Drogenprojekts SecuCities realisiert, dessen Ziel es war, „ein Netzwerk kleiner und mittlerer europäischer Städte zu initiieren, die gemeinsam an der Ausbildung lokal Verantwortlicher und Interessenvertretungen in der Suchtprävention und -behandlung arbeiten“.

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

Resolution on a Local Drug Policy based on the Principles of Harm Reduction and Non-Discrimination, and in Line with the EU Drugs Strategy

Feasibility study on drug consumption rooms in Belgium. A study commissioned by the Belgian Science Policy Office (DRUGROOM Report)

Europäisches Form für städtische Sicherheit, 2018

Freya Vander Laenen, Pablo Nicaise, Tom Decorte, Jessica De Maeyer, Brice De Ruyver, Pierre Smith, Laurens van Puyenbroeck, Louis Favril, 2018

In diesem Text setzt sich Efus für betreute Drogenkonsum-Einrichtungen ein, die bereits in mehreren europäischen Ländern vielversprechende Ergebnisse gebracht haben. Diese Programme basieren auf einer Strategie der Schadensminderung, wie sie von Efus befürwortet wird, und fördern eine Drogenpolitik, die auf einem ausgewogenen Ansatz zwischen Prävention, Repression und sozialem Zusammenhalt beruht, sowie auf „einer soliden Zusammenarbeit zwischen der lokalen, regionalen, nationalen und internationalen Regierungsebene sowie den Strafverfolgungsbehörden und der Zivilgesellschaft“. Ein solcher Ansatz sollte „versuchen, die Drogennachfrage und das Drogenangebot zu reduzieren und gleichzeitig den Schaden zu verringern, den der Verkehr und der Konsum unseren Gesellschaften zufügen“. Die Resolution wurde vom Exekutivausschuss von Efus auf seiner Sitzung in Amiens im November 2018 angenommen.

Democracy, Cities and Drugs Resolution Europäisches Form für städtische Sicherheit, 2011

Das Ziel dieser Machbarkeitsstudie war es, (rechtliche) Voraussetzungen, Design und operationelle Überlegungen zu identifizieren, die es ermöglichen würden, DKR als Teil lokaler Schadensminderungsstrategien in den folgenden fünf belgischen Städten zu etablieren: Gent, Antwerpen, Brüssel, Charleroi und Lüttich. Sie bietet einen aktuellen Überblick über die Wirksamkeit, die Modelle und die Barrieren von Konsumeinrichtungen weltweit, mit besonderem Augenmerk auf DKR in den vier Nachbarländern Belgiens. Sie analysiert den rechtlichen Rahmen für die Einrichtung eines Konsumraums, wie er in Belgien etabliert werden könnte, und führt eine Machbarkeitsstudie mit lokalen Interessenvertretungen und PWUD aus jeder der fünf Städte durch. Sie formuliert achtzehn Empfehlungen, die speziell auf den belgischen Kontext zugeschnitten sind, und benennt neben wesentlichen Voraussetzungen (einschließlich der rechtlichen Optionen) und den wichtigsten Überlegungen auch den Implementierungsprozess der Einrichtung sowie dessen Monitoring und Evaluierung.

Diese Resolution wurde auf der Abschlusskonferenz des Projekts Democracy, Cities & Drugs in Wien verabschiedet. Sie formuliert den ausgewogenen Ansatz von Efus in der lokalen Drogenpolitik und definiert acht Prinzipien. Sie fordert unter anderem eine klarere Ausrichtung von repressiven Maßnahmen im Bezug auf den internationalen Drogenhandel, Therapie als wirksame Alternative zur Kriminalisierung sowie die Entwicklung gezielter präventiver und therapeutischer Maßnahmen für Frauen und andere gefährdete Gruppen.

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Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen

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SOLIDIFY Verstärkung der Strategien zur Schadensminderung auf lokaler Ebene – die Rolle von Drogenkonsumräumen Viele europäische Städte sind mit Drogenkonsum und -handel im öffentlichen Raum konfrontiert. Drogenkonsumräume (DKR) können ein Instrument sein, um den Drogenkonsum im öffentlichen Raum zu reduzieren, die durch Drogen und Sucht verursachten Schäden in den Kommunen zu verringern und die damit verbundenen Herausforderungen für die urbane Sicherheit zu mildern. Doch wie sollten solche Einrichtungen geplant und betrieben werden, um ihre Akzeptanz bei den Anwohner*innen zu gewährleisten und den Bedürfnissen ihrer Nutzer*innen zu entsprechen? Diese Publikation untersucht DKR als eine Möglichkeit, die öffentliche Sicherheit und den sozialen Zusammenhalt in Europa zu fördern. Sie gibt einen Überblick über die Ansätze europäischer Kommunen zur Umsetzung von DKR bei der Stärkung ihrer lokalen Strategien zur Schadensminderung und zur Förderung der urbanen Sicherheit. Sie sammelt Praxisbeispiele, bietet ein Instrument zur Evaluierung der sicherheitsrelevanten Effekte von DKR sowie ihrer lokalen Integration, und liefert Praktiker*innen und politischen Entscheidungsträger*innen Argumente und Empfehlungen für die Einrichtung von DKR auf lokaler Ebene.

efus.eu


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