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Kicker-Träume und solide Ausbildung

Für den Fußballmanager Andreas Rettig waren Kicker-Träume nie alles im Leben

Seine Karrierestationen lesen sich wie das große Einmaleins im deutschen Profifußball: Er war Manager bei mehreren Bundesligavereinen, hat sich bei der Deutschen Fußball Liga DFL und später beim Kultverein FC St. Pauli um die Führung der Geschäfte gekümmert, und er hat sogar als Spieler mal ein „Tor des Monats“ mit einer Traumflanke vorbereitet. Keine Frage, Andreas Rettig kennt sich aus in der großen Fußballwelt. Aber er weiß auch wie kaum ein anderer, wie wichtig neben der Treffsicherheit auf dem Platz eine solide berufliche Ausbildung ist. Im Interview hat er uns mehr dazu erzählt.

Herr Rettig, Sie waren als junger Mann selbst Fußballer und haben beim Wuppertaler SV sogar ein Tor des Monats mit einer Flanke eingeleitet. Wie war das damals in der Oberliga, die heute dritte Liga heißt? Träumt man als junger Kicker von Ruhm und Reichtum, oder denkt man da auch an die Zeit nach der Karriere und den Beruf?

Ja, ja, das Tor des Monats 1985. Da waren die Fußbälle noch aus Leder! Natürlich träumt man als junger Spieler von einer großen Karriere als Profi. Aber durch eine schwere Knieverletzung früh in meiner Laufbahn musste ich mich schnell mit dem realen Leben auseinandersetzen.

Sie haben in den Achtzigern eine kaufmännische Lehre gemacht. Grundsolide also. Steht die duale Ausbildung Ihrer Meinung nach heute noch immer für so eine solide Stabilität wie damals? Was würden Sie anders machen, wenn Sie heute vor der Berufswahl stünden?

Ich bin bei Bayer Leverkusen im Konzern groß geworden und habe immer parallel zum Kicken meine Berufsausbildung konsequent verfolgt. Es war eine tolle Zeit, sowohl während der zweieinhalbjährigen Ausbildung zum Industriekaufmann als auch in der abschließenden zweijährigen Fortbildung zum Wirtschaftsassistenten. Die Verknüpfung von Betrieb und Berufsschule war jedenfalls Gold wert, und ich halte sie für eminent wichtig und zielführend. Bis heute. Übrigens habe ich aus dieser Schul- und Lehrzeit bei Bayer Kontakte, die bis heute überdauert haben!

Sie waren einige Jahre in Freiburg tätig. Der Verein gilt als vorbildlich in Sachen Bildungsarbeit für seine Nachwuchsspieler. Haben die Vereine alle mittlerweile die Bedeutung von Bildung für Nachwuchsspieler verstanden? Und überhaupt: Warum ist das Thema so wichtig für junge Kicker?

Das Kreuzband ist schnell gerissen und das Schienbein schnell gebrochen. Die Clubs haben da eine Verantwortung für ihre Nachwuchsspieler. Sowohl in der Persönlichkeitsentwicklung als auch dabei, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass der Traumberuf und die damit verbundenen Einkommensmöglichkeiten nur wenig mit dem späteren realen Leben zu tun haben. Hier dürfen wir keine Traumtänzereien zulassen. Das Leben jenseits der sportlichen Karriere ist noch lang.

Sie haben 2016 den Chefposten bei der DFL gegen die kaufmännische Führung des Zweitligisten FC St. Pauli eingetauscht. In einer Welt, in der alle immer nach mehr und größeren Karriereschritten schauen, klingt das nach

einem ungewöhnlichen Schritt. Was war Ihr Antrieb damals? Was kann man daraus vielleicht generell auf Themen wie Beruf und Karriere ableiten?

Ab einem gewissen Punkt spielt das Erklimmen der nächsten Karrierestufe nicht mehr die entscheidende Rolle. Ebenso wenig wie finanzielle Anreize. Das verlagert sich alles mehr in Richtung Job-Zufriedenheit und die Antwort auf die Frage, welche Menschen man um sich herum haben möchte. Man stellt vermehrt die Frage nach dem „Purpose“, der Bestimmung also. Zumindest bei mir war das so.

Sie haben die große Fußballbühne vor zwei Jahren verlassen, sind aber nach wie vor sehr gefragt, wenn es um Einschätzungen zur aktuellen Lage im Fußball geht. Was machen Sie mittlerweile beruflich und warum?

Die Entscheidung, im Herbst 2019 den FC St. Pauli und diese tolle Stadt zu verlassen, ist meiner Frau und mir sehr schwer gefallen. Hauptgrund war für uns der Wunsch, sich mehr um unsere über 80-jährigen Familienmitglieder daheim in Köln kümmern zu können. Das hat jetzt Vorfahrt vor Toren und Punkten.

Ein Thema, das Sie zuletzt wiederholt erwähnt haben, ist die Nachhaltigkeit, an der es im Fußball aus Ihrer Sicht fehlt. Eine Frage des Verantwortungsbewusstseins, richtig? Auch da kann man ja durchaus Bezüge zu anderen Lebensbereichen finden: Statt auf ein fettes Gehalt oder kurzfristigen Erfolg könnten junge Menschen ja auch zuvorderst über die Nachhaltigkeit ihrer Berufswahl nachdenken. Was wäre Ihr Tipp aus Sicht eines Fußballmanagers?

Ich halte es für wichtig, dass die derzeitige Manager-Generation im Fußball davon wegkommt, nur in eigenen Vertragslaufzeiten zu denken und sich auch nur dafür verantwortlich zu zeigen. Das läuft dann so nach dem Motto „nach mir die Sintflut“. Für mich bedeutet Managementqualität aber, dass wir uns perspektivisch entbehrlich machen und stabile Strukturen schaffen können, die auch nach dem eigenen Wirken erfolgreich sein können. In der Tat stelle ich jenseits der Fußballwelt fest, dass viele junge Menschen sich bereits heute sehr am Gemeinwohl orientiert zeigen. Das ist eine großartige Entwicklung. Denn auch wenn wir Ökologie nicht gegen Ökonomie ausspielen dürfen, sollten wir sie zukünftig doch stärker gleichberechtig behandeln. Es gibt nur diese eine Erde.

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