lost
voices
Stories ***Poetry ***Interviews
*****MIRON ZOWNIR*****CARMEN HERRMANN*****JOHANNES WITEK******* ***MARCUS MOHR**JÜRGEN LANDT**MIKA NOVIKOV**THOMAS LAESSING*** *****GIGI SOMMER***SUSANNE HAUPT***VOLKER FRICK***MIKE GERECKE*** ******JOHANNES FIGHTESTÖRK***COWBOY JUNKIES***SVEN REGENER******
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What's done in the dark will be brought to the light - Johnny Cash / Traditional
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Losst Veusses SIEBEN Besetzung: Jürgen Landt Miron Zownir Carmen Herrmann Thomas Laessing Marcus Mohr Johannes Witek Susanne Haupt Mika Novikov Mike Gerecke Volker Frick Gigi Sommer Johannes Fightestörk
Rummelbummler Zwei glorreiche Halunken Bar Fehlt was Venloer Straße 354 / Goethes Erbe Der Verlauf Nicht-s-sein Zwei Quadrat mal zehn hoch neun Ein widerlicher Mensch Garagenspiel Zum Jahresanfang Eigentlich alleine im Whiskeysalon
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Interviews: Cowboy Junkies Sven Regener
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LV‘s
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Vater Unser, der du liest im Himmel. Bitte segne dieses Literatur- und Lyrikblatt.
alle Ausgaben unter www.issuu.com/elvau
Alle Rechte der hier aufgeführten Werke liegen bei den jeweiligen Autoren, Fotografen/ Künstlern. Fotos in dieser Ausgabe Miron Zownir (Titelbild, Seite 5, 30, 32) mehr Infos unter www.mironzownir.com & Susanne Haupt (Seite 9, 13, 14, 19) + Banksy
All stories, poems and pictures in this magazine are owned by the writers and artist named in this issue.
3 Verantwortlich für alles hier: Marc Mrosk, Kontakt: ElVau@gmx.de
Ruhe bitte, es geht los…
RUMMELBUMMLER von Jürgen Landt und wenn die fischverkäuferin über den ausgetrockneten salzsee segelt, und am himmel ein vom kurs abgekommener heliumballon mit kondomwerbung und einem RETTET DIE SPITZMAUS schlingert, und menschen sich scheinbar nie an bord befinden, sondern immer nur auf einem schwer erklimmbaren fünfhundert-meter-sprungturm, und wenn geschlechter sich mit mehl einstäuben und als motten nervös flatternd so tun, als wär das dasein ein lebenslanger maskenball, dann ist doch klar, daß den nachrichtensprechern verboten wird, täglich vom muttertag zu berichten. und wenn menschen, nach einem vorher bejubelten krieg, am ende wie käfer auf dem rücken liegen und die sonne anstrampeln, dann sind sie all die jahre zuvor schon verkehrt herumgelaufen. und wenn benommene steinameisen, verbrannte, abgestürzte ziegel dennoch wieder gierig blitzschnell formschön und vergeßlich schlecken, dann ist die brandmauer im weltlichen vorhandensein ein pflaster ohne klebstoff auf den bindenenden. und wenn der hahn auf dem holzklotz sitzt und das auf ihn zurasende beil anlächelt, und wenn die hühner ihm gänzlich neue hinterteile zeigen, und sie sich von den alten nur dadurch unterscheiden, daß er sie schlicht und gern vergessen hatte, dann muß er wirklich zum suppenhenker, da er auf dem dampfenden berg mist nicht mehr kräht. und wenn ein selbstgeführter bleistift das papier zerkratzt, und doch ein neuer mensch ihn wieder spitzen muß, und diskettenflundern zeigen, daß sie trotzdem nicht in nächste türme passen, und wenn ein überbleibsel stiftwurm nächstes leben so scharf ritzt, daß gespenster der realen geister-bahn schon gleich im karten-häuschen sichtbar sitzen, dann kann ein rummelbummel getrost für eine neue zeit- rechnung herhalten.
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ZWEI GLORREICHE HALUNKEN von Miron Zownir Micha fuhr aus dem Schlaf. Ihm war, als hätte er einen tödlichen Cocktail geschluckt, den ihm ein Wärter im Todestrakt eingeflößt hatte. In dieser zylinderförmigen Gaskammer, die er in seinen Träumen nicht loswerden konnte. Fast jede Nacht war er darin gefangen, winselte sinnlos um Gnade und beschuldigte Rudi. Er hatte keine Ahnung wie spät es war, aber es war noch nicht hell und die fiese Fratze des Todes war in der Dunkelheit immer noch sichtbar. Was war das wieder für eine schreckliche Nacht und wie würde sie enden? Ihm war ganz schlecht vor Angst, aber es gab keine unmittelbare Bedrohung. Er war nicht im Todestrakt und einen Todescocktail hatte er auch nicht geschluckt. Er lag in einem Motelbett in West Hollywood, in der Nähe des Sunset, neben seinem schlafenden Bruder und lebte noch. Er wusste, dass das eine stimmen musste und dass das andere eine schreckliche Vorstellung war, aber halb benommen hatte er das bedrückende Gefühl, dass beide Möglichkeiten nicht so abwegig waren. Er hatte mit seinem Bruder zusammen am 24. Dezember in der Wüste von Arizona seine geehelichte Braut getötet und wusste, dass er ganz oben auf der Liste der Tatverdächtigen stand. Er hatte ihr Leben mit vierhunderttausend Dollar versichert und den Bullen damit einen verdammt guten Grund geliefert, ihm an die Karre zu fahren. Es war nur eine 5 Frage der Zeit, bis sie sich ihn vorknüpfen würden. Er hatte noch nicht mal ein richtiges Alibi. Bis auf die Zeugenaussage seines ebenfalls unter Verdacht stehenden Bruders.
Nüchtern betrachtet gab es außer ihm keinen besseren, der für die Schandtat in Frage käme, und er suchte nach einem Glas, um diesen trostlosen Zustand zu ändern. Aber selbst nach dem Whiskey blieben die Zweifel und die Tatsache, dass es einen Mittäter gab und er das Gas nicht allein schlucken würde. Er stützte sich auf einen Ellbogen und streckte die andere Hand nach der Schulter seines schlafenden Bruders aus. »Rudi, wach auf!« »Verdammt! Lass’ mich schlafen.« »Dann schlaf doch, bis dich die Bullen aufwecken.« Rudi drehte sich um und starrte die Dunkelheit an. »Bevor sie mich holen, werden sie dich schnappen.« »Ja, vielleicht«, sagte Micha. »Aber das war deine scheiß Idee. Ohne dich wäre ich nie darauf gekommen, Cindy wie ein Schwein abzustechen.« »Was soll das heißen?«, fragte Rudi mit kehliger Stimme. »Wenn sie mich kriegen, kriegen sie uns«, sagte Micha. Rudi keuchte und kämpfte gegen das trostlose Erwachen in die Welt der Mutlosigkeit, die ihm sein Bruder aufdrängen wollte. »Du würdest mich ...« »Klar, Mann. Ich will doch nicht alleine den Sündenbock spielen.« Rudi knipste das Licht an. Sein Blick war verschleiert. »Du würdest deinen eigenen Bruder ans Messer liefern.« »Wie Kain«, sagte Micha. »Ich bin nicht der erste.« Rudi suchte sein Glas, doch es war nichts mehr drin. »Wir müssen einen finden, dem wir das anhängen können«, keuchte er düster. »Wen?« fragte Micha, wieder ganz der jüngere Bruder. »Lass’ uns die Nacht darüber schlafen, uns fällt schon was ein«, sagte Rudi. Micha lag die ganze Nacht wach, doch ihm fiel nicht viel ein und was ihm einfiel, behielt er für sich. Er war nicht so clever wie Rudi, aber er hatte ihm immerhin zu verstehen gegeben, dass er sich nicht für ihn opfern würde. Er war genau so schuldig wie er. Es war nur fair, dass er sich im Schlaf herumwälzte und Sorgen machte. Er selbst konnte auch nicht mehr schlafen, ohne das Grauen der Todeskammer zu ahnen. »Man kann, was Geschehen ist, nicht mehr rückgängig machen«, dachte er feige. »Aber man kann es so darstellen, als wäre es anders gewesen.« Als sie nach dem Frühstück den Sunset entlanggingen, gab ihm Rudi einen Zettel zu lesen. »Wieso schreibst du mir auf fucking englisch?« stöhnte Micha. »Bist du bescheuert?« »Das gibst du dem besoffenen Nigger vor der Jesus-Mission, damit er deine Nummer in Phoenix anruft.« »Und wen soll er sprechen, wenn ich nicht dort bin?« »Er soll nur auf den Anrufbeantworter quatschen.« »Was, Mann? Ich kann den Scheiß nicht mal verstehen«, sagte Micha. »Dein Englisch 6 war doch sonst nicht so gut.« »Wofür gibt es Wörterbücher?«
»Um einem besoffenen Penner einen Brief zu schreiben, den er auf meinen AB quatschen soll, um mir Dinge zu sagen, die du mir auf deutsch sagen könntest?« »Mann, bist du blöd«, stöhnte Rudi. Aber er machte sich nicht die Mühe, ihm die Situation zu erklären. Er nahm ihm den Brief aus der Hand und ging selbst zu dem Penner. Er wusste, wie man mit solchen Typen umsprang. »Ein Pechvogel, der Jesus braucht«, dachte er zynisch. »Weil ihn die Vorsehung zu einem Opfer gemacht hat. Die Ausrede jedes stinkfaulen Säufers. Von wegen ausgebeutete Masse und so. Wer seine Menschlichkeit an Bettler und Versager verschwendet, kann sich gleich in den Arsch ficken lassen.« Er rümpfte angeekelt die Nase. Der Schwarze stank schlimmer als die überquellenden Mülltonnen vor der Jesus-Mission. Er riss sich zusammen. »Twenty dollar for call«, sagte er. Der Penner musterte ihn mit tranigem Blick. »Alright?« fragte Rudi. »Sure«, sagte der Penner. »To scare a bit cause is Asshole.« »Sure«, sagte der Penner. Rudi gab ihm den Zettel und folgte ihm zu einer Telefonzelle an der Ecke Point/Settia Drive. Dann drückte er ihm den Zettel in die Hand, schob ihn in die Telefonzelle und wählte die Nummer von Michas Apartment. »Read loud und clear. Understand!« »Sure«, sagte der Penner. »When voice on machine is over you start.« »Is over«, sagte der Penner. Er wirkte perplex, bis ihm Rudi den Schein gab. Dann las er. »Hear what I have to talk. I have the throat of your wife cut through and stabbed her in the stomach and the back with a knife ... if I don’t get my stuff your girlfriend is then the next and then your brother and at the last is it you. My eyes are everywhere.« Rudi legte den Hörer auf und klopfte dem Penner anerkennend auf die staubigen Schultern. »Very good«, sagte er.
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Dann winkte er Micha zu und sah in seinen leuchtenden Augen, dass er begriffen hatte. Zwei Krauts aus Düsseldorf, denen man nicht so leicht was vormachen konnte. Und die saudummen Amis schon gar nicht. Selbst wenn es um Geld ging waren die Deutschen einen Tick besser. Und härter als die härtesten Straßennigger. »Du bist echt genial«, sagte Micha. »Hast du das endlich geschnallt«, sagte Rudi. »Ja«, sagte Micha. »Ein dreckiger Penner hat sie erstochen, aber wir kriegen die Kohle. Das muss uns erst einmal einer nachmachen, Rudi.« Und während er an all die Dinge dachte, an die er früher hätte denken sollen, ließ er sich von Rudi zu einem Drink überreden. aus PARASITEN DER OHNMACHT ©Miron Zownir/ mox & maritz Verlag, Bremen 2009
BAR (Carmen Herrmann) Aus dem Hinterhalt feuerten Musiker Jazz, sehr free, sehr großzügig, auf die paar Leute an der Theke, während der Barkeeper uns sein blondgelocktes: Ich-kann-euch-nicht-leiden! angestrengt hinhielt. Musste schwer zu tragen sein den ganzen Abend hindurch. Dann luden sie wieder ihre Kanonen mit Jazz, sehr free, sehr unüberhörbar schossen sie aus dem Nebenzimmer einem alten Mann der sich im Krieg vergessen hatte die Wörter kaputt. Der Alte konnte sich immer noch nicht vorstellen, dass das Leben weiterging da draußen, vor dieser Türe, dass es da rumlief ohne ihn zu beachten.
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FEHLT WAS von Thomas Laessing schaue und hoere musikvideos und schaue und hoere und schaue und hoere, bis was fehlt. was fehlt? ah, ja: lesen! lese und lese und lese, bis was fehlt. was fehlt? ah, ja: essen und trinken! esse und trinke und esse und trinke und esse und trinke, bis ich platze. jetzt auf die couch (die fehlt nie). jetzt einnicken. wache auf und strecke mich, stehe auf: was fehlt? richtig. nehm sie ran und sie mich und wir uns – bis nichts mehr fehlt. kurz drauf fehlt wieder was – was? ah, ja: schreiben! ich schreibe dies und schreibe das und korrigiere es, bis was fehlt. was fehlt? ah, ja: reden! ich rufe ihn an und rede mit ihr und fluestere aus dem fenster, bis ich ausgeredet bin und was fehlt. was fehlt? ah, ja: meinungsaeußerung zum weltgeschehen! ich blogge hier und maile dahin und protestiere in polit-foren und rufe den finanzminister an, bis was fehlt. was fehlt? ah, ja: meine haende und fueße wollen auch was zu tun haben: ich gehe arbeiten und komme nach hause und frage rapunzel, ob ich ihr bett machen solle. rapunzel sagt ja gerne, und ich mache ihr bett. rapunzel geht zu bett und ich sitze und rauche und trinke, bis was fehlt. was? ah, ja: der blick in den naechtlichen sternenhimmel. ich blicke in den naechtlichen sternenhimmel und blicke und blicke und rieche den nebelnassen ahorn und sehe die fledermaus ihre bahnen ziehen und rieche und schaue, bis was fehlt. kurz vor mitternacht klingelt das telefon. b. stimmbebt mir, p. sei gestorben. wir reden und reden und reden. nein, bei mir alles in ordnung. nichts fehlt.
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VENLOER STRAßE 354 (Marcus Mohr) Dieser Tag da mit Poppers & schnelllebiger Mehlschwitze inner Nase knackte lauwarme Büchsenbiere mit den Achselhöhlen auf schmiss Barbiturate Ziegelsteine Leben hin und stand am helllichten Tag mitten aufm Neumarkt heulte die quakenden Autos an und trank und rauchte und prügelte sich durch miese Kaschemmen weiter stadtauswärts Hafenmole Pier vierzehn mit dicken Augen voller kleinkarierter Zimmerdecken und trat abfuhrbereite Mülltonnen um und pisste in Briefkästen und suchte unter Schwarzlicht nach mütterlicher Pussy und palaverte gegen Marx Buddenbrooks schelmische Hausfrauen und verging sich an wasserspeiende Skulpturen inner Malt und vögelte Astlöcher quer und schiss auf Etikette kleinbürgerliche Protektion die marmornen Stufen des Bezirksrathauses und dieser Tag da endete dort wo seien wir ehrlich alles beginnt Polizeiinspektion West Köln-Ehrenfeld Venloer Straße 354 Zelle 3
GOETHES ERBE (Marcus Mohr) Tjaja, das ist so einer: steht mit Kants abendländlicher Philosophie auf, isst mit Nietzsches Erkenntnistheorie zu Mittag, verbringt den Tag mit Schopenhauers subjektiven Idealismus und geht mit Kafkas Schwindsucht zu Bett. Widerlegt alles, was du sagst. Zitiert und diffamiert und philosophiert und propagiert und seziert und argumentiert. Und ruft dich abends um halb zehn an und fragt: Sag mal, muss das Salz schon beim Kochen an die Nudeln?
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DER VERLAUF (Johannes Witek) Ich hab sie kennengelernt und wollte nichts als diese Frau, für immer. Dann sind einige Dinge passiert, zum Beispiel Seifenreste im Waschbecken und ein versifftes Geschirrtuch zum Abtrocknen. Jetzt wollte ich alle anderen Frauen, nur nicht diese eine, für immer. Nachdem wir uns getrennt hatten und ich zwei oder drei von allen anderen Frauen erlebt habe, ist mir aber plötzlich klar geworden, dass ich einen furchtbaren furchtbaren Fehler gemacht habe und dass das alles nur ein müder Abklatsch sein kann gegen die eine Frau. Ich habe ihr das gesagt, aber inzwischen hatte auch sie einen anderen Mann gefunden (einen! ANDEREN! MANN! wiekannsiewiekannsie) und wollte nicht mehr. Ich war verzweifelt und hab versucht, mich umzubringen. Es hat nicht funktioniert. Sieben Monate danach haben wir uns bei einer Feier getroffen, betrunken. Wir sind heim und hatten Sex. Es war wunderbar aber doch nicht mehr ganz dasselbe. Wir haben beide viel geweint. Ich habe erst gehofft, dann doch wieder nicht. Das ist alles so unverständlich, so furchtbar. Und es gibt keinen Ausweg, es gibt keinen. Ich schaffe das nicht. Mein Name ist Günther, ich bin 1,78 groß, wiege 85 Kilo, meine Augen sind hell und grün und das ganze Leid auf dieser Welt trage nur ich.
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NICHT-S-SEIN von Susanne Haupt Sie steht auf der Brücke. Nicht oben drauf, wie es das Klischee verlangt. Sie sieht hinauf, den Brückenlauf entlang. Wie er nach unten geht und in der langen, stark befahrenen Straße endet. Sie hat kaum noch die Möge, weiter zu gehen. Schlimm genug, dass sie sich gerade im Nimmerland befindet. Nicht mal zu irgendeiner Bank könnte sie laufen, um Geld zu holen. Dann könnte sie sich Kaugummis kaufen, oder ein Bier. Aber sie mag es nicht, alleine zu trinken. Es flößt ihr Angst ein, das zu tun. Einmal, als er wieder los musste, hat sie ihren Martini hervorgeholt und sich den Flaschenhals an ihre Lippen gesetzt. Sie hat sich vorgenommen, ihn komplett auszutrinken. Aber als er weg ist, hat er ihren Mut mitgenommen. Da hat sie sich noch mehr an ihn geklammert als an den Martini. Jetzt gerade würde sie den Martini vorziehen. Um ihn so zu verhöhnen, wie er es am Morgen getan hat. Als sie aufgewacht ist und geweint hat, weil er schon wieder nicht da war. Die Sonne hat sie wach gekitzelt, und über den Himmel zogen sich bettwäscherosafarbene Wolken. Erst hat sie gedacht, dass er sich vielleicht auf das Sofa gelegt hat, weil sie mit ihren Büchern und Notizen den Großteil des Bettes in Anspruch genommen hat. Auf dem Sofa aber lag lediglich die zusammen geknüllte Fleecedecke, die schon für eine Person viel zu klein war. Einmal hatte sie damit angefangen, ihm eine große Decke zu nähen. Damit man gemeinsam kuscheln konnte, an stürmischen Tagen, vor dem Fernseher oder bei Musik. Sie hat die Decke immer noch nicht fertig gemacht. Weniger wegen mangelnder Fähigkeiten mit Nadel und Faden, sondern wegen der Tatsache, dass ihr Herz jedes Mal aufstößt, wenn sie versucht, ihn anzusehen. Jetzt, an der Brücke, fallen ihr alle Gründe dafür wieder ein. Seine konstante Verwendung der Worte Hör auf!, wenn sie wieder falsch war und ihre Fingernägel tief in die Handinnenflächen eingrub bis sie abbrachen. So wie heute Morgen, als sie ihn angerufen hat. Schluchzend. Als ihr Herz nicht aufgestoßen, sondern auf dem Boden gelegen hat, ganz schwerfällig und weinend, wie ein kränkliches Neugeborenes. Hör auf!, hat er gesagt, und sie hat das Handy durch den Raum geschleudert, und dann ist es in drei Teile zerbrochen. Eigentlich hat sie sofort gehen wollen, aber dann hat sie noch eine geraucht und sich unter dem großen, weißen Laken gekrümmt, um den Tränen saugfähiges Material zu bieten. Acht Zigaretten lang hat sie noch auf ihn gewartet, dann hat sie ihre Sachen gepackt und ist gegangen. Ich bin weg! hat sie ihm geschrieben. Jetzt starrt sie die Brücke an und weiß nicht, was weg-Sein bedeuten kann. Vor allem, was es gerade zu bedeuten hat. Er ist der Überzeugung, dass ihre Beziehung jeden Sturm überstehen kann. Sie möchte 12 das schon lange nicht mehr.
Manchmal wäre es ihr lieber, wenn alles über ihr zusammenbrechen würde. Davon könnte sie sich erholen. Auch wenn es weh tun würde. Selbst wenn diese Brücke über ihr zusammenbrechen würde wäre das angenehmer als ein Tag mit ihm. Manchmal will sie ihn anschreien. Dass er ein Arschloch ist. Dass er ihr wehtut. Dass er sie zerschlägt. Dass er sie mit seinen Worten immer näher ans Fensterbrett treibt. Dass es so nicht weitergehen kann. Aber was hätte sie davon? Ein weiteres geplatztes Luftschloss, ein weiteres verlorenes Jahr mit jemandem, der nie das träumen wird, was sie träumt. Ein paar Scherben mehr in der Brust. Scherben, die sich zu den anderen gesellen und sich darüber unterhalten, wie naiv sie alles angegangen ist. Ich könnte nicht noch einmal vertrauen, entfährt es ihr. Als würde sie zu jemanden sprechen. Jetzt, da sie es laut gesagt hat, fühlt sie sich noch verzweifelter. Jetzt kann sie es anfassen. Die Buchstaben vom Gehweg sammeln, bevor sie ein anderen findet. Nein, vertrauen könnte sie nie wieder, denkt sie und klopft die Hoffnung von ihren Manteltaschen. Ihr Kopf lehnt an der Brücke, als wäre er festgeklebt. Sie versucht, ihren Rücken an die Biegung anzugleichen. Jetzt ist sie auch aus Stein. Vielleicht ist das auch besser so für sie.
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ZWEI QUADRAT MAL ZEHN HOCH NEUN (a) (Mika Novikov)
Das Leben geht weiter, Weiter und weiter, Und jedes Ereignis, Ob traurig, ob heiter, Vermag keinen Einriss (Verzerrung, Einschneider) Darin hinterlassen. Es geht immer weiter. Seit vier Milliarden Unendlichen Jahren Zählt etwas die Tage, Unzählbare Tage; Hunderttausend Jahre, Endlose Jahre, Zerren Menschen an Stunden, Nicht abreißenden Stunden. Augenblicke wollen Weder bei uns verweilen, Verharren ungerne, Noch gehen sie fort. Was hat sich verändert? Das Leben, die Schlampe, Gibt seit einer Milliarde Von Jahren uns Winke. Wer frisst diese Pampe, Wird enttäuscht und verraten, Wird die Planke nicht reißen – wird am Zaun gepfählt.
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EIN WIDERLICHER MENSCH von Mike Gerecke Ich bin der widerlichste Mensch, den Sie sich vorzustellen imstande sind. Ich lebe in einer kleinen Mietwohnung in der Innenstadt. Ein Zimmer, Küche, Bad auf Achtzehn Quadratmeter. Einbauküche, Möberlierung und häusliches Wohlbefinden exklusive. Gefängniszellen sind größer. Ich zahle hingegen 200 Tacken im Monat und darf natürlich obendrein noch für mein Essen selbst sorgen. Meine Wohnung liegt (sowie auf jedem Stockwerk) zwischen zwei Größeren. Links zwei, rechts drei Zimmer. Das Haus war immer still. Bis auf die wütenden Schreie und Beleidigungen, gefolgt vom Weinen und angstvollen Bitten einer Frau und eines kleinen Kindes in der Nachbarwohnung, die man alle paar Wochen hörte. Das Treppenhaus war eine Wüste. Keiner kannte keinen, man grüßte sich meistens nur aufgesetzt freundlich, wenn man sich über den Weg lief. Und wenn man mir begegnete, schaute man sowieso schnell weg, unfähig, den spießbürgerlichen Ekel zu verbergen, der nicht durch das hindurch zuschauen vermochte, was sich hinter jenem Bild befand, das die Augen einem zeigten. An diesem Tag lag ich, wie jeden Tag, in meinem alten, nicht zugebundenen Bademantel auf dem Bett. Einer Matraze auf dem Fußboden. Das Zentrum meines Lebens. Hier schlief ich, rauchte, soff, furzte, masturbierte und aß, beizeiten einiges davon zugleich. Aus meiner Wohnung drang ein „Geruch“, über den sich auch schon beschwert worden war und der unverkennbar mein Revier markierte. Ja, hier lag ich, als die Schreie wieder einmal losgingen. „Was glaubst du eigentlich, wer ich BIN!“ Es poltert, es scheppert. Eine Frau schreit auf. Unverständliches Murmeln, lautes Schluchzen. „Glaubst du, du kannst mich verarschen?“ Etwas zerbricht. „Hör auf!“ Die Frau. Sie weint. Dann schreit die Kleine. Ich nahm die Augen vom Fernseher und schaute auf die Wand, die ihre und meine Welt voneinander trennte. „Warum lassen sie nie die Kleine da raus?“, fragte ich mich flüsternd und biss in ein Stück mit Fleisch ummantelte Hormone und Antibiotika. Die Kleine weint. Ich stellte es mir richtig vor. Die Eltern im Wohnzimmer, die Kleine an der Tür, sich alles anschauend. Hilflos, ratlos, aufgelöst und voller Angst. Es brach mir das Herz, aber hatte ich die Eier? Hatte ich die Eier, um dort herüber zugehen und für Ruhe zu sorgen, indem ich dem Kerl die verdammte Fresse poliere? Poltern. Etwas fällt um. Die Frau schreit auf. Ich wusste ja, wie er aussieht. Er quälte sich jedes Mal ein so offensichtlich aufgesetztes Lächeln auf die Lippen und gab sein mechanisches „Guten Tag“ von sich, wenn wir uns im Treppenhaus begegneten. Ein magerer Schwächling mit Brille, Hemd und Herrenschuhen. Ein Typ von der Sorte: „Also das hätte ich niemals von dem gedacht.“ Dann hasten kleine, gehetzte Schritte in meine Richtung. Ein Weinen wird immer lauter. Mit den Augen folge ich dem Geräusch. Die Nachbarstür öffnet sich. Das 15 steinerne Treppenhaus fängt das Schluchzen und Weinen eines Kindes ein und verstärkt
es um ein Vielfaches. Binnen Sekunden höre ich es näher kommen und jenseits meiner eigenen Wohnungstür halt machen. Meine Klingel schellt. Kleine Kinderfäuste hämmern gegen meine Tür. Ich erstarrte im ersten Moment. Mein Herz klopfte und ein paar Meter weiter weinte ein kleines Kind hinter meiner Wohnungstür. Sollte ich liegen bleiben? Mich nicht einmischen? Was war richtig? Was gehörte sich? Aber ich stand auf, ging zur Tür und öffnete sie. Was ich dann tat, war ein Reflex. Er war durch mich gefahren, als ich in die kleinen von Angst erfüllten „Er bringt sie um“, sagte das kleine Mädchen und stand weinend vor mir. Mir! Dem widerlichsten Menschen im ganzen Haus, der nicht mal seinen Bademantel zugeknotet hatte. Augen geblickt hatte, die verzweifelt zu mir empor schauten und nicht wussten, was sie machen sollen. „Warte hier, ja?“ Wie ich war ging ich in die Nachbarwohnung, durch die noch offene Tür und folgte den Schreien. Ich fand das Wohnzimmer und für den Bruchteil einer Sekunde kam in mir ein Gedanke auf, der sich damit befasste, dass es hier ja gar nicht so aussah wie in meiner Vorstellung, die ich mir in all den Jahren des nachbarschaftlichen Verhältnisses gemacht hatte. Die Frau war auf die Knie gesunken und der Kerl über ihr. In der Mitte des Wohnzimmers. Er drohte ihr mit der Faust und redete leise, aber mit unsagbarer Gewalt in der Stimme auf sie ein. Ich sah Scherben, einen umgefallenen Beistelltisch, einen umgefallenen Blumentopf. Ohne jedes Wort ging ich zu ihm, packte ihn am Kragen seines Hemdes und zog ihn zurück, sodass er das Gleichgewicht verlor und erschrocken auf dem Rücken liegen blieb. Mich nun über ihn beugend, verpasste ich ihm eine ins Gesicht. Seine Frau nahm vor Schreck die Hände vors Gesicht und krabbelte kurz darauf rückwärts von uns weg, um sich in Sicherheit zubringen. Ich schlug wieder zu. Und wieder. Und wieder. Dann packte ich seinen leichten Körper und zerrte ihn aus dem Wohnzimmer, um der Frau den Anblick zu ersparen. Wenn seine Hand meinen Arm berührte, verpasste ich ihm noch eine damit er Ruhe gab. Er war keine Herausforderung. Solche Kerle können meist nicht viel mehr als Frauen oder Kinder verprügeln. In gerader Linie zog ich ihn über den Flur in die gegenüberliegende Küche. Er wollte sich aufrappeln, aber ich gab ihm noch ein paar Schläge, um ihn unten zu halten. Er kriegte noch eine. Und noch eine. Dann setzte ich mich auf ihn, sodass meine Beine und mit ihnen das Gewicht meines Körpers auf seinen Armen lastete, damit ich in Ruhe seinen Hals in die rechte Hand nehmen konnte. Mit der Linken bekam er eine Backpfeife. „Halt's Maul!“, sagte ich 16 und er gehorchte. Blut lief aus seiner Nase.
„Wenn ich es noch einmal mitbekomme - noch einmal -, dass du Hand an deine Familie legst - und ich bekomme es mit, denn ich habe in den letzten sechs Jahren jedes einzelne Mal dokumentiert - dann“, sagte ich zu ihm, „bringe ich dich um!“ Er sah mich zitternd an. „Hast du verstanden? Ich bringe dich um!“ Ich beugte mich weiter zu ihm runter; sah tief in seine schweigenden Augen. Da hatte ich es vor mir - das widerwärtige Ungetüm. Den elenden Feigling. Ich sah mich, wie ich auf ihm saß, wie mein haariger, stinkender Sack auf seinem Hemd ruhte. Ich sah die Kleine; die hilflose Frau im Wohnzimmer. Und in dieser Sekunde, in der ich ihn in meiner Gewalt hatte, da überwältigte mich eine Wut, ein Hass, der jeden Schmerz, jede Trauer, jede Ungerechtigkeit, die mir je zuteil geworden war und den ich in Fernsehen, Alkohol und Trägheit ertränkt hatte, und verschmolz zu einem einzigen Gefühl. War in diesem einen Moment vereint. Alles wurde zu ihm. Dem feigen, widerlichen Kerl, der seine Familie verprügelte und der sich nun unter mir befand. In meiner Gewalt! Ich war die Macht, alles zu richten und zu vergelten, was er jemals jemandem angetan hatte. Was jemals durch die Niedertracht, die sich in solchen Menschen wie ihm veräußerte, irgendeinem hilflosen, unterlegegen Menschen angetan wurde. Was jemals mir angetan worden war! Und ich wollte all dieser Niedertracht im Menschengeschlecht hier und heute ein Ende setzen. Es mit ihm aus der Welt prügeln. Ihn umbringen! Alles Leid vergelten. Mein Leid vergelten. Dieser Drang wurde so innig, so enorm, so unkontrollierbar, dass ich vor mir selbst erschrak. Er schien Besitz von mir zu ergreifen, mir die Kontrolle über mein Tun und Handeln aus den Händen zu reißen. Ich pulsierte! Atmete schnell! Der Kampf mit ihm wurde zu einem Kampf mit mir selbst. Einem Teil von mir, den ich noch nie zuvor gesehen hatte. Meine Faust - ich kann nichts machen - erhebt sich. Und dann ... In diesem Augenblick ... ... begann er zu weinen. Wie ein kleiner Junge. In einer Hysterie gefangen. Einer, in der einem die Atmung aus den Händen gleitet, man unkontrolliert Luft in die Lunge zieht und keinen ganzen Satz mehr zuende sprechen kann. „Bitte“, wimmerte er und sog hysterisch Luft in seine Lunge, „Bitte.“ Ich erschrak - erstarrte. „Bitte ... bitte ...“ Das war mein Weinen! Mein hysterischer Anfall. 17 Mein Vater steht in der Tür; zieht seinen Ledergürtel aus!
Der knochige Kerl unter mir wimmerte weiter. „Bitte ... bitte ...“ Zwischen jedem Wort hysterische Atmung. Tränen kullern ihm rechts und links das Gesicht herab und verlaufen sich in seinem Haar. Ich sehe ihm in die Augen ... Und sehe mich. Mein Vater nimmt den Ledergürtel in beide Hände, bewegt sich mit langsamen Schritten auf mein Bett zu, ich verschlucke mich an meinem eigenen Speichel, der mir mit jedem unkontrollierten Atemzug in den Hals spritzt. Und in dem Moment, in dem ich die größte Ohnmacht meines ganzen Lebens erfahre, schlage ich ihm so heftig ins Gesicht, dass mir ein Stück Haut auf dem Fingerknochen aufreißt. Sofort unterbrach ich mich, unterband diese treibende Kraft in mir und hielt mich zurück. „Ich bringe dich um, hast du verstanden?“, sagte ich, und bemerkte ein Wimmern in meiner eigenen Stimme. Ein Wimmern wie damals in meinem Kinderzimmer. Er reagiert nicht. Schluchzt. Heult. „Sag es! Hast du mich verstanden?“, flehe ich ihn an! „Ja ... ja ... ich hab ... verstanden“, wimmert er. Dann kletterte ich von ihm runter und ging zitternd ins Wohnzimmer zurück. Dass ich quasi nackt war, hatte ich schon längst vergessen. „Rufen sie die Polizei und lassen sie ihn abholen ... und kümmern sie sich um ihre Kleine“, rief ich der Frau von der Tür aus zu, dann machte ich kehrt und verließ die Wohnung. Die Kleine stand noch immer an meiner Tür und wartete, wie ich es ihr gesagt hatte. Schüchtern, nun nicht mehr weinend, stand sie mit verknoteten Händen dort und schaute unsicher drein. Was sollte ich tun? Sollte ich sie zu mir bitten? Alles durchdringende Verwirrung und nun noch die alten Gedanken und Überzeugungen, dass man diese „Müllhalde“, dieses „stinkende Drecksloch“ niemandem antun könne, erweiterten sich um ein „schon gar keinem Kind“ und ich wurde unsicher. „Warte hier draußen ... bis die Polizei kommt, okay?“ Sie nickte so unsicher wie ich mich fühlte. Dann, ich wusste wirklich nicht, was zutun war, ging ich in meine Wohnung und schloss die Tür hinter mir. Ich legte mich auf meine Matratze und drehte den Fernseher so laut, dass es fast schon in den Ohren wehtat. Ich wollte nichts mehr mitbekommen von der Welt dort draußen. Die Sonne ging unter, die Nacht brach ein, die Sonne ging wieder auf und ich nahm keine Notiz von dem weiteren Verlauf des häuslichen Konfliktes meiner Nachbarn. Es verlief sich im Sande, auf dem Sand wuchs Gras und die Zeit schien alle Wunden vernarben zu lassen.
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Nach Wochen finde ich mich in einem Gerichtssaal wieder. Links ein Anwalt, rechts ein Anwalt. Vor mir ein Richter. Links von ihm ein Schöffe, rechts von ihm ein Schöffe. Ich in der Mitte. Ich erzähle ihnen die ganze Geschichte. Nach mir die Zeugen. Der Mann. Die Frau. Die Kleine. Nachbarn. Nachbarn. Nachbarn. Sie glauben mir nicht. Überall Lug und Trug. Der Kerl streitet ab, was ich als Bewegrund meiner Tat erkläre. Die Frau hält zu ihrem Mann. Die Kleine - gefangen in einer ausweglosen, manipulativen Hölle. Die Nachbarn ... haben leider nichts gehört ... waren zum besagten Zeitpunkte leider nicht zuhause. Keiner glaubt mir. Denn ich bin ein widerlicher Mensch. Wie könnte man mir auch glauben? Mir! Der fleischgewordenen Angst des Mittelstandes. Dem Kleinkind an der Mutterbrust der Wohlfahrtsgesellschaft. Ich bin in höchstem Maße verdächtig.
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GARAGENSPIEL (Volker Frick) elternlos glücklich aufgewachsen der freund von einer lawine verschüttet der großvater erstochen keine heimat in der welt die tage ein gefängnis leben die hölle weder einen gott geerbt noch einen festen punkt auf dieser erde hebst du den fuß wirst du getreten setzt du ihn nieder wirst du zertreten das wohl schlimmste am leben dass der mensch damit zufrieden sei die erste ehe zerbrach ich war nicht schrieb er einen augenblick deiner wert mann des tageslichts deine geöffneten augen unerschrocken ihre entsetzliche lage betrachten rauschhaft hingeworfen ins vergessen eingeschneit der dichter sagt was es bedeutet zu trauern geliebt worden zu sein immer einsamer zu werden durch das dunkel erblindet im tempel seiner kindheit niemand der sich an einem öffentlichen strand das leben nimmt und von einem hund gefunden wird
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ZUM JAHRESANFANG von Gigi Sommer Fröstelnd stand Karin an der Bushaltestelle. Bestimmt schon wieder unter Null, dachte sie und drückte mit der Schuhspitze Muster in den schmutzigen Schnee. Ein paar Fetzen roter Lametta und braune Reste von Böllern zeugten noch vom gerade vergangenen Silvester. Die Überbleibsel der großen Party. Karin duckte sich tiefer in ihren Mantel, als ein eisiger Wind ihr ins Gesicht blies. Der Bus kommt auch schon wieder zu spät, dachte sie. Mit zitternden Fingern zündete sie sich eine Zigarette an. Scheiß doch auf gute Vorsätze, dachte sie nach dem ersten tiefen Zug. Ein älterer Herr ging an ihr vorbei und sah sie missbilligend an. „Moin!“ sagte Karin und grinste ihn an. Er schüttelte den Kopf und ging weiter. Karin blickte die Straße auf und ab. In was für einen Ort hat’s mich hier bloß verschlagen, fragte sie sich. Kleinstadt, 20.000 Einwohner und um 18 Uhr werden die Bordsteine hochgeklappt. Immerhin, hübsch war es ja. Die Fachwerkhäuser, die alte, riesige Kirche, die am Berg zu kleben schien, der kleine Fluss… Aber trotzdem, langweilig Von schöner Aussicht kann man sich auch nichts kaufen. Außer den Kollegen kannte sie keinen Menschen in diesem Kaff und deswegen fühlte sie sich schon mal einsam in der neuen schönen Wohnung. Vor lauter Arbeit hatte Karin es nicht einmal geschafft, alle Umzugskisten auszupacken. Und das, obwohl sie schon vor zwei eingezogen war. Aber das sollte eh bald ein Ende haben. Eine Woche Urlaub hatte sie vor sich und der sollte genossen werden. Faulenzen und sich um einen neuen Job kümmern, die beiden Dinge standen ganz oben auf der To-Do-Liste. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht blickte Karin in ihre große Umhängetasche. Mehrere weiße Umschläge lagen darin. Bewerbungen, die sie zur Post bringen wollte. Das wird bestimmt ein gutes Jahr, dachte Karin und sofort danach: Du Idiot hast einen Anfall von Jahresanfangs-Euphorie. Erleichtert sah sie, dass der Bus gerade um die Kurve kam. Es war aber auch saukalt. Sie warf die Kippe in den Schnee. Der Bus hielt und Karin stieg ein. Es roch nach alten Menschen und im Radio dudelte WDR 4. „Morgen.“, schallte es ihr aus mehreren Kehlen entgegen. Karin nickte den Fahrgästen zu. Rentner, dachte sie. „Wo wolln se denn hin, junge Frau?“, fragte der Fahrer, ein kleiner, alter Herr mit Halbglatze und Kassengestell. „Zur Post.“, entgegnete Karin und legte das Geld hin. Der Fahrer reichte das Ticket rüber und fuhr los. Karin ließ sich auf einen freien Platz fallen und seufzte. Die Rentnermannschaft starrte sie derweil an. Bis sich eine Dame mit schlecht gefärbten roten Haaren zu Karin rüberlehnte und fragte: „Sagen se mal, sie sind nich von hier, oder?“ „Nein, bin ich nicht. Zugezogen.“ Demonstrativ zog Karin den MP3-Player aus der Tasche steckte sich gerade die Kopfhörer in die Ohren, als die Dame weiterfragte: „Warum sind se denn hergekommen?“ Karin lächelte ihr nettestes falsches Lächeln und sagte zuckersüß: „Was geht sie das denn an?“ Dann drückte sie auf „Play“ und erfreute sich an MC 5.
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Mit einem großen Pappbecher in der einen und einer Zigarette in der anderen Hand, saß Karin an einem hässlichen Plastiktisch mit Kaffeebohnenmuster vor dem Café. Kaffeebohnenmuster, dachte sie, wie originell! Immerhin war der Cappuccino hier lecker. Da musste die Post eben warten. Für Fair Trade, ausgerechnet! Kostet auch gleich 3 Euro, der blöde Becher. Und dann muss man auch noch draußen rauchen. Karin hing ihren Gedanken nach. Sie träumte von einem neuen Job, am besten einer, der auch noch gut bezahlt würde. Nicht so wie jetzt, wo sie für einen Hungerlohn viel zu viele Überstunden machte und sich auch noch mit einem nervigen Chef rumschlagen musste. Was hab ich mir bloß dabei gedacht…diesen Drecksjob anzunehmen und herzuziehen. Am liebsten würde sie kündigen, aber… Sie seufzte so laut, dass ein Mann am Nebentisch sie amüsiert anlächelte. “So schlimm?“ fragte er freundlich. „Ach, noch viel schlimmer.“ „Kann doch gar nicht sein. Worum geht’s denn? Geld, Liebe, Job oder was ganz anderes?“ „Naja, um alles irgendwie so ein bisschen, wenn sie schon fragen.“ “Wissen sie was? Zerbrechen sie sich doch nicht den Kopf. Irgendwie hat immer alles einen Sinn. Klingt blöd, stimmt aber.“ Karin lächelte ihn an und er lächelte zurück. Nett sah er aus, das bemerkte sie erst jetzt. Er war vielleicht zwei, drei Jahre älter als sie, hatte blonde Haare und sein Gesicht einen jungenhaften Zug. Wenn er lächelte, bildeten sich kleine Fältchen um die Augen. Das gefiel ihr. „Na, wenn sie das sagen.“ Karin blickte in ihren fast leeren Becher, an den Rändern klebte noch ein bisschen Milchschaum. „Aber ich muss jetzt los.“ “Okay, ich bleibe noch ein bisschen hier. Vielleicht kommen sie ja später mal wieder und ich spendiere einen Kaffee?“ „Ich überlege es mir.“ Karin nahm ihre Tasche und stand auf. Sie zwang sich, nicht noch einmal zurück zu schauen zu dem netten Mann, während sie Richtung Fußgängerzone ging. Aber später noch ein Kaffee wäre vielleicht drin. Ein Gedanke durchzuckte ihren Verstand wie ein Blitz: Sie und der nette Mann in irgendeinem Bett. Sie musste grinsen. Das wäre zumindest eine Abwechslung vom ganzen Stress. Also, ein Kaffee war auf jeden Fall noch drin später. In der Fußgängerzone war der Schnee mittlerweile zu einer Eisfläche zusammen gestampft von den unzähligen Menschen, die nur schnell ihr ganzes Geld loswerden mussten. Hier noch ein Dekoartikel für die Wohnung und hier noch der neue Roman von Donna Leon. Ach, und die Schuhe da sind auch schick. Dann noch schnell Sushi essen und ein paar Apps fürs Iphone runterladen. Karin musste den Kopf schütteln bei diesen Gedanken. Was die Menschen so treiben, um ihre Zeit hier rumzukriegen. Und dann sind sie dabei noch zufrieden. Karin kramte in ihrer Tasche, nicht weil sie etwas suchte, sondern um den Gedanken zu verscheuchen, warum sie nicht auch so sein 22 konnte. Dabei fiel ihr Blick wieder auf die großen weißen Umschläge. Immer noch nicht
bei der Post abgegeben. Ob sie sich doch nicht traute? Doch, als nächstes würde sie zur Post gehen. Sie wandte sich wieder um und marschierte los, zurück in Richtung Post. Die nette Frau mit dem russischen Akzent und dem Mondgesicht nahm am Schalter den Stapel Umschläge entgegen. „Na, sie suchen wohl einen neuen Job?“ fragte sie lächelnd. Karin nickte abwesend und blickte durch die schmutzige Scheibe rüber zum Kaffee. Da saß der nette blonde Mann mit den Lachfältchen. „Dann wünsche ich viel Erfolg.“ „Danke. Wir schon werden.“ Ihre Stimme klang plötzlich so zuversichtlich, dass sie sich selber wunderte. „Aber jetzt geh ich Kaffee trinken. Wiedersehen.“ Karin verließ die Post und trat auf den Bürgersteig. Sie fühlte sich erleichtert, auf angenehme Weise. Der nette Mann hatte sie schon entdeckt und winkte. Irgendwie sah er dabei dämlich aus, aber egal, dachte Karin noch und wollte gerade die Straße überqueren. Vielleicht wird das ja doch ein guter Tag. Die Augen auf den blonden Mann gerichtet, bemerkte sie den Bus nicht, der sich viel zu schnell näherte. Der kleine alte Mann mit Halbglatze und Kassengestell bemerkte Karin auch nicht, oder zumindest viel zu spät, und mit einem Knall fuhr er sie um. Ihre Tasche flog durch die Luft, der Inhalt verteilte sich überall. Karin sah, dass der blonde Mann erschrocken aufsprang, sie hörte quietschende Bremsen und den Aufschrei einiger Passanten. Da lag sie nun schwer verletzt auf der schmutzigen Strasse und konnte sich nicht mehr bewegen. Der blonde Mann kam zu ihr gelaufen, die Rentner-Mannschaft purzelte aus dem Bus und alle versammelten sich um sie. Karin blickte in die Gesichter und wusste, dass sie nun sterben würde. Eine Dame aus dem Bus murmelte: „Ach Gott, sie ist noch so jung und hat doch noch alles vor sich!“ Die Dame mit den rot gefärbten Haaren entgegnete empört: „Ja, aber die war vorhin auch ganz schön frech!“
EIGENTLICH ALLEINE IM WHISKYSALON (Johannes Fightestörk) Irrfahrten purzeln chronologisch vor sich her Ständig sitzt dir Homer im Nacken übersäht mit Tonbandgeräten, es klackert und rattert Cutty Sark Blended Scotch ––– 16,90€ und alles wird zum Erinnerungssud nach ein paar Stunden; seine Finger werden betrunken und nehmen vielleicht noch einen Bruchteil auf Er steckt dir eine Diktiermaschine ins Ohr und lacht Er hört deine Gedanken: »Scheiße, Scheiße, ich hätte ihr einfach die Finger reinstecken sollen, solang ich noch konnte. Beim nächsten mal. Natürlich gibt es kein nächstes mal. Man kommt immer so weit es geht. Ein Ticket nach Prag kostet 29€ Nachts... Nachts...« Das Gerät schnappt zu. »Es reicht«, sagt er.
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INTERVIEW
YÉÜxäxÜ ]âÇ~|xá4 Sie kommen aus Kanada und stehen seit knapp 25 Jahren für guten alternativen Countryrock mit vielen Einflüssen aus der Folkszene. Ein Song von den Junkies ist wie ein gutes Glas Wein. Noch lange wirken die Klänge von den Geschwistern Timmins und ihrem Bassiten Alan Anton nach. Aktuell arbeiten die vier an einer Kollektion von Alben (Nomad Series), die im November dieses Jahres mit Platte Nummer vier komplettiert wird. Bisher erschienen sind die ersten beiden Alben Renmin Park und Demons. 24 Die LV sprach mit Bassist Alan Anton über das 25jährige Bestehen der Band und die Nomad Series.
LV: How was the tour and what are you guys loved/hated most of it? AA: It’s always great to get back to Europe - we don’t do it often enough. We tend to turn into tourists during the day as there’s a lot more to see than in, say, Cleveland. The shows were good, and so was the beer. The boredom of travelling is the only downside. LV: Its has been almost 25 years now since Whites off earth now!! came out. When you look back sometimes what certain effects had this quarter of a century on you guys? AA: Well, besides being 25 years older, I think as a band we still approach what we do with the same attitude, which is a very organic, intuitive process. LV: When listening to Demons it seems like you still carry some of them “demons” from the past with you around all the time. The sound, the lyrics, the whole atmosphere a song can create is still there. It seems like the idea you guys once had is still working just fine. Would you agree? AA: When the four us sit down to play, the sound that comes out hasn’t changed much, because we still like it. The challenge has been to keep the lyrical concepts working with the music and not getting too far away from the essence. LV: What brought you this new idea of the “Nomad Series”, having 4 albums released until this year November? (Demons is Vol. 2 in the series) AA: We had a bunch of ideas that slotted into different projects so rather than distil those into one release we thought to expand it into four distinct parts and see how far we could go creatively in a short time span. Taking time off touring has helped to drive it forward. LV: If there were no “Cowboy Junkies” - what would the world be listening to? AA: I don’t think anything would be different - we’d still have Lady Gaga. LV: When are you coming to Germany again? AA: Hopefully next year. Thanks, Alan!
25 For more Infos about the Cowboy Junkies check www.cowboyjunkies.com
„Wir selber hatten ja nie so die Lust auf Überdosis und Fernseher zertrümmern, aber man hört diese Geschichten immer wieder gerne.“
SVEN REGENER in DIE KRITISCHE SEITE UND DAS INTERVIEW Foto: Charlotte Goltermann
Ich bin schuldig. Ich habe die dritte Regel von Sven Regeners „5 goldenen Regeln für Künstler“ gebrochen: „Betätige dich niemals als Kritiker“. So und nun hocke ich hier und zermartere mir das Hirn über ein Buch, das ich mag, aber nicht weiß, wie ich es ihm beibringen soll. Was einen doch immer wieder bei dieser norddeutschen Literatur packt, sind die kleinen Dinge, die das Leben aufREGENER machen. Darum geht es und darum ging es doch eigentlich immer in den Büchern von Sven Regener und genau darum geht es auch in seinem neusten Buch „Meine Jahre mit Hamburg-Heiner (Logbücher)“. 26
Der aktuelle literarische Streich des Schöpfers von Herrn Lehmann und dem Element der Element of Crime enthält zahlreiche Blogbeiträge, die zwischen den Jahren 2005 und 2010 in diversen Internetforen (z.B. Spiegel.de oder taz.de) erschienen sind. Unterhaltsam, informativ und völlig bekloppt; ein Abend mit den Jungs im Taschenbuchformat. Wer sich mit Regeners Büchern in der Vergangenheit auseinandergesetzt hat, wird sich gut mit seinen Blogs amüsieren können und wer sich als begeisterter Zuhörer von Element of Crime Kompositionen sieht, wird sicherlich seine Freude in den kleinen Anekdoten über das Bandleben und was es heißt diese medialen Mühlen am Leben zu erhalten finden. Regener ist unterwegs und lässt die ganze Welt dran teilhaben ohne sich aufzuzwängen und spätestens auf Seite 32, wenn Regener Wim Wenders zitiert („Städte ist die Bühne, die unser Leben bestimmt“) macht sich ein erstes breites Grinsen im Gesicht breit. Es sind jene Gute-Nacht- Geschichten, die man nach einer durchzechten Nacht morgens liest, wenn man keine Lust auf die Tageszeitung hat. Ja, okay, das Buch ist mit Sicherheit keine Silvesterparty mit Keith Richards, aber es verursacht auch wiederum keine Kopfschmerzen. Es juckt nicht, es stinkt nicht und es passt in jedes Regal und was am wichtigsten ist, für Menschen, die Computer noch immer mit ähnlicher Skepsis entgegenblicken wie ich: für diese Blogs brauchst du so eine High-Tech Maschine gar nicht. Alles gedruckt, schwarz auf weiß. Einfach kaufen (in der Buchhandlung, nicht im Internet) und dann zu Hause auf dem Sessel mit einem kühlen Beck’s geistig aufsaugen. Es lohnt sich, denn es macht Spaß und das darf es manchmal auch ruhig. Also, liebe L’s und V’s: Vergesst die ganze Sache mit der Kritik und lest Regener! Einziger Wehrmutstropfen: die im Buch beschriebene Kotztüte mit der Aufschrift „Danke für ihre Kritik“ muss separat erworben werden.
LV: Ich persönlich hasse Kritiken, ich lese sehr selten welche und schreibe sie noch seltener, ganz besonders, wenn es um Bücher, Filme oder gar Musik geht. Am liebsten kritisiere ich Essen, aber das passt jetzt hier überhaupt nicht her. Ich versuche es einfach mal und schick dir, um den Umgang von Künstler mit Kritik zu testen diese jene „Kritik“ zu deinem Buch, mit der Hoffnung ein wenig schlauer aus dieser ganzen Literaturkritikerszene zu werden. Was würdest du noch gerne hinzufügen oder streichen oder wollen wir das ganze einfach vergessen? SR: Das kann ich leider nicht sagen, ich hab’s nicht gelesen. Die Kritik des Kritikers vor dem Interview zu lesen, bringt nicht nur Unglück, es macht auch unglücklich. Ist sie gut, ist man befangen und teilt nicht mehr aus. Langweilig das Ergebnis dann. Ist sie schlecht, zickt man rum. Auch langweilig. Ist sie langweilig und weder noch, die Kritik jetzt, dann geht man schon abgenervt ins Interview, auch schlecht. Eine Lose-, Lose-, Lose-Situation! 27
LV: Das könnte jetzt schon mal eine ziemlich nervige Frage werden, aber versuchen wir es halt: warum nur ein Buch mit deinen bisher veröffentlichten Blogs und nicht mal wieder etwas aus der belletristischen Abteilung? SR: Die Frage hätte man bei der Veröffentlichung meines letzten Romans auch umgekehrt stellen können. Auch gut: Warum kein Gedichtband? Warum keine Kurzgeschichten? Warum ist ein Schnitzel kein Gemüse? Warum ist ein Fußballspieler kein Handballer geworden? – Ein weites Feld das. Nur kurz, um mich nicht dem Verdacht auszusetzen, mich vor der Antwort drücken zu wollen: Etwas aus der belletristischen Abteilung war gerade nicht da, da mussten die Blogs nach vorne. Verdammtes Kanonenfutterdasein! LV: In den den Logbüchern hab ich gelesen, dass es vielleicht mal irgendwann Zeit ist, was auf die Fresse zu bekommen. Jetzt kam, wie ich hörte, „Fremde Federn“ bei vielen begeisterten EOC Fans nicht so gut an (was die Kritiker sagen, weiß ich gar nicht). War das die richtige Zeit? War es einfach soweit nach den Erfolgen der letzten Jahre? SR: Die Kritik, und um die und deren Schlag in die Fresse geht es ja bei der einschlägigen Stelle in den Logbüchern, hat „Fremde Federn“ wohlwollend aufgenommen, das muss man schon sagen. Und zu Recht! Was nun die Publikumsreaktionen betrifft: Die sind immer gemischt, wie auch nicht, bei so vielen Leuten? Und warum auch nicht? Der eine mag’s, der andere nicht. Wir haben nie erwartet, von der „Fremde Federn“ soviel zu verkaufen, wie von unseren regulären, richtigen Alben. Es ist ja nur eine Compilation von Aufnahmen aus den letzten 20 Jahren. Und dass jemand dann die Songs vielleicht nicht so mag wie wir, ist insbesondere dann leicht zu verschmerzen, wenn wir die noch nicht mal selber geschrieben haben. LV: Blogger sind Lebensberater, wie im Buch beschrieben. Da möchte ich dieses Interview nutzen und dich um ein wenig Lebensberatung bitten: SR: Hund oder Katze? Weder noch. Fisch oder Fleisch? Fisch ist auch Fleisch. Beides gut. Berlin oder Hamburg? Sven sagt: Berlin. Aber Hamburg-Heiner sagt: Hamburg. Beatles oder Rolling Stones? Beatles und von den RS die „Beggar’s Banquet“! Strick oder Erschießungskommando? Wenn schon, dann mit Knall! LV: Der dreckige altmodische Rock N’ Roll mit der klassischen Überdosis und den ganzen anderen Skandalen und Psychosen ist praktisch tot. Schön oder schade? SR: Ich weiß gar nicht, ob das wirklich stimmt. Ist das so? Wäre natürlich schade. Wir selber hatten ja nie so die Lust auf Überdosis und Fernseher zertrümmern, aber man hört diese Geschichten immer wieder gerne. Wer’s braucht: Die Autobiographie von 28 Ozzy Osbourne gibt in dieser Hinsicht viel her!
LV: Wer steigt dieses Jahr in die 2. Liga ab? SR: Darüber möchte ich als Bremer lieber nicht nachdenken! LV: Kurz mal zur „Methode Pappik“ (ein von EOC Schlagzeuger Richard Pappik entwickeltes Scheißegal-System): in dem Beitrag (Seite 247) geht es um eine von dir zusammengestellte Songliste, mit dem Vermerk, dass diese Empfehlungen von Musikern oft überschätzt werden, sprich: denk dir mal schnell was Cooles aus, damit du dein Image nicht kaputt machst. Inwiefern hast du das ScheißegalSystem schon verinnerlicht? SR: Das Scheißegal-System sollte man nicht unterschätzen, es ist auch nicht ganz das, als was es hier beschrieben wird. Die persönliche Hitliste wird in der Regel zum Distinktionsgewinn missbraucht und vor allem vom Publikum als viel zu bedeutsam eingeschätzt. Das gibt uns viele Möglichkeiten, da manipulierend tätig zu werden. Das ist schon mal nicht schlecht. Das von Richard Pappik entwickelte Scheißegal-System ist nun eine Parallelstrategie, die versucht, den Subtextgehalt solcher Listen zu ignorieren. Deshalb ist sie extrem schematisch unterwegs. Aber vielleicht gerade deshalb sehr aussagekräftig, weil hier auch das Es eine Rolle spielt, mehr vielleicht, als es Ich und Über-Ich gewollt haben? Darüber müsste man mal mit Herrn Pappik reden! LV: Liest du deine eigenen Interviews? SR: Ja, ich lese sie gegen, um den größten Blödsinn zu vermeiden, also die mündlich gegebenen und im nachhinein verschrifteten Interviews jetzt. Die e-Mail-Interviews lese ich insofern ohnehin, als man Selbstgeschriebenes auch zu lesen kaum vermeiden kann. Obwohl, wenn man einfach nicht hinsieht.... LV: Was war die letzte CD die du dir gekauft hast? SR: Maike Rosa Vogel, „Golden“ LV: Was war das letzte Buch, das du dir gekauft hast? SR: Heinz Strunk in Afrika von Heinz Strunk. Nein, Café Anschluss von Michael Ziegelwagner. LV: Wie geht’s jetzt weiter? SR: Das wäre ja schon mal ganz gut, wenn man das nicht immer gleich wüsste! Danke, Sven! mehr über Sven Regener, die Logbücher und die bevorstehende Lesetour unter www.svenregener.de „Meine Jahre mit Hamburg Heiner: Die Logbücher“ Galiani, Berlin / ISBN 978-3869710358 / 432 Seiten / € 19,95
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Die gesamte LV Redaktion bedankt sich f端r Ihre Aufmerksamkeit!
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LV‘ LV‘s 1957 in Vorpommern geboren. 1983 Ausbürgerung nach Hamburg. Seit 1998 für die Polizei als auffindbarer Bürger in Greifswald gemeldet.
Jürgen Landt
Fotograf, Autor, Regisseur. 1953 in Karlsruhe geb., längere Aufenthalte für fotografische Recherchen in Berlin, London, New York, Los Angeles, Pittsburgh, Moskau und St. Petersburg. Arbeit als Hochseefischer in der Behringsee. Seit 1995 wieder in Berlin.
Miron Zownir
1965 in der niederbayerischen Provinz geboren und lebt heute meistens in Regensburg. Letzte Veröffentlichung: "Auf den Kopf gestellt" in WILDBROT-WORTBILD. Geboren 1961. Schrieb schon, bevor er schreiben konnte. Veröffentlichungen in Büchern und Literaturzeitschriften.
Carmen Herrmann
Thomas Laessing
Baujahr 81, Mitherausgeber des Straßenfeger. Keine Bestseller, keine Preise, kein Intellektueller
Marcus Mohr
Geboren 1981. Lebt und studiert in Salzburg. Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien + 'Was sie im Norden der Insel als Mond anbeten, kommt bei uns im Süden in die Sachertorte', Gedichte und Prosa; Chaotic Revelry Verlag, Köln
Johannes Witek
Jahrgang 1985. Lebt. Hat einen Koffer in Paris. Derzeitiger Aufenthaltsort: Hannover.
Susanne Haupt
Jahrgang 1987, studiert gerade Medizin im 8. Semester in Heidelberg. Bisher noch nichts publiziert.
Mika Novikow
Am 18.11.1983 in Hannover geboren. Seit 2007 Studium der Philosophie in Göttingen.
Maik Gerecke
Volker Frick, geb. 1960 / schreibt und veröffentlicht Rezensionen, Gedichte , Stories in Literaturzeitschriften und anderen Medien. Jahrgang 1981. Wohnt in Zuckerwatteland. Fleißiges Redaktions-Bienchen geboren im Juli 1990, studiert in Regensburg Kunstgeschichte. Bedroht Passanten mit Waffenzeitschriften und stochert unaufhörlich seine Beine in die Welt.
Volker Frick Gigi Sommer Holger Dauer Johannes Fightestörk
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