engagée | politisch-philosophische Einmischungen
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Urban Citizenship ISSN 2413-4279 | Summer 2019 | www.engagee.org
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Urban Citizenship
# 8 | 2019
ISSUE
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13
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Johannes Siegmund Urban Citizenship als konkrete Utopie
Christian Sowa Urban Citizenship: A Right to the City?
Christoph Steininger Cosima Terrasse Offenthaltstitel
18
23
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Rabea Berfelde Urban Citizenship as CuidadanĂa. On Urban Social Movements Redefining the Neighbourhood as an Infrastructure of Care
Karin Scherschel The Right to Claim Rights Citizens ohne Rechte
Costanza Coletti Villes Radicales
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#8
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prefig
uring
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Marie Rosenkranz European Balcony Project: Welche Bürger*innenschaft bietet die Europäische Republik?
Holger Wilcke Michel Jungwirth Illegalisierte und Urban Citizens? Kämpfe um medizinische Versorgung in Berlin
Philipp Piechura Die größte Hürde ist der Aufenthaltsstatus. Die Wohnsituation Geflüchteter und die Fragmentierung von (Staats-) bürger*innenschaft
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60
64
Café Mondial Café Mondial: A Field Report
Michael Feichtinger Stadt als Zukunftsproduktion. Akzelerationistische Potentiale des Urban Citizenship
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Daniel Loick Wir Flüchtlinge
engagée | 3
»
engagée M
it dem Anspruch, analyti-
engagée ist theorieaffin und praxisvernarrt
engagée is a self-published journal for politi-
sche Schärfe und politische
und niemals verlegen, unterschiedliche
cal theory, activism and art, which promotes
Involviertheit zu verbinden,
Standpunkte zu verhandeln. Ziel ist es,
emancipatory practices and philosophical
erscheint engagée seit Mai 2015 2-mal
Bedeutungen zu verschieben und kriti-
interventions. The editorial process is open
jährlich als Printmagazin. Auf inhalt-
sche Öffentlichkeiten zu erzeugen, um
and collaborative with the aim to connect
licher Ebene werden gesellschaftliche
neue Denkweisen zu ermöglichen.
political struggles and knowledge produc-
Zusammenhänge reflektiert und emanzipatorische Perspektiven verhandelt. Auf organisatorischer Ebene wagt engagée mit
Der Name des Magazins ist inspiriert von Jean-Paul Sartres Begriff littérature
tion. engagée has a blog and organises events where activists, researchers and artists meet.
engagée (dt. engagierte Literatur). enga-
The aim of engagée is to foster and promote philo-
gée, im Sinne von „immer schon in einer
sophical work that intends to make a constructive
bestimmten gesellschaftlichen Situation
contribution to current political and social prob-
In Zeiten vermeintlicher Alternativlosig-
engagiert bzw. eingelassen zu sein“, hebt
lems. In so doing, it goes beyond conventional
keit spürt engagée das Undenkbare auf.
hervor, dass wir uns nicht einfach aus
academic formats, avoiding a theory/practice di-
Als Experimentierfeld für gemeinsamen
diesen
herausversetzen
vide. It collects different forms of contributions,
Gedankenaustausch ist engagée ein Raum
können. Der Untertitel „politisch-philo-
such as philosophical and literary essays, and
für kollektive und experimentelle Aus-
sophische Einmischungen“ zielt auf das
socially-engaged art. engagée focuses on build-
drucksformen, die über das eigene Den-
strategische Moment, das es notwendig
ing international networks to share experiences,
ken hinaus versuchen, Veränderungen
braucht, um Brüche und Diskontinuitä-
foster knowledge production and cooperation
anzustoßen.
ten mit dem Status quo herbeizuführen.
with local activist groups, researchers and artists.
der offenen Redaktion ein partizipatives Experiment jenseits bloßer Vernetzung.
Verhältnissen
Urban Citizenship
CARING
I.
engagĂŠe | 7
Urban Citizenship als konkrete Utopie // Johannes Siegmund
D
as Aktivist*innennetzwerk „Make the Road“1 hatte sich jahrelang für einen New Yorker Stadtausweis eingesetzt. Die Municipal ID Card IDNYC wurde schließlich 2015 unter einer linken Stadtregierung implementiert.2 Damit reiht sich New York in eine Liste von Städten ein, die seit 2007 in Nordamerika Stadtausweise eingeführt haben. Auch in Europa könnte es bald erste Stadtausweise in Zürich und Bern geben.3 1 www.maketheroadny.org. 2 www1.nyc.gov/site/idnyc/index.page. 3 www.zuericitycard.ch, www.wirallesindbern.ch/city-card Katharina Morawek and others, Urban Citizenship Democratising Democracy, 2017.
Die Stadtausweise sind an die Bedürfnisse der jeweiligen Stadtbewohner*innen angepasst: Einige IDs funktionieren als Kreditkarten oder können für das Bezahlen von Parkgebühren verwendet werden. Die meisten Karten garantieren den Zutritt zu städtischen Einrichtungen und bieten Ermäßigungsprogramme für Kultur- und Freizeitangebote. Auf manchen Karten lässt sich das Geschlecht frei wählen. Alle eint, dass sie nach einem „ius domicili“ an alle Bewohner*innen der jeweiligen Städte vergeben werden und es so ermöglichen, sich unabhängig vom nationalen Aufenthaltsstatus auszuweisen. Für Gruppen wie Senior*innen, Transgender-Communities, Autofahrer*innen oder Kulturinteressierte sind die Ausweise einfach praktisch, für Illegali-
sierte können sie überlebensnotwendig sein, da sie den Zugang zu existenzieller Infrastruktur öffnen. Wie prekär und verwundbar das Leben von Illegalisierten sein kann, wird vor dem Hintergrund der ersten Einführung eines Stadtausweises in New Haven deutlich. Ein Illegalisierter war überfallen und ermordet worden, weil er sein Monatsgehalt in bar bei sich trug. Er hatte ohne Ausweis kein Konto eröffnen können.4 Stadtausweise ermöglichen es, auch ohne Aufenthaltstitel Bankkonten zu eröffnen und Handy-, Miet- und Versicherungsverträge abzuschließen. Sie bieten teilweise Zugang zum Gesundheitswesen und zu Bildungsinstitutionen. Zudem vermindern sie die Gefahr einer Abschiebung und sorgen für Sicherheit, indem sie Sans-Papiers, Migrant*innen ohne Aufenthaltstitel, den Zugang zu städtischer Rechtssprechung und Polizeiarbeit ermöglichen.
Stadtbürger*innenschaft statt Staatsbürger*innenschaft Die aus der Sanctuary-Cities-Bewegung entstandenen Stadtausweise sind eine von vielen Praxen, die unter dem Begriff Urban Citizenship (UC) gefasst werden können. Urban Citizenship löst den Begriff der Bürger*innenschaft vom Nationalstaat und bindet ihn an die Stadt. UC tritt damit in ein Spannungsverhältnis zur Staatsbürger*innenschaft und entdramatisiert diese, indem sie die Zugehörigkeit nicht an Volk, Territorium und Staat, sondern primär an den Wohnort bindet. Rechte, Pflichten und politische Teilhabe werden damit nicht als Beziehung zwischen Bürger*in und Staat, sondern zwischen Bürger*in und Stadt konzipiert. Damit beschreibt UC Praktiken, die für eine stärkere städtische Autonomie eintreten und fordert, eine städtische Politik ausgehend von der Figur der Stadtbürger*in zu implementieren.5 UC-Praktiken 4 Michael Rüegg, ‘Die Stadt, die alle zu ihren Bürgern machte’, Republik, 20 September 2018 www.republik.ch/2018/09/20/diestadt-die-alle-zu-ihren-buergern-machte> [accessed 22 January 2019]. 5 ‘Citizenship Practices and Urban Governance in European Cities Marisol Garcia, 2006’, Urban Studies www.journals-sagepub-com. uaccess.univie.ac.at/doi/abs/10.1080/00420980600597491 [accessed 13 August 2018].
setzen an der städtischen Umsetzung sozialer und politischer Rechte an. Sie reichen von Stadtausweisprojekten und Wahlrechtsforderungen für alle Stadtbewohner*innen, über Projekte zu anonymen Krankenscheinen,6 Netzwerke wie Recht auf Stadt, Forderungen nach leistbarem Wohnraum, Kämpfe um den Erhalt des öffentlichen Raums, bis hin zu einer städtischen Verteidigung des Rechts auf Asyl.
Eine Welt der Städte: Soft-Science-Fiction oder neuzeitliche Vielstaaterei? Urban Citizenship fasst als politische Idee dabei auf der einen Seite konkrete und pragmatische Praktiken, besitzt aber auf der anderen Seite auch ein radikal utopisches/dystopisches Potential. UC öffnet damit einen Raum für alternative politische Ordnungsentwürfe, die sich als konkrete Utopien und als pragmatischer Radikalismus beschreiben lassen. Zunächst möchte ich den utopischen und radikalen Horizont der Idee betrachten. Indem UC den Nationalstaat perforiert und seine politische, rechtliche und soziale Vormachtstellung in Frage stellt, öffnet es einen utopischen Raum für radikale Neuordnungen des Politischen und Sozialen. Jenseits der rassistischen Ausschlüsse des Nationalstaats haben Städte, die schließlich aus Migrationen gemacht sind, die Möglichkeit, für inklusive Politiken einzustehen. Gerade im Zuge der Welle aus Nationalismus und Populismus, die seit einigen Jahren um die Welt schwappt, könnten sie Orte der Hoffnung für pluralistische, liberale und demokratische Politiken werden. UC würde demnach demokratische Praxen auf einer kommunalen und städtischen Ebene stärken und soziale und politische Rechte auf städtischer Ebene garantieren.7 Radikal gedacht, könnte Urban Citizenship so in eine Welt der Städte oder Metropolregionen führen: Städte würden ihr Umland in eigene Jurisdiktionen einbinden und sich autonom 6 Siehe den Beitrag von Holger Wilcke und Michael Jungwirth in diesem Heft. 7 Benjamin R. Barber, If Mayors Ruled the World: Dysfunctional Nations, Rising Cities (New Haven: Yale University Press, 2014). engagée | 9
selbst verwalten. Sie könnten sich die politische Macht über Handels-, Währungs-, Klima-, Außenund Migrationspolitik vom Staat zurückerobern.8 Eine solche Welt der Städte würde politisch an die Neuzeit in Zentraleuropa erinnern, würde sich allerdings auf einer ganz anderen Größenordnung vor einem globalen Hintergrund organisieren. Trotzdem könnten sich Probleme der Vielstaaterei wiederholen: Unzählige Grenzen, Währungen und Gesetze könnten in ein unübersichtliches Chaos führen, die Mobilität einschränken und Vermögensunterschiede zwischen Regionen vergrößern. Zudem könnten suprastädtische Organisationen an Macht gewinnen, seien es Großkonzerne oder Organisationen wie eine EU der Städte oder anstatt der UN so etwas wie die „United Cities“.9 Ob die Städte ihre Autonomie gegen diese Organisationen behaupten könnten, bleibt offen: Wenn Großkonzerne ganze Staaten gegeneinander ausspielen können, würden sie sich mit Städten dann nicht viel leichter tun? Außerdem könnten aus einem Europa der Städte oder aus den United Cities ohne die Kontrolle der mächtigen Nationalstaaten autokratische suprastädtische Organisationen werden. Utopie und Dystopie liegen in diesen Zukunftsszenarien eng beieinander. In dieser Radikalität gedacht, bietet UC daher vielschichtiges Material für eine Mischung aus Science-Fiction und spekulativer politischer Theorie.
Für eine lokale Theorie von Urban Citizenship Dieser utopische Radikalismus zeichnet aber nur den äußerste Horizont von UC. Ganz pragmatisch lassen sich mit dem Begriff viele konkrete Praktiken in Städten auf der ganzen Welt fassen. Überall, wo Rechte, Pflichten und politische Teilhabe auf einer städtischen Ebene verankert und ausgebaut werden, lässt sich ebenso von UC-Praktiken sprechen – etwa überall dort, wo sich Menschen organisieren, 8 Rainer Baubock, ‘Reinventing Urban Citizenship’, Citizenship Studies, 7.2 (2003), 139–60 https://doi.org/10.1080/1362102032 000065946. 9 www.globalparliamentofmayors.org, www.worldmayorscouncil.org, www.solidaritycities.eu.
um ihre Stadt selbst zu machen.10 Wie die Städte, in denen sie stattfinden, sind diese Praxen allerdings sehr unterschiedlich. Wer versucht, urban-farming in Detroit, recht autonom wachsende dörfliche Siedlungen in Delhi und die NY Municipal ID in ein universelles Konzept von UC zu packen, wird schnell an die Grenzen des Sagbaren stoßen. Würde UC ausgehend von Delhi, Paris, Aleppo, Detroit und Guangzhou entwickelt – vermutlich würden sich fünf verschiedene Begriffe herauskristallisieren.11 Ich möchte daher neben der spekulativen für eine lokale Theorie von UC plädieren und in diesem Sinne vorschlagen, aus den lokalen Praktiken viele Arbeitsbegriffe von UC zu entwickeln, anstatt eine Metatheorie über all die verschiedenen Praxen und Ideen überall auf der Welt zu stülpen. Meine grundsätzlichen Fragen an UC blieben dann an spezifische Städte gebunden: Was kann man mit dem Begriff machen? Was problematisiert er? In welchen Machtkämpfen und Kräftefeldern wird er verwendet?
Wiener*in werden: Eine Bastelanleitung In diesem Sinn scheint es mir produktiv, für meinen Wohnort Wien ein Kräfteverhältnis zu skizzieren, in dem UC-Debatten und UC-Praxen zur Anwendung kommen. UC ließe sich für Wien vor dem Hintergrund eines Zusammenspiels von unternehmerischen, parteipolitischen und selbstorganisierten Kräften produktiv einsetzen. Neoliberale Unternehmen und Politiken, sozialdemokratische und grüne Parteien, aber auch soziale Bewegungen und autonome Organisationsformen gestalten die Stadt in einer ständigen Auseinandersetzung. Selbstverständlich sind das nicht die einzigen Kräfte im Machtkampf um die Stadt – auch die rechtsextreme und 10 Stadt für alle: Analysen und Aneignungen, ed. by Heidrun Aigner and Sarah Kumnig, kritik & utopie, 1. Auflage (Wien: Mandelbaum, 2018). 11 The Arts of Citizenship in African Cities: Infrastructures and Spaces of Belonging, ed. by Mamadou Diouf and Rosalind Fredericks, Africa Connects (New York, NY: Palgrave Macmillan, 2014); Cities and Citizenship, ed. by James Holston (Durham [N.C.]: Duke University Press, 1999).
rechtspopulistische Nationalregierung, die EU und viele andere Akteur*innen spielen mit in die Stadtpolitik hinein. Der Einfachheit halber möchte ich mich aber auf drei Kräfte – neoliberale, sozialdemokratische/grüne und Protestbewegungen/Autonome – konzentrieren und ein Kräftefeld der Stadt erstellen, in das mit UC-Praktiken interveniert werden könnte (wie beispielsweise bei der Einführung eines Stadtausweises). Aus einer neoliberalen Sichtweise stellt Wien ein Spekulationsobjekt dar. Stadt selbst wird immer mehr zur Ware, die an private Investor*innen verkauft und von ihnen gestaltet wird.12 Städte sollen attraktiv für Tourismus, Risikokapital und Unternehmen sein, wofür sie sich in globalen Städterankings beweisen müssen. Hier spielen Sicherheit und Infrastruktur, Lebensqualität und Diversität, kulturelle Angebote und sozialer Frieden ebenso eine Rolle wie Verkehrsanbindungen und Kapitalflüsse. Die Stadt reagiert auf diese Forderungen zum einen mit einem Ausbau der Infrastruktur und einer Verdrängung unerwünschter Bewohner*innen, gleichzeitig entwickelt sie eine Stadtidentität, die dann vermarktet wird. Das Stadtbranding wird zum einen über Marketingkampagnen und Events gleichzeitig, aber auch über die Bewohner*innen direkt vermarktet: Stadtbewohner*innen werden gewissermaßen in Botschafter*innen ihrer Städte verwandelt, die in nicht enden wollenden Gesprächen über Städte und deren Vorzüge und Nachteile Milliarden von Mikrospekulationen zur Aufmerksamkeitsökonomie des Städtewettbewerbs beisteuern. Zwischen dem Governance-Modell des Neoliberalismus und UC finden sich in den Forderungen nach Diversity, Sicherheit, Infrastruktur und Mitgestaltung einige Schnittstellen, auch wenn UC in diesem Kontext beständig gegen die Vermarktung des Neoliberalismus ankämpfen muss. Was die Sozialdemokratie für eine Stadt leisten kann, lässt sich exemplarisch in Wien sehen: Die Stadt kann vielen ihrer Bewohner*innen eine solide und leistbare Infrastruktur anbieten. Abfallbeseiti12 David Harvey, Rebel Cities: From the Right to the City to the Urban Revolution, Paperback ed (London: Verso, 2013).
gung, Wasser-, Energie- und Datenversorgung, Gesundheitsversorgung, Wohnraum und öffentlicher Raum: Die Stadt hat sich in all diesen Bereichen einigermaßen erfolgreich gegen die neoliberalen Privatisierungen gestemmt, die für so viele Städte in Deutschland katastrophal endeten. Allerdings hat die sozialdemokratische Politik ihre Grenzen. Anfang 2018 wurde von der SPÖ die Idee eingebracht, bevorzugt lang ansässige Wiener*innen in der Verwaltung einzustellen und Sozialwohnungen bevorzugt an diese zu vergeben: Die Strategie „Wiener*innen first!“ ist als Reaktion auf die rechtsextremen Populist*innen von der FPÖ zu verstehen, droht aber nationale Ausschlüsse auf städtischer Ebene zu wiederholen. Zudem geht mit der sozialdemokratisch verwalteten Infrastruktur auch ein Normierungswille einher: Für den Einzug im Wiener Gemeindebau müssen beispielsweise geordnete Familienverhältnisse nachgewiesen werden. Trotz dieser Grenzen der Inklusion wurde von der SPÖ 2003 die Initiative der Grünen mitgetragen, das kommunale Wahlrecht für alle Bewohner*innen der Stadt einzuführen. 2015 wurde ein städtisches Büro für Menschenrechte eingerichtet.13 Die Vorsitzende der Wiener Grünen hat Interesse an einer Wiener Stadtbürger*innenschaft und einem umfassenden Recht auf Stadt gezeigt. In dieser Hinsicht könnte sich die rot/grüne Parteipolitik auch für UC-Ansätze öffnen.14 UC kann aber nicht nur an die Grünen, die Sozialdemokratie und an die diversen Stadtidentitäten des Neoliberalismus anschließen, sondern ebenso an soziale Bewegungen und autonome Organisationen. Unter UC lassen sich viele radikal-demokratische Bewegungen und autonome Praxen in den Städten fassen: Durch „acts of [urban] citizenship“15 wurden auch auf städtischer Ebene Rechte erkämpft und politische Teilhabemöglichkeiten geschaffen. Radikal13 www.wien.gv.at/menschen/integration/menschenrechtsstadt/ buero.html. 14 www.augustin.or.at/zeitung/tun-und-lassen/in-wien-wenigneues.html. 15 Acts of Citizenship, ed. by Engin F. Isin and Greg Marc Nielsen (London ; New York : New York: Zed Books Ltd. ; Distributed in the USA by Palgrave Macmillan, 2008). engagée | 11
demokratische Bewegungen können auf eine lange Tradition der städtischen Demokratie zurückblicken. Autonome Bewegungen waren in der Moderne oftmals städtisch – von der Pariser Commune, über die Münchner Räterepublik bis hin zu Barcelona während des Bürgerkriegs. In der Stadt spitzen sich Konflikte auf engem Raum zu, gleichzeitig bietet die Stadt den öffentlichen Raum als permanente Bühne für politische Inszenierungen. Kurz, die Stadt ist ein idealer Ort für Protestpolitik und war es lange Zeit auch für Praxen der autonomen Verwaltung. Die Protestkultur und autonome Organisation in Wien ist weit gespannt und reicht von den gerade regelmäßigen Donnerstagsdemos, Vereinen wie beispielsweise der Migrating Kitchen über Rechtsberatungen für Geflüchtete, NGOs, die sich für Obdachlose einsetzen, städtische Bewegungen, die gegen Privatisierungen des öffentlichen Raums eintreten, bis hin zu Wohnprojekten wie habitat.16 Viele dieser Organisationen und hunderte mehr leben UC auf einer kleinen Skala präfigurativ, stellen sich mit viel ehrenamtlicher Arbeit und einem unglaublichen Einsatz den drängenden politischen und sozialen Problemen Wiens. Damit ergänzen sie die Programme der Caritas, der Malteser, der Barmherzigen Brüder und anderer sozialer und humanitärer Organisationen in Wien. 16 www.wiederdonnerstag.at, www.migrating-kitchen.com, www.facebook.com/vereinander, www.habitat.servus.at.
Konkrete Utopie In diesem Spannungsfeld aus neoliberalen, sozialdemokratisch/grünen und selbstorganisierten Kräften können sich UC-Praktiken in Wien ansiedeln. Akteur*innen, die in Wien auf UC hinarbeiten, können sich entscheiden, welche Kräfte sie nutzen wollen und mit welchen Bewegungen und Organisationen sie kooperieren. Ein mögliches UC-Projekt für Wien wäre beispielsweise die Einführung eines Stadtausweises. Dies ließe sich möglicherweise mit einer Allianz aus Protestbewegungen, städtischer Verwaltung, grüner Partei, der Anlaufstelle für undokumentierte Arbeiter*innen UNDOK,17 Kulturorganisationen und Unternehmen durchsetzen. Ein Wiener Stadtausweis-Projekt bliebe in die bestehenden Machtfelder der Städte eingebunden und müsste als kleines Reformprojekt, als konkrete Utopie, verstanden werden. Stadtausweise helfen zwar den Illegalisierten ein besseres Leben zu führen, ändern aber nicht das grundsätzliche Problem der Verwehrung von Rechten, des Rassismus und des partiellen Ausschlusses oftmals hart arbeitender Menschen ohne Papiere. Trotzdem wäre ein Stadtausweis für Wien ein winziger Nadelstich durch den Nationalstaat. Durch diese Perforation könnte dann vielleicht in Zukunft ein klein wenig Utopie schimmern. 17 www.undok.at.
Urban Citizenship: A Right to the City?
// Christian Sowa
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T
he concept of urban citizenship is widely discussed at the moment. Debates are not limited to the sphere of academia; they are also present in many social movements such as sanctuary cities in the United States or solidarity cities in Germany. The main subject of discussion focuses on citizenship having emancipatory potential on the urban level instead of the national one. In this way, it can challenge (national) border regimes, forms of discrimination and can lead to more just societies. A tendency to mainstream urban citizenship is visible, especially when it comes to government initiatives. Many cities emphasize diversity and migrant life, but disregard discussing migrants' precarious situation, which prevents them from actively participating in the city. More and more cities declare themselves as solidarity cities, but without addressing issues prevailing in these cities, such as racial profiling and deportations. For example, the city government of Berlin decided to join the European network, Solidarity Cities, in January 2019. Such initiatives are often framed as a way of counter-acting restrictive national policies, and creating alliances for more inclusive forms of belonging. However, since these initiatives do not often focus on structural issues of repression and exclusion, many attempts seem to be hardly more than a symbolical gesture to boost the image of city governments. Especially during times of entrepreneurial cities (Harvey 2001), urban citizenship can be (mis-)used as a marketing slogan for a cosmopolitan city. As a consequence, the radical and emancipatory potential of urban citizenship is increasingly blurred and at risk of getting lost. What is needed is a radical enactment of urban citizenship, not a formal implementation but a process towards it. A radical practice that would simultaneously
challenge the border regime as well as neoliberal developments and forms of exploitation present in cities. In this essay, I will argue that understanding urban citizenship as a right to the city can be useful for emphasizing radical enactment, and providing an answer to tendencies to mainstream that concept. The essay starts by focusing on the concept of the right to the city developed by Henri Lefebvre. Secondly, I discuss the implications of understanding urban citizenship as a right to the city. On the one hand, both concepts share overlaps in their ideal vision of the city but, on the other, using right to the city ideas pushes urban citizenship to a more radical and materialist critique of the status quo. A brief look at an empirical example and political practice shows that the combination of these debates is already practiced, yet it needs to be further developed for creating a radical enactment of urban citizenship.
The Right to the City The urban is the central field of emancipation. This was a credo of French philosopher and sociologist, Henri Lefebvre (1901-1991). Lefebvre considers the urban beyond the administrative territory of the city. It impacts the society as a whole, possessing an ideal of coming together and of participating in urban life. He stated that pre-capitalist cities partly enabled these forms of social life by being a place to meet and exchange. However, with the emergence of capitalism, this ideal vanished. Even if Lefebvre’s historical perspective has a slight tendency to romanticize the pre-capitalist order, his analysis of how capitalism shaped and continues to shape cities is very useful. It explains how a double process of urbanization and industrialization (Lefebvre 1996, 70) created urban sprawls, suburbs and cities that were
dominated by exchange rather than use value. The production and reproduction of capitalism became the maxim of cities. The needs and uses of city inhabitants were increasingly ignored, leading to alienation and ultimately to segregation. The high-rise buildings in the outskirts of French cities are Lefebvre’s central empirical example of this process. Mostly working-class people are housed in these huge apartment blocks, to house social reproduction and produce capitalist modes of living, instead of actively producing their city as inhabitants (Lefebvre 2003, 156). Nevertheless, based on dialectical thinking, Lefebvre did not see this process as absolute and total. Rather, it is always conflictual and contested: the city is a central space for the re-/production of capitalism, and people are pushed out of the urban centers. However, at the same time, the city has the potential for change, for reclaiming the urban and for developing a new political subjectivity. Lefebvre describes this with the slogan of the right to the city. The right to the city is a radical answer to the misery in cities. It is not a romantic turn back to a pre-capitalist time, but a call to develop new forms of the urban. Additionally, it goes beyond a formal implementation of a legal right: the right to the city is a “superior form of rights” (Lefebvre 1996, 173), a much larger social transformation. It means a life in the city not dominated by segregation and alienation, but rather a practice based on access to and participation in the city, and a practice of autogestion: a radical self-governance that opposes neoliberal self-maximization, and extends practices of solidarity and emancipation based on the use value of the city. These ideas, as Daniel Mullis (2018) has shown in the last edition of this magazine, have close ties to ideas of radical democracy.
The many references to the right to the city in academia (among others: Derive 2015, Harvey 2013, Mitchell 2003, Verso 2017) as well as its use as a slogan by several urban social movements (see e.g. Holm and Gebhardt 2011) indicates that Lefebvre and the right to the city continue to be relevant. Cities have changed over the last 50 years, and neoliberal planning looks very different to the planning of the 1960s. Processes such as gentrification popped up as a rather new phenomenon in cities. Nonetheless, Lefebvre’s analysis of how cities are shaped by exchange value, financial speculation and segregation seems to have intensified in neoliberal times.
Understanding Urban Citizenship as a Right to the City — A Shared Vision How does this concept of a Right to the City connect to urban citizenship? How can we read urban citizenship as a right to the city? In general, urban citizenship debates focus on the re-scaling of citizenship, of belonging and participating in societies, from the national to the urban scale (e.g. Darling 2017, Hess and Lebuhn 2014, Isin 2000, Nicholls 2016). A central question of these debates is whether cities can oppose the rather exclusionary logic of state citizenship. Urban citizenship can create new communities inside cities, increasing participation among people with different statuses and backgrounds. To further understand (urban) citizenship as acts (Isin and Nielsen 2008), our attention must turn away from a formally given rights and move towards the enactment of urban citizenship as a process. This emancipatory outlook has similarities to the right to the city approach and is discussed by several scholars. Mark Purcell (2003) argues that urban citizenship has the potential to create a political community based on inhabitance which he interprets as a right to the city.
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This community would create new democratic forms of participation in cities, in which national citizenship would not matter. Liette Gilbert and Mustafa Dikeç (2008) connected the work of Lefebvre and Étienne Balibar and understood the right to the city as a right to difference, not a right on paper, not a right to vote, but the enactment of full participation in the city. This enactment includes that all people can participate and live in the city, not simply as a passive dwellers but as inhabitants and users of the city — no matter what passport or status a person holds. Both urban citizenship and the right to the city aim to create a new political community and focus on the city as a central place for this process. If we see urban citizenship as this radical practice, our focus turns away from essentializing migration as a thing in itself; rather, we address questions of participation and democracy in the city. It’s not about highlighting diversity in the city or about implementing a program to enhance low-level participation of migrants but about actively reclaiming the city. Connecting urban citizenship to right to the city ideas contributes to challenging the tendencies to mainstream urban citizenship.
The Need for a Critique of Material Conditions While the emancipatory project of urban citizenship overlaps with right to the city ideas, the foundations of both ideas differ. As Henrik Lebuhn (2018) shows, debates on the concept of urban citizenship are mainly based on a rather liberal discourse of individual rights whereas the right to the city is based on a much more Marxist and materialist approach. From my point of view, this does not imply an absolute opposition of these analytical concepts. Instead, it points to the need to combine ideas of urban citizenship with Lefebvre and the right to the city.
A central question, indicating the conceptual differences mentioned above, is how to approach the ideal of a new political community inside a city. Many debates of urban citizenship tend to discuss an emancipatory outlook without looking at social inequality. Some of them are focusing on formal rights, but are not discussing how these rights are unequally experienced. Based on an analysis of capitalism in cities, the concept of the right to the city allows us to focus on material conditions: gentrification, segregation and evictions are disrupting people's lives on a daily basis and are impacting their ability to participate in urban life. Aspects such as housing and healthcare are crucial for people to become inhabitants and users of the city. We need to ask: who can participate in the city? What material base do you need to participate in the city? These questions, I argue, need to be raised in order to understand urban citizenship as an emancipatory project and as a radical practice. In this way, urban citizenship as a right to the city can address both, border regimes and the nation state, as well as capitalist orders in cities and the material conditions of their inhabitants. The latter being the preconditions for creating more inclusive forms of participation and belonging. Many social movements are already enacting this radical form of urban citizenship. In Berlin, a solidarity city movement is pushing for the implementation of an anonymous healthcare card that would provide more equal healthcare for everyone, especially for illegalized people. Here, the analysis of material conditions is combined with a perspective of creating a city of solidarity. This example shows that there are political practices that include ideas of both the right to the city and urban citizenship. Similarly, Wilcke and Jungwirth demonstrate, in their contribution to this edition, that we need to put this example in a context with other ongoing restrictions in the healthcare system. We need to see the call for a
healthcare card as a process rather than an end in itself. All in all, it is a praxis that needs to be continued and extended to other field such as housing. Berlin is a city that is transforming heavily due to financial and real estate speculation. Housing is a central issue for many of the city’s residents. Among them are about 30,000 refugees who are living in mass shelters, many of them for several years. These places are known for their substandard of living and for being primarily located at the very periphery of the city. Even though many refugees are allowed to look for apartments in Berlin, the extreme scarcity of affordable housing makes it almost impossible to leave these shelters. Decent housing is crucial for becoming an inhabitant and user of the city. But the material conditions of living in mass shelters exclude large numbers of the city’s residents and prevent the emergence of a new political community of urban citizens. Instead of highlighting and celebrating the diversity of cities like Berlin, there is a need to address more fundamental issues. The question of refugee accommodation becomes a question of housing. In this way, urban citizenship as a right to the city needs to include a call for housing for everyone. It needs to address the material conditions that allow people to participate in the city. For this project, the numerous housing initiatives in Berlin could create a viable connection to no border and solidarity city movements. This would combine struggles for reclaiming the city with struggles for a city for everyone. In this practice, an urban citizenship as a right to the city emerges and at the same time sets a clear counterpoint to the mainstreaming of that concept.
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an b r U ents n O vem ing o efin od M l Red rho e a i c u Car o So b f h o g i e ture N the astruc fr n I n as a
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he housing crisis, or the conditions allowing for gentrification and ‘accumulation by dispossession’ (Harvey 2003), is a planetary one. All over the globe, homes continue to be transformed into commodities of financial speculation. Yet, urban struggles claiming a radical right to housing are thriving. In what follows, I will argue that it is by observing the struggles of urban social movements that we can diagnose the complexities of the contemporary urban condition. I will conclude that by paying attention to the specific form of urban democracy tenants organizations are envisioning and practicing, we can gain inspiration for a feminist re-conceptualization of urban citizenship as cuidadanía (“feminist care”). Henri Lefebvre famously argued that different regimes of capitalist accumulation have ‘produced’ particular and characteristic forms of urban space (Lefebvre 1991). This makes the space of financialized capitalism visible as one marked by global streams of financial interest rates and ‘planetary gentrification’ (Lees et al. 2016). Capitalism always inherently depended on its urban form — be it with the city providing the necessary material and physical infrastructures for industrial production, or the investment of capital surpluses in a built environment to delay a crisis caused by over-accumulation (Harvey 1978). However, it is only since financialized capitalism has become the hegemonic regime of capitalist accumulation — and property titles are being traded as financial assets — that the urban fabric as such has become part of the productive process. Financial capital has come to realize itself precisely through the production of urban space and the cessation of treating housing as a home but rather as real estate and a 'store of value' (Moreno 2018, 160). This was made possible by neoliberalism becoming the governing political rationality for the city. According to Wendy Brown, neoliberalism is an economic policy, a modality of governance and an order of reason. As an order of reason, it shapes everything in a specific im-
age of the economic: from statecraft to jurisprudence, from the workplace to education and culture (Brown 2015). Within the realm of urban governance, neoliberal reason expresses itself as ‘urban entrepreneurialism’ enabling a “consensus that seems to hold across political parties and ideologies”, and “that positive benefits are to be had by cities taking on an entrepreneurial stance to economic development” (Harvey 1989: 4). This enabled the gradual dismantling of the (local) social welfare state and resulted in a variety of measures to lower the costs of municipal spending in public infrastructure provision. For example, to resolve the city’s fiscal crisis - between 1995 and the early 2000s, a considerable part of Berlin’s municipal housing stock was sold off and reduced from 370,000 units in 1993 to less than 150.000 units in 2012 (Holm 2013: 175). This privatization gave way to the financialization of housing since a considerable portion was bought up by large scale institutional investors that treated the houses as an asset of financial speculation. With the financialization of housing, what is deemed to be a home, shelter and an infrastructure of care becomes dependent on the fluctuations of financial products, interest rates and accumulation strategies rooted in the urban’s built environment. A city's housing stock that is governed by financial markets becomes volatile, insecure, and vulnerable. This resonates with the definition of precarity: not as scarcity but as uncertainty with respect to the sustained access to the material and immaterial resources essential to the full development of one’s life (Precarias a la deriva 2004). Housing, as it turns out, is bound to the speculative mode of production of financialized capitalism, and becomes one aspect of precarization. With the neoliberal expropriation of labour and livelihood, social insecurity (in the sense of precarity) not only affects the marginalized of a society but also the “(imaginary) centre of the (national) self ” (Lorey 2015: 67). engagée | 19
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However, it must be noted that the Fordist Keynesian welfare state represents a localized exception bound to the Western European and United States context within the history of capitalism. For working-class and migrant communities – the marginalized of the society – the system of housing provision, even during the times of the Fordist Keynesian welfare state, has been insufficient and in crisis. Nevertheless, as noted under ‘urban entrepreneurialism’, the new ‘quality’ of the contemporary housing crisis, is that it affects and precarizes bigger portions of the population albeit to a different degree with precarity is differentially allocated across the social body stemming from a juncture of material and symbolic conditions (Precarias a la deriva 2004). Furthermore, neoliberalism, understood in a Foucauldian manner as an account of governmentality that affects individual conduct, morally interpellates individuals to be responsible for their own success. On the other side, this means that subjects have a privatized and individualized sense of their specific experience of precarity and interpret it as a failure to secure their own living through savvy self-investment (Brown 2016: 9).
For an experience of precarity to become the starting point of democratic potential, it needs to be understood as a common experience caused by the structural and political failure of biopolitical urbanism to care for certain bodies and lives.
Individualization as the correlate of neoliberalism’s moral ideal of self-responsibilization has dismantled and atomized the social body. The production of fragmentary and polarized cities is the spatial imprint of this process fuelled by neoliberal financialized capitalism. But there is also thriving resistance: this process has sparked new forms of protest and political alliances that shake up the social landscape of the city. In Berlin for example, on April 14th 2018, a new cycle of urban social movements became visible. On that day, a demonstration took place with 15,000 people took place in the streets to protest against gentrification, displacement and dispossession in the context of rising rents. This new movement comprises tenants organizations that are based in the local neighbourhood. They aim to re-invent housing and the broader community as the site for social reproduction and care as well as aim to inhabit the space as a social infrastructure. Amongst the initiatives was also the tenants organization Kotti&Co. In 2012, they staged an occupation of the public space in front of the housing estates at Kottbusser Tor in Kreuzberg to protest against rising rents in the context of social housing. The district of Kreuzberg has a history of being a working-class migrant area. Today, it is a busy urban hub, where different communities live alongside each other. A hut constructed of recycled wood, the ‘Gecekondu’, serves as a visible sign for their protest and further as a central social space for the organization and the broader neighbourhood. The neighbours can go there for social counselling and legal advice or just meet up over a cup of coffee or tea. It is a place where people – notwithstanding all their ascribed differences – come together and share their common experiences. In
that sense, it is a space of care amongst neighbours, where they can assemble to help each other out. As a long-term goal Kotti&Co’s political protests aim at the ‘Re-municipalisation plus’ of the houses - which they understand to be the only sustainable solution for the contemporary housing crisis (Kotti&Co 2013). ‘Re-municipalisation plus’ means buying the estates back, transforming the ownership structure into a public one and combining that with the democratic self-management through the tenants. Thus, resulting in a commoning of the houses they are living in.
Tenants organizations such as Kotti&Co re-invent the neighbourhood as an infrastructure of care. It is precisely from these practices that we can extract something for a feminist redefinition of urban citizenship as cuidadanía. As previously mentioned, being entitled to welfare state provision was largely tied to the status of citizenship. Citizenship, or more precisely who counts as the people, has always been defined via the co-constitutive relationship of ‘inclusive exclusion’ (Agamben 1995). Within the system of sovereignty, the production of ‘bare life’, meaning those who are deprived of their status as political subjects, constitutes the political community. Being a political subject and a subject bearing rights has been linked to a certain economic, racialized and gendered status. Thus, the blueprint for the definition of citizenship
has been the white property-owning male. If we approach urban citizenship by thinking about radical inclusion and how to bypass the nexus ‘inclusive exclusion’, the concept of cuidadanía, as coined by the activist collective Precarias a la deriva, offers some starting points. Cuidadanía is a wordplay between the Spanish term for care cuidado and the Spanish term for citizenship ciudadanía (Mennel and Nowotny 2014: 29). The neologism was introduced to point towards the centrality of care for the reproduction of life as such. This can be regarded as a feminist stance towards the re-definition of citizenship. It is an important contribution in the light of the double re-privatization of care provision: on the one hand, the outsourcing to private companies, and on the other hand, the relegation of care back into the private sphere onto the individual's family environment. Moreover, at the heart of cuidadanía is the recognition of existential interdependence. This has the potential to do away with the mode of neoliberal self-governance that “is based on an imagination of coherence, identity and wholeness that goes back to the construction of a male, white, bourgeois subject” (Lorey 2015: 30). Learning from urban social movements and re-thinking urban citizenship as cuidadanía in terms of interdependency and care is a contribution to re-defining belonging beyond the racialized and gendered politics of citizenship. However, this can only be the starting-point for further theoretical work on the concept. If, for example, simply going back to the Fordist Keynesian welfare state is no option for emancipatory politics, how can we re-invent welfare ahead of our times? How can we, for example, institutionalize a government of the commons in common?
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Bibliography Agamben, G. (1995). Homo Sacer: Sovereign Power and Bare Life. Palo Alto: Stanford University Press. Brown, W. (2015). Undoing the Demos. Neoliberalism’s Stealth Revolution. NY: Zone Books. Brown, W. (2016). Sacrificial citizenship: Neoliberalism, human capital, and austerity politics. Constellations, 23(1), pp. 3-14. Harvey, D. (1978). The urban process under capitalism: a framework for analysis. International journal of urban and regional research, 2(1-3), pp. 101-131. Harvey, D. (1989). From managerialism to entrepreneurialism: the transformation in urban governance in late capitalism. Geografiska Annaler: Series B, Human Geography, 71(1), pp. 3-17. Harvey, D. (2003). The New Imperialism. Oxford: Oxford University Press. Holm, A. (2013). Berlin’s gentrification mainstream. In: Bernt, M./Grell, B./Holm, A. (eds). The Berlin reader. A compendium of urban change and activism. Bielefeld: transcript Verlag, pp. 171-188. Kotti&Co (2013). Rekommunalisierung Plus Kotti. Available at: https://kottiundco.net/2013/10/30/rekommunalisierung-pluskotti/ [Accessed 29th November 2018]. Lees, L./Shin, H. B./López-Morales, E. (2016). Planetary gentrification. Cambridge: Polity Press. Lefebvre, H. (1991). The Production of Space. Oxford: Blackwell. Lorey, I. (2015). State of Insecurity. Government of the Precarious. London: Verso. Mennel, B./Nowotny, S. (2014). Die militante Ethik der Precarias a la deriva. In: Precarias a la deriva. Was ist dein Streik? Wien: transversal texts, pp. 9-34. Moreno, L. (2018). Always crashing in the same city: Real estate, psychic capital and planetary desire. City, 22(1), pp. 152-168. Precarias a la deriva (2004). Adrift through the circuits of feminized precarious work. Available at: http://eipcp.net/ transversal/0704/precarias1/en [Accessed 29th November 2018].
The Right to Claim Rights Citizens ohne Rechte // Karin Scherschel
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emokratische Rechte sind weltweit zweifellos ungleich institutionalisiert. Die Demokratien des globalen Nordens sind deshalb ein Anziehungspunkt für Flüchtende. Diese entfliehen totalitären Regimen, die ihren Bürger*innen keine demokratischen Rechte zugestehen und sie stattdessen Gewalt und Terror aussetzen.1 „Das Recht, Rechte zu haben“ (Arendt) ist exklusiv, nicht jeder und jede verfügt über Rechte, sondern diese sind zuvorderst für jene gedacht, die im klassischen Sinne als citizens – als Inhaber*innen einer Staatsbürgerschaft – gelten. Letztere – und darin wird ein exklusives Moment moderner Demokratien sichtbar – können ihre politischen Beteiligungsrechte nutzen, um Rechtspopulisten an die Macht zu bringen und restriktive Abschottungspolitiken durchzusetzen. Dieses Moment hat Jochen Simon (2017: 74) im Sinn, wenn er über die gegenwärtige europäische Flüchtlingspolitik schreibt:
The history of citizenship has […] been one of conflicts over the real content of the category in terms of civil, political and social rights […]. (Castles/Miller 2009: 44)
„Fast könnte man auf die Idee kommen, dass gewiefte Politiker die Menschen darüber hinwegtäuschen, was die EU in Libyen tatsächlich tut. Doch so ist es eben nicht. Hier werden keine unschuldigen Bürger getäuscht, vielmehr ist die europäische Flüchtlingsabwehr ein Beispiel für funktionierende Demokratie. Die enormen Bemühungen der Europäischen Union in Afrika haben keinen anderen Zweck, als die europäischen Wählerinnen und Wähler zu beruhigen und so die rechtspopulistische Rebellion gegen das liberale Europa doch noch aufzuhalten.“
The actors of citizenship are not necessarily those who hold the status of citizenship. (Isin 2009: 370)
1 Allerdings erreicht nur ein Bruchteil diese Länder. Menschen fliehen zudem aus weiteren Gründen wie u.a. Hoffnungslosigkeit, Armut oder Umweltzerstörungen in Folge des Klimawandels.
Charakteristisch für den Typus moderner Massendemokratien ist ein typisches wohlfahrtsstaatliches Arrangement, das die Beziehungen zwischen Staat, Familie und Markt durch eine spezifische Organisation der Sozialsysteme, der kapitalistischen Produktion, des Geschlechterarrangements und der Care Arbeit sowie des Mitgliedschaftsstatus via Staatsbürgerschaft (in einer politischen, an ein Territorium gebundenen Gemeinschaft) reguliert. Moderne Demokratien adressieren demnach ein bestimmtes politisches Subjekt: Adressatin ihrer Rechte ist die Staatsbürger*in. Die Kehrseite demokratischer, mit dem nationalen Staatsbürgschaftsstatus verknüpfter und verbriefter Rechte ist ihre Exklusivität. Staatsbürgerschaften sind – global betrachtet – zentrale Motoren sozialer Ungleichheit. Wenn in diesem Konzept der Mitgliedschaft der Ausschluss Anderer bis hin zu tödlichen Grenzziehungen angelegt ist, dann sollten politische Mitgliedschaften neu definiert werden. Ideen hierfür liefern die critical citizenship studies, die ein politisches Subjekt in das Zentrum der Aufmerksamkeit rücken, das geradezu als ein Gegenbild des Staatsbürgers betrachtet wird, nämlich den non citizens, dessen Rechte eingeschränkt sind. Diese wissenschaftliche Perspektive eröffnet einen Raum, um über Citizenship, Demokratie und den Kampf um Rechte neu nachzudenken. Es geht, wie Isin (2008: 371) in Anlehnung an Hannah Arendts Formulierung „the right to have rights“, die ihm zu passiv erscheint, schreibt, um „the right to claim rights“. Citizenship orientiert sich darin per definitionem nicht an einem durch staatliche Autorität und Souveränität festgelegten formalen Status,
dem Staatsbürgerinnenstatus orientiert. Stattdessen werden Menschen durch acts of citizenship zu citizens, durch politisches Handeln, durch die Dynamik der sozialen Kämpfe und durch das Einfordern von Rechten. „The political is not limited to an already constituted territory or its legal ,subjects‘: it always exceeds them. Citizenship as subjectivity enacts that conception of the political. Thus, the actors of citizenship cannot be defined in advance of the analysis of a given site and scale, which are its other central categories.“ (Isin 2009: 370).
Acts of Citizenship – Bürger*innen ohne formalen Status Die empirische Demokratieforschung richtet ihr Augenmerk für gewöhnlich auf die Umsetzung der formal gesicherten Rechte und fragt nach dem Mehr oder Weniger ihrer Realisierung in den dafür vorgesehenen politischen Arenen und Institutionen der nationalstaatlich etablierten Demokratien (Merkel 2015). Im Blick sind zumeist Mehrheitsangehörige, die über die formale Staatsbürgerschaft verfügen (Scherschel 2018). Die fehlende politische Beteiligung von Migrant*innen wird in Debatten um die Krise der Demokratie erst gar nicht zum Gegenstand der Analyse. Ihren Ausgangspunkt haben acts of citizenship2 in den Diskrepanzen zwischen den normativen Proklamationen moderner Demokratien und ihrem 2 In Isin (2009: 379f ) und Isin/Nielsen (2008: 37f ) wird die Idee der acts of citizenships ausführlicher skizziert.
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faktischen Handeln. Offene Unrechtsverhältnisse, Abschiebungen, Grenzzäune oder die ungleiche Verteilung des Wohlstandes bis hin zu unwürdigen Arbeitsbedingungen, unter denen Immigrant*innen für einen Hungerlohn schuften und die moderne Formen der Sklaverei darstellen, sind Motoren der acts of citizenship.
Diese Perspektive auf Demokratie beinhaltet die Legitimität widerständiger Handlungen, die ein politisches Subjekt (activist citizen) voraussetzen, das mit der bürgerlich-liberalen Vorstellung des bloßen Wahlbürgers (activ citzen) wenig gemein hat. Diese Idee gründet in der citizenship als einem Motor sozialer Kämpfe um Rechte.
Étienne Balibar unterscheidet mit Blick auf die Situation der sans papiers in Frankreich in seinen Überlegungen zu einer radikalen Demokratie zwei Konzeptionen von Staatsbürgerschaft. Während die eine auf das Axiom „Gesetz ist Gesetz“ pocht und „die Illegitimität von Konflikten suggeriert“, versucht die andere, „Menschen- und Bürger-rechte, Verantwortung und politisches Engagement konkret zu artikulieren. Sie weiß, daß die historischen Fortschritte der Bürgerschaft, die deren Begriff unaufhörlich präzisiert haben, immer über Kämpfe verlaufen sind und daß es in der Vergangenheit notwendig war, nicht nur ,das Recht der Entrechteten‘ (Rancière) zu vertreten, sondern auch gewaltsam die Tore des Gemeinwesens zu öffnen und dieses in einer Dialektik von Konflikt und Solidarität immer wieder neu zu definieren“ (Balibar 2005: 99).
Balibars Überlegungen muten unter den gegenwärtigen Bedingungen radikal an. Historisch betrachtet, sind sie der Einsicht geschuldet, dass soziale, politische und ökonomische Errungenschaften, immer auch das Ergebnis sozialer Kämpfe sind. So heterogene soziale Bewegungen wie die Sufragetten oder die schwarze Bürgerrechtsbewegung, die heute als akzeptierte Formen des zivilen Widerstandes gelten und deren emanzipatorische Errungenschaften in den Geschichtsbüchern stehen, griffen zu Mitteln des Politischen, die im Widerspruch zum Erlaubten ihrer Zeit standen.
Nach dem Verständnis einer radikalen Demokratie geht es darum, die Gesetze, die es ermöglichen, Menschen massenhaft in Hot Spots zu kasernieren, ihre Lebensmittel zu rationieren oder ihnen das Recht auf Freizügigkeit zu verwehren, nicht nur zu skandalisieren, sondern auch zu brechen. „In fact, for acts of citizenship to be acts at all they must call the law into question and they may, sometimes, break it.” (Isin 2009: 382).
Widerständiges ist nicht an soziale Bewegungen gebunden, sondern kann Teil individueller Entscheidungen sein. Im Mai 2018 wurde im Jüdischen Museum Wien die beeindruckende Ausstellung „Verfolgt, Verlobt, Verheiratet. Scheinehen“ eröffnet, die in der medialen Öffentlichkeit auf überaus positive Resonanz stieß. Die Kurator*innen, Irene Messinger und Sabine Bergler, haben in mühevoller Spurensuche die Biographien jüdischer Frauen rekonstruiert, die dem Nationalsozialismus durch eine Scheinehe entkamen und ins Exil flohen. Diese mutigen und beeindruckenden Frauen, deren Lebensgeschichte in öffentlichen Räumen zugänglich gemacht werden, galten in ihrer Zeit als Kriminelle, die sich illegaler Mittel bedienten.
Rosa Parks weigerte sich 1955 in Alabama ihren Sitzplatz im Bus einer weißen Person zur Verfügung zu stellen und wurde verhaftet. Ihre Weigerung gilt als ein Ausgangspunkt der schwarzen Bürgerrechtsbewegung.3
Rechte in der Stadt: Urban Citizenship und Sanctuary Cities Um die Grundidee der acts of citizenship, dass Menschen ohne formale Zugehörigkeit, dennoch über Rechte verfügen, bzw. das Recht haben, Rechte einzufordern, wird in unterschiedlichen politischen Kontexten der Zivilgesellschaft gekämpft, so zum Beispiel in den Debatten um urban citizenship und sanctuary cities. Henrik Lebuhn hat bereits einiges zur „free identification card for all New York City residents“ (IDNYC) in New York verfasst. Während der Amtszeit des demokratischen Bürgermeisters Bill de Blasio wurde 2014 die IDNYC eingeführt, die es auch Migrant*innen ohne Aufenthaltspapiere ermöglicht, zumindest einige soziale Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, ohne dass sie ihren Aufenthaltsstatus nachweisen müssen. Initiiert wurde dieser Ausweis von verschiedenen sozialen Bewegungen in Kooperation mit der städtischen Regierung. Der kommunale Stadtausweis gilt als ein Beispiel für urban citizenship. Damit werden auf lokalpolitischer Ebene Instrumente zur Stärkung der Rechte von Migrant*innen verankert, die Personen 3 Diese Beispiele entspringen unterschiedlichen historischen Kontexten. Die je herrschenden politischen Verhältnisse sollen damit keineswegs gleichgesetzt werden.
ohne einen auf nationalstaatlicher Ebene anerkannten Bürger*innen den Zugang zu städtischen Ressourcen eröffnen (Lebuhn 2016: 115f.). Die Idee der sanctuary city ist ähnlich gelagert, es geht um die Stärkung städtischer und kommunaler Einflussmöglichkeiten gegenüber den nationalen Regierungen. Einige sanctuary cities propagieren das „Don’t ask, don’t tell“ Prinzip. Immigrant*innen sollen in sanctuary cities Teil der städtischen community sein. Je nach Stadt erhalten Geflüchtete und Illegalisierte Unterstützung beim Zugang zu Bildung, Kultur und Arbeit. Vicky Squire und Jonathan Darling haben die sanctuary city in Sheffield, UK untersucht, die sich selbst als Teil einer sozialen grass-roots Bewegung begreift und sich in den letzten Jahren zu einem gut etablierten Netzwerk von 18 Städten entwickelt hat. (Squire/Darling 2013: 60). Ziel des Netzwerkes ist es, die Beziehungen zwischen der lokalen Bevölkerung und Menschen, die Zuflucht suchen, zu stützen und zu stärken. Dies gelingt im Rahmen kultureller Aktivitäten (z.B. urban gardening) oder der Unterstützung freiwilliger Arbeit. Squire and Darling argumentieren deshalb, dass solche Netzwerke die nationalen Asylpolitiken herausfordern “by enacting the right to equal participation within the life of the city for those taking sanctuary.” (Squire/Darling 2013: 62). Diese citizenship bleibt jedoch prekär, da Rechte nur graduell gewährt werden und nicht einer full citizenship gleichkommen. Sanctuary cities können zwar die gravierenden Folgen der Illegalisierung von Migranten auf kommunaler Ebene lindern, poten-
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ziell existiert aber auch das Risiko, Illegalität als Lebensform zu akzeptieren (Scherr/Hoffman 2016: 11). Die Frage, wie zivilgesellschaftliche Akteure sich selbst politisch positionieren und ob und wie sie die staatliche Verantwortung zum Gegenstand ihres Protestes machen, wird auch im Kontext der Diskussion um die wachsende Bedeutung des bürgerschaftlichen Engagements und den politischen Gestaltungsräumen von Unterstützer*innengruppen diskutiert (van Dyk/Misbach 2016; Atac/ de Yong 2019). Ehrenamtlich erbrachte Arbeit kann beispielsweise als Teil der Restrukturierung der wohlfahrtsstaatlichen Politik im Kontext neoliberaler Strategien vereinnahmt werden (van Dyk/Misbach 2016). Widersprüche zeigen sich auch bei den Rettungsaktionen auf dem Mittelmeer. Dort retten zivilgesellschaftliche Aktivistinnen zahllose Menschenleben, um die Geretteten den staatlichen Behörden zu übergeben, die sie im schlimmsten Fall in diktatorische Regime wie Libyen zurückführen. All diese Beispiele sind unter den gegebenen herrschenden politischen Verhältnissen aber trotz ihrer Ambivalenzen zweifellos politische Errungenschaften.
Schlussgedanken Die critical citizenship studies befassen sich mit sozialen Bewegungen, zivilgesellschaftlichen Projekten und migrantischen Aneignungspraxen sowie einem veränderten Demokratieverständnis. Es geht um die politischen Subjekte und ihre Handlungen. Politische Mitgliedschaft wird jenseits der formal konstituierten staatlichen Souveränität gedacht. Trotzdem handelt es sich nicht um Aktivismus, sondern um eine wissenschaftliche Perspektve, in der soziale Ereignisse im Horizont wissenschaftlich geschaffener Begriffe interpretiert werden. Gelingt es durch neue Bestimmungen des Politischen, die Forderungen sozialer Bewegungen zu stärken oder ihnen mehr Gehör zu verleihen, dann ist dies zweifellos ein Gewinn. Dies kann letztlich nur im produktiven Austausch zwischen Wissenschaft und Aktivismus geschehen. Dies ist wiederum kein leichtes Unterfangen. Wissenschaft braucht Distanz zum „Gegenstand“, sonst verliert sie ihre Fähigkeit, Politisches anders und neu zu denken. Begriffe wiederum müssen auf ihre Angemessenheit, Realitätstauglichkeit und empirische Tragfähigkeit geprüft werden und können Menschen und Bewegungen nicht aufoktroyiert werden. Der Grat zwischen Vereinnahmung und Analyse ist schmal.
Literatur Arendt, Hannah (2008). Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft. München: Piper. Atac, Ilker/de Yong, Sara (2019): Zwischen Aktivismus und Leistungserbringung. In: Scherschel, Karin/Binner, Kristina: Fluchtmigration in der Gesellschaft: von Nutzenkalkülen, Solidarität und Exklusion. Buchreihe „Arbeitsgesellschaft im Wandel“. Beltz Juventa. (in Veröffentlichung). Balibar, Ètienne (2005). Sind wir Bürger Europas? Politische Integration, soziale Ausgrenzung und die Zukunft des Nationalen. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung. Castles, Stephen/ Miller j. Mark (2009): The Age of Migration. Fourth Edition. Palgrave MacMillan. Isin, Engin F. (2009). Citizenship in flux. The figure of the activist citizen. Subjectivity, 29, 367–388.
Lebuhn, Hendrik (2016). „Ich bin New York“. Bilanz des kommunalen Personalausweises in New York City. Luxemburg, (3), 114–119 https://www.zeitschrift-luxemburg.de/lux/wp-content/ uploads/2016/12/LUX_1603_E-Paper.pdf. Zugegriffen: Aug. 2018. Merkel, Wolfgang (Hrsg.) (2015). Demokratie und Krise. Zum schwierigen Verhältnis von Theorie und Empirie. Wiesbaden: Springer VS. Scherr, Albert, & Hofmann, Rebecca (2016). Sanctuary Cities. Eine Perspektive für deutsche Kommunalpolitik? Kritische Justiz, 49, 86–97. Scherschel, Karin (2018): An den Grenzen der Demokratie – Citizenship und Flucht. In: Berliner Journal für Soziologie. 28 (1), S. 123-149.
Isin, Engin F., & Nielsen, Greg M. (Hrsg.). (2008). Acts of citizenship. London: Zed Books.
Simon, Johannes (2017). Im Namen der Demokratie. Flüchtlingsabwehr um jeden Preis. Blätter für deutsche und internationale Politik, 62(11), 65–74.
Van Dyk, Silke, & Misbach, Elèna (2016). Zur politischen Ökonomie des Helfens. Flüchtlingspolitik und Engagement im flexiblen Kapitalismus. PROKLA 183. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft, 46, 205–228.
Squire, Vicky/Darling, Jonathan (2013): The “Minor” Politics of Rightful Presence: Justice and Relationality in City of Sanctuary. In: International Political Sociology (2013) 7, 59–74.
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II.
ASSEMBLING
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O F F E N T H A L T S T I T E L
/ / C h r i s t o p h S t e i n i n g e r a n d C o s i m a Te r r a s s e
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he project deals with the complex entanglement of rejection, insecurity and bureaucratic lunacy, when a person arrives somewhere as a foreigner. Resident permits — the lawful representation of foreignness — were changed and re-issued following some sixty conversations with non-Europeans residing in Vienna with or without the required paperwork.
The cards reflect the conflicting image of administrative identity and personal biography. Only a closer examination reveals the differences between the original and the re-creation: the latter does not show an expiry date. It neither states the name nor the nationality. The new card replaces these data with comments and sentences that capture the interviewees’ points of view.
Christoph Steininger and Cosima Terrasse conducted interviews with people who went through the lengthy procedures of registration for a resident permit in Austria.
'Interview partners' were invited to collect their cards during the opening of the exhibition (some were mailed later).
Collection of 55 cards printed on plastic (2015)
// Costanza Coletti
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Villes Radicales Collectif « engagée »
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En rapprochant les idées de Démocratie Radicale et de Villes Rebelles, ce livre a pour objet d’introduire et d’élaborer le concept de « Villes Radicales ». Dans le cadre de l’ordre néolibéral, les villes sont des lieux de répression, d’injustice et d’exploitation. Par exemple, les « villes numériques » sont souvent des laboratoires d’ordre policier et de contrôle, de discrimination raciale et de violence étatique. En même temps, l’urbain envisage un espace où se déroulent des luttes politiques et des pratiques émancipatrices. Depuis la mouvance anarchiste traditionnelle jusqu’aux mouvements sociaux du vingtième siècle, le domaine urbain peut être considéré comme un champ d’interventions qui par sa nature est capable de réaliser des réseaux autonomes. Il n’est donc guère surprenant qu’aujourd’hui des citoyens, des activistes et des politiciens soient en train de reformuler un intérêt pour le gouvernement urbain et local. À travers l’Europe et même audelà, nous pouvons observer de nouvelles formes de gouvernement au niveau local et général des villes, qui expérimentent des pratiques et des institutions démocratiques. « engagée », c’est un projet politique et de recherche situé à l’intersection de la philosophie, de la politique et de l’art. Ce projet encourage des pratiques émancipatrices et des interventions philosophiques qui comblent l’écart entre la théorie et la pratique de l’urbain et de ses transformations. Le collectif est composé d’Alessio Kolioulis, Felix Maschewski, Anna-Verena Nosthoff, Valerie Scheibenpflug, Johannes Siegmund et Rahel Sophia Süß. Il est basé entre Vienne, Berlin et Londres.
VILLES RADICALES
10:25
VILLES RADICALES DU DROIT À LA VILLE À LA DÉMOCRATIE RADICALE
Collectif « engagée »
ENGAGÉE
24-03-2019
C OLLECTIF
villesRadicales
www.eterotopiafrance.com Distribution : Pollen Distribution Diffusion : CEDIF
€ 12,00
ISBN 979-10-93250-32-8
ETEROTOPIA FRANCE
ETEROTOPIA FRANCE /
collection
VILLES RADICALES Du droit à la ville à la démocratie radicale To mark the publication of Radical Cities #6/7 in 2018, engagée held open discussions in Austria, Germany, Italy and the UK on the rise of a new wave of municipal projects. In the spirit of connecting struggles and ideas with artists, activists and researchers, Eterotopia France and engagée collaborated to publish a selection of texts in French, which became available in several francophone countries in April 2019. The aim is to continue to build transnational progressive forces.
European Balcony Project: Welche Bürger*innenschaft bietet die Europäische Republik?
// Marie Rosenkranz
H
eute, am 10. November 2018 um 16 Uhr, 100 Jahre nach dem Ende des ersten Weltkrieges, der auf Jahrzehnte die europäische Zivilisation zerstört hatte, gedenken wir nicht nur der Geschichte, sondern nehmen unsere Zukunft selbst in die Hand.
Es ist Zeit, das Versprechen Europas zu verwirklichen und sich an die Gründungsidee des europäischen Einigungsprojekts zu erinnern. Wir erklären alle, die sich in diesem Augenblick in Europa befinden, zu Bürgerinnen und Bürgern der europäischen Republik. Wir nehmen unsere Verantwortung für das universale Erbe der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte an, und geloben, sie endlich zu verwirklichen. Wir sind uns bewusst, dass der Reichtum Europas auf Jahrhunderten der Ausbeutung anderer Kontinente und der Unterdrückung anderer Kulturen beruht. Wir teilen deshalb unseren Boden mit engagée | 41
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jenen, die wir von ihrem vertrieben haben. Europäer*in, wer es sein will. Die Europäische Republik ist der erste Schritt auf dem Weg zur globalen Demokratie.
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Das Europa der Nationalstaaten ist gescheitert. Die Idee des europäischen Einigungsprojekts wurde verraten. Der Binnenmarkt und der Euro konnten ohne politisches Dach zur leichten Beute einer neoliberalen Agenda werden, die der Idee der sozialen Gerechtigkeit widerspricht. Daher muss die Macht in den europäischen Institutionen erobert werden, um den gemeinsamen Markt und die gemeinsame Währung in einer gemeinsamen europäischen Demokratie zu gestalten. Denn Europa heißt: Menschen zu einen und nicht Staaten zu integrieren.
An die Stelle der Souveränität der Staaten tritt hiermit die Souveränität der Bürgerinnen und Bürger. Wir begründen die Europäische Republik auf dem Grundsatz der allgemeinen politischen Gleichheit jenseits von Nationalität und Herkunft. Die konstitutionellen Träger der europäischen Republik sind die Städte und Regionen. Der Tag ist gekommen, dass sich die kulturelle Vielfalt Europas endlich in politischer Einheit entfaltet. • •
Der Europäische Rat ist abgesetzt. Das Europäische Parlament hat gesetzgeberische Gewalt.
Es wählt eine europäische Regierung, die dem Wohle aller europäischen Bürgerinnen und Bürger gleichermaßen verpflichtet ist. Es lebe die Europäische Republik!
Das European Balcony Project: Veränderung ausrufen Am 10. November 2018, zeitgleich um 16 Uhr, wurde von über zweihundert Theaterbalkonen und auf öffentlichen Plätzen in Europa die Europäische Republik ausgerufen. Dazu wurde ein in dreiunddreißig Sprachen übersetztes Manifest von Ulrike Guérot, Robert Menasse und Milo Rau verlesen. Neben den Ausrufungen an großen Theatern wie dem NTGent in Belgien, dem Wiener Burgtheater und dem Deutschen Schauspielhaus in Hamburg organisierten Bürger*innen vielfältige Aktionen, etwa eine Ausrufung am Gate des Brüsseler Flughafens, auf einer Fußgängerbrücke zwischen Deutschland und Frankreich, von einem Plattenbau in Chemnitz und am Strand auf der italienischen Insel Lampedusa. Die Kulturinstitutionen und Bürger*innengruppen fanden ihre jeweils eigene Form, die Proklamation zu inszenieren und das Manifest im Anschluss zur kritischen Diskussion zu stellen. An einem historischen Datum – 100 Jahre nach dem ersten Weltkrieg – wurde laut- und bildstark ein demokratisches, geeintes Europa eingefordert und ein konkreter Zukunftsentwurf vorgestellt und weitergedacht. Das europäische Motto „Unity in Diversity“ beschreibt die Dynamik dieses
dezentralen und partizipativen Projekts, das zum Ziel hatte, im Vorfeld der Europawahlen im Mai 2019 eine breite Diskussion über Europäische Demokratie anzuregen.
Städte und Europa als politische Bezugsgrößen Was aber bedeutet die Europäische Republik, die für einen Moment im Raum und zur Diskussion stand, genau? Welches Verständnis von Bürger*innenschaft liegt ihr zugrunde? Die zentrale Forderung des Manifests ist eine einheitliche Europäische Demokratie – Demokratie jenseits der Nationalstaaten mit starken Städten und Regionen. Bürger*innen der Europäischen Republik zu sein bedeutet nicht nur, einen Europäischen Markt und eine Währung zu teilen, sondern auch, in einer gemeinsamen Europäischen Demokratie zu leben und die gleichen sozialen und politischen Rechte zu haben. Die Europäische Republik bedeutet eine gemeinsame Bürger*innenschaft für Europäer*innen, die über das aktuelle Konstrukt einer nationalen Staatsbürgerschaft und einer Unionsbürgerschaft „on top“ hinausgeht. Gleichzeitig denkt dieser Entwurf auch den weitverbreiteten Wunsch nach politischen „Wurzeln“ mit. Hinter der Idee der Städte und Regionen als konstitutionelle Träger*innen der Europäischen Republik verbirgt sich institutionell die Idee eines Senats, in dem Vertreter*innen der Regionen und Städte zusammenkommen und so eine direkte Verbindung und Nähe
zwischen Bürger*innen und der Europäischen Ebene schaffen. So soll auch der Tatsache Rechnung getragen werden, dass Politik auf der Ebene der Städte und Regionen in besonderem Maße greif- und erfahrbar ist und die oder den Einzelne*n direkt betrifft. Oft ist es die lokale Ebene, auf der die ersten nachhaltig politisierenden Erfahrungen der Mitbestimmung gemacht werden. Gleichzeitig ist der oder die Einzelne heute vor allem durch globale und europäische Politik betroffen. Klimawandel, Migration, Handelspolitik – dies sind nur Beispiele für die zahlreichen Themen, für die es Lösungen auf einer europäischen und globalen Ebene bedarf und deren Auswirkungen sich ganz konkret und lokal spüren lassen. Der Nationalstaat steht, so zeigen es zahlreiche Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit, einer für das Gemeinwohl besten Lösung leider oft im Wege.1 Im Manifest des European Balcony Project wird deshalb auch der Europäische Rat, in dem die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten vertreten sind, und der die durch das Parlament vertretenen Stimmen der Bürger*innen oft überhört, zugunsten der gesetzgebenden Gewalt des Europäischen Parlaments abgesetzt.
1 Gemeint ist beispielsweise der Austritt Großbritanniens aus der EU, von dem nur wenige profitieren werden, das Scheitern der EU-Mitgliedsstaaten, der Ausstieg der USA aus dem Klimaabkommen oder auch, eine gemeinsame Lösung während der sogenannten Flüchtlingskrise zu finden.
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Vom Diskussionsangebot zur realen Politik Die Idee der Europäischen Republik stellt trotz ihrer zunehmenden Konkretisierung und Verbreitung, die Ulrike Guérots unermüdlichem Einsatz zu verdanken ist, dennoch vor allem ein Diskussionsangebot dar, das die festgefahrene und problembehaftete Debatte um Europa um einen Zukunftsentwurf erweitern soll. Ähnlich wie im Kunstprojekt des chilenischen Künstlers Alfredo Jaar, der in seinem Projekt „Konsthall Skoghall“ einmal eine Kunsthalle aus Papier aufbaute und nach wenigen Wochen Programm wieder niederbrannte – bevor die Bürger*innen selbst ein „echtes“ Museum errichteten –, kann daraus aber eine reale Zukunft werden. Sie muss dazu jedoch von vielen gedacht und eingefordert werden. Mit dem European Balcony Project haben wir nur Samen gesät. Wir haben versucht, gemeinsam mit den zahlreichen engagierten Theatern und Bürger*innen politische Vorstellungskraft zu wecken und Bilder zu schaffen, die Mut machen und verbinden. Nun geht es darum, die freigesetzte Energie zu nutzen, die Republik weiterzudenken und sie immer wieder einzufordern. Ich bin hoffnungsvoll: Lokale, europäische und globale Politiken betreffen die einzelnen Bürger*innen langfristig stärker als die Politiken auf der nationalen Ebene. Deshalb wird auch der Ruf nach einem System, das funktioniert, mit der Zeit lauter werden. Die rege Beteiligung an unserem Projekt hat gezeigt: Um die Europäische Republik ist es auf Bürger*innenebene um einiges besser bestellt, als es der öffentliche Diskurs erahnen lässt!
Café Mondial A Field Report * // Café Mondial
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hile writing this report, members of our association are probably more active than ever before: During the weekly opening times of Café Mondial, we are organizing “Diversity Days” at different localities in Konstanz, our city. Diversity Days will include workshops to check our privileges, stereotypes, and cultural characteristics. This is just one example of what distinguishes the work of the Café Mondial: someone just came up with this idea, found a team to put it into practice – and they simply realized it! This was made possible by our volunteers. Volunteers are locals as well as people from all over the world, including international students who volunteer at the Café – allowing other long-term staff to freer minds for new creative projects. But let’s take a step back: What is the Café Mondial all about? In essence, people of different origins and biographies have come together under this umbrella organization since 2015. Café Mondial is a creative space and meeting place for many people: for the old-established residents of the city, for guests, travellers, newcomers, musicians, artists and many more. Through their equal treatment, the idea of urban citizenship is being filled with life.
Café Mondial opens its doors at least three times a week – and invites all-comers to exhibitions, advice sessions, discussions, music, dance, cooking together or ‘just’ coffee, tea, juice, cake and good conversation. The principle: pay as much as the offers are worth to you (pay as much as you can/want‘). Thus, at the (often apparently trivial) economic level, nobody is excluded. Just like rights or residency, the wallet does not decide on access to a voice, cultural offer or culinary delicacies. This principle is based on the idea that all this usually depends on the lottery of birth: most people are not to blame for their circumstances. Of course, not everybody has the same needs. Legal support, for example, is primarily offered to people with refugee backgrounds who have to find their way in a bureaucratic and legal jungle. Most locals do not need such support. Nonetheless, many locals have a hard time navigating the inscrutable web of social mechanisms of inclusion and exclusion. One of Café Mondial’s core tasks is to pinpoint and overcome these barriers – or at least make them more permeable. The latter can be done through simple interpersonal attention, through targeted psychosocial counselling, or housing assistance. Unfortunately, though, volunteer capacities barely suffice to cover adequately all these needs.
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the art of diversity in practice
In addition to its own offers, an important part of the Cafe Mondial concept is to provide a roof to other initiatives. For instance,, free premises are provided for volunteer groups such as the local ‘Refugee Law Clinic’, ‘Adtendo’ or the ‘Projekt 83 - Konstanz integriert’ (awarded by the German Citizen Prize). ‘Solidarity City Konstanz’, the local ‘Amnesty International’ group and ‘Foodsharing’ also use the premises. Artists from all over the world meet regularly: “intercultural, political, critical” is the motto of the ‘Artistes Mondial’. These are just a few examples of initiatives that were founded under the influence or with the support of the Café Mondial. The result has been a flourishing network of engaged people, all meeting at the same ‘nucleus’, whether their main area of engagement lies in ecology, migration, feminism, racism, educational fairness, or elsewhere. At Café Mondial, we try to create the possibility for informal and unprejudiced exchange, which can occur effortlessly if our guests are interested in getting to know each other. Although many different people and topics come together, we mostly realise our objective without great difficulty. People who come to Café Mondial are mostly interested in getting to know each other on exactly these terms that we stand for: our internal structures know no hierarchy or status; anyone who wants to get involved is always welcome from day one. To ensure these informal structures and access to anyone who wants to join, everybody at Café Mondial is a volunteer and all this work emerges from people’s motivation to build and maintain a place like this. Thanks to some external funding, we estab-
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lished one paid coordinator post, which is currently held by a young Syrian. Apart from that, we manage to keep our Café and Events running through the ‘pay as much as you want’ system, (non-obligatory) membership fees, and other donations. When purchasing anything, our emphasis is on fair trade, organic, and local products. Our values mean that the social and ecological components of day-to-day lifestyle decisions require constant consideration. Unfortunately, the ideal of a ‘zero waste’ cannot yet be fully implemented for practical logistical reasons. Nevertheless, different initiatives with several organizations are undertaken to raise awareness, e.g. at upcycling days, ‘clothing swap’ afternoons, bicycle flea markets and joint cooking of rescued food. In order to spread these ideas throughout the city, other locations have been used for Café Mondial ‘on tour’, such as the town hall, the city garden, the university, or refugee accommodation. Under the slogan “Kicking against racism and sexism”, a large football tournament has been organized annually for he last few years, in which anyone who was interested was invited to play together to set an example against racism and sexism. Last year, Café Mondial also drew attention to its ideas and ideals on a larger scale, with the help of a local office for strategy, marketing and communication for NGOs,. Under the title ‘my foreign twin’, people with the same birthday met. This helped to stimulate empathy for the supposedly foreign – based on the idea that birthplaces are pure coincidence but shape our lives decisively. Café Mondial pursued this idea and asked whether there were ref-
ugees and locals in Konstanz who were born on the same day (or at least the same year) – but in two different places. A number of foreign twins found and got to know each other. The result was an encounter at eye level, full of curiosity and respect. In March 2017, a poster campaign throughout Konstanz, an exhibition at Café Mondial and a project brochure followed.
One source of inspiration in this regard has been the Grandhotel Cosmopolis in Augsburg, whose founders gave a guided tour to the Café Mondial founders, which left a lasting impression. It seems that similar initiatives are sprouting in different cities; such as the welt_raum e.V. in Friedrichshafen, COLA TAXI OKAY in Karlsruhe, the Alte VHS in Bonn, or the Cameo Kollektiv in Hannover.
Café Mondial is committed to achieving its goals in many other areas, albeit with limited success in the rest of the city. For example, even at regular major events in public space, the authorities may resort to racial profiling among guests and staff members. Especially in Konstanz, with its proximity to the border, an increased police and customs presence can often be expected. At present, the city should be writing a statement on racial profiling. Unfortunately, the association has struggled to influence the actions of foreign authorities, or on the sometimes xenophobic utterances and attacks by the majority population. At this point, it is therefore necessary to draw attention to such grievances, to network (supra)regionally on these issues and possible activities, and to generate political pressure.
Of course, our world is dominated by a multitude of social, legal and cultural challenges, many of which are attributed to increasing globalization. Political attempts to deal with migration and diversity have been shaping debates for years. At the same time, social realities on a small, local scale are often neglected. It may be easy to miss the residential status and discomfort of different people. But shouldn’t it be equally important for all citizens to reflect on the impact of their own actions on the future of the planet and to incorporate these reflections into everyday decisions? Keeping the big picture in mind is probably the most accurate description of truly global thought and action. However, local feasibility cannot be neglected. Fortunately, there are a number of examples that sow hope. Café Mondial in itself cannot solve all these problems – but may it at least serve as inspiration.
Since its foundation, Café Mondial thus influences city affairs directly and indirectly in a variety of ways. The sum of the results of all these efforts to date are, however, unfortunately still rather prefigurative. The association strives to actively exemplify a different, more promising way of living together in order to inspire and motivate beyond its direct sphere of influence. Success depends on a rethinking of politics, the media and society as a whole.
More information (mostly in German) www.cafe-mondial.org www.mein-fremder-zwilling.de
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PREFIGURING
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Illegalisierte und Urban Citizens? Kämpfe um medizinische Versorgung in Berlin
// Holger Wilcke & Michel Jungwirth
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it dem Begriff urban citizenship wird eine andere, partizipativere Form von gesellschaftlicher Teilhabe gedacht. Das Konzept weckt die Hoffnung auf einen Paradigmenwechsel, weg vom Nationalstaat hin zu einer gelebten Praxis der Zugehörigkeit; hin zu sozialen Rechten, die nicht auf Nationalität und Aufenthaltsstatus beruhen, sondern auf Wohnort und der Teilhabe am städtischen Leben. Doch wie sehen soziale Praxen urbaner Bürger*innenschaft aus? Was bedeutet es, wenn Menschen sich soziale Rechte nehmen, sich erkämpfen – und zwar unabhängig davon, ob sie formalrechtlich Zugang dazu haben? Um uns dieser Frage zu nähern, blicken wir nach Berlin und dort auf die Auseinandersetzungen um den Zugang zu medizinischer Versorgung von Menschen ohne regulären Aufenthaltsstatus. Anhand dieses konkreten Beispiels gehen wir den Praxen urbaner Stadtbürger*innenschaft nach und klären zugleich, welche Potentiale, aber auch Limitierungen dieses theoretische Konzept mit sich bringt.
Der erschwerte Zugang zu medizinischer Versorgung Wie wird urban citizenship als Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in der Stadt, jenseits von Staatsbürgerschaft und Aufenthaltsstatus, organisiert und gelebt? Um dem anhand der medizinischen Versorgungslage von Illegalisierten, d.h. Menschen, die ohne regulären Aufenthaltsstatus in Deutschland leben, auf den Grund zu gehen, betrachten wir zunächst die bestehenden Ausschlussmechanismen. Illegalisierte selbst berichten in Hinblick auf ihre medizinische Versorgungssituation oftmals vom Anspruch an sich selbst, Schwangerschaften, Verletzungen oder Krankheiten möglichst zu vermeiden (vgl. Wilcke 2018: 193f.). Bereits dies ist Ausdruck der prekären Situation, in der sich Menschen ohne Papiere befinden. Die Unsicherheiten in der Illegalität, die auch andere Lebensbereiche wie Wohnen oder Arbeiten betreffen, erhöhen die psychosozialen Belastungen und damit auch die Wahrscheinlichkeit, krank zu werden.
Ist dies der Fall, werden Krankheiten oftmals ignoriert und nicht behandelt. Daneben ist die Selbstbehandlung und -medikation im Krankheitsfall eine weit verbreitete Praxis unter Illegalisierten (Huschke 2013: 249). Ein Ärzt*innenbesuch kommt für viele Illegalisierte nicht in Frage, was mit dem faktischen Ausschluss aus der öffentlichen Gesundheitsvorsorge zu tun hat. Illegalisierte könnten nicht in gesetzliche Krankenversicherungen eintreten, da diese den fehlenden Aufenthaltsstatus bemerken würden und die Ausländerbehörde zu informieren hätten. Nach dem Asylbewerberleistungsgesetz haben Illegalisierte zwar formalrechtlich den Anspruch auf Notfallbehandlungen, doch die unsichere Informationslage über die rechtliche Situation, gekoppelt mit der generellen Angst vor potentiellen Abschiebungen bei Kontaktaufnahme mit offiziellen Institutionen, stellen teils unüberwindliche Hürden dar (vgl. Wilcke 2018: 199). Der Zugang zu ambulanter oder regulärer medizinischer Versorgung ist ohnehin komplett verbaut, da die Versorgung vorher beim meldeverpflichteten Sozialamt beantragt werden müsste (Bartholome/Groß/Misbach 2010: 22). Genau an diese Übermittlungspflicht öffentlicher Stellen knüpfen sich die Unsicherheiten und Ängste von Illegalisierten, die oft dazu führen, dass der Gang zum Arzt vermieden wird – aus Angst vor dem Auffliegen des fehlenden Aufenthaltsstatus und der damit drohenden Abschiebung, die sich mit Nicholas De Genova als Deportability beschreiben lässt (De Genova 2002: 438). Auf Basis des Koalitionsvertrags von CDU/CSU und SPD wurde 2005 eine Abschaffung bzw. Einschränkung der Übermittlungspflicht vom Bundesinnenministerium diskutiert. Im abschließenden Bericht stellt das Ministerium dabei fest, dass die Übermittlungspflicht des §87 Abs. 2 AufenthG unverändert beibehalten werden sollte, denn „der Staat verfügt mit dieser Vorschrift über ein Mittel der Migrationskontrolle, das dazu beiträgt, dem Aufenthaltsrecht Geltung zu verschaffen. Eine abschreckende Wirkung ist beabsichtigt“ (BMI 2007: 40f.). Hier wird deutlich, dass die Grenzen des europäischen Migrationsregimes nicht nur entlang der Schengener Außengrenze verlaufen und aus Zäu-
nen, Wärmebildkameras und Grenzschützer*innen bestehen, sondern in vielfältiger Weise in Gesetzgebungen eingeschrieben sind und für Menschen mit gesichertem Status oftmals unsichtbar, aber sehr wirkmächtig durch europäische Metropolen verlaufen. So wird der Zugang zu fundamentalen sozialen Rechten erschwert oder gar verhindert (De Genova 2013: 1183). Während auf Bundesebene eine Veränderung nicht absehbar ist, wird in Berlin derzeit das Konzept des anonymen Krankenscheins erprobt. Hier zeigt sich, dass Zugangsbarrieren keineswegs in Stein gemeißelt sind, sondern umkämpfte und veränderbare Grenzen im Inneren darstellen (vgl. Lebuhn 2014: 229).
Urban Citizenship als Perspektive Mit der Idee von urban citizenship lässt sich diese Veränderbarkeit und Umkämpftheit theoretisch betonen, genauer: indem auf die alltäglichen Politiken geblickt wird, auf deren Grundlage sich Rechte genommen und erkämpft werden. Dies gelingt durch die konstruktivistische Perspektivierung, die citizenship nicht als formales Recht begreift, sondern als konstituierenden Prozess. Der Blick richtet sich so auf alltägliche Praxen, über die Menschen unabhängig von ihrem zugeschriebenen Status Rechte nehmen (Hess/Lebuhn 2014:20). Durch diese sozialen Praxen lassen sich das hegemoniale Verständnis von Zugehörigkeit herausfordern und bestehende Ausschlussmechanismen in Frage stellen (Bojadžijev 2012: 45). Gerade die Stadt bietet dafür einen Raum emanzipatorischer und solidarischer Potentiale (Schillinger 2018: 15). Was jedoch bedeuten diese theoretischen Überlegungen nun für einen analytischen Blick auf konkrete Kämpfe um (stadt-)gesellschaftliche Teilhabe? Dies lässt sich am Beispiel weiter verdeutlichen: Denn neben der Nicht- und Selbstbehandlungen nutzen Illegalisierte weitere Strategien; eine besteht etwa darin, sich Krankenkassenkarten zu leihen, im Idealfall von einem Menschen mit gewisser Ähnlichkeit. Zudem nutzen Illegalisierte das Wissen engagée | 51
und die Informationen über vertrauenswürdige ärztliche und medizinische Einrichtungen, die in sozialen Netzwerken zirkulieren, und lassen sich beispielsweise nach den Sprechzeiten von solidarischen Ärzt*innen untersuchen und behandeln. Über beide Strategien ermöglichen sich Illegalisierte den Zugang zu medizinischer Versorgung oder schwächen zumindest die damit verbundenen Risiken ab. Aus einer urban-citizenship-Perspektive können beide Strategien als (oftmals unsichtbare) Politiken analysiert werden, welche die hegemonialen Vorstellungen von (Staats-)Bürger*innenschaft herausfordern und in der Anonymität europäischer Metropolen täglich zur Anwendung kommen. Wissen, Informationen und Zugänge zu Ärzt*innen werden auch über solidarische Netzwerke vermittelt. Ein bekanntes Beispiel hierfür sind die Medibüros, die sich Mitte der 1990er Jahre in einigen deutschen Städten bildeten. In Berlin ist das Medibüro sowohl eine konkrete Anlaufstelle mit festen Bürozeiten, in denen Beratungen und Vermittlungen zu gesundheitlichen Einrichtungen und Ärzt*innen stattfinden. So wird für Illegalisierte, die sich an das Netzwerk wenden, der Zugang zu medizinischer Versorgung ermöglicht oder zumindest erleichtert. Gleichzeitig bleiben die strukturellen Bedingungen, welche die Ausschlüsse produzieren und prekäre Lebensbedingungen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität forcieren, weiterhin bestehen. Das Medibüro stellt daher aber auch einen eigenen politischen Akteur mit konkreten Forderungen dar. Das äußert sich neben verschiedenen politischen Kampagnen in Berlin auch in den zähen und langwierigen Verhandlungen zur Umsetzung eines anonymen Krankenscheins. Das Konzept wurde bereits 2008 vom Medibüro ausgearbeitet und ein Jahr später erstmals mit der damaligen Berliner Stadtregierung diskutiert. Der lange Aushandlungsprozess war wiederholt von Rückschlägen und Stillstand geprägt, doch zehn Jahre später scheint die Umsetzung endlich Realität zu sein (vgl. Ebert/Höppner 2018). Das Modell sieht vor, dass Menschen über eine vertrauenswürdige Vergabestelle anonymisiert einen Krankenschein erhalten, der ihnen Zugang zu Ärzt*innen und Krankenhäusern ihrer Wahl ermög-
licht, ohne dass sie eine Übermittlung ihrer Daten an die Ausländer*innenbehörde fürchten müssen. Im Berliner Haushalt für die Jahre 2018 und 2019 sind dafür jeweils 1,5 Millionen Euro vorgesehen. Zudem wurde vom Senat der Beschluss gefasst, eine Clearingstelle in den Räumen der Berliner Stadtmission einzurichten, die als vertrauensvolle Vergabestelle fungiert. Dieses Ergebnis kann als Erfolg der politischen Arbeit des Medibüros und anderen solidarischen Initiativen betrachtet werden. Inwieweit mit der Clearingstelle ein funktionierender und stabiler Zugang zu anonymer medizinischer Versorgung ermöglicht wird, bleibt allerdings abzuwarten. Anfang Februar 2019 scheint es allerdings (immer noch) Umsetzungsprobleme bei der Anonymisierung der Daten zu geben, womit die zentrale Idee des Vorhabens konterkariert wird.
Gelebte Citizenship Menschen ohne Aufenthaltstitel verschaffen sich trotz bestehender Hürden über ihre eigenen Strategien Zugang zu medizinscher Versorgung. Das Medibüro solidarisiert sich seither mit den Kämpfen von Illegalisierten: Es vermittelt an medizinische Einrichtungen, unterstützt bei Sprachvermittlungen und bietet je nach finanzieller Situation Kostenbeteiligungen an. Die Nutzung geliehener Krankenkassenkarten, die Vermittlung an vertrauensvolle medizinische Einrichtungen oder die kostenlose Behandlung nach der Sprechstunde ohne Versicherungsnachweis – dies alles sind Formen einer gelebten urban citizenship; Formen, die nicht losgelöst voneinander gedacht werden können. Auch der politische Kampf um einen anonymen Krankenschein kann als solidarische Praxis verstanden werden, die erst Möglichkeitsräume (Bauder 2016) fördert, wodurch auf städtischer Ebene Zugangsbarrieren zu sozialen Rechten abgebaut werden (könnten). Diese alltäglichen Praxen und Kämpfe lassen sich aus einer urban-citizenship-Perspektive als Politik verstehen, welche die gesellschaftliche Ordnung herausfordert und transformiert. Wir plädieren entsprechend für eine theoretische Perspektivierung, welche diese Praxen als einen Prozess versteht, ohne
die oftmals restriktiven Rahmenbedingungen aus den Augen zu verlieren. Der anonyme Krankenschein ist Ausdruck eines konkreten Kampfes um Teilhabe von Illegalisierten. Die soziale Praxis urbaner Bürger*innenschaft lässt sich genau in diesen Auseinandersetzungsprozessen um Teilhabe verorten, dabei also weniger in der realpolitischen Implementierung des Krankenscheins durch den rot-rotgrünen Stadtsenat Berlins selbst. Mit einer solche Perspektive auf die Aushandlungsprozesse und hiesigen Entwicklungen kann vermieden werden, dass die Einführung eines anonymen Krankenscheins oder eines städtischen Ausweisdokuments, wie es in New York der Fall ist, als das Ende eines politischen Kampfes missinterpretiert wird. Vielmehr kann sie als Zwischenerfolg einer längerfristigen Auseinandersetzung um (stadt-)gesellschaftliche Teilhabe verstanden werden. Doch selbst wenn der Zugang zu medizinischer Versorgung für Illegalisierte dadurch erleichtert und urban citizenship in gewisser Weise gelebt wird, bleiben die grundlegenden Ausschlussmechanismen dahinter weiterhin bestehen, wie etwa im §87 des Aufenthaltsgesetzes, der die Übermittlung an Ausländerbehörden für bestimmte öffentliche Stellen vorschreibt oder aber hinsichtlich des Asylbewerberleistungsgesetzes, welches seit 1993 einen reduzierten medizinischen Leistungsanspruch im Vergleich zur Krankenkassenversicherung vorsieht. Beides sind rassistische und kontrollpolitische Instrumente, die es in die Analyse miteinzubeziehen und aus emanzipatorischer Perspektive zu kritisieren gilt. Ohne den §87 bräuchte es keinen anonymen Krankenschein. Das Asylbewerberleistungsgesetz schreibt nicht nur eine Zweiklassenmedizin fest, sondern produziert auch unterschiedliche nationale Kategorien der Zugehörigkeit und damit gleichzeitig des Ausschlusses und der Entrechtung. Diese Kritik wird auch vom Medibüro geäußert, welches neben den Kampagnen zum anonymen Krankenschein auch die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes fordert und klarstellt: „Das Recht auf Gesundheitsversorgung gilt für alle!“ (Medibüro 2014).
Literatur Bauder, Harald (2016): Possibilities of Urban Belonging. In: Antipode, 48(2), 252–271. Bartholome, Burkhard / Groß, Jessica / Misbach, Elène (2010): Neue Perspektiven in Berlin? In: Berliner Ärzte, 1, 22. Bojadžijev, Manuela (2012): Die windige Internationale. Rassismus und Kämpfe der Migration. Münster: Westfälisches Dampfboot. De Genova, Nicholas (2002): Migrant ‘Illegality’ and Deportability in Everyday Life. In: Annual Review of Anthropology, 31, 419-447. De Genova, Nicholas (2013): Spectacles of migrant ‘illegality’: the scene of exclusion, the obscene of inclusion. In: Ethnic and Racial Studies, 36(7), 1180-1198. Ebert, Maria / Höppner, Carla (2018): Gute Besserung. Oft haben Geflüchtete keinen Zugang zu medizinischer Versorgung der anonyme Krankenschein soll Abhilfe schaffen. In: Analyse und Kritik, 641, 15. Hess, Sabine / Lebuhn, Henrik (2014): Politiken der Bürgerschaft. In: Suburban, 3(2), 11-34. Huschke, Susann (2013): Kranksein in der Illegalität. Bielefeld: transcript. Lebuhn, Henrik (2014): Illegalisierung. Lokale Konflikte um Kontrollen, Rechte und Ressourcen. In: Belina, Bernd / Naumann, Matthias / Strüver, Anke (Hg.): Handbuch kritische Stadtgeographie. Münster: Westfälisches Dampfboot, 228-233. Medibüro (2014): Gesundheit für alle. Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen. http://stopasylblg.de/wp-content/uploads/2014/11/2014_kampagne_gesundheit-und-asylblg-2.pdf, hit: 28.11.2018. Schilliger, Sarah (2018): Urban Citizenship. Teilhabe für alle – da, wo wir leben. In: Aigner, Heidrun / Kumnig, Sarah (Hrsg.): Stadt für alle! Analysen und Aneignungen. Wien: Mandelbaum Verlag, 14-35. Wilcke, Holger (2018): Illegal und unsichtbar? Papierlose Migrant*innen als politische Subjekte. Bielefeld: transcript.
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// Philipp Piechura
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ie Wohnsituation Geflüchteter kann als Ergebnis und Mittel der vom Aufenthaltsstatus abhängigen Entstehung und Ausgestaltung hierarchisch differenzierter und lokal fragmentierter Formen der (Nicht-)Bürger*innenschaft verstanden werden. Sie stellt damit eine praktische Antwort auf die im Sommer 2015 aktualisierten Fragen globaler Gerechtigkeit und gesellschaftlicher Teilhabe dar. Die politischen Gestaltungsspielräume sind dabei größer, als es zunächst den Anschein hat. Sie entstehen in der Ausformulierung, Umsetzung und Ausdeutung des nationalen Asylrechts durch die Bundesländer und Kommunen ebenso wie in dem Zusammentreffen der konkreten Verwaltungspraxis mit dem Handeln Geflüchteter und zivilgesellschaftlichen Initiativen. Ein auf die Gestaltung solidarischer Städte zielendes Konzept von Stadtbürger*innenschaft könnte diesen Handlungsspielräumen eine klarere Richtung geben.
Die Migrationsbewegungen des Sommers 2015 Sommer 2015: Die Situation ist davon geprägt, dass hunderttausende von Menschen europaweite Grenzübertritte erkämpfen und auf der Suche nach Zuflucht auch nach Deutschland kommen. Für viele überraschend und in Kontrast zu den 90er Jahren entsteht unter dem Begriff der ‚Willkommenskultur‘ zunächst eine zivilgesellschaftliche Solidaritätsbewegung (vgl Hess et al., 2017). Vor Ort, in den konkreten Städten und Kommunen des Ankommens, wird gleichzeitig der Krisencharakter der Geschehnisse deutlich. Unterkunft, medizinische Versorgung und
Verpflegung müssen im Notfallmodus sichergestellt werden, viele Verwaltungen sind zunächst mit der Situation überfordert, bei den sozialen Trägern herrscht Personalmangel. In Berlin kommt es vor dem damaligen LaGeSo, dem Landesamt für Gesundheit und Soziales, zu tage- und wochenlangen Wartezeiten. Enormer Rechtfertigungs- und Handlungsdruck legitimiert ein Ausnahmehandeln, das zur Einrichtung von Notunterkünften in Turnhallen oder anderen umfunktionierten Gebäuden führte. Die meisten dieser temporär genutzten Gebäude sind mittlerweile freigezogen. Vielfach wird der Eindruck erweckt, die Frage der Wohnsituation sei gelöst. Aber ein großer Teil der Geflüchteten, auch derjenigen, die das Recht auf eigenen Wohnraum hätten, wohnt in Containern, Modulbauten und anderen Formen von Gemeinschaftsunterkünften. Von einem Wohnen im klassischen Sinne, d.h. mit Privatsphäre, Gestaltungsspielräumen, eigenen sanitären Anlagen und Kochmöglichkeiten, kann oft nicht die Rede sein.
Gesetzliche Grundlagen Die bundesgesetzliche Grundlage für diese Formen der Unterbringung bildet zunächst das Asylverfahrensgesetz. Hier ist unter anderem in § 47 der verpflichtende Aufenthalt von mittlerweile bis zu sechs Monaten in Erstaufnahmeeinrichtungen festgehalten. Privatsphäre oder Möglichkeiten einer eigenständigen Essenszubereitung sind hier im Normalfall nicht gegeben.
” s u t a t s s t l a h t n e f u A r e d t s i e erung i d t r n e ü m H g a r e t F ß e nd di u r e t “Die grö e t h c ü fl on Ge uati t i s n h o aft W h e c i s n D e n n i * r e bürg von (Staats-)
Die Möglichkeit für die anschließende Unterbringung in Wohnungen wie auch in Gemeinschaftsunterkünften ist in § 53 des Asylverfahrensgesetzes festgehalten. Dort heißt es, dass „Ausländer, die (...) nicht oder nicht mehr verpflichtet sind, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, (...) in der Regel in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden“ sollen (vgl. Wendel, 2014). Die Interpretation des Gesetzestextes variiert von Bundesland zu Bundesland. Während in Berlin gesetzlich die Regelunterbringung in Wohnungen vorgesehen ist, wird in Hamburg der Auszug geduldeter Menschen offiziell nur in Ausnahmefällen genehmigt. Insbesondere Menschen aus gesetzlich so definierten sicheren Herkunftsländern ist es aufgrund der restriktiven bundesgesetzlichen Vorgaben nur in Ausnahmefällen möglich, in eigene Wohnungen zu ziehen.
Hürden und Unterstützungsstrukturen Zu den asylrechtlichen Grundlagen, die einem Teil der Geflüchteten den Zugang zum Wohnungsmarkt verweigern, kommen erschwerend eine ganze Reihe struktureller Hürden. Ein Aspekt sind bürokratische Hürden, die aufgrund der Vervielfältigung der vorzulegenden Dokumente und einem allgemein erhöhten Kommunikationsaufwand den Abschluss eines Mietvertrags erschweren. Aber selbst im Rahmen progressiver politischer Vorgaben und wohlwollender Sachbearbeiter*innen ist es in Großstädten aufgrund der angespannten Lage auf dem
Wohnungsmarkt schwierig, eine Wohnung zu finden. Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum, also Wohnraum innerhalb der bezahlten Leistungssätze, führt zu einer hohen Konkurrenz. Ein Grund hierfür ist der Rückgang von Wohnungen, die in den Bereich des sozialen Wohnungsbaus fallen. Für Geflüchtete ist das von besonderer Bedeutung, da Diskriminierungen besonders dann zum Tragen kommen, wenn Wohnraum Mangelware ist und es sich die Vermieter*innen leisten können. Solche Diskriminierungen tauchen sowohl in der unmittelbaren Form rassistischer Kommentare („Ne, an Geflüchtete vermieten wir nicht“) als auch in vermittelteren Formen auf. Hierzu zählen Mieten, die nur knapp über den Höchstsätzen von Leistungsempfänger*innen liegen, die Einforderung eines teils willkürlich festgelegten Mindestsprachniveaus oder das Festhalten an einer rigiden Ein-Zimmer-pro-Person Belegungspolitik. Letztere macht es für größere Familien nahezu unmöglich, eine Wohnung zu finden. Manche Wohnungsbaugesellschaften vermieten zudem prinzipiell nicht an Geduldete. Vorhandene Unterstützungsmaßnahmen wie ehrenamtliche Schritt-für-Schritt-Begleitungen oder Solizimmer sowie durch staatliche Stellen und soziale Träger angebotene Vermittlungsangebote für besonders vulnerable Zielgruppen können zwar manchmal einzelnen Personen und Familien Wohnraum besorgen, sind aber nicht in der Lage, diese strukturellen Defizite zu verändern. Dies gilt umso weniger für Angebote wie Mieter*innenschulungen, die nach Abschluss eines Wochenendseminars Geflüchteten mit einem Wohnzertifikat Vorteile auf dem Wohnungsmarkt verschaffen sollen. engagée | 55
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Politische Instrumente Umso stärker zeigt sich, dass die Frage der Wohnsituation Geflüchteter keine allein sozialarbeiterisch zu bearbeitende ist, sondern in ihrer gesamtgesellschaftlichen Dimension politischer Lösungen bedarf. Ein Großteil der zum Tragen kommenden oder diskutierten politischen Instrumente zielt entsprechend auf das Wohnungsangebot im Ganzen. Es geht um Milieuschutzgebiete, Mietpreisbremsen, Zweckentfremdungsgebote, die Förderung des sozialen Wohnungsbaus sowie mögliche Rekommunalisierungen von Wohnungsbeständen. Daneben gibt es zumindest temporär sinnvolle Möglichkeiten, die allgemeine Subjektförderung zu verbessern, etwa indem die Sozialleistungsobergrenzen für Mieten erhöht oder ein Mietsonderzuschlag von 20% für all jene, die aus der Wohnungslosigkeit in eine eigene Wohnung ziehen, vereinbart wird. Möglichkeiten direkter politischer Einflussnahme auf den Markt im Sinne einer Belegungspolitik sind insbesondere über die kommunalen Wohnungsbauunternehmen dort vorhanden, wo allgemein Quoten für Sozialwohnungen – wie in Berlin im derzeit eher dürftig ausgestatteten Kontingentprogramm WFF – Wohnen für Flüchtlinge – beschlossen werden können; auch wenn diese Kontingente derzeit nur wenige hundert Wohnungen umfassen.
Der Konflikt um den Wohnungsberechtigungsschein Dort, wo es um die bedürfnisorienterte Subjektförderung von Mieter*innen geht, zeigt sich die über unterschiedliche Statuskategorien vermittelte Fragmentierung universeller Rechte am stärksten. Exemplarisch lässt sich dies am Berliner Konflikt um den Wohnungsberechtigungsschein (WBS), welcher
Zugang zu den Wohnungen des sozialen Wohnungsbaus bietet, zeigen. Der Konflikt betrifft sowohl den formellen Status als auch die mit einem konkreten Status verbundenen halb- und informellen Zuschreibungen bezüglich der Langfristigkeit des Aufenthalts und der sogenannten Bleibeperspektive. Während vonseiten der Berliner Landespolitik betont wird, dass ein großer Teil der Geflüchteten mittlerweile das Anrecht auf einen Wohnungsberechtigungsschein hat, kritisiert etwa der Berliner Flüchtlingsrat, dass Geduldete und Flüchtlinge im Asylverfahren generell vom Zugang zum WBS ausgeschlossen seien (Flüchtlingsrat Berlin e.V., 2018b). Vorausgegangen war dem insbesondere hinsichtlich der Zugangsfrage von Geflüchteten mit subsidiärem Schutzstatus ein uneinheitliches bezirkliches Vorgehen, auf das die Landesregierung mit einer vom Senat beschlossenen Ausführungsvorschrift reagierte (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen, 2017). Diese zielte darauf, dass die Bezirke verbindlicher bei der Erteilung des Wohnungsberechtigungsscheins agieren, eine Bleibeperspektive insbesondere bei Geflüchteten mit subsidiären Schutzstatus annehmen und ihren Ermessensspielraum stärker zugunsten Geflüchteter nutzen. Weitere Schwierigkeiten in diesem Zusammenhang gibt es in der Praxis jedoch, wenn eine elfmonatige Mindestgeltungsdauer der Aufenthaltsbescheinigung eingefordert wird, die Verlängerung der Aufenthaltsbescheinigung jedoch erst kurz vor ihrem Ablauf beantragt werden kann. Dies kann zu einem De-facto-Ausschluss auch anerkannter Geflüchteter führen: „Anerkannte Geflüchtete mit 3 Jahre gültiger Aufenthaltserlaubnis können daher z.B. im 26. Geltungsmonat ihres Aufenthaltstitels keinen WBS erhalten“ (Flüchtlingsrat Berlin e.V., 2018a, S. 1). In anderen Bundesländern wird ein solcher Ausschluss durch in verbindlichen Verwaltungsvor-
schriften festgelegte Regelvermutungen und Einzelfallprognosen vermieden, weshalb der Flüchtlingsrat eine solche Regelung auch für Berlin fordert (Flüchtlingsrat Berlin e.V., 2018a, S. 1ff ). Das Beispiel zeigt, dass Grenzen nicht alleine an den geographischen Rändern der EU existieren, sondern sich als Zugangskontrollen und Ausschlussmechanismen tief in den Institutionen selbst wiederfinden (Schilliger, 2018). Ein Konsequent ein- und durchgeführtes Konzept lokaler Stadtbürger*innenschaft, das allen vor Ort lebenden Personen Zugang zu städtischen Unterstützungsleistungen wie dem Wohnberechtigungsschein ermöglicht, könnte helfen, zumindest solche bürokratischen Zugangshürden abzubauen. Der Blick auf Fragen des Wohnens zeigt an dieser Stelle deutlich die Herausforderungen, das Verhältnis zwischen Sozialstaat, solidarischen Städten und nationalen Migrationspolitiken neu zu bedenken.
Drei Anmerkungen zu Theorien lokaler (Staats-)bürger*innenschaft Die klassischen Vorstellungen und Realitäten der Verbindung von Nationalstaat, lokaler Zugehörigkeit, offiziellem Pass und daraus abgeleiteten Rechten und Pflichten sind durch Globalisierung und Migrationsbewegungen herausgefordert und befinden sich im Wandel (Sassen, 2002). Reagiert wird darauf, auch das zeigt sich exemplarisch am Beispiel Wohnen, uneinheitlich. Das Recht auf Wohnen wird entlang der verschiedenen offiziellen Statusgruppen und inoffizieller Bleibeperspektiven fragmentiert. Eine entscheidende Rolle spielen dafür Prozesse der Lokalisierung. In diesem Fall meint Lokalisierung durch die lokale Umsetzung von Migrations- und Sozialstaatspolitiken entstehende ortsspezifische
Differenzen. Diese bestehen sowohl zwischen den Bundesländern in der Auslegung vorhandener Gesetze als auch in der unterschiedlichen Ausführung von Vorschriften zwischen Bezirken. Dadurch entstehen letztlich abgestufte Formen von Bürger*innenschaft bzw. Nicht-Bürger*innenschaft, die auch als lokale Formen von (Staats-)Bürger*innenschaft verstanden werden können. Politisch entscheidend ist, ob solche Formen unbeabsichtigt entstehen oder gezielt eingeführt werden. Auf theoretischer Ebene stellt sich die Frage, wie diese Formen und ihre Durchsetzungen überhaupt zu fassen sind. Marisol Garcia schreibt unabhängig von der Migrationsdebatte, dass solche urbanen und regionalen Formen von (Staats-) Bürger*innenschaft entstehen, wenn „[p]olitische Instrumente als Ergebnis der Forderungen von Bürger*innen oder als Resultat der innovativen Praktiken lokaler Institutionen lokal oder regional eingeführt werden, um soziale Ansprüche hervorzurufen oder zu erfüllen“ (García, 2006, S. 754). Ein Blick auf die Wohnsituation Geflüchteter ergänzt eine solche Bestimmung um drei Punkte: Erstens bilden hier nicht die Forderungen von Bürger*innen den Ausgangspunkt der Veränderungsprozesse. Es ist die (zunächst körperliche) Präsenz von Nicht-Bürger*innen, die ausgehend von den Migrationsbewegungen rund um das Jahr 2015 institutionelle Veränderungen hervorgerufen haben: Ohne die im Sommer 2015 in den Medien präsenten Menschengruppen vor dem LaGeSo, ohne die in fast allen Städten und Kommunen entstehende Notwendigkeit, wartenden Menschen ein Dach über dem Kopf zu organisieren, wäre es nicht zur Schaffung neuer Verwaltungsstrukturen und zur erneuten Diskussion über Zugangsrechte gekommen. Zweitens kann gegenüber García und anderen festgestellt werden, dass die Ausdifferenzierung von (Staats-) bürger*innenschaft nicht auf der städtischen Ebene haltmacht.
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Urban Citizenship
Insbesondere in einer Situation, in der schnelle und großflächige (institutionelle) Veränderungsprozesse stattfinden, kann eine Ausdifferenzierung auch unterhalb der städtischen Ebene durch variierende Praxen von Bezirken als nächstkleineren Verwaltungseinheiten entstehen. So kamen in Berlin im August 2016 die Neugründung des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten und im Dezember 2016 der Arbeitsbeginn des neuen rot-rot-grünen Senats zusammen. Die Kombination der bürokratischen Nachwirkungen des Sommers 2015, die laufenden behördlichen Umstrukturierungen sowie zum Teil vorherrschende Unsicherheiten über die politische Ausrichtung schlugen sich in entsprechend uneinheitlichem Handeln verschiedener Bezirke oder gar Sachbearbeiter*innen nieder. Drittens ist Garcías Definition hinzuzufügen, dass insbesondere dann, wenn es im Rahmen der Ausdifferenzierung von (Staats-)bürger*innenschaft zur Fragmentierung bürgerlicher Rechte und damit zur Entstehung vielfältiger Statusgruppen kommt, lokale Formen von (Staats-)bürger*innenschaft nicht nur zur Erfüllung, sondern auch zur Verweigerung sozialer Ansprüche, wie eben dem Recht auf eigenen Wohnraum, beitragen können und somit die Gefahr besteht, dass diese selbst zu Exklusionsinstrumenten werden. Die bewusste Einführung einer solidarisch ausformulierten Stadtbürger*innenschaft (vgl. Lebuhn, 2016; Schilliger, 2018) könnte helfen, dem entgegenzuwirken. In der Debatte um den Zugang zu Wohnraum für Geflüchtete zeigt sich insgesamt, dass die durch die Herausforderung der Unterbringung Geflüchteter gestellten Fragen nicht durch partielle Einzellösungen beantwortet werden. Daran schließt sich jedoch zuweilen die Hoffnung an, diese könnten, zusammen mit anderen Ausgangspunkten, einen Anstoß zu einer praktischen Antwort geben, die in ihrer Forderung so einfach wie in ihrer Umsetzung komplex ist: Der politisch durchgesetzten Schaffung von inklusivem, bezahlbarem Wohnraum für alle.
Literatur Flüchtlingsrat Berlin e.V. (2018a). Recherche zu Weisungslage und Vergabepraxis Wohnberechtigungsschein in verschiedenen Bundesländern. Flüchtlingsrat Berlin e.V. (2018b). Wohnungen für alle statt immer neuer Obdachlosenunterkünfte.Forderungen des Flüchtlingsrats Berlin an den Senat, die Bezirke und die Wohnungswirtschaft - Entwurf, Stand 4. Juni 2018. Berlin. García, M. (2006). Citizenship Practices and Urban Governance in European Cities. Urban Studies, (4), 745–765. Hess, S., Kasparek, B., Kron, S., Rodatz, M., Schwertl, M., & Sontowski, S. (Hg.). (2017). Der lange Sommer der Migration (2. korrigierte Auflage). Berlin Hamburg: Assoziation A. Lebuhn, H. (2016). »Ich bin New York« Bilanz des kommunalen Personalausweises in New York City. LuXemburg, (03). Verfügbar online: http://www.zeitschrift-luxemburg.de/10841-2. Sassen, S. (2002). Towards Post-National and De-Nationalized Citizenship. In Handbook of Citizenship Studies (pp. 277–291). London: SAGE. Verfügbar online: http://www.columbia.edu/~sjs2/PDFs/Towards_Post-National_and_ Denationalized_Citizenship.pdf. Schilliger, S. (2018). Urban Citizenship. Teilhabe für alle - da, wo wir leben. In H. Aigner & S. Kumnig (Hg.), Stadt für alle: Analysen und Aneignungen (1. Auflage, pp. 14–35). Wien: Mandelbaum. Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen. (2017). Ausführungsvorschrift zur Festlegung einer Antragsberechtigung nach § 27 Absatz 2 des Gesetzes über die soziale Wohnraumförderung. Verfügbar online: https://www.stadtentwicklung.berlin.de/service/gesetzestexte/de/download/ wohnen/AV_zu_paragraph27_absatz2_WoFG.pdf. Wendel, K. (2014). Unterbringung von Flüchtlingen in Deutschland. Regelungen und Praxis der Bundesländer im Vergleich. Pro Asyl. Verfügbar online: https://www.proasyl.de/wp-content/uploads/2015/04/ Laendervergleich_Unterbringung_2014-09-23_01.pdf.
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Stadt als Zukunftsproduktion Akzelerationistische Potentiale des Urban Citizenship
// Michael Feichtinger
M
it dem Begriff der Autopoiesis wird die Eigenschaft von Systemen charakterisiert, sich mittels „ihrer eigenen Dynamik als unterschiedlich vom umliegenden Milieu [zu] konstituier[en]“1. Ähnlich wie eine sich derartig selbst herstellende Einheit kann auch die Praxis des Urban Citizenship verstanden werden. Als selbstermächtigendes bottom-up-Projekt2 erzeugt sie durch eine rein immanente Organisation nicht 1 Maturana, Humberto R./Varela, Francisco J. (2009): Der Baum der Erkenntnis. Die biologischen Wurzeln der menschlichen Erkenntnis. Berlin: Fischer, 54. 2 Schilliger, Sarah (2018): Urban Citizenship. Teilhabe für alle – da, wo wir leben. In: Aigner, Heidrun/Kumnig, Sarah [Hg.]: Stadt für Alle! Analysen und Aneignung. Wien: Mandelbaum, 21.
nur ein neues Innen, sondern auch einen Rand bzw. eine Grenze – und damit nicht zuletzt ein Außen. So wird ein lokal begrenzter Raum geschaffen, in dem neue, unmittelbare Handlungsmöglichkeiten eröffnet werden. Dennoch lässt sich, kritischer gewendet, vermuten, dass das Projekt Urban Citizenship unter das „folk-political thinking“3 fällt – so bezeichnen Nick Srnicek und Alex Williams die Tendenz der Linken zu Emanzipations- und Widerstandsstrategien, die sich durch Lokalität, Unmittelbarkeit und Nicht3 Srnicek, Nick/Williams, Alex (2015): Inventing the Future. Postcapitalism and a World without Work. London/New York: Verso, 9.
skalierbarkeit auszeichnen.4 Diese Charakteristika würden, so Srnicek und Williams, im Weiteren dazu führen, dass ein gegenhegemoniales Projekt als Alternative zum globalen Kapitalismus durch derartig mikropolitische Emanzipationsstrategien unerreichbar bleibt.
Seite und globalen, spekulativen, makropolitischen Projekten auf der anderen Seite.7 Als solches verstanden, entgeht Urban Citizenship der Kritik begrenzter lokaler Wirksamkeit ebenso wie der Etablierung von „Top-Down-Vorschriften von Werten und Normen“.8
Entgegen der akzelerationistischen und quasimessianischen Hoffnungen auf eine neue Welt durch beschleunigte Prekarisierung sollte Widerstand im Hier und Jetzt, unmittelbar und lokal beginnen. Die Stadt kann in der Tat als lokale Keimzelle für ein gegenhegemoniales globales Projekt angesehen werden, zumal sich das Urbane historisch „als wichtiger Schauplatz für politisches Handeln und für Rebellion“5 herausgestellt hat. So gilt es, die progressiven Tendenzen der Städte, die ihnen auf Grund ihrer Schlüsselrolle im Kapitalismus zukommen, zu intensivieren und zu akzelerieren.
Durch den eingangs beschriebenen autopoietischen Charakter und die Erzeugung einer neuen Interiorität und Exteriorität bringt Urban Citizenship eine Exklusionsproblematik mit sich. Jedoch ist es unweigerlich mit dem ausgeschlossenen Milieu verbunden und existenziell sogar von diesem abhängig.9 Daher bedarf es einer genaueren Charakterisierung dieser Exteriorität: Dieses Außen, dem sich die Stadt hier entgegenzustellen versucht, ergibt sich aus den supra- und nationalen Ordnungsstrukturen des globalen Kapitalismus. Kennzeichnend für diesen ist seine hohe Geschwindigkeit, die schnelle Expansion, die schnelle Innovation, seine schnellen Technologien und vor allem seine schnelle Vereinnahmung. Mit dem Begriff der Vereinnahmung bezeichnen Félix Guattari und Gilles Deleuze ein entscheidendes Charakteristikum des Kapitalismus: dass er durch seine Fähigkeit, alles zu deterritorialisieren, kurzlebige Übergangszustände erschafft, welche er katalytisch nutzt, um sofort wieder zu reterritorialisieren. So behält der globale Kapitalismus seine Beständigkeit vor allem durch die schnelle Vereinnahmung von Fluchtlinien.10 Um diese Vereinnahmung zu unterwandern, müssen – folgt man der akzelerationistischen Perspektive – Städte das Geschwindigkeitsmoment des Kapitalismus auf-
Urban Citizenship als mesopolitische Praxis: Fluchtlinien beschleunigen Im Folgenden werde ich diejenigen akzelerationistischen Potentiale im Konzept des Urban Citizenship kartographieren, welche letztlich verhindern, dass dieses als umfassende Widerstandsstrategie in gegenwärtigen Mikrowiderständen kollabiert. Unter Berücksichtigung dieser Potentiale kann Urban Citizenship so als mesopolitische Praxis6 verstanden werden; d.h. als Praxis, die sich zwischen dem Lokalen und Globalen platziert, jedoch gleichzeitig auf beiden Ebenen Wirkung zeigen kann. Das Mesopolitische operiert zwischen atomisierten, hyper-lokalen, mikropolitischen Interventionen auf der einen 4 Vgl. ebd. 11. 5 Harvey, David (2013): Rebellische Städte. Frankfurt: Suhrkamp, 207. 6 Hester, Helen (2018): Xenofeminism. Cambridge/Medford: Polity, 114.
7 Vgl. ebd. 8 Laboria Cuboniks (2015): Xenofeminismus – Eine Politik für die Entfremdung. In: http://laboriacuboniks.net/20150612-xf_ layout_web_DE.pdf, Zugriff: 16.11.18. 9 Guattari, Félix (2014): Chaosmose. Wien: Turia + Kant, 52. 10 Vgl. Deleuze, Gilles/Guattari, Félix (1992): Tausend Plateaus. Berlin: Merve, 301. engagée | 61
Urban Citizenship
nehmen und es sogar noch beschleunigen. Auf diese Weise könnten Städte der Instrumentalisierung einer ursprünglich widerständigen Praxis – wie jene des Urban Citizenship – für kapitalistische Zwecke entgehen. Eine derartige Beschleunigung ist dabei nicht eine, die einfach nur die Geschwindigkeit erhöht, sondern eine, „die auch navigiert, die ein experimenteller Entdeckungsprozess in einem universellen Möglichkeitsraum ist“.11 Dementsprechend verstärkt eine so verstandene Akzeleration nicht einfach die Expansions- und Akkumulationstendenzen des Kapitalismus, sondern erschließt, beispielsweise durch eine alternative Verwendung der technologischen Gegebenheiten, die eine Triebkraft für den Kapitalismus darstellen, neue Widerstands- und Erfahrungsräume. Einerseits kann dieses akzelerationistische Potential in der Verdichtung der produktiven Differenzen durch die autopoietische Einheitsstiftung des Urban Citizenship beobachtet werden. Die Produktion von mannigfaltigen Fluchtlinien durch die „Differenzmaschine Stadt“12 wird zusätzlich beschleunigt, wenn „die unterschiedlichen Vielen einander als Gleiche begegnen“.13 Andererseits gilt es, die technologischen Gegebenheiten zu affirmieren und sich diese für die Skalierung des emanzipativen Projekts subversiv anzueignen. Die Wirksamkeit, welche sich in der Besetzung dieser verdichteten Räumlichkeit des Internets entfalten lässt, zeigte sich beispielsweise in der #BlackLivesMatter- oder #MeToo-Bewe11 Srnicek, Nick/Williams, Alex (2013): #Beschleunigungsmanifest für eine akzelerationistische Politik. In: https://syntheticedifice.files.wordpress.com/2013/06/beschleunigungsmanifest.pdf, Zugriff: 09.11.18. 12 Lanz, Stephan (2016): Politik zwischen Polizei und PostPolitik. Überlegungen zu „urbanen Pionieren“ einer politisierten Stadt am Beispiel von Berlin. In: Behrens, Melanie/Bukow, Wolf-Dietrich/Cudak, Karin/Strünck, Christoph [Hg.]: Inclusive City. Überlegungen zum gegenwärtigen Verhältnis von Mobilität und Diversität in der Stadtgesellschaft. Wiesbaden: Springer VS, 52. 13 Ebd.
gung. In beiden Fällen resultierte aus einer lokalen und selbstermächtigenden Praxis der Betroffenen innerhalb kürzester Zeit eine globale Bewegung, die sich insbesondere in ihrer Entstehungsphase exponentiell ausweitete. Vor diesem Hintergrund sollte es also darum gehen, den technologischen Fortschrittsgedanken des Kapitalismus nicht als Antagonisten, sondern als emanzipatorischen Möglichkeitshorizont anzusehen, der produktiv genutzt und widerständig beschleunigt werden kann.
Für eine offene Zukunft: den Zeitkomplex unterwandern Neben diesem räumlichen Beschleunigungspotential des Urban Citizenship existiert jedoch noch ein zeitliches. Trotz seiner enormen Geschwindigkeit und des futuristischen Innovationsdenkens erschafft der globale Kapitalismus alles andere als einen offenen Zukunftshorizont. Im Gegenteil zeichnen sich zeitgenössische Entwicklungen eher dadurch aus, dass ein spekulativer Zeitkomplex durch eine Vereinnahmung der Zukunft konstruiert wird. Als spekulativen Zeitkomplex bezeichne ich in Anlehnung an Armen Avanessian und Suhail Malik den Verlust der „Gegenwart als primäre Kategorie der menschlichen Erfahrung [und] als Grundlage sowohl für das Verständnis der Zeit, als auch dessen, was Zeit ist“.14 Dieser manifestiert sich in der präemptiven Operationslogik des Kapitalismus dahingehend, dass die Zukunft sich vor der Gegenwart ereignet.15 Ein alltägliches Beispiel hierfür ist, dass Amazon nicht nur Artikel vorschlägt, die zu den eigenen Interessen passen, sondern ebenfalls solche, die auf zukünftige Präferenzen antworten, ihnen bestenfalls zuvorkommen. Damit kommt es zu einer „Vorwegnahme 14 Avanessian, Armen/Malik, Suhail (2016): Der Zeitkomplex. In: dies.: Der Zeitkomplex. Postcontemporary. Berlin: Merve, 7-8. 15 Ebd. 7.
der Zukunft“16 unter dem Ausschluss alternativer Zukünfte. Widerstand und Emanzipation müssten daher nicht nur in der Gegenwart, sondern ebenso in dieser vorweggenommenen Zukunft wirksam werden. Die Akzeleration in diesem zeitlichen Sinne wäre dann eine, die eine „Differenz in die rekursive Zeitbewegung“17 selbst einführt, um mit dem spekulativen Zeitkomplex zu brechen. Der autopoietische Charakter des Urban Citizenships wäre dahingehend nicht mehr nur einer, der die Stadt als offene systemische Einheit konstituiert, sondern ebenso die Möglichkeit neuer Zukünfte herstellt. Die New York City ID (IDNYC) wäre ein konkretes Beispiel für eine Strategie, die diesen Weg einschlägt. Die IDNYC ist ein „kommunaler Personalausweis“18, womit StadtbürgerInnen einen leichteren Zugang zu öffentlichen Infrastrukturen und Dienstleistungen erhalten, sowie Schutz im Umgang mit der Polizei.19 Durch die IDNYC eröffnen sich neue Möglichkeiten für StadtbürgerInnen, die ansonsten durch nationale und supranationale Strukturen dem präemptiven Entzug einer besseren Zukunft ausgeliefert wären. Die IDNYC führt so eine Differenz und Instabilitäten in den spekulativen Zeitkomplex ein. Im Falle der IDNYC ist jedoch zu beachten, dass diese einem relativ rigiden institutionellen Rahmen entspringt. Urban Citizenship entspricht dabei noch eher einem formalen Status, der von einer Institution zuerkannt wird. Die IDNYC muss zwar nicht ‚verdient‘ werden, aber eine selbstermächtigende Praxis dieser Art könnte das akzelerationistische Potential durch seine erweiterte Plastizität noch besser ausnutzen.
Die Affirmation der akzelerationistischen Tendenzen im Konzept des Urban Citizenship bringt daher in einer Ausbreitung und Vermehrung von dessen Widerstandsräumen die Möglichkeit eines zukünftigen gegenhegemonialen globalen Gefüges20 hervor, das sich der vorweggenommenen globalen Zukunft des Kapitalismus entgegenzustellen vermag. Letztlich bedarf es eines solchen Gefüges, um die neoliberalen Verwertungsstrategien und Aneignungstaktiken des Kapitals subversiv zu unterwandern, sie zu durchkreuzen und so einer erneuten Vereinnahmung entgehen zu können. Städte als Keimzellen dieses Projekts stellen damit nicht nur eine neue Zukunft her, sondern eine zukünftige Prozesshaftigkeit, die am Horizont eine neue Offenheit des Künftigen sichtbar werden lässt – eine Zukunft, die sich dann nicht länger mit der aktuellen Operationsweise des Kapitalismus vereinbaren lässt.
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16 Ebd. 10. 17 Ebd. 31. 18 Schilliger, Sarah (2018): Urban Citizenship. Teilhabe für alle – da, wo wir leben. In: Aigner, Heidrun/Kumnig, Sarah [Hg.]: Stadt für Alle! Analysen und Aneignung. Wien: Mandelbaum, 25. 19 Vgl. ebd.
20 Ong, Aihwa (2016): Situative Globale Formen: Eine Anthropologie der kosmopolitischen Wissenschaft. In: Avanessian, Armen/Malik, Suhail: Der Zeitkomplex. Postcontemporary. Berlin: Merve, 51. engagée | 63
WIR FLÜCHTLINGE // Daniel Loick
Überlegungen zu einer Bürgerschaft jenseits des Nationalstaates1 „Vor allem mögen wir es nicht, wenn man uns ‚Flüchtlinge‘ nennt. Wir selbst bezeichnen uns als ‚Neuankömmlinge‘ oder als ‚Einwanderer‘.“2 Im Jahr 1943 veröffentlichte Hannah Arendt in der jüdischen Zeitschrift The Menorah Joural einen kurzen Essay, der den Titel „We refugees“ trägt. Sie beschreibt darin die Weigerung vieler den Nazis entkommener Jüdinnen und Juden, den Status des „Flüchtlings“ zu akzeptieren. Nachdem sie alles – ihren Beruf, ihre Sprache, ihre Familienangehörigen – verloren hatten, waren sie bemüht, sich so schnell wie möglich ihrer jeweiligen Ankunftsgesellschaft anzupassen und „normale“ Staatsbürgerinnen und Staatsbürger zu werden. Dieser Wunsch ist verständlich: Staatenlose sind nicht nur aller politischen und sozialen Rechte entkleidet, sondern sehen sich auch einer elementaren Handlungsfähigkeit beraubt und sind beständig darauf angewiesen, von anderen „gerettet“ zu werden. Der Mensch ist ein soziales Wesen und braucht einen gesellschaftlichen Kontext, um sich verwirklichen zu können. Zugleich aber, so Arendt weiter, liege in der Strategie der Assimilation auch eine „hoffnungslose Traurigkeit“. Denn die Situation, in der sich die geflüchteten Jüdinnen und Juden wiederfänden, sei überhaupt erst von einem bestimmten Modell der politischen Mitgliedschaft fabriziert worden. Das europäische Konzept der Staatsbürgerschaft ist strukturell auf die Fabrikation von Staatenlosen und Vogelfreien angewiesen, wie gerade Jüdinnen und Juden immer wieder am eigenen Leib erfahren haben. Statt sich um eine vollständige Integration in das Ankunftsland zu bemühen und „Super-Patrioten“ 1 Eine frühere, sehr viel kürzere Version dieses Textes erschien zunächst im September 2015 in EUtopia. Ideas for Europe, die englische Übersetzung dann im Mai 2016 auch auf dem Blog Public Seminar; siehe www.publicseminar.org/2016/05/we-refugees (Zugriff vom 17.09.2017). 2 Arendt 1989, S. 7.
zu werden, so Arendt weiter, sollten sie sich daher darauf besinnen, was sie gerade als Flüchtlinge allen anderen voraushaben. Flüchtlinge seien, wie Arendt schreibt, die „Avantgarde ihrer Völker“, weil die Geschichte für sie „kein Buch mit sieben Siegeln“ mehr ist.3 Als „bewusste Parias“ hätten sie Zugang zu einer Erkenntnis, die allen anderen verschlossen bleibe: die Fragilität, Gewaltförmigkeit und historische Überholtheit eines territorialen Verständnisses von Staatsbürgerschaft. Arendt kann mit Recht darauf verweisen, dass häufig gerade die am meisten benachteiligten oder ausgeschlossenen Gruppen besondere Erkenntnisse über Dynamiken und Funktionsweisen gesellschaftlicher Unterdrückung und Diskriminierung erlangen. Arendts Essay stellt aber nicht nur eine Reflexion über das politische Bewusstsein von Geflüchteten dar. Er enthält auch eine grundlegende Einsicht in die Struktur und Funktionsweise moderner Nationalstaatlichkeit. Staatenlosigkeit als Massenphänomen stellt grundlegend die Fiktion infrage, nach der die Geburt auf dem Gebiet eines Staates einem Menschen in diesem Staat politische Teilhaberechte garantiert. Die Aufteilung des Globus in verschiedene Nationen und die Einteilung der Menschheit in unterschiedliche Völker basieren vielmehr auf Grenzziehungen, die regelmäßig großen Gruppen von Menschen jegliche Form politischer Teilhabe vorenthält. Solange die Menschheit nicht mit dem konventionellen Konzept politischer Mitgliedschaft in Nationalstaaten bricht, wird sie die latent katastrophale Struktur der modernen Souveränität weiter perpetuieren. Die Einsicht ernst zu nehmen bedeutet dann, dass die Überwindung von Exklusion nie einfach in Inklusion, die Lösung des Problems der Staatenlosigkeit nie in Staatlichkeit liegen kann. Es gilt daher, neue Modelle der politischen Selbstbestimmung zu finden, die über die traditionellen Vorstellungen von Assimilation und Integration hinausweisen. Wie Arendt argumentiert 3 Ebd., S. 22.
hat, können hierfür gerade die Erfahrungen und das Wissen der Geflüchteten leitend sein: Es ist der Zustand der Staatenlosigkeit, nicht der Staatsbürgerschaft, den es zu universalisieren gilt. Dass Geflüchtete, wie Arendt schreibt, die „Avantgarde ihrer Völker“ sind, heißt, dass sich nicht die Geflüchteten an die Staaten mit ihren Gewaltapparaten anpassen müssen, sondern die Staaten so umgestaltet werden müssen, dass sie den Praktiken der Geflüchteten gerecht werden können: Aus „normalen“ Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern müssen demnach Flüchtlinge werden.4 Im Folgenden möchte ich diese grundlegende Idee zum Ausgangspunkt nehmen, um zu fragen, wie Formen der politischen Selbstbestimmung jenseits des Nationalstaates aussehen könnten. Es geht mir also keinesfalls darum, die realen Leidenserfahrungen von Geflüchteten zu leugnen, zu heroisieren oder zu romantisieren. Ich will mich vielmehr von Arendts Einsicht leiten lassen, dass es gerade die Praktiken diasporischer Gemeinschaften sind, die uns Auskunft über Möglichkeiten und Formen einer aterritorialen Kohabitation und mobile Formen von Bürgerschaft (citizenship) geben können. Zunächst werde ich noch einmal kurz auf Arendt zurückkommen, indem ich einen Vorschlag dazu unterbreite, wie angesichts dieser grundlegenden Kritik am nationalstaatlichen Territorialitätsprinzip Arendts berühmte Forderung nach einem „Recht, Rechte zu haben“ verstanden werden muss: Das Recht auf Rechte ist kein Recht auf Mitgliedschaft in einem traditionellen Nationalstaat, sondern im Gegenteil ein Recht auf Teilhabe in einer nichtstaatlichen politischen Gemeinschaft (1). Daran anschließend werde 4 Diese Figur weist Parallelen zu Marx’ Verständnis der Emanzipation des Proletariats auf. Für Marx ist das Proletariat deshalb eine „universelle Klasse“, weil in ihm auf negative Weise bereits antizipativ die Befreiung vergegenständlicht ist: Befreiung besteht nicht darin, dem Proletariat das zu geben, was die Kapitalisten schon haben – Privateigentum an Produktionsmitteln –, sondern umgekehrt in der Universalisierung der Existenzweise des Proletariats – der Negation des Privateigentums; vgl. Marx 1976, S. 391.
ich drei Ideen vorstellen, die jeweils einen Aspekt bereits existierender diasporischer Praktiken explizieren: Paul Gilroys Begriff der Konvivialität (2.1), Aihwa Ongs Konzept der flexiblen Staatsbürgerschaft (2.2) und ein zuerst von Franz Rosenzweig ausgearbeitetes und dann von Andreas Fischer-Lescano als Interlegalität bezeichnetes jüdisches Rechtsverständnis (2.3). Zusammengenommen vermitteln uns die realen Praktiken mobiler Menschen somit eine Vorstellung über eine post-territoriale Lebensweise, Politik und Rechtsform und geben uns also zumindest eine Ahnung davon, wie politische Teilhabe jenseits des Nationalstaats aussehen könnte (2.4). Daraus lassen sich einige Implikationen dieser Idee für die politische Philosophie nennen und lässt sich eine neue Idee der Bürgerschaft als einer Politik der Zuflucht formulieren (3).
1. Das Recht auf Politik Unmittelbar nach dem Ende des Nationalsozialismus hat Arendt ihre Überlegungen zur Staatenlosigkeit wieder aufgegriffen und theoretisch weiter ausgearbeitet. Die Ergebnisse ihrer Überlegungen sind in ihr politisches Hauptwerk Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft eingegangen, das 1951 zum ersten Mal in Englisch, 1955 dann in deutscher Sprache erschienen ist. Die Flüchtlingsfrage stellt sie hier in den Kontext der Menschenrechte. Die Menschenrechte, wie sie in der amerikanischen und französischen Menschenrechtserklärung deklariert worden waren, so Arendts grundlegende Diagnose, versagen genau in dem Augenblick, in dem zum ersten Mal in großem Maßstab Menschengruppen auftauchen, die tatsächlich nichts anderes als ihr schieres Menschsein vorzuweisen haben. Der Grund für dieses (bis heute anhaltende) dramatische Versagen der Menschenrechte liegt für Arendt darin, dass die Menschenrechte genau dasjenige zur Grundlage von Rechtlichkeit engagée | 65
erheben, was die Staatenlosen als ihre größte Gefahr erleben: ihr Nichts-als-Menschsein, ihr nacktes Leben. Sie beruhen auf einem rein biologischen Begriff des Menschlichen, der das Wesentliche an der conditio humana aber gerade verkennt.5 Arendt bezieht sich auf die aristotelische Bestimmung des Menschen als zoon politikon, als politisches Tier. Was den Menschen demnach jenseits seines nackten, biologischen Lebens ausmacht, ist sein „Standort in der Welt“:6 „in einem Bezugssystem zu leben, in dem man auf Grund von Handlungen und Meinungen beurteilt wird“.7 Damit ist der Mensch von vornherein zum Zusammenleben und somit zur öffentlichen, das heißt originär politischen Gestaltung seiner Verhältnisse disponiert. Statt also die Menschenrechte gewissermaßen als Mindestrechte zu definieren, die noch Staatenlosen und Flüchtlingen zukommt, welche all ihre sozialen und kommunikativen Bezüge verloren haben beziehungsweise ihrer entkleidet worden sind, gibt es für Arendt nur ein einziges Menschenrecht: das Recht, einer Polis anzugehören, das heißt das Recht auf Politik. Arendts Postulat vom Recht auf Mitgliedschaft in politischen Gemeinschaften wird in der Arendt-Rezeption meistens mit einem „Recht, Rechte zu haben“ gleichgesetzt.8 Diese Formulierung versteht das Recht auf Politik als eine Art Menschenrecht auf Bürgerrechte. Staatenlosigkeit ist dieser Lesart zufolge ein Defizit, das durch die Vergabe einer Staatsbürgerschaft kuriert werden muss. Diese Interpretation greift jedoch zu kurz. Arendt geht es gerade darum, zu zeigen, dass Staaten die Verursacher von Staatenlosigkeit sind; solange wir Politik nationalstaatlich denken, wird die Entrechtung und Exklusion unzähliger Menschen fortgeschrieben. Das Recht auf 5 Vgl. zum Folgenden Loick 2017, S. 303-306. 6 Arendt 1986, S. 461. 7 Ebd., S. 462. 8 Siehe exemplarisch Benhabib 2008.
Politik müsse darum etwas anderes heißen als ein Recht, Mitglied in einem traditionellen Nationalstaat zu sein.9 Arendt weist selbst – an der einzigen Stelle ihres Buchs, an der sie die Formel vom „Recht, Rechte zu haben“ überhaupt verwendet – darauf hin, dass die Gleichsetzung von Politik und Staatlichkeit spezifisch modern ist. „Daß es so etwas gibt wie ein Recht, Rechte zu haben“, schreibt sie, „wissen wir erst, seitdem Millionen von Menschen aufgetaucht sind, die dieses Recht verloren haben [...] Bevor sich dies ereignete, wurde das, was wir heute als ein ‚Recht‘ zu betrachten gelernt haben, eher als ein allgemeines Kennzeichen des Menschseins angesehen, und die Rechte, die hier verloren gehen, als menschliche Fähigkeiten.“10 Es ist also möglich – und war während eines Großteils der bisherigen Menschheitsgeschichte der Fall –, die menschliche Fähigkeit zur kollektiven Selbstbestimmung anders als rechtlich und anders als nationalstaatlich zu realisieren. Arendt geht es um mehr als um die Gelegenheit des Menschen, Teil eines traditionellen Nationalstaats zu sein: Die Art, wie politische Gemeinschaften vorzustellen sind, muss selbst verändert werden. Zugespitzt könnte man sagen: Das Recht auf Politik heißt nicht Recht auf Staat, sondern im Gegenteil Recht auf Politik ohne Staat – das heißt Recht auf die Überwindung des Staates.11 Am deutlichsten hat diese Konsequenz 50 Jahre nach Erscheinen von Arendts ursprünglicher Diagno9 Sehr konzise argumentiert in eine ähnliche Richtung Gundogdu 2015. 10 Arendt 1986, S. 462. 11 Nicht anders ist auch Arendts Hinweis zu verstehen, das Phänomen der Staatenlosigkeit habe gerade nichts mit den „aus der Geschichte bekannten Übeln von Unterdrückung, Tyrannei oder Barbarei“ zu tun, sondern sei nur dadurch ermöglicht worden, dass es „keinen ‚unzivilisierten‘ Flecken Erde mehr gibt“ (Arendt 1986, S. 462), dass es also auf der ganzen Welt keine Möglichkeit mehr gibt, außerhalb eines Nationalstaates nach europäischem Vorbild zusammenzuleben. Für eine ausführliche und überzeugende Begründung dieses Arguments vgl. Hamacher 2014.
se ein Text von Giorgio Agamben formuliert, der den Titel „Jenseits der Menschenrechte“ trägt. Der zeitliche Abstand, der zwischen den beiden Analysen liegt, hat nicht zu einer Lösung des Problems geführt: Staatenlosigkeit stellt nicht eine – etwa durch Faschismus oder Stalinismus bedingte – historische Ausnahme, sondern eine neue Normalität dar. Für Agamben zeigen sich die europäischen Staaten immer weniger dazu in der Lage, das Territorialitätsprinzip als Grundlage moderner Souveränität aufrechtzuerhalten. Staaten würden fortan nie wieder die Masse der Geflüchteten absorbieren können. Sie würden daher versuchen, so seine düstere Diagnose, dieser Herausforderung Herr zu werden, indem sie Geflüchtete räumlich konzentrieren und so das Unlokalisierbare der Migration lokalisieren. Dies gelinge durch die Einrichtung verräumlichter Ausnahmezustände, das heißt Lagern: Orten, in denen nacktes, jeglicher politischer Qualifizierung entkleidetes Leben produziert werde, das dem Recht nur noch passiv unterliege, ohne es selbst je aktiv in Anspruch nehmen zu können.12 Auch für Agamben kann die Lösung dieses Problems daher nicht in der Wiedereingliederung von Geflüchteten in Nationalstaaten liegen. Statt am überkommenen Nationalstaatsmodell festzuhalten, so Agamben mit Arendt, gelte es, die Schlüsselkategorien des Politischen, ausgehend von den Erfahrungen von Geflüchteten, völlig neu zu denken. Agamben nennt in seinem kurzen Text nur ein Beispiel, wie das geschehen könnte: den Vorschlag, die Stadt Jerusalem zur gleichzeitigen Hauptstadt sowohl Palästinas als auch Israels zu machen. Ein solches Konstrukt hätte zur Folge, dass sich mehrere politische Gemeinschaften ein und dasselbe Gebiet teilten, sodass die Mitglieder dieser Gemeinschaften sich beständig im Exil der anderen befänden, eine, wie Agamben sagt, „paradoxe 12 Zur Darstellung des Arguments von Agamben vgl. Loick 2011; Schulze-Wessel 2017.
Lage wechselseitiger Extraterritoralität“.13 Agamben schlägt das Refugium des Einzelnen als Leitbegriff eines solchen post-territorialen Raums vor. Diese Idee sieht er auch als dritte Alternative für die Zukunft der europäischen politischen Institutionen an: Weder ein europäischer Super-Nationalstaat noch ein Rückfall in nationale Einzelstaaten, sondern nur ein entschlossenes Bekenntnis zur Zuflucht unabhängig von Geburt und Herkunft vermag die katastrophale Rationalität konventioneller Staatlichkeit zu durchbrechen. Die europäischen Städte würden damit, so Agamben weiter, zugleich an ihre antike Berufung als Welt-Städte erinnert. Agamben hat in seiner kurzen Intervention eine plausible Reformulierung von Hannah Arendts ursprünglicher Analyse und Kritik geliefert. Sein Vorschlag ist jedoch noch nicht konkret genug, um auf der Suche nach alternativen Formen der politischen Gemeinschaft weiterzuführen. Diese lassen sich nicht am Reißbrett entwerfen. Arendts Einsicht von den Flüchtlingen als „Avantgarde“ ernst zu nehmen muss vielmehr bedeuten, realexistierende diasporische Praktiken als Wissensressourcen zu konsultieren. Die Geschichte, so hatte Arendt geschrieben, ist für Geflüchtete kein Buch mit sieben Siegeln mehr: Sie wüssten etwas, was die „normalen“ Staatsbürgerinnen und Staatsbürger nicht wissen – zuerst, dass deren „Normalität“ nicht normal ist. Geflüchtete lebten bereits inmitten anderer und mit anderen Kulturen, politischen Systemen und Rechtsordnungen. Sie bemühten sich darum, die eigenen normativen Regeln auch in einer fremden Umgebung aufrechtzuerhalten, ohne dabei auf einen staatlichen Gewaltapparat als Durchsetzungsinstrument zurückgreifen zu können. Zugleich haben sie begriffen, dass Kulturen und Lebensweisen nichts Homogenes oder Abgeschlossenes sind, sondern einem beständigen Austausch und einer beständigen Wandlung ausgesetzt sind. Hierzu werden im Folgenden drei Vorschläge gemacht, 13 Agamben 2001, S. 31. engagée | 67
von denen der erste sich auf die Lebensweise, der zweite sich auf die Politik und der dritte sich auf das Recht postterritorialer Gemeinschaften bezieht. Nicht in jedem dieser Fälle geht es dabei um Geflüchtete, sondern auch um andere Formen der regulären und irregulären Migration – damit soll die Situation beider Personengruppen nicht gleichgesetzt werden, sie haben aber gemeinsam, die konventionelle Vorstellung von Sesshaftigkeit als Bedingung politischer Partizipation infrage zu stellen.
2. Konvivialität, flexible Staatsbürgerschaft und Interlegalität – drei Aspekte post-territorialer Bürgerschaft 2.1 Konvivialit ät In seinem Buch After Empire (2004) setzt sich der Kulturwissenschaftler Paul Gilroy mit den Schwierigkeiten einer nationalen Identitätsformierung im postkolonialen Großbritannien auseinander. Gilroy diagnostiziert dem Vereinigten Königreich eine kollektive Melancholie, die sich nach der Größe imperialer Zeiten zurücksehnt. Die Ursache für diese Melancholie identifiziert er mit Alexander und Margarete Mitscherlich als Unfähigkeit, zu trauern. Betrauert werden müsste eigentlich der Verlust der groß-britischen Omnipotenzphantasie, die sich nach dem Ende des Kolonialismus nicht mehr ungebrochen aufrechterhalten ließ. Dieser Verlust stellte eine gravierende Kränkung des nationalen Narzissmus dar. Statt sich mit der eigenen historischen Schuld am Kolonialismus auseinanderzusetzen, hält der offizielle britische Diskurs am Bild einer homogenen Identität fest. Damit wird der real existierende Multikulturalismus verdrängt und entwertet, der in den urbanen Zentren des Landes längst praktiziert wird (und ja vom britischen Kolonialismus überhaupt erst ermöglicht wurde). Als Alternative zu dieser Melancholie, die sich sowohl in persönlichem als auch in institutionellem Rassismus
äußert, führt Gilroy den Begriff der conviviality ein, der Konvivialität. Man könnte diesen Begriff vielleicht am besten als „Multikulturalismus von unten“ definieren, er ist kein Ergebnis irgendeines Regierungsprogramms, sondern des kulturellen Drucks gelebter Alltagspraxis. Konvivialität finde bereits statt, jenseits aller offiziellen Planungen oder eines staatlichen Interesses, überall zwischen den Bewohnerinnen und Bewohnern der Metropolen. Konvivialität, so Gilroy, beschreibt „die Prozesse der Kohabitation und Interaktion, die das Multikulturelle zu einem normalen Bestandteil des sozialen Lebens gemacht haben. Es beschreibt nicht die Abwesenheit von Rassismus oder den Triumph der Toleranz. Stattdessen schlägt es ein anderes Konzept für ihre leeren zwischenmenschlichen Rituale vor. Konvivialität führt ein Maß der Distanz gegenüber dem grundlegenden Konzept der Identität ein, das sich als eine so doppeldeutige Ressource bei der Analyse der Rasse, Ethnizität und der Politik erwiesen hat. Die radikale Offenheit, die Konvivialität ins Leben bringt, zeigt den Unsinn von geschlossenen, festen und verdinglichten Identitäten und wendet die Aufmerksamkeit hin zu den stets unvorhersagbaren Mechanismen der Identifizierung.“14 Das Konzept der Konvivialität beschreibt eine Form des Zusammenlebens, die nicht auf Zugehörigkeit oder einer Gemeinsamkeit basiert, sondern auf Zusammenheit, dem gemeinsamen Leben an ein und demselben Platz. Popkulturelle Repräsentanten wie der Rapper Mike Skinner von den Streets oder die Satirefigur Ali G. bringen für Gilroy genau das zum Ausdruck (wobei man sich durchaus fragen kann, warum Gilroy ausgerechnet zwei weiße Männer auswählt, um das Konzept der Konvivialität zu veranschaulichen). Die aus dem multikulturellen Zu14 Gilroy 2004, S. xi.
sammenleben resultierenden Begegnungen bieten schon deshalb eine Alternative zur postkolonialen Melancholie, weil sie sich gegen den grassierenden Rassismus wenden, der die Menschheit in fragmentierte Gruppen einteilt. An die Stelle eines neuen Großmachtstrebens setzen die genannten Figuren Werte wie Offenheit, Bescheidenheit und Humor. Konviviale Kultur leistet aber noch mehr: Sie kreiert einen kollektiven Diskurs, der sich nicht länger phobisch gegenüber Fremdheit und Andersheit abschottet.15 Sie dekonstruiert damit ganz grundlegend die Dichotomie zwischen Gastgeber und Gast, zwischen Alteingesessenen und Neuankömmling. Konvivialismus zeigt somit etwas auf, das nicht nur für die Bewohnerinnen und Bewohner multikultureller Metropolen gilt, sondern konstitutiv für jede menschliche Subjektivität ist: die Unabgeschlossenheit und unhintergehbare Prekarität jeder Identitätsformierung.16 Die diasporischen Communities, die sich in den Städten des postkolonialen Großbritannien versammeln, sind keine Exklaven ihrer Heimatländer inmitten einer Mehrheitsgesellschaft, sondern hybride Gebilde, die stets zusammen, mit- und ineinander verschränkt sind. Obwohl es sich bei ihren Mitgliedern nicht immer um Geflüchtete handelt, gilt für sie, was Hannah Arendt für die jüdischen Geflüchteten behauptet hat: Die Geschichte ist für sie kein Buch mit sieben Siegeln mehr. Sie haben die Einsicht in die Bedingungen des menschlichen Zusammenlebens allen „normalen“ Staatsbürgerinnen und Staatsbürger voraus. Indem er von den Erfahrungen von Migrantinnen und Migranten anstatt von denen der sesshaften Bevölkerung ausgeht, kann Gilroy so Erkenntnisse über die Möglichkeiten eines Zusammenlebens jenseits nationaler Zugehörigkeiten gewinnen, ohne sie dabei zu romantisieren. 15 Vgl. ebd., S. 108. 16 Für den deutschen und internationalen Kontext vgl. hierzu auch die Beiträge in Charim, Borea 2014.
2.2 Flexible Staatsbürgerschaft Einen ähnlichen methodischen Zug unternimmt die Anthropologin Aihwa Ong mit ihrem Konzept der flexiblen Staatsbürgerschaft (flexible citizenship). In ihrem gleichnamigen Buch untersucht sie die Migrationspraktiken südostasiatischer und chinesischer Eliten zwischen China und den USA.17 Als Migrationsgruppe, die über vergleichsweise hohen Wohlstand und viele wirtschaftliche, politische und kulturelle Mittel verfügt, eignet sich Ongs Untersuchungsobjekt nicht besonders für eine Idealisierung oder Heroisierung. Die Geschäftsleute, die sie in ihrem Buch behandelt, reisen häufig zwischen verschiedenen Orten hin und her und verfügen in vielen Fällen über mehrere Pässe oder Visa, eine Möglichkeit, die gerade die von Hannah Arendt beschriebenen Geflüchteten nicht haben. Sie sind dennoch für den vorliegenden Kontext von genuinem Interesse, weil sie das konventionelle Verständnis von Zugehörigkeit und politischer Selbstregierung grundlegend infrage stellen. Diese Migrantinnen und Migranten, argumentiert Ong, entwickeln eine spezifische, nichtterritoriale Akkumulation von Ressourcen, zu denen auch Staatsbürgerrechte gehören. Dabei wägen sie situativ ihre verschiedenen Interessen und Verpflichtungen gegeneinander ab, wobei sie zentral durch die Regime des Nationalstaats, der Familie und des Marktes geprägt werden. In der Aushandlung dieser unterschiedlichen und sich widersprechenden Felder entscheiden die Subjekte strategisch, welche Aufenthalts- oder Teilhabetitel sie verwenden oder zu verwenden versuchen. Flexible Staatsbürgerschaft definiert Ong nüchtern als „kulturelle Logik der kapitalistischen Akkumulation, Mobilität und Verdrängung, die es Subjekten ermöglicht, problemlos und opportunistisch auf sich wandelnde politisch-ökonomische Bedingungen zu reagieren“.18 17 Ong 1999. 18 Ebd., S. 6. engagée | 69
Diese Praxis der flexiblen Staatsbürgerschaft ist historisch neu. Zwar haben Menschen immer schon abgewogen, welcher Wohnsitz und welche politische Zugehörigkeit ihnen die meisten Vorteile bieten, und sind entsprechend von einem in ein anderes Land migriert. Bedingt durch die ökonomische, politische und kulturelle Globalisierung, hat dieses strategische Auswählen aber exponentiell zugenommen. Zum einen ermöglichen neue Kommunikations- und Informationswege leichteren Zugang zu Wissen über verfügbare Optionen (wie Bildungsressourcen oder Jobs), zum anderen erlauben auch durchlässigere Grenzen und ausdifferenzierte Rechtsstatussysteme die Entstehung neuer transnationaler Mobilität. Flexible Staatsbürgerschaft ist dabei allerdings nicht einfach Resultat einer „frei“, im luftleeren Raum herausgebildeten Präferenz der Migrantinnen und Migranten. Der globale Kapitalismus ermöglicht zwar die weltweite Zirkulation von Waren, dies gilt für die Ware Arbeitskraft jedoch nur in begrenztem Maße. Migration wird von staatlichen und wirtschaftlichen Akteuren nicht einfach verhindert und unterdrückt, sondern ermöglicht, kanalisiert, reguliert, produktiv gemacht oder eben auch erzwungen. Die Ermöglichung transnationaler Bewegung ist also nicht Ergebnis eines kosmopolitischen Fortschritts, sondern eines wirtschaftlichen Ausbeutungsinteresses. Zugleich erzeugt dies jedoch vielfach eine eigene Handlungsfähigkeit bei den Migrantinnen und Migranten, und zwar sowohl bei den gewünschten, gut ausgebildeten und oft wohlhabenden „Elite-Migrant/ innen“, welche selektiv ihre gewünschten Staatsbürgerrechte auswählen können, als auch bei den schlecht oder gar nicht ausgebildeten Unterschichts-Migrant/innen, die sich im Rahmen ihrer spezifischen Möglichkeiten ebenfalls strategisch ihre Wege suchen. Der in der kritischen Migrationssoziologie geprägte Begriff der Autonomie der Migration eignet sich gut, um diese migrantische Fähigkeit zu bezeichnen, sich kenntnisreich und strategisch zwischen verschiedenen politischen, kulturel-
len und rechtlichen Systemen zu bewegen, was explizit auch proletarische Arbeitsmigration mit einschließt.19 Das Theorem der Autonomie der Migration untergräbt zum einen die liberale kosmopolitische Phantasie der „einen Welt“, zum anderen aber auch viktimisierende Sichtweisen, die Migrantinnen und Migranten immer nur als passive Opfer sieht. Rechtlich drückt sich die Praxis der flexiblen Staatsbürgerschaft in Form einer Hierarchisierung von Staatsbürgerrechten aus, die unterschiedlichen Statusgruppen unterschiedliche Teilhaberrechte einräumt. Typisch dafür ist es zum Beispiel, Migrantinnen und Migranten gewisse Arbeitnehmerrechte einzuräumen, ihnen jedoch politische Teilhaberechte vorzuenthalten. Ong nennt dies ein „System differenzierter Staatsbürgerschaften“, das es einem Staat ermöglicht, fremde Arbeitskräfte in seinen Arbeitsmarkt zu integrieren, sie jedoch gleichzeitig von der Politik zu exkludieren. Sie bezeichnet als „abgestufte Souveränität“ (graduaded sovereignty) eine neue Formation von Staatlichkeit, die sich weder einfach als Bedeutungsverlust des Nationalstaats noch einfach als Intensivierung nationaler Herrschaft beschreiben lässt, sondern als Fragmentierung und Neukonfigurierung gouvernementaler Machtstrategien verstanden werden muss. Bei den migrantischen Akteurinnen und Akteuren schlage sich diese veränderte Form von Staatlichkeit auch in Form einer neuen politischen Subjektivierung nieder: An die Stelle einer stabilen Loyalität zu einem festen politischen Gebilde oder einer fixen kollektiven Identität und eines Patriotismus als Verwurzeltheit in einer lokalen Kultur trete eine beständige, situativ bedingte praktische und mentale Neuausrichtung. Es handelt sich, noch einmal, bei den von Aihwa Ong untersuchten Business-Eliten nicht um Geflüchtete. Ihre Praxis der flexiblen Staatsbürgerschaft lässt sich 19 Vgl. exemplarisch Transit Migration 2007; Bojadzijev 2008; Mezzadra, Neilson 2013.
auch nicht direkt als ein utopisches Projekt beschreiben, das die Zwänge nationaler Exklusion überwindet. Aber dennoch zeigt auch die flexible Staatsbürgerschaft, dass gerade diejenigen Gruppen, deren staatsbürgerlichen Status man oft als Defizit beschreibt, weil sie an keinem Ort je ganz „da“ sind, in Wirklichkeit dem als Normalität behaupteten Sesshaftigkeitsmodell etwas vorhaushaben. Denn die Globalisierung unterminiert faktisch auch die staatsbürgerlichen Privilegien der weißen europäischen oder US-amerikanischen Mittelschichten. Die Angehörigen dieser Klasse sind ebenso betroffen von der kapitalistischen Globalisierung – etwa in Form von Werkschließungen und Jobverlagerungen –, ohne sich jedoch dazu bewusst verhalten zu können. Die mobilen Nomadinnen und Nomaden, wie Ong sie beschreibt, können in diesem Sinn tatsächlich als „Avantgarde“ verstanden werden. Sie beweisen, dass mit der zunehmenden Flexibilität der Staaten, Migration zu kanalisieren, um Arbeitskräfte in Wert zu setzen, auch eine zunehmende Flexibilität der Individuen einhergeht, an verschiedenen und multiplen Orten ein „Zuhause“ zu finden. Von der bereits etablierten Praxis der flexiblen Staatsbürgerschaft lässt sich so vielleicht auch eine befreiende Perspektive auf neue Formen politischer Partizipation entwickeln, die es Menschen ermöglichen würde, gemäß ihren eigenen Interessen und Bedürfnissen zu entscheiden, welchen und wie vielen Gemeinschaften sie in welcher Intensität angehören möchten. 2.3 Interlegalität Die größte Nachbarschaft zu der von Arendt beschriebenen Gruppe der jüdischen Geflüchteten weist die dritte diasporische Gemeinschaft auf, die einen Aspekt einer post-territorialen Demokratie verkörpert: das jüdische Verständnis von Recht und Gesetz. Im Vergleich zu den postkolonialen Migrantinnen und Migranten in den ur-
banen Zentren Großbritanniens, die Paul Gilroy anführt, und den chinesischen Geschäftsleuten, die Aihwa Ong untersucht hat, ist die jüdische Diaspora beträchtlich älter; ja, sie gibt sogar das Paradigma für den Begriff der Diaspora insgesamt ab. Seit langer Zeit gibt es darum auch Stimmen, die versuchen, gerade die Merkmale des jüdischen Rechts, das sich über Jahrhunderte hinweg ohne staatliche Durchsetzungsinstanzen und oft in einer feindseligen Umgebung konservieren konnte, als Vorteile gegenüber den konventionellen, auf Grenzschützer und Polizei angewiesene Nationalstaaten hervorzuheben.20 Eine der pointiertesten Ausarbeitungen dieses Arguments findet sich bereits in Franz Rosenzweigs religionsphilosophischem Hauptwerk Der Stern der Erlösung.21 Rosenzweig kontrastiert darin die geschichtliche Situation der mehrheitlich christlichen europäischen Staaten mit der Existenzweise der Jüdinnen und Juden. Für Rosenzweig ist die Stellung der Jüdinnen und Juden wesentlich eine des Nicht-Dazugehörens, der Heimatlosigkeit und der Ausgeschlossenheit. Der Ursprung dieser Position des Außerhalb findet sich in der zweiten Zerstörung des Jerusalemer Tempels im Jahre 70 vor unserer Zeitrechnung durch die Römer und der daraus resultierenden Zerstreuung: Anders als alle anderen Völker sind die Juden ein Volk ohne territoriale Bindung. Diese Diaspora-Existenz geht in so gut wie allen Staaten, in denen Jüdinnen und Juden leben, mit Diskriminierungen und Exklusionen einher. Rosenzweig stimmt mit Max Webers Diagnose überein, sie seien innerhalb der westlichen Staaten ein „Paria-Volk“.22 Die Pointe Rosenzweigs ist es nun, diese Situation des Außerhalb nicht als Mangel oder Defizit anzusehen, sondern positiv zu interpretieren. Ihm geht es nicht um eine „Emanzipation“ in dem Sinne, dass 20 Vgl. hierzu Loick 2012, Kapitel III. 21 Rosenzweig 1988 [1921]. 22 Vgl. Weber 2005. engagée | 71
Jüdinnen und Juden endlich das bekommen, was die anderen schon haben. Im Gegenteil: Durch die diasporische Existenz außerhalb der von Gewalt durchzogenen Weltgeschichte sind es gerade die Jüdinnen und Juden, die eine Erfahrung vorwegnehmen, welche die anderen Völker erst noch erstreben. Die positive Kraft der diasporischen Existenzweise liegt zunächst darin, dass sie sich strukturell allen Problemen entsagt, die sich aus territorialen Vergemeinschaftungsformen ergeben. Das ist vor allem die Angewiesenheit auf Gewaltmittel wie des Krieges und des Staates: Wer keine anderen Bindungsressourcen zugrunde legen kann als den Boden, so Rosenzweig, wird diesen mit dem Schwert gegen äußere und innere Feinde beständig verteidigen müssen. Mit der Gewaltförmigkeit geht einher, dass eine solche auf Territorialität beruhende Form der Bindung auch ethisch problematisch ist, denn sie hat den Mitgliedern keine andere Motivation zur Gemeinschaft anzubieten als die der Gewohnheit. Der Grund, warum die Erfahrung des Außerhalb eine erlösende Erfahrung vorwegnimmt, ist also, dass sie eine andere Form der „Treue“ ermöglicht. Die Loyalität zur politischen Gemeinschaft ist nicht über ein Gebiet vermittelt, sondern Ergebnis der gemeinsamen Erfahrung.23 Rosenzweig hat im Stern der Erlösung durch die Konfrontation der geschichtlichen Existenzweise des Judentums und der des Christentums (also der Staaten) gezeigt, dass für all jene, die aus einer Rechtsordnung und damit aus der Gesellschaft ausgeschlossen sind, die Lösung nicht im Eintritt in die Geschichte und damit in die Welt des Staates und der Kriege bestehen kann. Dies korrespondiert mit einer Erkenntnis, die neben den Juden auch andere ausgeschlossene Gruppen gemacht haben: Die Überwindung von Exklusion besteht nie einfach in Inklusion. Dies würde die im Rahmen 23 Vgl. Rosenzweig 1988 [1921], S. 333.
ihrer subalternen Traditionen gemachten Erfahrungen der Ausgeschlossenen entwerten und so die Privilegierung der hegemonialen Gruppen implizit perpetuieren. Vielmehr kompromittiert die Exklusionsstruktur des Nationalstaats auch die Subjektivität der Inkludierten: Ihnen entgeht, was an den Erfahrungen der subalternen Existenzweisen bereits antizipativ die universelle Freiheit aufscheinen lässt. Statt in der Inklusion kann die Überwindung der Exklusion aus dem Recht daher nur in einer Veränderung der Struktur des Rechts selbst liegen. In den Augen einiger zeitgenössischer Interpretinnen und Interpreten lässt die aktuelle weltpolitische Lage das jüdische Recht gerade aufgrund dieser Inkompatibilität mit konventionellen Vorstellungen politischer Herrschaft als ein interessantes Integrationsmodell der Weltgesellschaft erscheinen.24 Gerade weil Jüdinnen und Juden über Jahrhunderte hinweg aus den klassischen Nationalstaaten und ihren etablierten Repräsentationsinstitutionen ausgeschlossen waren, so lautet diese Intuition, befanden sie sich schon in einer Situation, die für die meisten Menschen erst heute, im Zeitalter des Endes der Westfälischen Weltordnung und damit einhergehend des allgemeinen Niedergangs nationalstaatlicher Institutionen, erfahrbar werden. Das jüdische Recht, das ohnehin seit 1.900 Jahren dem Paradigma eines – in den Worten des Bremer Rechtswissenschaftlers Andreas FischerLescano – „exterritorialen Weltrechts“25 unterliegt, bietet sich somit besonders an, weil es ganz andere, nicht auf Zwang gestützte Konfliktschlichtungsverfahren hat entwickeln können. Das jüdische Recht bietet somit zudem eine vielversprechende Alternative zu unitarisierenden, kosmopolitischen Entwürfen, die auf die Errichtung eines Weltstaa24 Für ein ausführlicheres Argument für die Aktualität der jüdischen Rechtstradition im Rahmen einer zukünftigen Transformation des Rechts vgl. Loick 2017, S. 313-329. 25 Fischer-Lescano 2014, S. 165.
tes zielen. Statt plurale Rechtsquellen auf diese Weise zu vereinheitlichen, könnten Konflikte legaler Normordnungen kollisionsrechtlich geschlichtet werden, was dem Faktum polyzentrischer und heterogener Rechtsproduktion durch ein Konzept von „Interlegalität“26 Rechnung tragen könnte.27 Interlegalität bringt zum Ausdruck, dass bereits in der heutigen Weltgesellschaft mit ihrer unendlichen Vielzahl von Rechtsquellen, die sich nicht territorial voneinander trennen lassen, strittige Normkonflikte nicht durch einen Bezug auf ein autoritatives, letztinstanzliches Urteil geschlichtet und auch nicht durch Referenz auf eine gemeinsame Grundnorm neutralisiert werden können, sondern in Form horizontal erzielter, pragmatischer Kompromisse aufgelöst werden.28 Es gibt dabei keinen Grund, solche Modelle nur im internationalen Recht anzuwenden und an der gegenwärtigen Weltordnung als Ordnung souveräner Einzelstaaten festzuhalten. Auch innerhalb des Territoriums eines bestehenden Staates können heterogene Rechtsquellen polyzentrisch miteinander verbunden werden, ohne sie nach Vorbild einer in europäischen Rechtssystemen verankerten Instanzenhierarchie zu vereinheitlichen. Das entspricht der Tatsache, dass, sachlich gesehen, nur einige Rechtsgehalte einen territorialen Bezug benötigen, andere hingegen ortsunabhängig sind. 2.4 Konturen einer post-territorialen Bürgerschaft Konvivialität, flexible Staatsbürgerschaft, Interlegalität – diese Entwicklungen deuten an, was es heißen könnte, politische Grundbegriffe, ausgehend von den Erfahrun26 Ebd., S. 176. 27 Susan Buck-Morss hat die Auffassung vertreten, dass dies nicht nur für das jüdische, sondern auch für das islamische Recht zutrifft (weshalb der Begriff „islamischer Staat“ auch ein Widerspruch in sich ist); vgl. Buck-Morss 2016; ferner Hallaq 2013. 28 Fischer-Lescano, Teubner 2006, S. 35.
gen mobiler Menschen, neu zu konzipieren. Die Verbindung dieser drei Begriffe, die jeweils bereits etablierte Praktiken von Diaspora-Gemeinschaften beschreiben, lässt vielleicht ein utopisches Bild aufscheinen und beweist so zumindest die prinzipielle Möglichkeit eines gewaltfreien Zusammenlebens, einer ortsungebundenen politischen Partizipation und einer Koexistenz pluraler Rechtsquellen. Auf diese Weise lässt sich Agambens Begriff von der „wechselseitigen Extraterritorialität“ zumindest etwas mehr Plastizität verleihen: Mehrere Gemeinschaften, die sich durch kulturelle Zugehörigkeit und freien Entschluss konstituiert haben, teilen sich ein und dasselbe Territorium, haben aber unterschiedliche Formen politischer Selbstbestimmung und juristischer Konfliktschlichtung. An die Stelle nationaler Exklusion und als Alternative zu einem vereinheitlichenden Kosmopolitismus tritt die Kohabitation auf unserem geteilten Planeten durch horizontale und transversale Relationen zwischen einer Vielzahl von Gemeinschaften. Erste Fingerzeige, welche institutionelle Form eine solche post-territoriale Bürgerschaft annehmen könnte, bieten die gegenwärtigen Diskussionen um Migration und Stadt, wie sie in der kritischen Migrationssoziologie geführt werden.29 Das Problem der post-territorialen Bürgerschaft aus der Perspektive der Stadt anzugehen ermöglicht es, die Frage des Zugangs zu Ressourcen und politischen Teilhaberechten konkret und auf lokaler Ebene zu stellen, ohne sie von vornherein an ein nationalstaatliches Konzept der Mitgliedschaft zu koppeln. Agambens Vision der europäischen Weltstädte wird auf diese Weise zudem aus der Perspektive realer migrantischer Kämpfe reformuliert. Ganz im Sinne Arendts ermöglicht es zum einen, diese Rückbindung utopischer Konzepte an die tatsächliche Lebensrealität von Migrantinnen und Migranten und deren „Avantgarde“-Rolle bei 29 Für einen hervorragenden Überblick über die Diskussion vgl. Hess, Lebuhn 2014. engagée | 73
der Konstruktion post-territorialer Formen von Bürgerschaft ernst zu nehmen, zum anderen die Mitgliedschaft in politischen Gemeinschaften als Ergebnisse eminent politischer Selbstermächtigungen zu verstehen. Kampagnen wie No Borders, Kein Mensch ist illegal und Don’t ask don’t tell treten dafür ein, die Möglichkeit der Nutzung materieller und politischer Ressourcen von einer Eruierung des Aufenthaltsstatus der Beteiligten zu entkoppeln.30 Ökonomisch ginge das etwa durch ein Commoning von materiellen (medizinische Versorgung, soziale Grundsicherung, öffentliche Plätze, Zugang zu Bildung und Kultur, Sport und Unterhaltung) und immateriellen (Wissen und Kommunikation) Ressourcen, das heißt ihre Überführung aus der privaten oder staatlichen Verfügungsgewalt in die Allmende. Die gemeinsame Nutzung öffentlicher Infrastrukturen macht die Frage der Zugangsberechtigung tendenziell überflüssig, was bereits in einem direkten Gegensatz sowohl zu bürgerlichen Konzepten von Staatsbürgerschaft steht, die Partizipation an Papiere knüpft, als auch zu Konzepten autoritärer Wohlfahrtstaatlichkeit, die Sozialleistungen an eine Mitwirkung der Empfängerinnen und Empfänger knüpft. Das Recht auf Politik im Arendt’schen Sinne umfasst allerdings nicht nur die Möglichkeit des Zugangs zu bereits bestehenden Ressourcen, sondern ebenso das Recht ihrer aktiven Gestaltung. Es gilt daher, Alternativkonzepte auch zu den gegenwärtigen Formen der politischen Partizipation zu finden. Ongs Begriff der flexiblen Staatsbürgerschaft könnte so möglicherweise aus ihrer realexistierenden kapitalistischen Form gelöst und für eine demokratische Selbstorganisation in Anschlag gebracht werden. Dies würde es Menschen ermöglichen, mehreren Gemeinschaften in unterschiedlicher Intensität anzugehören: einer familiären oder freundschaftsbasierten Gemeinschaft; einer selbstgewählten, etwa religiösen oder politischen Wertgemeinschaft, die nicht 30 Vgl. Nyers, Rygiel 2014.
örtlich begrenzt sein muss; und einer lokalen Allmende, die wesentliche materielle Güter bereitstellt und die mit einigen anderen Sub-Kollektiven geteilt wird. Dies würde es notwendig machen, neue Formen der nichtterritorial gebundenen Regierung und der transnationalen Meinungsbildung und Deliberation zu konzipieren, wozu das Internet bereits die technischen Voraussetzungen bereitstellen könnte.31 Konflikte zwischen den einzelnen Gemeinschaften lassen sich mithilfe des Konzepts der Interlegalität kollisionsrechtlich schlichten. Das gemeinsame Bewohnen ein und desselben Ortes wird durch eine konviviale Hintergrundkultur ermöglicht.32
3. Für eine Politik der Zuflucht Aus der Inversion des hegemonialen Verständnisses von Flucht und Sesshaftigkeit – nicht den Status der Geflüchteten, sondern den der „normalen“ Staatsbürgerinnen und Staatsbürger als defizitär zu verstehen – lassen sich einige Konsequenzen ziehen. Für unser Verständnis politischer Gemeinschaft und kollektiver Selbstbestimmung hat diese Inversion die Gefahr jeder Fiktion der Reinheit und Integrität von Kulturen demonstriert, die unmittelbar in einen völkischen Rassismus münden können. Hiergegen lehren die Erfahrungen der migrantischen Diaspora, die Möglichkeit der kulturellen Hybridität, der politischen Inklusion und des rechtlichen Plura31 Die Ideen einer mobilen postterritorialen Form des citizenship entwickelt Vicki Squire anhand der bereits existierenden Strukturen der EU, die ebenfalls sowohl Bürgerschaft als auch Mobilität zu ihren normativen Grundprinzipien zählt; vgl. Squire 2009, Kapitel 8. 32 Empirische Studien belegen, dass es zur Herausbildung konvivialer Einstellungen und politischer Solidarisierungen von sesshaften Bürgerinnen und Bürgern mit Geflüchteten und Migrantinnen und Migranten durch den Austausch im Rahmen politischer Kampagnen faktisch auch kommt. Dies zeigt etwa für die englische Strangers into Citizens- und die Sanctuary Cities-Kampagne Squire 2011, für den deutschen Kontext im Rahmen des „Sommers der Migration“ im Jahr 2015 siehe Hamann, Karakayali 2016.
lismus wertzuschätzen und zu fördern. Diese Idee liegt jenseits der Alternative von Weltstaat versus Staatenwelt: Das universelle Recht auf Politik kann weder in einem konventionellen Nationalstaat noch in einem nach dem Modell des Nationalstaats modellierten Weltstaat realisiert werden. Stattdessen bedarf es transversaler Verbindungen zwischen pluralen Gemeinschaften, die neben und ineinander koexistieren. Für unser Verständnis von Flucht und Migration bedeutet die von Arendts Intervention inspirierte Idee einer Bürgerschaft jenseits des Nationalstaats, dass Geflüchtete und Migrantinnen und Migranten weder heroisiert noch viktimisiert werden sollten. Menschen, denen die (volle) Staatsbürgerschaft vorenthalten wird, sind zwar Objekte massiver Entrechtung, Ungleichheit, Ausbeutung und Demütigung. Das heißt aber nicht, dass sie unpolitische Figuren sind,33 die auf einen rein passiven Status zurückgeworfen sind und nur des Mitleids oder der humanitären Hilfe der Staatsbürgerinnen und Staatsbürger bedürften. In der Autonomie ihrer Wege, ihrer Fähigkeit zum Knüpfen transversaler Verbindungen und der Aufrechterhaltung einer Kollektivität in heterogener Umgebung verkörpern gerade sie eine Existenzweise, die Formen einer alternativen globalen Bürgerschaft antizipiert. Dabei sind es oft die mobilen Subjekte selbst, die sich explizit als politische Akteure begreifen. Nicht zuletzt lässt sich aus diesen Überlegungen auch eine methodische Konsequenz für die politische Philosophie und Theorie ziehen. Ein philosophisches Nachdenken über Begriffe wie Staat, Souveränität, Migration und Flucht kommt nicht ohne Austausch mit den Sozialwissenschaften aus. Für das kritische Hinterfragen unserer politischen Grundbegriffe – Grundbegriffe immerhin, die an der Fabrikation der gegenwärtigen Flüchtlingskrise nicht unschuldig sind – ist es unerlässlich, die realen, bereits existierenden Prak-
tiken der Akteurinnen und Akteure zu betrachten.34 Es ist daher auch kein Wunder, dass die Konzepte der Konvivialität, der flexiblen Staatsbürgerschaft und der Interlegalität, die im philosophischen Diskurs noch so gut wie keine Beachtung gefunden haben, in der Soziologie, Anthropologie oder den Kulturwissenschaften bereits seit langem ausgiebig diskutiert werden.
33 Vgl. hierzu exemplarisch Bojadzijev 2008; Nyers, Rygiel 2014. Schulze-Wessel 2017.
35 Für instruktive theoretische Reflexionen der Cities of SanctuaryKampagne vgl. Nyers 2008; Squire, Bagelman 2012. Für den
Ist es jedoch für kritische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler möglich, neben den genannten begrifflichen Konsequenzen auch eine praktische Konsequenz zu ziehen? Was lässt sich unternehmen, solange diese weitreichenden, utopisch anmutenden Transformationen fundamentaler Grundbegriffe des Politischen noch nicht vollzogen sind? In Reaktion auf den Wahlsieg Donald Trumps haben verschiedene amerikanische Großstädte, darunter New York, Boston, Chicago und Los Angeles, ihr Selbstverständnis als sanctuary cities bekräftigt, als Städte der Zuflucht.35 Diese Städte verweigern die Be34 Der Hang, über die Legitimität von Grenzen und die „Ethik der Migration“ zu philosophieren, ohne die realen Praktiken der Akteurinnen und Akteure zur Kenntnis zu nehmen, ist ein frappantes Problem der gegenwärtigen politischen Philosophie. Diese methodische Grundanlage führt regelmäßig zu einer fatalen Blindheit in Bezug auf die politischen Prämissen, Implikationen und Konsequenzen der eigenen Theoriebildung. Die politische Philosophie akzeptiert zumeist unhinterfragt den nationalstaatlichen Rahmen, arbeitet mit individualisierenden Analogisierungen zu moralischen Dilemmata, legt passivierende und entpolitisierende Bilder von „Flüchtlingen“ zugrunde etc. So enthält etwa die Preisfrage der „Gesellschaft für analytische Philosophie“ von 2015 beinahe so viele problematische Unterstellungen wie Wörter: „Welche und wie viele Flüchtlinge sollen wir aufnehmen?“ (vgl. Grundmann, Stephan 2016). Diese Frage unterstellt ein homogenes „Wir“, ein Bild des Nationalstaats als Schwamm, der Menschen „aufnehmen“ könne, ein Bild des „Flüchtlings“, der keine eigene Handlungsfähigkeit besitzt und von „uns“ gerettet werden muss, die Möglichkeit der Unterscheidung zwischen verschiedenen Arten von Flüchtlingen („welche“), die Möglichkeit der zahlenmäßigen Begrenzung von Migration („wie viele“) etc. Ein ebenso deprimierendes Bild gibt die internationale politische Debatte zur „Ethik der Migration“ ab; vgl. die Versammlung von Schlüsseltexten bei Cassee, Goppel 2012 sowie neuerdings Dietrich 2017.
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folgung bundesbehördlich angeordneter Deportationen illegaler Immigrantinnen und Immigranten und die Herausgabe personenbezogener Daten. Zum Teil sind auch andere politische Maßnahmen mit dieser Selbstbeschreibung verbunden, wie die Bereitstellung materieller Güter oder das Bekenntnis zur konsequenten Verfolgung rassistischer hate crimes. Die Idee der Zufluchtstätten geht auf das Alte Testament zurück, das sogenannte Asylstädte benennt, in die sich sogar Schwerverbrecher zurückziehen konnten, ohne verfolgt zu werden.36 In Anlehnung an die sanctuary city-Bewegung hat sich in den USA in jüngster Zeit auch eine sanctuary campus-Bewegung herausgebildet. Als sanctuary campus werden solche Universitäten bezeichnet, die sich weigern, die Daten von Studierenden an die Bundespolizei und Immigrationsbehörden herauszugeben. Einige Universitäten haben damit begonnen, ihre Veranstaltungen auch für Geflüchtete zu öffnen oder Stipendien für bedrohte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler anzubieten. Jenseits dieses wichtigen unmittelbaren Schutzes vor Deportation und der materiellen Unterstützungen hat die Deklaration als Stätten der Zuflucht jedoch auch noch eine weitere wesentliche Bedeutung, die nicht mehr nur die Asylsuchenden, sondern ebenso die Staatsbürgerinnen und Staatsbürger betrifft. Der Begriff der Zuflucht trägt dem einfachen Faktum Rechnung, dass alle Menschen Schutz brauchen – in Form von Obdach, Nahrung und Kleidung, aber auch in Form von Arbeits- und Kommunikationsmöglichkeiten, und zwar unabhängig davon, an welchem Ort sie sich befinden. Von dieser Einsicht ausvorliegenden Kontext ist es dabei wesentlich, Zufluchtsstädte nicht im Sinne passivierender „Gastfreundschaft“ zu verstehen, die eine Asymmetrie zwischen dem „Gast“ und dem „Gastgeber“ aufrechterhält und diese Asymmetrie zugleich entpolitisiert. Vielmehr muss es im Sinne Arendts darum gehen, Zuflucht von vornherein politisch zu verstehen: Zuflucht bedeutet immer auch die Möglichkeit der Wortergreifung und Partizipation; vgl. besonders prononciert Bagelman 2016. 36 Zur Geschichte von Asyl und Freistätten vgl. Bianchi 1988.
gehend, ließe sich aus den Stätten der Zuflucht vielleicht die Keimzelle einer politischen Struktur schaffen, die der universellen Aterritorialität, der ontologischen Ortsungebundenheit des zoon politikon, Gerechtigkeit widerfahren lassen könnte.
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Autor*innen & Künstler*innen Rabea Berfelde is currently a PhD student in Cultural Studies at Goldsmiths College, University of London. Her research draws on political and cultural theory to grasp the complexity of contemporary urban spatial production. She is based in Berlin where she is active in the local ‚Right to the city‘ movement. Costanza Coletti studied architecture between Italy and Austria. In 2017, she obtained an MA at the Kunstuniversität Linz with a thesis in the shape of an architectural comic book. She currently lives in Milan and works as freelance graphic designer and illustrator, collaborating with magazines, publishers and websites. Michael Feichtinger studiert Philosophie, Chemie und Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien. Er arbeitet als Doktorand im Vienna BioCenter, als Tutor am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaften und schreibt gerade an seiner Masterarbeit zu Félix Guattaris Ökosophie. Michel Jungwirth lebt in Berlin und ist in unterschiedlichen antirassistischen Zusammenhängen aktiv. Er studierte Politikwissenschaften in Wien mit Schwerpunkt auf kritischer Migrations-und Gewerkschaftsforschung.. Alessio Kolioulis works at the Bartlett Development Planning Unit (University College London). He teaches critical urban theory and does research on technoculture. Alessio is an editorial board member of Eterotopia France and engagée, and is a member of Plan C. Darja Ljubownikow has been working at Café Mondial since 2016 and has done a Bachelor in Sociology. She is currently doing her Masterstudies in European Culture. Daniel Loick is currently a Visiting Professor for Practical Philosophy at the University of Lucerne. His work is situated at the intersection of philosophy, political theory, and social theory. He is currently working on a critical theory of law and state violence as well as on the politics of forms of life. His most recent publications include A Critique of Sovereignty (Roman & Littlefield, 2018), Juridismus. Konturen einer kritischen Philosophie des Rechts (Suhrkamp, 2017) and Der Missbrauch des Eigentums (August Verlag, 2016). Felix Maschewski (engagée) ist Mitglied des PhD-Nets „Das Wissen der Literatur“ der Humboldt Universität zu Berlin und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Wirtschaftsgestaltung (Berlin). Aktuell forscht er zum „kybernetischen Realismus“ an der Princeton University. Neben akademischen Publikationen schrieb er zuletzt als freier Autor für die Neue Zürcher Zeitung, SPEX, agora42, Public Seminar und Merkur (Blog). Lena Mast has been volunteering at Café Mondial in various areas since 2016. She currently works as a project and online marketing manager in Konstanz. Lorenz Neuberger has been working at Café Mondial since its foundation in 2015 and is currently doing his doctorate at the University of Konstanz on the topic "Refugees welcome? A comparison of German, Canadian and Australian experiences with contemporary migratory movements". Anna-Verena Nosthoff (engagée) ist freie Autorin, Philosophin und Politische Theoretikerin. Sie arbeitet derzeit an einer Dissertation über die Kybernetisierung des Politischen. Akademische Aufsätze erschienen zuletzt u.a. in Cultural Politics, Critical Research on Religion und Culture, Theory & Critique sowie in Sammelbänden; journalistische Beiträge u.a. im Feuilleton der Neuen Zürcher Zeitung.
Philipp Piechura hat Philosophie, Performance Studies und Soziologie in Bremen und Bielefeld studiert und arbeitet derzeit als Stadtforscher in Berlin. Gelegentliche freiberufliche Tätigkeiten in der politischen Bildung sowie als Theater- und Erlebnispädagoge. Das Thema der Wohnsituation Geflüchteter begleitet ihn seit einem Einsatz in einer Unterkunft im Sommer 2015. Marie Rosenkranz ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektmanagerin beim European Democracy Lab in Berlin und unterstützte dort auch das European Balcony Project. Zuvor managte sie die Kampagne „Demokratie braucht Dich“ bei Polis180, einem Grassroots-Thinktank für Außen- und Europapolitik. Sie studierte Kommunikation, Kulturmanagement und Europawissenschaften in Friedrichshafen, Maastricht und Granada. 2019 beginnt sie ihre Promotion mit dem Arbeitstitel (Un)-making the nation – Künstlerische Verhandlungen der Nation am Beispiel Brexit an der Zeppelin Universität. Valerie Scheibenpflug (engagée). Sie hat Philosophie, Psychologie und Germanistik studiert. Zurzeit unterrichtet sie Deutsch als Zweitsprache, schreibt an ihrem Dissertationsvorhaben und lehrt an der Universität Wien. Prof. Dr. habil. Karin Scherschel ist Soziologin mit Forschungsund Publikationsschwerpunkten in den Bereichen Asyl, Migration, Rassismus, Prekarisierung, Aktivierung, Erwerbsarbeit, Soziale Arbeit, Soziale Ungleichheit und Teilhabe. Sie ist Professorin an der Hochschule RheinMain Wiesbaden, Fachbereich Sozialwesen. Sie ist Mitglied im DFG-Netzwerk „Grundlagen der Flüchtlingsforschung“, im Netzwerk Flüchtlingsforschung und im Netzwerk kritische Grenzregimeforschung. Johannes Siegmund (engagée) promoviert an der Akademie der Bildenden Künste zum Begriff der Flucht in der politischen Theorie. Er unterrichtet an der Uni Wien und ist Stipendiat der österreichischen Akademie der Wissenschaften. Als Redakteur bei der Zeitschrift für politisch-philosophische Einmischungen engagée und als Teil des Kollektivs philosophy unbound arbeitet er an Schnittstellen zwischen Kunst, Wissenschaft und Politik. Christian Sowa is a PhD student at SOAS, University of London. His research project focuses on urban transformations and analyses the accommodation of refugees in Berlin. Besides this, Christian is involved in Right to the City movements in Berlin. Christoph Steininger is a visual artist and academic with a background in social science. He graduated from the University of Applied Arts Vienna, and is interested in the connection between arts and social change in transdisciplinary art-based research and film. Rahel Sophia Süß is a political theorist, author and co-editor of engagée. Rahel lives in London where she conducts research on a radical democratic theory of the experiment. Cosima Terrasse is a French artist. She works for the Social Design Studio at the University of Applied Arts Vienna. She builds projects on the self in the collective. Holger Wilcke arbeitet am Berliner Institut für empirische Migrations- und Integrationsforschung, sowie am Lehrstuhl Diversity and Social Conflict der Humboldt Universität zu migrantischen Kämpfen und deren Potentiale für gesellschaftliche Transformation.
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Impressum
engagée #8 „Urban Citizenship“, 2019. ISSN 2413-4279 Wien | Berlin | London Medieninhaberin: engagée – Verein für politisch-philosophische Einmischungen (ZVR-Zahl: 807011148). Hermanngasse 19 - 1070 Wien. Prozesskoordination: Alessio Kolioulis, Felix Maschewski, Anna-Verena Nosthoff, Valerie Scheibenpflug, Johannes Siegmund, Rahel Sophia Süß. Kontakt: info@engagee.org, www.engagee.org. Offene Redaktion: #8: Alessio Kolioulis, Anna-Verena Nosthoff, Christian Sowa, Felix Maschewski, Holger Wilcke, Johannes Siegmund, Joy Brunetti, Marie Rosenkran, Michael Feichtinger, Michel Jungwirth, Philipp Piechur, Rabea Berfelde, Rahel Sophia Süß, Valerie Scheibenpflug. Lektorat: Harriet Beaumont and Nicole Jawerth. Beiträge: Christoph Steininger, Christian Sowa, Cosima Terrasse, Daniel Loick, Darja Ljubownikow, Holger Wilcke, Johannes Siegmund, Karin Scherschel, Lena Mast, Lorenz Neuberger, Marie Rosenkranz, Michael Feichtinger, Michel Jungwirth, Philipp Piechura, Rabea Berfelde, Valerie Scheibenpflug. Die Verfasser*innen sind für die Inhalte selbst verantwortlich. Die darin vertretenen Positionen spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder. Die Beiträge dürfen von Dritten nur unter der Bedingung der Rücksprache mit den Verfasser*innen verbreitet werden. Gestaltung: Alessio Kolioulis. Erscheinungsweise: 2 x jährlich. Preise: Einzelpreis: 8€/£7. Jahresabonnement 15€: Das Jahres-Abonnement umfasst zwei Ausgaben von engagée zum Vorzugspreis von 15€ (inkl. MwSt. und zzgl. Versand). Druck: Sieprath, Aachen. engagée ist in ausgewählten Buchhandlungen und über www.engagee.org erhältlich. Eine Liste der Buchhandlungen ist über die Website aufrufbar. Kontoinformationen: Erste Bank: engagée - politisch-philosophische Einmischungen IBAN: AT96 2011 1827 7441 6100 BIC: GIBAATWWXXX engagée wurde gedruckt mit finanzieller Unterstützung der Studienvertretungen Politikwissenschaft, Germanistik und Lehramt der Universität Wien sowie dem Koordinationsausschuss der ÖH.