Tango Argentino in Buenos Aires - 36 Strategien um Glücklich zu Tanzen

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Tango Argentino in Buenos Aires 36 Strategien um glücklich zu tanzen Patricia Müller Übersetzung Patricia Müller und Caren Grenz Patricia Müller Tango Argentino in Buenos Aires 36 Strategien um glücklich zu tanzen © copyright 2012 Patricia Müller ISBN 978-1-312-04592-7 Herausgeber Enrico Massetti


Tango Argentino in Buenos Aires Patricia M端ller Copyright Patricia M端ller 2012


Published by Enrico Massetti at Smashwords ShenBooks Bücher für Körper, Geist und Seele, die subtile Linie, die sie teilt und vereinigt Abbildungen und Zeichnungen, falls nicht anderweitig angezeigt, sind Eigentum der Schriftstellerin Der Ausdruck ‘insegnare’ (lehren) stammt vom lateinischen Verb ‘insignare’, das man mit ’zeigen’, ’Zeichen setzen’, ’Hinweise geben’, ’Merkmale in das Denken der Schüler einzugeben’ übersetzen kann. Das ist es auch, was Patricia macht: sie ermöglicht den Weg zum Tango Apilado und der Techniken ihn im Alltagsleben zu entdecken und zu erkennen. Ihre Unterrichtsmethode stützt sich auf den Dialog, der in der antiken westlichen und östlichen Kultur verbreitet ist und beide Traditionen verbindet. Ein Dialog, der durch Geduld und Abwarten entsteht. Eine Zeiteinheit, die sich nicht mit Vorprogrammierung und Konstruktion abgibt, sondern stattdessen Platz für Zerbrechlichkeit und Unsicherheit lässt. Dieser Dialog braucht Menschen, die sowohl Fragen stellen Antwort geben. Jener Dialog, der voll von Rhythmus, Unterbrechungen und Wechsel ist. Der Dialog, der verschiedene Anschauungen in Verbindung bringt, bei denen sich jeder sowohl als Subjekt als auch Objekt erfährt, ein Erkennen ermöglicht und sich durch gegenseitige Wahrnehmung voneinander entdecken kann. Und somit diese doppelte Gewissheit erschafft, durch die die empathische Annährung, wie durch eine Öffnung, hindurchdringt. Wenn ich mit jemanden einen Dialog halte, erkenne ich den anderen, da ich den Mensch in der anonymen Masse wahrnehmen konnte. Dott. Laura Berni


Ich möchte mich bei den Lektorinen Laura Cumbat, Laura Berni und Ilaria Mazzi für ihre Geduld; Diego Martin Caisson (Markierung *) und Giuseppe Ruglioni (Markierung #) für ihre zur Verfügung gestellten Fotos und Raffaello Torrini für sein legendäres Foto des Tango de Salón Apilado bedanken. Ich bedanke mich auch bei Alice Ruglioni, die sowohl Lektorin war, als auch Modell für die vor vielen Jahren entstandenen Zeichnungen mit dem Fächer und bei der Gruppe der Tänzer, die sich mit Enthusiasmus und Aufopferung fotografieren ließen bedanken: Chiara Scozzari (auch zuständig für die spanische Sprache und weitere Lektorin), Fabiola Fani, Daniela Cecconi, Riccardo Penna und Francesco Beltramini. Und ich möchte mich natürlich bei meiner Lehrerin, Yvonne Meissner, bedanken. Allen vielen Dank! Für die deutsche Übersetzung möchte ich mich bei Caren Grenz bedanken, die mit viel Aufopferung, Enthusiasmus und Liebe dieses Buch unter ihre Fittiche nahm und meine Übersetzung korrigierte und last but not least bei Stella Scanlon für die abschließende Kontrolle. Vielen Dank auch ihnen beiden!


I Strategie Tango und wir Seitdem ich das Tigredelta gesehen habe, erkannte ich in ihm die Mäander meines Tangos wieder. Mich mit dessen Geschichte befassend, fand ich mich mit den Schicksalen der Indios (minderwertiger als Schwarze angesehen!), der afrikanischen Sklaven, der europäischen Immigranten, aber auch der einzelnen Frauen, Männer, Sänger, Musiker und Tänzer (berühmt oder weniger berühmt) konfrontiert. Die historische Entwicklung des Tangos verfolgend, bin ich unerwarteten Wendungen begegnet und habe unbekannte Stadtteile erforscht, Schuhe gekauft, Gymnastik gemacht, habe von allem ermüdet viel geschlafen, um dann die ganze Nacht lang zu tanzen.

Wir müssen uns ernsthaft vorbereiten und darum findet ihr in diesem kleinen Buch neben der Geschichte des Tanzes auch gymnastische Übungen zur Stärkung des Körpers, Übungen zur korrekten Atmung und Entspannung sowie Strategien, um sich einladen zu lassen und wie man sich korrekt im Tanzsaal benimmt. Ich habe einige Ausdrücke in Spanisch belassen, damit ihr das Verstehen üben könnt, und ich habe die Tänzer in Buenos Aires, die täglich seit mindestens dreißig Jahren tanzen, ’los Viejos Milongueros’ (und ’las Milongueras’) genannt. Ich habe die Buchstruktur so ’durcheinander‘ belassen, wie es das Erlernen


des Tangos selber ist (also wenigstens von meinem), und ich habe mich am chinesischen System der 36 Strategien orientiert (‘um den Krieg zu gewinnen‘, in unserem Falle geht es aber glücklicherweise darum ‘immer zu tanzen’!). Ich hoffe, dass ihr, wie ich, echte Tanguerovampire werdet, die mit dem Sonnenuntergang (oder auch schon früher) aufwachen, um sich an unvergesslichen Tänzen zu laben. Tango ist ein Tanz, der alles einbezieht: Körper, Geist und Gefühle, unabhängig davon, ob man ihm zuschaut oder ihn tanzt, ob man ihn liebt oder ablehnt. Ganz schlicht und ergreifend überwältigt er uns! Ich muss euch daher warnen: ihr müsst wirklich mutig sein! Tango ist Balsam für unsere verletzten Seelen, Introspektion unserer Gefühle, beruhigend für unseren Geist und kräftigend für unseren Körper. Tango geht bis in die Eingeweide, wird eine Obsession, eine echte ‘Tangitis’! Und wenn ihr einmal den Tango gefunden habt, oder besser, wenn der Tango euch gefunden hat, wird er von euch verlangen euch zu ändern, euch körperlich, geistig und emotional zu verwandeln und jeglichen Schutzpanzer abzulegen, um wieder leichter und freier zu leben. Gewiss, Veränderungen brauchen Zeit und (aufgepasst!) nehmt euch bitte auch die notwendige Zeit dazu! Für die körperlichen Umwandlungen werden wir daher die Anatomie des Körpers studieren und Übungen (die ich mir bei meinen taoistischen Yogaund Fitnesskursen ausgeliehen habe) machen, die den Körper trainieren. Für die geistigen Veränderungen werden wir uns mit dem musikalischen Rhythmus und den sozialen Verhaltensformen im Tanzraum befassen. Und um eine emotionale Umwandlung zu ermöglichen, werden wir lernen wie wir uns unmittelbar und ohne Scham während des Tanzes Tango ausdrücken können. Ich werde euch, um euch etwas abzulenken, in ein paar Ecken von Buenos Aires führen, wir werden ein Restaurant oder Café besuchen, werden auch darüber sprechen wie man sich ernähren und wie man sich in der Stadt fortbewegen sollte, was man sagen und wann man besser schweigen sollte. Ich werde euch verschiedene Berühmtheiten vorstellen, speziell meinen ‘Freund’ Carlos Gardel, von dem man sagt, dass er mit jedem Tag besser sänge (auch wenn er seit 1935 tot ist!). Auf jeden Fall wird sich euer Leben bereits mit dem ersten Schritt aus dem


Haus heraus auf die Tanzfläche zu verändern beginnen! Sehr interessant finde ich, dass die Premiere der ersten Tangoshow, ‘Tango Argentino’, im Jahr 1983 in Paris mehr oder weniger mit der Zeit zusammenfiel, in der man sich der Aidskrankheit bewusst wurde und ich habe mir immer gedacht, dass es vielleicht seither noch wichtiger wurde, den Partner besser kennen zu lernen. Ermöglicht uns der Tango, einen aufrichtigen und gleichzeitig intimen Kontakt zu entwickeln? Warum nicht! Unweigerlich wird es geschehen!


II Strategie Flugvorbereitungen Um in aller Ruhe zu fliegen, möchte ich euch daran erinnern, nur kleine Mengen an Flüssigkeiten und Cremes ins Handgepäck zu tun, der Rest muss in den Koffer. Falls euch Artikel fehlen, speziell die teuren Parfums, kauft sie in den Dutyfree-Geschäften, wo sie viel günstiger sind! Für einen transatlantischen Flug über viele Stunden werdet ihr natürlich Zahnbürste und –creme (Reiseformat) brauchen und auch ein kleines Handtuch kann nützlich sein. Tänzerinnen, denkt an Unterwäsche im Handgepäck für einen eventuellen Wechsel, an Damenbinden und an ein paar Erfrischungstücher in der Einzelpackung (die auch sehr praktisch für die Milonga sind!). Um einem abgebrochenen Fingernagel abzuhelfen, rüstet euch mit einer Papiernagelfeile aus, denn das normale kleine Maniküreset (Pinzette, Nagelschere und -feile) muss in den Koffer, der im Flugzeugladeraum verstaut wird. Eventuelle flüssige Arznei, die während der Flugstunden unerlässlich ist, muss (vergesst es bitte nicht) beim Einchecken angegeben werden! Hilfe! Habt ihr vor dem Ticketkauf überprüft, ob euer Pass noch wenigsten sechs Monate ab dem Tag des Abfluges gültig ist? Diese Panikattacke glücklich überstanden, wenden wir unsere Aufmerksamkeit wieder unserem Koffer zu. Solltet ihr an leichten Durchblutungsstörungen leiden, nehmt euch Aspirintabletten mit, die auch eventuellen Kopfschmerzen (nach dem Flug) abhelfen. Im Falle von Krampfadern würde ich allerdings den Hausarzt nach der richtigen Arznei fragen. Ein Tipp gegen müde Beine: da ja der Flug ca. 13-14 Stunden dauert, nehmt euch einen Tennisball mit. Legt diesen unter die Füße (ohne Schuhe) und rollt dann mit Druck auf ihm herum (in Buenos Aires angekommen, könnt ihr ihn in derselben Art und Weise für eine Selbstmassage der nach vielem Tanzen angenehm schmerzenden Füße benützen!). Heftpflaster? Auch die kommen ins Handgepäck, man weiß ja nie! Und (warum nicht?) eine Schlafmaske, um sich während des Fluges besser ausruhen zu können! Um euch vom Sitzplatz zur Toilette zu begeben, könntet ihr euch auch Reiseschlappen mitnehmen, um nicht in der Enge des Flugzeuges eure normalen Schuhe wieder anziehen zu müssen.


Solltet ihr an Nackenschmerzen leiden, kann es bestimmt nicht schaden, zur Stütze des Nackens ein kleines (aufblasbares) Kissen, das den gesamten Hals umschließt, mitzunehmen. Ich möchte euch darauf hinweisen, dass es im Flugzeugraum normalerweise recht kalt ist und deshalb ist ein Halstuch recht nützlich! Um euch besser auf den Tango vorzubereiten, könntet ihr während des Fluges auch etwas Musik hören, aber das werdet ihr ja sicherlich ohnehin tun, oder?

Und dann habt ihr doch bestimmt auch nicht vergessen, euch mit einem Buch auszurüsten, vielleicht eines, in dem es um den Tango geht? Und der Computer? Falls ihr ihn nicht zu Hause zurückgelassen habt, muss er ins Handgepäck, wie auch die Fotoapparate und die Videokamera! Ich möchte euch beruhigen, wenn ihr ohne Computer reist: überall, an jeder Straßenecke, könnt ihr Internet-Cafés, also ‘locutorio‘, vorfinden, wo ihr EMails verschicken, ‘skypen’ und dabei ein Lächeln mit eurem Partner


austauschen oder ‘auf gute, alte Art und Weise’ in der ganzen Welt telefonieren könnt. (Bitte denkt an die Vorwahlnummer eures Landes! Speziell beim ersten Mal vergisst man sie in der Aufregung!) Es kostet nicht einmal viel und diese ‘locutorios‘ sind oft die ganze Nacht über (speziell auf der Avenida Corrientes) geöffnet. Das, was ihr, egal welchen Alters unbedingt während eures Aufenthaltes haben müsstet, ist eine Lockerungscreme (oder -gel) für die Beine. Sie bewirkt Wunder! Seid ihr wirklich empfindlich, steckt euch auch eine Fußcreme ein. Wer unter Kapillargefäßerweiterungen in den Beinen leidet und (speziell während der heißen Jahreszeit) keine der üblichen Feinstrumpfhosen anziehen möchte, dem rate ich zu einem Bodymakeup (Körperschminke), das die Kleider nicht befleckt und später wieder abgeschminkt werden kann. Um euer Handy oder andere Geräte aufladen zu können, müsst ihr einen Stromadapter mitnehmen (in Argentinien benutzt man 220 V/50 Hz mit zwei verschiedenen Steckdosenformen). Natürlich macht ihr euch zu Hause eine Fotokopie des Passes, der Kreditkarte, der Reisekrankenversicherung und auch des Führerscheins, falls ihr ihn benutzen wollt (es muss aber ein internationaler sein!). Im Taxi, aber auch in einem Mietwagen (kontrolliert, ob sich im Leihwagen das vorgeschriebene Warndreieck und ein Feuerlöscher befindet) seid ihr verpflichtet die Sicherheitsgurte zu benutzen. Und in der Stadt dürft ihr die 40 km/h und die 0,5-Promillegrenze nicht überschreiten. Aufgepasst, die sind da recht streng! Schreibt euch auch die Anschrift eures Konsulates und die Telefonnummern der Polizei (101), der Feuerwehr (100), und der Ambulanzen (107) auf. Wollt ihr einen Raub oder ein Verbrechen anzeigen, müsst ihr euch zur ‘Comisaría de Turista’ (gibt es in jedem Barrio, also Stadtteil) begeben. Vergessen wir auch nicht (besonders bei etwas niedrigeren Außentemperaturen) eine gute Handcreme mitzunehmen! Beim Tanzen nehmt ihr euch ja bei den Händen und wenn diese dann rau sind… das gilt auch für unsere Herren! Diese Creme ist unter anderem auch eine wunderbare Schuhcreme und ihr könnt sie in dieser Art und Weise aufbrauchen, um im Koffer Platz für neue Schuhe, CDs und für vieles andere, was ihr sicherlich kaufen werdet, zu schaffen. Mit einem direkt in Buenos Aires gekauften Shampoo kann man auch


Unterwäsche und Strümpfe, also all das, was auch im Winter in ein oder zwei Tagen trocknet, waschen. Falls man diese Möglichkeit hat, tut es bitte, da die tanzenden Porteños (sowohl die Damen als auch die Herren) recht empfindlich sind, was die Hygiene betrifft… Am Tangueroziel angekommen, passiert ihr die Einwanderungszone im Flughafen (behaltet unbedingt den Zettel, den sie euch geben! Ihr werdet ihn beim Abflug wieder brauchen!1), nehmt euren Koffer und wechselt Geld bei der Banco Nacional Argentina, die sich gleich dort befindet. Ihr könnt später dann in Banken, in den ‘casas de cambio’ (so heißen die Wechselstuben) und natürlich auch an Geldautomaten außerhalb der Banken Geld tauschen. Um ein Taxi zu nehmen, ist es das Beste, in der Ankunftshalle geradeaus zu gehen und den blauweißen Stand der Kompany Taxi Ezeiza anzusteuern. Die Fahrt wird so um die 100 Pesos2 inklusive Autobahngebühr kosten und… zur Sicherheit ist man auch mit seinem Fahrer registriert! Falls ihr schon von einem Fahrer eures Hotels erwartet werdet, setzt euch entspannt auf den Sitz und genießt die Fahrt vom Flughafen in die Stadt, die ungefähr dreißig bis vierzig Minuten (natürlich je nach Tages- und Uhrzeit) dauert. Anfangs werdet ihr die Mietskasernen der Peripherie sehen und dann, immer den großen Autobahnarterien (und wie groß sind die!!) entlang, die mit Bäumen bepflanzten Straßen der Barrios (der Stadtteile), die mit ihren gemütlichen, niedrigen Häusern mehr zentral gelegenen sind. Endlich sind wir angekommen!

Bereitet euch vor! Das ist die Avenida Nueve de Julio…*


III Strategie Afrikanische Sklaven Endlich im ‘Tangomekka’ angekommen und kaum ins Zimmer getreten, habt ihr zwei Möglichkeiten: entweder packt ihr den Koffer aus oder ihr macht euch sofort zum Tanzengehen fertig! Ich möchte euch stattdessen erst einmal etwas zum Ursprung des Tangos erzählen. Habt ihr Lust?

Buenos Aires kurz nach seiner Gründung im Jahr 1536 Man spricht von Argentinien immer als dem Land der Einwanderer, aber in Wirklichkeit war es ja schon von Indios bewohnt. Im Jahr 1516 nahmen die Indios des Stammes Charrúa die ersten spanischen Konquistadoren unter Juan Díaz de Solís, die an der östlichen Uferseite des Río de la Platai Schiffbruch erlittenen hatten, erst einmal gefangen und töteten sie dann. Trotz dieses tragischen Besiedelungsversuches gründete der Venezianer Sebastiano Caboto dann das Fort Sancti Spiritus, das später durch die Indios des Stammes Guaraní wieder zerstört wurde. Während einer darauffolgenden Spedition (im Sommer 1535 aus Spanien kommend) floh der Spanier Diego de Mendoza mit dem größten Teil der Flotte in einen natürlichen Hafen an der Mündung eines kleinen, unscheinbaren Flusses, dem Ríachuelo de los Navíos (jenem Ríachuelo, der für lange Zeit für den Tango mit dem Hafen des Stadtteiles La Boca verbunden bleiben wird). Und hier, das ist ja klar, sind wir also schon beim Tango angekommen. Danach kam sein Bruder Pedro, der nicht weit entfernt eine bescheidene Ansiedlung gründete (wir befinden uns mittlerweile im Jahr 1536), welche


er auf den Namen ‘Ciudad del Espíritu Santo’ taufte. Auch hier begannen Feindseligkeiten mit den Eingeborenen und am Ende zog es die Bevölkerung von ungefähr 350 Personen vor, sich in das Fort Asunción (Paraguay) zurückzuziehen, wobei sie zuvor alles, aber auch wirklich alles, vernichteten. Sie ließen auch die Kühe und Pferde frei, damit die Eingeborenen nichts vorfänden (und jetzt wisst ihr endlich, woher das Beefsteak kommt, das ihr vielleicht gerade in diesem Moment in einem Restaurant in Buenos Aires esst). Im Jahr 1580 machte Juan de Garay einen erneuten Versuch und nannte dann endlich die Siedlung (in welcher zu dieser Zeit gerade mal 63 Personen lebten!) ‘Ciudad de la Santísima Trinidad y Puerto de Nuestra Señora de los Buenos Aires’. Jetzt müsst ihr mir wirklich verzeihen, wenn ich einige (sicherlich blutige) Jahrhunderte überspringe. Im Verlauf dieses Buches werde ich ab und zu noch ein paar weitere geschichtliche Anmerkungen einfügen. Verzeiht mir auch, dass ich all die Konflikte zwischen Eingeborenen und ‘Neuangekommenen’ (wie zum Beispiel die Episode, in der die Indios bis auf 10 Meilen, also 50 km an Buenos Aires herankamen) auslasse. Ich erwähne hier nur kurz, dass im Jahr 1776 das Vizekönigreich des Río de la Plata ausgerufen wurde. Endlich, am 25. Mai 1810, ernannte dann die Stadt Buenos Aires unter der Leitung von Manuel Belgrano die ‘Primera Junta de Gobierno’ (Erste Stadtverwaltung) und am 9. Juli 1816 erklärte Argentinien in Tucumán die Unabhängigkeit von Spanien. Gehen wir auf den ‘primitiven’ Spuren des Tangos zurück, finden wir im spanischen Argentinien jetzt fröhliche Musik vor, die von Sängern aus dem Volk, den Payadores, gesungen wird und die sich dabei auf der Gitarre begleiten. Aus dieser Musik entwickelt sich dann die Milonga, eine Art PreTango, lustig mit oft anzüglichen Texten. Jetzt müssen wir uns mit einem besonders schmerzhaften Tangothema befassen: jede Erforschung des Tango enthüllt den Beitrag des Bevölkerungsanteils der afrikanischen Sklaven, aber wenn ich mich in den Milongas umschaue, kann ich keinen ihrer Nachkommen entdecken und ich begebe mich wie ein Spürhund auf ihre Fährte. In der Tat habe ich in all diesen Jahren nur zwei Tänzer gesehen, die eindeutig afrikanischer Abstammung waren. Die afrikanischen Sklaven sind völlig aus der Erinnerung ausgelöscht worden und auch über die fünfte oder sechste Generation spricht man nicht! Etwa zwei Millionen argentinischen Bürgern wird auch heute noch ihre Identität verweigert (‘en la Argentina no hay población negra’! - ‘in Argentinien gibt es keine schwarze Bevölkerung’!) oder sie selbst versuchen ihre Abstammung zu vertuschen.


Es scheint so, dass um 1810 etwa ein Drittel der porteñischenii Bevölkerung schwarz war, während in der ‘Rassenvolkszählung‘ von 1966-1968 nur 1,8% (ungefähr 4% der Einwohner von Buenos Aires) angaben afrikanische Vorfahren zu haben, um Armut und Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Und warum auch nicht, haben doch viele mittlerweile durch die zahlreichen ‘Vermischungen’ eine weiße Haut! Die ersten Afrikaner kamen zusammen mit den Erforschern und Konquistadoren an, etwa zeitgleich mit der zweiten Gründung (von Juan de Garay) im Jahr 1580. Wenig später begann der wirklich echte Sklavenhandel. In der Tat war das Ganze recht ‘lohnend’ und ‘praktisch’: bei der Ankunft machten die Sklaven den Laderaum frei, der dann mit getrockneten Fellen freilebender Tiere (Kühe und Pferde) oder später mit denen aus Zucht stammenden vollgestopft wurde! Der Handel blühte regelrecht auf, wenn wir bedenken, dass noch 1810 gut 18 Sklavenschiffe im Hafen von Buenos Aires anlegten! In dieser Zeit existierte in den an beiden Ufern des Río de la Plata (Buenos Aires und Montevideo/Uruguay) gelegenen Städten eine große Gemeinschaft schwarzer Sklaven.

Plaza San Martín* Aber kehren wir nochmals ins 17. Jahrhundert zurück. In dieser Zeit gehörten die größeren Häuser aus der spanischen Kolonialzeit den mit dem Sklavenhandel verbundenen Handelsgesellschaften. So wurden die Sklaven zum Beispiel 1720 nach dem Ausladen im Barrio Retiro auf seiner Plaza San Martín (dieselbe, wo ihr etwas später die europäischen ‘freiwilligen’ Einwanderer zusammengetrieben vorfinden werdet. Ironie des Schicksals, ist sie heute eine der teuersten Gegenden der Altstadt!) und in den eigens dafür vorgesehenen Baracken im Parque Lezamaiii des Barrios San Telmo zusammengetrieben. Danach wurden sie auf Märkten an der Ecke Belgrano


- Balcarce, aber auch unter den Arkaden des Cabildos (dem kolonialen Verwaltungsrat), welches auf den Plaza de Mayo im Barrio San Nicolás schaut, verkauft.

Plaza de Mayo mit der Catedral und der Piramide, um 1880 Blieben sie nach dem Verkauf in der Stadt, lebten sie hauptsächlich in den vornehmen Stadtteilen von San Telmo und Monserrat. Anfänglich wurden nur Männer ‘importiert‘ und man konnte, auch wenn es verboten war, Beziehungen zu Indiofrauen nicht vermeiden. Aus diesem Grunde wurden später auch schwarze Frauen ‘eingeführt‘, eine von Jesuiten angeregte Initiative (tatsächlich kamen im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts erheblich mehr schwarze Frauen an, da sie geschätzte Dienst- und Kindermädchen waren), um sie zu verheiraten und in der christlichen Religion zu erziehen. Jetzt vermischten sich auch ihre Herren mit ihnen, so dass der Großteil der Einwohner von Buenos Aires Mulatten waren. Andere Sklaven wurden über die wichtigsten Sklavenmärkte wie die von Córdoba, Tucumán und Salta weit in die arme Provinz gebracht, um nach Bolivien verkauft zu werden und in den Bergwerken zu arbeiten. Ein Experiment, das an den sehr harten und für sie daher ungeeigneten Temperaturen scheiterte. Sie wurden dann stattdessen in Tabak-, Baumwoll- und Zuckerrohrplantagen ‘eingesetzt’. Die Einwanderer brachten aber nicht nur sich selbst mit, sondern auch ihre Sprache, ihren religiösen Glauben und natürlich ihren Tanz, den Candombe, der, wie wir sehen werden, unserem geliebten Tango Rhythmus gab. Es ist also ratsam, sich intensiver mit ihrer Geschichte zu befassen! Man nimmt an, dass die Gruppe der Schwarzen im Jahr 1810 schon mehr als 30% der gesamten Einwohnerzahl von Buenos Aires ausmachte und


(was ich besonders interessant finde) dass es in den Jahren von 1776 bis 1810 ungefähr 60% der Sklaven fertig brachten, sich selbst freizukaufen! Fragt mich bitte nicht, wie sie es geschafft haben, ich habe keinen Hinweis dazu gefunden! Auf jeden Fall waren die Sklaven ab 1813 offiziell frei, wurden aber trotzdem immer noch wie ‘Sklaven’ in den Häusern und auf dem Land behandelt. Einige arbeiteten jetzt jedoch auch als Straßenverkäufer und viele gingen zum Militär. Aber wo ist die Gruppe, die ich fast nie tanzen sehe, geblieben? Sie machte die Hälfte des Militärs aus und wurde ungeniert als Kanonenfutter in den verschiedenen Kriegen (gegen die Engländer, im Unabhängigkeitskrieg, 1861/1870 im Krieg mit Paraguay und in dem der Tripelallianz von 1865 bis 1870) benutzt. Sogar noch um 1900 war die Mehrzahl der Offiziere und Unteroffiziere Afroargentinier. Sind sie wirklich während der berühmten Gelbfieberepidemieiv von 1871 gestorben, die im Stadtteil San Telmo ein Massensterben auslöste und einen von zehn Einwohner niederstreckte? Nach dieser entsetzlichen Epidemie blieben sie auf jeden Fall in den Herrenhäusern zurück, die mittlerweile in Conventillos (das heißt Mietshäuser) umgemodelt worden waren. Dort wohnten sie dann mit all den aus Europa stammenden Einwohnern zusammen, aber das passierte erst viel später und wird eine ganz andere Geschichte sein. Kurz und gut, die hygienischen Bedingungen in diesen Conventillos waren wirklich entsetzlich und auch darüber werden wir sprechen, wenn wir die europäischen Einwanderer besuchen werden. Natürlich konnte man sich an vielen Krankheiten anstecken und eine unzureichende Pflege reduzierte darüber hinaus die schwarze Bevölkerung erheblich. Ein anderer Grund ihres Verschwindens könnten auch die recht häufigen Ehen zwischen Afroargentiniern, Europäern und Indios sein. Ab 1850 wurden diese Mischehen von der Regierung mehr oder weniger gefördert, um eine ‘weißere’ Bevölkerung zu erhalten und die Farbigen ‘verschwinden’ zu lassen (tatsächlich deutet in Südamerika auch heute noch die afrikanische Herkunft oft auf die Zugehörigkeit zur sozialen Unterschicht hin). Das letzte Kapitel ihres Bevölkerungsrückganges wurde wahrscheinlich während der Zeit Peróns (um 1950) geschrieben: als sie die Conventillosv San Telmos ‘zu Gunsten‘ kleiner Häuser in Villa Soldati (einem Barrio im Südosten von Buenos Aires) verlassen mussten, um dann in der Stadt Evitavi angesiedelt zu werden. Sie verschwanden im Staub, ohne ein Spur zu


hinterlassen (‘Los primeros desaparecidos fuimos nosotros. Nos taparon.’ ‘Die ersten Desaparecidos waren wir. Sie haben uns zum Schweigen gebracht’, sagte man unter der Militärdiktatur!). Aber nicht nur das hat sie vernichtet: nachdem man den Grund der hohen Kindersterblichkeit (die katastrophalen hygienischen Verhältnisse) aufgeklärt hatte, wollten die Forscher die Ursache der so extrem niedrigen Geburtenrate untersuchen. Sicherlich waren die damaligen Herrschaften nicht mehr sonderlich daran interessiert, neue Sklaven ‘zu produzieren’ und von daher unterstützten sie auch keine Partnervermittlungen mehr. Die Männer wurden in die Pampa geschickt, um als Gauchos (das heißt als berittene Herdenwächter in den endlosen Prärien des nördlichen Patagoniens) zu arbeiten. Sie landeten schließlich in Haziendasvii oder irgendwo anders und vermischten sich dort mit Menschen anderer Rassen und Farben. Diesbezüglich braucht man nur die Bilder aus dem Jahr 1770 von Virrey Manuel Amat für König Carlos III anzuschauen, in denen er die verschiedenen ‘Mestizen-Vermischungen’ malte: ein (natürlich weißer) Spanier zeugt mit einer Indiofrau ein ‘Mestizenkind’; ein Kind eines Mestizen mit einer Indiofrau wurde ‘Cholo’ genannt; eine afrikanische Frau (zum Beispiel aus Guinea) und ein Eingeborener spanischer Herkunft (Criollo) zeugten einen ‘Mulatten’; ein Schwarzer mit einer Mulattin hatte einen ‘Sambo’ und ein Schwarzer mit seiner Indiofrau einen ‘Sambo d’Indio’. Die afroargentinischen Frauen arbeiteten in der Stadt als Hausangestellte, und da sich Männer und Frauen wegen der räumlichen Trennung nicht mehr treffen konnten, gab es keine Kinder mehr! Es scheint fast so, als hätten die befreiten schwarzen Sklaven freiwillig entschieden ihre Volksgruppe aussterben zu lassen, sich schweigend und ohne Widerruf langsam auszulöschen! Ein paar Spuren haben sie jedoch hinterlassen! So können wir im Lunfardo (der Sprache der porteñischen Verbrecherwelt, in der die Reihenfolge der Silben umgedreht wird und die auch in den Tangoliedern verwendet wird) Wörter afrikanischen Ursprungs vorfinden, wie zum Beispiel ‘Yeye’ und ‘Yaya’ für die Großeltern.


Auf dem Flughafen ‘Eizeza’ gelandet, kommt mir Gabino Ezeiza (auch ‘El Negro Ezeiza’ genannt) in den Sinn. Er war afroporteñischer Musiker und Payador und wurde in San Telmo im Jahr 1858 geboren.

Der offizielle Marsch der argentinischen Armee (La Marcha de San Lorenzo) wurde vom Uruguayaner Cayetano Alberto Silva (schwarz, von einer Sklavin 1868 geboren) komponiert.


Afroporteñischer Abstammung war auch einer der ersten Tangomusiker, der Pianist und Komponist Rosendo Mendizábal (1868-1913), Autor des Evergreens ‘El Entrerriano’ von 1897. Um 1900 finden wir afroargentinische Musiker, wie den berühmten Klarinettisten El Mulato Sinforoso und den Violinisten El Negro Casimiro, Mulatte, vor. Der Straßenbahnfahrkartenverkäufer Sebastian Ramos Mejia mit dem Spitznamen 'El Pardo' (das heißt Mulatte) war unter anderem einer der ersten Bandoneonisten (noch bevor das Bandoneon wirklich wichtig für den Tango wurde!). Die Afroporteños hatten ihre eigenen Kirchen, Schulen, Clubs, Vereinigungen und von daher muss man sich nicht wundern, dass die afroargentinische Bevölkerung bis 1974 unter anderem auch Tango in ihrem berühmten 1922 gegründeten Shimmy Club tanzte. Egal wie geschrumpft die Gruppe war, die Existenz der Afroargentinier hatte eine lebenswichtige Bedeutung für die Musik und den Tanz der rioplatensischen Gegend und nicht nur dort: denken wir auch daran, dass sie in Argentinien und Uruguay den Candombe tanzten und noch immer tanzen, vor allem in der Karnevalszeit. (In Buenos Aires spielen die Afroporteños den Candombe während dieser Zeit auf den Straßen und man


kann überall Kapellen antreffen.)

Candombe, Uruguay, 1870 Es handelt sich dabei um eine Musik aus dem Kongo, die in von einander getrennten Gruppen (ähnlich wie Salsa) getanzt wird und bei der man speziell den Oberkörper bewegt. Wir können ihn am Anfang des argentinischen Filmes von 1949 ‘Historia de Tango’ bewundern. Berühmte Komponisten tangueros, wie Alberto Castillo (1914-2002), Sänger und Orchesterleiter, haben zur Erhaltung und Wiederentdeckung dieser Musik beigetragen (wie man am Beispiel der bekannten Milonga-Candombe Castillos mit dem passenden Titel ‘Baile de los Morenos’viii erkennen kann). In jedem Fall hat die markante Rhythmik des Candombes die antike Struktur des Tangos, des Canyengues, sicherlich sehr geprägt, der sich Dank der nachfolgenden Tänzergenerationen des Candombes, bestehend aus Schwarze und Mulatten, in La Boca und San Telmo entwickelte. Der Canyengue wurde von 1910/20 bis Ende der dreißiger Jahre mit seinen typischen seitwärts gerichteten Oberkörperbewegungen kombiniert mit eventuellen Torsionen, den Quebradasix (typisch für den heutigen Tango in Montevideo), getanzt.


1

Falls es immer noch so gehandhabt wird…

2

die Preise werden sich natürlich im Laufe der Jahre ändern

i

Río de la Plata: ursprünglich Paraná Guazú, das heißt ‘Fluss wie das Meer’ genannt. Ein Name, der für jeden der ihn je gesehen hat, wirklich passend ist, wohingegen de Solís ihn ‘Süßes Meer’ (‘Mar Dulce’) taufte. ii Porteño: Bewohner, der in den Stadtteilen nahe am Hafen von Buenos Aires lebt. Seit Ende des 18. Jahrhunderts auch Synonym für jeden Einwohner der argentinischen Hauptstadt. iii Park iv Gelbfieber ist eine virale, oftmals tödliche Epidemie afrikanischer Herkunft, übertragen durch den Stich infektiöser Mücken. Zu jener Zeit stellte man sich vor, dass es in Amerika durch den Sklavenhandel eingeführt wurde (tatsächlich findet man es zwischen dem nördlichen 15. Breitenkreis und dem 10. südlichen Amerikas und Afrikas). Es verursacht starke Kopfschmerzen und färbt die Haut gelb, aber es kann sich auch als einfache Grippe äußern. Es zeigt sich mit Fieber, Schüttelfrost, verlangsamtem Herzschlag, starken Kopfschmerzen, Bindehautentzündung, Lenden- und verschiedensten Muskelschmerzen, Übelkeit und Erschöpfungszuständen. Das klinische Bild scheint sich dann zu verbessern, aber der Virus hat die Leber angegriffen (von daher auch der Name ’Gelbfieber’) und verursacht eine schwere Leber- und Niereninsuffizienz, die zu Konvulsionen, Delirium, Koma und Schock im Endstadium führt. Die Hälfte der Menschen, hauptsächlich aber die Jungen, stirbt im Endstadium innerhalb von zwei Wochen nach Auftreten der ersten Symptome. Die Verbreitung erfolgte auch durch kranke Seeleute, wie 1849 im Fall von Rio de Janeiro, und es wurden Bauern oder Waldarbeiter, aber auch in der Stadt nahe an Flüssen, nicht abgedeckten Kanalisationen und so weiter wohnende Menschen, betroffen. v Jorge Luis Borges erinnert uns daran, dass die schwarze Bevölkerung noch in der Zeit von 1910 bis 1912 oft in Gemeinschaftswohnhäusern wohnte. vi Ciudad Evita oder auch La Matanza Partido, Provinz von Buenos Aires, im Nordosten der Stadt Buenos Aires vii Hacienda: Farm viii Der Tanz/Tanzabend der Schwarzen ix Quebrada kommt vom Verb ‘quebrar’: durchstoßen, durchbrechen


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