Biennale
Hüter der verlorenen Zeit
18. JAHRHUNDERT und NEONLICHT Sie sind eine der ältesten Kunsthändler-Dynastien der Welt und gehen doch mit der Zeit: In der Galerie der Kraemers in Paris steht höfisches Mobiliar unter warmem Neonlicht
Eine Pariser Kunsthändler-Dynastie gilt seit mehr als 100 Jahren als die Nummer eins für französische Antiquitäten: die KRAEMERs. In guten und in schlimmen Zeiten hielt sie zusammen. Nur dreimal in ihrer Geschichte gab die Familie Interviews. ENRIQUE G DE LA G und der WELTKUNST öffneten sie die Türen zu ihrer Welt
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IE MENSCHEN, die an diesem Samstagvormittag im Pariser Parc Monceau joggen und spazieren gehen, ahnen nichts. Nur wer Bescheid weiß, der erkennt in den prachtvollen Eingängen zum Park einen eindeutigen Hinweis: Die schmiedeeisernen Bronze-verzierten Eisengitter der Cours d‘honneurs und der Pariser Gärten, wir verbinden sie mit diesem vornehmen Arrondissement. Sie erinnern an die Rückkehr der Schmiedekunst im Paris des späten 19. Jahrhunderts. Die Technik bewältigte damals schwierigste Aufgaben wie gehämmerte Ranken, Blättern, Blüten und Spiralen. Die Gitter erinnern nicht umsonst auch an die Bronze-beschlagenen Möbel des Hofkünstlers André-Charles Boulle, der diese elegante Kombination der Farben Schwarz und Bronze in die Möbelwelt einführte. Denn die Schmiedekünstler dieser Gitter besannen sich auf die Formen der höfischen Zeit zurück. Verlässt man den Park nach Süden, steht man bereits am kleinen Place Rio de Janeiro. Hier, in Reichweite des Elysée-Palasts und der Luxusgeschäfte der Rue Faubourg St.-Honoré, schlägt das Herz des repräsentativen Paris. Hier bauten die Industriebarone des 19. Jahrhunderts ihre Paläste und füllten sie mit Kunst. Und hier steht auf einem Schild in Schwarz und Gold der Name „Kraemer“. Es ist das Haus 43 in der rue de Monceau. Kaum ein Mensch im Park kennt die faszinierende Geschichte der Kraemers. Es ist eine Geschichte von Leidenschaft und Liebe für die Antiquitäten durch die Generationen und die Jahrhunderte. Sie beginnt im Elsass. Ein junger Mann namens Lucien Kraemer musste seine Heimat aufgrund des Deutsch-Französischen Krieges 1871 verlassen, und sein Weg führte ihn nach Paris. Dort traf er sich mit seinem Onkel, der eine Kunstgalerie betrieb. Der Onkel verhandelte mit Kunden von Format, ein paar kleine Antiquitäten bot er ebenso den Kunden an. Die Firma lief gut. Vielleicht sollte sich Lucien überlegen, ein ähnliches Geschäft aufzuziehen, riet er seinem Neffen. So eröffnete Lucien Kraemer 1875 in der rue Penthièvre die erste Galerie in Paris, die sich auf französisches Mobiliar des 18. Jahrhunderts spezialisierte. Fünf Jahre später zog er mit
seinem Laden in die rue Tronchet, an der Ecke der Place de la Madeleine. Lucien gelang es rasch, sich als Antiquitätenhändler in den besten Kreisen zu etablieren. In sein Geschäft kamen die größten Sammler und bedeutendsten Familien, wie die Rothschilds und die Camondos, der Graf Boni de Castellane und andere Persönlichkeiten der Belle Époque. Dort wurden sie von einem leidenschaftlichen Mann begrüßt, der seine Liebe für alte Möbel förmlich ausstrahlte. Die Galerie wurde aufgrund der Qualität ihrer Ware binnen weniger Jahrzehnte auch jenseits von Paris und Europa bekannt. So kamen Kunden aus dem Ausland, wie die indisch-englische Familie Sassoon, Prominente aus dem zaristischen Russland und aus den Vereinigten Staaten, Familien wie die Widener, die Hamilton-Rice, die Balsan und weitere. Dieser Erfolg ist Lucien ohne aufwendige Werbekampagne gelungen, sondern nur durch Empfehlungen seiner exklusiven Kunden. Heute kann man nicht mehr sagen, ob Lucien Kraemer seine Leidenschaft für die Möbel und die Kunst mit Mühe und Hingabe erstmal finden musste und dann verfeinert hat, oder ob ein geerbter Enthusiasmus ihn dazu geführt hat, sich mit Herz und Seele den Antiquitäten zu verschreiben. So oder so, er gründete eine lange Dynastie geschmackvoller und charmanter Antiquitätenhändler. 1928 kauften Lucien und sein Sohn Raymond das alte Hôtel Particulier in der rue de Monceau. Die Galerie und die Familie zogen endgültig dorthin, denn von Anfang an haben die Kraemers nicht nur höfische Möbel verkauft, sondern auch mit ihnen gewohnt. In den 1930er Jahren belieferte die Galerie erneut illustre Sammler aus dem Ausland. Einer der ersten, der seine Erfahrung bei den Kraemers in seinem Tagebuch festhielt, war Jean Paul Getty, Gründer des gleichnamigen Museums in Los Angeles: „Ich habe den jungen Kraemer in seiner Galerie in der rue de Monceau aufgesucht“, schrieb er. Seit jenem ersten Besuch kam er oder einer seiner Mitarbeiter praktisch jährlich bis ins Jahr 2000, um Möbel für die Sammlung zu kaufen – heute konzentriert sich das Museum eher auf andere Gattungen. In der Zeit der Nazi-Besatzung von Paris
„Jedes Möbel ist eine Liebesgeschichte“, Olivier Kraemer
Fotos: Éric Jansen
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zu der Führenden in Europa werden, die Familie zur Numstab Reichsleiter Romer eins unter den exklusiven senberg (ERR) das Vermögen Antiquitätenhändlern für frander Kraemers – eine Gardine zösisches Mobiliar des 17. und aus dem Theater von Versailles 18. Jahrhunderts aufsteigen. schien den Nazis nicht bedeuPhilippe baute das Geschäft der tend genug. Die Kraemers spreFamilie aus, und in den 1970er chen nicht gern über diese Zeit. Jahren konnte er seine beiden Doch klar ist, dass sie fliehen Söhne, Olivier und Laurent, für mussten, zuerst nach Deaudas Geschäft gewinnen. Vor ville, dann in die Provence. etwa zehn Jahren kam die fünfDort sprach ein Unbekannter te Generation dazu: Oliviers älRaymond Kraemer beim Bätester Sohn, Mikaël, und Laucker an. „Sie sind Herr Kraerents einziges Kind, Sandra. Damer aus Paris, richtig?“ „Ja...“. mit ist sie die dritte Frau, die in „Ihnen gilt meine Bewundeder Galerie tätig ist: Sowohl ihre rung für Ihre persönliche SituMutter Nicole als auch ihre Uration“. „Danke. Und Sie sind...?“ großmutter waren bereits mit „Monsieur Hermès“. So begann dabei. die Freundschaft zwischen der So sehr gilt ihre ganze Aufmerkprotesta ntischen Fa m ilie samkeit den Möbeln, dass die Hermès und den Kraemers. Kraemers sich nie darum kümNach dem Krieg kehrte Raymerten, ihre Geschichte aufzumond mit seiner Familie in das arbeiten. Und auch mit Journaalte Haus zurück. Das Gebäude listen reden sie selten. In 135 selbst war unbeschädigt. Für Jahren machten sie nur wenige die Kraemers war jedoch das Ausnahmen: für das Wall Street Kostbarste, dass die gesamte Journal, für Forbes und nun für Familie den Holocaust überdie WELTKUNST. „Besuch aus lebte. Das kann man von den Deutschland? Eine Reportage?“, Camondos, die 1912 ihr Zuhaufragt der 82-jährige Philippe se nebenan gebaut hatten, nicht Kraemer ein bisschen skeptisch, Familienbild mit Katze behaupten. Die Familien waren Philippe Kraemer mit seinen Sohnen Laurent (links) und Olivier. als er auf der Terrasse des Salon eng befreundet. Das Camondode thé in die Mittagssonne blinDie Katze Okaya hilft mit, Fälschungen zu entdecken Palais war damals das mozelt. „Ich weiß, dass Du nie ein dernste der Stadt. Heute beherInterview akzeptiert hättest“, bergt es das Musée Nissim de Camondo, das die Herzen jedes zwinkert Olivier seinem Vater zu. „Das stimmt, aber die Zeiten Liebhabers französischen Mobiliars höher schlagen lässt. Die sind jetzt anders“, antwortet dieser mit einem warmen Läeinzige Nachfahrin der Familie, Béatrice, ihr Mann Léon Reincheln im Gesicht. ach, ein Nachfahre der berühmten Gelehrten-Familie Reinach, Jedes Familienmitglied schenkt der Galerie etwas Eigenes und und ihre gemeinsamen Kinder, Fanny und Bertrand, starben Einzigartiges, jede Generation hinterlässt ihre Spuren. Die im Konzentrationslager. Die Kraemers unterstützen das MuseCousins Sandra und Mikaël arbeiten mit Blackberry und inum und erhalten somit die Erinnerung an ihre Nachbarn. stallierten in einigen Räumen der Galerie moderne NeonNach dem Krieg eröffnete Raymond mit seiner Frau Simone lichter, die alle fünf Sekunden die Farbe wechseln. Verrückt! und seinem Sohn Philippe das Geschäft wieder. Nur wenige Aber die Harmonie ist perfekt. „Wir führen ein lebendiges der einst beschlagnahmten Kunstgegenstände bekamen sie Haus und ein Geschäft“, sagt Mikaël, „kein Museum und auch zurück. Ersparnisse halfen beim Wiederaufbau. Doch er musskeine Zeitmaschine“. Sandra erzählt, dass die Familie die richte entscheiden, wie er sein Vermögen anlegen sollte. tige Farbe für die Tür eines Galerie-Saals nicht finden konnte, Auf keinen Fall wollte er an der Qualität einbüßen. Das Meisbis ihre Mutter zufällig bei einem Porsche-Händler fündig terstück von Raymond bestand darin, dass er den Wert eines wurde. Auch hier zeigten sie keine Berührungsängste mit Gedamals unterschätzten Ebenisten erkannt hat: des Marketestaltungselementen der Gegenwart. Sie strichen die Holztür rie-Meisters André-Charles Boulle. Damals waren andere Stimetallgrau. le und Epochen gefragt, vor allem Louis XV. Boulle-Möbel – Die Kraemers zeigen den Besuchern gerne die ganze Galerie. heute fast unvorstellbar – kosteten seinerzeit nur so viel wie „Egal ob ausländischen Kunden oder Schülern, ob Diplomaten die Restaurierung. Deshalb konnte Raymond das Boulle-Mooder bekannten Künstlern, wir zeigen allen Interessierten unbiliar nicht sofort wieder verkaufen. Die Investition war richsere Galerie mit derselben Leidenschaft und Begeisterung“, tig, aber die Zeit war noch nicht reif. Er musste warten. sagt der 30-jährige Mikaël. Vom Parterre geht es hinab ins Etwa 20 Jahre später hatten sich Boulle-Werke wieder auf dem Untergeschoss, dann in die Beletage, zu der eine Terrasse geMarkt etabliert. Dank der Sammlungen Bloch und Strauss, die hört. Das Nachbargebäude haben die Kraemers vor ein paar damals versteigert wurden, bekam der Luxus-Möbelschreiner Jahren gekauft und mit der Galerie verbunden. Ein typischer Ludwigs XIV. die Aufmerksamkeit, die ihm gebührte. Die PreiPariser Fahrstuhl führt in die erste Etage und in die Privatse stiegen. Die Investition in das neue Geschäft begann sich wohnung der Familie; ein anderer, moderner ins Untergezu rentieren. Die Galerie in der rue de Monceau sollte erneut schoss – ein Haus mit Geschichte, zu dem neue Geschichten 14
beschlagnahmte der
hinzukommen. Und Adam Weisweiler, überall steht schöGeorges Jacob, Nicones altes Mobiliar. las-Quinibert Foliot, „Möbel sind die einDavid Roentgen und zigen Kunstwerke, Objekte aus den Madie man anfassen nufakturen von Berkann. Sie können nard van Riesensich in jeden Stuhl burgh, Jacques Duhineinsetzen, alle bois, Jean-François Möbel funktionieOeben, Pierre Rousren wie vor 300 Jahsel und Pierre Garren“, schwärmt Launier. rent. „Möbel wollen Unter solchen Umbenutzt werden, sie ständen ist es recht sind nicht nur zum schwer, ein LiebBetrachten da“. Allingsstück auszulein im ersten Raum wählen, denn von stehen Stücke aus allen geht eine Fasden Epochen Ludzination aus. Denwigs XIV., XV. und noch gibt es noch XVI. Steigerungen bei Schon das Türschild atmet Noblesse Jackie Kennedy, Greta Garbo, Michael Jackson Geht man weiter von den Kraemers: Eine und viele anderen Prominenten gingen bei den Kraemers ein und aus Raum zu Raum, entbesonders erlesene deckt man viele anKostbarkeit verdere Kostbarkeiten, zum Beispiel einen schönen Secrétaire wahrt die Familie hinter verschlossener Tür in einer Schatzaus dem Besitz Katharinas der Großen aus dem Pavlovskkammer, die sie humorvoll „Schatzkraemer“ nennen. Derzeit Palast, gefertigt von Roger Vandercruse „Lacroix“ (RVLC). thront dort auf einem Podest eine große, celadon-grüne (die Die Provenienz des Schreibtischs ist erlesen und lückenlos Kraemers legen Wert darauf, nicht von „türkis-grün“ zu dokumentiert: 1928 besaß ihn der italienische Kronprinz sprechen) und vergoldete Vase, die den Kraemers noch RätUmberto, dann wurde er zweimal verkauft. Kürzlich erwarsel aufgibt. Faszinierend auch: eine Wanduhr von Boulle mit ben ihn die Kraemers aus Privatbesitz. Uhrwerk von Thuret, umrahmt von einem Gemälde des itaEin Tisch von Boulle, vorne versehen mit einem Porträt des lienischen Barockmalers Carlo Maratta. Eine dazugehörige griechischen Philosophen Demokrit und dem Originalleder auf Skizze des Maratta-Gemäldes, ebenfalls im Besitz der Kraeder Platte fällt einem sofort ins Auge. Es ist schon wieder eine mers, unterstreicht die Authentizität des Bildes. Auf der 25. Seltenheit, denn normalerweise ist das Leder das erste, was Biennale des Antiquaires (15. bis 22. September) offerieren immer wieder abgenutzt und ausgetauscht wird. Diesen Tisch die Kraemers eine Truhe (1690-1700), an der Boulle selbst gibt es noch zwei Mal: im Hauptbüro eines großen Unternehgearbeitet hat. Sie weist – besonderes Qualitätsmerkmal – mers und im Schloss von Chantilly. Ein anderer Raum behereine troisième partie auf: Schildpatt, Bronze und Zinnlegiebergt den Schreibtisch Marie Antoinettes aus ihrem Zimmer rung. Die Truhe gibt es wiederum nur drei Mal. Die Kraemers in Versailles, ein Werk von Johann-Heinrich Riesener, Liebselbst haben vor einigen Jahrzehnten die anderen beiden lings-Hofschreiner der Königin. In der Galerie sammeln sich Modelle an namhafte Sammler verkauft: „Wir sehen solche die Stühle und Armsessel der besten Ebenisten: Riesener, Stücke nur etwa alle 25 Jahre. Unsere Herzen schlagen
Biennale berüchtigte Einsatz-
LINKS: LUCIEN KRAEMER
Fotos: Privatarchiv Familie Kraemer; Éric Jansen
Der Gründer einer langen und erfolgreichen Dynastie von Antiquitätenhändlern zog 1871 aus dem Elsass nach Paris
RECHTS: RAYMOND KRAEMER Nach dem Zweiten Weltkrieg baute Luciens Sohn Raymond die Galerie erfolgreich wieder auf. Im Krieg war die Familie von den Besatzern enteignet worden, den Holocaust hatte sie jedoch überlebt
gen unsere alten Möbel heute in modernem Display, denn das wollen auch unsere Kunden: „Alte Möbel mit neuem Design kombinieren“, sagt Sandra. „Unsere jüngeren Kunden wohnen in modernen Häusern und Wohnungen und bevorzugen einen modernen Stil. Und unsere Möbel machen sich sehr gut neben modernen Gemälden und Skulpturen“. Einer ihrer Kunden war Michael Jackson. „Als er uns aufsuchte, war die Straße voll von Fans“, sagt Olivier. „Als Jackson die Galerie betrat, nahm er seinen Mundschutz ab und zeigte großes Interesse. Offenbar inspirierten ihn unsere Möbel, denn sobald ihm etwas gefiel, begann er sofort zu tanzen und mit den Fingern zu schnipsen. Er war so begeistert von all dem hier, dass er nicht nur einen Stuhl von Marie Antoinette kaufen wollte, sondern auch unseren Aufzug“. Der Fahrstuhl ist jedoch unverkäuflich, auch an Michael Jackson. Ob er den Stuhl der stilbewussten Königin kaufte, das behält Olivier für sich. Eine Markt-Krise spüren sie nicht, sagt Laurent, und Mikaël ergänzt: „Wir machen uns eher Sorgen um die Welt. Deshalb unterstützen wir soziale Projekte für Kinder und verschiedene Museen“. Veränderungen registrieren die Kraemers allerdings schon. Zu den Stammkunden aus Amerika, Deutschland, Belgien, der Schweiz, Italien und England ist eine Klientel aus Katar, der Golfregion allgemein, aus Indien und Russland hinzugekommen. „Auch die jungen Käufer sind sehr intelligent und neugierig, sie wollen alles wissen“, erzählt Olivier. „Sie sagen zu uns: ,Erklären Sie uns bitte alles, denn wir kennen uns nicht aus, finden aber alles hier wunderschön‘“. Das berührt ihn. Für viele Asiaten ist ein Besuch in der Galerie der Kraemers wie eine Reise zu sich selbst. Sie begegnen auf den Möbeln
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DIE FÜNFTE GENERATION
dann natürlich schneller“, gesteht Laurent. Für die Biennale hat sich die Familie eine besonders originelle Stand-Dekoration ausgedacht: eine Kopie des „Oval Office“ im Weißen Haus. In diesem präsidialen, weltbeherrschenden Ambiente präsentiert sie auch eine monumentale Pariser Pendeluhr, hergestellt von Jean Pierre Latz und Michel Stollenwerck. „In Potsdam gibt es eine sehr ähnliche Comtoise-Uhr, aus derselben Manufaktur“, sagt Sandra. Wenn das Ambiente nicht stimmt, leiden die Kraemers auch mit hochgestellten Persönlichkeiten mit. So wollen sie ihr „Oval Office“ augenzwinkernd als Vorschlag verstanden wissen, wie sich der amerikanische Präsident sein Büro geschmackvoller ausstatten könnte: „Unser Kronleuchter von Claude Galle würde dort viel besser hineinpassen als der bisherige, denn unserer ist aus blau lackiertem Metall und mit bronzenen Sternen geschmückt.“ Ein ähnliches Model besitzt das J. Paul Getty Museum. Die Kraemers – wer sonst – verkauften es dem Museum vor etwa 30 Jahren. Marcel Proust beobachtete einst, wie aufmerksam ein Liebhaber jede Gebärde, jeden noch so kurzen Glanz der Haare, jedes schnelle Blinzeln oder das kleinstmögliche Detail seiner Geliebten mit Akribie betrachtet. So ist sie, die Besessenheit der Liebe. Mit ähnlicher Sorgfalt und Aufmerksamkeit kennen die Kraemers jede Kleinigkeit jedes Möbelstücks in jedem Zimmer ihrer Galerie. „So leben wir seit fünf Generationen“, sagt Olivier. „Etwas anderes können wir uns nicht vorstellen. Das ist unser Leben. Jedes Möbel, das wir hier schon hatten oder derzeit haben, erzählt eine Liebesgeschichte“. In der Brusttasche seines Sakkos hat er einen kleinen Schraubenzieher dabei. So kann er vor jedem möglichen Ankauf alle Elemente einer Antiquität auseinanderbauen, um zu überprüfen, ob jedes einzel-
ne Teil – jedes Holzstück, jeder Bronze-Beschlag, jede Schraube – original ist oder nicht. „Und wenn wir die Objekte vom Restaurateur zurückbekommen, prüfen wir alles erneut. Die Art und Verwendung von Klebstoff ist ein gutes Beispiel, um die Arbeit und Echtheit eines Möbelstückes zu kontrollieren. Im 18. Jahrhundert wurde ein besonderer Klebstoff aus Fisch benutzt. Wir bringen unsere Katze Okaya hierher, die riecht an dem Mobiliar und wir schauen, wie sie reagiert“, verrät Olivier stolz, während er seinen Schraubenzieher wieder in seine Brusttasche steckt. „Zeigt sie sich hungrig, dann hat der Restaurateur Gebrauch von echtem Fischleim gemacht“. Die Arbeit der Galerie besteht aus drei Phasen: Verkaufsangebote aus der ganzen Welt durcharbeiten und 95 Prozent davon ablehnen, die Authentizität und Qualität der Objekte nachprüfen und sich von gekauften Möbeln wieder trennen. Ein Prozess des Verliebens und Loslassens. Wo kommen die Möbel her, wo gehen sie hin? Die Kraemers verraten es nicht. Nur selten erlauben sie sich eine besonnene Anekdote oder nennen einen Namen. Absolute Diskretion ist die goldene Regel der Familie. „Einmal kamen Greta Garbo und Eric von Goldschmidt-Rothschild incognito zur Galerie“, erinnert sich Laurent, „und mein Vater benahm sich, als hätte er sie nicht erkannt, um ihr Geheimnis zu respektieren“. Die Kraemers haben sich als die Besten auf ihrem Markt etabliert. Durch die Türen ihrer Galerie treten seit 135 Jahren viele renommierte Sammler und Kunstkenner, Menschen, die Geschichte schreiben. Wie das Geschäft selbst, das über die Generationen weitergegeben wird, sind auch die Kunden über Generationen mit der Galerie verbunden. Und immer versucht die Dynastie, den Zeitgeschmack zu berücksichtigen. „Wir zei-
Fotos: Galerie Kraemer, Paris; Éric Jansen
Die Cousins Sandra und Mikaël handeln mit derselben Liebe wie ihre Vorfahren mit Antiquitäten und sind begeisterte Kunstsammler
Ein Prunkstück von BOULLE Die Truhe aus dem Besitz der Kraemers war nun in der großen Boulle-Schau in Frankfurt am Main zu sehen. Die Kraemers wollen sie 2010 auf der Biennale des Antiquaires anbieten
auch der Orient-Begeisterung im 18. Jahrhundert. Und so streifen sie fasziniert durch eine Wunderwelt der Edelhölzer, Kommoden und Kabinette und lassen sich anstecken von der Hingabe, mit der sie hergestellt sind und von der Liebe, mit der sie die Kraemers vorführen: „Liebe, das ist Raum und Zeit, dem Herzen fühlbar gemacht“, schrieb nicht umsonst der einstige Nachbar der Kraemers, Marcel Proust.